1
|
I. Die Klägerin und
Revisionsklägerin (Klägerin), eine GmbH, wurde am
21.7.1997 von der M-GmbH und RH gegründet. Die M-GmbH war zu
51 v.H. und RH zu 49 v.H. beteiligt. Die Stimmrechte entsprachen
den Beteiligungsverhältnissen. Alleiniger
Geschäftsführer der Klägerin war RH;
Geschäftsführer der M-GmbH waren BF und HH.
|
|
|
2
|
Nach dem Gesellschaftsvertrag der
Klägerin wurden Gesellschafterbeschlüsse mit einfacher
Stimmenmehrheit gefasst. Bestellung, Abberufung und Entlastung von
Geschäftsführern sowie der Abschluss, die Änderung
und die Aufhebung von Anstellungsverträgen mit der
Geschäftsführung bedurften der Zustimmung der beiden
Gründungsgesellschafter.
|
|
|
3
|
Am Tag ihrer Gründung schloss die
Klägerin mit der M-GmbH einen Gewinnabführungsvertrag ab,
der in einer Gesellschafterversammlung der Klägerin am
8.8.1997 bestätigt und notariell beurkundet wurde. Nach dem
unter Bezugnahme auf das Aktiengesetz abgeschlossenen Vertrag hatte
die Klägerin einen pauschalen Gewinnanteil an die M-GmbH
abzuführen, die sich ihrerseits zu einer Verlustübernahme
verpflichtete. Darüber hinaus verpflichtete sich die
Klägerin, ihre Geschäfte nach den Weisungen der M-GmbH zu
führen.
|
|
|
4
|
Am 28.11.1997 vereinbarten die
Klägerin und die M-GmbH eine „einheitliche
Gestaltungsrichtlinie“ („Konzernrichtlinien“)
insbesondere für den Wareneinkauf nach Rahmenverträgen.
Am 1.12.1997 verpflichtete sich die Klägerin, der M-GmbH
wöchentlich den nach Handel und Service getrennten Umsatz, den
Wareneinkauf und die Kontostände zu melden.
|
|
|
5
|
Nach einer am 16.12.1997 vereinbarten
Geschäftsordnung bedurften insbesondere der Erwerb und die
Veräußerung von Anlagevermögen von mehr als 10.000
DM sowie der Abschluss, die Änderung und die Beendigung von
Anstellungsverträgen mit einer Kündigungsfrist von mehr
als 1 Jahr oder einem Jahresgehalt von mehr als 75.000 DM der
Zustimmung der Gesellschafterversammlung der Klägerin.
|
|
|
6
|
Am 9.1.1998 wurde RH zum Prokuristen der
M-GmbH bestellt. Am 29.4.1999 warf die M-GmbH der Klägerin
vor, Einkaufsverträge vor Abschluss der Zentralverhandlungen
abgeschlossen zu haben, und mahnte die Zahlung von
„Managementvergütungen“ für Leistungen der
M-GmbH an die Klägerin an.
|
|
|
7
|
Die Klägerin ging zunächst davon
aus, dass sie umsatzsteuerrechtlich Organgesellschaft der M-GmbH
sei. Die Organschaft endete unstreitig zum 30.6.1999.
Demgegenüber ging der Beklagte und Revisionsbeklagte (das
Finanzamt - FA - ) in den Umsatzsteuerbescheiden für die
Streitjahre 1997 und 1998 vom 19.4.2000 und für das Streitjahr
1999 vom 27.7.2000 davon aus, dass von Anfang an keine Organschaft
bestanden habe. Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg.
|
|
|
8
|
Das Finanzgericht (FG) bestätigte das
FA. Es fehle an der für die Organschaft erforderlichen
organisatorischen Eingliederung. Hierfür reichten weder
Weisungsrechte der M-GmbH noch Berichtspflichten noch eine
Geschäftsordnung aus, da der Mehrheitsgesellschafter ein
Letztentscheidungsrecht nicht verwirklichen könne, wenn
einziger Geschäftsführer der Organgesellschaft der
Minderheitsgesellschafter sei. Hieran habe sich auch durch die
Prokuraerteilung für RH bei der M-GmbH nichts geändert,
da die Geschäftsführerstellung des RH bei der
Klägerin nicht auf seiner Stellung als Prokurist bei der
M-GmbH beruht habe. Es habe eine „Pattsituation“
zwischen den beiden Gesellschaftern der Klägerin bestanden, da
die M-GmbH, selbst wenn sie RH als Geschäftsführer der
Klägerin zumindest aus wichtigem Grund hätte abberufen
können, einen neuen Geschäftsführer nur mit dessen
Zustimmung habe bestellen können.
|
|
|
9
|
Das Urteil des FG ist in EFG 2011, 586 =
SIS 10 38 25 veröffentlicht.
|
|
|
10
|
Ihre Revision stützt die Klägerin
auf die Verletzung materiellen und formellen Rechts. Sie sei
Organgesellschaft der M-GmbH gewesen, da sie in diese auch
organisatorisch eingegliedert sei. Hierfür komme es nicht
zwingend auf eine vollständige Personenidentität der
Vertretungsorgane an. Ihr Geschäftsführer RH sei
Prokurist der M-GmbH gewesen. Es sei nur theoretisch möglich
gewesen, dass RH seinen Interessen als Minderheitsgesellschafter
Vorrang vor dem Willen des Organträgers einräumen konnte.
Eine vom Willen des Organträgers abweichende Willensbildung
sei auch durch die „Gestaltung der Beziehungen“
verhindert worden. So sei der M-GmbH ein umfangreiches
Informationsrecht eingeräumt worden. Sie sei teils zur
wöchentlichen, teils sogar zur täglichen
Berichterstattung verpflichtet gewesen und sei dem auch
nachgekommen. Darüber hinaus habe zugunsten der M-GmbH ein
vertraglich vereinbartes Weisungsrecht bestanden. Die
organisatorische Eingliederung sei rechtlich abgesichert und
betriebswirtschaftlich durchsetzbar gewesen, wie sich aus dem
Gewinnabführungsvertrag, den Gestaltungs- und
Konzernrichtlinien, den zugunsten ihrer Gesellschafterversammlung
bestehenden Zustimmungsvorbehalten und der Geschäftsordnung
ergebe. RH habe als Geschäftsführer zumindest aus
wichtigem Grund abberufen werden können. Es habe eine für
die organisatorische Eingliederung ausreichende
„Pattsituation“ bestanden. Das FG habe
schließlich gegen den klaren Inhalt der Akten
verstoßen, da sich aus ihrem Klagevortrag ergeben habe,
„in welchem Umfang die Klägerin und der Organträger
organisatorische Maßnahmen zur Verhinderung einer
abweichenden Willensbildung getroffen haben“ und das FG sich
bei seiner Beurteilung „auf einen verzerrten Sachverhalt, der
von den tatsächlichen Gegebenheiten abweicht“,
gestützt habe.
|
|
|
11
|
Die Klägerin beantragt, die
Umsatzsteuerbescheide 1997 und 1998 vom 19.4.2000 in Gestalt der
Einspruchsentscheidung vom 10.2.2003 aufzuheben und den
Umsatzsteuerbescheid 1999 vom 27.7.2000 in Gestalt der
Einspruchsentscheidung vom 10.2.2003 dahingehend zu ändern,
dass die Umsatzsteuer auf 40.648,88 EUR herabgesetzt wird.
|
|
|
12
|
Das FA beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
|
|
|
13
|
Das FG habe die Organschaft zu Recht
verneint. Die gegenüber einem Prokuristen bestehende
Weisungsbefugnis reiche zur Begründung der organisatorischen
Eingliederung nicht aus. Diese folge auch nicht aus der
Geschäftsordnung, die für den Geschäftsführer
„weite Spielräume“ gelassen habe.
|
|
|
14
|
II. Die Revision der Klägerin ist
unbegründet und war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs.
2 der Finanzgerichtsordnung - FGO - ). Wie das FG im Ergebnis zu
Recht entschieden hat, ist die Klägerin mangels
organisatorischer Eingliederung nicht Organgesellschaft ihres
Mehrheitsgesellschafters.
|
|
|
15
|
1. Nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 des
Umsatzsteuergesetzes (UStG) wird die gewerbliche oder berufliche
Tätigkeit nicht selbständig ausgeübt, wenn eine
juristische Person nach dem Gesamtbild der tatsächlichen
Verhältnisse finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch in
das Unternehmen eines anderen Unternehmers eingegliedert ist
(Organschaft).
|
|
|
16
|
Unionsrechtlich beruht diese Vorschrift auf
Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 der Sechsten Richtlinie des Rates vom
17.5.1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der
Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG. Danach
können die Mitgliedstaaten im Inland ansässige Personen,
die zwar rechtlich unabhängig, jedoch durch gegenseitige
finanzielle, wirtschaftliche und organisatorische Beziehungen eng
miteinander verbunden sind, zusammen als einen Steuerpflichtigen
behandeln.
|
|
|
17
|
Die Ausübung der Ermächtigung,
„Personen ... als einen Steuerpflichtigen zu
behandeln“, führt zu einer „Verschmelzung
zu einem einzigen Steuerpflichtigen[, die] es ausschließt,
dass die untergeordneten Personen weiterhin getrennt
Mehrwertsteuererklärungen abgeben und innerhalb und
außerhalb ihres Konzerns weiter als Steuerpflichtige
angesehen werden, da nur der einzige Steuerpflichtige befugt ist,
diese Erklärungen abzugeben“ (Urteil des
Gerichtshofs der Europäischen Union vom 22.5.2008 C-162/07,
Ampliscientifica und Amplifin, Slg. 2008, I-4019 = SIS 08 27 52
Rdnr. 19). Dementsprechend setzt die nach § 2 Abs. 2 Nr. 2
UStG erforderliche Eingliederung in ein anderes Unternehmen ein
Verhältnis der Über- und Unterordnung zwischen einer
Organgesellschaft als „untergeordneter Person“
und dem sog. Organträger voraus (Urteile des Bundesfinanzhofs
- BFH - vom 18.12.1996 XI R 25/94, BFHE 182, 392, BStBl II 1997,
441 = SIS 97 11 56, unter II.1.; vom 19.5.2005 V R 31/03, BFHE 210,
167, BStBl II 2005, 671 = SIS 05 31 27, unter II.2.a aa; vom
3.4.2008 V R 76/05, BFHE 221, 443, BStBl II 2008, 905 = SIS 08 25 80, unter II.1., und vom 22.4.2010 V R 9/09, BFHE 229, 433, BFH/NV
2010, 1581 = SIS 10 18 70, unter II.3.b aa).
|
|
|
18
|
2. Die Eingliederungsvoraussetzungen des
§ 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG dienen der Feststellung, ob das für
die Organschaft erforderliche Über- und
Unterordnungsverhältnis vorliegt, das zur Verschmelzung zu nur
einem einzigen Steuerpflichtigen führt.
|
|
|
19
|
a) Finanziell muss der Organträger in der
Weise an der Organgesellschaft beteiligt sein, dass er seinen
Willen durch Mehrheitsbeschluss in der Gesellschafterversammlung
durchsetzen kann (BFH-Urteile vom 22.11.2001 V R 50/00, BFHE 197,
319, BStBl II 2002, 167 = SIS 02 04 42, unter II.1.a; in BFHE 210,
167, BStBl II 2005, 671 = SIS 05 31 27, unter II.2.a dd; vom
30.4.2009 V R 3/08, BFHE 226, 144, BFH/NV 2009, 1734 = SIS 09 26 36, unter II.2.b aa; in BFHE 229, 433, BFH/NV 2010, 1581 = SIS 10 18 70, unter II.2., und vom 1.12.2010 XI R 43/08, BFHE 232, 550,
BStBl II 2011, 600 = SIS 11 09 25, unter II.2.).
|
|
|
20
|
b) Die organisatorische Eingliederung setzt
voraus, dass der Organträger die mit der finanziellen
Eingliederung verbundene Möglichkeit der Beherrschung der
Tochtergesellschaft in der laufenden Geschäftsführung
wahrnimmt, wobei er die Organgesellschaft durch die Art und Weise
der Geschäftsführung beherrschen muss (vgl. z.B.
BFH-Urteile vom 5.12.2007 V R 26/06, BFHE 219, 463, BStBl II 2008,
451 = SIS 08 11 75, unter II.2.; vom 14.2.2008 V R 12, 13/06,
BFH/NV 2008, 1365, unter II.2.f aa; in BFHE 221, 443, BStBl II
2008, 905 = SIS 08 25 80, unter II.3.b, und die bisherige
Rechtsprechung zusammenfassend vom 28.10.2010 V R 7/10, BFHE 231,
356, BStBl II 2011, 391 = SIS 11 02 55, unter II.2., m.w.N.).
|
|
|
21
|
c) Für die wirtschaftliche Eingliederung
i.S. von § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG müssen die
Unternehmensbereiche von Organträger und Organgesellschaft
miteinander verflochten sein. Dabei kann die wirtschaftliche
Eingliederung auf entgeltlichen Leistungen des
Mehrheitsgesellschafters (Organträger) gegenüber seiner
Tochtergesellschaft (Organgesellschaft) beruhen, wenn diesen
für das Unternehmen der Organgesellschaft mehr als nur
unwesentliche (geringfügige) Bedeutung zukommt (vgl. zuletzt
BFH-Urteil vom 6.5.2010 V R 26/09, BFHE 230, 256, BStBl II 2010,
1114 = SIS 10 31 62, unter II.3.b bb (3)). Es ist dann im Regelfall
davon auszugehen, dass der Organträger aufgrund derartiger
Leistungen auf die Organgesellschaft Einfluss nehmen kann, für
ihn auch aufgrund der Möglichkeit zur Beendigung dieser
Leistungsbeziehung eine „beherrschende Stellung“
besteht (BFH-Urteil vom 9.9.1993 V R 124/89, BFHE 172, 541, BStBl
II 1994, 129 = SIS 94 07 29, unter II.1.b) und somit für ihn
„besondere Einwirkungsmöglichkeiten“
vorliegen (BFH-Urteil vom 25.6.1998 V R 76/97, BFH/NV 1998, 1534,
unter II.2.c).
|
|
|
22
|
3. Im Streitfall war die Klägerin nur
finanziell, nicht aber auch organisatorisch in die M-GmbH
eingegliedert.
|
|
|
23
|
a) Die M-GmbH war nicht in der Lage, die
für sie aufgrund ihrer Mehrheitsbeteiligung bestehende
Beherrschungsmöglichkeit in der Geschäftsführung der
Klägerin auszuüben.
|
|
|
24
|
aa) Die organisatorische Eingliederung besteht
zwischen zwei GmbHs insbesondere bei einer Personenidentität
in den Geschäftsführungsorganen der beiden Gesellschaften
(BFH-Urteile vom 17.1.2002 V R 37/00, BFHE 197, 357, BStBl II 2002,
373 = SIS 02 06 40, unter II.1.c bb; in BFHE 219, 463, BStBl II
2008, 451 = SIS 08 11 75, unter II.3.). Darüber hinaus kann
sich die organisatorische Eingliederung auch aus einer (teilweisen)
personellen Verflechtung über diese
Geschäftsführungsorgane ergeben (BFH-Urteile in BFHE 197,
357, BStBl II 2002, 373 = SIS 02 06 40, unter II.1.c bb; in BFHE
221, 443, BStBl II 2008, 905 = SIS 08 25 80, unter II.3.b), wenn
dem Organträger eine Willensdurchsetzung in der
Geschäftsführung der Organgesellschaft möglich ist.
Sind für die Organ-GmbH z.B. mehrere
einzelvertretungsberechtigte Geschäftsführer bestellt,
reicht es aus, dass zumindest einer von ihnen auch
Geschäftsführer der Organträger-GmbH ist, der
Organträger über ein umfassendes Weisungsrecht
gegenüber der Geschäftsführung der Organ-GmbH
verfügt (vgl. § 37 Abs. 2 des Gesetzes betreffend die
Gesellschaften mit beschränkter Haftung - GmbHG - ) und -
anders als in der dem BFH-Urteil in BFHE 219, 463, BStBl II 2008,
451 = SIS 08 11 75 zugrunde liegenden Fallgestaltung - zur
Bestellung und Abberufung aller Geschäftsführer der
Organ-GmbH berechtigt ist (vgl. § 46 Nr. 6 GmbHG).
|
|
|
25
|
Diese Voraussetzungen sind im Streitfall nicht
erfüllt. Zwischen den Geschäftsführungsorganen der
Klägerin, einer GmbH, und der M-GmbH bestand keine
Personalunion, da der einzige Geschäftsführer der
Klägerin, RH, nicht auch bei der M-GmbH
geschäftsführungsbefugt war. Dass die M-GmbH als
Mehrheitsgesellschafter in der Gesellschafterversammlung der
Klägerin gegenüber der Geschäftsführung der
Klägerin weisungsbefugt war, reicht ohne zusätzliche
personelle Verflechtung über die Geschäftsführung
der Klägerin nicht aus.
|
|
|
26
|
bb) Am Fehlen der für die
organisatorische Eingliederung erforderlichen
Beherrschungsmöglichkeit hat sich durch die Bestellung des
einzigen Geschäftsführers der Klägerin, RH, zum
Prokuristen der M-GmbH ab 9.1.1998 nichts geändert. Zwar
reicht es für die eine organisatorische Eingliederung
begründende personelle Verflechtung aus, dass der oder die
Geschäftsführer der Organgesellschaft leitende
Mitarbeiter des Organträgers sind (BFH-Urteil vom 20.8.2009 V
R 30/06, BFHE 226, 465, BStBl II 2010, 863 = SIS 09 33 08, Leitsatz
2).
|
|
|
27
|
Die nach dieser Rechtsprechung mögliche
Berücksichtigung leitender Mitarbeiter des Organträgers
bei der organisatorischen Eingliederung beruht jedoch auf der
Annahme, dass der leitende Mitarbeiter des Organträgers dessen
Weisungen bei der Geschäftsführung der Organgesellschaft
aufgrund eines zum Organträger bestehenden
Anstellungsverhältnisses und einer sich hieraus ergebenden
persönlichen Abhängigkeit befolgen wird und er bei
weisungswidrigem Verhalten vom Organträger als
Geschäftsführer der Organgesellschaft abberufen werden
kann.
|
|
|
28
|
Im Streitfall begründete die Erteilung
einer Prokura bei der M-GmbH für RH, den
Geschäftsführer der Klägerin, danach keine
organisatorische Eingliederung. Denn die M-GmbH konnte nach den
besonderen Verhältnissen des Streitfalls ihren Willen
gegenüber ihrem Prokuristen RH bei der
Geschäftsführung der Klägerin bereits deshalb nicht
durchsetzen, weil RH als Gründungsgesellschafter der
Klägerin nach deren Satzung - und damit entgegen § 46 Nr.
5 GmbHG - nicht gegen seinen Willen als Geschäftsführer
der Klägerin durch Mehrheitsbeschluss in der
Gesellschafterversammlung abberufen werden konnte. Ohne Bedeutung
für die organisatorische Eingliederung ist, ob
gemäß § 38 Abs. 2 GmbHG gleichwohl zumindest eine
Abberufung aus wichtigem Grund möglich war (vgl. hierzu z.B.
Urteil des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 20.12.1982 II ZR 110/82,
BGHZ 86, 177, unter I.1.; zu § 47 Abs. 4 GmbHG vgl.
BGH-Urteile vom 27.4.2009 II ZR 167/07, NJW 2009, 2300, unter
II.3.a, und vom 21.6.2010 II ZR 230/08, NJW 2010, 3027, unter
II.1.). Denn die organisatorische Eingliederung setzt die
Möglichkeit der Beherrschung in der laufenden
Geschäftsführung voraus. Dies erfordert ein
uneingeschränktes Abberufungsrecht, das nicht nur bei
Vorliegen eines wichtigen Grundes besteht. Im Übrigen spricht
auch der Umfang der Beteiligung des RH an der Klägerin gegen
dessen Abhängigkeit vom Mehrheitsgesellschafter.
|
|
|
29
|
cc) Es liegen auch keine sonstigen
Umstände vor, aus denen sich für die M-GmbH eine
Möglichkeit zur Willensdurchsetzung ergab.
|
|
|
30
|
So begründen bereits nach bisheriger
Rechtsprechung weder das mit der finanziellen Eingliederung
einhergehende Weisungsrecht durch Gesellschafterbeschluss noch eine
vertragliche Pflicht zur regelmäßigen Berichterstattung
über die Geschäftsführung die organisatorische
Eingliederung (BFH-Urteile in BFHE 221, 443, BStBl II 2008, 905 =
SIS 08 25 80, unter II.4., und in BFHE 231, 356, BStBl II 2011, 391
= SIS 11 02 55, unter II.2.). Dies gilt auch für die von der
Klägerin behauptete Pflicht zur sogar täglichen
Berichterstattung. Auch Zustimmungsvorbehalte zugunsten der
Gesellschafterversammlung z.B. aufgrund einer
Geschäftsführungsordnung sind als bloße
Verpflichtung zur Einholung von Weisungen unbeachtlich (vgl.
BFH-Urteile vom 20.2.1992 V R 80/85, BFH/NV 1993, 133, unter II.a
cc, und in BFHE 221, 443, BStBl II 2008, 905 = SIS 08 25 80, unter
II.4.). Ebenso reicht das bloße Recht zur Bestellung oder
Abberufung von Geschäftsführern ohne weiter gehende
personelle Verflechtung über das
Geschäftsführungsorgan nicht aus (s. oben II.3.a).
|
|
|
31
|
Im Streitfall war die M-GmbH daher auch nicht
aufgrund der ihr als GmbH-Mehrheitsgesellschafter zustehenden
Weisungsrechte, der Berichtspflichten und der darüber hinaus
bestehenden Zustimmungsvorbehalte in der Lage, die
Geschäftsführung der Klägerin zu beherrschen.
|
|
|
32
|
b) Der Senat hat im Streitfall nicht zu
entscheiden, ob er an seiner bisherigen Rechtsprechung
festhält, nach der sich die organisatorische Eingliederung -
ohne Möglichkeit zur Willensdurchsetzung - auch daraus ergeben
kann, dass eine vom Organträger abweichende Willensbildung in
der Organgesellschaft ausgeschlossen ist (vgl. z.B. BFH-Urteile in
BFHE 219, 463, BStBl II 2008, 451 = SIS 08 11 75, unter II.2.; in
BFH/NV 2008, 1365, unter II.2.f aa; in BFHE 221, 443, BStBl II
2008, 905 = SIS 08 25 80, unter II.3.b, und die bisherige
Rechtsprechung zusammenfassend in BFHE 231, 356, BStBl II 2011, 391
= SIS 11 02 55, unter II.2., m.w.N.).
|
|
|
33
|
Denn auch nach dieser Rechtsprechung reichten
die von der Klägerin angeführten Rechte zur Erteilung von
Weisungen, zur Bestellung und Abberufung von
Geschäftsführern sowie die Berichtspflichten nicht aus,
um eine organisatorische Eingliederung zu begründen (s. oben
II.3.a cc). Aufgrund der Besonderheiten des Streitfalls war RH
schließlich trotz seiner Stellung als Prokurist nicht als
leitender Mitarbeiter der M-GmbH anzusehen (s. oben II.3.a bb).
|
|
|
34
|
c) Auf das Vorliegen der wirtschaftlichen
Eingliederung kam es nicht mehr an.
|
|
|
35
|
4. Das FG hat nicht gegen den klaren Inhalt
der Akten verstoßen.
|
|
|
36
|
Nach § 96 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 FGO
entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis
des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Zum Gesamtergebnis des
Verfahrens gehört auch die Auswertung des Inhalts der dem
Gericht vorliegenden Akten. Ein Verstoß gegen den klaren
Inhalt der Akten liegt insbesondere dann vor, wenn das FG eine nach
Aktenlage feststehende Tatsache, die richtigerweise in die
Beweiswürdigung hätte einfließen müssen,
unberücksichtigt lässt oder seiner Entscheidung einen
Sachverhalt zugrunde legt, der dem protokollierten Vorbringen der
Beteiligten nicht entspricht (vgl. BFH-Beschlüsse vom
19.5.2000 X B 75/99, BFH/NV 2000, 1458 = SIS 00 61 11; vom
17.3.2010 X B 95/09, BFH/NV 2010, 1827 = SIS 10 27 38, und vom
22.3.2011 X B 151/10, BFH/NV 2011, 1165 = SIS 11 19 26). Diese
Voraussetzungen liegen nicht vor.
|
|
|
37
|
Demgegenüber wird § 96 Abs. 1 Satz 1
FGO nicht verletzt, wenn das FG den ihm vorliegenden Akteninhalt -
wie im Streitfall - nicht entsprechend den klägerischen
Vorstellungen würdigt. Insoweit handelt es sich um einen
materiell-rechtlichen Fehler, der im Übrigen im Streitfall
nicht vorliegt (s. oben 3.), nicht aber um einen
Verfahrensverstoß (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom
12.9.1996 X B 76/96, BFH/NV 1997, 246; vom 24.4.2007 VIII B 251/05,
BFH/NV 2007, 1521 = SIS 07 24 29, und vom 23.7.2010 IV B 12/09,
BFH/NV 2010, 2063 = SIS 10 32 22).
|
|
|