Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil
des Schleswig-Holsteinischen Finanzgerichts vom 17.05.2022 - 4 K
119/18 = SIS 22 13 73 aufgehoben.
Die Sache wird an das Schleswig-Holsteinische
Finanzgericht zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung
zurückverwiesen.
Diesem wird die Entscheidung über die
Kosten des Verfahrens übertragen.
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I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte
(Klägerin) ist eine GmbH, deren Firma im Jahr 2009
(Streitjahr) das Wort „Klinik“ enthielt.
Sie bot Behandlungen im Bereich der ästhetisch-plastischen
Chirurgie an. Geschäftsführer und Alleingesellschafter
der Klägerin war der Arzt Dr. A.
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Im Streitjahr wurde die Klägerin in
unterschiedlicher Weise tätig. Zum einen wurde eine
Sprechstunde in Räumlichkeiten eines Krankenhauses
durchgeführt, wo auch die Operation und der stationäre
Aufenthalt erfolgten. Der Patient erhielt eine Rechnung der
Klägerin. Diese wiederum erteilte dem Krankenhaus eine
Gutschrift über das Nutzungsentgelt für die von ihr
bezogenen Leistungen (zum Beispiel Aufenthalt, Anästhesie,
ärztlicher Bereitschaftsdienst, Nachbehandlungen). Zum anderen
wurde eine Sprechstunde in einem Krankenhaus durchgeführt,
während die Operation und der stationäre Aufenthalt im
Rahmen einer eigenen Krankenhauskonzession der Klägerin in
einem anderen Krankenhaus erfolgten. Der Patient erhielt eine
Rechnung der Klägerin, die Klägerin wiederum erhielt eine
Rechnung des anderen Krankenhauses für den Aufenthalt des
Patienten sowie eine Rechnung des Anästhesisten über
dessen Leistungen. Schließlich wurde eine Sprechstunde in
einem Krankenhaus durchgeführt, in dem auch die Operation und
der stationäre Aufenthalt erfolgten, und stellte die
Klägerin dem Patienten eine Rechnung, während sie selbst
eine Rechnung des Krankenhauses für den Aufenthalt des
Patienten und eine Rechnung des Anästhesisten erhielt.
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In ihrer Umsatzsteuererklärung
für das Streitjahr, die nach § 168 der Abgabenordnung
einer Festsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung gleichstand,
erklärte die Klägerin ausschließlich steuerfreie
Umsätze. Anlässlich einer Außenprüfung
für andere Jahre erließ der Beklagte und
Revisionskläger (Finanzamt - FA - ) im Jahr 2013 einen
Umsatzsteuerbescheid für das Streitjahr, mit dem er - unter
Berücksichtigung von Vorsteuerbeträgen - Umsatzsteuer in
Höhe von 6.024,82 EUR festsetzte, da nur ein Teil der
erbrachten Leistungen medizinisch indiziert gewesen sei.
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Während des hiergegen gerichteten
Einspruchsverfahrens verständigten sich die Klägerin und
das FA im Oktober 2017 im Rahmen eines einen früheren
Besteuerungszeitraum betreffenden Klageverfahrens dahingehend, dass
ein bestimmter Anteil der Umsätze der Klägerin
medizinisch indiziert gewesen sei und hierauf bestimmte
Vorsteuerbeträge entfielen. Beide hielten „für die
Zukunft“ ein bestimmtes, im Einzelnen
festgelegtes Vorgehen zur Schätzung des medizinisch
indizierten Anteils der Umsätze und entsprechender
Vorsteuerbeträge grundsätzlich für sachgerecht,
wobei dies ab dem Besteuerungszeitraum 2009 „unter dem
Vorbehalt einer Prüfung des Sachverhalts anhand der
geänderten Rechtslage“ stehe.
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Daraufhin teilte das FA der Klägerin
mit, dass zwar auf Basis dieser tatsächlichen
Verständigung die Umsatzsteuer für das Streitjahr auf
3.012,28 EUR herabzusetzen wäre. Indes fielen die Umsätze
der Klägerin nicht unter die Steuerbefreiung des § 4 Nr.
14 Buchst. a des Umsatzsteuergesetzes in der durch das
Jahressteuergesetz 2009 (BGBl I 2008, 2794) geänderten und im
Streitjahr geltenden Fassung (UStG), da die Klägerin als GmbH
Schuldnerin der ärztlichen Leistungen sei und nicht ihr
Alleingesellschafter und Geschäftsführer als Arzt. Ebenso
sei eine Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 14 Buchst. b UStG zu
versagen, da die Klägerin die dort genannten Voraussetzungen
nicht erfülle. Demgemäß versagte das FA in seiner
Einspruchsentscheidung die Steuerbefreiung für sämtliche
Umsätze der Klägerin und setzte - unter
Berücksichtigung von Vorsteuerbeträgen - die Umsatzsteuer
für das Streitjahr auf 17.212,67 EUR herauf.
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Hiergegen erhob die Klägerin Klage,
mit der sie die Festsetzung der Umsatzsteuer für das
Streitjahr auf 3.012,28 EUR begehrte. In einem anlässlich des
Klageverfahrens durchgeführten Erörterungstermin
erklärten die Beteiligten, an der tatsächlichen
Verständigung über den Anteil der medizinisch indizierten
Leistungen und der hierauf entfallenden Vorsteuerbeträge auch
für das Streitjahr festhalten zu wollen. Der Klage gab das
Finanzgericht (FG) mit seinem in EFG 2022, 1497 = SIS 22 13 73
veröffentlichten Urteil statt. Die streitigen Leistungen der
Klägerin seien nach § 4 Nr. 14 Buchst. a UStG steuerfrei,
soweit sie medizinisch indiziert gewesen seien. Der
Alleingesellschafter und Geschäftsführer der
Klägerin, der die Leistungen durchgeführt habe, sei als
Arzt hinreichend qualifiziert. Die tatsächlichen
Voraussetzungen für die Annahme einer Heilbehandlung seien in
dem Umfang anzunehmen, in dem die Beteiligten im Rahmen ihrer
„tatsächlichen Verständigung“
hierüber Einvernehmen erzielt hätten. § 4 Nr. 14
Buchst. a UStG werde bei unionsrechtskonformer Auslegung nicht
durch § 4 Nr. 14 Buchst. b UStG, dessen Voraussetzungen
„nach Aktenlage“ nicht vollständig
dargetan sein dürften, verdrängt, wenn - wie im
Streitfall - medizinisch indizierte Heilbehandlungen von einem Arzt
durchgeführt würden. Auf den Ort der
Heilbehandlungsleistung komme es insoweit nicht an. Im Streitfall
habe die Klägerin gegenüber ihren Patienten
sämtliche Leistungen selbst erbracht und sich im
Innenverhältnis auf Grundlage entsprechender Vereinbarungen
der Infrastruktur (Räumlichkeiten, ärztlicher
Bereitschaftsdienst, ambulante Nachbetreuungen) der jeweiligen
Krankenhäuser bedient. Zwar sprächen gewichtige
Anhaltspunkte dafür, dass solche Leistungsbündel als
Krankenhausbehandlungen im Sinne von § 4 Nr. 14 Buchst. b UStG
anzusehen seien. Gleichwohl sei aber eine Steuerfreiheit nach
§ 4 Nr. 14 Buchst. a UStG nicht ausgeschlossen. Im
Übrigen könne dahingestellt bleiben, ob das FA im
außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahren einen
Verböserungshinweis erteilt habe, da die Klägerin
materiell-rechtliche Einwendungen nicht nur gegen die
Verböserung, sondern auch gegen die ursprünglich
angefochtene Festsetzung erhoben habe.
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Mit seiner Revision rügt das FA die
Verletzung materiellen Rechts. Das FG habe zu Unrecht die
Steuerfreiheit nach § 4 Nr. 14 Buchst. a UStG gewährt, da
diese Vorschrift nicht neben § 4 Nr. 14 Buchst. b UStG, der
allein für die Leistungen der Klägerin in Betracht komme,
anzuwenden sei. Indes seien dessen Voraussetzungen ebenso wenig wie
diejenigen seiner unionsrechtlichen Grundlage im Streitfall
erfüllt. Aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs der
Europäischen Union (EuGH) ergebe sich nicht, dass
Heilbehandlungen in einem von einem Arzt betriebenen Krankenhaus
regelmäßig nach § 4 Nr. 14 Buchst. a UStG
steuerfrei seien. Die bisherigen Entscheidungen des EuGH und des
Bundesfinanzhofs (BFH) beträfen Steuerpflichtige, die - anders
als die Klägerin - jeweils keine in § 4 Nr. 14 Buchst. b
UStG genannten Einrichtungen gewesen seien. Der EuGH habe im
Übrigen in seinem Urteil I vom 07.04.2022 - C-228/20,
EU:C:2022:275 = SIS 22 05 56 eine Steuerfreiheit nach Art. 132 Abs.
1 Buchst. c der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28.11.2006
über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL) als
unionsrechtliche Grundlage von § 4 Nr. 14 Buchst. a UStG nicht
in Betracht gezogen. Die Auslegung des FG reduziere den
Anwendungsbereich des § 4 Nr. 14 Buchst. b UStG auf die
Befreiung der mit Krankenhausbehandlungen und ärztlichen
Heilbehandlungen eng verbundenen Umsätze, da
Krankenhausbehandlungen und medizinisch indizierte ärztliche
Heilbehandlungen bereits nach § 4 Nr. 14 Buchst. a UStG
steuerfrei wären. Das FG hätte nach der im Streitjahr
geltenden Rechtslage ermitteln und entscheiden müssen, ob
Leistungen eines Krankenhauses im Fall der Klägerin
vorlagen.
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Das FA beantragt,
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das Urteil des FG aufzuheben und die Klage
abzuweisen.
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Die Klägerin beantragt,
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die Revision zurückzuweisen.
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Sie stützt die Auffassung des FG,
wonach beide Befreiungsvorschriften nebeneinander anwendbar seien.
Die Steuerbefreiung der hier in Rede stehenden, nach der
tatsächlichen Verständigung medizinisch indizierten
Leistungen ergebe sich jedenfalls aus § 4 Nr. 14 Buchst. a
UStG, da sie, die Klägerin, die Heilbehandlungen nicht als
Krankenhaus ausführe, sondern in fremden Krankenhäusern
erbringe.
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II. Die Revision des FA ist begründet.
Das Urteil des FG ist aufzuheben und die Sache an das FG
zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der
Finanzgerichtsordnung - FGO - ). Zwar hat das FG zutreffend
entschieden, dass Leistungen eines Arztes in einem Krankenhaus nach
§ 4 Nr. 14 Buchst. a Satz 1 UStG steuerfrei sein können
und dem nicht entgegensteht, dass die ärztlichen
Heilbehandlungsleistungen durch eine GmbH erbracht worden sind.
Beschränken sich aber die Leistungen - wie im Fall der
Klägerin - nicht auf die Erbringung einer ärztlichen
Heilbehandlungsleistung, sondern umfassen sie zudem auch den
stationären Krankenhausaufenthalt, ist § 4 Nr. 14 Buchst.
a Satz 1 UStG hierauf bezogen zu prüfen, was das FG
rechtsfehlerhaft versäumt hat. Die Prüfung, ob diese
Leistungen steuerfrei sind, kann in einem Revisionsverfahren nicht
nachgeholt werden.
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1. Nach § 4 Nr. 14 Buchst. a Satz 1 UStG
sind steuerfrei „Heilbehandlungen im Bereich der
Humanmedizin, die im Rahmen der Ausübung der Tätigkeit
als Arzt (...) durchgeführt werden“.
Unionsrechtlich beruht diese Vorschrift auf Art. 132 Abs. 1 Buchst.
c MwStSystRL. Danach sind „Heilbehandlungen im Bereich der
Humanmedizin, die im Rahmen der Ausübung der von dem
betreffenden Mitgliedstaat definierten ärztlichen und
arztähnlichen Berufe durchgeführt
werden“, steuerfrei.
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2. In Bezug auf die Abgrenzung von § 4
Nr. 14 Buchst. a Satz 1 UStG zu § 4 Nr. 14 Buchst. b Satz 1
UStG, der „Krankenhausbehandlungen und ärztliche
Heilbehandlungen“ befreit und der
unionsrechtlich auf dem insoweit wortlautgleichen Art. 132 Abs. 1
Buchst. b MwStSystRL beruht, hat der EuGH bereits entschieden, dass
Heilbehandlungsleistungen, die von einem Facharzt für
klinische Chemie und Laboratoriumsdiagnostik erbracht werden, unter
die in Art. 132 Abs. 1 Buchst. c MwStSystRL vorgesehene Befreiung
von der Mehrwertsteuer fallen können, wenn sie nicht alle
Tatbestandsvoraussetzungen der Befreiung nach Art. 132 Abs. 1
Buchst. b MwStSystRL erfüllen (EuGH-Urteil Peters vom
18.09.2019 - C-700/17, EU:C:2019:753 = SIS 19 15 33, erste
Antwort). Auf den Ort, an dem diese Leistungen erbracht werden,
kommt es nicht an (EuGH-Urteile Peters vom 18.09.2019 - C-700/17,
EU:C:2019:753 = SIS 19 15 33, Rz 29 und X vom 05.03.2020 - C-48/19,
EU:C:2020:169 = SIS 20 02 75, Rz 21).
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Dem hat sich der BFH angeschlossen und
entschieden, dass die Steuerbefreiung des § 4 Nr. 14 Buchst. a
Satz 1 UStG für medizinische Analysen eines Facharztes
für klinische Chemie und Laboratoriumsdiagnostik bei
unionsrechtskonformer Auslegung nicht durch § 4 Nr. 14 Buchst.
b Satz 2 Doppelbuchst. bb UStG verdrängt wird (BFH-Urteil vom
18.12.2019 - XI R 23/19 (XI R 23/15), BFHE 267, 571, BStBl II 2023,
984, 1 = SIS 20 02 17. Leitsatz. BFH-Beschluss vom 07.07.2022 - V R
10/20, BFHE 276, 445 = SIS 22 17 08, Rz 16; vgl. auch BFH-Urteile
vom 21.04.2021 - XI R 12/19, BFHE 273, 334 = SIS 21 17 33, Rz 26
und 30 sowie vom 18.10.2023 - XI R 18/20, BFH/NV 2024, 927 = SIS 24 09 40, Rz 32 bis 35), und damit seine frühere, dem
entgegenstehende Rechtsprechung (BFH-Urteile vom 15.03.2007 - V R
55/03, BFHE 217, 48, BStBl II 2008, 31 = SIS 07 16 76 und vom
24.08.2017 - V R 25/16, BFHE 259, 171, BStBl II 2023, 982 = SIS 17 16 49) aufgegeben (BFH-Beschluss vom 07.07.2022 - V R 10/20, BFHE
276, 445 = SIS 22 17 08, Rz 16).
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3. Demgemäß ist § 4 Nr. 14
Buchst. a Satz 1 UStG auch auf Heilbehandlungen im Bereich der
Humanmedizin anzuwenden, die ein Arzt - gleich in welcher
Rechtsform er tätig ist (EuGH-Urteil Kügler vom
10.09.2002 - C-141/00, EU:C:2002:473 = SIS 02 97 10, erste Antwort;
BFH-Urteil vom 18.10.2023 - XI R 18/20, BFH/NV 2024, 927 = SIS 24 09 40, Rz 34 f.; vgl. auch BFH-Urteil vom 22.04.2004 - V R 1/98,
BFHE 205, 514, BStBl II 2004, 849 = SIS 04 27 51, unter II.1.a) -
in einem Krankenhaus durchführt. Insbesondere wird § 4
Nr. 14 Buchst. a Satz 1 UStG nicht durch § 4 Nr. 14 Buchst. b
UStG verdrängt, wenn ein Arzt eigenständige
Heilbehandlungsleistungen als Subunternehmer eines
Krankenhausbetreibers in einem Krankenhaus erbringt, selbst wenn er
nicht die - unternehmerbezogenen - Anforderungen des § 4 Nr.
14 Buchst. b UStG erfüllt (vgl. BFH-Urteil vom 18.10.2023 - XI
R 18/20, BFH/NV 2024, 927 = SIS 24 09 40, Rz 33 bis 35), oder wenn
ein Belegarzt in einem Krankenhaus selbständig tätig ist
und eigenständige Heilbehandlungsleistungen erbringt
(BFH-Urteile vom 23.01.2019 - XI R 15/16, BFHE 263, 543 = SIS 19 03 97, Rz 45 und vom 18.08.2011 - V R 27/10, BFHE 235, 58 = SIS 11 34 08, Rz 28).
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4. Im Streitfall hat das FG zwar diesen
Grundsätzen entsprechend entschieden, dass die ärztlichen
Heilbehandlungsleistungen, welche die Klägerin unter Einsatz
ihres Geschäftsführers - eines Arztes - erbracht hat,
entgegen der Rechtsauffassung des FA auch dann nach § 4 Nr. 14
Buchst. a UStG steuerfrei sein können, wenn diese in den
Räumlichkeiten eines Krankenhauses erbracht wurden. Gleichwohl
ist die Entscheidung des FG aufzuheben, da es nicht bedacht hat,
dass sich die Leistungen der Klägerin nach Maßgabe
seiner Feststellungen nicht auf die Erbringung ärztlicher
Heilbehandlungsleistungen beschränkten, sondern - wie bei von
einem Krankenhaus erbrachten Leistungen - auch den stationären
Krankenhausaufenthalt umfassten. Damit hat das FG seiner
Prüfung nur den Heilbehandlungsanteil, nicht aber auch den -
zudem von der Klägerin mit diesem einheitlich abgerechneten -
Krankenhausbehandlungsteil zugrunde gelegt. Die demgegenüber
erforderliche, aber unterbliebene Prüfung der Gesamtheit der
von der Klägerin erbrachten Leistungen kann in einem
Revisionsverfahren nicht nachgeholt werden.
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5. Seiner Entscheidung im zweiten Rechtsgang
wird das FG Folgendes zugrunde zu legen haben:
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a) Das FG hat vorrangig zu entscheiden, ob es
sich bei den Leistungen der Klägerin um eine einheitliche
Leistung oder um mehrere selbständig erbrachte Leistungen
handelt. Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH und des BFH
ist bei einem Umsatz, der ein Bündel von Einzelleistungen und
Handlungen umfasst, im Rahmen einer Gesamtbetrachtung zu bestimmen,
ob zwei oder mehrere getrennte Umsätze vorliegen oder ein
einheitlicher Umsatz. Dabei sind unter Berücksichtigung der
Sicht eines Durchschnittsverbrauchers die charakteristischen
Merkmale des Umsatzes zu ermitteln. Insoweit darf einerseits eine
wirtschaftlich einheitliche Leistung nicht künstlich
aufgespalten werden. Andererseits sind mehrere formal getrennt
erbrachte Einzelumsätze als einheitlicher Umsatz anzusehen,
wenn sie nicht selbständig sind. Dabei liegt zum einen eine
einheitliche Leistung vor, wenn eine oder mehrere Einzelleistungen
eine Hauptleistung bilden und die andere Einzelleistung oder
anderen Einzelleistungen eine oder mehrere Nebenleistungen bilden,
die das steuerliche Schicksal der Hauptleistung teilen. Eine
Leistung ist insbesondere dann Neben- und nicht Hauptleistung, wenn
sie für den Leistungsempfänger keinen eigenen Zweck,
sondern das Mittel darstellt, um die Hauptleistung des
Leistungserbringers unter optimalen Bedingungen in Anspruch zu
nehmen. Zum anderen kann sich eine einheitliche Leistung daraus
ergeben, dass zwei oder mehrere Handlungen oder Einzelleistungen
des Steuerpflichtigen für den Kunden so eng miteinander
verbunden sind, dass sie objektiv einen einzigen untrennbaren
wirtschaftlichen Vorgang bilden, dessen Aufspaltung
wirklichkeitsfremd wäre (ständige Rechtsprechung, vgl.
z.B. EuGH-Urteil Frenetikexito vom 04.03.2021 - C-581/19,
EU:C:2021:167 = SIS 21 03 52, Rz 37 bis 42; BFH-Urteile vom
14.02.2019 - V R 22/17, BFHE 264, 83, BStBl II 2019, 350 = SIS 19 03 78, Rz 15 ff.; vom 16.03.2023 - V R 17/21, BFH/NV 2023, 965 =
SIS 23 09 36, Rz 18 und vom 18.01.2024 - V R 4/22, zur amtlichen
Veröffentlichung bestimmt, BFH/NV 2024, 1033 = SIS 24 09 93,
Rz 15).
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b) Liegt danach eine einheitliche Leistung
vor, wird das FG Folgendes zu beachten haben:
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aa) Die einheitliche Leistung unterliegt
hinsichtlich der Mehrwertsteuer derselben Regelung (EuGH-Urteil
Finanzamt X vom 04.05.2023 - C-516/21, EU:C:2023:372 = SIS 23 08 10, Rz 36), so dass eine Aufteilung in einen steuerpflichtigen und
einen steuerfreien Teil grundsätzlich nicht in Betracht kommt
(vgl. BFH-Urteil vom 18.01.2024 - V R 4/22, zur amtlichen
Veröffentlichung bestimmt, BFH/NV 2024, 1033 = SIS 24 09 93,
Rz 26), zumal es vorliegend an einer gesetzlichen Anordnung in
Bezug auf eine teilweise Steuerfreiheit fehlt, wie sie sich noch
aus dem bis zum 31.12.2008 geltenden § 4 Nr. 14 Satz 3 UStG
ergab, wonach die Umsätze eines Arztes aus dem Betrieb eines
Krankenhauses mit Ausnahme der ärztlichen Leistungen nur unter
den für Krankenhäusern vorgesehenen Bedingungen
steuerfrei waren und somit trotz Annahme einer einheitlichen
Leistung - jedenfalls auf Grundlage des nationalen Rechts - eine
teilweise Steuerfreiheit für den Heilbehandlungsanteil in
Betracht kam.
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bb) In Bezug auf eine mögliche
Steuerfreiheit einer einheitlichen Leistung ist wie folgt zu
unterscheiden:
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(1) Ergibt sich die einheitliche Leistung aus
der Annahme einer Haupt- mit einer Nebenleistung, liegt eine
Steuerfreiheit vor, wenn die Hauptleistung steuerfrei ist, da im
Rahmen einer solchen wirtschaftlich einheitlichen Leistung die
Nebenleistung das umsatzsteuerrechtliche Schicksal der
Hauptleistung teilt (vgl. EuGH-Urteile Mailat vom 19.12.2018 -
C-17/18, EU:C:2018:1038 = SIS 18 20 90, Rz 41 und Finanzamt X vom
04.05.2023 - C-516/21, EU:C:2023:372 = SIS 23 08 10, Rz 31;
BFH-Urteile vom 06.09.2007 - V R 14/06, BFH/NV 2008, 624 = SIS 08 14 54, unter II.3.; vom 24.01.2008 - V R 12/05, BFHE 221, 310,
BStBl II 2009, 60 = SIS 08 14 79, unter II.2.; vom 04.07.2013 - V R
8/10, BFHE 242, 271, BStBl II 2015, 969 = SIS 13 24 87, Rz 32; vom
21.06.2017 - V R 3/17, BFHE 259, 140, BStBl II 2018, 372 = SIS 17 20 08, Rz 30; vom 05.09.2019 - V R 57/17, BFHE 266, 430, BStBl II
2020, 356 = SIS 19 18 33, Rz 41; BFH-Beschluss vom 17.08.2023 - V R
7/23 (V R 22/20), BFHE 282, 52 = SIS 23 14 09, Rz 17 und 20).
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(2) Handelt es sich um einen untrennbaren
wirtschaftlichen Vorgang, dessen Aufspaltung wirklichkeitsfremd
wäre, kommt - ebenso wie bei einer
Steuersatzermäßigung - keine Steuerfreiheit in Betracht,
wenn bei einer derart komplexen Leistung zwei oder mehrere
Leistungsbestandteile gleichwertige Elemente dieser Leistung
darstellen, die nicht einheitlich die Voraussetzungen entweder
einer Steuerbefreiung oder einer einheitlichen
Steuersatzermäßigung erfüllen (vgl. zur
Steuersatzermäßigung EuGH-Urteil Baštová
vom 10.11.2016 - C-432/15, EU:C:2016:855 = SIS 16 23 84, Rz 75 und
BFH-Urteile vom 10.01.2013 - V R 31/10, BFHE 240, 380, BStBl II
2013, 352 = SIS 13 07 90, Rz 43; vom 13.06.2018 - XI R 2/16, BFHE
262, 187, BStBl II 2018, 678 = SIS 18 12 58, Rz 12; vom 14.02.2019
- V R 22/17, BFHE 264, 83, BStBl II 2019, 350 = SIS 19 03 78, Rz 30
sowie zur Steuerfreiheit EuGH-Urteil Deutsche Bank vom 19.07.2012 -
C-44/11, EU:C:2012:484 = SIS 12 24 99, Rz 27 f. und Rz 43). Im
Übrigen richtet sich die Steuerfreiheit einer komplexen
einheitlichen Leistung, die auch Teile umfasst, die nicht unter den
Befreiungstatbestand fallen, nach den charakteristischen und dabei
den dominierenden Bestandteilen (EuGH-Urteil Mìsto
Žamberk vom 21.02.2013 - C-18/12, EU:C:2013:95 = SIS 13 11 63, Rz 29 und Rz 33).
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(3) Im Streitfall kann für gleichwertige
Leistungsbestandteile im Rahmen eines untrennbaren wirtschaftlichen
Vorgangs, dessen Aufspaltung wirklichkeitsfremd wäre,
sprechen, dass eine zwingend stationär zu erbringende
Heilbehandlungsleistung in Bezug auf die damit im Zusammenhang
stehende Krankenhausunterbringung durch zwei Leistungselemente
geprägt wird und der Unterbringung dabei eine
eigenständige und nicht nur der Heilbehandlung dienende
Funktion zukommt. Liegt aufgrund eines derartigen Vorgangs nur eine
Leistung vor, wäre diese dann insgesamt steuerpflichtig.
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c) Sollten demgegenüber mehrere
selbständige Leistungen gegeben sein, bei denen es sich zum
einen um eine Heilbehandlung und zum anderen um eine
Krankenhausbehandlung handelt, wäre nur die zuerst genannte
Leistung nach den bisherigen Feststellungen des FG gemäß
§ 4 Nr. 14 Buchst. a UStG steuerfrei. In Bezug auf eine
eigenständige Krankenhausbehandlungsleistung hätte das FG
insbesondere noch die unternehmerbezogenen Voraussetzungen des
§ 4 Nr. 14 Buchst. b UStG zu prüfen.
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d) Im Übrigen hat das FG zutreffend
dahinstehen lassen, ob das FA einen Verböserungshinweis
erteilt hat, da die Klägerin materiell-rechtliche Einwendungen
nicht nur gegen die Verböserung, sondern auch gegen die
ursprünglich angefochtene Festsetzung erhoben hat. Wenn nach
dem Prozessbegehren des Steuerpflichtigen eine Zurücknahme des
Rechtsmittels nicht in Betracht kommt, er vielmehr vor dem FG
materiell-rechtliche Einwendungen gegen die Steuerfestsetzung
erhebt und die Herabsetzung der Steuer beantragt, hat das FG diesen
Verfahrensfehler des FA nicht zu beachten, sondern über den
weitergehenden Klageantrag zu entscheiden (BFH-Urteil vom
31.01.2024 - V R 24/21, zur amtlichen Veröffentlichung
bestimmt, BFH/NV 2024, 742 = SIS 24 07 02, Rz 26).
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6. Die Kostenentscheidung beruht auf §
143 Abs. 2 FGO.
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