Die Revision des Beklagten gegen das Urteil
des Finanzgerichts Münster vom 06.02.2020 - 5 K 158/17 U =
SIS 19 22 16 wird als
unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens hat der
Beklagte zu tragen.
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I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte
(Klägerin), eine GmbH, ist Gesamtrechtsnachfolgerin einer
Gesellschaft bürgerlichen Rechts zur Kryokonservierung (GbR),
deren Gesellschafter die Ärzte E, O und H waren. Die GbR wurde
mit Wirkung zum 10.04.2018 in die Klägerin eingebracht. Die
Gesellschafter der GbR waren Fachärzte für
Frauenheilkunde und Geburtshilfe. Diese betrieben im Jahr 2014
(Streitjahr) zugleich das Medizinische Versorgungszentrum K (MVZ)
in der Rechtsform einer Partnerschaftsgesellschaft, ohne dass eine
Organschaft nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 des Umsatzsteuergesetzes
(UStG) vorlag.
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Die GbR war im Bereich der
Kryokonservierung zum Zweck der medizinisch indizierten
künstlichen Befruchtung in Fällen tätig, in denen
eine organisch bedingte Sterilität bei einem der beiden
fortpflanzungswilligen Partner vorlag. Nach § 1 des
Gesellschaftsvertrages bestand der Gesellschaftszweck im
tiefgekühlten Einlagern von Samen- und Eizellen. Wurde im
Rahmen der Kinderwunschbehandlung von den Patienten die
Entscheidung über eine Kryokonservierung getroffen, schlossen
die Patienten mit dem MVZ einen „Vertrag über die
Kryokonservierung von I. Eizellen im Vorkernstadium ... und/oder
II. Embryonen“ ab. Zudem schlossen die
Patienten mit der GbR einen Vertrag über deren
„Lagerung“ ab.
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Für das Streitjahr stimmte der
Beklagte und Revisionskläger (Finanzamt - FA - ) der am
10.03.2016 eingegangenen Umsatzsteuerjahreserklärung der GbR,
die zu einer Vergütung führte, mit Mitteilung vom
31.03.2016 zu. Hiergegen legte die GbR Einspruch ein, den das FA
mit Einspruchsentscheidung vom 13.12.2016 als unbegründet
zurückwies.
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Demgegenüber hatte die vom
Finanzgericht (FG) als zulässig angesehene Klage Erfolg. Nach
dem in EFG 2020, 617 = SIS 19 22 16 veröffentlichen Urteil erbrachte die GbR mit der
Einlagerung von kryokonservierten Eizellen und Samenzellen zum
Zweck der medizinisch indizierten künstlichen Befruchtung in
Fällen, in denen eine organisch bedingte Sterilität bei
einem der beiden fortpflanzungswilligen Partner vorgelegen habe,
eine steuerfreie Heilbehandlung. Dem stehe nicht entgegen, dass die
vorgehende oder sich anschließende Fruchtbarkeitsbehandlung
von einem anderen Unternehmer oder Dritten durchgeführt werde.
Denn die Einlagerung bilde einen unerlässlichen, festen und
untrennbaren Bestandteil des Gesamtverfahrens der künstlichen
Befruchtung, das einem therapeutischen Zweck diene und (zusammen
mit der Lagerung) aus der Entnahme von Eizellen, der Konservierung
durch Einfrieren und dem späteren Wiedereinsetzen
bestehe.
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Hiergegen wendet sich das FA mit der
Revision, mit der es die Verletzung materiellen Rechts geltend
macht. Nach Abschn. 4.14.2 Abs. 4 Satz 4 des
Umsatzsteuer-Anwendungserlasses (UStAE) sei die bloße
Lagerung eingefrorener Eizellen oder Spermien durch dritte
Unternehmer, wie z.B. Kryobanken, die nicht auch die vorhergehende
oder die sich ggf. anschließende Fruchtbarkeitsbehandlung
erbringen, regelmäßig umsatzsteuerpflichtig. Dies gelte
auch, wenn es - wie im Streitfall - um Kryokonservierung von
befruchteten Eizellen (Eizellen im Vorkernstadium) gehe, da es sich
um Leistungen zweier Unternehmer handele, die getrennt voneinander
zu beurteilen seien. Das MVZ erbringe die Heilbehandlung, nicht
aber auch die GbR mit der Kryokonservierung. Diese Leistung sei nur
als Nebenleistung steuerfrei. Die GbR habe daher die weiteren
Voraussetzungen selbst erfüllen müssen. Es liege auch
kein Teil eines Gesamtverfahrens vor, da die Leistung der GbR
eigenständig betrachtet werden müsse. Die
Personenidentität der beiden Gesellschaften ändere daran
nichts, da es sich gleichwohl um zwei eigenständige
Unternehmen gehandelt habe. Die Kryokonservierung sei weder eine
Heilbehandlung noch sei die GbR eine anerkannte Einrichtung i.S.
von § 4 Nr. 14 Buchst. b Satz 2 UStG gewesen. Die
unternehmerbezogene Voraussetzung müsse auch bei einer
Betrachtung als Teil eines Gesamtverfahrens vorliegen. Die seit
2009 geänderte Rechtslage zu den Laborärzten sei zu
beachten.
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Das FA beantragt
sinngemäß,
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das Urteil des FG aufzuheben und die Klage
abzuweisen.
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Die Klägerin beantragt,
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die Revision zurückzuweisen.
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Die GbR sei im Verhältnis zum MVZ kein
drittes Unternehmen und auch nicht am Markt eigen- oder
selbständig tätig. Sie habe ausschließlich
Leistungen für das MVZ und die dort behandelten Patienten
erbracht. Es sei kein sog. social freezing vorgenommen worden. Die
GbR sei wirtschaftlich, finanziell und organisatorisch in das MVZ
eingegliedert gewesen. Für die GbR und das MVZ seien dieselben
Ärzte tätig geworden. Die Ausgliederung der GbR aus dem
MVZ sei nur aufgrund der früheren Auffassung der
Finanzverwaltung zur Vermeidung einer gewerblichen Tätigkeit
erfolgt. Es liege ein therapeutisches Kontinuum vor. Die
Konservierung dürfe nur von einem Arzt vorgenommen
werden.
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II. Die Entscheidung ergeht gemäß
§ 126a der Finanzgerichtsordnung (FGO). Der Senat hält
einstimmig die Revision für unbegründet und eine
mündliche Verhandlung nicht für erforderlich. Die
Beteiligten sind davon unter Hinweis auf die maßgeblichen
Gründe unterrichtet worden und hatten Gelegenheit zur
Stellungnahme. Der Wechsel in der Richterbank bei der
Beschlussfassung gegenüber der Beratung steht der Anwendung
des § 126a FGO nicht entgegen (vgl. Beschluss des
Bundesfinanzhofs - BFH - vom 15.09.2021 - XI R 12/21 (XI R 25/19),
BFHE 274, 317, BStBl II 2022, 417 = SIS 22 00 63). Das FG hat
zutreffend entschieden, dass die GbR mit der Einlagerung von
kryokonservierten Eizellen und Samenzellen zum Zweck der
medizinisch indizierten künstlichen Befruchtung in
Fällen, in denen eine organisch bedingte Sterilität bei
einem der beiden fortpflanzungswilligen Partner vorliegt, eine
steuerfreie Heilbehandlung erbracht hat.
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1. § 4 Nr. 14 Buchst. a UStG befreit die
„Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin, die im
Rahmen der Ausübung der Tätigkeit als Arzt, Zahnarzt,
Heilpraktiker, Physiotherapeut, Hebamme oder einer ähnlichen
heilberuflichen Tätigkeit durchgeführt
werden“. Unionsrechtlich beruht dies auf
Art. 132 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom
28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem
(MwStSystRL). Danach sind „Heilbehandlungen im Bereich der
Humanmedizin, die im Rahmen der Ausübung der von dem
betreffenden Mitgliedstaat definierten ärztlichen und
arztähnlichen Berufe durchgeführt
werden“, steuerfrei.
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2. Hierzu hat der BFH bereits entschieden,
dass die weitere Lagerung von im Rahmen einer
Fruchtbarkeitsbehandlung eingefrorenen Eizellen durch einen Arzt
gegen ein vom Patienten gezahltes Entgelt steuerfrei ist, wenn
damit ein therapeutischer Zweck verfolgt wird, wie er z.B. bei der
Herbeiführung einer weiteren Schwangerschaft im Hinblick auf
eine andauernde organisch bedingte Sterilität besteht
(BFH-Urteil vom 29.07.2015 - XI R 23/13, BFHE 251, 86, BStBl II
2017, 733 = SIS 15 20 47, Leitsatz). Zur Vermeidung von
Wiederholungen nimmt der Senat, der sich dem anschließt,
hierauf Bezug.
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3. Auf dieser Grundlage ist auch die isolierte
Einlagerung eingefrorener Eizellen steuerfrei. Denn das BFH-Urteil
in BFHE 251, 86, BStBl II 2017, 733 = SIS 15 20 47 bezieht sich auf
die „weitere Lagerung“ als
eigenständige Leistung, ohne dass es für die
Steuerfreiheit dieser Leistung darauf ankommt, dass damit weitere
Leistungen wie etwa „Fruchtbarkeitsbehandlungen, z.B. das
Einfrieren (Kryokonservierung) ... von Eizellen oder
Spermien“ (vgl. hierzu Abschn. 4.14.2 Abs.
4 Satz 1 UStAE) verbunden sind. Ist damit die
„Lagerung“ bereits als
eigenständige Leistung steuerfrei, kann diese Steuerfreiheit
nicht davon abhängig gemacht werden, ob ihr eine Leistung mit
weitergehenden Leistungsmerkmalen vorausging.
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Soweit die Finanzverwaltung demgegenüber
die Steuerfreiheit für die Lagerung eingefrorener Eizellen
oder Spermien als dem einzigen Leistungsgegenstand davon
abhängig macht, ob es sich um eine „weitere
Lagerung“ (Abschn. 4.14.2 Abs. 4 Satz 2
UStAE) oder um eine „bloße
Lagerung“ (Abschn. 4.14.2 Abs. 4 Satz 4
UStAE) handelt und für den Fall der bloßen Lagerung eine
zur Steuerpflicht führende Regelvermutung aufstellt, folgt der
Senat dem jedenfalls nach den Verhältnissen des Streitfalls
nicht, da es in beiden Fällen gleichermaßen - und
bezogen auf den Leistungsinhalt ohne Unterschied - um eine Lagerung
als eigenständige Leistung geht.
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4. Danach erweist sich das Urteil des FG als
zutreffend. Für die GbR waren ihre Gesellschafter tätig,
die unstreitig über die in § 4 Nr. 14 Buchst. a UStG
vorausgesetzte Berufsqualifikation verfügten. Die Lagerung ist
zudem als Teil einer Heilbehandlung anzusehen (s. oben II.3.).
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5. Die hiergegen gerichteten Einwendungen des
FA greifen nicht durch.
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a) Soweit das FA geltend macht, dass die
Leistungen der GbR nur unter § 4 Nr. 14 Buchst. b UStG, nicht
aber unter § 4 Nr. 14 Buchst. a UStG fallen könnten,
lässt es die geänderte Rechtsprechung des BFH, der sich
der Senat anschließt, außer Betracht. Danach
können medizinische Analysen eines Facharztes für
klinische Chemie und Laboratoriumsdiagnostik nicht nur nach §
4 Nr. 14 Buchst. b UStG, sondern auch nach § 4 Nr. 14 Buchst.
a Satz 1 UStG steuerfrei sein (BFH-Urteil vom 18.12.2019 - XI R
23/19 (XI R 23/15), BFHE 267, 571 = SIS 20 02 17, Leitsatz). An der
früheren, dem entgegenstehenden Rechtsprechung (BFH-Urteile
vom 24.08.2017 - V R 25/16, BFHE 259, 171 = SIS 17 16 49, und vom
15.03.2007 - V R 55/03, BFHE 217, 48, BStBl II 2008, 31 = SIS 07 16 76) ist nicht mehr festzuhalten.
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b) Dem Einwand, dass die bloße Lagerung
im Zusammenhang mit der erforderlichen medizinischen Indikation
nicht den Charakter einer Heilbehandlung haben könne, ist im
Hinblick auf das Vorliegen eines therapeutischen Kontinuums nicht
zu folgen. Nach diesem Kriterium ist z.B. die Abgabe von
Arzneimitteln im Rahmen einer ambulanten Krebsbehandlung für
diese unerlässlich und damit wie diese steuerfrei, da diese
ärztliche Leistung ohne diese Medikamentenabgabe sinnlos
wäre (Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union
Klinikum Dortmund vom 13.03.2014 - C-366/12, EU:C:2014:143 =
SIS 14 08 08, Rz 35). Mit der
Einlagerung wird unter Umständen wie denen des Streitfalls
(vorgehende oder sich anschließende Fruchtbarkeitsbehandlung)
ein therapeutischer Zweck verfolgt.
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Dass es sich bei der Fruchtbarkeitsbehandlung
und der Einlagerung um Leistungen zweier unterschiedlicher
Unternehmer handelt, ist im Rahmen dieses Kontinuums jedenfalls
dann unerheblich, wenn für die beiden Unternehmer - wie
vorliegend - dieselben Personen tätig sind. Die Lagerung
unterscheidet sich zudem nicht von anderen Leistungen, die im
Rahmen eines therapeutischen Kontinuums, z.B. von einem Laborarzt
(BFH-Urteil in BFHE 267, 571 = SIS 20 02 17), als einem
gegenüber dem behandelnden Arzt eigenständigen
Unternehmer erbracht werden.
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6. Die Kostenentscheidung beruht auf §
135 Abs. 2 FGO.
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