1
|
I. Der Kläger und Revisionskläger
(Kläger) ist Verwalter in dem über das Vermögen des
X e.V. (im Folgenden: Schuldner) am 1.3.2001 eröffneten
Insolvenzverfahren. Er hat im Juli 2002 für den Schuldner
betreffend den Zeitraum Januar und Februar 2001 eine
Umsatzsteuererklärung abgegeben. Der Beklagte und
Revisionskläger (das Finanzamt - FA - ) ist von dieser
Erklärung abgewichen und hat eine Steuerberechnung für
diesen Zeitraum aufgestellt, in der es einen
Vorsteuervergütungsanspruch von ... EUR ausgewiesen hat.
Ferner hat das FA Forderungen in Höhe von ... DM im
Insolvenzverfahren angemeldet, die zur Tabelle festgestellt worden
sind.
|
|
|
2
|
Mit Umbuchungsmitteilung vom November 2004
hat das FA vorgenannten Vorsteuervergütungsanspruch mit
offenen vorinsolvenzlichen Steuerforderungen verrechnet und
hierüber am 13.5.2005 einen Abrechnungsbescheid erteilt. Der
dagegen vom Kläger erhobene Einspruch führte zur
Änderung des Abrechnungsbescheids dahin, dass lediglich ...
EUR gegen Lohnsteuer, Solidaritätszuschlag, Kirchensteuer und
Umsatzsteuer 2000 verrechnet wurden. Dafür hatte das FA aus
der Differenz zwischen der Umsatzsteuer 2001 in Höhe von ...
DM und den auf den Zeitraum vor Eröffnung des
Insolvenzverfahrens entfallenden Vorsteuern in Höhe von ... DM
einen Vergütungsanspruch von ... EUR als vor Eröffnung
des Insolvenzverfahrens begründet und nicht durch Saldierung
gemäß § 16 Abs. 2 Satz 1 des Umsatzsteuergesetzes
(UStG) verbraucht ermittelt. Im Übrigen wurde der Einspruch
als unbegründet zurückgewiesen.
|
|
|
3
|
Die deswegen erhobene Klage hat das
Finanzgericht (FG) abgewiesen. Es urteilte, der vom FA
erklärten Aufrechnung stehe das Aufrechnungsverbot des §
96 Abs. 1 Nr. 3 der Insolvenzordnung (InsO) nicht entgegen. Der
Abschluss von Verträgen, Lieferungen und sonstigen Leistungen
sowie die Erteilung von Rechnungen könnten zwar anfechtbare
Rechtshandlungen im Sinne dieser Vorschrift darstellen. Das FA habe
die Möglichkeit der Aufrechnung jedoch nicht durch solche
Rechtshandlungen erlangt. Denn diese seien zwar Voraussetzung
für die Entstehung eines Vorsteuerabzugsrechts, ließen
jedoch noch keinen Vorsteuervergütungsanspruch entstehen. Der
Schuldner habe das Umsatzsteuerguthaben erst durch die
Umsatzsteuererklärung 2001 erlangt, also durch Handlungen, die
von dem Kläger selbst nach Eröffnung des
Insolvenzverfahrens vorgenommen worden seien. Schon deshalb handele
es sich nicht um anfechtbare Rechtshandlungen i.S. der §§
129 ff. InsO. Etwas anderes ergebe sich auch nicht daraus, dass der
Vergütungsanspruch vom FA durch eine abweichende Festsetzung
nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens festgesetzt worden sei.
Denn auch dies stelle keine anfechtbare Rechtshandlung dar.
|
|
|
4
|
Gegen dieses Urteil richtet sich die
Revision des Klägers, mit der die Verletzung des materiellen
Rechts gerügt wird.
|
|
|
5
|
Die vom FA erklärte Aufrechnung sei
gemäß § 96 Abs. 1 Nr. 3, § 130 Abs. 1 Nr. 2
InsO unwirksam.
|
|
|
6
|
Das FG sei davon ausgegangen, dass der
für die Anfechtung maßgebliche Zeitpunkt dann vorliege,
wenn die gesamte Aufrechnungslage erlangt sei. Das widerspreche der
höchstrichterlichen Rechtsprechung. Nicht die Aufrechnungslage
sei Anfechtungsgegenstand, sondern diejenige Rechtshandlung, die zu
einer Aufrechnungsvoraussetzung führe und damit den
Rechtsgrund einer Aufrechnungslage schaffe. Nach der Rechtsprechung
des Bundesfinanzhofs (BFH) sei es für die Anwendung des §
96 Abs. 1 Nr. 1 InsO ausreichend, wenn die Aufrechnungslage im
Begriff sei zu entstehen und die für die Aufrechnung
notwendigen Forderungen in ihrem Kern begründet seien. Diese
Sichtweise sei auch für § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO
maßgeblich; eine unterschiedliche rechtliche Beurteilung
hinsichtlich der beiden vorgenannten Vorschriften führte zu
einem Wertungswiderspruch.
|
|
|
7
|
Es ergebe sich dann auch ein Widerspruch zu
§ 95 Abs. 1 Satz 1 InsO, der gerade bei im Entstehen
begriffenen Aufrechnungslagen eingreife und die Aufrechnung im
Insolvenzverfahren zulasse. § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO
inkorporiere die Voraussetzungen der Gläubigerbenachteiligung
i.S. des § 129 Abs. 1 InsO. Würde sich § 96 Abs. 1
Nr. 3 InsO ausschließlich auf eine vollständig
entwickelte Aufrechnungslage beziehen, wie das FG angenommen habe,
so würde es immer an der Gläubigerbenachteiligung fehlen,
da dem Insolvenzgläubiger bereits eine nach dem Modell des
§ 95 Abs. 1 Satz 1 InsO schützenswerte Rechtsposition
erwachsen wäre. § 95 Abs. 1 Satz 1 InsO verdränge
§ 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO nicht. Entscheidend für die
Anwendbarkeit dieser Vorschrift sei, ob eine Handlung die
Möglichkeit der Aufrechnung schaffe und damit den Grundstein
für eine Aufrechnung lege, sei es durch Begründung der
Hauptforderung, sei es durch Begründung der Gegenforderung
oder der Gegenseitigkeit. Für die Anfechtbarkeit der
Aufrechnungslage sei allein entscheidend, wann das
Gegenseitigkeitsverhältnis begründet worden sei (Hinweis
auf das Urteil des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 11.11.2004 IX ZR
237/03, Neue Juristische Wochenschrift-Rechtsprechungs-Report
Zivilrecht - NJW-RR - 2005, 487).
|
|
|
8
|
Die Revision weist ferner darauf hin, dass
der Vorsteuervergütungsanspruch i.S. des § 95 Abs. 1 Satz
1 InsO nach der Rechtsprechung des BFH vor Eröffnung des
Insolvenzverfahrens entstanden sei, weil der zivilrechtliche
Sachverhalt, der zur Entstehung führe, in diesem Zeitraum
verwirklicht worden sei. § 95 InsO gehe der Regelung des
§ 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO nicht vor (Hinweis auf das vorgenannte
Urteil des BGH).
|
|
|
9
|
Unzutreffend sei auch die Annahme des FG,
der Vorsteuervergütungsanspruch entstehe erst mit der
Steueranmeldung. In Wahrheit entstehe die Umsatzsteuer in dem
Moment, in dem sie berechenbar werde, nämlich mit dem Ende des
letzten Tages des betreffenden Veranlagungszeitraums (Hinweis auf
das BFH-Urteil vom 9.5.1996 V R 62/94, BFHE 181, 188, BStBl II
1996, 662 = SIS 96 22 77). Auch ein Vergütungsanspruch
entstehe wie alle Ansprüche aus dem
Steuerschuldverhältnis, sobald der Tatbestand verwirklicht
sei, an den das Gesetz die Leistungspflicht knüpfe. Er
entstehe also bereits dann, wenn die Vorsteuerbeträge aus
Fremdumsätzen die Umsatzsteuer aus Eigenumsätzen
überschritten. Er sei unabhängig davon, ob der
Unternehmer eine Steueranmeldung abgebe.
|
|
|
10
|
Es fehle auch nicht an einer anfechtbaren
Rechtshandlung. Als eine solche Rechtshandlung seien Lieferungen
oder sonstige Leistungen eines Unternehmers zu qualifizieren.
Allein entscheidend sei, ob eine solche Handlung rechtliche Wirkung
zeitige und die Befriedigung eines Insolvenzgläubigers
ermögliche. Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats
seien steuerrechtliche Vergütungs- und
Erstattungsansprüche nach denselben Grundsätzen zu
beurteilen, die für die Behandlung von Steueransprüchen
maßgeblich seien (Hinweis auf das Urteil vom 31.5.2005 VII R
74/04, BFH/NV 2005, 1745 = SIS 05 40 10). Folglich sei auch die
Rechtsprechung des BGH maßgeblich, die umsatzsteuerpflichtige
Leistungen des Schuldners an andere Unternehmer als anfechtbare
Rechtshandlungen ansehe; für einen
Vorsteuervergütungsanspruch könne nichts anderes
gelten.
|
|
|
11
|
Schließlich rügt die Revision
eine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes durch das FG, weil
ein vergleichbarer Sachverhalt ohne sachlichen Grund anders als von
der ordentlichen Gerichtsbarkeit behandelt werde. Die
Zuständigkeit der Finanzgerichtsbarkeit für die
Entscheidung eines insolvenzanfechtungsrechtlich zu beurteilenden
Falles ergebe sich überdies aus einer zufälligen
Zuweisung, da die Zuständigkeit der Finanzgerichtsbarkeit nur
durch den steuerrechtlichen Abrechnungsbescheid begründet
werde, welcher den tatsächlichen Gehalt des Rechtsstreits
nicht berücksichtige.
|
|
|
12
|
Die Revision weist abschließend
darauf hin, dass das FA unstreitig Kenntnis von der Anordnung einer
vorläufigen Insolvenzverwaltung hatte und durch dessen
Aufrechnungserklärung die Befriedigungsmöglichkeit der
konkurrierenden Insolvenzgläubiger verschlechtert
werde.
|
|
|
13
|
Das FA hat mitgeteilt, dass es nicht
beabsichtige, zur Revisionsbegründung Stellung zu
nehmen.
|
|
|
14
|
II. Die Revision des Klägers ist
begründet und führt zur Aufhebung des Urteils des FG und
zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3
Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO - ). Das Urteil des FG
verletzt Bundesrecht (§ 118 Abs. 1 FGO). Der
Vorsteuervergütungsanspruch des Schuldners ist nicht durch
Verrechnung mit den gegen ihn gerichteten Forderungen des FA
erloschen, sofern die dem Vergütungsanspruch zugrundeliegenden
Umsätze unter den Voraussetzungen des § 130 oder §
131 InsO von dem Insolvenzschuldner getätigt worden sind, was
noch vom FG aufzuklären sein wird. Die
Aufrechnungserklärung des FA wäre nämlich dann
insoweit gemäß § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO unwirksam und
der angefochtene Bescheid rechtswidrig, so dass er den Kläger
in seinen Rechten verletzte (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO).
|
|
|
15
|
1. Nach § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO ist eine
Aufrechnung unzulässig, wenn ein Insolvenzgläubiger die
Möglichkeit der Aufrechnung durch eine anfechtbare
Rechtshandlung erlangt hat. Die Vorschrift verfolgt das Ziel, den
Anfechtungsvorschriften der InsO (§§ 129 ff. InsO) im
Hinblick auf eine von einem Insolvenzgläubiger erklärte
Aufrechnung in dem Sinne Geltung zu verschaffen, dass einer
etwaigen Aufrechnungserklärung die Rechtswirkung genommen und
dadurch eine anderenfalls etwa notwendige Anfechtung der
betreffenden Rechtsvorgänge seitens des Insolvenzverwalters
überflüssig wird (vgl. Windel in Jaeger,
Insolvenzordnung, § 96 Rz 45 f.; Uhlenbruck, Insolvenzordnung,
13. Aufl., § 96 Rz 46; Bork, Zeitschrift für das gesamte
Insolvenzrecht - ZinsO - 2003, 686, 687). Sie ist dahin zu
verstehen, dass der Erwerb der Möglichkeit der Aufrechnung
zugunsten eines späteren Insolvenzgläubigers erfolgt sein
muss, dieser also nicht etwa bereits beim Erwerb dieser
Möglichkeit Insolvenzgläubiger, mithin das
Insolvenzverfahren beim Erwerb noch nicht anhängig gewesen
sein muss. Vielmehr schränkt § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO
gerade § 94 InsO ein, der grundsätzlich eine vor
Verfahrenseröffnung eingetretene Aufrechnungslage während
des Insolvenzverfahrens fortbestehen lässt und die Abgabe
einer Aufrechnungserklärung während desselben
zulässt (Uhlenbruck, a.a.O., § 96 Rz 46; vgl. auch
Onusseit, Festschrift für Walter Gerhardt, 2004, S. 725, 737
ff.).
|
|
|
16
|
a) Das FA ist im Streitfall
Insolvenzgläubiger; denn es hat gegen den Schuldner vor
Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründete
(Steuer-)Forderungen, die nicht beglichen worden sind (vgl. §
38 InsO). Fraglich und für die Beurteilung der Streitsache
entscheidend ist, ob das FA die Möglichkeit der Aufrechnung
i.S. des § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO „durch eine
anfechtbare Rechtshandlung“ erlangt hat, sofern es - wie
hier einstweilen unterstellt werden soll - unter den in § 130
InsO oder § 131 InsO bezeichneten Voraussetzungen,
insbesondere etwa in Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit des
Steuerschuldners (§ 130 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 InsO), Schuldner
eines Anspruchs desselben, wie im Streitfall des
Vergütungsanspruchs des Schuldners aufgrund eines
Vorsteuerüberhangs, oder Gläubiger von Steuerforderungen
gegen den (späteren) Insolvenzschuldner geworden ist. Denn ob
das eine oder das andere eingetroffen ist, ist für die
Anwendung des § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO ohne Belang. Die
Vorschrift nimmt einer Aufrechnungserklärung ihre Wirksamkeit
(d.h.: erklärt sie für unzulässig) ungeachtet
dessen, ob die anfechtbare Rechtshandlung - wie hier - die
Begründung der Haupt- oder ob sie die Begründung einer
Gegenforderung zur Folge hat. Danach zu unterscheiden gäbe
weder der Wortlaut noch der eben erläuterte Sinn der
Vorschrift irgendeinen Anhaltspunkt. Die anfechtbare Rechtshandlung
kann also sowohl eine Vermehrung der Schulden des
Insolvenzschuldners als auch eine Verringerung seines
Aktivvermögens auslösen (Uhlenbruck, a.a.O., § 96 Rz
47; MünchKommInso/Kirchhof, 2. Aufl., § 129 Rz 100, beide
mit zahlr. Nachw.).
|
|
|
17
|
b) Der erkennende Senat hat in seinem Urteil
vom 16.11.2004 VII R 75/03 (BFHE 208, 296, BStBl II 2006, 193 = SIS 05 17 32) erkannt, § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO hindere die
Aufrechnung des Finanzamts mit Steuerforderungen aus der Zeit vor
Eröffnung eines Insolvenzverfahrens gegen einen durch einen
Vorsteuerüberhang ausgelösten Vergütungsanspruch des
Insolvenzschuldners (dort aufgrund der Vorsteuer aus dem
Vergütungsanspruch eines vorläufigen
Insolvenzverwalters), der in „kritischer“ Zeit
vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens seinen Entstehungsgrund
hat, nicht; denn es fehle in einem solchen Fall an einer
Rechtshandlung, weil die Verpflichtung des Schuldners zur
Vergütung der Tätigkeit eines vorläufigen
Insolvenzverwalters nicht auf einer vertraglichen Vereinbarung,
sondern auf dessen Bestellung durch das Insolvenzgericht und der
von diesem vorgenommenen Festsetzung seiner Vergütung beruhe,
die vom vorläufigen Insolvenzverwalter für die
Ausführung seiner Leistung zu entrichtende Umsatzsteuer - wie
jede Steuer - kraft Gesetzes entstehe und das Gleiche für die
damit korrespondierende Berechtigung des Leistungsempfängers
(Insolvenzschuldner) zum Vorsteuerabzug nach § 15 UStG
gelte.
|
|
|
18
|
Demgegenüber hat der BGH in seinem Urteil
vom 22.10.2009 IX ZR 147/06 (HFR 2010, 413 = SIS 10 06 34) darauf
hingewiesen, dass Steuertatbestände in der Regel an
Rechtshandlungen des Steuerpflichtigen oder Dritter anknüpfen
und hieraus die Steuerpflicht ableiten, so wie es auch bei
umsatzsteuerpflichtigen Leistungen der Fall sei, die zum Entstehen
einer Steuerforderung des Finanzamts führen. Das ändert
aber nach Auffassung des BGH nichts daran, dass die betreffenden
(umsatzsteuerpflichtigen) Leistungen, welche zum Entstehen der
Steuerforderung führen, eine Rechtshandlung i.S. des § 96
Abs. 1 Nr. 3 InsO darstellen.
|
|
|
19
|
Der erkennende Senat folgt nach erneuter
rechtlicher Prüfung dieser Beurteilung des BGH.
|
|
|
20
|
aa) Der in diesem Zusammenhang entscheidende
Begriff „Rechtshandlung“ ist in § 129 InsO
als Handlung definiert, die vor Eröffnung des
Insolvenzverfahrens vorgenommen worden ist und die
Insolvenzgläubiger benachteiligt; er bezeichnet also, wie es
der Senat in seinem Urteil in BFHE 208, 296, BStBl II 2006, 193 =
SIS 05 17 32 einleitend ausgeführt hat, ein von einem Willen
getragenes Handeln, das rechtliche Wirkungen auslöst und das
Vermögen des Schuldners zum Nachteil der
Insolvenzgläubiger verändern kann. Umsatzsteuer (auch: zu
vergütende Umsatzsteuer) entsteht zwar von Gesetzes wegen -
sowohl die Steuerschuld des Leistenden wie der Anspruch des
Leistungsempfängers auf Anrechnung der im an den Leistenden zu
entrichtenden Entgelt enthaltenen sog. Vorsteuer -, das Entstehen
von Umsatzsteuer bzw. Vorsteuer setzt jedoch voraus, dass eine
Leistung erbracht wird. Diese Leistungserbringung sieht der
erkennende Senat in Übereinstimmung mit dem BGH und der auch
im Schrifttum allgemein vertretenen Auffassung als eine
Rechtshandlung i.S. des § 129 InsO an.
|
|
|
21
|
Eine Leistungserbringung mag zwar kein
Rechtsgeschäft sein, aber sie ist eine Rechtshandlung. Dass
die (unter den weiteren Voraussetzungen der §§ 130 ff.
InsO anfechtbare) Rechtshandlung unmittelbar und unabhängig
vom Hinzutreten etwaiger weiterer Umstände (hier insbesondere
der späteren Abgabe einer Umsatzsteueranmeldung bzw. der
abweichenden Berechnung der maßgeblichen Vergütung durch
das FA) eine Aufrechnungslage zum Entstehen bringen müsste,
setzt § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO nicht voraus. Er verlangt
lediglich, dass die Rechtshandlung vor Eröffnung des
Insolvenzverfahrens vorgenommen worden ist, dass sie irgendeine
Voraussetzung für die Aufrechnungsmöglichkeit des
Insolvenzschuldners geschaffen hat (vgl. Uhlenbruck, a.a.O., §
96 Rz 47) und dass die Rechtshandlung die Insolvenzgläubiger
benachteiligt. Wenn es an Letzterem auch im Hinblick auf die
Leistungserbringung als solcher fehlen mag - der Verpflichtung zur
Zahlung des Entgelts für die vom Schuldner in Anspruch
genommenen Leistungen steht gegenüber, dass zugunsten des
Insolvenzschuldners (möglicherweise zumindest) gleichwertige
Leistungen erbracht worden sind -, fehlt es daran nicht im Hinblick
auf die durch die Leistungserbringung und den daraus folgenden
Anspruch auf Anrechnung von Vorsteuer ausgelöste
Möglichkeit des FA zur Aufrechnung seiner vorinsolvenzlich
begründeten Forderungen.
|
|
|
22
|
Die Leistungserbringung zeitigte im Streitfall
neben einem Anspruch auf das Leistungsentgelt u.a. das Entstehen
einer Aufrechnungslage für das FA. Dadurch sind die
übrigen Gläubiger des Schuldners benachteiligt. Denn
durch eine Aufrechnung erhält das FA nach Art einer
abgesonderten Befriedigung vollständige Befriedigung für
seine verrechneten Forderungen, für die es sonst, weil es sich
um Insolvenzforderungen handelt, nur mit einer Befriedigung nach
Maßgabe der im Insolvenzverfahren errechneten Quote rechnen
könnte.
|
|
|
23
|
Hat eine (an sich einheitliche) Rechtshandlung
in solcher Weise mehrere, abtrennbare Rechtswirkungen, darf deren
anfechtungsweise Rückgewähr nicht mit der Begründung
ausgeschlossen werden, dass die Handlung auch sonstige, für
sich nicht anfechtbare Folgen ausgelöst habe (BGH-Urteil vom
5.4.2001 IX ZR 216/98, BGHZ 147, 233). Denn Gegenstand der
Anfechtung ist nicht die Rechtshandlung selbst, sondern angefochten
wird eine bestimmte gläubigerbenachteiligende Wirkung, die
durch eine Rechtshandlung ausgelöst wird (BGH-Urteil vom
21.1.1999 IX ZR 329/97, Zeitschrift für Wirtschaftsrecht - ZIP
- 1999, 406, mit Schrifttumsnachweisen; vgl. statt aller auch
MünchKommInso/Kirchhof, a.a.O., § 129 Rz 56a). Es ist
folglich belanglos, ob die Eingangsumsätze, aus denen die
betroffenen Vorsteuerbeträge herrühren, im Interesse der
Masse lagen und insofern als solche nicht anfechtbar sind. Einen
Rechtsgrundsatz, dass mehrere durch eine Handlung ausgelöste
Rechtswirkungen nur ganz oder gar nicht anfechtbar sind, gibt es
nicht (siehe auch Rz 11 des BGH-Urteils in HFR 2010, 413 = SIS 10 06 34). Das gilt auch für solche Folgen - z.B. eine
Aufrechnungslage -, die im Kausalverlauf einen Schritt ferner
liegen als nähere, unanfechtbare Rechtsfolgen, z.B. ein die
Aufrechnungslage herbeiführender Vertragsschluss (BGH-Urteil
in BGHZ 147, 233).
|
|
|
24
|
Die bei einer durch die
Unwirksamkeitsanordnung des § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO, wie
dargelegt, erübrigten Insolvenzanfechtung zu beanspruchende
Rückgewähr der Aufrechnungslage bestünde
demgemäß nicht etwa in der Rückabwicklung des durch
die vom Schuldner getroffene Leistungsvereinbarung begründeten
Rechtsverhältnisses, sondern in der Durchsetzung seiner
Steuervergütungsforderung unabhängig von der
Gegenforderung des FA. Dementsprechend lässt § 96 Abs. 1
Nr. 3 InsO völlig unberührt, dass die
Vergütungsforderung des Schuldners zwar (gegenüber der
Masse) befriedigt werden muss, allerdings (sofern eine anfechtbare
Rechtshandlung vorliegt) nicht im Wege der Aufrechnung zur
Befriedigung für alte Schulden des Insolvenzschuldners
verwendet werden darf (vgl. BGH-Urteil in BGHZ 147, 233).
|
|
|
25
|
bb) An den Voraussetzungen des § 96 Abs.
1 Nr. 3 InsO fehlt es auch nicht deshalb, weil die
gläubigerbenachteiligende Wirkung der durch die
Inanspruchnahme von Leistungen seitens des Schuldners
ausgelösten Aufrechnungslage deshalb in Zweifel gezogen werden
müsste, weil es an der erforderlichen Kausalität der
Rechtshandlung für die anfechtungsrelevante Rechtsfolge - die
Aufrechnungslage - fehlte. Anfechtbarkeit setzt allerdings einen
solchen Kausalzusammenhang voraus (MünchKommInso/ Kirchhof,
a.a.O., § 129 Rz 169; Dauernheim, Frankfurter Kommentar zur
Insolvenzordnung, 5. Aufl., § 129 Rz 40). Der erforderliche
Ursachenzusammenhang zwischen der angefochtenen Rechtshandlung und
der Beeinträchtigung des Gläubigerzugriffs auf die Masse
ist jedoch schon dann gegeben, wenn die Rechtshandlung im
natürlichen Sinne eine (nicht hinwegzudenkende) Bedingung
für die Gläubigerbenachteiligung darstellt; er setzt
nicht voraus, dass ggf. ein weiterer Umstand, der zu der
angefochtenen Rechtshandlung hinzutritt und erst mit dieser
zusammen die Gläubigerbenachteiligung auslöst,
seinerseits durch eine anfechtbare Rechtshandlung verursacht ist
(BGH-Urteil vom 9.12.1999 IX ZR 102/97, BGHZ 143, 246), und er wird
durch das Hinzutreten solcher weiteren Umstände auch nicht
etwa unterbrochen.
|
|
|
26
|
cc) Schließlich fehlt es für die
Anwendung des § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO auch nicht daran, dass
das FA - wie diese Vorschrift sinngemäß voraussetzt -
infolge einer vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens begangenen
Rechtshandlung in den Genuss einer Aufrechnungsmöglichkeit
gelangt ist.
|
|
|
27
|
Die als Anknüpfungspunkt der Anfechtung
maßgebliche Rechtshandlung, das Erbringen der Leistung, ist
gleichsam im natürlichen Sinne vor diesem Zeitpunkt
vorgenommen worden. Durch sie ist der
Vorsteuervergütungsanspruch zwar noch nicht
steuer(verfahrens)rechtlich begründet worden, wohl aber als
insolvenzrechtlicher Anspruch. Denn für das
insolvenzrechtliche Begründetsein einer Forderung oder eines
Anspruchs kommt es nach der ständigen Rechtsprechung des
erkennenden Senats (vgl. dazu zusammenfassend Rüsken, ZIP
2007, 2053) nicht auf das Entstehen im
steuer(verfahrens)rechtlichen Sinn, sondern auf die Verwirklichung
des Lebenssachverhalts an, der die betreffenden steuerrechtlichen
Folgen hat. Aber schon die tatsächliche Verwirklichung des
Besteuerungstatbestandes lässt den steuerlichen Anspruch
aufschiebend bedingt durch das Eintreten der
steuerverfahrensrechtlichen Voraussetzungen seiner Wirksamkeit
entstehen (vgl. statt aller Senatsurteil vom 17.4.2007 VII R 27/06,
BFHE 217, 8, BStBl II 2009, 589 = SIS 07 19 23, und Frotscher,
Besteuerung bei Insolvenz, 7. Aufl., S. 95, m.w.N. aus der
Rspr.).
|
|
|
28
|
§ 140 Abs. 1 InsO ändert daran
nichts. Denn § 140 Abs. 3 InsO lässt den Eintritt einer
solchen Bedingung für die Bestimmung des Zeitpunkts
außer Betracht, in dem die Rechtshandlung als vorgenommen
anzusehen ist, welcher sonst durch § 140 Abs. 1 InsO auf den
Zeitpunkt gelegt wird, in dem die Rechtswirkungen der
Rechtshandlung eintreten (i.e.: die Aufrechnungslage entsteht). Das
gilt nicht nur für Forderungen des Finanzamts, sondern auch
für steuerliche Forderungen des Steuerpflichtigen.
|
|
|
29
|
Allerdings wird in der Rechtsprechung des BGH
und im Schrifttum die Auffassung vertreten, § 140 Abs. 3 InsO
sei unmittelbar nur bei Rechtsgeschäften anwendbar, weil
andere Rechtshandlungen nicht bedingt oder befristet sein
könnten (BGH-Urteil vom 14.12.2006 IX ZR 102/03, NJW 2007,
1588; vgl. auch Henckel in Jaeger, a.a.O., § 140 Rz 50). Das
trifft freilich nur für eine rechtsgeschäftliche
Bedingung zu, nicht aber für vom Gesetz aufgestellte
„Bedingungen“, unter denen nach vorgenannter
Rechtsprechung des Senats Ansprüche der hier strittigen Art
stehen. § 140 Abs. 3 InsO ist daher nach Auffassung des
erkennenden Senats in dem hier strittigen Zusammenhang unmittelbar
zumindest aber entsprechend anzuwenden (vgl. zu dieser
Möglichkeit auch die Urteile des BGH in NJW 2007, 1588, und
vom 14.6.2007 IX ZR 56/06, NJW 2007, 2640).
|
|
|
30
|
§ 140 Abs. 3 InsO verfolgt nämlich
das Ziel, Ansprüche als insolvenzfest zu erhalten, obwohl sich
der Rechtserwerb erst in kritischer Zeit vollendet hat, wofür
dann keine Rechtfertigung besteht, wenn der Anfechtungsgegner vor
Beginn jenes „kritischen“ Zeitraums noch keine
unentziehbare Rechtsposition erlangt hatte (BGH-Urteil in NJW 2007,
2640). Denn § 140 Abs. 1 InsO beruht auf dem Rechtsgedanken,
„dass der Zeitpunkt entscheiden soll, in dem durch die
Handlung eine Rechtsposition begründet worden ist, die bei
Eröffnung des Insolvenzverfahrens ohne die Anfechtung beachtet
werden müsste“ (BGH-Urteil vom 22.1.2004 IX ZR
39/03, BGHZ 157, 350 = SIS 04 18 59). Mit der Leistungserbringung
wird aber aufgrund der einschlägigen Regelungen des UStG eine
gleichsam automatisch ablaufende Ereigniskette in Gang gesetzt
(ähnlich wie in den in § 140 Abs. 2 InsO
ausdrücklich geregelten Fällen), weil der
Insolvenzschuldner gegenüber dem leistenden Unternehmer
Anspruch auf Ausweisung der Umsatzsteuer und gegenüber dem
Finanzamt auf deren Berücksichtigung als Vorsteuer hat; es
hängt also nicht etwa von einer im ungewissen Belieben Dritter
stehenden Handlung ab, ob die rechtliche Wirkung der
Leistungserbringung nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens
eintritt.
|
|
|
31
|
§ 140 Abs. 1 InsO hat im Gegensatz hierzu
sog. mehraktige Rechtshandlungen im Blick, die anfechtbar bleiben
sollen, auch wenn der erste Akt noch in
„unkritischer“ Zeit vorgenommen worden ist (etwa
eine Abtretung künftiger Forderungen oder eine
Vorausverpfändung sowie eine Pfändung einer
künftigen Forderung, welche erst mit deren Entstehen
rechtliche Wirkung i.S. des § 140 Abs. 1 InsO entfalten
sollen; vgl. BGH-Urteil vom 20.3.2003 IX ZR 166/02, BFH/NV 2004,
Beilage 2, 179 = SIS 03 24 97). Eine solche mehraktige
Rechtshandlung i.S. des § 140 Abs. 1 InsO liegt aber hier
nicht deshalb vor, weil die steuerrechtlichen Wirkungen einer
anfechtbaren Rechtshandlung aufgrund steuerverfahrensrechtlicher
Regelungen erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens
eintreten, wenn anders nicht der grundsätzliche Vorrang des
Insolvenzrechts vor dem Steuerverfahrensrecht missachtet werden
soll (vgl. statt aller Urteil des Senats vom 17.12.1998 VII R
47/98, BFHE 188, 149, BStBl II 1999, 423 = SIS 99 09 29).
|
|
|
32
|
dd) Selbst wenn man indes § 140 Abs. 3
InsO nicht anwenden würde, müsste die Klage im Streitfall
Erfolg haben, weil die Aufrechnung dann aufgrund des § 96 Abs.
1 Nr. 1 InsO - erst recht - unzulässig wäre. Würde
nämlich - entgegen der Rechtsprechung des Senats - die
insolvenzrechtliche Beachtlichkeit der Aufrechnungslage erst in dem
Zeitpunkt angenommen, in dem auch die steuerverfahrensrechtlichen
Voraussetzungen für eine Aufrechnung eingetreten sind, durch
Saldierung gemäß § 16 UStG also ein - wie das FG
meint - „erfüllbarer Anspruch“ auch
steuerverfahrensrechtlich entstanden ist, so bedeutete dies, dass
das FA die Vorsteuervergütung erst infolge von Ereignissen
schuldig geworden wäre, die das Aufrechnungsverbot des §
96 Abs. 1 Nr. 1 InsO auslösten, weil sie nach Eröffnung
des Insolvenzverfahrens eingetreten sind.
|
|
|
33
|
2. Die Entscheidung hängt nach alledem
davon ab, ob das FA im Streitfall die Möglichkeit der
Aufrechnung unter den Voraussetzungen des § 130 InsO oder des
§ 131 InsO erlangt hat oder sich - was freilich nicht
ernstlich in Betracht zu ziehen ist - die Anfechtbarkeit seiner
Aufrechnungsmöglichkeit anderweit ergibt.
|
|
|
34
|
Dazu hat das FG entsprechend seinem
Rechtsstandpunkt nichts festgestellt. Aus seinem Urteil ergibt sich
zwar, dass die Vorsteuer, die auf die betreffenden Umsätze
entfällt, in Voranmeldungszeiträumen nach dem
Insolvenzantrag erfasst worden ist. Das lässt es naheliegend
erscheinen, dass die betreffenden Leistungen nach dem
Insolvenzantrag oder in der Zeit unmittelbar vor demselben und
damit unter den Voraussetzungen des § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO
bzw., sofern der Schuldner damals bereits zahlungsunfähig war,
in dem in § 131 Abs. 1 Nr. 2 InsO bezeichneten Zeitraum in
Anspruch genommen worden sind. In diesem Fall griffe für die
durch die betreffenden Umsätze begründete
Umsatzsteuervergütung das Aufrechnungsverbot des § 96
Abs. 1 Nr. 3 InsO ein, weil dem FA im Weiteren die Möglichkeit
einer Aufrechnung und damit einer Befriedigung seiner
Steuerforderungen gegen den Schuldner verschafft worden ist, welche
das FA nicht i.S. des § 131 Abs. 1 InsO gegenüber dem
Schuldner beanspruchen konnte. Nach der Rechtsprechung des BGH ist
nämlich § 131 InsO einschlägig (und nicht ein Fall
einer sog. kongruenten Deckung gemäß § 130 InsO
gegeben), wenn sich die Aufrechnungsbefugnis nicht aus dem zwischen
dem Schuldner und dem Gläubiger zuerst entstandenen
Rechtsverhältnis ergibt (BGH-Urteil vom 9.2.2006 IX ZR 121/03,
NJW-RR 2006, 1062; vgl. u.a. auch BGH-Urteil in BGHZ 147, 233). Im
Streitfall bestand ein Anspruch des FA auf Begleichung der Steuern
durch Zahlung, nicht aber darauf, dem FA die Möglichkeit einer
Erfüllung des Vergütungsanspruchs des Schuldners durch
Aufrechnung zu verschaffen; diese ist erst dadurch entstanden, dass
der Schuldner (insolvenzrechtlich vor Verfahrenseröffnung
entstandene) anrechenbare Vorsteuern entrichtet hat (vgl. Bork,
ZinsO 2003, 686, 689; Onusseit, a.a.O., S. 725, 741, beide mit
zahlr. Nachw.).
|
|
|
35
|
Die Sache muss mithin gemäß §
126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO zur weiteren tatsächlichen
Aufklärung zurück an das FG gehen, das, wenn sich die
eben erläuterten Annahmen als unzutreffend erweisen sollten,
§ 130 InsO zu prüfen haben wird.
|
|
|