Umsatzsteuerliche Organschaft, organisatorische Eingliederung: 1. Die Voraussetzungen der umsatzsteuerrechtlichen Organschaft bestimmen sich allein nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG. Die aktienrechtliche Abhängigkeitsvermutung nach § 17 AktG hat insoweit keine Bedeutung. - 2. Die organisatorische Eingliederung setzt voraus, dass der Organträger eine von seinem Willen abweichende Willensbildung in der Organgesellschaft verhindern kann. - Urt.; BFH 5.12.2007, V R 26/06; SIS 08 11 75
I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte
(Klägerin) ist eine am 11.5.2000 gegründete GmbH. Die
Gesellschaftsanteile an der Klägerin hielten in den
Streitjahren 2000 und 2001 der Einzelunternehmer B zu 51 v.H. sowie
zunächst die X-GmbH & Co. KG zu 49 v.H., die ihre Anteile
an der Klägerin am 13.12.2000 an die
Z-Beteiligungsgesellschaft mbH veräußerte.
Die Satzung der Klägerin sah vor, dass
Gesellschafterbeschlüsse mit der Mehrheit der abgegebenen
Stimmen gefasst werden. Für eine Reihe von
Beschlussgegenständen wie z.B. Entlastung, Abberufung und
Bestellung von Geschäftsführern bestand demgegenüber
ein Einstimmigkeitserfordernis.
Nach der Satzung der Klägerin waren
beide Gesellschafter berechtigt, jeweils einen
Geschäftsführer zu benennen. Einzelvertretungsberechtigte
Geschäftsführer der Klägerin waren in den
Streitjahren der Mehrheitsgesellschafter B und der von der
Minderheitsgesellschafterin berufene MK.
Die Gesellschafterversammlung hatte am
11.5.2000 eine Geschäftsführerordnung
beschlossen.
Die Klägerin erbrachte entgeltliche
Dienstleistungen gegenüber einer auf das Einzelunternehmen des
B mit Wirkung zum 1.1.2000 verschmolzenen Klinik, die zuvor in der
Rechtsform einer GmbH geführt worden war, sowie gegenüber
einer weiteren Klinik-GmbH, deren Geschäftsanteile in den
Streitjahren von B zu 98 v.H. gehalten wurden. Die Klägerin
ging davon aus, dass ihre Leistungen aufgrund einer Organschaft
nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 des Umsatzsteuergesetzes 1999 (UStG) zu
B als Organträger nichtsteuerbar seien.
Im Rahmen einer
Umsatzsteuer-Sonderprüfung wurde dem Prüfer zunächst
eine Fassung der Geschäftsführerordnung vorgelegt, die
keine Regelung zum Vorgehen bei Meinungsverschiedenheiten zwischen
den Geschäftsführern enthielt. Demgegenüber sah eine
nachgereichte Fassung der Geschäftsführerordnung in
§ 5 Abs. 4 vor, dass der von B, dem Mehrheitsgesellschafter,
eingesetzte Geschäftsführer allein entscheidet, wenn die
Geschäftsführer keine Einigung erzielen können. Mit
Schreiben vom 26.11.2002 erläuterte der damalige steuerliche
Berater die unterschiedlichen Fassungen der
Geschäftsführerordnung dahingehend, dass die in § 5
Abs. 4 enthaltene Regelung bereits am 11.5.2000 beschlossen worden
sei. Diese Regelung sei später nochmals zwischen den beiden
Geschäftsführern MK und B erörtert worden, wobei
klargestellt worden sei, dass B bei der Entscheidungsfindung das
letzte Wort habe. Man sei daher übereingekommen, die
Geschäftsführerordnung in diesem Sinne zu ändern,
wobei diese redaktionelle Anpassung zunächst versehentlich
unterblieben sei. Erst anlässlich der Übersendung der
Geschäftsführerordnung an den Sonderprüfer im
September 2002 sei die Ergänzung wieder in Erinnerung geraten
und die Geschäftsführerordnung auch schriftlich
ergänzt worden.
Aufgrund der
Umsatzsteuer-Sonderprüfung erließ der Beklagte und
Revisionskläger (das Finanzamt - FA - ) am 30.1.2003 für
die beiden Streitjahre Umsatzsteuerbescheide, nach denen die von
der Klägerin erbrachten Leistungen umsatzsteuerpflichtig sind.
Der Einspruch der Klägerin wurde durch Einspruchsentscheidung
vom 27.4.2004 als unbegründet zurückgewiesen.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage mit
der Begründung statt, dass die Klägerin als
Organgesellschaft nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG in das
Unternehmen des B eingegliedert gewesen sei. B sei
Mehrheitsgesellschafter der Klägerin gewesen. Einzelne
Einstimmigkeitserfordernisse seien unbeachtlich, da B die
Klägerin faktisch beherrscht habe. Die wirtschaftliche
Eingliederung in das Einzelunternehmen des B ergebe sich daraus,
dass die Klägerin entgeltliche Leistungen an die von B
betriebene Klinik erbracht habe. Die organisatorische Eingliederung
folge aus der finanziellen Eingliederung. B habe sich bereits durch
seine Mehrheitsbeteiligung die Einflussnahme auf die Klägerin
gesichert. Weitergehende organisatorische Maßnahmen seien
nicht erforderlich. Eine faktische Beherrschung reiche aus.
Hierfür spreche auch § 17 des Aktiengesetzes (AktG). Nach
dieser Regelung werde von einem im Mehrheitsbesitz stehenden
Unternehmen vermutet, dass es von dem an ihm mit Mehrheit
beteiligten Unternehmen abhängig sei. Diese Vermutung sei auch
steuerlich zu beachten. Es entspreche der Lebenserfahrung, dass die
Geschäftsführungsorgane der finanziell beherrschten
Gesellschaft den mutmaßlichen Willen des beherrschenden
Gesellschafters ausführen werden. Zwar sei die Vermutung der
organisatorischen Eingliederung aufgrund Mehrheitsbeteiligung
widerlegbar. Dies obliege aber der Finanzverwaltung und sei dem FA
nicht gelungen. Auf den Zeitpunkt, zu dem die in § 5 Abs. 4
der Geschäftsführerordnung enthaltene Regelung vereinbart
worden sei, komme es daher nicht an.
Das Urteil des FG ist in EFG 2006, 1462 =
SIS 06 32 85 veröffentlicht.
Mit seiner Revision rügt das FA
Verletzung von § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG. Im Hinblick auf das
Einstimmigkeitserfordernis bei Bestellung und Abberufung von
Geschäftsführern fehle es bereits an der
„finanziellen Eingliederung“. Es liege auch keine
organisatorische Eingliederung vor, da es nicht auf § 17 AktG
ankomme.
Das FA beantragt, unter Aufhebung des
angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision
als unbegründet zurückzuweisen.
Für die umsatzsteuerrechtliche
Organschaft komme es auf das Gesamtbild der Verhältnisse an.
Mehrheitsgesellschafter B sei in der Lage gewesen, seinen Willen
bei der Klägerin nach Belieben durchzusetzen. Die
organisatorische Eingliederung ergebe sich daraus, dass
Mehrheitsgesellschafter B als Mitgeschäftsführer
über eine Einzelvertretungsbefugnis verfügt habe.
II. Die Revision des FA ist begründet;
sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung
der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung
- FGO - ). Die Klägerin hat ihre Tätigkeit
selbständig ausgeübt und war in den Streitjahren nicht
als Organgesellschaft nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG in das
Unternehmen eines Organträgers eingegliedert. Entgegen der
Auffassung der Vorinstanz ist die aktienrechtliche Regelung des
§ 17 AktG für die umsatzsteuerrechtliche Beurteilung der
Organschaft ohne Bedeutung.
1. Unter welchen Voraussetzungen eine
juristische Person eine wirtschaftliche Tätigkeit für
Zwecke der Umsatzsteuer nicht selbständig ausübt, ergibt
sich aus § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG, nicht aber aus § 17
AktG.
a) Nach § 17 Abs. 1 AktG handelt es sich
bei abhängigen Unternehmen um
rechtlich selbständige Unternehmen, auf die ein anderes
Unternehmen (herrschendes Unternehmen) unmittelbar oder mittelbar
einen beherrschenden Einfluss ausüben kann. Nach § 17
Abs. 2 AktG wird von einem in Mehrheitsbesitz stehenden Unternehmen
vermutet, dass es von dem an ihm mit Mehrheit beteiligten
Unternehmen abhängig ist. § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG
definiert die umsatzsteuerrechtliche Organschaft demgegenüber
eigenständig, ohne auf andere z.B. aktienrechtliche Regelungen
zu verweisen (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 11.4.1991 V R
126/87, BFH/NV 1992, 140). Maßgeblich ist nach § 2 Abs.
2 Nr. 2 UStG allein, ob eine juristische Person nach dem Gesamtbild
der tatsächlichen Verhältnisse finanziell, wirtschaftlich
und organisatorisch in das Unternehmen des Organträgers
eingegliedert ist.
Mit dem Erfordernis der finanziellen,
wirtschaftlichen und organisatorischen Eingliederung entspricht die
Vorschrift dem Gemeinschaftsrecht. Mit § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG
hat der deutsche Gesetzgeber von der Ermächtigung des Art. 4
Abs. 4 Unterabs. 2 der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17.5.1977
zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten
über die Umsatzsteuern 77/388/EWG - Gemeinsames
Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige
Bemessungsgrundlage (Richtlinie 77/388/EWG) Gebrauch gemacht (vgl.
BFH-Urteil vom 17.1.2002 V R 37/00, BFHE 197, 357, BStBl II 2002,
373 = SIS 02 06 40, m.w.N.), der bestimmt:
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„Vorbehaltlich der Konsultation nach
Artikel 29 steht es jedem Mitgliedstaat frei, im Inland
ansässige Personen, die zwar rechtlich unabhängig, aber
durch gegenseitige finanzielle, wirtschaftliche und
organisatorische Beziehungen eng miteinander verbunden sind,
zusammen als einen Steuerpflichtigen zu behandeln.“
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b) Für die Annahme einer Organschaft ist
es nicht erforderlich, dass sich alle drei in § 2 Abs. 2 Nr. 2
UStG genannten Merkmale einer Eingliederung gleichermaßen
deutlich feststellen lassen; nach dem Gesamtbild der
tatsächlichen Verhältnisse kann die Selbständigkeit
auch dann fehlen, wenn die Eingliederung auf einem der drei Gebiete
nicht vollkommen ist. Allerdings reicht es nicht aus, dass eine
Eingliederung nur in Bezug auf zwei der drei Merkmale besteht (vgl.
z.B. BFH-Urteile vom 20.2.1992 V R 80/85, BFH/NV 1993, 133; vom
25.6.1998 V R 76/97, BFH/NV 1998, 1534; vom 24.2.2003 V B 84/01,
BFH/NV 2003, 949 = SIS 03 33 57; vom 3.4.2003 V R 63/01, BFHE 202,
79, BStBl II 2004, 434 = SIS 03 29 16; vom 19.5.2005 V R 31/03,
BFHE 210, 167, BStBl II 2005, 671 = SIS 05 31 27). Von der
finanziellen Eingliederung kann daher z.B. nicht auf die
wirtschaftliche Eingliederung geschlossen werden (BFH-Beschluss vom
20.9.2006 V B 138/05, BFH/NV 2007, 281 = SIS 07 04 18). Ebenso
wenig folgt aus der finanziellen die organisatorische
Eingliederung.
c) Bei Anwendung von § 2 Abs. 2 Nr. 2
UStG kommt § 17 AktG auch keine Bedeutung für einzelne
Eingliederungsvoraussetzungen zu. Dies gilt insbesondere für
das Merkmal der organisatorischen Eingliederung. § 17 AktG
enthält bereits nach seinem Wortlaut keine Regelung zur
organisatorischen Eingliederung. § 17 AktG knüpft die
aktienrechtliche Abhängigkeitsvermutung vielmehr an das
bloße Bestehen einer Mehrheitsbeteiligung und weicht damit
von der spezialgesetzlichen Regelung des UStG ab, nach der es neben
einer Mehrheitsbeteiligung auch auf wirtschaftliche und
organisatorische Voraussetzungen ankommt (s. oben a).
2. Die organisatorische Eingliederung setzt
voraus, dass die mit der finanziellen
Eingliederung verbundene Möglichkeit der Beherrschung der
Tochtergesellschaft durch die Muttergesellschaft in der laufenden
Geschäftsführung wirklich wahrgenommen wird
(BFH-Urteil vom 28.1.1999 V R 32/98, BFHE 187, 355, BStBl II
1999, 258 = SIS 99 08 17). Es
kommt darauf an, dass der Organträger die Organgesellschaft
durch die Art und Weise der Geschäftsführung beherrscht
(BFH-Urteil vom 9.10.2002 V R 64/99, BFHE 200, 119, BStBl II 2003,
375 = SIS 03 05 87) oder aber zumindest durch die Gestaltung der Beziehungen zwischen dem
Organträger und der Organgesellschaft sichergestellt ist, dass
eine vom Willen des Organträgers abweichende Willensbildung
bei der Organtochter nicht möglich ist (BFH-Urteile vom
13.3.1997 V R 96/96, BFHE 182, 426, BStBl II 1997, 580 = SIS 97 20 43; in BFHE 187, 355, BStBl II 1999, 258 = SIS 99 08 17; vom
16.8.2001 V R 34/01, BFH/NV 2002, 223 = SIS 02 51 83; vom 1.4.2004
V R 24/03, BFHE 204, 520, BStBl II 2004, 905 = SIS 04 21 98, und
BFH-Beschluss vom 13.6.2007 V B 47/06, BFH/NV 2007, 1936 = SIS 07 32 82). Die organisatorische Eingliederung kann sich aus einer
personellen Verflechtung über die Vertretungsorgane von
Organträger und Organgesellschaft wie z.B. bei einer
Personenidentität in den Leitungsgremien ergeben (BFH-Urteile
in BFHE 187, 355, BStBl II 1999, 258 = SIS 99 08 17, und in BFHE
197, 357, BStBl II 2002, 373 = SIS 02 06 40).
Personenidentität liegt z.B. dann vor, wenn ein
Einzelunternehmer als Organträger bei der abhängigen
juristischen Person über eine organschaftliche
Vertretungsberechtigung (vgl. z.B. § 76 AktG, § 35 des
Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter
Haftung) verfügt.
Das FG ist mit seiner Auffassung, die
aktienrechtliche Konzernvermutung nach § 17 AktG sei für
die organschaftliche Eingliederung von Bedeutung, von anderen
Grundsätzen ausgegangen. Das Urteil war deshalb
aufzuheben.
3. Die Sache ist spruchreif, so dass der Senat
nach § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FGO entscheiden kann. Die
angefochtenen Umsatzsteuerbescheide in der Gestalt der
Einspruchsentscheidung sind entgegen der Auffassung des FG
rechtmäßig, da eine Organschaft nach § 2 Abs. 2 Nr.
2 UStG unter keinem denkbaren Gesichtspunkt besteht. Es fehlt
bereits am Erfordernis der organisatorischen Eingliederung der
Klägerin, weil § 17 AktG im Rahmen des § 2 Abs. 2
Nr. 2 UStG ohne Bedeutung ist (s. oben 1. c).
Im Streitfall liegt keine
Personenidentität in den Vertretungsorganen vor, da die
Klägerin über zwei Geschäftsführer
verfügte. Im Hinblick auf die für beide
Geschäftsführer bestehende Einzelvertretungsbefugnis war
es dem Mehrheitsgesellschafter B auch nicht möglich, eine von
seinem Willen abweichende Willensbildung in der Organgesellschaft
zu verhindern (vgl. dazu BFH-Urteile in BFHE 182, 426, BStBl II
1997, 580 = SIS 97 20 43; in BFHE 187, 355, BStBl II 1999, 258 =
SIS 99 08 17; in BFH/NV 2002, 223 = SIS 02 51 83; in BFHE 204, 520,
BStBl II 2004, 905 = SIS 04 21 98, und in BFH/NV 2007, 1936 = SIS 07 32 82).
Die erforderliche organisatorische
Eingliederung ergibt sich auch nicht aus den Regelungen der
Geschäftsführerordnung der Klägerin. Der Senat
braucht im vorliegenden Verfahren über die Bedeutung von
Geschäftsführungsordnungen für die organisatorische
Eingliederung nicht abschließend zu entscheiden. Der
Geschäftsführerordnung kommt bereits aufgrund der im
Streitfall bestehenden Besonderheiten keine Bedeutung zu. Im
Hinblick auf die Einzelvertretungsbefugnis des MK konnte B eine von
seinem Willen abweichende Willensbildung bei der Klägerin nur
verhindern, wenn für ihn ein bei Meinungsverschiedenheiten
eingreifendes Letztentscheidungsrecht bestand. In den Streitjahren
lag insoweit aber nur eine mündliche Absprache vor, da die
schriftliche Ergänzung in § 5 Abs. 4 der
Geschäftsführerordnung erst im Jahr 2002 erfolgte. Bei
Meinungsverschiedenheiten zwischen den Geschäftsführern
wäre B daher nicht in der Lage gewesen, sein
Letztentscheidungsrecht gegenüber Dritten nachzuweisen oder MK
bei Verstößen gegen die in den Streitjahren nur
mündlich getroffene Absprache haftbar zu machen. Dies reicht
nicht aus, um eine vom Willen des
Organträgers abweichende Willensbildung bei der Organtochter
auszuschließen.