Insolvenz, Erstattungszinsen, Verrechnung: Der Anspruch auf Erstattungszinsen, die auf Zeiträume nach Eröffnung eines Insolvenzverfahrens entfallen, kann vom FA nicht mit vorinsolvenzlichen Steuerforderungen verrechnet werden. - Urt.; BFH 30.4.2007, VII B 252/06; SIS 07 19 55
I. Der Kläger und Beschwerdegegner
(Kläger) ist Verwalter in dem im Februar 2000 eröffneten
Insolvenzverfahren über das Vermögen einer GmbH. Nach
Eröffnung des Verfahrens sind Änderungsbescheide des
Beklagten und Beschwerdeführers (Finanzamt - FA - ) zur
Körperschaftsteuer 1994 und 1995 ergangen, in welchen
gemäß § 233a der Abgabenordnung (AO) auch Zinsen
festgesetzt wurden.
Über die auf den Zeitraum nach
Eröffnung des Insolvenzverfahrens entfallenden Zinsen streiten
die Beteiligten. Das FA hat gegen den Anspruch der GmbH auf
Erstattungszinsen in voller Höhe auf Zeiträume vor
Eröffnung des Insolvenzverfahrens entfallende Umsatzsteuer
bzw. Gewerbesteuer aufgerechnet. Als der Kläger dem
widersprach, hat es den angefochtenen Abrechnungsbescheid erlassen.
Das Finanzgericht (FG) hat den Abrechnungsbescheid dahin
geändert, dass Erstattungszinsen, die nach Eröffnung des
Insolvenzverfahrens angefallen sind, entgegen der
Aufrechnungserklärung des FA nicht zur Aufrechnung
herangezogen werden dürften, so dass aus
Körperschaftsteuer 1995 ein an die Insolvenzmasse
auszukehrendes Guthaben verbleibe.
Gegen die Nichtzulassung der Revision in
dem Urteil des FG richtet sich die Beschwerde des FA, mit der
sinngemäß geltend gemacht wird, der Rechtsstreit habe
grundsätzliche Bedeutung im Hinblick auf die Frage, ob das FA
eine steuerliche Nebenleistung aus § 233a AO insoweit nach
Eröffnung des Insolvenzverfahrens zur Insolvenzmasse schuldig
wird, als der Zinslauf über den Zeitpunkt der
Insolvenzeröffnung hinaus andauert, und ob das FA
dementsprechend gegen den Anspruch auf solche Erstattungszinsen aus
Steuerfestsetzungen für vor Eröffnung des
Insolvenzverfahrens liegende Veranlagungszeiträume nicht
aufrechnen dürfe. Diese Frage sei vom Bundesfinanzhof (BFH)
bisher nur in dem Urteil vom 31.5.2005 VII R 71/04
(Steuer-Eildienst 2005, 2147 = SIS 05 47 96) beantwortet worden,
jedoch durch diese Entscheidung nicht abschließend
geklärt. Es sei nämlich nicht nachzuvollziehen, dass
entsprechend dem zweiten Leitsatz dieser Entscheidung nach
Eröffnung des Insolvenzverfahrens anfallende Erstattungszinsen
auf Steuern für einen vor Eröffnung des
Insolvenzverfahrens liegenden Veranlagungszeitraum
insolvenzrechtlich nicht bereits bei Verfahrenseröffnung
begründet gewesen sein sollen, dass also der nach der
Rechtsprechung des BFH maßgebliche wirtschaftliche
Sachverhalt, der zu ihrer Entstehung führe, nicht bereits vor
Verfahrenseröffnung vorhanden gewesen sein solle. Das Andauern
des Zinslaufs über den Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung
hinaus könne nicht dazu führen, dass im Hinblick auf die
Zuordnung zur Insolvenzmasse für die nach Eröffnung
anfallenden Zinsen andere Grundsätze gelten als für die
bis dahin angefallenen. Eine solche Trennung und unterschiedliche
insolvenzrechtliche Beurteilung widerspreche den in § 95 Abs.
1 der Insolvenzordnung (InsO) zum Ausdruck gekommenen Wertungen des
Gesetzgebers. Sie stelle den Fiskus schlechter als einen privaten
Gläubiger.
II. Die Beschwerde (§ 116 Abs. 1 der
Finanzgerichtsordnung - FGO - ) ist nicht begründet. Die
Revision ist nicht zuzulassen. Die Rechtssache hat keine
grundsätzliche Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO); denn
die vom FA aufgeworfene Rechtsfrage ist durch das vorgenannte
Urteil des beschließenden Senats geklärt, an dessen
rechtlicher Beurteilung der beschließende Senat unbeschadet
der Einwände des FA festhält.
Der Anspruch auf eine Steuer ist nach der
ständigen Rechtsprechung des Senats im insolvenzrechtlichen
Sinne nur dann vor Eröffnung eines Insolvenzverfahrens
begründet, wenn der anspruchsbegründende Tatbestand
bereits vor Verfahrenseröffnung abgeschlossen ist (vgl. auch
BFH-Urteil vom 11.11.1993 XI R 73/92, BFH/NV 1994, 477, sowie
Beschluss des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 7.4.2005 IX ZB 195/03,
NJW-RR 2005, 990). Auf den Zeitpunkt der Entstehung der Steuer
kommt es nicht an (BFH-Urteile vom 13.11.1986 V R 59/79, BFHE 148,
346, BStBl II 1987, 226 = SIS 87 08 26, und vom 21.12.1988 V R
29/86, BFHE 155, 475, BStBl II 1989, 434 = SIS 89 07 52). War der
den Steueranspruch begründende Tatbestand erst nach dem
Zeitpunkt der Konkurseröffnung erfüllt, so kommt eine
Beurteilung als Masseanspruch in Betracht (BFH-Urteil vom 9.4.1987
V R 23/80, BFHE 149, 323, BStBl II 1987, 527 = SIS 87 12 30; vgl.
auch BFH-Urteil vom 29.3.1984 IV R 271/83, BFHE 141, 2, BStBl II
1984, 602 = SIS 84 15 30). Entsprechendes gilt für eine
Steuervergütung (vgl. Senatsurteile vom 5.10.2004 VII R 69/03,
BFHE 208, 10, BStBl II 2005, 195 = SIS 05 08 34; vom 16.11.2004 VII
R 75/03, BFHE 208, 296, BStBl II 2006, 193 = SIS 05 17 32, und vom
31.5.2005 VII R 74/04, BFH/NV 2005, 1745 = SIS 05 40 10).
Diesbezügliche Ansprüche des Steuerpflichtigen sind
insolvenzrechtlich vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens
„begründet“, wenn der zugrunde liegende
Sachverhalt, der zu der Entstehung der Steueransprüche
führt, bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens
verwirklicht worden ist (Senatsurteile in BFH/NV 2005, 1745 = SIS 05 40 10, und in BFHE 208, 10, BStBl II 2005, 195 = SIS 05 08 34).
Erstattungszinsen nach § 233a AO sind
folglich nicht schon im Zeitpunkt der Leistung von Vorauszahlungen
bzw. anzurechnender Steuerabzugsbeträge und anzurechnender
Körperschaftsteuer unter der aufschiebenden Bedingung, dass
einmal die Voraussetzungen vorgenannter Vorschrift eintreten
sollten, insolvenzrechtlich begründet, sondern sie entstehen
zeitabschnittsweise, so dass der Anspruch auf Erstattungszinsen,
die auf Zeiträume nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens
entfallen, vom FA nicht mit vorinsolvenzlichen Steuerforderungen
verrechnet werden kann. Der Grund einer diesbezüglichen
Zinsverpflichtung ist zwar bereits in der Zeit vor Eröffnung
des Insolvenzverfahrens gelegt worden, indem ein Unterschiedsbetrag
i.S. des § 233a Abs. 1 AO dadurch entstanden ist, dass die
steuerpflichtigen Vorfälle zu einer geringeren Steuer
geführt haben, als es der Summe der anzurechnenden
Steuerabzugsbeträge, der anzurechnenden
Körperschaftsteuer und der festgesetzten vorinsolvenzlichen
Vorauszahlungen entspricht (§ 233a Abs. 3 AO; sog.
Unterschiedsbetrag); Zinsen auf diesen Unterschiedsbetrag entstehen
jedoch erst 15 Monate nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem die
Steuer entstanden ist (§ 233a Abs. 2 Satz 1 AO) bzw. in dem
ein rückwirkendes Ereignis eingetreten oder ein Verlust
entstanden ist (§ 233a Abs. 2a AO). Deshalb können solche
laufenden Zinsen nicht als bedingte (betagte) Forderungen angesehen
werden, die vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens
begründet worden sind (vgl. BGH-Urteil vom 15.1.1990 II ZR
164/88, BGHZ 110, 47). Denn § 95 InsO soll nur den
Gläubiger schützen, dessen Forderung in ihrem rechtlichen
Kern aufgrund gesetzlicher Bestimmungen oder vertraglicher
Vereinbarungen bereits gesichert ist (BGH-Urteile vom 24.3.1994 IX
ZR 149/93, NJW 1994, 1659, und vom 9.3.2000 IX ZR 355/98, NJW-RR
2000, 1285) und fällig wird, ohne dass es einer weiteren
Rechtshandlung des Anspruchsinhabers bedarf (BGH-Urteile vom
6.11.1989 II ZR 62/89, BB 1990, 89, und vom 29.6.2004 IX ZR 147/03,
BGHZ 160, 1). Der Anspruch des Steuerpflichtigen auf
Erstattungszinsen indes ist nicht in diesem Sinne
„gesichert“, bevor der (Monats-)Zeitraum
abgelaufen ist, für den er solche Zinsen beanspruchen kann,
weil in diesem Zeitraum zu seinen Gunsten ein Unterschiedsbetrag
bestanden hat. Bis dahin ist rechtlich ungesichert, ob nicht dem
Entstehen von (ggf. weiteren) Erstattungszinsen dadurch die
Grundlage entzogen wird, dass die Steuerfestsetzung wirksam wird
und mithin der Zinslauf gemäß § 233a Abs. 2 Satz 3
AO endet.
Wenn die Beschwerde meint, diese
Rechtsprechung nicht nachvollziehen zu können, und sich ihr
gegenüber darauf beruft, bei Erstattungsansprüchen habe
es die Rechtsprechung des Senats selbst für eine Aufrechnung
im Insolvenzverfahren gemäß § 95 Abs. 1 InsO
ausreichen lassen, dass deren „Rechtsgrund“ vor
Verfahrenseröffnung gelegt sei, verkennt sie den engen inneren
Zusammenhang, in dem solche Ansprüche mit der Steuerentstehung
vor Verfahrenseröffnung stehen, welchem Zusammenhang die
einschlägigen Steuergesetze dadurch Rechnung tragen, dass sie
vorschreiben, die vor Verfahrenseröffnung entstandene Steuer
zu erstatten oder zu vergüten oder dem Steuerpflichtigen in
anderer Weise wieder gut zu bringen (vgl. Senatsurteil vom
17.4.2007 VII R 27/06 = SIS 07 19 23, zur amtlichen
Veröffentlichung bestimmt). Darum handelt es sich indes bei
gleichsam originären, zeitabschnittsweise neu entstehenden
Ansprüchen des Steuerpflichtigen wie dem auf Erstattungszinsen
nicht (vgl. auch Senatsurteil vom 17.4.2007 VII R 34/06 = SIS 07 19 24, zur amtlichen Veröffentlichung bestimmt). Es
entspräche, anders als das FA offenbar meint, nicht der
„Wertung“ des Gesetzes in § 95 Abs. 1 InsO,
beliebige Elemente eines steuergesetzlichen Entstehungstatbestandes
zu bloßen aufschiebenden Bedingungen des Anspruches des
Steuerpflichtigen zu erklären, um dadurch dem FA die
Möglichkeit einer bevorzugten Befriedigung im
Insolvenzverfahren zu verschaffen.