Sozialarbeit im Auftrag eines gemeinnützigen Vereins, USt-Freiheit: 1. Ein Steuerpflichtiger, der Leistungen erbringt, die i.S. des Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g und h der Richtlinie 77/388/EWG eng mit der Sozialfürsorge bzw. der Kinder- und Jugendbetreuung verbunden sind, kann sich unmittelbar auf die Richtlinie 77/388/EWG berufen, soweit eine nationale Befreiungsvorschrift fehlt. - 2. Hat der Gemeinschaftsgesetzgeber selbst die Inanspruchnahme der betreffenden Befreiungen, auf die sich der Steuerpflichtige berufen kann, nicht ausdrücklich vom Fehlen eines Gewinnstrebens abhängig gemacht - wie hier Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g und h der Richtlinie 77/388/EWG -, kann sich das FA nicht darauf berufen, dass nach der insoweit unvollständig umgesetzten nationalen Befreiungsvorschrift nur Leistungen gemeinnütziger Einrichtungen befreit sind. - 3. Für die Anerkennung eines Unternehmers als eine Einrichtung mit sozialem Charakter kann auch gewürdigt werden, dass der Leistende die begünstigten Leistungen aufgrund vertraglicher Vereinbarungen mit Trägern der Sozialversicherung erbracht hat. Es reicht jedoch nicht, dass der Unternehmer lediglich als Subunternehmer für eine anerkannte Einrichtung tätig geworden ist. - Urt.; BFH 8.11.2007, V R 2/06; SIS 08 10 21
I. Die Kläger und Revisionsbeklagten
(Kläger), die eine zweijährige Ausbildung als
„systemische Berater“ abgeschlossen haben, sind als
Sozialarbeiter selbständig in der ambulanten Kinder-, Jugend-
und Familienhilfe im Auftrag eines als gemeinnützig
anerkannten Vereins tätig.
Dieser Verein führt „ambulante
Erziehungshilfen“ in einem Projekt einer Kinder-, Jugend- und
Familienhilfestelle im Auftrag des Jugendamtes nach den
§§ 27 bis 41 des Achten Buches Sozialgesetzbuch (SGB
VIII) - Kinder- und Jugendhilfe - durch. Der Verein berät
Kinder-, Jugend- und Müttergruppen und junge Erwachsene beim
betreuten Wohnen. Er hilft (z.B. bei Gewalt in der Familie oder bei
Alleinerziehenden), durch sozialpädagogische Einzelbetreuung
Konflikte jeder Art zu lösen, kümmert sich um seelisch
behinderte Kinder und versucht, diesen zur Schulfähigkeit zu
verhelfen. Da der Verein wegen der stark schwankenden Auslastung
keine eigenen Arbeitnehmer beschäftigen kann, bedient er sich
von Fall zu Fall selbständiger Kinder- und Jugendhelfer (wie
der Kläger). Hierbei werden die Kläger zunächst von
der Leiterin des Vereins angerufen und es wird vorab geklärt,
ob sich der Fall zur Konfliktlösung durch die Kläger
eignet. Nach Fallübernahme setzen sich die Kläger mit dem
Jugendamt in Verbindung, das die Maßnahmen in dem nach §
36 Abs. 2 SGB VIII erforderlichen Hilfeplan, der Feststellungen
über den Bedarf, die zu gewährende Hilfe sowie die
notwendigen Leistungen enthält, im Einzelnen mit den
Klägern abspricht. Die Kläger stehen nur in vertraglichen
Beziehungen zum Verein, von dem sie auch bezahlt werden. Der Verein
selbst erhält für seine Leistungen im Auftrag des
Jugendamtes Zahlungen nach näherer Maßgabe des
Sozialgesetzbuchs.
Der Beklagte und Revisionskläger (das
Finanzamt - FA - ) vertrat unter Hinweis auf Abschn. 199 Abs. 5 der
Umsatzsteuer-Richtlinien (UStR) die Auffassung, nur die
Umsätze der Träger der Jugendhilfe selbst, hier die
Umsätze des Vereins, seien nach § 4 Nr. 25 des
Umsatzsteuergesetzes 1999 (UStG 1999) steuerfrei, nicht dagegen die
der freiberuflichen Familienhelfer. Das FA erließ deshalb mit
Bescheid vom 30.1.2004 gegenüber dem Kläger zu 2 erstmals
einen Umsatzsteuerbescheid, in dem es die Umsatzsteuer für
2002 in Höhe von 5.294,24 EUR festsetzte. Gegenüber dem Kläger zu
1 änderte es mit Bescheid vom 24.8.2004 dessen als
Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung geltende
Steueranmeldung über 0 EUR und setzte die Umsatzsteuer
für 2002 in Höhe von 1.489,28 EUR fest.
Die nach erfolglosem Einspruch von den
Klägern gemeinsam erhobenen Klagen hatten Erfolg.
Das Finanzgericht (FG) vertrat im
Wesentlichen die Auffassung, die privatrechtlich selbständige
Tätigkeit der Kläger als Sozialarbeiter für den
gemeinnützigen Verein, der Erziehungshilfen in
Konfliktfällen in einem Projekt für Kinder-, Jugend- und
Familienhilfen im Auftrag des Jugendamtes nach §§ 27 bis
41 SGB VIII durchführe, erfülle zwar nicht die
Voraussetzungen der nationalen umsatzsteuerrechtlichen
Befreiungsvorschriften; die Kläger könnten sich jedoch
unmittelbar auf Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g und h der Sechsten
Richtlinie des Rates vom 17.5.1977 zur Harmonisierung der
Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern
77/388/EWG - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche
steuerpflichtige Bemessungsgrundlage - Richtlinie 77/388/EWG -
(Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften - ABlEG - 1977 Nr.
L 145/1) berufen. Die staatliche Anerkennung des Vereins sei darin
zu sehen, dass der Träger der Sozialversicherung die Kosten
hierfür übernommen habe. Gleiches müsse für die
Leistungen der Kläger gelten, durch deren Leistungen an den
Verein der Verein selbst seine steuerfreien Leistungen an das
Jugendamt bewirkt habe. Das Urteil des FG ist in EFG 2006, 937 =
SIS 06 23 66 abgedruckt.
Hiergegen richtet sich die - vom FG
zugelassene - Revision des FA.
Zur Begründung trägt das FA vor,
die Richtlinie 77/388/EWG räume den Mitgliedstaaten in Art. 13
Teil A Abs. 1 Buchst. g und h Ermessen ein, unter welchen
Voraussetzungen sie bestimmten Einrichtungen sozialen Charakter
zuerkenne. Die Anerkennung könne sich auch aus Vorschriften im
Bereich der sozialen Sicherheit ergeben. Nach den insoweit zu
berücksichtigenden Regelungen der §§ 74 ff. SGB VIII
könnten nur juristische Personen und Personenvereinigungen,
soweit sie gemeinnützige Zwecke verfolgen, als Träger der
freien Jugendpflege anerkannt werden. Nur der Verein, nicht aber
die Kläger, erfülle diese Voraussetzungen. Wenn der
nationale Gesetzgeber die Steuerbefreiung zulässigerweise an
die Gemeinnützigkeit des Leistenden knüpfe, müsse
das nationale Gericht dies beachten.
Zu Unrecht stütze das FG seine
Entscheidung darauf, dass die Leistungen der Kläger von
Einrichtungen der sozialen Sicherheit erstattet würden; denn
zwischen dieser Einrichtung und den Klägern bestehe keine
unmittelbare Rechtsbeziehung. Dies sei jedoch erforderlich.
Auch Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g und h
der Richtlinie 77/388/EWG befreie nur die Leistungen der staatlich
anerkannten Einrichtung selbst. Aus dem Urteil des Bundesfinanzhofs
(BFH) vom 25.11.2004 V R 44/02 (BFHE 208, 80, BStBl II 2005, 190 =
SIS 05 13 21) ergebe sich nichts anderes, weil dieses Urteil
„Heilbehandlungen“ durch die - nach nationalem Recht
anerkannten - Angehörigen eines Heilberufes (vgl. § 4 Nr.
14 UStG 1999) betreffe. Auf die staatliche
„Anerkennung“ des Leistenden werde indes in der hier
einschlägigen Befreiungsvorschrift nicht verzichtet.
Das FA beantragt, das angefochtene Urteil
aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kläger beantragen, die Revision
zurückzuweisen.
Ergänzend zur Begründung des
FG-Urteils tragen die Kläger im Wesentlichen vor, unzutreffend
sei, dass sie keine vertraglichen Beziehungen zu den Trägern
der öffentlichen Jugendhilfe unterhielten, denn sie, die
Kläger, hätten nach Maßgabe des § 36 SGB VIII
nur aufgrund des Hilfeplanes tätig werden können und sich
dazu persönlich verpflichten müssen. Das Jugendamt
dürfe aus rechtlichen Gründen nicht selbst mit den
Klägern in offene Vertragsbeziehungen treten. Es gebe jedoch
Jugendämter, die aus fachlichen Notwendigkeiten unmittelbar
Verträge mit Fachkräften schlössen. Die
Nichtanerkennung der Kläger mit der Folge der
Ungleichbehandlung der Leistungen des Vereins und der Kläger
verstoße gegen den Grundsatz der Neutralität der
Umsatzsteuer.
II. Die Revision ist begründet. Sie
führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Klageabweisung
(§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -
).
1. Im Ergebnis zu Recht geht das FG davon aus,
dass die Leistungen der Kläger nach keiner Vorschrift des
nationalen Rechts (§ 4 UStG 1999) von der Umsatzsteuer befreit
sind.
Das UStG hat Art. 13 Teil A Abs. 1 der
Richtlinie 77/388/EWG - wie der erkennende Senat bereits mehrfach
ausgeführt hat (z.B. Urteil vom 18.8.2005 V R 71/03, BFHE 211,
543, BStBl II 2006, 143 = SIS 06 01 79) - nicht hinreichend in
innerstaatliches Recht umgesetzt. Denn die Richtlinienregelungen
sind im UStG bisher zum Teil lediglich dadurch umgesetzt worden,
dass es die bereits bei Inkrafttreten der Richtlinie 77/388/EWG
vorhandenen, teilweise bereits im UStG 1951 enthaltenen
Steuerbefreiungstatbestände im Wesentlichen unverändert
weitergeführt hat (BFH-Urteil vom 1.2.2007 V R 34/05, BFH/NV
2007, 1201 = SIS 07 16 40; bereits BFH-Urteil vom 7.7.2005 V R
23/04, BFHE 211, 69, BStBl II 2005, 904 = SIS 05 42 05).
a) Die Leistungen der Kläger sind -
entgegen der Auffassung der Kläger im Klageverfahren - nicht
nach § 4 Nr. 14 UStG 1999 steuerbefreit. Denn diese Befreiung
setzt eine „Heilbehandlung“, d.h. eine
Tätigkeit zur Diagnose, Behandlung und Heilung von
Gesundheitsstörungen voraus (z.B. BFH-Urteile vom 15.7.2004 V
R 27/03, BFHE 206, 471, BStBl II 2004, 862 = SIS 04 35 29; in BFHE
211, 69, BStBl II 2005, 904 = SIS 05 42 05; BFH-Beschluss vom
22.2.2006 V B 30/05, BFH/NV 2006, 1168 = SIS 06 21 86; Gerichtshof
der Europäischen Gemeinschaften - EuGH -, Urteil vom 8.6.2006
Rs. C-106/05, L. u. P. GmbH, BFH/NV Beilage 2006, 442 = SIS 06 29 72). Diese Voraussetzungen liegen bei den genannten
Tätigkeiten - wie das FG zu Recht ausgeführt hat -
offensichtlich nicht vor.
b) Auch die Voraussetzungen des § 4 Nr.
18 UStG 1999 liegen offensichtlich nicht vor. Danach sind befreit
die Leistungen der „amtlich anerkannten Verbände der
freien Wohlfahrtspflege und der der Wohlfahrtspflege dienenden
Körperschaften, Personenvereinigungen und
Vermögensmassen, die einem Wohlfahrtsverband als
Mitgliedsverband angeschlossen sind“. Die Kläger
gehören nicht zu diesen Einrichtungen des öffentlichen
Rechts. Die Vorschrift ist auf andere Steuerpflichtige nicht
anwendbar (vgl. z.B. BFH-Urteil in BFHE 211, 69, BStBl II 2005, 904
= SIS 05 42 05, m.w.N.).
c) Die Voraussetzungen des § 4 Nr. 25
UStG 1999 sind ebenfalls nicht erfüllt. Nach dieser Vorschrift
sind steuerbefreit „die folgenden Leistungen der
Träger der öffentlichen Jugendhilfe und der
förderungswürdigen Träger der freien
Jugendhilfe:
a)
|
die Durchführung von Lehrgängen,
Freizeiten, Zeltlagern, Fahrten und Treffen sowie von
Veranstaltungen, die dem Sport und der Erholung dienen ...
|
|
|
b)
|
in Verbindung mit den unter Buchstabe a)
bezeichneten Leistungen die Beherbergung, Beköstigung und die
üblichen Naturalleistungen, die den Jugendlichen und
Mitarbeitern in der Jugendhilfe sowie den bei diesen Leistungen
tätigen Personen als Vergütung für die geleisteten
Dienste gewährt werden,
|
|
|
c)
|
die Durchführung von kulturellen und
sportlichen Veranstaltungen. ...
|
Förderungswürdig im Sinne dieser
Vorschrift sind Träger der freien Jugendhilfe, die kraft
Gesetzes oder von der zuständigen Jugendbehörde anerkannt
sind oder die die Voraussetzungen für eine Förderung
durch die Träger der öffentlichen Jugendhilfe
erfüllen. ...“
aa) Voraussetzung für die Förderung
der freien Jugendhilfe ist nach § 74 SGB VIII u.a., dass der
Betreffende gemeinnützige Ziele verfolgt. In
Übereinstimmung hiermit können nach § 75 SGB VIII
als Träger der freien Jugendhilfe juristische Personen und
Personenvereinigungen anerkannt werden, wenn sie gemeinnützige
Ziele verfolgen.
Diese Einschränkung ist zwar
grundsätzlich mit Art. 13 Teil A Abs. 2 Buchst. a der
Richtlinie 77/388/EWG vereinbar, denn danach können die
Mitgliedstaaten u.a. auch die Gewährung der unter Abs. 1
Buchst. h vorgesehenen Befreiungen für Einrichtungen, die
keine Einrichtungen des öffentlichen Rechts sind, von Fall zu
Fall von der Erfüllung einer oder mehrerer der näher
bezeichneten Bedingungen - u.a. auch vom Fehlen einer
systematischen Gewinnerzielungsabsicht - abhängig machen
(BFH-Beschlüsse vom 28.2.2002 V B 31/01, BFH/NV 2002, 957 =
SIS 02 69 64, unter 2. d; vom 12.5.2005 V B 146/03, BFHE 209, 105,
BStBl II 2005, 714 = SIS 05 30 43).
bb) Die Befreiung nach § 4 Nr. 25 UStG
1999 kommt im Streitfall jedoch schon deshalb nicht in Betracht,
weil die Kläger keine der in Nr. 25 bezeichneten
Tätigkeiten ausführen.
2. Entgegen der Auffassung des FG können
die Kläger die Befreiung nicht aufgrund unmittelbarer
Anwendung des Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g oder Buchst. h der
Richtlinie 77/388/EWG beanspruchen.
Nach Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g oder
Buchst. h der Richtlinie 77/388/EWG sind die Mitgliedstaaten
verpflichtet, u.a. (Buchst. g) „die eng mit der
Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundenen
Dienstleistungen ...“ und (Buchst. h) die „eng
mit der Kinder- und Jugendbetreuung verbundenen Dienstleistungen
und Lieferungen von Gegenständen durch Einrichtungen des
öffentlichen Rechts oder andere von dem betreffenden
Mitgliedstaat als Einrichtung mit sozialem Charakter anerkannte
Einrichtungen“ zu befreien. Diese Befreiungen sind, wie
der erkennende Senat bereits im Urteil in BFHE 211, 543, BStBl II
2006, 143 = SIS 06 01 79 ausgeführt hat, nicht hinreichend in
innerstaatliches Recht umgesetzt worden.
Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH
kann sich ein Einzelner in Ermangelung fristgemäß
erlassener Umsetzungsmaßnahmen auf Bestimmungen einer
Richtlinie, die inhaltlich als unbedingt und hinreichend genau
erscheinen, gegenüber allen nicht richtlinienkonformen
innerstaatlichen Vorschriften berufen (vgl. z.B. Urteil vom
10.9.2002 Rs. C-141/00, Ambulanter Pflegedienst Kügler GmbH,
Slg. 2002, I-6833, UR 2002, 513 = SIS 02 97 10, BFH/NV Beilage
2003, 30). Er kann sich auf diese Bestimmungen auch berufen, soweit
sie so geartet sind, dass sie Rechte festlegen, die der Einzelne
dem Staat gegenüber geltend machen kann. Ein Mitgliedstaat
kann einem Steuerpflichtigen, der beweisen kann, dass er
steuerrechtlich unter einen Befreiungstatbestand der Richtlinie
fällt, nicht entgegenhalten, dass er die Vorschriften, die die
Anwendung eben dieser Steuerbefreiung erleichtern sollen, nicht
erlassen hat (EuGH-Urteil Ambulanter Pflegedienst Kügler GmbH
in Slg. 2002, I-6833, UR 2002, 513 Randnr. 52, BFH/NV Beilage 2003,
30 = SIS 02 97 10).
Die Steuerbefreiung gemäß Art. 13
Teil A Abs. 1 Buchst. g und h der Richtlinie 77/388/EWG ist an zwei
Voraussetzungen geknüpft:
a) Zum einen muss es sich um Leistungen
handeln, die eng mit der Fürsorge und sozialen Sicherheit
(Buchst. g) oder der Kinder- und Jugendbetreuung (Buchst. h)
verbunden sind. Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g und h der
Richtlinie 77/388/EWG zählen die Tätigkeiten, die
steuerfrei sind, hinreichend genau und unbedingt auf (EuGH in Slg.
2002, I-6833, UR 2002, 513 Randnr. 53, BFH/NV Beilage 2003, 30 =
SIS 02 97 10).
Diese Voraussetzung erfüllen die
Kläger, denn ihre Leistungen sind eng mit der
Sozialfürsorge bzw. der Kinder– und Jugendbetreuung
verbunden. Sie haben an einen gemeinnützigen Verein, der
seinerseits im Auftrag des Jugendamtes im Rahmen der Kinder- und
Jugendhilfe nach Maßgabe der §§ 27 bis 41 SGB VIII
tätig wird und die Entgelte für diese Leistungen vom
Jugendamt erhält, die entsprechenden Leistungen in Abstimmung
mit dem Jugendamt erbracht.
b) Die genannten Leistungen sind jedoch nur
steuerfrei, wenn sie von „Einrichtungen des
öffentlichen Rechts oder anderen (privaten) Einrichtungen, die
von dem betreffenden Mitgliedstaat als Einrichtung mit im
wesentlichen sozialen Charakter anerkannt worden sind“,
erbracht werden (EuGH-Urteil vom 26.5.2005 Rs. C-498/03, Kingscrest
Associates Ltd. und Montecello Ltd., BFH/NV Beilage 2005, 310, UR
2005, 453 = SIS 05 30 13; BFH-Urteil in BFHE 211, 543, BStBl II
2006, 143 = SIS 06 01 79).
aa) Dem Gemeinwohlzweck der Befreiung steht
grundsätzlich nicht entgegen, dass es sich um eine
Tätigkeit mit gewerblichem Charakter handelt (EuGH-Urteil
Kingscrest Associates Ltd. und Montecello Ltd., BFH/NV Beilage
2005, 310, UR 2005, 453 Randnr. 31). Auch der Begriff
„Einrichtung“ ist grundsätzlich weit genug,
um auch private Einheiten mit Gewinnerzielungsabsicht - wie hier
ggf. die Kläger - zu erfassen (EuGH-Urteil Kingscrest
Associates Ltd. und Montecello Ltd., BFH/NV Beilage 2005, 310, UR
2005, 453 Randnr. 35; BFH in BFHE 211, 543, BStBl II 2006, 143 =
SIS 06 01 79, m.w.N.).
bb) Entgegen der Auffassung des FA muss
für die Frage, ob die tatbestandlichen Voraussetzungen des
Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 77/388/EWG
vorliegen, unberücksichtigt bleiben, dass § 4 Nr. 25 UStG
1999 die Befreiung der dort erwähnten Tätigkeiten davon
abhängig macht, dass es sich um einen anerkannten Träger
der Jugendhilfe oder um einen Unternehmer handelt, der die
Voraussetzungen für eine Förderung erfüllt (vgl.
§§ 74 und 75 SGB VIII), und damit im Ergebnis von der
Gemeinnützigkeit des Trägers abhängig macht.
Ist im nationalen Recht eine in der Richtlinie
vorgesehene Steuerbefreiung nur teilweise umgesetzt - wie hier die
Steuerbefreiung für die eng mit der Sozialfürsorge bzw.
der Kinder- und Jugendbetreuung verbundenen Dienstleistungen - und
kann sich der Steuerpflichtige unmittelbar auf die Richtlinie
berufen, hängt die Steuerbefreiung allein davon ab, ob die
streitigen Leistungen alle Voraussetzungen der betreffenden
gemeinschaftsrechtlichen Befreiungsvorschrift erfüllen.
Hat deshalb der Gemeinschaftsgesetzgeber
selbst die Inanspruchnahme der betreffenden Befreiungen - wie z.B.
in Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g und h der Richtlinie 77/388/EWG
- nicht ausdrücklich vom Fehlen eines Gewinnstrebens
abhängig gemacht, kann das Streben nach Gewinnerzielung die
Inanspruchnahme dieser Befreiungen nicht ausschließen
(EuGH-Urteil Kingscrest Associates Ltd. und Montecello Ltd., BFH/NV
Beilage 2005, 310, UR 2005, 453 Randnrn. 40 und 43), wenn der
Mitgliedstaat von dieser nach Art. 13 Teil A Abs. 2 der Richtlinie
77/388/EWG zulässigen Einschränkung nicht
ausdrücklich Gebrauch macht.
Die Mitgliedstaaten dürfen zwar nach Art.
13 Teil A Abs. 2 der Richtlinie 77/388/EWG bestimmte
Befreiungsvorschriften von der Erfüllung zusätzlicher
Voraussetzungen - wie u.a. nach Buchst. a vom fehlenden
Gewinnstreben der Einrichtung - abhängig machen. Dies bedarf
jedoch einer ausdrücklichen Regelung durch den Mitgliedstaat.
Sie kann nicht unterstellt werden, soweit die
gemeinschaftsrechtliche Befreiung nicht umgesetzt worden ist.
Hat der Mitgliedstaat die Befreiungsvorschrift
der Richtlinie 77/388/EWG nicht oder - wie hier - nicht
vollständig umgesetzt, kann er sich für den nicht
umgesetzten Teilbereich der Befreiung nicht auf sein eigenes
Unterlassen berufen (z.B. EuGH-Urteil Kingscrest Associates Ltd.
und Montecello Ltd., BFH/NV Beilage 2005, 310, UR 2005, 453 Randnr.
42, und BFH-Urteil vom 22.4.2004 V R 1/98, BFHE 205, 514, BStBl II
2004, 849 = SIS 04 27 51). Der Mitgliedstaat kann sich insbesondere
nicht darauf berufen, dass er einen Teil der von der
Befreiungsvorschrift der Richtlinie 77/388/EWG umfassten
Tätigkeiten befreit hat und dort eine der nach Art. 13 Teil A
Abs. 2 der Richtlinie 77/388/EWG zulässigen
Einschränkungen vorausgesetzt hat. Soweit dem BFH-Beschluss in
BFH/NV 2002, 957 = SIS 02 69 64, auf den sich das FA beruft,
anderes zu entnehmen sein könnte, wäre dies jedenfalls
durch die späteren Entscheidungen des EuGH und des erkennenden
Senats überholt.
cc) Entgegen der Auffassung des FG fehlt es
jedoch an der nach Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g und h der
Richtlinie 77/388/EWG erforderlichen „Anerkennung als
Einrichtung mit sozialem Charakter“.
Der Einzelne kann die Eigenschaft einer
Einrichtung mit sozialem Charakter nicht schon dadurch erlangen,
dass er sich auf diese Bestimmung beruft. Vielmehr ist es Sache der
nationalen Behörden, nach dem Gemeinschaftsrecht und unter der
Kontrolle der nationalen Gerichte, insbesondere unter
Berücksichtigung der Praxis der zuständigen Verwaltung in
ähnlichen Fällen zu bestimmen, welche Einrichtungen als
Einrichtungen mit sozialem Charakter i.S. von Art. 13 Teil A Abs. 1
Buchst. g der Richtlinie 77/388/EWG anzuerkennen sind (EuGH-Urteil
Kingscrest Associates Ltd. und Montecello Ltd., BFH/NV Beilage
2005, 310, UR 2005, 453 Randnrn. 53 ff., m.w.N.; BFH-Urteil in BFHE
205, 514, BStBl II 2004, 849 = SIS 04 27 51).
Zu Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der
Richtlinie 77/388/EWG hat der erkennende Senat in
Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des EuGH bereits
entschieden, dass die Anerkennung eines Unternehmers als eine
Einrichtung mit sozialem Charakter auch aus der Übernahme der
Kosten für seine Leistungen durch Krankenkassen oder andere
Einrichtungen der sozialen Sicherheit abgeleitet werden kann. So
kann für die Anerkennung auch gewürdigt werden, dass der
Leistende die begünstigten Leistungen aufgrund vertraglicher
Vereinbarungen mit Trägern der Sozialversicherung erbracht hat
(BFH-Urteile in BFHE 205, 514, BStBl II 2004, 849 = SIS 04 27 51;
in BFHE 211, 543, BStBl II 2006, 143 = SIS 06 01 79). Von diesen
Grundsätzen ist auch für andere mit der Fürsorge
oder der sozialen Sicherheit zusammenhängende Leistungen - wie
im Streitfall - auszugehen.
Diese Voraussetzungen liegen jedoch nicht vor;
denn die Kläger wurden nicht selbst auf vertraglicher
Grundlage mit dem örtlichen Träger der sozialen
Sicherheit, dem Jugendamt, sondern nur aufgrund ihres Vertrages mit
dem Verein tätig. Dass die Kläger bei Durchführung
des Auftrages ihre Leistungen an den Verein nach Maßgabe des
mit dem Jugendamt abgesprochenen Hilfeplanes erbracht haben,
ändert daran nichts. Nach § 36 Abs. 2 SGB VIII in der im
Streitjahr geltenden Fassung soll die Entscheidung über die im
Einzelfall angezeigte Hilfeart, wenn Hilfe voraussichtlich für
längere Zeit zu leisten ist, im Zusammenwirken mehrerer
Fachkräfte getroffen werden. Als Grundlage für die
Ausgestaltung der Hilfe sollen sie zusammen mit dem
Personensorgeberechtigten und dem Kind oder dem Jugendlichen einen
Hilfeplan aufstellen, der Feststellungen über den Bedarf, die
zu gewährende Art der Hilfe sowie die notwendigen Leistungen
enthält; sie sollen regelmäßig prüfen, ob die
gewählte Hilfeart weiterhin geeignet und notwendig ist. Werden
bei der Durchführung der Hilfe andere Personen, Dienste oder
Einrichtungen - wie hier der Verein - tätig, so sind sie oder
deren Mitarbeiter - hier die für den Verein tätigen
Kläger - an der Aufstellung des Hilfeplans und seiner
Überprüfung zu beteiligen. Eine Anerkennung der
Kläger durch den Mitgliedstaat als Einrichtung mit sozialem
Charakter lässt sich daraus nicht ableiten. Dementsprechend
erhielten die Kläger das Entgelt für ihre Leistungen auch
nicht unmittelbar vom Jugendamt, sondern vom Verein.
dd) Die Anerkennung lässt sich - entgegen
der Auffassung des FG und der Kläger - nicht schon daraus
ableiten, dass die Einrichtung (hier der Verein), an die die
Kläger als deren Subunterunternehmer ihre Leistungen erbracht
haben, vom Mitgliedstaat ausdrücklich oder zumindest aufgrund
unmittelbarer vertraglicher Beziehungen zu dem örtlichen
Träger der Sozialversicherung anerkannt worden ist. Die
Anerkennung des betreffenden Mitgliedstaates als eine
„Einrichtung mit vergleichbarer Zielrichtung“
setzt zumindest eine unmittelbare vertragliche - Inhalt, Umfang
sowie Verantwortung für die vertragsgemäße
Durchführung konkretisierende - Beziehung zwischen diesem bzw.
seinen Untergliederungen und dem Unternehmer voraus. Dass die
Kläger für den Verein mit dem Jugendamt ihre
Tätigkeit abgestimmt haben, genügt nicht. Entgegen der
Auffassung der Kläger gebietet auch der Grundsatz der
Neutralität der Umsatzsteuer nicht, dass rechtlich
unterschiedlich ausgestaltete Beziehungen umsatzsteuerrechtlich
gleich behandelt werden müssen.
Das FG beruft sich für seine Auffassung,
auch die Leistungen der Kläger für den Verein seien - wie
die Leistungen des Vereins selbst - von der Umsatzsteuer zu
befreien, zu Unrecht auf das Senatsurteil in BFHE 208, 80, BStBl II
2005, 190 = SIS 05 13 21. Dort ging es allein um die Frage, ob der
für die Befreiung einer Heilbehandlung durch arztähnliche
Leistungen nach § 4 Nr. 14 UStG 1999 erforderliche berufliche
Befähigungsnachweis erbracht ist. Das hat der Senat bejaht
für den Fall, dass die Rehabilitationseinrichtung aufgrund
eines Versorgungsvertrages nach § 11 Abs. 2, §§ 40,
111 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch mit Hilfe von
Fachkräften Leistungen zur medizinischen Rehabilitation
erbringt, wenn die Fachkräfte die im Vertrag geforderte
berufliche Qualifikation haben. Damit ist die hier
entscheidungserhebliche Frage, ob eine Anerkennung durch den
Mitgliedstaat als eine Einrichtung mit sozialem Charakter vorliegt,
nicht vergleichbar.
ee) Auch rechtfertigt die in Art. 8 Nr. 4 des
Jahressteuergesetzes 2008 (BTDrucks 16/6981 vom 7.11.2007 und
BRDrucks 747/07) zum 1.1.2008 vorgesehene Änderung des §
4 Nr. 25 UStG 1999 keine andere Beurteilung.
Voraussetzung der Steuerbefreiung ist die
Anerkennung als Einrichtung durch den Mitgliedstaat im
entscheidungserheblichen Zeitraum. Davon kann nicht ausgegangen
werden, wenn - wie die Kläger selbst einräumen - in den
Streitjahren die sozialrechtlichen Regelungen (vgl. § 2,
§ 3 und § 75 f. SGB VIII) die Beauftragung der
Kläger durch die Träger der öffentlichen Jugendhilfe
und damit eine unmittelbare rechtliche Beziehung zu diesen nicht
zuließen. Dass der Gesetzgeber ab 1.1.2008 nunmehr die
Steuerbefreiung ausdrücklich auch auf Personen erstreckt,
deren Leistungen von den in § 4 Nr. 25 Buchst. a UStG n.F.
bezeichneten Einrichtungen vergütet werden, rechtfertigt -
entgegen der von den Klägern in ihrem nach Schluss der
mündlichen Verhandlung eingegangenen Schriftsatz vom
13.11.2007 - für zurückliegende Zeiträume keine
andere Beurteilung.