Ambulanter Pflegedienst, Gestellung von Haushaltshilfen, USt-Freiheit: Umsätze, die eine Einrichtung zur ambulanten Pflege kranker und pflegebedürftiger Personen durch Gestellung von Haushaltshilfen i.S. des § 38 SGB V erzielt, sind, sofern die übrigen Voraussetzungen des § 4 Nr. 16 Buchst. e UStG erfüllt sind, steuerfrei. - Urt.; BFH 30.7.2008, XI R 61/07; SIS 08 39 08
I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte
(Klägerin), eine GmbH, ist eine Einrichtung zur ambulanten
Pflege kranker und hilfsbedürftiger Personen. Sie war nur im
Rahmen umfassender Krankenpflege oder pflegerischer Betreuung im
Auftrag von Sozialversicherungsträgern tätig. Die
Abrechnungen erfolgten überwiegend mit Krankenkassen. In den
Streitjahren 1999 bis 2001 wurden die Pflegekosten in mindestens 40
% der Fälle von den gesetzlichen Trägern der
Sozialversicherung oder Sozialhilfe ganz oder zum
überwiegenden Teil getragen.
Neben den typischen pflegerischen
Tätigkeiten führte die Klägerin im Rahmen der von
den Sozialversicherungsträgern anerkannten Grundpflege auch
Tätigkeiten zur hauswirtschaftlichen Versorgung aus, sofern
die Notwendigkeit hierfür durch eine ärztliche
Bescheinigung oder die Unterbringung in einem Krankenhaus u.Ä.
nachgewiesen wurde. Die daraus erzielten Umsätze wurden von
den Versicherungsträgern nach § 38 des Fünften
Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) abgerechnet.
Die Klägerin erklärte in ihren
Umsatzsteuererklärungen für die Streitjahre keine
steuerpflichtigen Umsätze. Der Beklagte und
Revisionskläger (das Finanzamt - FA - ) vertrat
demgegenüber die Auffassung, dass Hilfen im
hauswirtschaftlichen Bereich nach Abschn. 99a Abs. 3 Satz 2 der
Umsatzsteuer-Richtlinien 2000 von der Steuerbefreiung ausgenommen
seien.
Die Klage hatte Erfolg (EFG 2007, 1118 =
SIS 07 22 31).
Mit seiner Revision rügt das FA
Verletzung des § 4 Nr. 16 Buchst. e des Umsatzsteuergesetzes
1993/1999 (UStG) und unzutreffende Anwendung des Art. 13 Teil A
Abs. 1 Buchst. g der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom
17.5.1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der
Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern (Richtlinie
77/388/EWG). Die Gestellung einer Haushaltshilfe nach § 38 SGB
V sei mit einer hauswirtschaftlichen Versorgung nach § 37 SGB
V nicht vergleichbar, denn sie finde losgelöst von der Grund-
und Behandlungspflege des Erkrankten statt. Sie betreffe allein die
Führung des Haushalts einschließlich der Versorgung von
Kindern bis zum zwölften Lebensjahr. Die bisherige
Rechtsprechung habe sich ausschließlich mit der
hauswirtschaftlichen Versorgung in Verbindung mit der Grund- und
Behandlungspflege befasst. Zudem seien nach Art. 13 Teil A Abs. 2
Buchst. b der Richtlinie 77/388/EWG von der Steuerbefreiung nach
Abs. 1 Buchst. g Dienstleistungen ausgeschlossen, wenn sie zur
Ausübung der Tätigkeiten, für die die
Steuerbefreiung gewährt werde, nicht unerlässlich seien
bzw. sie im Wesentlichen dazu bestimmt seien, der Einrichtung
zusätzliche Einnahmen durch Tätigkeiten zu verschaffen,
die in unmittelbarem Wettbewerb mit Tätigkeiten von der
Mehrwertsteuer unterliegenden gewerblichen Unternehmen
durchgeführt würden. Die Gestellung von Haushaltshilfen
sei für die Ausübung der ambulanten Pflege kranker und
pflegebedürftiger Personen nicht unerlässlich und erfolge
im Wettbewerb mit Tätigkeiten von der Mehrwertsteuer
unterliegenden gewerblichen Unternehmen.
Das FA beantragt sinngemäß, das
Urteil des Finanzgerichts (FG) aufzuheben und die Klage
abzuweisen.
Die Klägerin beantragt
sinngemäß, die Revision als unbegründet
zurückzuweisen.
Das Urteil des Gerichtshofs der
Europäischen Gemeinschaften (EuGH) vom 10.9.2000 Rs. C-141/00
- Kügler - (Slg. 2002, I-6833 = SIS 02 97 10) erfasse auch die
von Einrichtungen mit sozialem Charakter erbrachten Leistungen nach
§ 38 SGB V. Diese seien Sachleistungen (Personalgestellung)
der gesetzlichen Sozialversicherungsträger, die durch die
Steuerbefreiung entlastet werden sollten. Wie die Leistungen nach
§ 37 SGB V sei auch die Gestellung einer Haushaltshilfe
ausschließlich durch die Erkrankung bedingt. Sie erfolge nur
aufgrund ärztlicher Bescheinigung oder einer stationären
Unterbringung des den Haushalt Führenden. Sie, die
Klägerin, stehe nicht in Wettbewerb zu gewerblichen
Unternehmen, weil die Zulassung durch die Krankenkassen
Voraussetzung für die Erbringung der Leistung
„Haushaltshilfe“ gewesen sei.
II. Die Revision ist als unbegründet
zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung -
FGO - ). Entgegen der Auffassung des FA verletzt die
Vorentscheidung weder § 4 Nr. 16 Buchst. e UStG noch wendet
sie Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 77/388/EWG
unzutreffend an. Die Umsätze der Klägerin sind, auch
soweit sie Leistungen nach § 38 SGB V durch Gestellung von
Haushaltshilfen erbracht hat, von der Umsatzsteuer befreit.
1. Nach § 4 Nr. 16 Buchst. e UStG sind
u.a. steuerfrei die mit dem Betrieb der Einrichtungen zur
ambulanten Pflege kranker und pflegebedürftiger Personen eng
verbundenen Umsätze, wenn im vorangegangenen Kalenderjahr die
Pflegekosten in mindestens 40 % der Fälle von den gesetzlichen
Trägern der Sozialversicherung oder Sozialhilfe ganz oder zum
überwiegenden Teil getragen worden sind. Die Klägerin
erfüllte diese Voraussetzungen in den Streitjahren.
a) Nach den nicht mit Verfahrensrügen
angegriffenen und daher für den Senat bindenden (§ 118
Abs. 2 FGO) Feststellungen war die Klägerin nur im Rahmen
umfassender Krankenpflege oder pflegerischer Betreuung aufgrund der
mit Sozialversicherungsträgern geschlossenen Vereinbarungen
tätig, wobei die Pflegekosten in mindestens 40 % der
Fälle von den gesetzlichen Trägern der Sozialversicherung
oder Sozialhilfe ganz oder zum überwiegenden Teil getragen
wurden. Damit war sie zugleich als Einrichtung mit sozialem
Charakter i.S. des Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie
77/388/EWG anzuerkennen (vgl. z.B. Urteil des Bundesfinanzhofs -
BFH - vom 24.1.2008 V R 54/06, BFH/NV 2008, 912 = SIS 08 14 83,
unter II.2., m.w.N.; EuGH-Urteil vom 6.11.2003 Rs. C-45/01 -
Dornier -, Slg. 2003, I-12911) = SIS 04 01 38.
b) Leistungen im Rahmen des § 38 SGB V
sind mit dem Betrieb von Einrichtungen zur ambulanten Pflege
kranker und pflegebedürftiger Personen eng verbunden.
„Eng verbunden“ i.S. des Eingangssatzes zu
§ 4 Nr. 16 UStG ist jede Leistung, die für die Pflege und
Versorgung dieses Personenkreises unerlässlich ist (vgl.
BFH-Urteil vom 25.1.2006 V R 46/04, BFHE 211, 571, BStBl II 2006,
481 = SIS 06 16 47, unter II.2.a). Dazu gehört die
hauswirtschaftliche Versorgung, die - wie der V. Senat des BFH
bereits in seinem Vorlagebeschluss vom 3.2.2000 V R 1/98 (BFHE 191,
76 = SIS 00 06 92, unter II.1.a) an den EuGH ausgeführt hat -
insbesondere das Einkaufen, Kochen, Reinigen der Wohnung und das
Waschen der Kleidung erfasst (vgl. auch BFH-Urteil vom 22.4.2004 V
R 1/98, BFHE 205, 514, BStBl II 2004, 849 = SIS 04 27 51, unter
II.2.a, m.w.N.).
Eng verbunden mit der Pflege kranker und
pflegebedürftiger Personen gemäß § 4 Nr. 16
UStG ist darüber hinaus die hauswirtschaftliche Versorgung
durch eine Haushaltshilfe i.S. des § 38 SGB V. Dies ergibt
sich aus § 38 SGB V unmittelbar; danach erhalten Versicherte
eine Haushaltshilfe nämlich nur, wenn ihnen wegen einer
Krankenhausbehandlung oder wegen einer Leistung nach § 23 Abs.
2 oder 4, §§ 24, 37, 40 oder § 41 SGB V die
Weiterführung des Haushalts nicht möglich ist und in dem
Haushalt ein Kind lebt, das bei Beginn der Haushaltshilfe das
zwölfte Lebensjahr noch nicht vollendet hat oder das behindert
und auf Hilfe angewiesen ist.
Dieses Auslegungsergebnis deckt sich auch mit
dem von § 4 Nr. 16 UStG u.a. angestrebten Zweck, zur
Kostenentlastung der Sozialversicherungsträger beizutragen
(BFH-Urteil in BFH/NV 2008, 912 = SIS 08 14 83, unter II.1.c,
m.w.N.), denn auf die Gestellung einer Haushaltshilfe haben die
Versicherten unter den in § 38 SGB V genannten Voraussetzungen
einen Anspruch.
2. Sollte - wie das FA meint - § 4 Nr. 16
Buchst. e UStG die Gestellung einer Haushaltshilfe i.S. des §
38 SGB V nicht erfassen, könnte sich die Klägerin
unmittelbar auf die Steuerbefreiung nach Art. 13 Teil A Abs. 1
Buchst. g der Richtlinie 77/388/EWG berufen (vgl. dazu BFH-Urteile
in BFHE 205, 514, BStBl II 2004, 849 = SIS 04 27 51, unter II.3.;
vom 18.1.2005 V R 99/01, BFH/NV 2005, 1392 = SIS 05 32 93; vom
18.8.2005 V R 71/03, BFHE 211, 543, BStBl II 2006, 143 = SIS 06 01 79).
a) Der EuGH hat mit Urteil in Slg. 2002,
I-6833 auf die Vorlage des BFH in BFHE 191, 76 = SIS 00 06 92
entschieden, dass u.a. die Leistungen im Zusammenhang mit der
hauswirtschaftlichen Versorgung, die körperlich oder
wirtschaftlich hilfsbedürftigen Personen von ambulanten
Pflegediensten erbracht werden, eng mit der Sozialfürsorge und
der sozialen Sicherheit verbundene und damit steuerbefreite
Dienstleistungen i.S. des Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der
Richtlinie 77/388/EWG darstellen (Randnr. 42 ff.). Es besteht kein
vernünftiger Zweifel daran, dass die Versorgung des Haushalts
im Sinne dieser Rechtsprechung auch die Versorgung der in § 38
Abs. 1 SGB V genannten Kinder erfasst. Denn nach dem EuGH-Urteil
vom 9.2.2006 Rs. C-415/04 - Kinderopvang Enschede - (Slg. 2006,
I-1385 = SIS 06 14 58) gehört die Kinderbetreuung, sogar
unabhängig davon, aus welchen Gründen die Eltern zur
Betreuung ihrer Kinder nicht in der Lage sind, ebenfalls zu den eng
mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundenen
Dienstleistungen i.S. von Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der
Richtlinie 77/388/EWG (vgl. dazu auch BFH-Urteil vom 8.11.2007 V R
2/06, BFH/NV 2008, 510 = SIS 08 10 21, unter II.2.a).
b) Der unmittelbaren Anwendung des Art. 13
Teil A Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 77/388/EWG steht auch nicht
Art. 13 Teil A Abs. 2 Buchst. b 2. Gedankenstrich der Richtlinie
77/388/EWG entgegen. Danach sind u.a. von der in Art. 13 Teil A
Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 77/388/EWG vorgesehenen
Steuerbefreiung Dienstleistungen und Lieferungen von
Gegenständen ausgeschlossen, die im Wesentlichen dazu bestimmt
sind, der Einrichtung zusätzliche Einnahmen durch
Tätigkeiten zu verschaffen, die in unmittelbarem Wettbewerb
mit Tätigkeiten von der Mehrwertsteuer unterliegenden
gewerblichen Unternehmen durchgeführt werden. Für
Tätigkeiten, die - wie im Streitfall - den Kernbereich der
gemeinschaftsrechtlichen Befreiungsnorm betreffen, kommt ein
Ausschluss nicht in Frage (BFH-Urteil vom 3.4.2008 V R 74/07 = SIS 08 28 85). In diesem Sinn hat auch der EuGH in seinem Urteil in
Slg. 2002, I-6833 = SIS 02 97 10 die Befreiung der
hauswirtschaftlichen Leistungen eines ambulanten Pflegedienstes
nicht an der Wettbewerbsschutzklausel scheitern lassen.