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Zur umsatzsteuerrechtlichen Anerkennung einer privaten Arbeitsvermittlerin als sonstige Einrichtung mit sozialem Charakter

Zur umsatzsteuerrechtlichen Anerkennung einer privaten Arbeitsvermittlerin als sonstige Einrichtung mit sozialem Charakter: Eine private Arbeitsvermittlerin, die in den Jahren 2004 bis 2006 Vermittlungsleistungen an Arbeitsuchende mit einem Vermittlungsgutschein nach § 421 g SGB III erbracht und ihr Honorar deshalb unmittelbar von der Bundesagentur für Arbeit erhalten hat, ist eine anerkannte Einrichtung mit sozialem Charakter i.S. von Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 77/388/EWG. Sie kann sich - mangels entsprechender Steuerbefreiung im UStG - für die von ihr erbrachten Arbeitsvermittlungsleistungen an Arbeitsuchende unmittelbar auf die in dieser Bestimmung vorgesehene Steuerbefreiung berufen. (Hinweis aus BStBl 2016 II S. 798 auf BMF-Schreiben vom 19. September 2016 - III C 3 - S 7171-b/15/10003 = SIS 16 19 61) - Urt.; BFH 29.7.2015, XI R 35/13; SIS 15 22 54

Kapitel:
Unternehmensbereich > Umsatzsteuer > Umsatzsteuer-Freiheit
Fundstellen
  1. BFH 29.07.2015, XI R 35/13
    BStBl 2016 II S. 797
    DStR 2015 S. 2282
    BFH/NV 2015 S. 1648
    BFHE 251 S. 91

    Anmerkungen:
    zur Veröffentlichung in BStBl II bestimmt nach BMF-Online vom 19.9.2016
    H.F.L. in BFH/PR 12/2015 S. 428
    Ch. Wäger in UR 4/2016 S. 143
Normen
[RL 77/388/EWG] Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g
[SGB III] § 296, § 421 g
Vorinstanz / Folgeinstanz:
  • vor: Schleswig-Holsteinisches FG, 17.07.2013, SIS 13 24 12, Steuerfreiheit, Vermittlungsleistung, Arbeitsvertrag, Sozialfürsorge, Gemeinschaftsrecht
Zitiert in... / geändert durch...
  • FG Münster 1.6.2021, SIS 21 18 41, Frage der Steuerbefreiung von Dienstleistungen einer Hygienefachkraft an Alten- bzw. Pflegeheim: 1. Für d...
  • BFH 21.4.2021, SIS 21 13 41, Zur Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 15 a UStG und Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL: Verwaltungsleistunge...
  • OLG Frankfurt 24.11.2020, SIS 21 13 03, Steuerberaterhaftung, Regressansprüche, Umsatzsteuerfreiheit von Einkünften aus Vermittlungsgutscheinen: ...
  • OLG Frankfurt 24.11.2020, SIS 21 11 61, Steuerberaterhaftung, Regressansprüche, Umsatzsteuerfreiheit von Einkünften aus Vermittlungsgutscheinen: ...
  • FG Münster 10.10.2019, SIS 19 17 68, Steuerbefreiung von Beförderungsumsätzen, Ermittlung der Umsätze im Schätzungswege: 1. Die Voraussetzunge...
  • BFH 31.7.2019, SIS 19 13 79, AdV, Umsätze eines privaten Arbeitsvermittlers, keine Berichtigung von Rechnungen mit gesondertem Ausweis...
  • OFD Frankfurt 29.4.2019, SIS 19 08 24, Umsätze (privater) Arbeitsvermittler: Die OFD Frankfurt a.M. hat den zweiten Abschnitt (Behandlung für Ze...
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  • OFD Karlsruhe 31.1.2017, SIS 17 04 32, Umsatzsteuer, Rechtsprechung: Die OFD Karlsruhe hat ihre Übersicht der im BStBl veröffentlichten Urteile ...
  • BFH 7.12.2016, SIS 17 04 47, Umsatzsteuerbefreiung für Leistungen der Eingliederungshilfe und im Rahmen des "Individuellen Services fü...
  • OFD Frankfurt 21.9.2016, SIS 16 21 80, Arbeitsmarktdienstleistungen, Vermittlungsleistungen, Umsatzsteuerbefreiung: Das BFH-Urteil vom 29.7.2015...
  • BMF 19.9.2016, SIS 16 19 61, Umsatzsteuerliche Behandlung der Leistungen privater Arbeitsvermittler: Eine Einrichtung, die Vermittlung...
  • FG Köln 11.8.2016, SIS 16 26 55, Steuerfreiheit von Leistungen im Bereich der Behindertenhilfe: Umsätze als Subunternehmer im Bereich der ...
  • Niedersächsisches FG 15.6.2016, SIS 17 09 79, Voraussetzungen der Steuerfreiheit von Leistungen einer selbständigen Betreuerin (Subunternehmerin) für e...
  • BFH 6.4.2016, SIS 16 10 17, Umsatzsteuerfreie Betreuungsleistungen: Betreuungsleistungen einer juristischen Person sind unter Berufun...
  • FG Berlin-Brandenburg 9.3.2016, SIS 16 13 14, Keine Umsatzsteuerbefreiung von Leistungen gegenüber Nichterwerbstätigen im Rahmen eines sog. Lotsendiens...
  • BFH 18.2.2016, SIS 16 09 18, Personenbezogene Voraussetzungen der Steuerbefreiung nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. g und i MwStSystRL: Wir...
  • OFD Frankfurt 7.1.2016, SIS 16 02 79, Arbeitsmarktdienstleistungen, Vermittlungsleistungen, Umsatzsteuerbefreiung: Im Hinblick auf das BFH-Urte...

Auf die Revision der Klägerin werden das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Finanzgerichts vom 17.7.2013 4 K 32/11 = SIS 13 24 12 und die Einspruchsentscheidung des Beklagten vom 18.1.2011 aufgehoben.

Die Umsatzsteuer wird unter Änderung der Umsatzsteuerbescheide des Beklagten für die Jahre 2004, 2005 und 2006 vom 10.10.2008 für das Jahr 2004 auf ... EUR, für das Jahr 2005 auf ... EUR und für das Jahr 2006 auf ... EUR festgesetzt.

Die Kosten des gesamten Verfahrens hat der Beklagte zu tragen.

 

1

I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) erbrachte in den Besteuerungszeiträumen 2004 bis 2006 (Streitjahre) u.a. Leistungen als Arbeitsvermittlerin.

 

 

2

Ihre Leistungen bestanden darin, Arbeitsuchende durch Vermittlung eines geeigneten sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnisses wieder in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Dazu schloss die Klägerin einen „Vermittlungsvertrag“ mit dem jeweiligen Arbeitsuchenden ab, in dem sie sich verpflichtete, diesen mittels ihres Internetsystems bei der Erstellung eines umfassenden Bewerberprofils zu unterstützen und ihm nach Erstellung des Bewerberprofils geeignete Stellen vorzuschlagen. Die Leistung der Klägerin umfasste neben der Erstellung des Profils der beruflichen Fähigkeiten des Bewerbers und der Suche nach geeigneten Arbeitsplätzen außerdem ein individuelles Bewerbungstraining, die Optimierung der Bewerbungsunterlagen, die Vorbereitung auf ein Bewerbungsgespräch sowie die Vor- und Nachbereitung von Bewerbungen. Der Arbeitsuchende verpflichtete sich zur Zahlung eines Vermittlungshonorars in bestimmter Höhe; der Anspruch darauf entstand mit Abschluss des Arbeitsvertrages zwischen ihm und einem von der Klägerin vorgeschlagenen Unternehmen. Außerdem bestätigte er u.a., dass er seit mehr als drei Monaten arbeitslos gemeldet und im Besitz eines von seinem zuständigen Arbeitsamt erteilten Vermittlungsgutscheins sei. Er verpflichtete sich, der Klägerin im Fall einer erfolgreichen Vermittlung eine von dem neuen Arbeitgeber ausgefüllte und unterschriebene Vermittlungsbestätigung zurückzugeben und wurde darauf hingewiesen, dass die Klägerin diese Bestätigung und den Vermittlungsgutschein dem Arbeitsamt vorlegen müsse, weil andernfalls die Vermittlungsprovision nicht vom Arbeitsamt gezahlt werde.

 

 

3

Ein vertragliches Verhältnis zwischen der Klägerin und der Bundesagentur für Arbeit (BA) bestand nicht.

 

 

4

Nach erfolgreicher Vermittlung beantragte die Klägerin bei der BA mit einem von dieser herausgegebenen Vordruck unter Vorlage der Vermittlungsbestätigung und des Vermittlungsgutscheins die direkte Zahlung der vereinbarten Vermittlungsprovision gemäß § 421g Abs. 2 Satz 4 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch (SGB III) - Arbeitsförderung - durch die BA. Die Klägerin behandelte die ihr daraufhin von der BA gezahlten Vermittlungsprovisionen als Entgelte für umsatzsteuerfreie Leistungen.

 

 

5

Nach einer Außenprüfung sah der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA - ) die den von der Klägerin vereinnahmten Vermittlungsprovisionen zu Grunde liegenden Umsätze als zum Regelsteuersatz steuerpflichtig an und erließ am 10.10.2008 geänderte Umsatzsteuerbescheide für 2004 bis 2006.

 

 

6

Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg. Das klageabweisende Urteil des Finanzgerichts (FG) ist in EFG 2013, 1615 = SIS 13 24 12 veröffentlicht.

 

 

7

Das FG führte aus, für die von der Klägerin gegenüber den Arbeitsuchenden erbrachten Vermittlungsleistungen komme keine Steuerbefreiung nach nationalem Recht in Betracht; ihre Leistungen seien keine Vorträge, Kurse oder andere Veranstaltungen belehrender Art i.S. von § 4 Nr. 22 Buchst. a des Umsatzsteuergesetzes (UStG), noch dienten sie unmittelbar dem Schul- oder Bildungszweck i.S. von § 4 Nr. 21 UStG.

 

 

8

Die Klägerin könne sich auch nicht auf Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17.5.1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern (Richtlinie 77/388/EWG) berufen, da die dort genannten Voraussetzungen nicht erfüllt seien. Zwar erbringe sie eine Leistung, die eng mit der Sozialfürsorge oder der sozialen Sicherheit verbunden sei. Sie sei jedoch keine anerkannte Einrichtung mit sozialem Charakter im Sinne dieser Bestimmung.

 

 

9

Mit der Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts.

 

 

10

Entgegen der Ansicht des FG sei für ihre Anerkennung als sonstige Einrichtung mit sozialem Charakter i.S. von Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 77/388/EWG nicht erforderlich, dass unmittelbare vertragliche Beziehungen zwischen ihr und einem Träger der sozialen Sicherheit bestünden.

 

 

11

Die Klägerin beantragt sinngemäß, das Urteil des FG und die Einspruchsentscheidung des FA vom 18.1.2011 aufzuheben sowie die Umsatzsteuerbescheide für 2004 bis 2006 vom 10.10.2008 dahingehend zu ändern, dass die festgesetzte Umsatzsteuer für 2004 um ... EUR, für 2005 um ... EUR und für 2006 um ... EUR vermindert wird.

 

 

12

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

 

13

Es hält die Vorentscheidung für zutreffend.

 

 

14

II. Die Revision der Klägerin ist begründet. Das Urteil des FG ist aufzuheben und der Klage stattzugeben (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO - ).

 

 

15

Die Klägerin, deren Leistungen - wie das FG zu Recht dargelegt hat - in den Streitjahren nach nationalem Recht nicht von der Umsatzsteuer befreit waren, kann sich - entgegen der Auffassung des FG - unmittelbar auf die in Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 77/388/EWG vorgesehene Steuerbefreiung berufen (vgl. zur Berufungsmöglichkeit auf diese Bestimmung z.B. Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union - EuGH - Zimmermann vom 15.11.2012 C-174/11, EU:C:2012:716, UR 2013, 35 = SIS 13 02 30, Rz 31 bis 33; Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 8.11.2007 V R 2/06, BFHE 219, 428, BStBl II 2008, 634 = SIS 08 10 21, unter II.2., Rz 27 und 28; vom 25.4.2013 V R 7/11, BFHE 241, 475, BStBl II 2013, 976 = SIS 13 20 29, Rz 13 ff.; vom 16.10.2013 XI R 19/11, BFH/NV 2014, 190 = SIS 14 00 45, Rz 19 ff.).

 

 

16

1. Nach Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 77/388/EWG befreien die Mitgliedstaaten von der Steuer die „eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundenen Dienstleistungen ... durch Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder andere von dem betreffenden Mitgliedstaat als Einrichtungen mit sozialem Charakter anerkannte Einrichtungen“.

 

 

17

Diese Richtlinienbestimmung war in den Streitjahren lediglich dadurch „umgesetzt“ worden, dass das UStG die bereits bei Inkrafttreten der Richtlinie 77/388/EWG vorhandenen, teilweise bereits im UStG 1951 enthaltenen Steuerbefreiungstatbestände im Wesentlichen unverändert weitergeführt hat (vgl. BFH-Urteile vom 18.8.2005 V R 71/03, BFHE 211, 543, BStBl II 2006, 143 = SIS 06 01 79, unter II.2.d, Rz 40; vom 17.2.2009 XI R 67/06, BFHE 224, 183, BFH/NV 2009, 869 = SIS 09 10 06, unter II.2., Rz 34; vom 8.6.2011 XI R 22/09, BFHE 234, 448, BFH/NV 2011, 1804 = SIS 11 27 64, Rz 24; in BFH/NV 2014, 190 = SIS 14 00 45, Rz 20).

 

 

18

Eine Umsetzung erfolgte für den Bereich der Arbeitsförderung nach dem SGB III erst mit Wirkung vom 1.1.2015 durch die Einfügung von § 4 Nr. 15b UStG (vgl. Art. 9 Nr. 3 Buchst. a i.V.m. Art. 28 Abs. 5 des Gesetzes zur Anpassung des nationalen Steuerrechts an den Beitritt Kroatiens zur EU und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften).

 

 

19

2. Wie das FG zutreffend im Einzelnen dargelegt hat und auch zwischen den Beteiligten nicht umstritten ist, sind die streitgegenständlichen Leistungen der Klägerin eng mit der Sozialfürsorge oder der sozialen Sicherheit verbundene Umsätze (vgl. auch FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 21.4.2010 2 K 998/05, EFG 2010, 2037 = SIS 10 25 15, Rz 46 f. sowie die Gesetzesbegründung zu dem ab 2015 geltenden § 4 Nr. 15b UStG, BTDrucks 18/1529, S. 76).

 

 

20

3. Entgegen der Auffassung des FG war die Klägerin in den Jahren 2004 bis 2006 mit den streitgegenständlichen Umsätzen als Einrichtung mit sozialem Charakter anerkannt.

 

 

21

a) Der Begriff der „Einrichtung“ i.S. von Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 77/388/EWG ist nach ständiger Rechtsprechung des EuGH und des BFH weit genug, um auch natürliche Personen, die - wie die Klägerin - ein Unternehmen mit Gewinnerzielungsabsicht betreiben, zu erfassen (vgl. z.B. EuGH-Urteile Gregg vom 7.9.1999 C-216/97, EU:C:1999:390, UR 1999, 419 = SIS 00 01 53, Rz 17 und 21; Kingscrest Associates und Montecello vom 26.5.2005 C-498/03, EU:C:2005:322, UR 2005, 453 = SIS 05 30 13, Rz 35 und 36; „go fair“ Zeitarbeit vom 12.3.2015 C-594/13, EU:C:2015:164, UR 2015, 351 = SIS 15 06 04, Rz 27; ebenso BFH-Urteile in BFHE 211, 543, BStBl II 2006, 143 = SIS 06 01 79, unter II.2.d cc (2), Rz 49; vom 1.12.2010 XI R 46/08, BFHE 232, 232, BFH/NV 2011, 712 = SIS 11 05 50, Rz 25).

 

 

22

b) Die „Anerkennung“ einer Einrichtung als Einrichtung mit sozialem Charakter kann sich ergeben aus spezifischen Vorschriften - seien es nationale oder regionale, Rechts- oder Verwaltungsvorschriften, Steuervorschriften oder Vorschriften im Bereich der sozialen Sicherheit -, dem mit den Tätigkeiten des betreffenden Steuerpflichtigen verbundenen Gemeinwohlinteresse, der Tatsache, dass andere Steuerpflichtige mit den gleichen Tätigkeiten bereits in den Genuss einer ähnlichen Anerkennung kommen, und dem Gesichtspunkt, dass die Kosten der fraglichen Leistungen unter Umständen zum großen Teil von Krankenkassen oder anderen Einrichtungen der sozialen Sicherheit übernommen werden (vgl. z.B. EuGH-Urteile Kügler vom 10.9.2002 C-141/00, EU:C:2002:473, UR 2002, 513 = SIS 02 97 10, Rz 57 und 58; Kingscrest Associates und Montecello, EU:C:2005:322, UR 2005, 453 = SIS 05 30 13, Rz 52 und 53; Zimmermann, EU:C:2012:716, UR 2013, 35 = SIS 13 02 30, Rz 31; „go fair“ Zeitarbeit, EU:C:2015:164, UR 2015, 351 = SIS 15 06 04, Rz 20). Die Mitgliedstaaten verfügen insoweit über ein Ermessen (vgl. z.B. EuGH-Urteile Zimmermann, EU:C:2012:716, UR 2013, 35 = SIS 13 02 30, Rz 26; „go fair“ Zeitarbeit, EU:C:2015:164, UR 2015, 351 = SIS 15 06 04, Rz 19, jeweils m.w.N.).

 

 

23

c) Hierzu hat der BFH in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass die Anerkennung eines Unternehmers als eine Einrichtung mit sozialem Charakter auch aus der Übernahme der Kosten für seine Leistungen durch Krankenkassen oder andere Einrichtungen der sozialen Sicherheit abgeleitet werden kann (vgl. z.B. BFH-Urteile in BFHE 211, 543, BStBl II 2006, 143 = SIS 06 01 79, unter II.2.d cc (2), Rz 52; in BFHE 219, 428, BStBl II 2008, 634 = SIS 08 10 21, unter II.2.b cc, Rz 41; in BFHE 232, 232, BFH/NV 2011, 712 = SIS 11 05 50, Rz 34; in BFHE 234, 448, BFH/NV 2011, 1804 = SIS 11 27 64, Rz 38; vom 8.8.2013 V R 8/12, BFHE 242, 548, BFH/NV 2014, 119 = SIS 13 30 68, Rz 40, jeweils m.w.N.).

 

 

24

d) Die Anerkennung der Klägerin folgte aus der in § 421g und § 296 SGB III geregelten Kostenübernahme durch die BA.

 

 

25

aa) Beide Vorschriften wurden durch das Gesetz zur Vereinfachung der Wahl der Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsrat vom 23.3.2002 (BGBl I 2002, 1130) zur Einführung des sog. Vermittlungsgutscheins geändert, wodurch für arbeitslose Leistungsbezieher die Möglichkeit eröffnet werden sollte, auf Kosten des Arbeitsamtes einen (privaten) Vermittler zu beauftragen (Gesetzesbegründung zu § 421g Abs. 1 SGB III, BTDrucks 14/8546, S. 10). Dieses Verfahren trat an die Stelle der ansonsten kostenfreien Vermittlung durch die BA selbst (Urteil des Bundessozialgerichts - BSG - vom 6.4.2006 B 7a AL 56/05 R, BSGE 96, 190, NJW 2007, 1902, Rz 20).

 

 

26

Nach § 421g Abs. 1 SGB III (in der in den Streitjahren 2004 und 2005 geltenden Fassung) haben bestimmte Personen Anspruch auf Erteilung eines Vermittlungsgutscheins gegenüber der BA (Satz 1). Mit diesem Vermittlungsgutschein verpflichtet sich die BA, den Vergütungsanspruch eines vom Anspruchsberechtigten eingeschalteten Vermittlers, der diesen in eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung mit einer Arbeitszeit von mindestens 15 Stunden wöchentlich vermittelt hat, nach Maßgabe bestimmter Bestimmungen zu erfüllen (Satz 2; ab 2005: § 421g Abs. 1 Satz 4 SGB III). Die Zahlung erfolgt unmittelbar an den Vermittler (§ 421g Abs. 2 Satz 4 SGB III; ab 2005: § 421g Abs. 2 Satz 3 SGB III).

 

 

27

Ergänzend bestimmte § 296 Abs. 4 SGB III: „Ein Arbeitsuchender, der dem Vermittler einen Vermittlungsgutschein vorlegt, kann die Vergütung abweichend von § 266 des Bürgerlichen Gesetzbuchs in Teilbeträgen zahlen. Die Vergütung ist nach Vorlage des Vermittlungsgutscheins bis zu dem Zeitpunkt gestundet, in dem die Agentur für Arbeit nach Maßgabe von § 421g gezahlt hat.“

 

 

28

Wenn mithin einerseits der Arbeitsvermittler seinen privatrechtlichen Anspruch gegen den Vermittelten nicht durchsetzen kann (§ 296 Abs. 4 SGB III), andererseits an die Stelle dieses privatrechtlichen Anspruchs eine Verpflichtung der BA zur unmittelbaren Zahlung an den Vermittlungsmakler tritt (§ 421g Abs. 1 Satz 2 SGB III; ab 2005: § 421g Abs. 1 Satz 4 SGB III), so wird der Vermittler selbst Inhaber eines öffentlich-rechtlichen gesetzlichen Zahlungsanspruchs gegen die BA (vgl. BSG-Urteil in BSGE 96, 190, NJW 2007, 1902, Rz 15).

 

 

29

bb) Nach den Feststellungen des FG hat die Klägerin in allen streitgegenständlichen Fällen Zahlungen der insoweit als Träger der sozialen Sicherheit handelnden BA aufgrund von Vermittlungsgutscheinen erhalten. Die Kosten wurden demgemäß in vollem Umfang - aufgrund eines entsprechenden öffentlich-rechtlichen gesetzlichen Zahlungsanspruchs - tatsächlich von einer Einrichtung der sozialen Sicherheit übernommen. Das reicht für eine Anerkennung i.S. von Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 77/388/EWG aus (vgl. auch Meyer, EFG 2013, 1617, 1618).

 

 

30

cc) Dem vom FG für seine Auffassung angeführten Urteil in BFHE 219, 428, BStBl II 2008, 634 = SIS 08 10 21 lag ein anderer Sachverhalt zu Grunde. Denn die dortigen Kläger waren als Sozialarbeiter selbständig in der ambulanten Kinder-, Jugend- und Familienhilfe im Auftrag eines als gemeinnützig anerkannten Vereins tätig; sie erhielten - im Gegensatz zur Klägerin im Streitfall - keine direkten Zahlungen aufgrund eines entsprechenden öffentlich-rechtlichen gesetzlichen Zahlungsanspruchs von einem Träger der sozialen Sicherheit.

 

 

31

Zwar hat der BFH in seinem Urteil in BFHE 219, 428, BStBl II 2008, 634 = SIS 08 10 21 ausgeführt, die Anerkennung lasse sich nicht schon daraus ableiten, dass die Einrichtung (hier der Verein), an die die Kläger als deren Subunternehmer ihre Leistungen erbracht haben, vom Mitgliedstaat ausdrücklich oder zumindest aufgrund unmittelbarer vertraglicher Beziehungen zu dem örtlichen Träger der Sozialversicherung anerkannt worden sei. Die Anerkennung des betreffenden Mitgliedstaates als eine „Einrichtung mit vergleichbarer Zielrichtung“ - hierauf bezieht sich das FG in Rz 36 seines Urteils - setze „zumindest eine unmittelbare vertragliche - Inhalt, Umfang sowie Verantwortung für die vertragsgemäße Durchführung konkretisierende - Beziehung zwischen diesem bzw. seinen Untergliederungen und dem Unternehmer voraus“ (vgl. unter II.2.b cc, Rz 43 der Entscheidungsgründe). Diese Formulierung des BFH bezog sich aber erkennbar allein auf das im dortigen Streitfall vorliegende Subunternehmerverhältnis (vgl. auch II.2.b cc, Rz 42 der Entscheidungsgründe). Zudem hatte der BFH vor dieser Aussage die Rechtsprechung wiedergegeben, die Anerkennung eines Unternehmers als eine Einrichtung mit sozialem Charakter könne auch aus der Übernahme der Kosten für seine Leistungen durch Krankenkassen oder andere Einrichtungen der sozialen Sicherheit abgeleitet werden (vgl. unter II.2.b cc, Rz 41 der Entscheidungsgründe). Wenn der BFH dort fortfährt, „so“ könne „für die Anerkennung auch gewürdigt werden, dass der Leistende die begünstigten Leistungen aufgrund vertraglicher Vereinbarungen mit Trägern der Sozialversicherung erbracht“ habe, bedeutet dies nicht, dass nur bei Vorliegen (unmittelbarer) vertraglicher Vereinbarungen eine Anerkennung in Betracht komme. Eine derartige Einschränkung stünde auch nicht im Einklang mit der einschlägigen Rechtsprechung des EuGH, die - wie unter II.3.b dargelegt - (lediglich) darauf abstellt, ob „die Kosten der fraglichen Leistungen ... von Einrichtungen der sozialen Sicherheit übernommen werden“.

 

 

32

Dem BFH-Urteil in BFHE 219, 428, BStBl II 2008, 634 = SIS 08 10 21 lässt sich deshalb nicht entnehmen, dass die Klägerin im vorliegenden Streitfall zwingend ein Vertragsverhältnis mit den zuständigen Trägern der Arbeitsverwaltung hätte haben müssen, um als „Einrichtung mit sozialem Charakter“ anerkannt zu werden (zutreffend Weigel, Der Umsatz-Steuer-Berater - UStB - 2013, 257, 258).

 

 

33

dd) Einer Anerkennung der Klägerin steht auch nicht der vom FG ferner genannte BFH-Beschluss vom 26.1.2012 V R 52/10 (BFH/NV 2012, 817 = SIS 12 10 87) entgegen, wonach die nachträgliche Kostenübernahme nach Einzelfallprüfung für eine Anerkennung als Einrichtung mit sozialem Charakter nicht genügt, da bereits im Zeitpunkt der Leistung feststehen müsse, ob die Leistungen steuerbefreit seien oder nicht (BFH-Beschluss in BFH/NV 2012, 817 = SIS 12 10 87, Rz 4). Denn im Streitfall war die BA aufgrund des Vermittlungsgutscheins - bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen - zur Zahlung verpflichtet, ein Ermessen bestand nicht (vgl. § 421g Abs. 1 Satz 2 SGB III bzw. ab 1.1.2005: § 421g Abs. 1 Satz 4 SGB III; ebenso Weigel, UStB 2013, 257, 258).

 

 

34

4. Es liegen auch keine sonstigen Gründe vor, die einer Berufung der Klägerin auf das Unionsrecht entgegenstehen. Die Leistungen der Klägerin sind keine solchen, die i.S. von Art. 13 Teil A Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 77/388/EWG als für die soziale Sicherheit „nicht unerlässlich“ anzusehen sind oder die im Wesentlichen dazu bestimmt sind, der Einrichtung zusätzliche Einnahmen durch Umsätze zu verschaffen, die in unmittelbarem Wettbewerb mit Umsätzen von der Mehrwertsteuer unterliegenden gewerblichen Unternehmen bewirkt werden (vgl. dazu BFH-Urteil in BFH/NV 2014, 190 = SIS 14 00 45, Rz 26).

 

 

35

5. Ob sich für private Arbeitsvermittler die Voraussetzungen für eine Anerkennung als Einrichtung mit sozialem Charakter durch die Notwendigkeit einer vorherigen Zulassung in § 176 Abs. 1, § 178 SGB III mit Wirkung vom 1.4.2012 geändert haben, hat der Senat im Streitfall nicht zu entscheiden. Eine vergleichbare Zulassung war für private Arbeitsvermittler in den Streitjahren 2004 bis 2006 nicht erforderlich.

 

 

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6. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.