Jugenderziehung, Voraussetzungen der USt-Freiheit: Die Beherbergung und Verköstigung von Jugendlichen für ca. eine Woche in einem Urlaubsaufenthalt mit Freizeitangebot und Freizeitgestaltung erfüllt die in § 4 Nr. 23 UStG 1993 und 1999 vorausgesetzte "Aufnahme zu Erziehungs-, Ausbildungs- und Fortbildungszwecken" nicht. - Urt.; BFH 30.7.2008, V R 66/06; SIS 09 05 13
I. Streitig ist die Steuerpflicht der von
der Klägerin und Revisionsbeklagten (Klägerin)
ausgeführten Umsätze.
Die Klägerin betrieb im Streitjahr
(1999) einen Ferienbauernhof. Nach dem Prospekt der Klägerin
richtete sich das Angebot des Ferienbauernhofs an Betreuer und
Betreuerinnen von Schulen, Kindergärten und anderen
Kindergruppen, an alleinreisende Kinder sowie an Kinder, die mit
ihren Eltern verreisen. Als Aktivitäten nennt der Prospekt
u.a. Pflege der Tiere, Reiten, Herstellen naturnaher Produkte und
vollwertiger Lebensmittel, Ausflüge, Leben wie ein Indianer,
Kennenlernen des Gartens, Gruppen- und Ballspiele usw. Bei
Gruppenfahrten unterstützte die Klägerin die Betreuer bei
der Planung und Durchführung der Freizeit, indem sie
Programmpunkte wie Tierpflege, Backen, Longieren, Tonarbeiten etc.
anbot, die von ihr und ihren Mitarbeitern eigenverantwortlich
durchgeführt wurden. Nach Wunsch übernahm die
Klägerin laut Prospekt die gesamte Betreuung. Die
Klägerin bot in ihrem Hausprospekt Vollbetreuung für
alleinreisende Kinder und geschlossene Gruppen an sowie Mithilfe
bei der Betreuung von geschlossenen Gruppen.
Der Anteil der beherbergten alleinreisenden
Kinder betrug 39 % und der von Schulklassen 61 %. Das Alter der
Kinder lag zwischen 8 und 15 Jahren. Die Aufenthaltsdauer betrug
bei alleinreisenden Kindern durchschnittlich eine Woche, im
Einzelfall allerdings auch bis zu drei Wochen, bei Gruppen im
Durchschnitt fünf Tage.
Für das Streitjahr (1999)
erklärte die Klägerin steuerfreie Umsätze nach
§ 4 Nr. 23 des Umsatzsteuergesetzes 1993 und dem
wortlautgleichen § 4 Nr. 23 UStG 1999 (im Folgenden UStG). In
der Folge reichte sie eine berichtigte Umsatzsteuererklärung
für 1999 ein, in welcher sie erneut die Anwendung der
Umsatzsteuerbefreiung gemäß § 4 Nr. 23 UStG ab
1.1.1999 geltend machte. Der Beklagte und Revisionskläger (das
Finanzamt - FA - ) stimmte der Erklärung zu.
Später vertrat das FA die Auffassung,
dass die Voraussetzungen für eine Steuerbefreiung nach §
4 Nr. 23 UStG nicht vorlägen,
und setzte mit Änderungsbescheid vom
11.5.2001 Umsatzsteuer in Höhe von 8.921 DM fest.
Nach vergeblichem Einspruchsverfahren gab
das Finanzgericht (FG) der Klage mit seinem in EFG 2005, 1975 = SIS 06 04 91 veröffentlichten Urteil statt. Zur Begründung
führte es im Wesentlichen aus, die Umsätze der
Klägerin seien nach § 4 Nr. 23 UStG steuerfrei. Sie habe
Betreuungsleistungen, die als „Erziehung“ i.S. des
§ 4 Nr. 23 UStG zu qualifizieren seien, erbracht.
Soweit die Klägerin alleinreisende
Kinder im Alter von 8 bis 15 Jahren bei sich aufgenommen habe, sei
offenkundig, dass sie die erforderlichen Betreuungsmaßnahmen
entweder persönlich, durch ihren Ehemann oder ihre Mitarbeiter
durchgeführt habe, da diese Kinder nicht von anderen Personen
begleitet worden seien, die die Betreuung hätten
übernehmen können.
Eine eigenständige Betreuung liege
darüber hinaus auch bei den Gruppenfahrten vor. Ausweislich
ihres Hausprospektes habe die Klägerin bzw. deren Mitarbeiter
bei diesen Fahrten Programmpunkte wie Tierpflege, Backen,
Longieren, Tonarbeiten usw. eigenverantwortlich durchgeführt.
Außerdem seien die Kinder auch in die Zubereitung der eigenen
Mahlzeiten eingebunden worden.
Mit diesen Betreuungsleistungen habe die
Klägerin Erziehungsaufgaben übernommen, da sie den
Kindern naturkundliches Wissen vermittelt und den Tagesablauf
sinnvoll gestaltet habe.
Dass Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. h der
Sechsten Richtlinie des Rates vom 17.5.1977 zur Harmonisierung der
Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern
(Richtlinie 77/388/EWG) nur Einrichtungen des öffentlichen
Rechts oder andere von dem betreffenden Mitgliedstaat als
Einrichtungen mit sozialem Charakter anerkannte Einrichtungen
begünstige, stehe der Gewährung der Steuerbefreiung nach
§ 4 Nr. 23 UStG nicht entgegen. Selbst wenn § 4 Nr. 23
UStG nicht gemeinschaftsrechtskonform sei, gehe das für die
Klägerin günstigere nationale Recht vor, das
Einrichtungen und „Personen“ begünstige und nicht
ausdrücklich eine „Anerkennung“
voraussetze.
Mit der Revision rügt das FA
Verletzung materiellen Rechts (§ 4 Nr. 23 UStG). Im
Wesentlichen trägt es vor, wenn eine nationale Regelung eine
Auslegung erlaube, müssten dabei die gemeinschaftsrechtlichen
Vorgaben beachtet werden, die sich aus der Richtlinie 77/388/EWG
und den hierzu ergangenen Entscheidungen des Gerichtshofs der
Europäischen Gemeinschaften ergäben. Der Bundesfinanzhof
(BFH) habe in seiner Rechtsprechung ausdrücklich auf das
Erfordernis einer engen Auslegung von Befreiungsvorschriften
hingewiesen, wenn dies unter Berücksichtigung des
Gemeinschaftsrechts erforderlich sei (Urteil vom 15.7.2004 V R
27/03, BFHE 206, 471, BStBl II 2004, 862 = SIS 04 35 29). Dabei
könne eine richtlinienkonforme Auslegung auch zu einem
für den Steuerpflichtigen im Einzelfall ungünstigeren
Ergebnis als bei bloßer Betrachtung der nationalen Rechtsnorm
führen. Danach reiche es im Hinblick auf § 4 Nr. 23 UStG
nicht aus, dass der Unternehmer ähnliche Ziele verfolge wie
die öffentliche Einrichtung. Vielmehr sei auch für
Unternehmer des § 4 Nr. 23 UStG erforderlich, dass sie als
eine vergleichbare Einrichtung anerkannt sind. Dieser
Rechtsauffassung habe sich für die Auslegung des
Befreiungstatbestandes des § 4 Nr. 23 UStG auch der
Bundesgerichtshof im Urteil vom 6.7.2006 IX ZR 88/02 (BFH/NV
Beilage 2007, 123, UR 2007, 217 = SIS 06 42 45) betreffend die
Frage der Steuerbefreiung der Umsätze eines Reiterhofes
angeschlossen.
Die Klägerin sei keine im Sinne der
Richtlinie 77/388/EWG anerkannte Einrichtung. Auch verbiete es der
Grundsatz der steuerlichen Neutralität, gleichartige und
deshalb miteinander in Wettbewerb stehende Leistungen hinsichtlich
der Mehrwertsteuer unterschiedlich zu behandeln. So habe der BFH
bereits im Urteil vom 28.9.2000 V R 26/99 (BFHE 192, 360, BStBl II
2001, 691 = SIS 01 01 54) entschieden, dass der Betrieb einer
Gastwirtschaft und Fremdenpension, die hauptsächlich mit
Schulklassen sowie Kinder- und Jugendgruppen belegt gewesen sei,
keine Einrichtung auf dem Gebiet der Kinder- und Jugendbetreuung
oder der Kinder- und Jugenderziehung i.S. von Art. 13 Teil A Abs. 1
Buchst. h oder i der Richtlinie 77/388/EWG sei.
Das FA beantragt, das angefochtene Urteil
aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
Die Vorschrift des § 4 Nr. 23 UStG
beschränke nach ihrem Wortlaut den Anwendungsbereich - im
Gegensatz zu Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. h und i der Richtlinie
77/388/EWG - nicht auf Einrichtungen mit sozialem Charakter bzw.
Einrichtungen mit einer vergleichbaren Zielsetzung wie
Einrichtungen des öffentlichen Rechts. Im Übrigen
betriebe sie, die Klägerin, auch unter Berücksichtigung
des Abschn. 117 Abs. 2 Sätze 2 bis 8 der
Umsatzsteuer-Richtlinien (UStR) 2005 eine Einrichtung mit sozialem
Charakter bzw. mit einer vergleichbaren Zielsetzung, die einer
Einrichtung des öffentlichen Rechts gleichzustellen
sei.
II. Die Revision des FA ist begründet;
sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur
Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Satz 1
Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO - ).
Entgegen der Auffassung des FG sind die
Umsätze der Klägerin nicht gemäß § 4 Nr.
23 UStG steuerfrei.
1. Nach § 4 Nr. 23 Satz 1 UStG ist die
Gewährung von Beherbergung, Beköstigung und der
üblichen Naturalleistungen durch Personen und Einrichtungen
steuerfrei, wenn sie überwiegend Jugendliche für
Erziehungs-, Ausbildungs- oder Fortbildungszwecke oder für
Zwecke der Säuglingspflege bei sich aufnehmen, soweit die
Leistungen an die Jugendlichen oder an die bei ihrer Erziehung,
Ausbildung, Fortbildung oder Pflege tätigen Personen
ausgeführt werden. Jugendliche im Sinne dieser Vorschrift sind
alle Personen vor Vollendung des 27. Lebensjahres (§ 4 Nr. 23
Satz 2 UStG).
§ 4 Nr. 23 UStG setzt eine
„Aufnahme bei sich“ für Erziehungs-,
Ausbildungs- oder Fortbildungszwecke voraus. Die Steuerbefreiung
beruht im Wesentlichen auf der Neufassung des § 4 Nr. 13 UStG
durch das Zweite Umsatzsteueränderungsgesetz vom 30.7.1952
(BGBl I 1952, 393). Sie sollte die bereits bestehende
Umsatzsteuerbegünstigung dahingehend erweitern, dass diese
auch Schullandheimen und anderen mit Schul- und
Erziehungsmaßnahmen in Zusammenhang stehenden Einrichtungen
und damit umfassend Einrichtungen im Bereich der Jugenderziehung
und -ausbildung zugute kommen (vgl. BFH-Urteil vom 24.5.1989 V R
127/84, BFHE 157, 464, BStBl II 1989, 912 = SIS 89 22 36; Eckhardt/
Weiß, Umsatzsteuergesetz, § 4 Nr. 23 Rz 1; Knopp,
Deutsche-Steuer-Zeitung/Ausgabe A 1952, 310). § 4 Nr. 23 UStG
schreibt zwar eine bestimmte Aufnahmedauer nicht vor. Es
genügt deshalb, wenn die Aufnahme solange andauert, dass der
im Gesetz vorausgesetzte Erziehungszweck erreicht werden kann (vgl.
BFH-Urteile vom 19.12.1963 V 102/61 U, BFHE 78, 280, BStBl III
1964, 110 = SIS 64 00 69; Handzik in Offerhaus/Söhn/Lange,
§ 4 Nr. 23 UStG Rz 13; Schuhmann in Rau/Dürrwächter,
Umsatzsteuergesetz, § 4 Nr. 23 Rz 15; Kraeusel in
Reiß/Kraeusel/Langer, UStG § 4 Nr. 23 Rz 11; Oelmaier in
Sölch/Ringleb, Umsatzsteuer, § 4 Nr. 23 Rz 27).
Der Senat hat daher im Urteil in BFHE 78, 280,
BStBl III 1964, 110 = SIS 64 00 69 eine fünfstündige
Aufnahme von Schülern an allen Schultagen in der Arbeits- und
Freizeit als ausreichend beurteilt. Abzugrenzen ist die Aufnahme zu
Erziehungs-, Ausbildungs- oder Fortbildungszwecken jedoch von
Leistungen der Beherbergung und Verköstigung während
eines kurzfristigen Urlaubsaufenthalts mit Freizeitangebot und
Freizeitgestaltung. Hierbei kann dahinstehen, ob entsprechend
Abschn. 117 Abs. 2 Satz 4 UStR 1996 (nunmehr Abschn. 117 Abs. 4
Satz 4 UStR 2008) bei Kindergärten, Kindertagesstätten
und Kinderheimen eine Aufnahmedauer von mindestens einem Monat
für die Annahme eines Erziehungszwecks ausreichen. Der Senat
braucht hierüber nicht zu entscheiden. Die Beherbergung und
Verköstigung von Jugendlichen für ca. eine Woche in einem
Urlaubsaufenthalt mit Freizeitangebot und Freizeitgestaltung
erfüllt die im Gesetz vorausgesetzte „Aufnahme zu
Erziehungs-, Ausbildungs- und Fortbildungszwecken“ -
entgegen der Auffassung des FG - jedenfalls nicht. Das angefochtene
Urteil war deshalb aufzuheben.
2. Der Senat kann in der Sache nicht
abschließend entscheiden. Denn im Streitfall kommt in
Betracht, dass sich die Klägerin unmittelbar auf die
gemeinschaftsrechtliche Steuerbefreiung des Art. 13 Teil A Abs. 1
Buchst. h der Richtlinie 77/388/EWG berufen kann. Für eine
abschließende Entscheidung hierüber fehlen entsprechende
Feststellungen des FG.
a) Nach Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. h der
Richtlinie 77/388/EWG befreien die Mitgliedstaaten die eng mit der
Kinder- und Jugendbetreuung verbundenen Dienstleistungen und
Lieferungen von Gegenständen durch Einrichtungen des
öffentlichen Rechts oder andere von dem betreffenden
Mitgliedstaat als Einrichtung mit sozialem Charakter anerkannten
Einrichtungen von der Mehrwertsteuer. Diese Befreiung setzt, wenn
die befreiten Leistungen nicht von einer Einrichtung des
öffentlichen Rechts erbracht werden, die Anerkennung durch den
betreffenden Mitgliedstaat voraus.
b) Auf diese Befreiung, die nicht hinreichend
in innerstaatliches Recht umgesetzt worden ist, kann sich der
Steuerpflichtige berufen (ausführlich BFH-Urteile vom
18.8.2005 V R 71/03, BFHE 211, 543, BStBl II 2006, 143 = SIS 06 01 79, und vom 8.11.2007 V R 2/06, BFHE 219, 428, BStBl II 2008, 634 =
SIS 08 10 21, m.w.N.).
c) Leistungen der Kinder- und Jugendbetreuung
- wie hier die Leistungen der Klägerin - sind jedoch nur
steuerfrei, wenn sie von „Einrichtungen des
öffentlichen Rechts oder anderen (privaten) Einrichtungen, die
von dem betreffenden Mitgliedstaat als Einrichtung mit im
wesentlichen sozialen Charakter anerkannt worden sind“,
erbracht werden (BFH-Urteil in BFHE 219, 428, BStBl II 2008, 634 =
SIS 08 10 21, m.w.N.). Das FG hat - ausgehend von seinem Standpunkt
zu Recht - keine Feststellungen dazu getroffen, ob die
Klägerin eine gemäß Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. h
der Richtlinie 77/388/EWG anerkannte Einrichtung ist. Diese sind
daher unter Berücksichtigung der Rechtsprechungsgrundätze
hierzu (z.B. BFH-Urteile in BFHE 211, 543, BStBl II 2006, 143 = SIS 06 01 79; in BFHE 219, 428, BStBl II 2008, 634 = SIS 08 10 21,
m.w.N.) nachzuholen.
d) Falls das FG zu dem Ergebnis gelangt, dass
eine Steuerbefreiung gemäß Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst.
h der Richtlinie 77/388/EWG in Betracht kommt, wird es des Weiteren
zu prüfen haben, ob der Steuerfreiheit Art. 13 Teil A Abs. 2
Buchst. b der Richtlinie 77/388/EWG entgegensteht (vgl. hierzu
BFH-Urteil vom 3.4.2008 V R 74/07, BFH/NV 2008, 1631 = SIS 08 28 85).