Kreditfinanzierter Erwerb von Anteilen an Arbeitgeber-Gesellschaft, Schuldzinsen als Werbungskosten: Schuldzinsen für Darlehen, mit denen Arbeitnehmer den Erwerb von Gesellschaftsanteilen an ihrer Arbeitgeberin finanzieren, um damit die arbeitsvertragliche Voraussetzung für die Erlangung einer höher dotierten Position zu erfüllen, sind regelmäßig Werbungskosten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen (Anschluss an BFH-Urteil vom 21.4.1961 VI 158/59 U, BFHE 73 S. 449, BStBl 1961 III 1961, 431 = SIS 61 02 84). - Urt.; BFH 5.4.2006, IX R 111/00; SIS 06 30 10
I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte
(Klägerin) erzielte in den Streitjahren 1994 und 1995 als
Wirtschaftsprüferin bei D, einer
Wirtschaftsprüfungsgesellschaft in der Rechtsform einer
Aktiengesellschaft, Einkünfte aus nichtselbständiger
Arbeit sowie aus ihrer Aktienbeteiligung an der D Einkünfte
aus Kapitalvermögen.
In den Steuererklärungen für die
Streitjahre machte sie die Aufwendungen für Schuldzinsen bei
den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit geltend. Die
Aufwendungen beträfen ein Arbeitgeberdarlehen, das sie zur
teilweisen Finanzierung des Erwerbs von D-Aktien aufgenommen habe.
Arbeitsvertraglich sei sie verpflichtet gewesen, diese Aktien zur
Sicherung ihrer Position in der AG zu erwerben.
Der Beklagte und Revisionskläger (das
Finanzamt - FA - ) behandelte die Zinsaufwendungen dagegen als
Werbungskosten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen mit
der Folge, dass die Werbungskostenüberschüsse der
Klägerin aus der streitigen Beteiligung wegen der weiteren
nicht den Freibetrag nach § 20 Abs. 4 des
Einkommensteuergesetzes (EStG) übersteigenden
Einnahmeüberschüsse aus anderen Kapitaleinnahmen ohne
einkommensteuerrechtliche Auswirkung blieben. Der dagegen erhobenen
Klage gab das Finanzgericht (FG) mit seinem in EFG 2001, 422 = SIS 02 61 21 veröffentlichten Urteil statt.
Mit der Revision rügt das FA
Verletzung des § 9 Abs. 1 Satz 2 und Satz 3 Nr. 1 EStG.
Entgegen der Auffassung des FG seien die streitigen
Zinsaufwendungen als Werbungskosten bei den Einkünften aus
Kapitalvermögen zu berücksichtigen. Mangels Auswirkungen
bei dieser Einkunftsart hätte die Klage deshalb abgewiesen
werden müssen.
Das FA beantragt, das Urteil des Hessischen
FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision
als unbegründet zurückzuweisen.
Der Aktienerwerb habe überwiegend im
Zusammenhang mit ihren Einkünften aus nichtselbständiger
Arbeit gestanden; ohne Übernahme der Geschäftsanteile
hätte sie die angestrebte Anstellung als Partnerin der
Arbeitgeberin nicht erhalten. Die Finanzierungskosten hätten
damit unmittelbar und ausschließlich ihrer Tätigkeit als
Partnerin bzw. Direktorin ihrer Arbeitgeberin gedient und seien
deshalb bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit
zu berücksichtigen.
II. Die Revision ist begründet; das
angefochtene Urteil ist aufzuheben und die Klage abzuweisen (§
126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO - ).
Zu Unrecht hat das FG die streitigen
Zinsaufwendungen als Werbungskosten der Klägerin bei ihren
Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit
berücksichtigt; sie sind vielmehr Werbungskosten aus
Kapitalvermögen, die sich aufgrund des Freibetrags nach §
20 Abs. 4 EStG im Streitfall nicht steuermindernd auswirken.
1. Nach § 9 Abs. 1 EStG sind
Werbungskosten Aufwendungen zur Erwerbung, Sicherung und Erhaltung
der Einnahmen. Dieser Begriff gilt für alle
Überschusseinkünfte (§ 2 Abs. 1 Nr. 4 bis 7 Abs. 2
Nr. 2 EStG) in gleicher Weise.
a) Nach der Rechtsprechung des
Bundesfinanzhofs (BFH) sind Werbungskosten alle Aufwendungen, die
durch die Erzielung steuerpflichtiger Einnahmen veranlasst sind
(vgl. BFH-Beschluss vom 28.11.1977 GrS 2-3/77, BFHE 124, 43, BStBl
II 1978, 105 = SIS 78 00 63; BFH-Urteil vom 20.11.1979 VI R 25/78,
BFHE 129, 149, BStBl II 1980, 75 = SIS 80 00 46). Erforderlich ist
danach, dass objektiv ein Zusammenhang der Aufwendungen mit der auf
Einnahmeerzielung gerichteten Tätigkeit besteht und sie
subjektiv zur Förderung dieser steuerlich relevanten
Tätigkeit getragen werden (BFH-Urteil vom 28.11.1980 VI R
193/77, BFHE 132, 431, BStBl II 1981, 368 = SIS 81 09 56).
b) Betreffen die Aufwendungen eines
Arbeitnehmers den Erwerb einer Beteiligung an seiner Arbeitgeberin
- wie im Streitfall an der AG -, so ist dem Einkommensteuergesetz
keine ausdrückliche Regelung zu entnehmen, ob diese
Aufwendungen den Werbungskosten aus nichtselbständiger Arbeit
oder aus Kapitalvermögen zuzurechnen sind.
Im Hinblick darauf sind derartige Aufwendungen
nach der Rechtsprechung des BFH jedenfalls „nicht ohne
weiteres“ den Werbungskosten bei den Einkünften aus
nichtselbständiger Arbeit zuzurechnen, weil sie „im
allgemeinen“ nicht unmittelbar mit diesen
Einkünften, sondern mit solchen aus Kapitalvermögen im
Zusammenhang stehen, selbst wenn damit auch die
Arbeitnehmertätigkeit gefördert wird (BFH-Urteil vom
21.4.1961 VI 158/59 U, BFHE 73, 449, BStBl III 1961, 431 = SIS 61 02 84). Insbesondere bei Schuldzinsen für Kredite, die der
Arbeitnehmer einer Kapitalgesellschaft für die Finanzierung
von Anschaffungskosten einer Beteiligung an dieser Gesellschaft
aufwendet, ist meist davon auszugehen, dass die Zinsaufwendungen
grundsätzlich nicht durch den Beruf des Steuerpflichtigen,
sondern durch die angestrebte Gesellschafterstellung veranlasst und
deshalb - bei Bejahung von Überschusserzielungsabsicht - im
Rahmen der Einkünfte aus Kapitalvermögen zu
berücksichtigen sind.
Das gilt gleichermaßen, wenn sich der
Steuerpflichtige an der Kapitalgesellschaft nicht nur in Erwartung
der Ausschüttung von Gewinnen beteiligt, sondern auch, um
durch die Zuführung von Kapital den Fortbestand der
Gesellschaft und damit gleichzeitig seinen eigenen Arbeitsplatz zu
erhalten. Denn der wirtschaftliche Zusammenhang der Aufwendungen
mit den Einkünften aus Kapitalvermögen steht in solchen
Fällen regelmäßig im Vordergrund und verdrängt
die Beziehung zu den Einkünften aus nichtselbständiger
Arbeit (BFH-Urteile vom 21.7.1981 VIII R 128/76, BFHE 134, 119,
BStBl II 1982, 36 = SIS 82 25 23, für einen Kredit zur
Anschaffung einer GmbH-Beteiligung durch einen leitenden
Angestellten im Zuge einer Kapitalerhöhung; vom 21.7.1981 VIII
R 154/76, BFHE 134, 113, BStBl II 1982, 37 = SIS 81 23 51, für
den Erwerb eines Aktienpakets durch einen Arbeitnehmer als
Daueranlage, jeweils unter Hinweis auf das BFH-Urteil in BFHE 73,
449, BStBl III 1961, 431 = SIS 61 02 84; BFH-Urteil vom 18.8.1992
VIII R 22/89, BFH/NV 1993, 465, für nachträgliche
Anschaffungskosten). Dieser vorrangige Zusammenhang mit den
Einkünften aus Kapitalvermögen gilt grundsätzlich
auch dann, wenn sich der Steuerpflichtige an seiner Arbeitgeberin
beteiligt, um dadurch eine höher dotierte Position zu
erlangen.
c) Nur ausnahmsweise kann auf dieser Grundlage
die Annahme in Betracht kommen, dass der Arbeitnehmer mit dem
Erwerb einer Beteiligung nicht die mit der Stellung als
Gesellschafter verbundenen Rechte (vgl. dazu BFH-Urteile in BFHE
73, 449, BStBl III 1961, 431 = SIS 61 02 84, und vom 12.5.1995 VI R
64/94, BFHE 177, 472, BStBl II 1995, 644 = SIS 95 18 04; ebenso FG
Köln, Urteil vom 22.11.2001 10 K 5735/96, DStR/E 2002, 337; FG
Hamburg, Urteil vom 8.3.2002 II 424/00, EFG 2002, 962 = SIS 02 87 89), sondern nahezu ausschließlich die Sicherung seines
bestehenden oder die Erlangung eines höherwertigen
Arbeitsplatzes erstrebt. Das kann insbesondere bei negativer
Überschussprognose und damit erkennbar fehlender Absicht zur
Erzielung von Einkünften aus Kapitalvermögen aus einer
solchen Beteiligung der Fall sein.
2. Nach diesen Grundsätzen hat das FG zu
Unrecht die streitigen Aufwendungen den Einkünften aus
nichtselbständiger Arbeit zugerechnet. Denn die Klägerin
erzielte aus den Aktien, die sie von ihrer Arbeitgeberin erwarb,
Gewinnanteile und damit Einkünfte aus Kapitalvermögen.
Den Erwerb dieser Aktien finanzierte sie mittels eines Darlehens,
so dass die Aufwendungen in wirtschaftlichem Zusammenhang mit
dieser Einkunftsart stehen.
Zwar besteht auch ein Zusammenhang mit den
Einkünften der Klägerin aus nichtselbständiger
Arbeit; denn sie war aufgrund des Anstellungsvertrags verpflichtet,
sich an ihrer Arbeitgeberin zu beteiligen und erzielte durch den
Partnerstatus höhere Einkünfte aus
nichtselbständiger Arbeit. Auch ist die Beteiligung an den
Bestand ihrer Tätigkeit bei der
Wirtschaftsprüfungsgesellschaft geknüpft. Diese Beziehung
wird im Streitfall aber überlagert durch den Zusammenhang der
Schuldzinsen mit dem Erwerb der Beteiligung.
Maßgebend für die Abgrenzung ist
die Einkunftsart, die im Vordergrund steht und die Beziehungen zu
den anderen Einkünften verdrängt (ständige
BFH-Rechtsprechung, vgl. Urteile vom 31.10.1989 VIII R 210/83, BFHE
160, 11, BStBl II 1990, 532 = SIS 90 12 34; in BFHE 73, 449, BStBl
III 1961, 431 = SIS 61 02 84; in BFHE 134, 113, 118, BStBl II 1982,
37, 40 = SIS 81 23 51; vom 19.10.1982 VIII R 97/79, BFHE 137, 418,
BStBl II 1983, 295 = SIS 83 07 46). Das ist hier bei den
Einkünften aus Kapitalvermögen nach § 20 Abs. 1 Nr.
1 und 3 EStG a.F. der Fall. Denn zwischen Arbeitsverhältnis
und Zinszahlung tritt der Aktienbesitz als eigenständige
Erwerbsquelle. Unabhängig davon, ob und inwieweit der
Aktienerwerb durch das Arbeitsverhältnis motiviert war,
finanziert die Klägerin mit dem Darlehen die
Anschaffungskosten ihrer Beteiligung, deren Gewinnanteile ebenso
wenig zu Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit i.S.
des § 19 Abs. 1 EStG führen wie die damit
zusammenhängenden Schuldzinsen zu Werbungskosten bei dieser
Einkunftsart. Dementsprechend erfasst die Rechtsprechung auch
Wertveränderungen einer Beteiligung an der Arbeitgeberin nur
unter den Voraussetzungen des § 23 EStG oder des § 17
EStG (vgl. BFH-Urteil in BFHE 177, 472, BStBl II 1995, 644 = SIS 95 18 04, m.w.N.).
Im Übrigen sind Anhaltspunkte für
eine ausnahmsweise anderweitige Beurteilung (Zuordnung zu den
Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit) weder aus den
bindenden tatsächlichen Feststellungen des FG (vgl. § 118
Abs. 2 FGO) noch sonst ersichtlich; insbesondere hat die
Klägerin nicht geltend gemacht, Einnahmeüberschüsse
seien aus der Aktienbeteiligung nicht erzielbar gewesen.
3. Da die Vorentscheidung auf einer
abweichenden Rechtsauffassung beruht, ist sie aufzuheben. Die Sache
ist spruchreif. Die Klage ist abzuweisen.