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AdV, Leistungsbeschreibung bei Waren im Niedrigpreissegment, kein Vorsteuerabzug aus Scheinlieferung, kein Vorsteuerabzug bei Beteiligung an fremder Steuerhinterziehung, Gewährung des Vorsteuerabzugs im Wege des Gutglaubensschutzes, Ausübung des Rechts auf Vorsteuerabzug im Besteuerungszeitraum des Besitzes der Rechnung, Zulässigkeit von Hinzuschätzungen bei Verletzung der Aufzeichnungspflichten des § 22 UStG und bei sonstigen Buchführungsmängeln im Bereich der Umsatzsteuer

AdV, Leistungsbeschreibung bei Waren im Niedrigpreissegment, kein Vorsteuerabzug aus Scheinlieferung, kein Vorsteuerabzug bei Beteiligung an fremder Steuerhinterziehung, Gewährung des Vorsteuerabzugs im Wege des Gutglaubensschutzes, Ausübung des Rechts auf Vorsteuerabzug im Besteuerungszeitraum des Besitzes der Rechnung, Zulässigkeit von Hinzuschätzungen bei Verletzung der Aufzeichnungspflichten des § 22 UStG und bei sonstigen Buchführungsmängeln im Bereich der Umsatzsteuer: 1. Nach Maßgabe der summarischen Überprüfung der Rechtmäßigkeit von Steuerfestsetzungen im Verfahren um eine AdV ist ernstlich zweifelhaft, ob der Vorsteuerabzug aus Rechnungen im sog. Niedrigpreissegment hinsichtlich der Leistungsbeschreibung voraussetzt, dass die Art der gelieferten Gegenstände mit ihrer handelsüblichen Bezeichnung angegeben wird oder ob insoweit die Angabe der Warengattung ("Hosen", "Blusen", "Pulli") ausreicht. - 2. Es ist nicht ernstlich zweifelhaft, dass der Vorsteuerabzug versagt werden darf, wenn die Lieferung, über die abgerechnet worden ist, nicht bewirkt worden ist. - 3. Es ist nicht ernstlich zweifelhaft, dass der Vorsteuerabzug versagt werden darf, wenn der Steuerpflichtige wusste oder hätte wissen müssen, dass er sich mit seinem Erwerb an einem Umsatz beteiligt hatte, der in eine Mehrwertsteuerhinterziehung einbezogen war. - 4. Es ist (weiterhin) ernstlich zweifelhaft, ob beim Vorsteuerabzug Gutglaubensschutz nur im Billigkeitsverfahren zu gewähren ist (Bestätigung der Rechtsprechung). - 5. Es ist nicht ernstlich zweifelhaft, dass das Recht auf Vorsteuerabzug grundsätzlich in dem Besteuerungszeitraum auszuüben ist, in dem der Leistungsempfänger die Leistung bezogen hat und im Besitz einer Rechnung ist. - 6. Es ist nicht ernstlich zweifelhaft, dass auch bei der Umsatzsteuer im Falle von Verstößen des Steuerpflichtigen gegen die Aufzeichnungspflichten des § 22 UStG und bei sonstigen Buchführungsmängeln das FA zur Schätzung von Besteuerungsgrundlagen befugt sein kann. Diese Schätzungsbefugnis steht in Einklang mit dem Unionsrecht. (Hinweis aus BStBl 2021 II S. 950 auf BMF-Schreiben vom 1. Dezember 2021 - III C 2 - S 7280-a/19/10002 :001 = SIS 21 19 67) - Urt.; BFH 16.5.2019, XI B 13/19; SIS 19 08 97

Kapitel:
Unternehmensbereich > Umsatzsteuer > Vorsteuerabzug
Fundstellen
  1. BFH 16.05.2019, XI B 13/19 (ECLI:DE:BFH:2019:BA.160519.XIB13.19.0)
    BStBl 2021 II S. 950
    BFHE 264 S. 521
    DStR 2019 S. 1399
    BFH/NV 2019 S. 1043

    Anmerkungen:
    J. Grune in AktStR 4/2019 S. 671
    J.H. in StuB 14/2019 S. 564
    H.-H. Heidner in DB 34/2019 S. 1876
    B. Kaminski in Stbg 1/2020 S. M 17
    K. Korn in NWB 29/2019 S. 2114
    R. C. Prätzler in StuB 17/2019 S. 664
    B. Rätke in BBK 14/2019 S. 662
    G. v. Streit in MwStR 17/2019 S. 706
    A. Treiber in BFH/PR 9/2019 S. 222
    A. Treiber in DStR 27/2019 S. 1399
Normen
[UStG] § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 14 Abs. 4 Nr. 5, § 22
[FGO] § 69
[AEUV] Art. 325
[AO 1977] § 162, § 163, § 227
[RL 2006/112/EG] Art. 168 Buchst. a, Art. 178 Buchst. a, Art. 226 Nr. 6
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Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Hessischen Finanzgerichts vom 14.1.2019 1 V 1470/18 aufgehoben.

Die Sache wird an das Hessische Finanzgericht zurückverwiesen.

Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens übertragen.

 

1

I. Die Beteiligten streiten im Verfahren wegen Aussetzung der Vollziehung (AdV) vornehmlich darüber, ob dem Antragsteller und Beschwerdeführer (Antragsteller) der Vorsteuerabzug aus Rechnungen über Textilien (Bekleidungsstücke) im sog. Niedrigpreissegment zu gewähren ist.

 

 

2

Der Antragsteller war in den Streitjahren (2012 bis 2014) im Bereich des Großhandels mit Textilien und Modeaccessoires im sog. Niedrigpreissegment tätig. Die Einkaufspreise je Artikel bewegten sich überwiegend im unteren bis mittleren einstelligen Euro-Bereich; teilweise lagen die Einkaufspreise zwischen 10 EUR und 28 EUR.

 

 

3

Der Antragsteller nahm in den Umsatzsteuererklärungen für die Streitjahre den Vorsteuerabzug u.a. aus Rechnungen der Firmen A-GmbH sowie der Firmen B, C, D, E, F-GmbH, G-GmbH und H vor. Als Artikelbezeichnung waren in den Rechnungen Angaben wie „Hosen“, „Tops“, „Shirts“, „T-Shirts“, „Kleider“, „Bluse“, „Weste“, „Jacken“ enthalten.

 

 

4

Nach Durchführung einer Außenprüfung beim Antragsteller vertrat der Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Finanzamt—FA - ) in den Umsatzsteuer-Änderungsbescheiden für die Streitjahre vom 5.6.2018 die Auffassung, dass

 

 

-

die Ausgangsumsätze des Antragstellers wegen Verletzung der Aufzeichnungspflichten des § 22 des Umsatzsteuergesetzes (UStG), unzutreffender Verbuchung der Warenverkäufe, fehlender Kassenaufzeichnungen und Kassenblätter, und wegen Kassenfehlbeträgen zu erhöhen seien;

 

 

-

der Vorsteuerabzug aus zwei Rechnungen der A-GmbH vom 19.12.2011 und vom 21.12.2011 zu versagen sei, da eine Doppelerfassung dieser Lieferungen in den Jahren 2011 und 2012 nicht ausgeschlossen werden könne;

 

 

-

der Vorsteuerabzug aus einer Rechnung des H vom 22.9.2014 zu versagen sei, weil es sich um einen innergemeinschaftlichen Erwerb gehandelt habe;

 

 

-

der Vorsteuerabzug aus den Rechnungen der Firmen B, C, D, E, F-GmbH und G-GmbH nicht anzuerkennen sei, weil nach dem Ergebnis der Ermittlungen verschiedener Steuerfahndungsstellen gegen diese Lieferanten den streitgegenständlichen Rechnungen tatsächlich kein Leistungsaustausch zugrunde gelegen habe. Der Vorsteuerabzug sei außerdem zu versagen, weil die Leistungsbeschreibungen nicht ausreichend seien.

 

 

 

5

Der Antragsteller legte gegen diese Bescheide Einspruch ein und beantragte gleichzeitig AdV, die das FA mit Bescheid vom 22.8.2018 ablehnte.

 

 

6

Das Hessische Finanzgericht (FG) lehnte mit Beschluss vom 14.1.2019 1 V 1470/18 den Antrag auf Gewährung von AdV ab und ließ die Beschwerde zu. Es führte zur Begründung der Ablehnung aus, nach summarischer Prüfung sei weder die Erhöhung der für die Streitjahre erklärten Umsätze für 2012 und 2013 noch die Versagung des Vorsteuerabzugs aus den Rechnungen der A-GmbH vom 19.12.2011 und vom 21.12.2011 zu beanstanden. Die Buchführungsmängel seien vom Prüfer hinreichend erläutert worden. Das Recht auf Vorsteuerabzug aus den Rechnungen der A-GmbH sei im Dezember 2011 entstanden. Da der Antragsteller für das Vorliegen der Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs aus diesen Rechnungen im Jahr 2012 darlegungs- und beweispflichtig sei und keine entsprechenden Buchführungsunterlagen für 2011 vorgelegt habe, sei der Vorsteuerabzug für das Jahr 2012 zu versagen. Auch die Abweichungen der Bescheide von den Steuererklärungen hinsichtlich der innergemeinschaftlichen Erwerbe unterliege nach Aktenlage keinem ernstlichen Zweifel. Außerdem habe das FA den Vorsteuerabzug aus den Rechnungen der B, C, D, E, F-GmbH und G-GmbH zu Recht versagt, weil diese Rechnungen keine hinreichenden Leistungsbeschreibungen enthielten. Es verwies insoweit zur Begründung auf das Urteil des Hessischen FG vom 12.10.2017 1 K 2402/14 (EFG 2018, 335 = SIS 18 01 05). Dem stehe auch nicht das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) Barlis 06 vom 15.9.2016 C-516/14 (EU:C:2016:690, DStR 2016, 2216 = SIS 16 19 40) entgegen.

 

 

7

Auf die Frage, ob die Firmen wirtschaftlich aktiv gewesen seien und tatsächlich Leistungsaustauschverhältnisse bestanden hätten, komme es nach Auffassung des FG nicht an.

 

 

8

Mit seiner Beschwerde, der das FG nicht abgeholfen hat, macht der Antragsteller geltend, das FG habe zu Unrecht ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Umsatzsteuerbescheide verneint. Hinsichtlich der Rechnung der A-GmbH stehe dem Antragsteller das Recht auf Vorsteuerabzug erst dann zu, wenn er die Rechnung besitze. Erst in dem Besteuerungszeitraum, in dem beide Voraussetzungen erfüllt seien, sei der Vorsteuerabzug zu gewähren. Die Beweislast für das Vorliegen der Rechnung trage der Unternehmer. Deren Vorliegen sei jedoch unstreitig. Außerdem habe das FG zu Unrecht den Vorsteuerabzug aus den Rechnungen der B, C, D, E, F-GmbH und G-GmbH mangels hinreichender Leistungsbeschreibung versagt. Er beruft sich diesbezüglich auf den Beschluss des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 14.3.2019 V B 3/19 (zur amtlichen Veröffentlichung bestimmt, DStR 2019, 874 = SIS 19 04 17).

 

 

9

Der Antragsteller beantragt, den Beschluss des Hessischen FG vom 14.1.2019 1 V 1470/18 aufzuheben und die Umsatzsteuerbescheide für die Streitjahre vom 5.6.2018 von der Vollziehung auszusetzen.

 

 

10

Das FA beantragt sinngemäß, die Beschwerde zurückzuweisen.

 

 

11

Es bringt vor, hinsichtlich der Rechnung der A-GmbH könne nicht ausgeschlossen werden, dass diese im Jahr 2011 erfasst wurde. Die Feststellungslast trage der Antragsteller. Hinsichtlich der übrigen streitigen Rechnungen sei der Vorsteuerabzug aus weiteren Gründen zu versagen. Rechnungsaussteller und leistender Unternehmer seien nicht identisch. Es bestünden auch Zweifel an der tatsächlichen Durchführung der Umsätze. Außerdem habe der Antragsteller wissen müssen, dass er sich mit seinem Erwerb an einem Umsatz beteilige, der in eine Mehrwertsteuerhinterziehung einbezogen sei. Da die Rechnungsaussteller wirtschaftlich inaktiv gewesen seien, erscheine es unglaubhaft, dass der Antragsteller davon angeblich nichts gewusst habe.

 

 

12

III. Die Beschwerde (§ 128 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung - FGO - ) ist teilweise begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das FG. Vom FG sind weitere tatsächliche Feststellungen zu den übrigen vom FA vorgebrachten Versagungsgründen für den Vorsteuerabzug aus den Rechnungen der B, C, D, E, F-GmbH und G-GmbH zu treffen.

 

 

13

1. Nach § 69 Abs. 3 Satz 1, Abs. 2 Satz 2 FGO ist die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsaktes ganz oder teilweise auszusetzen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit dieses Verwaltungsaktes bestehen.

 

 

14

a) Ernstliche Zweifel i.S. von § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO liegen vor, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Bescheids neben für seine Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung von Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung entscheidungserheblicher Tatfragen bewirken (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 11.7.2013 XI B 41/13, BFH/NV 2013, 1647 = SIS 13 25 67, Rz 16; vom 2.7.2014 XI S 8/14, BFH/NV 2014, 1601 = SIS 14 24 82). Die Entscheidung hierüber ergeht bei der im AdV-Verfahren gebotenen summarischen Prüfung aufgrund des Sachverhalts, der sich aus dem Vortrag der Beteiligten und der Aktenlage ergibt (vgl. BFH-Beschlüsse vom 26.9.2014 XI S 14/14, BFH/NV 2015, 158 = SIS 14 34 36, Rz 33; vom 20.1.2015 XI B 112/14, BFH/NV 2015, 537 = SIS 15 05 66, Rz 15, jeweils m.w.N.). Zur Gewährung der AdV ist es nicht erforderlich, dass die für die Rechtswidrigkeit sprechenden Gründe im Sinne einer Erfolgswahrscheinlichkeit überwiegen (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 25.4.2013 XI B 123/12, BFH/NV 2013, 1273 = SIS 13 20 05, Rz 12; vom 17.12.2015 XI B 84/15, BFHE 252, 181, BStBl II 2016, 192 = SIS 16 00 86, Rz 22; vom 31.3.2016 XI B 13/16, BFH/NV 2016, 1187 = SIS 16 15 12, Rz 14).

 

 

15

b) Ernstliche Zweifel können danach z.B. bestehen, wenn die streitige Rechtsfrage höchstrichterlich noch nicht entschieden wurde und im Schrifttum oder in der Rechtsprechung der Finanzgerichte unterschiedliche Auffassungen vertreten werden (BFH-Beschlüsse vom 29.7.2009 XI B 24/09, BFHE 226, 449, BFH/NV 2009, 1567 = SIS 09 25 83, Rz 22; vom 26.4.2010 V B 3/10, BFH/NV 2010, 1664 = SIS 10 26 75, Rz 20). Ist die Rechtslage nicht eindeutig, ist über die zu klärende Frage nicht im summarischen Verfahren der AdV zu entscheiden (z.B. BFH-Beschlüsse vom 25.11.2005 V B 75/05, BFHE 212, 176, BStBl II 2006, 484 = SIS 06 04 04, Rz 26; vom 15.10.2015 I B 93/15, BFHE 251, 309, BStBl II 2016, 66 = SIS 15 26 65, Rz 7; in BFHE 252, 181, BStBl II 2016, 192 = SIS 16 00 86, Rz 31).

 

 

16

2. Nach diesen Grundsätzen bestehen im Streitfall insoweit ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Umsatzsteuer-Änderungsbescheide, als das FA den Vorsteuerabzug aus den Rechnungen der B, C, D, E, F-GmbH und G-GmbH mangels hinreichender Leistungsbeschreibung versagt hat. Der Senat verweist insoweit zur Vermeidung von Wiederholungen auf den zur amtlichen Veröffentlichung bestimmten BFH-Beschluss in DStR 2019, 874 = SIS 19 04 17, mit dem der V. Senat zu dieser Frage in jenem Verfahren AdV gewährt hat.

 

 

17

3. Allerdings kann auch bei nur summarischer Prüfung zum derzeitigen Verfahrensstand nicht beurteilt werden, ob ernstliche Zweifel daran bestehen, dass das FA den Vorsteuerabzug zu Recht aus anderen Gründen versagt hat. Dazu sind vom FG weitere Feststellungen zu treffen.

 

 

18

a) Das FA hat den Vorsteuerabzug versagt, weil es angenommen hat, dass die in den Rechnungen genannten Lieferungen nicht stattgefunden haben. Daran bestehen keine ernstlichen Zweifel, sofern die Rechnungsaussteller nicht Lieferer gewesen sein sollten (vgl. zur erforderlichen Abgrenzung in Strohmann-Fällen BFH-Urteile vom 10.11.2010 XI R 15/09, BFH/NV 2011, 867 = SIS 11 13 06, Rz 17 ff.; vom 12.5.2011 V R 25/10, BFH/NV 2011, 1541 = SIS 11 26 46, Rz 20 ff.; vom 20.10.2016 V R 36/14, BFH/NV 2017, 327 = SIS 17 02 03, Rz 10 f.; s. auch Beschluss des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 29.1.2015 1 StR 216/14, wistra - Zeitschrift für Wirtschafts- und Steuerstrafrecht 2015, 189, Rz 19, m.w.N. aus der Rechtsprechung des BGH). Denn das Recht auf Vorsteuerabzug hängt davon ab, dass die entsprechenden Umsätze tatsächlich bewirkt wurden; kein Recht auf Vorsteuerabzug entsteht, wenn die Lieferung des Gegenstands nicht bewirkt wurde (vgl. EuGH-Urteil SGI und Valériane vom 27.6.2018 C-459/17, C-460/17, EU:C:2018:501, HFR 2018, 679 = SIS 18 12 05, Rz 41 und 36).

 

 

19

Der Unternehmer, der den Vorsteuerabzug geltend macht, trägt die Feststellungslast für alle Tatsachen, die den Vorsteuerabzug begründen (vgl. EuGH-Urteil SGI und Valériane, EU:C:2018:501, HFR 2018, 679 = SIS 18 12 05, Rz 39; BFH-Urteile vom 5.12.2018 XI R 22/14, BFHE 263, 354, DStR 2019, 271 = SIS 18 22 05, Rz 21; vom 13.12.2018 V R 65/16, BFH/NV 2019, 303 = SIS 18 22 69, Rz 26).

 

 

20

b) Es entspricht außerdem der ständigen Rechtsprechung des BFH, dass der Vorsteuerabzug zu versagen ist, wenn aufgrund objektiver Umstände feststeht, dass der Steuerpflichtige wusste oder hätte wissen müssen, dass er sich mit seinem Erwerb an einem Umsatz beteiligt hatte, der in eine Mehrwertsteuerhinterziehung einbezogen war (vgl. BFH-Beschlüsse vom 19.12.2014 XI B 12/14, BFH/NV 2015, 534 = SIS 15 05 65, Rz 23; vom 12.9.2014 VII B 99/13, BFH/NV 2015, 161 = SIS 14 34 37, Rz 21 ff.).

 

 

21

Dies steht im Übrigen in Einklang mit der sich aus Art. 4 Abs. 3 des Vertrags über die Europäische Union, Art. 325 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) ergebenden Verpflichtung der Mitgliedstaaten, alle Rechts- und Verwaltungsvorschriften zu erlassen, die geeignet sind, die Erhebung der gesamten in ihrem Hoheitsgebiet geschuldeten Mehrwertsteuer zu gewährleisten und den Betrug zu bekämpfen (vgl. EuGH-Urteile Paper Consult vom 19.10.2017 C-101/16, EU:C:2017:775, HFR 2017, 1177 = SIS 17 18 46, Rz 43 und 47; M.A.S. und M.B. vom 5.12.2017 C-42/17, EU:C:2017:936, HFR 2018, 179 = SIS 18 00 71, Rz 30 ff.). Soweit der Senat im BFH-Beschluss in BFHE 226, 449, BFH/NV 2009, 1567 = SIS 09 25 83 zu § 6a UStG in Bezug auf die Missbrauchs-Rechtsprechung des EuGH noch ernstliche Zweifel bejaht hatte, sind diese durch das EuGH-Urteil R vom 7.12.2010 C-285/09 (EU:C:2010:742, BStBl II 2011, 846 = SIS 11 00 36) beseitigt worden (vgl. dazu auch EuGH-Urteil Italmoda vom 18.12.2014 C-131/13, C-163/13 und C-164/13, EU:C:2014:2455, HFR 2015, 200 = SIS 15 00 09; Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 16.6.2011 2 BvR 542/09, HFR 2011, 1145 = SIS 11 35 88).

 

 

22

c) Ernstlich zweifelhaft wäre indessen weiterhin (vgl. dazu BFH-Beschlüsse in BFH/NV 2015, 537 = SIS 15 05 66, Rz 19; vom 18.2.2015 V S 19/14, BFH/NV 2015, 866 = SIS 15 11 00, Rz 30 ff.), sofern die tatsächlichen Voraussetzungen hierfür vorlägen (vgl. zur Abgrenzung auch BFH-Beschluss vom 7.12.2016 XI R 31/14, BFH/NV 2017, 487 = SIS 17 03 63, Rz 8 und 9), ob auch beim Vorsteuerabzug Gutglaubensschutz bereits im Festsetzungsverfahren gewährt werden kann (verneinend BFH-Urteile vom 22.7.2015 V R 23/14, BFHE 250, 559, BStBl II 2015, 914 = SIS 15 19 48, Rz 31 ff.; vom 10.9.2015 V R 17/14, BFH/NV 2016, 80 = SIS 15 28 64, Rz 48). Nachdem der EuGH die ihm vom Senat dazu gestellte Vorlagefrage (vgl. BFH-Beschluss vom 6.4.2016 XI R 20/14, BFHE 254, 152 = SIS 16 13 89, Frage 2) nicht beantworten musste (vgl. EuGH-Urteil Geissel und Butin vom 15.11.2017 C-374/16, C-375/16, EU:C:2017:867, HFR 2018, 88 = SIS 17 20 47, Rz 51), sind die in Rz 60 ff. des Vorlagebeschlusses in BFHE 254, 152 = SIS 16 13 89 aufgeworfenen Fragen weiterhin ungeklärt.

 

 

23

d) Ausgehend davon kann aufgrund der tatsächlichen Feststellungen des FG und der dem Senat vorliegenden Finanzgerichtsakte nicht beurteilt werden, ob aus anderen als vom FG angenommenen Gründen keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Änderungsbescheide bestehen. Der Senat verweist die Sache diesbezüglich an das FG zurück.

 

 

24

aa) Zwar ergeht die Entscheidung über einen Antrag auf AdV wegen dessen Eilbedürftigkeit aufgrund des Prozessstoffs, der sich aus den dem Gericht vorliegenden Unterlagen, insbesondere den Akten und den präsenten Beweismitteln ergibt, aus denen das Gericht seine Feststellungen zum Sachverhalt zu treffen hat, und es besteht im Beschwerdeverfahren für den BFH als Tatsachengericht grundsätzlich selbst die Befugnis und Pflicht zur Tatsachenfeststellung (vgl. BFH-Beschluss vom 10.1.2013 XI B 33/12, BFH/NV 2013, 783 = SIS 13 11 06, Rz 19).

 

 

25

bb) Jedoch ist nach der Rechtsprechung des BFH auch eine Zurückverweisung des Verfahrens zur ergänzenden Tatsachenfeststellung durch das FG nach den §§ 132, 155 Satz 1 FGO i.V.m. § 572 Abs. 3 der Zivilprozessordnung möglich, weil der BFH als Revisions- und Beschwerdegericht in erster Linie die Aufgabe hat, die EFG zu überprüfen (vgl. BFH-Beschluss vom 20.7.2012 V B 82/11, BFHE 237, 545, BStBl II 2012, 809 = SIS 12 22 11, Rz 31 ff.), die Sachnähe des FG, bei dem die Hauptsache anhängig ist, für eine Zurückverweisung spricht (vgl. BFH-Beschluss vom 5.12.2018 VIII B 130/18, BFH/NV 2019, 282 = SIS 18 22 58, Rz 17) und das FG die Aufgabe der ergänzenden Tatsachenfeststellung in der Regel schneller und effektiver erfüllen kann (vgl. BFH-Beschluss vom 6.11.2008 IV B 126/07, BFHE 223, 294, BStBl II 2009, 156 = SIS 08 42 92, Rz 18). Von dieser Befugnis macht der Senat aus den genannten Gründen Gebrauch.

 

 

26

4. Unbegründet ist die Beschwerde hingegen, soweit sie sich gegen die Hinzuschätzung von Ausgangsumsätzen sowie gegen die Versagung des Vorsteuerabzugs aus den angeblichen Leistungen der A-GmbH und des H wendet.

 

 

27

a) Da der Antragsteller bei summarischer Prüfung die Aufzeichnungspflichten des § 22 UStG verletzt hat, ist das FG zu Recht davon ausgegangen, dass das FA gemäß § 162 AO dem Grunde nach zur Schätzung befugt ist (vgl. BFH-Urteile vom 14.12.2011 XI R 5/10, BFH/NV 2012, 1921 = SIS 12 29 59, Rz 19 ff.; vom 27.9.2018 V R 9/17, BFH/NV 2019, 127 = SIS 18 19 45, Rz 20; s. zur Schätzung bei sonstigen Buchführungsmängeln auch BFH-Urteil in BFH/NV 2019, 303 = SIS 18 22 69, Rz 30 ff.; zur unionsrechtlichen Zulässigkeit von Schätzungen im Bereich der Mehrwertsteuer s. EuGH-Urteile Maja Marinova vom 5.10.2016 C-576/15, EU:C:2016:740, HFR 2016, 1034 = SIS 16 21 37; Fontana vom 21.11.2018 C-648/16, EU:C:2018:932, HFR 2019, 67 = SIS 18 18 99). Die Ausführungen in der Beschwerdebegründung sind nicht dazu geeignet, ernstliche Zweifel an der Höhe der Schätzung zu begründen.

 

 

28

b) Ebenfalls zu Recht hat das FG angenommen, dass bei summarischer Prüfung keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Umsatzsteuer-Änderungsbescheids für das Jahr 2012 insoweit besteht, als der Vorsteuerabzug aus den angeblichen Leistungen der A-GmbH versagt worden ist.

 

 

29

aa) Der Steuerpflichtige kann sein Recht auf Vorsteuerabzug gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 2 UStG, Art. 178 Buchst. a der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL) nur dann ausüben, wenn er eine Rechnung besitzt (vgl. EuGH-Urteile Kommission/Luxemburg vom 4.5.2017 C-274/15, EU:C:2017:333, HFR 2017, 654 = SIS 17 10 09, Rz 67; Volkswagen vom 21.3.2018 C-533/16, EU:C:2018:204, HFR 2018, 421 = SIS 18 06 52, Rz 42 und 43). Das Recht auf Vorsteuerabzug ist grundsätzlich für den Zeitraum auszuüben, in dem zum einen dieses Recht entstanden ist und zum anderen der Steuerpflichtige im Besitz einer Rechnung ist (vgl. EuGH-Urteile Terra Baubedarf-Handel vom 29.4.2004 C-152/02, EU:C:2004:268, HFR 2004, 709 = SIS 04 23 36, Rz 34; Senatex vom 15.9.2016 C-518/14, EU:C:2016:691, HFR 2016, 1029 = SIS 16 19 41, Rz 35). Davon gehen neben dem FG auch beide Beteiligte aus.

 

 

30

bb) Gemessen daran ist, da die Rechnungen der A-GmbH im Jahr 2011 ausgestellt worden sind, bei summarischer Prüfung davon auszugehen, dass das Recht auf Vorsteuerabzug im Jahr 2011 (und damit vor den Streitjahren) ausgeübt werden kann.

 

 

31

cc) Ausreichende Anhaltspunkte dafür, dass der Antragsteller erst im Jahr 2012 in den Besitz der Rechnungen der A-GmbH gelangt sein könnte, bestehen, wie das FG zu Recht angenommen hat, bei summarischer Prüfung nicht. Die Beschwerde enthält dazu keine substantiierten Einwendungen, die angesichts der Feststellungslast des Antragstellers (s. oben unter II.3.a) geeignet wären, ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Umsatzsteuerbescheids für das Jahr 2012 zu wecken.

 

 

32

dd) Die Frage, ob in extremen Ausnahmefällen, in dem der Vorsteuerabzug ansonsten unmöglich gemacht oder auf unverhältnismäßige Weise verwehrt würde, ernstlich zweifelhaft sein könnte, ob ein Vorsteuerabzug ohne eine auf den Leistungsempfänger lautende Rechnung i.S. des § 14 Abs. 4 UStG, Art. 226 MwStSystRL möglich sein könnte (vgl. dazu EuGH-Urteile Polski Trawertyn vom 1.3.2012 C-280/10, EU:C:2012:107, HFR 2012, 461 = SIS 12 11 54, Rz 39 ff.; Vadan vom 21.11.2018 C-664/16, EU:C:2018:933, HFR 2019, 65 = SIS 18 19 00, Rz 42), bedarf im Streitfall, in dem der Antragsteller die Rechnungen der A-GmbH besitzt, keiner Entscheidung.

 

 

33

c) Zur Versagung des Vorsteuerabzugs in Bezug auf die Rechnung des H enthält die Beschwerde auch keine Angriffe, die geeignet wären, ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Festsetzungen zu begründen. Es ist nicht ernstlich zweifelhaft, dass bei nicht erkannter innergemeinschaftlicher Lieferung und innergemeinschaftlichem Erwerb der Vorsteuerabzug hinsichtlich der in der Rechnung des H unrichtig ausgewiesenen Umsatzsteuer zu versagen ist (vgl. dazu allgemein EuGH-Urteil Kreuzmayr vom 21.2.2018 C-628/16, EU:C:2018:84, HFR 2018, 337 = SIS 18 06 58, Rz 43, 46 ff.).

 

 

34

5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 143 Abs. 2 FGO.