Innergemeinschaftliche Lieferung, Steuerfreiheit bei Mitwirkung an Vermeidung der Erwerbsbesteuerung des Abnehmers: Es ist ernstlich zweifelhaft, ob der Steuerfreiheit einer innergemeinschaftlichen Lieferung entgegensteht, dass der inländische Unternehmer bewusst und gewollt an der Vermeidung der Erwerbsbesteuerung seines Abnehmers mitwirkt. - Urt.; BFH 29.7.2009, XI B 24/09; SIS 09 25 83
I. Die Beteiligten streiten um die
Steuerfreiheit von innergemeinschaftlichen Lieferungen der
Antragstellerin und Beschwerdegegnerin (Antragstellerin).
Die Antragstellerin ist eine juristische
Person in der Rechtsform einer GmbH, ihr Unternehmensgegenstand die
Vermietung von Video-Filmen sowie der Im- und Export von
Fahrzeugen. Zum Geschäftsführer war der portugiesische
Staatsangehörige L bestellt.
In der Umsatzsteuer-Jahreserklärung
2002 erklärte die Antragstellerin steuerfreie
innergemeinschaftliche Lieferungen in Höhe von 12.661.246 EUR
und in der berichtigten Umsatzsteuer-Jahreserklärung 2003
solche in Höhe von 12.965.649 EUR.
Aufgrund einer Prüfung der
Steuerfahndung (Teilbericht vom 17.6.2008) kam der Antragsgegner
und Beschwerdeführer (das Finanzamt - FA - ) zu dem Ergebnis,
dass die Voraussetzungen für die Steuerfreiheit der
innergemeinschaftlichen Lieferungen wegen Nichterfüllung der
sich aus § 6a Abs. 3 des Umsatzsteuergesetzes 1999 (UStG)
ergebenden Nachweispflichten nicht vorlägen.
Nach den Feststellungen der Steuerfahndung
habe die Antragstellerin für ihre Verkäufe von
gebrauchten Kraftfahrzeugen nach Portugal jeweils zwei Rechnungen
erstellt, und zwar eine an einen Scheinerwerber und eine an den
tatsächlichen Erwerber. Das Doppel der ersten Rechnung sei -
zum Nachweis einer steuerfreien innergemeinschaftlichen Lieferung -
für die eigene Buchhaltung bestimmt gewesen und auf
portugiesische Scheinerwerber ausgestellt worden. Tatsächlich
seien die Fahrzeuge jedoch ganz überwiegend an andere
Händler in Portugal veräußert worden; bei 29
Verkäufen in 2002 und 4 Verkäufen in 2003 sei eine
Zuordnung an Unternehmer in Portugal nicht möglich gewesen.
Für die tatsächlichen Leistungsempfänger habe die
Antragstellerin eine zweite Rechnung ausgestellt. Sofern die
Fahrzeuge von den tatsächlichen Erwerbern bereits an private
Abnehmer weiterveräußert waren bzw. später
weiterveräußert wurden, habe die Antragstellerin die
Rechnungen auf diese Privatpersonen mit dem Zusatz ausgestellt:
„Diff.-Besteuerung nach § 25a UStG“. Diese
Rechnungen hätten dazu gedient, eine Erwerbsbesteuerung in
Portugal zu verhindern. Die Antragstellerin habe ihren Abnehmern
die Möglichkeit verschafft, die Fahrzeuge zu einem geringeren
Preis an ihre Endkunden zu veräußern. Dadurch habe sie
ihre Umsätze aus Fahrzeugverkäufen innerhalb weniger
Jahre immens erhöhen können.
Aufgrund dieser Feststellungen erließ
das FA für die Streitjahre geänderte
Umsatzsteuerbescheide. Die Antragstellerin legte Einspruch ein und
beantragte Aussetzung der Vollziehung (AdV), die das FA unter
Hinweis auf einen gegen den Geschäftsführer der
Antragstellerin im Strafverfahren ergangenen
Haftprüfungsbeschluss des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom
30.7.2008 3 Ws 300/08 ablehnte.
Das daraufhin angerufene Finanzgericht (FG)
gewährte in dem angefochtenen Beschluss (vgl. SIS 09 14 54)
die AdV, weil Einiges dafür spreche, dass die streitigen
Umsätze größtenteils als innergemeinschaftliche
Lieferungen steuerfrei seien.
a) Die Fahrzeuge seien nach den
Feststellungen der Steuerfahndung tatsächlich als Lieferungen
der Antragstellerin nach Portugal an (überwiegend)
portugiesische Unternehmer gelangt. Dass diese Lieferungen nicht
von der Antragstellerin belegt, sondern durch die Steuerfahndung
festgestellt worden seien, sei unerheblich, da es für die
Frage des Vorliegens von innergemeinschaftlichen Lieferungen
grundsätzlich auf die objektiven Kriterien ankomme. Dem stehe
nicht entgegen, dass die Antragstellerin die nach § 6a Abs. 3
UStG erforderlichen Nachweise nicht erbracht habe. Denn diese
Nachweise seien nach der neueren Rechtsprechung des
Bundesfinanzhofs (BFH) keine materiellen Voraussetzungen für
die Steuerbefreiung innergemeinschaftlicher Lieferungen.
Die Nichterfüllung der formellen
Nachweisanforderungen dürfe zwar nicht zu einer
Gefährdung des Steueraufkommens führen. Diese
Einschränkung beziehe sich jedoch wegen des Grundsatzes der
steuerlichen Territorialität allein auf den Mitgliedstaat, in
dem der Endverbrauch erfolge. Die Nichterhebung von Mehrwertsteuer
auf eine innergemeinschaftliche Lieferung durch den Herkunftsstaat
der Lieferung könne daher nicht als Gefährdung des
Steueraufkommens angesehen werden.
b) Eine betrügerische oder
missbräuchliche Berufung auf das Gemeinschaftsrecht sei zwar
nicht erlaubt. Selbst wenn das Verhalten der Antragstellerin
Züge einer Mehrwertsteuerhinterziehung trage, sei jedoch
zweifelhaft, ob dies der Steuerfreiheit der innergemeinschaftlichen
Lieferungen entgegengehalten werden könne, weil die
materiellen Voraussetzungen einer steuerbefreiten
innergemeinschaftlichen Lieferung nach summarischer Prüfung
vorgelegen hätten.
Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus
dem gemeinschaftsrechtlichen Missbrauchsverbot. Die Feststellung
einer missbräuchlichen Praxis erfordere, dass die fraglichen
Umsätze einen dem Gemeinschaftsrecht zuwiderlaufenden
Steuervorteil zum Ergebnis hätten. Außerdem müsse
aus einer Reihe objektiver Anhaltspunkte ersichtlich sein, dass mit
den fraglichen Umsätzen im Wesentlichen ein Steuervorteil
bezweckt werde. Im Streitfall entspreche die Steuerbefreiung von
innergemeinschaftlichen Lieferungen jedoch dem System der
Mehrwertsteuer, wonach lediglich der innergemeinschaftliche Erwerb
im Bestimmungsland der Besteuerung unterworfen werde. Zudem sei es
der Antragstellerin nicht um die Erlangung eigener
umsatzsteuerlicher Vorteile gegangen, sondern darum, mehr Autos
nach Portugal zu verkaufen. Ob dies ausreiche, um der
Antragstellerin die Steuerfreiheit der innergemeinschaftlichen
Lieferungen wegen Missbräuchlichkeit zu versagen, bedürfe
einer Klärung im Hauptsacheverfahren.
Das FA begründet seine - vom FG
zugelassene Beschwerde - wie folgt:
a) Die Antragstellerin habe für die
streitgegenständlichen Umsätze weder den Buch- noch den
Belegnachweis erbracht. Es stehe fest, dass die Belege (Rechnungen,
CMR-Papiere u.Ä.) falsche Abnehmer auswiesen und in den
Büchern wissentlich falsche Abnehmer aufgezeichnet worden
seien.
b) Außerdem unterliege der Erwerb des
Liefergegenstands beim Abnehmer in einem anderen Mitgliedstaat
nicht i.S. von § 6a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 UStG den Vorschriften
der Umsatzbesteuerung. Unter Hinweis auf den Beschluss des
Bundesgerichtshofs (BGH) vom 20.11.2008 1 StR 354/08 (BGHSt 53, 45
= SIS 09 09 59) sei diese Vorschrift gemeinschaftsrechtlich
dahingehend auszulegen, dass der Erwerb des Liefergegenstands beim
Abnehmer dann nicht den Vorschriften der Umsatzbesteuerung in einem
anderen Mitgliedstaat unterliege, wenn die im Bestimmungsland
vorgesehene Erwerbsbesteuerung nach dem übereinstimmenden
Willen von Unternehmer und Abnehmer durch Verschleierung und
falsche Angaben gezielt umgangen werden sollte, um dem Unternehmer
oder dem Abnehmer einen ungerechtfertigten Steuervorteil zu
verschaffen. Denn nach ständiger Rechtsprechung des
Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) sei eine
betrügerische oder missbräuchliche Berufung auf das
Gemeinschaftsrecht nicht erlaubt.
Im Streitfall hätten die Lieferungen
einen Steuervorteil (Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 1 Buchst. b
UStG) zur Folge gehabt, dessen Gewährung dem
Gemeinschaftsrecht zuwiderlaufe, da das Umsatzsteuersystem
zugunsten einzelner Wettbewerber in ein Ungleichgewicht gebracht
werde. Die Beteiligten eines Kettengeschäfts verschafften sich
unter Ausnutzung der formalen Vorgaben Wettbewerbsvorteile, die vom
Umsatzsteuersystem nicht bezweckt würden. Mit den
streitgegenständlichen Umsätzen sei im Wesentlichen auch
ein Steuervorteil bezweckt worden. Denn die konkrete Abwicklung der
Fahrzeuggeschäfte habe allein dazu gedient, den Abnehmern der
Antragstellerin nicht gerechtfertigte Steuervorteile zu
verschaffen.
c) Ergänzend verweist das FA auf das
BFH-Urteil vom 8.11.2007 V R 26/05 (BFHE 219, 410, BStBl II 2009,
49 = SIS 08 17 95). Darin habe der BFH die Steuerbefreiung aufgrund
fehlender Nachweise versagt, obwohl die von den vorgeblichen
Abnehmern abweichenden tatsächlichen Abnehmer nach den
Feststellungen des FG festgestanden hätten und ein kollusives
Zusammenwirken des inländischen Lieferanten mit den
tatsächlichen Abnehmern offensichtlich nicht vorgelegen
habe.
Das FA beantragt sinngemäß,
unter Aufhebung des Beschlusses des FG den Antrag auf AdV
abzulehnen.
Die Antragstellerin beantragt
sinngemäß, die Beschwerde als unbegründet
zurückzuweisen.
Die Umsatzsteuer sei keine Verkehr-,
sondern eine Verbrauchsteuer. Da der „Verbrauch“ der
PKW nicht in Deutschland, sondern in Portugal stattgefunden habe,
und Güter nur einmal „konsumiert“ werden
könnten, dürfe die Besteuerung nur in Portugal
erfolgen.
II. Die gemäß § 128 Abs. 3 der
Finanzgerichtsordnung (FGO) statthafte Beschwerde des FA ist
unbegründet und daher zurückzuweisen. Die AdV des
angefochtenen Verwaltungsakts durch das FG ist nicht zu
beanstanden.
1. Gemäß § 69 Abs. 7 i.V.m.
Abs. 3 Satz 1 und Abs. 2 Satz 2 FGO soll die Vollziehung eines
angefochtenen Verwaltungsakts auf Antrag u.a. dann ausgesetzt
werden, wenn ernstliche Zweifel an dessen Rechtmäßigkeit
bestehen.
Ernstliche Zweifel in diesem Sinne sind
anzunehmen, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen
Verwaltungsakts im Aussetzungsverfahren neben den für die
Rechtmäßigkeit sprechenden Gründen gewichtige,
gegen sie sprechende Umstände zutage treten, die
Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der
entscheidungserheblichen Rechtsfragen bewirken oder Unklarheiten in
der Beurteilung der Tatfragen aufwerfen. Ernstliche Zweifel
können danach auch bestehen, wenn die streitige Rechtsfrage
höchstrichterlich noch nicht entschieden wurde und im
Schrifttum oder auch in der Rechtsprechung der FG unterschiedliche
Auffassungen vertreten werden (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom
18.10.1989 IV B 149/88, BFHE 158, 426, BStBl II 1990, 71 = SIS 89 24 10; vom 6.3.2000 V B 170/99, BFH/NV 2000, 1147 = SIS 00 11 86;
Birkenfeld in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 69 FGO Rz 311,
m.w.N.; Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., §
69 Rz 87).
2. Nach diesen Grundsätzen hat das FG zu
Recht ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der
angefochtenen Umsatzsteuer-Änderungsbescheide 2002 und 2003
bejaht.
a) Eine nach § 4 Nr. 1 Buchst. b UStG
steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung liegt nach § 6a
Abs. 1 Satz 1 UStG vor, wenn bei einer Lieferung die folgenden
Voraussetzungen erfüllt sind:
„1.
|
Der Unternehmer oder der Abnehmer hat den
Gegenstand der Lieferung in das übrige Gemeinschaftsgebiet
befördert oder versendet,
|
2.
|
der Abnehmer ist
|
|
a)
|
ein Unternehmer, der den Gegenstand der
Lieferung für sein Unternehmen erworben hat,
|
|
b)
|
eine juristische Person, die nicht
Unternehmer ist oder die den Gegenstand der Lieferung nicht
für ihr Unternehmen erworben hat, oder
|
|
c)
|
bei der Lieferung eines neuen Fahrzeugs
auch jeder andere Erwerber und
|
3.
|
der Erwerb des Gegenstands der Lieferung
unterliegt beim Abnehmer in einem anderen Mitgliedstaat den
Vorschriften der Umsatzbesteuerung.“
|
Die Voraussetzungen des § 6a Abs. 1 UStG
müssen vom Unternehmer nachgewiesen sein (§ 6a Abs. 3
Satz 1 UStG). Wie der Nachweis im Einzelnen zu führen ist, hat
das Bundesministerium der Finanzen (BMF) mit Zustimmung des
Bundesrats in § 17a bis § 17c der
Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung 1999 (Buch- und
Belegnachweis) geregelt.
Buch- und Belegnachweis sind nach der
Rechtsprechung des EuGH (Urteil vom 27.9.2007 Rs. C-146/05 -
Collée -, Slg. 2007, I-7861 = SIS 08 00 30) und dem
Folgeurteil des BFH vom 6.12.2007 V R 59/03 (BFHE 219, 469, BStBl
II 2009, 57 = SIS 08 10 23) keine materiellen Voraussetzungen
für die Befreiung als innergemeinschaftliche Lieferung,
sondern bestimmen lediglich, dass und wie der Unternehmer die
Nachweise zu erbringen hat. Kommt der Unternehmer seinen
Nachweispflichten nicht nach, ist zwar grundsätzlich davon
auszugehen, dass die Voraussetzungen einer innergemeinschaftlichen
Lieferung (§ 6a Abs. 1 UStG) nicht erfüllt sind. Etwas
anderes gilt ausnahmsweise dann, wenn trotz der Nichterfüllung
der - formellen - Nachweispflichten aufgrund der objektiven
Beweislage feststeht, dass die Voraussetzungen des § 6a Abs. 1
UStG vorliegen. Dann ist die Steuerbefreiung zu gewähren, auch
wenn der Unternehmer die nach § 6a Abs. 3 UStG erforderlichen
Nachweise nicht erbrachte.
b) Im Streitfall sprechen erhebliche
Gesichtspunkte für das Vorliegen steuerfreier
innergemeinschaftlicher Lieferungen.
aa) Die streitgegenständlichen
Umsätze beruhen, was unstrittig ist, auf Lieferungen von
Kraftfahrzeugen (PKW) an Abnehmer in Portugal. Bei diesen Abnehmern
handelt es sich ganz überwiegend um portugiesische
Unternehmer, die diese Fahrzeuge für ihr Unternehmen erworben
haben. Soweit eine Zuordnung der Kfz-Lieferungen an Unternehmer
weder von der Antragstellerin glaubhaft gemacht noch von der
Steuerfahndung festgestellt wurde, und damit möglicherweise an
Privatpersonen geliefert wurde, scheidet dagegen eine
Steuerfreiheit nach § 4 Nr. 1 Buchst. b UStG aus.
bb) Die von den unternehmerisch tätigen
Abnehmern erworbenen Fahrzeuge unterlagen auch i.S. von § 6a
Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 UStG der Erwerbsbesteuerung in Portugal. Dass
hierfür die bloße Steuerbarkeit in dem anderen
Mitgliedstaat (Handzik in Offerhaus/Söhn/Lange, § 6a UStG
Rz 52) genügt, ergibt sich aus Art. 28a Abs. 1 Buchst. a der
Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17.5.1977 zur
Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über
die Umsatzsteuern (Richtlinie 77/388/EWG) i.V.m. der entsprechenden
portugiesischen Umsetzungsnorm. Daher ist insoweit irrelevant, ob
diese Erwerbsbesteuerung in Portugal tatsächlich stattgefunden
hat (vgl. EuGH-Urteil vom 27.9.2007 Rs. C-409/04 - Teleos -, Slg.
2007, I-7797 = SIS 08 00 38, Randnrn. 69 ff.; BFH-Urteil in BFHE
219, 469, BStBl II 2009, 57 = SIS 08 10 23, unter II.1.a, sowie
BFH-Urteil vom 30.3.2006 V R 47/03, BFHE 213, 148 = SIS 06 24 58).
cc) Dem FG ist auch insoweit zu folgen, als
der im Rahmen eines fehlenden oder unzureichenden Buchnachweises
relevante Gesichtspunkt einer Gefährdung des Steueraufkommens
der Qualifizierung als steuerfreie innergemeinschaftliche
Lieferungen bei summarischer Prüfung nicht entgegensteht.
(1) Der EuGH hat in der Rs. Collée in
Slg. 2007, I-7861 = SIS 08 00 30 entschieden, das nationale Gericht
müsse insoweit prüfen, ob die verspätete Erbringung
des Buchnachweises zu einer Gefährdung des Steueraufkommens
führen oder die Erhebung von Mehrwertsteuer
beeinträchtigen konnte (Randnr. 36). Die Nichterhebung der
Mehrwertsteuer auf eine innergemeinschaftliche Lieferung könne
dabei aber nicht als eine Gefährdung des Steueraufkommens
angesehen werden, weil solche Einnahmen nach dem Grundsatz der
steuerlichen Territorialität dem Mitgliedstaat zustünden,
in dem der Endverbrauch erfolge (Randnr. 37; ähnlich Urteil
vom 8.5.2008 Rs. C-95/07 - Ecotrade -, Slg. 2008, I-3457 = SIS 08 25 48, Randnr. 71 im Rahmen der Anwendung des
Reverse-Charge-Verfahrens).
(2) Danach ist nicht auszuschließen,
dass das FG zu Recht wegen eines fehlenden Besteuerungsrechts
Deutschlands eine Gefährdung des Steueraufkommens verneint
hat. Dass es allein auf die Gefährdung des Steueraufkommens
des Lieferstaats ankommt, entspricht auch einer weithin vertretenen
Ansicht (vgl. FG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 27.11.2008 6 K
1463/08, juris; Winter, UR 2007, 881, 882; Hentschel, DStR 2009,
1076, 1078; Huschens, EU-Umsatz-Steuer-Berater 2007, 21;
Sterzinger, UR 2008, 169, 172). Davon scheint auch der BFH im
Folgeurteil Collée in BFHE 219, 469, BStBl II 2009, 57 = SIS 08 10 23 auszugehen. Darin schließt er die Gefährdung
des Steueraufkommens deshalb aus, weil das FA dem S den
Vorsteuerabzug aus den Rechnungen der GmbH an S über die
fingierten Kfz-Lieferungen von vornherein versagte und zudem der
Kläger die unrichtigen Rechnungen an S widerrufen hatte (vgl.
unter II.2.b).
c) Allerdings ist letztlich noch offen und
ungeklärt, ob die Voraussetzungen einer steuerfreien
innergemeinschaftlichen Lieferung auch dann vorliegen, wenn der
Lieferer an der Vermeidung der Erwerbsbesteuerung seines Abnehmers
im Gemeinschaftsgebiet mitwirkt (vgl. dazu Beschlüsse des BGH
in BGHSt 53, 45 = SIS 09 09 59, und vom 19.2.2009 1 StR 633/08,
Zeitschrift für Wirtschafts- und Steuerstrafrecht 2009, 238 =
SIS 09 22 37).
Es entspricht gefestigter Rechtsprechung des
EuGH, dass eine betrügerische oder missbräuchliche
Berufung auf das Gemeinschaftsrecht nicht erlaubt ist (vgl.
EuGH-Urteile vom 6.7.2006 Rs. C-439/04 und C-440/04 - Kittel und
Recolta Recycling -, Slg. 2006, I-6161 = SIS 06 33 36, Randnr. 54,
m.w.N.; vom 21.2.2006 Rs. C-255/02 - Halifax -, Slg. 2006, I-1609 =
SIS 06 12 87, Randnrn. 68 f.). Im Zusammenhang mit der Frage der
Steuerfreiheit innergemeinschaftlicher Lieferungen nach Art. 28c
Teil A Buchst. a der Richtlinie 77/388/EWG hat der EuGH daher im
Urteil Teleos in Slg. 2007, I-7797 entschieden, dass es nicht gegen
das Gemeinschaftsrecht verstieße, wenn vom Lieferanten
gefordert würde, dass er alle Maßnahmen ergreift, die
vernünftigerweise von ihm verlangt werden können, um
sicherzustellen, dass der von ihm getätigte Umsatz nicht zu
seiner Beteiligung an einer Steuerhinterziehung führt. Dass
der Lieferant gutgläubig war, dass er alle ihm zur
Verfügung stehenden, zumutbaren Maßnahmen ergriffen hat
und dass seine Beteiligung an einem Betrug ausgeschlossen ist, sind
danach wichtige Kriterien im Rahmen der Feststellung, ob er
nachträglich zur Mehrwertsteuer herangezogen werden kann (vgl.
Leitsatz 2 sowie Randnrn. 65 f.).
aa) Mit der Ausstellung von Rechnungen, die
den unzutreffenden Hinweis auf eine Differenzbesteuerung nach
§ 25a UStG trugen, hat die Antragstellerin an einer
betrügerischen Handlung ihrer Abnehmer in Portugal
mitgewirkt.
Es wird im Hauptsacheverfahren zu klären
sein, ob die Mitwirkung eines inländischen Unternehmers an
einer Steuerhinterziehung, die sein ausländischer Abnehmer
gegenüber dessen Mitgliedstaat begeht, es rechtfertigen kann,
dass der deutsche Fiskus eine Steuer festsetzen darf, die nicht
entstanden wäre, wenn der deutsche Unternehmer seinen wahren
Abnehmer in seinen Büchern benannt und nicht einen
Scheinabnehmer vorgetäuscht hätte. Dadurch könnte
die Versagung der Steuerfreiheit möglicherweise einen
unzulässigen Sanktionscharakter erhalten (vgl. dazu Randnr. 45
des Schlussantrags der Generalanwältin vom 11.1.2007 in der
Rs. C-146/05 - Collée -, Slg. 2007, I-7861; sowie
EuGH-Urteil Collée in Slg. 2007, I-7861 = SIS 08 00 30,
Randnr. 40).
bb) Unter dem Gesichtspunkt des
Rechtsmissbrauchs wird vertreten, dass die für den Leistenden
erkennbare Nichtbesteuerung des innergemeinschaftlichen Erwerbs
durch den Erwerber zur Steuerpflicht der innergemeinschaftlichen
Lieferung führe (Wäger, Urteilsanmerkung zum EuGH-Urteil
Kittel und Recolta Recycling in Slg. 2006, I-6161, UR 2006, 599,
601 = SIS 06 33 36). Dem könnte jedoch entgegenstehen, dass
die Feststellung einer missbräuchlichen Praxis erfordert, dass
die Umsätze trotz formaler Anwendung des Gemeinschaftsrechts
und des zu ihrer Umsetzung erlassenen nationalen Rechts einen
Steuervorteil zum Ergebnis haben, dessen Gewährung dem mit
diesen Bestimmungen verfolgten Ziel zuwiderliefe. Außerdem
muss anhand objektiver Anhaltspunkte ersichtlich sein, dass mit den
fraglichen Umsätzen im Wesentlichen ein Steuervorteil bezweckt
wird. Denn das Missbrauchsverbot ist nicht relevant, wenn die
fraglichen Umsätze eine andere Erklärung haben als nur
die Erlangung von Steuervorteilen (vgl. EuGH-Urteil Halifax in Slg.
2006, I-1609 = SIS 06 12 87, Randnrn. 74 ff.).
In diesem Zusammenhang stellt sich die
höchstrichterlich noch nicht entschiedene Rechtsfrage, ob die
Vermeidung der Erwerbsbesteuerung durch den Abnehmer ein dem
Lieferanten zuzurechnender Steuervorteil ist, den dieser auch im
Wesentlichen bezweckt hat. Die Klärung dieser Frage kann
jedoch nicht im vorläufigen Aussetzungsverfahren erfolgen,
sondern ist dem Hauptsacheverfahren vorbehalten. In diesem wird
auch die künftige Entscheidung des EuGH über die ihm vom
1. Strafsenat des BGH zur Vorabentscheidung vorgelegten Fragen zu
berücksichtigen sein (Beschluss vom 7.7.2009 1 StR 41/09,
juris).
d) Die ernstlichen Zweifel an der
Rechtmäßigkeit der angefochtenen Umsatzsteuerbescheide
können - entgegen der Ansicht des FA - auch nicht durch den
Hinweis auf das BFH-Urteil in BFHE 219, 410, BStBl II 2009, 49 =
SIS 08 17 95 ausgeräumt werden. Darin wurde die Steuerfreiheit
von innergemeinschaftlichen Lieferungen versagt, weil die
Klägerin keinen Beleg vorlegte, aus dem sich leicht und
einfach nachprüfbar ergab, dass sie oder ihr Abnehmer die
Gegenstände der Lieferungen in das übrige
Gemeinschaftsgebiet befördert oder versendet hat. Das FG hatte
zwar festgestellt, dass W und B die tatsächlichen Abnehmer
waren, ungeklärt blieb dagegen, ob die Beförderung oder
Versendung durch den Unternehmer oder den Abnehmer erfolgte. Damit
ist der Streitfall, in dem eine Versendung durch Spediteure nach
objektiver Beweislage feststeht, nicht vergleichbar.
3. Soweit Lieferungen an portugiesische
Unternehmer weder von der Antragstellerin glaubhaft gemacht noch
von der Steuerfahndung festgestellt wurden, ist bei der gebotenen
summarischen Prüfung im Aussetzungsverfahren von nicht
steuerbaren Lieferungen an private Abnehmer auszugehen.
a) Grenzüberschreitende Lieferungen an
private Abnehmer sind zwar grundsätzlich im Ursprungsland
steuerbar und mangels Steuerbefreiung auch steuerpflichtig. Eine
Besteuerung im Bestimmungsland ergibt sich jedoch nach § 3c
Abs. 1 UStG für die Lieferungen von Gegenständen (mit
Ausnahme neuer Fahrzeuge) im Wege der Beförderung oder
Versendung durch den Lieferer in das Gebiet eines anderen
Mitgliedstaats an einen Abnehmer i.S. von § 3c Abs. 2 UStG,
wobei die sog. Lieferschwelle des § 3c Abs. 3 UStG
überschritten sein muss.
b) Im Streitfall lieferte die Antragstellerin
gebrauchte Fahrzeuge mittels Spedition an Abnehmer in Portugal. Die
sog. Lieferschwelle (ohne Umsatzsteuer) betrug und beträgt
31.424,27 EUR (BMF-Schreiben vom 13.9.2002 IV B 7 - S 7115 - 14/02,
BStBl I 2002, 951 = SIS 02 95 03; Martin in Sölch/Ringleb,
Umsatzsteuer, § 3c Rz 26) und dürfte bei 4
Kfz-Verkäufen in 2003 und bei 29 Kfz-Verkäufen in 2002
überschritten worden sein.