Dem Gerichtshof der Europäischen Union
werden folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Enthält eine zur Ausübung des
Rechts auf Vorsteuerabzug nach Art. 168 Buchst. a i.V.m. Art. 178
Buchst. a der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28.11.2006
über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem erforderliche
Rechnung die „vollständige Anschrift“ i.S. von
Art. 226 Nr. 5 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28.11.2008
über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem, wenn der leistende
Unternehmer in der von ihm über die Leistung ausgestellten
Rechnung eine Anschrift angibt, unter der er zwar postalisch zu
erreichen ist, wo er jedoch keine wirtschaftliche Tätigkeit
ausübt?
2. Steht Art. 168 Buchst. a i.V.m. Art. 178
Buchst. a der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28.11.2006
über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem unter Beachtung des
Effektivitätsgebots einer nationalen Praxis entgegen, die
einen guten Glauben des Leistungsempfängers an die
Erfüllung der Vorsteuerabzugsvoraussetzungen nur
außerhalb des Steuerfestsetzungsverfahrens im Rahmen eines
gesonderten Billigkeitsverfahrens berücksichtigt? Ist Art. 168
Buchst. a i.V.m. Art. 178 Buchst. a der Richtlinie 2006/112/EG des
Rates vom 28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem
insoweit berufbar?
1
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I. Sachverhalt des
Ausgangsverfahrens
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2
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Die Klägerin und
Revisionsklägerin (Klägerin), eine im Dezember 2007
gegründete und sich seit 2015 in Liquidation befindende GmbH,
handelte im Jahr 2008 (Streitjahr) mit Kfz. Alleiniger
Gesellschafter und Geschäftsführer der GmbH war A, der
die Klägerin nunmehr als Liquidator vertritt.
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3
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In ihrer Umsatzsteuererklärung
für 2008 erklärte die Klägerin u.a. steuerfreie
innergemeinschaftliche Kfz-Lieferungen und 122 von der D erworbene
Fahrzeuge betreffende Vorsteuerbeträge in Höhe von ...
EUR.
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4
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Das seinerzeit zuständige Finanzamt
folgte den Angaben der Klägerin nicht und setzte die
Umsatzsteuer für 2008 mit Bescheid vom 31.8.2010 entsprechend
den Feststellungen von zwei Umsatzsteuer-Sonderprüfungen fest.
Die als umsatzsteuerfrei erklärten innergemeinschaftlichen
Kfz-Lieferungen nach Spanien (X) seien steuerpflichtig, weil die
betreffenden Fahrzeuge tatsächlich nicht nach Spanien
verbracht, sondern im Inland vermarktet worden seien. Die geltend
gemachten Vorsteuerbeträge aus Rechnungen der D seien nicht
abziehbar, weil es sich dabei um eine „Scheinfirma“
handele, die unter ihrer Rechnungsanschrift keinen Sitz gehabt
habe.
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Der Einspruch blieb ohne Erfolg
(Einspruchsentscheidung vom 19.11.2011).
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Während des anschließenden
Klageverfahrens wurde aufgrund eines Organisationsakts der
Finanzverwaltung der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt
- FA - ) für die Besteuerung der Klägerin
zuständig.
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Das Finanzgericht (FG) gab der Klage nur
insoweit statt, als die Lieferung eines Porsche 997 S Cabrio
besteuert worden war. Im Übrigen wies es die Klage als
unbegründet ab.
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8
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Hinsichtlich der - was allein Gegenstand
des Vorabentscheidungsersuchens ist - im Streit stehenden
Vorsteuerbeträge stellte das FG u.a. fest, dass sich unter der
von D in ihren Rechnungen angegebenen Anschrift zwar ihr
statuarischer Sitz befunden habe, es sich hierbei jedoch um einen
„Briefkastensitz“ gehandelt habe. Unter der
betreffenden Anschrift sei D lediglich postalisch erreichbar
gewesen. Dort habe sich u.a. ein Buchhaltungsbüro befunden,
das die Post für D entgegengenommen und für sie
Buchhaltungsarbeiten erledigt habe. Geschäftliche
Aktivitäten der D hätten dort nicht stattgefunden. D habe
ab dem 1.10.2007 Räumlichkeiten (zwei Büroräume,
eine Einbauküche, zwei Toiletten und eine Lagerfläche)
unter einer anderen Anschrift angemietet; es spreche einiges
dafür, dass sich dort auch die von D gehandelten Fahrzeuge
befunden hätten.
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9
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Es komme nicht darauf an, ob die
Klägerin auf die Richtigkeit der in den Rechnungen der D
angegebenen Anschrift habe vertrauen dürfen. Denn § 15
des Umsatzsteuergesetzes (UStG) sehe den Schutz des guten Glaubens
an die Erfüllung der Vorsteuerabzugsvoraussetzungen nicht vor,
weshalb Vertrauensschutzgesichtspunkte nicht bei der
Steuerfestsetzung, sondern ggf. nur im Rahmen einer
Billigkeitsmaßnahme gemäß §§ 163, 227
der Abgabenordnung (AO) berücksichtigt werden
könnten.
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10
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Die Vorentscheidung ist in EFG 2014, 1526 =
SIS 14 20 64 veröffentlicht.
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Mit ihrer Revision macht die Klägerin
hinsichtlich des Vorsteuerabzugs aus den Rechnungen der D geltend,
die Anschrift i.S. von § 14 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 UStG und i.S.
von Art. 226 Nr. 5 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom
28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem
(MwStSystRL) diene der Identifikation des Rechnungsausstellers. Sie
setze (nur) postalische Erreichbarkeit voraus, die gegeben sei,
wenn - wie hier - Schriftstücke zugestellt werden
könnten. Davon gehe auch die Finanzverwaltung in Abschn. 14.5
Abs. 2 Satz 3 des Umsatzsteuer-Anwendungserlasses (UStAE) aus. Das
FG habe dagegen rechtsfehlerhaft auf geschäftliche
Aktivitäten des leistenden Unternehmers D unter der von ihm in
seinen Rechnungen angegebenen Anschrift abgestellt.
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12
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Es sei für einen
vorsteuerabzugsberechtigten Unternehmer, der grundsätzlich auf
die Richtigkeit der Angaben des an ihn leistenden Unternehmers
vertrauen dürfe, unzumutbar, wenn er prüfen müsse,
ob bzw. inwieweit an der angegebenen Anschrift über die
postalische Erreichbarkeit hinaus betriebliche Aktivitäten des
leistenden Unternehmers stattfänden. D habe existiert, sei
leistende Unternehmerin i.S. von § 2 UStG und unter der
angegebenen Anschrift auch postalisch erreichbar gewesen. Die
angegebene Anschrift werde auch nicht deshalb unzutreffend, weil
der leistende Unternehmer - wie hier die D - auch unter einer
weiteren Adresse erreichbar sei und dort betriebliche
Aktivitäten entfalte.
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13
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Die Klägerin beantragt, die
Vorentscheidung aufzuheben und den Umsatzsteuerbescheid 2008 vom
31.8.2010 dahingehend zu ändern, dass die Umsatzsteuer
für 2008 wie erklärt festgesetzt wird.
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14
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Sinngemäß regt sie hilfsweise
an, dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) die Frage
zur Vorabentscheidung vorzulegen, ob „... unter den
Umständen wie bei der D ... davon auszugehen (ist), dass sie
an ihrem Firmensitz ... auch ihre Anschrift im Sinne der
Mehrwertsteuersystemrichtlinie (Richtlinie 2006/112/EG)
hatte“.
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Das FA beantragt, die Revision als
unbegründet zurückzuweisen.
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II. Zur Rechtslage nach nationalem Recht
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1. Maßgebliche Vorschriften des
nationalen Rechts
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a) Der Unternehmer kann nach § 15 Abs. 1
Satz 1 Nr. 1 Satz 1 UStG die gesetzlich geschuldete Steuer für
Lieferungen und sonstige Leistungen, die von einem anderen
Unternehmer für sein Unternehmen ausgeführt worden sind,
als Vorsteuer abziehen. Die Ausübung des Vorsteuerabzugs setzt
nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 2 UStG voraus, dass der
Unternehmer eine nach den §§ 14, 14a UStG ausgestellte
Rechnung besitzt.
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b) Eine solche Rechnung muss u.a.
gemäß § 14 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 UStG den
vollständigen Namen und die vollständige Anschrift des
leistenden Unternehmers und des Leistungsempfängers
enthalten.
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20
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Nach § 31 Abs. 2 der
Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung ist den Anforderungen des
§ 14 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 UStG genügt, wenn sich auf Grund
der in die Rechnung aufgenommenen Bezeichnungen der Name und die
Anschrift sowohl des leistenden Unternehmers als auch des
Leistungsempfängers eindeutig feststellen lassen.
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c) Nach § 163 Satz 1 AO können
Steuern niedriger festgesetzt werden und einzelne
Besteuerungsgrundlagen, die die Steuern erhöhen, bei der
Festsetzung der Steuer unberücksichtigt bleiben, wenn die
Erhebung der Steuer nach Lage des einzelnen Falls unbillig
wäre. Die Entscheidung über die abweichende Festsetzung
kann mit der Steuerfestsetzung verbunden werden (§ 163 Satz 3
AO).
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22
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Außerdem können die
Finanzbehörden nach § 227 AO Ansprüche aus dem
Steuerschuldverhältnis ganz oder zum Teil erlassen, wenn deren
Einziehung nach Lage des einzelnen Falls unbillig wäre; unter
den gleichen Voraussetzungen können bereits entrichtete
Beträge erstattet oder angerechnet werden.
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2. Rechtliche Würdigung nach nationalem
Recht
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Die Klägerin ist nach nationalem Recht
nicht zu dem von ihr geltend gemachten Vorsteuerabzug aus den
Rechnungen der D berechtigt.
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a) Fehlen die für den Vorsteuerabzug nach
§ 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 2 i.V.m. §§ 14, 14a
UStG erforderlichen Rechnungsangaben oder sind sie unzutreffend,
besteht für den Leistungsempfänger kein Anspruch auf
Vorsteuerabzug (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom
17.12.2008 XI R 62/07, BFHE 223, 535, BStBl II 2009, 432 = SIS 09 07 00, unter II.2., Rz 21; vom 2.9.2010 V R 55/09, BFHE 231, 332,
BStBl II 2011, 235 = SIS 10 36 34, Rz 12; vom 22.7.2015 V R 23/14,
BFHE 250, 559, BStBl II 2015, 914 = SIS 15 19 48, Rz 22; jeweils
m.w.N.).
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26
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b) Der V. Senat des BFH hat entschieden, dass
das Merkmal „vollständige Anschrift“ i.S.
von § 14 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 UStG nur die Angabe der
zutreffenden Anschrift des leistenden Unternehmers erfüllt,
unter der er seine wirtschaftlichen Aktivitäten entfaltet
(vgl. BFH-Urteil in BFHE 250, 559, BStBl II 2015, 914 = SIS 15 19 48, Leitsatz 1 sowie Rz 25).
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27
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Das Urteil in BFHE 250, 559, BStBl II 2015,
914 = SIS 15 19 48 ist in einem Parallel-Verfahren einer
„Schwester-GmbH“ der Klägerin ergangen. Es
betrifft u.a. ebenfalls den Vorsteuerabzug aus Rechnungen der D und
bestätigt die Versagung des Vorsteuerabzugs aus deren
Rechnungen.
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28
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Die gegen dieses Urteil erhobene
Verfassungsbeschwerde hat das Bundesverfassungsgericht nicht zur
Entscheidung angenommen (vgl. Beschluss vom 13.2.2016 1 BvR
2419/15, nicht veröffentlicht ).
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29
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c) Danach ist die Klägerin hinsichtlich
der in Rede stehenden Vorsteuerbeträge nicht im Besitz von zur
Ausübung des Vor-steuerabzugs berechtigenden Rechnungen i.S.
von § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 2 i.V.m. § 14 Abs. 4
Satz 1 Nr. 1 UStG. D hatte unter der in ihren Rechnungen
angegebenen Anschrift keinerlei eigene geschäftliche
(wirtschaftliche) Aktivitäten entfaltet.
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30
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d) Soweit es die Finanzverwaltung hinsichtlich
der nach § 14 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 UStG erforderlichen Angabe
der „vollständigen Anschrift“ des
Leistungsempfängers in Abschn. 14.5 Abs. 2 Satz 3 UStAE
ausreichen lässt, wenn in der Rechnung dessen Postfach oder
Großkundenadresse „anstelle der Anschrift angegeben
wird“, bindet diese Verwaltungsanweisung die Gerichte
nicht (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 13.1.2011 V R 12/08, BFHE 232,
261, BStBl II 2012, 61 = SIS 11 06 14, Rz 68; vom 5.9.2013 XI R
7/12, BFHE 242, 399, BStBl II 2014, 37 = SIS 13 29 91, Rz 20,
m.w.N.; vom 16.12.2015 XI R 28/13, zur amtlichen
Veröffentlichung bestimmt, BFH/NV 2016, 695 = SIS 16 04 57, Rz
63, m.w.N.). Sie betrifft überdies den Leistungsempfänger
und nicht den leistenden Unternehmer.
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31
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e) Die Klägerin kann sich nach der
Rechtsprechung des BFH im Rahmen des vorliegenden
Steuerfestsetzungsverfahrens nicht auf den Schutz ihres guten
Glaubens an die Richtigkeit der Rechnungsangaben der D berufen.
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32
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aa) Das nationale Recht (§ 15 UStG) sieht
den Schutz des guten Glaubens an die Erfüllung der
Vorsteuerabzugsvoraussetzungen im Steuerfestsetzungsverfahren nicht
vor.
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33
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bb) Vertrauensschutz ist nach nationaler
Rechtslage nicht im Rahmen der Steuerfestsetzung nach §§
16, 18 UStG, sondern nur im Rahmen eines gesonderten
Billigkeitsverfahrens gemäß §§ 163, 227 AO
aufgrund besonderer Verhältnisse des Einzelfalls zu
gewähren (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Urteile
vom 30.4.2009 V R 15/07, BFHE 225, 254, BStBl II 2009, 744 = SIS 09 21 18, unter II.3.a, Rz 46; vom 8.7.2009 XI R 51/07, BFH/NV 2010,
256 = SIS 10 01 88, unter II.2., Rz 17; vom 12.8.2009 XI R 48/07,
BFH/NV 2010, 259 = SIS 10 01 90, unter II.1.c bb, Rz 40; in BFHE
231, 332, BStBl II 2011, 235 = SIS 10 36 34, Rz 16 f.; in BFHE 250,
559, BStBl II 2015, 914 = SIS 15 19 48, Rz 31).
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34
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cc) Macht der Steuerpflichtige Gesichtspunkte
des Vertrauensschutzes bereits im Festsetzungsverfahren - vor
Bekanntgabe der Steuerfestsetzung - geltend, ist die Entscheidung
über die Billigkeitsmaßnahme gemäß § 163
Satz 3 AO regelmäßig mit der Steuerfestsetzung zu
verbinden (vgl. BFH-Urteil in BFHE 250, 559, BStBl II 2015, 914 =
SIS 15 19 48, Rz 32, 46). Dies ist hier nicht der Fall.
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III. Zur Anrufung des EuGH
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Es ist aus den nachfolgenden Gründen
fraglich, ob die Versagung des Vorsteuerabzugs in einem Fall wie
diesem gegen Unionsrecht verstößt.
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1. Maßgebliche Vorschriften des
Unionsrechts
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a) Der Steuerpflichtige, der Gegenstände
und Dienstleistungen für die Zwecke seiner besteuerten
Umsätze verwendet, ist nach Art. 168 Buchst. a der im
Streitjahr 2008 maßgeblichen Fassung der MwStSystRL
berechtigt, in dem Mitgliedstaat, in dem er diese Umsätze
bewirkt, vom Betrag der von ihm geschuldeten Steuer die in diesem
Mitgliedstaat geschuldete oder entrichtete Mehrwertsteuer für
Gegenstände und Dienstleistungen, die ihm von einem anderen
Steuerpflichtigen geliefert bzw. erbracht wurden oder werden,
abzuziehen.
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39
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b) Um das Recht auf Vorsteuerabzug nach Art.
168 Buchst. a MwStSystRL in Bezug auf die Lieferung von
Gegenständen oder das Erbringen von Dienstleistungen
ausüben zu können, muss der Steuerpflichtige nach Art.
178 Buchst. a dieser Richtlinie eine gemäß Titel XI Kap.
3 Abschn. 3 bis 6 (Art. 220 bis Art. 236 sowie Art. 238, 239 und
240 MwStSystRL) ausgestellte Rechnung besitzen.
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40
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c) Eine derartige Rechnung muss u.a.
gemäß Art. 226 Nr. 5 MwStSystRL den vollständigen
Namen und die vollständige Anschrift des Steuerpflichtigen und
des Erwerbers oder Dienstleistungsempfängers enthalten.
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2. Zur ersten Vorlagefrage
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42
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Unionsrechtlich klärungsbedürftig
ist nach Auffassung des Senats, ob für die in ausgestellten
Rechnungen anzugebende „vollständige
Anschrift“ des leistenden Unternehmers i.S. von Art. 226
Nr. 5 MwStSystRL die Angabe einer Anschrift ausreicht, unter der
dieser zwar postalisch zu erreichen ist, wo er jedoch keine
wirtschaftliche Tätigkeit ausübt.
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43
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a) Das Recht auf Vorsteuerabzug setzt auch
unionsrechtlich neben den sonstigen Anforderungen als formelle
Ausübungsvoraussetzung gemäß Art. 178 Buchst. a
MwStSystRL den Besitz einer Rechnung voraus, die alle
gemäß Titel XI Kap. 3 Abschn. 3 bis 6 (Art. 220 bis Art.
236 sowie Art. 238, 239 und 240 MwStSystRL) erforderlichen Angaben
enthält (vgl. EuGH-Urteil Mahagebén und Dávid
vom 21.6.2012 C-80/11 und C-142/11, EU:C:2012:373, UR 2012, 591 =
SIS 12 19 39, Rz 52).
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44
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Dazu gehören gemäß Art. 226
Nr. 5 MwStSystRL auch der vollständige Name und die
vollständige Anschrift des Steuerpflichtigen. Dabei muss die
Rechnung alle in Art. 226 MwStSystRL genannten Informationen
enthalten (vgl. EuGH-Urteile Pannon Gép Centrum vom
15.7.2010 C-368/09, EU:C:2010:441, UR 2010, 693 = SIS 10 22 16, Rz
40 ff.; Dankowski vom 22.12.2010 C-438/09, EU:C:2010:818, UR 2011,
435 = SIS 11 01 66, Rz 29, zu der im Wesentlichen inhaltsgleichen
Regelung in Art. 22 Abs. 3 Buchst. b der Sechsten Richtlinie
77/388/EWG des Rates vom 17.5.1977 zur Harmonisierung der
Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern
- Richtlinie 77/388/EWG - ).
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45
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b) Der EuGH hat im Urteil Planzer Luxembourg
vom 28.6.2007 C-73/06 (EU:C:2007:397, UR 2007, 654 = SIS 07 28 65)
zum Sitz einer wirtschaftlichen Tätigkeit i.S. von Art. 1 Nr.
1 der Dreizehnten Richtlinie 86/560/EWG des Rates vom 17.11.1986
zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten
über die Umsatzsteuern - Verfahren der Erstattung der
Mehrwertsteuer an nicht im Gebiet der Gemeinschaft ansässige
Steuerpflichtige (Richtlinie 86/560/EWG) entschieden, dass sich
eine fiktive Ansiedlung in der Form, wie sie für eine
„Briefkastenfirma“ oder für eine
„Strohfirma“ charakteristisch sei, nicht als
derartiger Sitz ansehen lasse (vgl. EuGH-Urteil Planzer Luxembourg,
EU:C:2007:397, UR 2007, 654 = SIS 07 28 65, Rz 62, m.w.N.).
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46
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Er hat in diesem Urteil daran erinnert, dass
die Berücksichtigung der wirtschaftlichen Realität ein
grundlegendes Kriterium für die Anwendung des gemeinsamen
Mehrwertsteuersystems ist (vgl. Urteil Planzer Luxembourg,
EU:C:2007:397, UR 2007, 654 = SIS 07 28 65, Rz 43). Ein
bloßer „Briefkastensitz“ bildet aber die
wirtschaftliche Realität gerade nicht ab, sondern verschleiert
sie (so BFH-Urteil in BFHE 250, 559, BStBl II 2015, 914 = SIS 15 19 48, Rz 28).
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47
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c) Der Senat hält es nach Ergehen des
EuGH-Urteils PPUH Stehcemp vom 22.10.2015 C-277/14 (EU:C:2015:719,
UR 2015, 917 = SIS 15 25 75) für zweifelhaft, ob diese
Auslegung des Art. 226 Nr. 5 MwStSystRL der Auffassung des EuGH
entspricht.
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48
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aa) Der EuGH hat in seinem Urteil PPUH
Stehcemp (EU:C:2015:719, UR 2015, 917 = SIS 15 25 75) u.a.
festgestellt, dass ein etwaiger Verstoß des Lieferers der
Gegenstände gegen die Pflicht, die Aufnahme seiner steuerbaren
Tätigkeit anzuzeigen, das Abzugsrecht des Empfängers der
gelieferten Gegenstände in Bezug auf die dafür
entrichtete Mehrwertsteuer nicht in Frage stellen könne.
Selbst wenn der Lieferer der Gegenstände ein Steuerpflichtiger
sei, der nicht für mehrwertsteuerliche Zwecke registriert sei,
stehe dem Empfänger daher das Recht zum Vorsteuerabzug zu,
wenn die Rechnungen über die gelieferten Gegenstände alle
nach Art. 22 Abs. 3 Buchst. b der Richtlinie 77/388/EWG - nunmehr
Art. 226 MwStSystRL - vorgeschriebenen Angaben enthielten,
insbesondere diejenigen, die zur Bestimmung des Ausstellers der
Rechnungen und der Art der Gegenstände erforderlich seien
(vgl. EuGH-Urteil PPUH Stehcemp, EU:C:2015:719, UR 2015, 917 = SIS 15 25 75, Rz 40, m.w.N.).
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49
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(1) In Bezug auf den Lieferer
(„Finnet“) erschien dem EuGH in seinem Urteil
PPUH Stehcemp eine wirtschaftliche Tätigkeit nicht deshalb
ausgeschlossen, weil nach Ansicht des vorlegenden Gerichts der
heruntergekommene Zustand des Gebäudes, in dem sich der
Gesellschaftssitz von „Finnet“ befinde,
keinerlei wirtschaftliche Tätigkeit gestatte, „da
eine solche Feststellung nicht ausschließt, dass diese
Tätigkeit an anderen Orten als dem Gesellschaftssitz
ausgeführt wurde“ (vgl. EuGH-Urteil PPUH Stehcemp,
EU:C:2015:719, UR 2015, 917 = SIS 15 25 75, Rz 35).
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50
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(2) In den Rechnungen, die dem
Ausgangsverfahren zum EuGH-Urteil PPUH Stehcemp vorlagen, waren
u.a. die Art der gelieferten Gegenstände und der Betrag der
geschuldeten Mehrwertsteuer wie auch der Name des Lieferers, dessen
Steueridentifikationsnummer und die Anschrift des
Gesellschaftssitzes ausgewiesen. Daher konnte nach Ansicht des EuGH
aufgrund der vom vorlegenden Gericht aufgezeigten Umstände
weder der Schluss gezogen werden, dass der Lieferer nicht die
Eigenschaft eines Steuerpflichtigen aufweist, noch dem
Leistungsempfänger infolgedessen das Recht auf Vorsteuerabzug
versagt werden (vgl. EuGH-Urteil PPUH Stehcemp, EU:C:2015:719, UR
2015, 917 = SIS 15 25 75, Rz 42).
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51
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(3) Der Vorsteuerabzug ist dagegen nach diesem
Urteil nur zu versagen, wenn aufgrund objektiver Anhaltspunkte und
ohne von dem Steuerpflichtigen ihm nicht obliegende
Überprüfungen zu fordern dargelegt wird, dass dieser
Steuerpflichtige wusste oder hätte wissen müssen, dass
diese Lieferung im Zusammenhang mit einer
Mehrwertsteuerhinterziehung steht (vgl. EuGH-Urteil PPUH Stehcemp,
EU:C:2015:719, UR 2015, 917 = SIS 15 25 75, Leitsatz, Rz 49,
m.w.N.).
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52
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Dies lässt möglicherweise den
Schluss zu, dass der EuGH die von „Finnet“
ausgestellten Rechnungen als ordnungsgemäß ansieht,
obwohl an der angegebenen Anschrift keine wirtschaftliche
Tätigkeit stattfand.
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53
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bb) Danach ist nach Ansicht des Senats im
Hinblick auf das Vorsteuerabzugsrecht des Leistungsempfängers
nach Art. 168 Buchst. a MwStSystRL möglicherweise nicht
entscheidend, ob unter der in der Rechnung angegebenen Adresse i.S.
von Art. 226 Nr. 5 MwStSystRL eine wirtschaftliche Tätigkeit
des Leistenden ausgeübt wird. Ob der Lieferer unter der
angegebenen Rechnungsadresse eine wirtschaftliche Tätigkeit
ausübt oder nicht, könnte mithin keine Voraussetzung
für den Vorsteuerabzug sein (vgl. dazu von Streit/Luther, Der
Umsatz-Steuer-Berater - UStB - 2016, 51 [56 f.]). Trifft dies zu,
dürfte bezogen auf den Streitfall der Vorsteuerabzug der
Klägerin nicht deshalb versagt werden, weil D unter der von
ihr angegebenen Rechnungsadresse, an der sich zudem ihr
statuarischer Sitz befand, keine eigene wirtschaftliche
Tätigkeit entfaltet hat.
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54
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c) Überdies dürfte in Anbetracht der
technischen Fortentwicklung und der Änderung von
Geschäftsgebaren die Anforderung, dass unter der vom Lieferer
angegebenen Anschrift geschäftliche Aktivitäten
stattfinden, in vielen Fällen nicht (mehr) der
wirtschaftlichen Realität entsprechen (vgl. dazu FG Köln,
Urteil vom 28.4.2015 10 K 3803/13, EFG 2015, 1655 = SIS 15 22 03,
Rz 28). Der klassische Unternehmer mit Büro und Personal,
dessen Firma immer einen Sitz hatte, an dem eigene wirtschaftliche
Tätigkeit entfaltet wurde, existiert heute vielfach nicht
mehr. Das Berufsbild des Einzelunternehmers wird tatsächlich
oftmals durch minimale Betriebsstrukturen geprägt, die weder
ein herkömmliches Geschäftslokal noch einen
Geschäftsbetrieb benötigen, sondern - wie z.B. im Fall
eines Online-Händlers - Laptop und Mobiltelefon zur Abwicklung
der Geschäfte ausreichen lassen (vgl. dazu Weymüller,
Mehrwertsteuerrecht - MwStR - 2015, 816 [821]).
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55
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Möglicherweise ist deshalb für die
Anforderungen an die Angabe der vollständigen Anschrift i.S.
von Art. 226 Nr. 5 MwStSystRL nach dem Gegenstand und/oder Umfang
des Unternehmens des Steuerpflichtigen bzw. des Erwerbers oder
Dienstleistungsempfängers zu unterscheiden.
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3. Zur zweiten Vorlagefrage
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Im Streitfall stellt sich ferner die Frage, ob
Art. 168 Buchst. a i.V.m. Art. 178 Buchst. a MwStSystRL unter
Beachtung des Effektivitätsgebots einer nationalen Praxis
entgegensteht, die einen guten Glauben des Leistungsempfängers
an die Erfüllung der Vorsteuerabzugsvoraussetzungen nur
außerhalb des Steuerfestsetzungsverfahrens im Rahmen eines
gesonderten Billigkeitsverfahrens berücksichtigt.
Möglicherweise kann sich der Unternehmer insoweit auf Art. 168
Buchst. a i.V.m. Art. 178 Buchst. a MwStSystRL berufen.
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Wäre dies der Fall, könnte die
Klägerin - unter Gewährung von Vertrauensschutz im
Steuerfestsetzungsverfahren - den streitigen Vorsteuerabzug bereits
dann beanspruchen, wenn sie - wie sie geltend macht - weder wusste
noch hätte wissen können, dass D unter der angegebenen
Rechnungsanschrift nur einen „Briefkastensitz“
unterhalten hat.
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a) Zwar sind mangels einer einschlägigen
Unionsregelung Verfahrensmodalitäten, die den Schutz der dem
Bürger aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte
gewährleisten sollen, Sache der innerstaatlichen Rechtsordnung
eines jeden Mitgliedstaats (vgl. BFH-Urteil in BFHE 250, 559, BStBl
II 2015, 914 = SIS 15 19 48, Rz 32, m.w.N. zur Rechtsprechung des
EuGH). Auch ist das der Finanzverwaltung in § 163 AO
eingeräumte Ermessen auf Null reduziert, wenn - wie beim
Schutz des guten Glaubens an die Erfüllung der
Vorsteuerabzugsvoraussetzungen - unionsrechtliche Regelungen eine
Billigkeitsmaßnahme erfordern (vgl. z.B. BFH-Urteile vom
8.3.2001 V R 61/97, BFHE 194, 517, BStBl II 2004, 373 = SIS 01 08 84, unter II.5., Rz 30; vom 30.7.2008 V R 7/03, BFHE 223, 372,
BStBl II 2010, 1075 = SIS 09 03 42, unter II.5., Rz 49; in BFHE
250, 559, BStBl II 2015, 914 = SIS 15 19 48, Rz 32).
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b) Der Senat hält es jedoch nicht
für ausgeschlossen, dass unionsrechtlichen Belangen nur
dadurch ausreichend Rechnung getragen wird, wenn - abweichend von
der nationalen Praxis - der Vorsteuerabzug trotz des Fehlens
einzelner materieller oder formeller Merkmale wegen des guten
Glaubens des Leistungsempfängers an deren Vorliegen im Rahmen
der Steuerfestsetzung zu gewähren ist (vgl. den in diesem
Rechtsstreit ergangenen Senatsbeschluss vom 26.9.2014 XI S 14/14,
BFH/NV 2015, 158 = SIS 14 34 36; für die Berücksichtigung
von Vertrauensschutz im Festsetzungsverfahren FG
Berlin-Brandenburg, Urteile vom 3.4.2014 7 V 7027/14, EFG 2014,
1445 = SIS 14 17 55, Rz 33 ff.; vom 27.8.2014 7 V 7147/14, EFG
2014, 2096 = SIS 14 29 00, Rz 30; Wagner in Sölch/Ringleb,
Umsatzsteuer, § 15 Rz 96; Stadie in Rau/
Dürrwächter, UStG, § 15 Rz 882; Drüen, DB 2010,
1847; von Streit, UStB 2012, 288; Stapperfend, UR 2013, 321; Hassa,
UR 2015, 809; Weymüller, MwStR 2015, 816; Grube, MwStR 2015,
964; Neeser, UVR 2015, 331; von Streit/Luther, UStB 2016, 51;
ablehnend Heuermann, MwStR 2015, 798; ders. Deutsches Steuer-Recht
2015, 2077; Bunjes/Heidner, UStG, 14. Aufl., § 15 Rz 30).
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aa) Aus der jüngeren Rechtsprechung des
EuGH (vgl. z.B. EuGH-Urteile Dankowski, EU:C:2010:818, UR 2011, 435
= SIS 11 01 66; Mahagebén und Dávid, EU:C:2012:373,
UR 2012, 591 = SIS 12 19 39; Tóth vom 6.9.2012 C-324/11,
EU:C:2012:549, UR 2012, 851 = SIS 12 25 10; Bonik vom 6.12.2012
C-285/11, EU:C:2012:774, UR 2013, 195 = SIS 13 07 66; Maks Pen vom
13.2.2014 C-18/13, EU:C:2014:69, UR 2014, 861 = SIS 14 04 39; PPUH
Stehcemp, EU:C:2015:719, UR 2015, 917 = SIS 15 25 75) könnte
sich ergeben, dass ein nicht vorliegendes Tatbestandsmerkmal des
Vorsteuerabzugs durch den guten Glauben des
Leistungsempfängers an dessen Vorliegen ersetzt werden kann.
Der EuGH sah im Kern die materiellen und formellen Voraussetzungen
für die Entstehung und die Ausübung des Rechts auf
Vorsteuerabzug als erfüllt an, obwohl nach den zu
beurteilenden Sachverhalten dieser Entscheidungen die
Vorsteuerabzugsvoraussetzungen nicht vorlagen bzw. zumindest
zweifelhaft waren.
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bb) Es ist klärungsbedürftig, ob der
EuGH das Recht auf Vorsteuerabzug durch
Vertrauensschutzgesichtspunkte inzwischen auch erweitert hat oder -
wie der V. Senat des BFH in seinem Urteil in BFHE 250, 559, BStBl
II 2015, 914 = SIS 15 19 48, Rz 36 meint - nach wie vor (nur)
begrenzt, indem er den Vorsteuerabzug, wie bereits in seinem Urteil
Kittel und Recolta Recycling vom 6.7.2006 C-439/04 und C-440/04
(EU:C:2006:446, UR 2006, 594 = SIS 06 33 36), selbst dann versagt,
wenn dessen Voraussetzungen zwar tatsächlich vorliegen, jedoch
aufgrund objektiver Umstände feststeht, dass der
Steuerpflichtige wusste oder hätte wissen müssen, dass er
sich mit seinem Erwerb an einem Umsatz beteiligt, der in eine vom
Lieferer oder von einem anderen Wirtschaftsteilnehmer auf einer
vorhergehenden oder nachfolgenden Umsatzstufe der Lieferkette
begangene Steuerhinterziehung einbezogen war (vgl. dazu auch
Heuermann, MwStR 2015, 798).
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cc) Der Senat weist in diesem Zusammenhang
darauf hin, dass nach seinem Verständnis in der Rechtssache
PPUH Stehcemp (EU:C:2015:719, UR 2015, 917 = SIS 15 25 75) nicht
alle materiellen Voraussetzungen für die Entstehung des Rechts
auf Vorsteuerabzug vorgelegen haben; denn nach Rz 46 war nicht
„Finnet“ leistende Unternehmerin und es war
nicht zu ermitteln, wer die Lieferung tatsächlich
ausgeführt hat.
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Wenn jedoch der (tatsächliche) Lieferer
unbekannt ist, steht z.B. nicht fest, dass - wie für die
Gewährung des Vorsteuerabzugs erforderlich - die Lieferung
überhaupt von einem Steuerpflichtigen (Unternehmer)
ausgeführt wurde und dass die Lieferung steuerpflichtig war
und z.B. keine steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung
vorgelegen hat.
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Die Rechnung von „Finnet“
war eine Rechnung i.S. des Art. 203 MwStSystRL (§ 14c UStG),
die kein Recht zum Vorsteuerabzug eröffnet, weil das Recht auf
Vorsteuerabzug nur für diejenigen Steuern besteht, die
geschuldet werden - d.h. mit einem der Mehrwertsteuer unterworfenen
Umsatz in Zusammenhang stehen - oder die entrichtet worden sind,
soweit sie geschuldet wurden (EuGH-Urteile Genius Holding vom
13.12.1989 C-342/87, EU:C:1989:635, NJW 1991, 632, Rz 13; Schmeink
& Cofreth und Strobel vom 19.9.2000, C-454/98, EU:C:2000:469, UR
2000, 470 = SIS 00 12 77, Rz 53; Fatorie vom 6.2.2014 C-424/12,
EU:C:2014:50, HFR 2014, 383 = SIS 14 04 45, Rz 39 f.).
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dd) Falls bereits auf Tatbestandsebene des
Art. 168 Buchst. a MwStSystRL Vertrauensschutzgesichtspunkte
berücksichtigt werden müssen, könnte außerdem
von Bedeutung sein, dass nach der Rechtsprechung des EuGH die
Voraussetzungen für die Entstehung und der Umfang des Rechts
auf Vorsteuerabzug so klar, genau und unbedingt geregelt sind, dass
sich ein Einzelner gegenüber einem Mitgliedstaat vor einem
innerstaatlichen Gericht darauf berufen kann (vgl. EuGH-Urteile
Stockholm Lindöpark vom 18.1.2001 C-150/99, EU:C:2001:34,
BFH/NV Beilage 2001, 44 = SIS 01 05 42, Rz 31 ff., m.w.N.; PARAT
Automotive Cabrio vom 23.4.2009 C-74/08, EU:C:2009:261, UR 2009,
452 = SIS 09 18 52, Rz 32 ff.). Der Unternehmer könnte sich
dann vor den nationalen Gerichten auf
Vertrauensschutzgesichtspunkte bereits im Verfahren der
Steuerfestsetzung berufen dürfen. Von einem Berufungsrecht
bereits im Festsetzungsverfahren geht der BFH aus, soweit es um
andere Voraussetzungen des Art. 168 MwStSystRL geht (vgl.
BFH-Beschlüsse vom 22.7.2010 V R 19/09, BFHE 231, 280, BStBl
II 2010, 1090 = SIS 10 33 58, Rz 33; vom 16.6.2015 XI R 15/13, BFHE
250, 276, BStBl II 2015, 865 = SIS 15 15 81, Rz 49).
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c) Die Verweisung der Steuerpflichtigen in
Fällen der vorliegenden Art auf den Billigkeitsweg könnte
außerdem dem unionsrechtlichen Effektivitätsgebot
widersprechen (so z.B. Drüen, DB 2010, 1847, 1850, m.w.N.; von
Streit/Luther, UStB 2016, 51).
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aa) Nach der ständigen Rechtsprechung des
EuGH dürfen die Modalitäten der Verfahren, die den Schutz
der dem Einzelnen aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte
gewährleisten sollen, nicht ungünstiger sein als
diejenigen, die gleichartige Sachverhalte innerstaatlicher Art
regeln - Äquivalenzgrundsatz - und sie dürfen die
Ausübung der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte
nicht praktisch unmöglich machen oder
übermäßig erschweren - Effektivitätsgrundsatz
- (vgl. z.B. EuGH-Urteil Surgicare vom 12.2.2015 C-662/13,
EU:C:2015:89, UR 2015, 359 = SIS 15 03 27, Rz 26, m.w.N.).
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bb) Der Senat hält es für
möglich, dass das Festhalten an der Zweistufigkeit des
Verfahrens bei Gutgläubigkeit des vorsteuerabzugsberechtigten
Unternehmers in Bezug auf die Rechnungsangaben des Lieferers die
Ausübung der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte
i.S. dieser EuGH-Rechtsprechung übermäßig
erschwert.
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Denn die in Fällen der vorliegenden Art
praktizierte verfahrenstechnische Aufspaltung verzögert eine effektive Durchsetzung des
Gutglaubensschutzes und erschwert den Rechtsschutz des Unternehmers
(vgl. Drüen, DB 2010, 1847, 1850). Insbesondere wird dem Steuerpflichtigen mit dieser
nationalen Praxis ggf. zugemutet, zwei gerichtliche Verfahren mit
dem doppelten Prozessrisiko zu führen (vgl. dazu
Weymüller, MwStR 2015, 816; von Streit/Luther, UStB 2016, 51,
m.w.N). Hinsichtlich des vorläufigen Rechtsschutzes kommt nach
Ablehnung einer Billigkeitsmaßnahme nach § 163 oder
§ 227 AO ausschließlich ein Antrag auf Erlass einer
einstweiligen Anordnung i.S. von § 114 der
Finanzgerichtsordnung (FGO) in Betracht, die anders als eine
Aussetzung der Vollziehung eines angefochtenen
Umsatzsteuerbescheids nach § 69 FGO strengere Voraussetzungen
(„höhere Hürden“) hat (vgl.
Weymüller, MwStR 2015, 816; Lange in
Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 114 FGO Rz 18, m.w.N.; Loose
in Tipke/Kruse, Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, § 114
FGO Rz 11, m.w.N.).
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cc) Andererseits könnte eine eindeutige
und leicht nachprüfbare Feststellung der Voraussetzungen des
Vorsteuerabzugs es erfordern, das Steuerfestsetzungsverfahren
weitgehend von subjektiven Merkmalen und
Prüfungsgegenständen freizuhalten und den guten Glauben
des den Vorsteuerabzug begehrenden Unternehmers in einem
gesonderten Verfahren zu prüfen.
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dd) Zwar ist es Sache des Senats,
festzustellen, ob diese nationale Praxis mit dem
Effektivitätsgebot vereinbar ist. Der EuGH kann dem
vorlegenden Gericht hierzu allerdings im Rahmen der
Vorabentscheidung alle zweckdienlichen Hinweise geben (vgl. z.B.
EuGH-Urteil Surgicare, EU:C:2015:89, UR 2015, 359 = SIS 15 03 27,
Rz 27, m.w.N.).
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4. Rechtsgrundlage für die Anrufung des
EuGH ist Art. 267 Abs. 3 des Vertrages über die Arbeitsweise
der Europäischen Union.
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IV. Das Revisionsverfahren wird bis zu einer
Entscheidung des EuGH ausgesetzt (§ 121 Satz 1 i.V.m. §
74 FGO).
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