Dem Gerichtshof der Europäischen Union
(EuGH) werden folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Nach dem EuGH-Urteil FIRIN vom 13.3.2014
C-107/13 (EU:C:2014:151, UR 2014, 705 = SIS 14 10 42,
Mehrwertsteuerrecht - MwStR - 2014, 240, Rz 39, Satz 1) scheidet
der Vorsteuerabzug aus einer Anzahlung aus, wenn der Eintritt des
Steuertatbestands zum Zeitpunkt der Anzahlung unsicher ist.
Beurteilt sich dies nach der objektiven Sachlage oder aus der
objektivierten Sicht des Anzahlenden?
3. Falls die vorstehende Frage zu bejahen ist:
Ermächtigt Art. 186 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom
28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem
(MwStSystRL), der es den Mitgliedstaaten gestattet, die
Einzelheiten der Berichtigung nach Art. 185 MwStSystRL festzulegen,
den Mitgliedstaat Bundesrepublik Deutschland dazu, in seinem
nationalen Recht anzuordnen, dass es erst mit der
Rückgewähr der Anzahlung zur Minderung der
Bemessungsgrundlage für die Steuer kommt, und dementsprechend
Umsatzsteuerschuld und Vorsteuerabzug zeit- sowie bedingungsgleich
zu berichtigen sind?
1
|
I. Sachverhalt des
Ausgangsverfahrens
|
|
|
2
|
Der Kläger und Revisionsbeklagte
(Kläger) bestellte am 3.8.2010 bei der A ein
Blockheizkraftwerk mit einer Leistung von 40 kW zum Preis von
30.000 EUR zzgl. 5.700 EUR Umsatzsteuer, dessen Lieferung
voraussichtlich 14 Wochen nach Geldeingang vorgesehen war. Nachdem
der Kläger die mit Vorkasse vom 6.8.2010 angeforderte Zahlung
in Höhe von 35.700 EUR durch Überweisung am 27.8.2010
geleistet hatte, erhielt er von A unter dem Datum vom 28.8.2010
eine Rechnung über die Lieferung eines
Blockheizkraftwerks.
|
|
|
3
|
Der Kläger beabsichtigte zunächst
den Betrieb der in einem Container montierten Anlage. Der mit einer
Gesellschaft aus dem Umfeld der A hierzu geschlossene Verwaltungs-,
Service- sowie Mietvertrag über eine Stellfläche wurde
jedoch am 24.9.2010 storniert.
|
|
|
4
|
Am 6.10.2010 kam durch Gegenzeichnung der A
ein sog. „Pachtvertrag“ über das
Blockheizkraftwerk mit dem Kläger, der diesen bereits am
30.8.2010 unterzeichnet hatte, zustande. A war danach berechtigt,
das Blockheizkraftwerk zur Erzeugung von Strom und anderen Energien
gegen eine jährliche Pacht in Höhe von 14.400 EUR
(netto), zahlbar in zwölf monatlichen Raten zu jeweils 1.200
EUR, zzgl. Umsatzsteuer zu nutzen. Der „Pachtvertrag“
hatte eine Laufzeit von zehn Jahren. Dem Kläger wurde die
Option zur „einseitigen Verlängerung“ des
„Pachtvertrags“ um zweimal fünf Jahre
eingeräumt. Die vereinbarte „Pacht“ war „ab
Beginn des zweiten Monats nach Abschluss“ zu zahlen, ohne
dass es auf eine Übergabe des Blockheizkraftwerks angekommen
wäre.
|
|
|
5
|
Am 25.10.2010 gab der Kläger die
Umsatzsteuervoranmeldung für August 2010 ab und machte den
Vorsteuerabzug aus dem Erwerb des Blockheizkraftwerks in Höhe
von 5.700 EUR geltend. Gleichzeitig zeigte er gegenüber dem
Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt - FA - ) an, dass er
beabsichtige, das angeschaffte Blockheizkraftwerk an A zu
verpachten.
|
|
|
6
|
Der Kläger erhielt von A am 6.10.2010,
5.11.2010 und 25.11.2010 Zahlungen in Höhe von jeweils 1.428
EUR (1.200 EUR zzgl. 228 EUR Umsatzsteuer), die er in den
Umsatzsteuervoranmeldungen für die Monate Oktober bis Dezember
2010 erklärte. Die entsprechende Umsatzsteuer meldete er beim
FA an und führte sie an das FA ab.
|
|
|
7
|
Zur Lieferung, Verpachtung und zum Betrieb
des Blockheizkraftwerks kam es - wie auch in den beim
Bundesfinanzhof (BFH) anhängigen weiteren Revisionsverfahren
XI R 8/14, XI R 10/16 und V R 27/15 betreffenden und allen
übrigen (zahlreichen) Fällen - nicht. Am 30.11.2010
wurden von der Staatsanwaltschaft u.a. die Geschäftsräume
der A durchsucht und Personen aus deren Umfeld
festgenommen.
|
|
|
8
|
Am 1.12.2010 teilte die A auf ihrer
Internetseite mit, dass die Produktion trotz der Durchsuchung
weiterlaufe. In einer weiteren Nachricht am 3.12.2010 wurde
mitgeteilt, dass sämtliche Vertriebsaktivitäten
eingestellt worden seien, insbesondere vorerst keine Bestellungen
mehr angenommen und keine Container mehr ausgeliefert würden.
Am ...12.2010 wurde im Fernsehen über das Betrugsmodell der A
berichtet. Auf einen Antrag vom 30.12.2010 wurde am 1.3.2011 das
Insolvenzverfahren über das Vermögen der A
eröffnet.
|
|
|
9
|
Das Landgericht (LG)
Nürnberg-Fürth sprach elf Angeklagte, die im Bereich der
A-Firmengruppe tätig waren, in 88 Fällen des gewerbs- und
bandenmäßigen Betrugs für schuldig (Urteil vom
27.2.2014 12 KLs 507 Js 1612/10). Das Urteil beginnt mit folgenden
Ausführungen (vgl. Sächsisches Finanzgericht - FG -,
Urteil vom 17.6.2015 2 K 325/15, EFG 2015, 1652 = SIS 15 19 83, Rz
8 f.): „Die Angeklagten verkauften ab Anfang 2010 mit
Rapsöl betriebene Blockheizkraftwerke, die auf Grund eines
angeblich äußerst niedrigen Verbrauchs auf Dauer extrem
rentabel sein sollten. Die Angeklagten, die zuvor überwiegend
im Strukturvertrieb tätig waren und keine Erfahrungen mit der
Herstellung und dem Betrieb von Blockheizkraftwerken hatten, nahmen
billigend in Kauf, dass es nicht möglich sein würde,
Blockheizkraftwerke mit den zugesagten Eigenschaften, insbesondere
dem wissenschaftlich nicht erklärbaren Verbrauch,
herzustellen. Sie nahmen daher billigend in Kauf, dass die
Käufer der Blockheizkraftwerke, die jeweils Vorkasse leisten
mussten, keine adäquate Gegenleistung erhalten.“ Das
Urteil des LG ist rechtskräftig (vgl. Beschluss des
Bundesgerichtshofs vom 11.6.2015 1 StR 590/14, Neue Zeitschrift
für Strafrecht - Rechtsprechungs-Report 2015, 379).
|
|
|
10
|
Das FA stimmte der
Umsatzsteuer-Jahreserklärung für 2010 (Streitjahr) vom
29.7.2011, in der der Kläger steuerpflichtige Umsätze in
Höhe von 3.600 EUR angab und Vorsteuern in Höhe von 5.700
EUR aus der Vorauszahlung für das Blockheizkraftwerk geltend
machte, nicht zu. Es setzte wegen in Rechnungen unrichtig oder
unberechtigt ausgewiesener Steuerbeträge (3 x 228 EUR) die
Umsatzsteuer für das Streitjahr mit Umsatzsteuerbescheid vom
21.9.2011 auf 684 EUR fest und ließ den Vorsteuerabzug aus
der an A geleisteten Anzahlung nicht zu.
|
|
|
11
|
Der vom Kläger hiergegen eingelegte
Einspruch hatte keinen Erfolg (Einspruchsentscheidung vom
6.8.2012).
|
|
|
12
|
Das FG Baden-Württemberg gab der Klage
statt (Urteil vom 19.9.2014 9 K 2914/12 = SIS 15 07 32).
|
|
|
13
|
Zur Begründung führte es im
Wesentlichen aus, dem Kläger, der als Unternehmer anzusehen
sei, stehe der geltend gemachte Vorsteuerabzug zu.
|
|
|
14
|
Das FG war davon überzeugt, dass zwar
A bereits bei Ausstellung der Rechnung vom 28.8.2010 nicht
beabsichtigt habe, das geschuldete Blockheizkraftwerk zu liefern.
Die Hintermänner der A hätten deren Kunden die
Möglichkeit zur Lieferung hocheffizienter Blockheizkraftwerke
nur vorgegaukelt, um von diesen Anzahlungen zu erlangen, obwohl
bereits bei Abschluss der Kaufverträge klar gewesen sei, dass
die gegenständlichen Blockheizkraftwerke nicht geliefert
werden konnten. Zu keinem Zeitpunkt sei von A beabsichtigt gewesen,
die von ihr eingegangenen Verpflichtungen zu erfüllen.
|
|
|
15
|
Der Kläger sei bei Empfang der
Vorausrechnung aber gutgläubig gewesen. Er habe seinerzeit
nicht gewusst und habe auch nicht wissen können, in einen
Betrug einbezogen zu sein. Er könne den Vorsteuerabzug deshalb
beanspruchen, bis für ihn objektiv erkennbar war, dass die
Leistung endgültig nicht erbracht werde. Dies sei im
Streitjahr 2010 nicht der Fall gewesen.
|
|
|
16
|
Das FG führte weiter aus, dass der
Vorsteuerabzug nicht im Besteuerungszeitraum 2010 zu berichtigen
sei. Der Vorsteuerabzug sei zwar nach § 17 Abs. 2 Nr. 2 des
Umsatzsteuergesetzes (UStG) zu berichtigen, wenn für eine
vereinbarte Lieferung oder sonstige Leistung ein Entgelt
entrichtet, die Lieferung oder sonstige Leistung jedoch nicht
ausgeführt worden sei. Eine Berichtigung scheitere nach der
bisherigen Rechtsprechung des BFH jedoch schon daran, dass die
Anzahlung bislang nicht zurückgewährt worden sei. Auch
nach der Rechtsprechung des EuGH im Urteil FIRIN (EU:C:2014:151, UR
2014, 705, MwStR 2014, 240 = SIS 14 10 42), nach der der
Vorsteuerabzug beim Leistungsempfänger zu berichtigen sei,
wenn feststehe, dass die Leistung nicht bewirkt werde, was
ausdrücklich auch für den Fall gelte, dass die Anzahlung
nicht zurückerstattet werde, komme vorliegend eine
Berichtigung erst für den Besteuerungszeitraum 2011 in
Betracht. Frühestens im Jahr 2011 habe festgestanden, dass
eine Lieferung der Blockheizkraftwerke nicht erfolgen
werde.
|
|
|
17
|
Mit seiner Revision rügt das FA die
Verletzung materiellen Rechts.
|
|
|
18
|
Es bringt u.a. vor, selbst wenn der
Kläger als grundsätzlich zum Vorsteuerabzug berechtigter
Unternehmer zu behandeln wäre, hätte er wissen
können, dass A, wie sich u.a. aus der zweifelhaften
Rentabilität der von ihr beworbenen Blockheizkraftwerke
ergebe, zu keinem Zeitpunkt die Absicht gehabt habe, eine solche
Anlage zu liefern.
|
|
|
19
|
Stünde dem Kläger der geltend
gemachte Vorsteuerabzug zu, wäre dieser jedenfalls nach §
17 Abs. 2 Nr. 2 UStG bereits im Streitjahr zu berichtigen, weil A
am 3.12.2010 mitgeteilt habe, dass ihre Vertriebsaktivitäten
eingestellt seien und keine weiteren Container mehr ausgeliefert
würden.
|
|
|
20
|
Das FA beantragt, die Vorentscheidung
aufzuheben und die Klage als unbegründet abzuweisen.
|
|
|
21
|
Der Kläger beantragt, die Revision als
unbegründet zurückzuweisen.
|
|
|
22
|
II. Zur Rechtslage nach nationalem Recht
|
|
|
23
|
1. Maßgebliche Vorschriften des
nationalen Rechts
|
|
|
24
|
a) Unternehmer ist, wer eine gewerbliche oder
berufliche Tätigkeit selbstständig ausübt (§ 2
Abs. 1 Satz 1 UStG). Gewerblich oder beruflich ist jede nachhaltige
Tätigkeit zur Erzielung von Einnahmen, auch wenn die Absicht,
Gewinn zu erzielen, fehlt (§ 2 Abs. 1 Satz 3 UStG).
|
|
|
25
|
b) Der Unternehmer kann nach § 15 Abs. 1
Satz 1 Nr. 1 Satz 1 UStG die gesetzlich geschuldete Steuer für
Lieferungen und sonstige Leistungen, die von einem anderen
Unternehmer für sein Unternehmen ausgeführt worden sind,
als Vorsteuer abziehen. Die Ausübung des Vorsteuerabzugs setzt
voraus, dass der Unternehmer eine nach den §§ 14, 14a
UStG ausgestellte Rechnung besitzt (§ 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1
Satz 2 UStG). Soweit der gesondert ausgewiesene Steuerbetrag auf
eine Zahlung vor Ausführung dieser Umsätze entfällt,
ist er bereits abziehbar, wenn die Rechnung vorliegt und die
Zahlung geleistet worden ist (§ 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3
UStG).
|
|
|
26
|
c) Hat sich die Bemessungsgrundlage für
einen steuerpflichtigen Umsatz i.S. des § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG
geändert, hat der Unternehmer, der diesen Umsatz
ausgeführt hat, den dafür geschuldeten Steuerbetrag zu
berichtigen (§ 17 Abs. 1 Satz 1 UStG). Ebenfalls ist der
Vorsteuerabzug bei dem Unternehmer, an den dieser Umsatz
ausgeführt wurde, zu berichtigen (§ 17 Abs. 1 Satz 2
UStG). Die Berichtigungen nach den Sätzen 1 und 2 sind
für den Besteuerungszeitraum vorzunehmen, in dem die
Änderung der Bemessungsgrundlage eingetreten ist (§ 17
Abs. 1 Satz 7 UStG). Dies gilt nach § 17 Abs. 2 Nr. 2 UStG
sinngemäß, wenn für eine vereinbarte Lieferung oder
sonstige Leistung ein Entgelt entrichtet, die Lieferung oder
sonstige Leistung jedoch nicht ausgeführt worden ist.
|
|
|
27
|
d) Der Große Senat des BFH entscheidet,
wenn ein Senat in einer Rechtsfrage von der Entscheidung eines
anderen Senats oder des Großen Senats abweichen will (§
11 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO - ). Eine Vorlage an den
Großen Senat ist nur zulässig, wenn der Senat, von
dessen Entscheidung abgewichen werden soll, auf Anfrage des
erkennenden Senats erklärt hat, dass er an seiner
Rechtsauffassung festhält (§ 11 Abs. 3 Satz 1 FGO).
|
|
|
28
|
2. Rechtliche Würdigung nach nationalem
Recht
|
|
|
29
|
Der Senat beabsichtigt, die Vorentscheidung
aufzuheben und den streitigen Vorsteuerabzug aus der Vorauszahlung
für das Blockheizkraftwerk zu versagen.
|
|
|
30
|
a) Der Kläger ist als Unternehmer
anzusehen und damit grundsätzlich gemäß § 15
Abs. 1 Satz 1 UStG zum Vorsteuerabzug berechtigt.
|
|
|
31
|
aa) Unternehmer i.S. von § 2 Abs. 1 Satz
1 UStG ist bereits, wer die durch objektive Anhaltspunkte belegte
Absicht hat, eine unternehmerische Tätigkeit auszuüben,
und erste Investitionsausgaben für diesen Zweck tätigt
(vgl. BFH-Urteile vom 22.2.2001 V R 77/96, BFHE 194, 498, BStBl II
2003, 426 = SIS 01 07 82, Leitsatz 1; vom 8.3.2001 V R 24/98, BFHE
194, 522, BStBl II 2003, 430 = SIS 01 06 76, Leitsatz 1; vom
27.1.2011 V R 21/09, BFHE 233, 77, BStBl II 2011, 524 = SIS 11 11 54, Rz 34, m.w.N.).
|
|
|
32
|
(1) Auch die Anzahlung auf einen Kaufpreis
stellt eine solche Investition dar (vgl. dazu BFH-Urteile vom
17.5.2001 V R 38/00, BFHE 195, 437, BStBl II 2003, 434 = SIS 01 13 19, Leitsatz 1; in BFHE 233, 77, BStBl II 2011, 524 = SIS 11 11 54,
Rz 34, m.w.N.).
|
|
|
33
|
(2) Der Betrieb eines Blockheizkraftwerks
führt zu einer unternehmerischen Tätigkeit, wenn sie auf
die nachhaltige Erzielung von Einnahmen durch
regelmäßige Einspeisung von Strom in das allgemeine
Stromnetz abzielt (vgl. BFH-Urteil vom 12.12.2012 XI R 3/10, BFHE
239, 377, BStBl II 2014, 809 = SIS 13 06 24, Rz 16, m.w.N.).
Gleiches gilt für die nachhaltige Vermietung (Verpachtung)
eines körperlichen Gegenstands (vgl. z.B. BFH-Urteile vom
12.12.1996 V R 23/93, BFHE 182, 388, BStBl II 1997, 368 = SIS 97 10 37, unter II.1., Rz 31; vom 2.7.2008 XI R 60/06, BFHE 222, 112,
BStBl II 2009, 167 = SIS 08 39 07, unter II.1., Rz 16; jeweils
m.w.N.).
|
|
|
34
|
bb) Danach ist der Kläger als Unternehmer
anzusehen. Er hatte zum Zeitpunkt der Zahlung an A die durch
objektive Anhaltspunkte belegte Absicht, eine unternehmerische
Tätigkeit aufzunehmen. Davon ist auch der V. Senat des BFH in
einem Parallelverfahren ausgegangen (vgl. BFH-Urteil vom 29.1.2015
V R 51/13, BFH/NV 2015, 708 = SIS 15 08 03, Rz 17).
|
|
|
35
|
b) Der Kläger kann nach Ansicht des
Senats den Vorsteuerabzug aus der Vorauszahlung für die
künftige Lieferung eines Blockheizkraftwerks nach § 15
Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3 UStG aber deshalb nicht in Anspruch
nehmen, weil die künftige Lieferung des Blockheizkraftwerks
zum Zeitpunkt der Zahlung im August 2010 unsicher war.
|
|
|
36
|
Denn wenn der Eintritt des Steuertatbestands
zum Zeitpunkt der Anzahlung unsicher ist, scheidet ein Recht auf
Vorsteuerabzug aus (vgl. EuGH-Urteil FIRIN, EU:C:2014:151, UR 2014,
705, MwStR 2014, 240 = SIS 14 10 42, Rz 39). Dies trifft auf den
Streitfall bei objektiver Betrachtung zu. Denn nach den vom FG
festgestellten objektiven Umständen hatte A von vornherein
nicht die Absicht, (auch) das vom Kläger in Rechnung gestellte
Blockheizkraftwerk zu liefern (vgl. Rz 36 f. der Vorentscheidung;
s. auch FG Münster, Urteil vom 3.4.2014 5 K 383/12 U, EFG
2014, 877 = SIS 14 15 35, Rz 59 f.; Sächsisches FG, Urteil in
EFG 2015, 1652 = SIS 15 19 83, Rz 17 f.).
|
|
|
37
|
III. Zur Anrufung des EuGH
|
|
|
38
|
Es ist aus den nachfolgenden Gründen
fraglich, ob die Versagung des Vorsteuerabzugs in einem Fall wie
diesem gegen Unionsrecht verstößt.
|
|
|
39
|
1. Maßgebliche Vorschriften des
Unionsrechts
|
|
|
40
|
a) Steuertatbestand (Art. 62 Abs. 1
MwStSystRL) und Steueranspruch (Art. 62 Abs. 2 MwStSystRL) treten
zu dem Zeitpunkt ein, zu dem die Lieferung von Gegenständen
bewirkt oder die Dienstleistung erbracht wird (Art. 63
MwStSystRL).
|
|
|
41
|
Werden Anzahlungen geleistet, bevor die
Lieferung von Gegenständen bewirkt oder die Dienstleistung
erbracht ist, entsteht der Steueranspruch zum Zeitpunkt der
Vereinnahmung entsprechend dem vereinnahmten Betrag (Art. 65
MwStSystRL).
|
|
|
42
|
b) Das Recht auf Vorsteuerabzug entsteht, wenn
der Anspruch auf die abziehbare Steuer entsteht (Art. 167
MwStSystRL).
|
|
|
43
|
c) Der ursprüngliche Vorsteuerabzug wird
berichtigt, wenn der Vorsteuerabzug höher oder niedriger ist
als der, zu dessen Vornahme der Steuerpflichtige berechtigt war
(Art. 184 MwStSystRL). Die Berichtigung erfolgt insbesondere dann,
wenn sich die Faktoren, die bei der Bestimmung des
Vorsteuerabzugsbetrags berücksichtigt werden, nach Abgabe der
Mehrwertsteuererklärung geändert haben, zum Beispiel bei
rückgängig gemachten Käufen oder erlangten Rabatten
(Art. 185 Abs. 1 MwStSystRL).
|
|
|
44
|
Die Mitgliedstaaten legen die Einzelheiten
für die Anwendung der Art. 184 und 185 MwStSystRL fest (Art.
186 MwStSystRL).
|
|
|
45
|
d) Der EuGH entscheidet im Wege der
Vorabentscheidung über die Auslegung der Verträge (Art.
267 Abs. 1 Buchst. a des Vertrags über die Arbeitsweise der
Europäischen Union - AEUV - ). Wird eine derartige Frage in
einem schwebenden Verfahren bei einem einzelstaatlichen Gericht
gestellt, dessen Entscheidungen selbst nicht mehr mit Rechtsmitteln
des innerstaatlichen Rechts angefochten werden können, so ist
dieses Gericht zur Anrufung des Gerichtshofs verpflichtet (Art. 267
Abs. 3 AEUV).
|
|
|
46
|
2. Zur ersten Vorlagefrage
|
|
|
47
|
Unionsrechtlich klärungsbedürftig
ist, ob - wie der Senat meint - das Merkmal der Unsicherheit des
Eintritts des Steuertatbestands objektiv zu verstehen oder - was
der Auffassung des V. Senats des BFH in seinem Urteil in BFH/NV
2015, 708 = SIS 15 08 03, Leitsatz und Rz 14 entspricht - aus der
„objektivierten“ Sicht des Anzahlenden zu
beurteilen ist.
|
|
|
48
|
a) Der Senat versteht das EuGH-Urteil FIRIN
(EU:C:2014:151, UR 2014, 705, MwStR 2014, 240 = SIS 14 10 42) so,
dass sich die Ausführungen zum Wissen bzw. Wissenmüssen
(Rz 40 ff., insbesondere Rz 42, 44 und 46) allein auf die - hier
nicht gegebenen - Fälle von Steuerhinterziehung,
Steuerumgehung oder etwaigem Missbrauch beziehen. Nur dann ist nach
Auffassung des Senats darauf abzustellen, dass der Anzahlende, was
die betreffenden Steuerbehörden anhand objektiver
Gesichtspunkte nachzuweisen haben, wusste oder hätte wissen
müssen, dass die an seinen Lieferanten geleistete Anzahlung in
Wirklichkeit nicht die in der vom Lieferanten ausgestellten
Rechnung genannte Lieferung von Waren zum Gegenstand hat (vgl.
EuGH-Urteil FIRIN, EU:C:2014:151, UR 2014, 705, MwStR 2014, 240 =
SIS 14 10 42, Rz 46). Diese Fälle von betrügerischem
Verhalten bilden aber nur eine der Fallgruppen, in denen der
Eintritt des Steuertatbestands zum Zeitpunkt der Anzahlung
„unsicher“ ist (vgl. EuGH-Urteil FIRIN,
EU:C:2014:151, UR 2014, 705, MwStR 2014, 240 = SIS 14 10 42, Rz 39,
Satz 2 „insbesondere“).
|
|
|
49
|
b) Aus dem EuGH-Urteil FIRIN (EU:C:2014:151,
UR 2014, 705, MwStR 2014, 240 = SIS 14 10 42) folgt, dass es - wie
sich aus Rz 39 Satz 1 dieses Urteils i.V.m. den dort in Bezug
genommenen Ausführungen der Generalanwältin Kokott
(Schlussanträge in der Rechtssache FIRIN vom 19.12.2013
C-107/13, EU:C:2013:872, Rz 24 [ff.]) ergibt - für die Frage,
„ob der Eintritt des Steuertatbestandes zum Zeitpunkt der
Anzahlung unsicher ist“, darauf ankommt, ob „die
Lieferung der Gegenstände, für die ... eine Anzahlung
geleistet [wurde] ... nicht bewirkt werden wird“
(EuGH-Urteil FIRIN, EU:C:2014:151, UR 2014, 705, MwStR 2014, 240 =
SIS 14 10 42, Rz 52, Satz 1) bzw. „zu erwarten [ist], dass
nach dem normalen Verlauf die steuerpflichtige Leistung auch
erbracht werden wird“ (Schlussanträge der
Generalanwältin Kokott in der Rechtssache FIRIN,
EU:C:2013:872, Rz 26, Satz 5). Dies ist nach Ansicht des Senats
objektiv zu verstehen und nicht aus der Sicht des Anzahlenden zu
beurteilen. Danach ist in Fällen, in denen - wie im
Ausgangsverfahren - bei objektiver Betrachtung von Anfang an
feststand, dass nach dem normalen Verlauf der Dinge die
Gegenstände nicht geliefert werden würden, ein
Vorsteuerabzug - was auf sämtliche ausgebliebenen Lieferungen
von Blockheizkraftwerken der A gleichermaßen zutrifft - nach
§ 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3 UStG nicht gegeben.
|
|
|
50
|
c) Dafür spricht, dass bei Anzahlungen
der Steueranspruch des Fiskus (Art. 62 Abs. 2 MwStSystRL)
gegenüber dem Anzahlungsempfänger zum Zeitpunkt der
Vereinnahmung entsprechend dem vereinnahmten Betrag entsteht (Art.
65 MwStSystRL). Das Entstehen dieses Steueranspruchs des Fiskus
gegen den Anzahlungsempfänger kann nach Auffassung des Senats
aber grundsätzlich nicht vom Wissen bzw. Wissenmüssen des
Anzahlenden abhängig sein. Da das Recht auf Vorsteuerabzug
nach Art. 167 MwStSystRL entsteht, wenn der Anspruch auf die
abziehbare Steuer entsteht, dürfte eine unterschiedliche
Behandlung hinsichtlich des Eintritts des Steuertatbestands
einerseits und des Rechts zum Vorsteuerabzug andererseits in
Anzahlungsfällen nicht in Betracht kommen.
|
|
|
51
|
d) Sollte dagegen das Merkmal der
„Unsicherheit des Eintritts des
Steuertatbestands“ auf der Grundlage der
Erkenntnismöglichkeiten des Anzahlenden zu beurteilen sein
(vgl. dazu BFH-Urteil in BFH/NV 2015, 708 = SIS 15 08 03, Leitsatz
und Rz 14), wäre ein gutgläubiger Empfänger einer
Vorausrechnung, der - wie der Kläger im Ausgangsverfahren -
weder wusste noch hätte wissen können, in einen Betrug
einbezogen zu sein, zum Vorsteuerabzug aus der Anzahlung
berechtigt. Ob dieser bereits im Festsetzungsverfahren oder erst in
einem nachfolgenden Billigkeitsverfahren gewährt werden muss,
ist Gegenstand der Frage 2 im Verfahren C-374/16 (Vorlagebeschluss
vom 6.4.2016 XI R 20/14, BFHE 254, 152, DStR 2016, 1532 = SIS 16 13 89, Rz 56 ff.).
|
|
|
52
|
e) Der V. Senat des BFH hat auf Anfrage
mitgeteilt, dass er einer Abweichung von seinem Urteil in BFH/NV
2015, 708 = SIS 15 08 03, wonach es für die Beurteilung der
Frage, ob der Vorsteuerabzug aus einer Anzahlung ausscheidet, weil
der Eintritt des Steuertatbestands im Zeitpunkt der Anzahlung
unsicher ist, auf die objektivierte Sicht des Anzahlenden ankommt,
nicht zustimmt.
|
|
|
53
|
3. Zur zweiten Vorlagefrage
|
|
|
54
|
Im Streitfall stellt sich ferner die Frage, ob
das EuGH-Urteil FIRIN (EU:C:2014:151, UR 2014, 705, MwStR 2014, 240
= SIS 14 10 42, Leitsatz und Rz 58) dahingehend zu verstehen ist,
dass - wie der Senat meint - nach dem Unionsrecht eine Berichtigung
des Vorsteuerabzugs, den der Anzahlende aus seiner auf eine
Lieferung von Gegenständen ausgestellten Anzahlungsrechnung
vorgenommen hat, nicht die Rückzahlung der geleisteten
Anzahlung voraussetzt, wenn diese Lieferung letztlich nicht bewirkt
wird und der Lieferer zur Entrichtung dieser Steuer verpflichtet
bleiben sollte.
|
|
|
55
|
a) Nach dem so verstandenen EuGH-Urteil FIRIN
(EU:C:2014:151, UR 2014, 705, MwStR 2014, 240 = SIS 14 10 42)
wäre der Vorsteuerabzug im Ausgangsfall, falls ihn der
Kläger - entgegen der zuvor dargelegten Auffassung des Senats
- (zunächst) beanspruchen könnte, jedenfalls nach §
17 Abs. 1 Sätze 1 und 2, Abs. 2 Nr. 2 UStG, die
dementsprechend unionsrechtskonform ausgelegt werden müssten
und könnten (zur Pflicht des nationalen Gerichts, die volle
Wirksamkeit des Unionsrechts sicherzustellen, vgl. z.B. Beschluss
des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - vom 10.12.2014 2 BvR
1549/07, Zeitschrift für Wirtschaftsrecht 2015, 335, Rz 30,
m.w.N. zur Rechtsprechung des EuGH) zu berichtigen. In diesem Fall
könnte die Rechtsprechung des V. Senats des BFH in den
Urteilen vom 2.9.2010 V R 34/09 (BFHE 231, 321, BStBl II 2011, 991
= SIS 10 40 53, Leitsatz 1 und Rz 21), vom 15.9.2011 V R 36/09
(BFHE 235, 507, BStBl II 2012, 365 = SIS 11 39 42, Leitsatz und Rz
23) sowie in BFH/NV 2015, 708 = SIS 15 08 03 (Rz 16), wonach es
erst mit der Rückgewähr der Anzahlung zur Minderung der
Bemessungsgrundlage nach § 17 Abs. 2 Nr. 2 UStG und zur
Berichtigung des Vorsteuerabzugs kommt, nach Ergehen des
EuGH-Urteils FIRIN (EU:C:2014:151, UR 2014, 705, MwStR 2014, 240 =
SIS 14 10 42) vorbehaltlich der Antwort auf Frage 3 nicht mehr
aufrecht erhalten werden.
|
|
|
56
|
b) Gegen eine Verknüpfung von
Rückzahlung und Vorsteuerkorrektur spricht, dass - wie der
EuGH im Urteil FIRIN (EU:C:2014:151, UR 2014, 705, MwStR 2014, 240
= SIS 14 10 42, Rz 53) ausgeführt hat - die Schlussfolgerung,
nach der die Steuerverwaltung verlangen kann, dass der
Steuerpflichtige die abgezogene Mehrwertsteuer berichtigt, wenn
sich die Faktoren, die bei der Bestimmung des
Vorsteuerabzugsbetrags berücksichtigt wurden, nach Abgabe der
Mehrwertsteuererklärung geändert haben, nicht dadurch in
Frage gestellt werden kann, dass die vom Lieferer geschuldete
Mehrwertsteuer selbst nicht berichtigt werden wird.
|
|
|
57
|
c) Zudem ergibt sich hinsichtlich der
Mehrwertsteuer, die aufgrund des Nichtvorliegens eines
steuerpflichtigen Umsatzes zu Unrecht in Rechnung gestellt wurde,
aus der MwStSystRL, dass die beiden beteiligten
Wirtschaftsteilnehmer nicht notwendigerweise gleichbehandelt werden
(müssen). Zum einen schuldet der Aussteller einer Rechnung die
darin ausgewiesene Mehrwertsteuer gemäß Art. 203
MwStSystRL (§ 14c UStG) auch, wenn - was auf den Ausgangsfall
zutrifft - kein steuerpflichtiger Umsatz vorliegt, weil die
Lieferung letztlich nicht bewirkt wird. Zum anderen ist die
Ausübung des Rechts des Rechnungsempfängers auf
Vorsteuerabzug nach Art. 63 i.V.m. Art. 167 MwStSystRL auf die
Steuern beschränkt, die auf einen mehrwertsteuerpflichtigen
Umsatz entfallen (vgl. EuGH-Urteil FIRIN, EU:C:2014:151, UR 2014,
705, MwStR 2014, 240 = SIS 14 10 42, Rz 54, m.w.N.). Da die zu
Unrecht in Rechnung gestellte Steuer zu berichtigen ist, wenn der
Rechnungsaussteller seinen guten Glauben nachweist oder wenn er die
Gefährdung des Steueraufkommens rechtzeitig und
vollständig beseitigt, bleibt der Grundsatz der steuerlichen
Neutralität gewahrt (vgl. EuGH-Urteil FIRIN, EU:C:2014:151, UR
2014, 705, MwStR 2014, 240 = SIS 14 10 42, Rz 55). Dies
gewährleistet, dass sich auch in Fällen wie in diesem
Steuer und Vorsteuer im Ergebnis entsprechend Art. 167 MwStSystRL
ausgleichen. Zu einer dauerhaften Besserstellung des Fiskus kommt
es mithin nicht.
|
|
|
58
|
d) Aus den Ausführungen des EuGH in Rz 56
des Urteils FIRIN (EU:C:2014:151, UR 2014, 705, MwStR 2014, 240 =
SIS 14 10 42), wonach „solange ... die Anzahlung vom
Lieferer nicht zurückgezahlt worden ist, die
Bemessungsgrundlage der von ihm aufgrund der Vereinnahmung dieser
Anzahlung geschuldeten Steuer nicht nach Art. 65 in Verbindung mit
Art. 90 und Art. 193 der Richtlinie 2006/112 vermindert
werden“, ergibt sich aus der Sicht des Senats - was zu
klären sein wird - nichts anderes. Der EuGH nimmt insoweit
Bezug auf die Berichtigung der Steuerbemessungsgrundlage im Fall
von Rückvergütungen. Dies betrifft einen anderen
Fall.
|
|
|
59
|
e) Die zweite Vorlagefrage ist auch
entscheidungserheblich.
|
|
|
60
|
Zwar ist das FG davon ausgegangen, im
Streitfall komme unter Berücksichtigung des EuGH-Urteils FIRIN
(EU:C:2014:151, UR 2014, 705, MwStR 2014, 240 = SIS 14 10 42) eine
Berichtigung des Vorsteuerabzugs nach § 17 Abs. 2 Nr. 2 UStG
erst für den Besteuerungszeitraum 2011 in Betracht, weil
frühestens dann festgestanden habe, dass eine Lieferung der
Blockheizkraftwerke nicht erfolgen werde. Es ist aber -
entsprechend dem Revisionsvorbringen des FA - zweifelhaft, ob diese
Auffassung des FG und seine insoweit vorgenommene Würdigung
revisionsrechtlich Bestand haben kann. Vielmehr dürfte
entgegen der Ansicht des FG bereits im Dezember des Streitjahrs
2010 festgestanden haben, dass eine Lieferung der
Blockheizkraftwerke nicht erfolgen werde. Denn am 3.12.2010 teilte
die A mit, dass sämtliche Vertriebsaktivitäten
eingestellt worden seien, insbesondere vorerst keine Bestellungen
mehr angenommen und keine Container mehr ausgeliefert würden.
Zudem wurde der Antrag, das Insolvenzverfahren über das
Vermögen der A zu eröffnen, noch am 30.12.2010
gestellt.
|
|
|
61
|
f) Der V. Senat des BFH hat auf Anfrage des
Senats mitgeteilt, dass er an seiner bisherigen Rechtsprechung in
den Urteilen in BFHE 231, 321, BStBl II 2011, 991 = SIS 10 40 53
(Leitsatz 1 und Rz 21), in BFHE 235, 507, BStBl II 2012, 365 = SIS 11 39 42 (Leitsatz und Rz 23) und in BFH/NV 2015, 708 = SIS 15 08 03 (Rz 16) festhält.
|
|
|
62
|
4. Zur dritten Vorlagefrage
|
|
|
63
|
Falls die vorstehende Frage zu bejahen ist,
ist ferner klärungsbedürftig, wie weit die Befugnisse
eines Mitgliedstaats gemäß Art. 186 MwStSystRL
reichen.
|
|
|
64
|
a) Dazu wird die Auffassung vertreten, dass
der nationale Gesetzgeber in § 17 Abs. 1 Satz 2 UStG von
seiner ihm nach Art. 186 MwStSystRL eingeräumten Befugnis
Gebrauch gemacht habe, indem er für den Fall, dass sich die
Bemessungsgrundlage für einen steuerpflichtigen Umsatz
geändert habe, bestimmt habe, dass nicht nur der Unternehmer,
der diesen Umsatz ausgeführt habe, den dafür geschuldeten
Steuerbetrag zu berichtigen habe, sondern
„ebenfalls“ der Vorsteuerabzug bei dem
Unternehmer, an den dieser Umsatz ausgeführt worden sei, zu
berichtigen sei. Damit habe der Gesetzgeber zum Ausdruck gebracht,
dass Umsatzsteuerschuld und Vorsteuerabzug im Berichtigungsfall
zeit- und bedingungsgleich zu berichtigen seien.
|
|
|
65
|
b) Selbst wenn § 17 Abs. 1 Satz 2 UStG
(i.V.m. § 17 Abs. 2 Nr. 2 UStG) die Bedeutung zukäme,
dass der Gesetzgeber in Anzahlungsfällen die
Vorsteuerberichtigung von der Rückzahlung abhängig
gemacht hätte - wogegen spricht, dass der BFH früher eine
andere Auffassung vertreten hat (vgl. BFH-Urteil vom 30.11.1995 V R
57/94, BFHE 179, 453, BStBl II 1996, 206 = SIS 96 09 49) und die
Rechtsprechungsänderung aus unionsrechtlichen Gründen
erfolgt ist (vgl. BFH-Urteil in BFHE 231, 321, BStBl II 2011, 991 =
SIS 10 40 53, Rz 17 und 21 f.) -, hält es der Senat aber
für fraglich, ob der Mitgliedstaat nach Art. 186 MwStSystRL
berechtigt ist, die Vorsteuerkorrektur von der Bedingung der
Rückzahlung abhängig zu machen, wenn die Lieferung
letztlich nicht bewirkt wird.
|
|
|
66
|
5. Rechtsgrundlage für die Anrufung des
EuGH ist Art. 267 Abs. 3 AEUV. Unter den hier vorliegenden
Voraussetzungen des Art. 267 Abs. 3 AEUV (vgl. dazu
BVerfG-Beschluss vom 6.9.2016 1 BvR 1305/13, Rz 7, 8, m.w.N.) sind
die nationalen Gerichte von Amts wegen gehalten, den Gerichtshof
anzurufen (vgl. BVerfG-Beschluss vom 6.9.2016 1 BvR 1305/13, Rz 6,
m.w.N.). Insofern besteht nach Auffassung der Senats ein Vorrang
gegenüber einer - im Streitfall ebenfalls in Betracht
kommenden - Anrufung des Großen Senats des BFH
gemäß § 11 Abs. 2 und 3 FGO. Das gilt jedenfalls
dann, wenn es um die (authentische) Interpretation einer -
unterschiedlich verstandenen - Rechtsprechung des EuGH geht, wie
dies hier der Fall ist.
|
|
|
67
|
IV. Das Revisionsverfahren wird bis zu einer
Entscheidung des EuGH ausgesetzt (§ 121 Satz 1 i.V.m. §
74 FGO).
|