Ausfuhrlieferung, gefälschter Nachweis, mangelnde Erkennbarkeit, Erlass: 1. Aus den im Steuerrecht allgemein geltenden Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit und des Vertrauensschutzes ergibt sich, dass die Steuerfreiheit einer Ausfuhrlieferung nicht versagt werden darf, wenn der liefernde Unternehmer die Fälschung des Ausfuhrnachweises, den der Abnehmer ihm vorlegt, auch bei Beachtung der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns nicht hat erkennen können (Änderung der Rechtsprechung; Nachfolgeentscheidung zum EuGH-Urteil vom 21.2.2008 Rs. C-271/06, Netto Supermarkt GmbH & Co. KG, BFH/NV Beilage 2008 S. 199 = SIS 08 16 63). - 2. Ob die Voraussetzungen hierfür gegeben sind, ist im Erlassverfahren zu prüfen. - Urt.; BFH 30.7.2008, V R 7/03; SIS 09 03 42
I. Die
Beteiligten streiten um den Erlass von Umsatzsteuer, die der
Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA - ) gegen die
Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) wegen des
Fehlens der Voraussetzungen für steuerfreie Ausfuhrlieferungen
festgesetzt hat.
Die Klägerin
betreibt Discount-Supermärkte. In den Jahren 1992 bis 1998
erstattete sie folgende Umsatzsteuerbeträge (gerundet) an ihre
Kunden:
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1992
|
...
DM,
|
|
1993
|
...
DM,
|
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1994
|
...
DM,
|
|
1995
|
...
DM,
|
|
1996
|
...
DM,
|
|
1997
|
...
DM,
|
|
1998
|
...
DM.
|
Betriebsintern hatte sie festgelegt, dass
sie die Umsatzsteuer im nichtkommerziellen Reiseverkehr nur
erstattet, wenn sich der Stempelaufdruck hälftig auf dem Bon
und dem Zollformular befindet und der ausländische Bürger
seinen Pass vorlegt. Diese Regelungen führte sie vor dem
Erscheinen des Merkblatts des Bundesministeriums der Finanzen (BMF)
zur Umsatzsteuerbefreiung für Ausfuhrlieferungen im
nichtkommerziellen Reiseverkehr vom 18.3.1999 IV D 2 S -7133- 4/99
(BStBl I 1999, 289 = SIS 99 09 27) ein, in dem Empfehlungen
für den Nachweis der Ausfuhr im nichtkommerziellen
Reiseverkehr enthalten sind.
Die Leiterin der
Buchhaltung und der Verwaltungsleiter der Klägerin suchten am
12.8.1998 das Hauptzollamt (HZA) auf, um festzustellen, ob der
häufig auftretende Zollstempel Nr. 73 und die dazu
gehörenden Papiere der Zollbehörde gefälscht waren.
Nachdem die Gesprächspartnerin im HZA die Stempel für
echt gehalten hatte, informierte das HZA am 29.9.1998 den
Verwaltungsleiter der Klägerin, die von der Klägerin
übergebenen Unterlagen seien nach nochmaliger Prüfung als
gefälscht erkannt worden. Die Angelegenheit wurde sodann der
Steuerfahndungsstelle übergeben. Diese ermittelte mit Hilfe
sog. Stempelfolien, dass ein erheblicher Teil der Ausfuhrnachweise
in den Jahren 1993 bis 1998 von polnischen Staatsbürgern
nachgefertigt bzw. die Ausfuhrnachweise mit einem falschen
Zollstempel versehen worden waren. Die Steuerfahndungsstelle
stellte fest, dass die polnischen Staatsbürger Einkäufe
und Ausfuhren vorspiegelten, indem sie liegen gebliebene Kassenbons
auf den Parkplätzen, in den Einkaufskörben und den
Papierkörben der Supermärkte einsammelten, zum Teil mit
gefälschten Vordrucken und gefälschten Zollstempeln
Ausfuhrnachweise „fertigten“, diese mit Namen und
Anschrift des jeweiligen polnischen Staatsbürgers versahen und
die Erstattung der Umsatzsteuer von der Klägerin beantragten
und gewährt bekamen.
Mit
(geänderten) Umsatzsteuerbescheiden vom 11.10.1999 für
die Jahre 1993 bis 1997 und Vorauszahlungsbescheid vom 12.11.1999
für den Monat Dezember 1998 setzte das FA daraufhin
Umsatzsteuer fest.
Den von der
Klägerin beantragten Erlass der nachgeforderten Umsatzsteuer
für die Jahre 1993 bis 1998 lehnte das FA mit Bescheid vom
14.2.2000 ab. Der Einspruch dagegen hatte zum Teil Erfolg. Das FA
erließ die Umsatzsteuernachforderung für die Jahre 1993
und 1994, weil für diese Jahre eine Betriebsprüfung
durchgeführt worden war und die Steuerbescheide nicht mehr
hätten geändert werden dürfen. Die Zinsen (1993 bis
1997) erließ das FA, weil der Klägerin nur ein fiktiver
Liquiditätsvorteil entstanden war.
Im Übrigen
wies das FA den Einspruch gegen die Umsatzsteuerbescheide 1995 bis
1998 zurück. Zur Begründung führte es aus, die
Einziehung sei nicht sachlich unbillig. Die Klägerin schulde
die Steuer, da sie keinen ordnungsgemäßen
Ausfuhrnachweis habe erbringen können. Die Durchsetzung des
Anspruches aus dem Steuerschuldverhältnis unter den besonderen
Umständen des Einzelfalles laufe den gesetzlichen Wertungen
nicht zuwider.
Der Zeitraum von
1993 bis 1998, in dem die Klägerin nicht bemerkt habe, dass
ein erheblicher Teil der Ausfuhrpapiere von polnischen
Staatsbürgern nachgefertigt und mit einem falschen Zollstempel
versehen worden sei, sei lang andauernd. Zudem sei die Erstattung
von Umsatzsteuer in Höhe von 223.390 DM an polnische
Staatsbürger ein erheblicher Schaden. Der Schaden sei nicht
durch die falsche Auskunft der Zollbehörden verursacht worden.
Die Maßnahmen, die die Klägerin ergriffen habe,
hätten nicht ausgereicht. Bei angemessener Sorgfalt hätte
ein über Jahre andauernder Betrug verhindert werden
können. Zwar seien die Vorschriften des § 8 der
Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung (UStDV) eingehalten
worden, der Echtheit der abgestempelten Ausfuhrnachweise sei jedoch
zu wenig Bedeutung geschenkt worden. Erst nach Jahren sei den
aufgekommenen Zweifeln nachgegangen worden.
Die Klägerin
müsse sich zurechnen lassen, dass sie die ungerechtfertigte
Auszahlung der Umsatzsteuern mitverschuldet habe, auch wenn durch
ihr Handeln weiterer Schaden verhindert worden sei. Die
Umsatzsteuer könne zurückgefordert werden, auch wenn die
Klägerin wesentlich zur Aufklärung des Sachverhaltes
beigetragen habe. Dieser Umstand müsse nur im Strafprozess
positiv bedacht werden, für einen Erlass der gesamten
Umsatzsteuern reiche dies jedoch nicht. Eine analoge Anwendung des
§ 6a Abs. 4 des Umsatzsteuergesetzes 1993 (UStG 1993) komme
nicht in Betracht. Dort sei ebenfalls Voraussetzung, dass der
Unternehmer die Unrichtigkeit der Angaben des Abnehmers auch bei
Beachtung der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns nicht habe
erkennen können. Davon abgesehen handele es sich um keine
planwidrige Lücke im Gesetz. Die Vertrauensschutzregelung in
§ 6a Abs. 4 UStG 1993 für die innergemeinschaftliche
Lieferung beruhe auf der Überlegung, dass die
Steuerforderungen im EU-Binnenmarkt leichter realisierbar seien als
bei Lieferungen in Drittstaaten, die dem § 6 UStG 1993
unterlägen.
Die auf den
Erlass der Umsatzsteuernachforderungen nach § 227 der
Abgabenordnung (AO) für die Jahre 1995 bis 1998 gerichtete
Klage blieb ohne Erfolg (vgl. SIS 03 21 43). Das Finanzgericht (FG)
vertrat die Auffassung, die Einziehung der Umsatzsteuer sei auch
dann nicht sachlich unbillig, wenn die Klägerin nicht gegen
ihre Sorgfaltspflichten verstoßen haben sollte. Auch in
diesem Fall entspreche die Einziehung der Steuer den Wertungen des
Gesetzes.
Zur
Begründung der Revision trägt die Klägerin vor, das
Urteil des FG verletze materielles Recht und Verfahrensrecht. Das
FG habe die Lieferungen an polnische Abnehmer in analoger Anwendung
des § 6a Abs. 4 UStG 1993 als steuerfrei behandeln
müssen.
Im Übrigen
seien die Voraussetzungen einer abweichenden Steuerfestsetzung aus
Billigkeitsgründen gegeben.
Der Senat hat das
Revisionsverfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof der
Europäischen Gemeinschaften (EuGH) die folgende Frage zur
Auslegung des Gemeinschaftsrechts vorgelegt:
|
„Stehen die
gemeinschaftsrechtlichen Regelungen über die Steuerbefreiung
bei Ausfuhren in ein Drittland einer Gewährung der
Steuerbefreiung im Billigkeitswege durch den Mitgliedstaat
entgegen, wenn zwar die Voraussetzungen der Befreiung nicht
vorliegen, der Steuerpflichtige deren Fehlen aber auch bei
Beachtung der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmannes nicht erkennen
konnte?“
|
Der EuGH hat
diese Frage in seinem Urteil vom 21.2.2008 Rs. C-271/06, Netto Supermarkt GmbH
& Co. KG (BFH/NV Beilage 2008,
199 = SIS 08 16 63) wie folgt beantwortet:
|
„Art. 15
Nr. 2 der ... Richtlinie 77/388/EWG ... in der Fassung der
Richtlinie 95/7/EG vom 10.4.1995 ist dahin auszulegen, dass er der
von einem Mitgliedstaat vorgenommenen Mehrwertsteuerbefreiung einer
Ausfuhrlieferung nach einem Ort außerhalb der
Europäischen Gemeinschaft nicht entgegensteht, wenn zwar die
Voraussetzungen für eine derartige Befreiung nicht vorliegen,
der Steuerpflichtige dies aber auch bei Beachtung der Sorgfalt
eines ordentlichen Kaufmanns infolge der Fälschung des vom
Abnehmer vorgelegten Nachweises der Ausfuhr nicht erkennen
konnte.“
|
Die Klägerin
beantragt sinngemäß, das Urteil des FG sowie die
Einspruchsentscheidung vom 3.5.2000 und den Ablehnungsbescheid vom
14.2.2000 aufzuheben und das FA zu verpflichten, die Umsatzsteuer
für 1995 um ... EUR, die Umsatzsteuer für 1996 um ...
EUR, die Umsatzsteuer für 1997 um ... EUR und die Umsatzsteuer
für 1998 um ... EUR herabzusetzen.
Das FA beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Das FA ist der
Ansicht, die Voraussetzungen eines Erlasses seien auch nach den
Grundsätzen des EuGH-Urteils Netto Supermarkt GmbH & Co.
KG in BFH/NV Beilage 2008, 199 = SIS 08 16 63 nicht erfüllt.
Die Klägerin habe die Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns
nicht beachtet, weil von ihr nicht im ausreichenden Umfang
geprüft worden sei, ob der Inhaber der Zollpapiere auch der
tatsächliche Abnehmer der Waren gewesen sei.
II. Die Revision ist
begründet; sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung
und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs.
3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO - ). Das FG hat zu
Unrecht angenommen, dass die Klägerin auch dann keinen
Anspruch auf den begehrten Erlass habe, wenn ihr kein Verstoß
gegen ihre Sorgfaltspflichten zur Last fiele. Die Sache ist nicht
spruchreif. Der Senat kann aufgrund der vom FG getroffenen
Feststellungen nicht entscheiden, ob die Klägerin alle
zumutbaren Maßnahmen ergriffen hat, um sicherzustellen, dass
die von ihr getätigten Umsätze nicht zu einer Beteiligung
an einer Steuerhinterziehung führen und die Einziehung der
Umsatzsteuer deshalb unbillig ist.
1. Nach § 163
AO können Steuern niedriger festgesetzt werden, wenn die
Erhebung der Steuer nach Lage des einzelnen Falles unbillig
wäre. Unter denselben Voraussetzungen können
Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis erlassen werden
(§ 227 AO). Sachliche Unbilligkeit liegt vor, wenn die
Besteuerung, unabhängig von den wirtschaftlichen
Verhältnissen des Steuerpflichtigen, im Einzelfall mit dem
Sinn und Zweck des Gesetzes nicht vereinbar ist und deshalb den
gesetzlichen Wertungen zuwiderläuft (ständige
Rechtsprechung, z.B. Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom
9.9.1993 V R 45/91, BFHE 172, 237, BStBl II 1994, 131 = SIS 94 05 51, und vom 23.9.2004 V R 58/03, BFH/NV 2005, 825 = SIS 05 21 76,
unter II. 1.).
2. Die
Voraussetzungen einer Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 1 Buchst. a
UStG 1993 sind vorliegend nicht erfüllt. Danach sind von den
unter § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG 1993 fallenden Umsätzen u.a.
die Ausfuhrlieferungen (§ 6 UStG 1993) steuerfrei.
Eine
Ausfuhrlieferung liegt gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 2 UStG
1993 vor, wenn bei einer Lieferung der Abnehmer den Gegenstand der
Lieferung in das Drittlandsgebiet, ausgenommen Gebiete nach §
1 Abs. 3 UStG 1993, befördert oder versendet hat und ein
ausländischer Abnehmer ist.
Gemäß
§ 6 Abs. 4 UStG 1993 müssen die Voraussetzungen u.a. des
Abs. 1 vom Unternehmer nachgewiesen werden. Das BMF kann mit
Zustimmung des Bundesrates durch Rechtsverordnung bestimmen, wie
der Unternehmer die Nachweise zu führen hat.
Das BMF hat von der
Ermächtigung des § 6 Abs. 4 UStG 1993 in § 8 Abs. 1
UStDV Gebrauch gemacht. Danach muss bei Ausfuhrlieferungen der
Unternehmer im Geltungsbereich dieser Verordnung durch Belege
nachweisen, dass er oder der Abnehmer den Gegenstand der Lieferung
in das Drittlandsgebiet befördert oder versendet hat
(Ausfuhrnachweis). Dies muss sich aus den Belegen eindeutig und
leicht nachprüfbar ergeben. Diese Voraussetzungen sind
vorliegend hinsichtlich der streitigen Umsätze nicht
erfüllt, weil die Ausfuhrnachweise gefälscht
waren.
3. Eine
ausdrückliche Vertrauensschutzregelung sieht das UStG 1993
für diesen Fall, anders als in § 6a Abs. 4 UStG 1993,
nicht vor.
a) Allerdings trifft
§ 6a Abs. 4 UStG 1993 eine Vertrauensschutzregelung für
die innergemeinschaftliche Lieferung, die wie folgt
lautet:
„Hat der
Unternehmer eine Lieferung als steuerfrei behandelt, obwohl die
Voraussetzungen nach Absatz 1 nicht vorliegen, so ist die Lieferung
gleichwohl als steuerfrei anzusehen, wenn die Inanspruchnahme der
Steuerbefreiung auf unrichtigen Angaben des Abnehmers beruht und
der Unternehmer die Unrichtigkeit dieser Angaben auch bei Beachtung
der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns nicht erkennen konnte. In
diesem Fall schuldet der Abnehmer die entgangene
Steuer.“
b) Eine analoge
Anwendung des § 6a Abs. 4 UStG 1993 auf Ausfuhrlieferungen
kommt nicht in Betracht. Zum einen hat der liefernde Unternehmer
bei der Ausfuhrlieferung, anders als bei der
innergemeinschaftlichen Lieferung, die Möglichkeit, durch
Ausfuhrbelege nachzuweisen, dass der Gegenstand in ein anderes Land
verbracht worden ist. Darüber hinaus kommt die analoge
Anwendung der Regelung über die Steuerschuld des Abnehmers in
§ 6a Abs. 4 Satz 2 UStG 1993, die in untrennbarem Zusammenhang
mit der Vertrauensschutzregelung des § 6a Abs. 4 Satz 1 UStG
1993 steht, nicht in Betracht.
c) Da aber der
leistende Unternehmer bei der Ausfuhrlieferung dann vor einer mit
dem innergemeinschaftlich Liefernden vergleichbaren Situation
steht, wenn die für die Befreiung erforderliche Mitwirkung des
Abnehmers (hier die Vorlage des Ausfuhrnachweises - Beleg der
Zollstelle - ) manipuliert ist und der leistende Unternehmer die
Unrichtigkeit dieser „Angabe“ des Abnehmers auch
bei Beachtung der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns nicht
erkennen konnte, hat der Senat für diesen atypischen Fall die
Möglichkeit eines Billigkeitserlasses in Betracht gezogen und
deshalb dem EuGH die o.g. Frage zur Vorabentscheidung
vorgelegt.
4. Der EuGH hat
daraufhin im Urteil in BFH/NV Beilage 2008, 199 = SIS 08 16 63 zu
der Frage, ob im vorliegenden Sachverhalt die
gemeinschaftsrechtlichen Regelungen über die Steuerbefreiung
von Ausfuhrlieferungen in ein Drittland der Gewährung einer
Steuerbefreiung im Billigkeitswege durch den Mitgliedstaat
entgegenstehen, Folgendes ausgeführt:
|
„17.
Wie sich aus dem einleitenden Teil von Art. 15 der Sechsten
Richtlinie ergibt, ist es Sache der Mitgliedstaaten, die
Bedingungen für die Anwendung der Steuerbefreiung einer
Ausfuhrlieferung nach einem Ort außerhalb der Gemeinschaft
festzulegen. Nach dieser Vorschrift setzen die Mitgliedstaaten
zudem diese Bedingungen insbesondere ‘zur Verhütung von
Steuerhinterziehungen, Steuerumgehungen und etwaigen
Missbräuchen’ fest.
|
|
|
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18. Jedoch ist daran zu erinnern, dass die
Mitgliedstaaten bei der Ausübung der Befugnisse, die ihnen die
Gemeinschaftsrichtlinien übertragen, die allgemeinen
Rechtsgrundsätze beachten müssen, die Bestandteil der
Gemeinschaftsrechtsordnung sind, zu denen insbesondere die
Grundsätze der Rechtssicherheit und der
Verhältnismäßigkeit sowie des Vertrauensschutzes
zählen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 18.12.1997,
Molenheide u.a., C-286/94, C-340/95, C-401/95 und C-47/96, Slg.
1997, I-7281 = SIS 98 07 51, Randnrn. 45 bis 48, vom 11.5.2006,
Federation of Technological Industries u.a., C-384/04, Slg. 2006,
I-4191 = SIS 06 24 65, Randnr. 29, und vom 14.9.2006, Elmeka,
C-181/04 bis C-183/04, Slg. 2006, I-8167 = SIS 06 39 00, Randnr.
31).
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19. Zum Grundsatz der
Verhältnismäßigkeit hat der Gerichtshof bereits
entschieden, dass die Mitgliedstaaten gemäß diesem
Grundsatz Mittel einsetzen müssen, die es zwar erlauben, das
vom innerstaatlichen Recht verfolgte Ziel wirksam zu erreichen, die
jedoch die Ziele und Grundsätze des einschlägigen
Gemeinschaftsrechts möglichst wenig beeinträchtigen (vgl.
Urteile Molenheide u.a., Randnr. 46, und vom 27.9.2007, Teleos
u.a., C-409/04 = SIS 08 00 38, Slg. 2007, I-0000, Randnr.
52).
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20. Demnach ist es zwar legitim, dass die
Maßnahmen der Mitgliedstaaten darauf abzielen, die
Ansprüche der Staatskasse möglichst wirksam zu
schützen; sie dürfen jedoch nicht über das
hinausgehen, was hierzu erforderlich ist (vgl. u.a. Urteile
Molenheide u.a., Randnr. 47, und Federation of Technological
Industries u.a., Randnr. 30).
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21. Hierbei ist darauf hinzuweisen, dass
auf dem Gebiet der Mehrwertsteuer die Lieferer als Steuereinnehmer
für Rechnung des Staates und im Interesse der Staatskasse
fungieren (vgl. Urteil vom 20.10.1993, Balocchi, C-10/92, Slg.
1993, I-5105 = SIS 93 25 13, Randnr. 25). Sie schulden die
Mehrwertsteuer, obwohl diese als Verbrauchsteuer letztlich vom
Endverbraucher getragen wird (vgl. Urteil vom 3.10.2006, Banca
popolare di Cremona, C-475/03, Slg. 2006, I-9373 = SIS 06 44 33,
Randnrn. 22 und 28).
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22. Das in Art. 15 der Sechsten Richtlinie
genannte Ziel, der Steuerhinterziehung vorzubeugen, rechtfertigt
daher mitunter hohe Anforderungen an die Verpflichtungen der
Lieferer. Die Verteilung des Risikos zwischen diesen und der
Finanzverwaltung aufgrund eines von einem Dritten begangenen
Betrugs muss jedoch mit dem Grundsatz der
Verhältnismäßigkeit vereinbar sein (Urteil Teleos
u.a., Randnr. 58).
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23. Dies scheidet aus, wenn ein
Steuersystem dem Lieferer unabhängig davon, ob er an dem vom
Abnehmer begangenen Betrug beteiligt war, die gesamte Verantwortung
für die Zahlung der Mehrwertsteuer auferlegt (vgl. in diesem
Sinne Urteil Teleos u.a., Randnr. 58). Denn wie der Generalanwalt
in Nr. 45 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, wäre
es offenkundig unverhältnismäßig, einem
Steuerpflichtigen anzulasten, dass durch betrügerische
Machenschaften Dritter, auf die er keinen Einfluss hat,
Steuereinnahmen entgehen.
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24. Dagegen verstößt es, wie der
Gerichtshof bereits entschieden hat, nicht gegen das
Gemeinschaftsrecht, wenn vom Lieferer gefordert wird, dass er alle
Maßnahmen ergreift, die vernünftigerweise von ihm
verlangt werden können, um sicherzustellen, dass der von ihm
getätigte Umsatz nicht zu seiner Beteiligung an einer
Steuerhinterziehung führt (vgl. Urteil Teleos u.a., Randnr. 65
und die dort angeführte Rechtsprechung).
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25. Dass der Lieferer gutgläubig war,
dass er alle ihm zu Gebote stehenden zumutbaren Maßnahmen
ergriffen hat und dass seine Beteiligung an einem Betrug
ausgeschlossen ist, sind daher wichtige Kriterien im Rahmen der
Feststellung, ob er nachträglich zur Mehrwertsteuer
herangezogen werden kann (vgl. Urteil Teleos u.a., Randnr.
66).
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26. Ebenso verstieße es gegen den
Grundsatz der Rechtssicherheit, wenn ein Mitgliedstaat, der die
Voraussetzungen für die Befreiung einer Ausfuhrlieferung nach
einem Ort außerhalb der Gemeinschaft festgelegt hat, indem er
u.a. eine Liste von Unterlagen aufgestellt hat, die den
zuständigen Behörden vorzulegen sind, und der die vom
Lieferer als Nachweise für das Recht auf Befreiung vorgelegten
Unterlagen zunächst akzeptiert hat, den Lieferer später
zur Zahlung der auf diese Lieferung entfallenden Mehrwertsteuer
verpflichten könnte, wenn sich herausstellt, dass infolge
eines vom Abnehmer begangenen Betrugs, von dem der Lieferer weder
Kenntnis hatte noch haben konnte, die Befreiungsvoraussetzungen
tatsächlich nicht vorlagen (vgl. in diesem Sinne Urteil Teleos
u.a., Randnr. 50).
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27. Daraus folgt, dass der Lieferer auf die
Rechtmäßigkeit des Umsatzes, den er tätigt,
vertrauen können muss, ohne Gefahr zu laufen, sein Recht auf
Befreiung von der Mehrwertsteuer zu verlieren, wenn er wie im
Ausgangsverfahren selbst bei Beachtung der Sorgfalt eines
ordentlichen Kaufmanns außerstande ist, zu erkennen, dass die
Voraussetzungen für die Befreiung in Wirklichkeit nicht
gegeben waren, weil die vom Abnehmer vorgelegten Ausfuhrnachweise
gefälscht waren.“
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An seiner
gegenteiligen Rechtsprechung (BFH-Beschluss vom 6.5.2004 V B
101/03, BFHE 205, 416, BStBl II 2004, 748 = SIS 04 23 47) hält
der Senat nicht fest.
5. Ob die
Grundsätze des Vertrauensschutzes die Gewährung der
Steuerbefreiung gebieten, obwohl die Voraussetzungen einer
Ausfuhrlieferung i.S. des § 6 Abs. 1 UStG 1993 nicht
erfüllt sind, kann nur im Billigkeitsverfahren entschieden
werden. Dem steht das Gemeinschaftsrecht nicht entgegen.
Nach ständiger
Rechtsprechung des EuGH sind mangels einer einschlägigen
Gemeinschaftsregelung die Verfahrensmodalitäten, die den
Schutz der dem Bürger aus dem Gemeinschaftsrecht erwachsenden
Rechte gewährleisten sollen, nach dem Grundsatz der
Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten Sache der innerstaatlichen
Rechtsordnung eines jeden Mitgliedstaats (EuGH-Urteil vom 15.3.2007
Rs. C-35/05, Reemtsma, Slg. 2007, I-2425, DStRE 2007, 570 = SIS 07 10 88, Randnr. 40, m.w.N.; vgl. auch EuGH-Urteil vom 19.9.2000
C-454/98, Schmeink & Cofreth AG & Co. KG, Slg. 2000, I-6973
= SIS 00 12 77, BFH/NV Beilage 2001, 33 = SIS 00 12 77, Randnrn.
65, 66, Leitsatz 2 zur Berichtigung von zu Unrecht in Rechnung
gestellter Mehrwertsteuer). Hat der nationale Gesetzgeber die
Berücksichtigung des Vertrauensschutzes und deren
Voraussetzungen nicht ausdrücklich, wie in § 6a Abs. 4
UStG 1993, im materiellen Recht geregelt, eröffnen die
Regelungen in § 163 AO und § 227 AO verfahrensrechtlich
deren Berücksichtigung im Einzelfall. Auch wenn sich der
Steuerpflichtige, anders als im vorliegenden Fall, bereits im
Festsetzungsverfahren auf Vertrauensschutzgesichtspunkte beruft,
sind diese gleichwohl im Billigkeitsverfahren zu
berücksichtigen. Dabei wird das Ermessen der Finanzverwaltung
(§ 163 Satz 3 AO) regelmäßig dahingehend
auszuüben sein, dass die Entscheidung über die
abweichende Festsetzung aus Billigkeitsgründen mit der
Steuerfestsetzung zu verbinden ist.
Hat der
Steuerpflichtige alle ihm zu Gebote stehenden zumutbaren
Maßnahmen ergriffen, um sicherzustellen, dass die von ihm
getätigten Umsätze nicht zu einer Beteiligung an einer
Steuerhinterziehung führen, so ist das Verwaltungsermessen
hinsichtlich der Gewährung einer Billigkeitsmaßnahme auf
Null reduziert. Zur Sicherstellung einer richtlinienkonformen
Anwendung des nationalen Rechts besteht daher auch unter Beachtung
von § 102 FGO eine insoweit uneingeschränkte
Überprüfbarkeit der Ermessensentscheidung des FA durch
das FG.
6. Das FG ist von
anderen Grundsätzen ausgegangen; sein Urteil war daher
aufzuheben. Die Feststellungen des FG erlauben keine
abschließende Entscheidung, denn das FG hat - von seinem
Standpunkt aus zu Recht - keine ausreichenden Feststellungen zur
Frage getroffen, ob die Klägerin alle ihr zu Gebote stehenden
zumutbaren Maßnahmen getroffen hat, um sicherzustellen, dass
ihre Umsätze nicht zu einer Beteiligung an einer
Steuerhinterziehung führen. Bei seiner Würdigung wird das
FG auch den langen Zeitraum, in dem die Missbräuche
stattgefunden haben, zu berücksichtigen haben. Auch die
Verdoppelung der Umsatzsteuererstattungen im nichtkommerziellen
Reiseverkehr von 1995 auf 1996 hätte ab diesem Zeitpunkt
Anlass zu Nachforschungen gegeben. Für die Zeiträume vor
1996 lässt sich aber aus diesem Gesichtspunkt nichts
herleiten. Auch die Rechtschreibfehler auf einigen der gesichteten
Ausfuhrbelege sprechen dagegen, dass die Klägerin alle ihr zu
Gebote stehenden Maßnahmen gegen einen Missbrauch ergriffen
hat.