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I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte
(Klägerin) bezog Reinigungsleistungen von der Firma S. S
erteilte über ihre Leistungen Rechnungen mit gesondertem
Steuerausweis, obwohl sie nicht über eine Steuernummer
verfügte. Als Steuernummer enthielten die Rechnungen die
Angabe „75/180 Wv“, eine Kennzeichnung, die das
Finanzamt B unter der Angabe „SteuerNr./Aktenzeichen“
im Schriftverkehr mit S zur Erteilung einer Steuernummer verwendet
hatte. Die Rechnungen der S enthielten weiter den Zusatz
„Finanzamt B“.
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Der Beklagte und Revisionskläger (das
Finanzamt - (FA - ) erkannte den von der Klägerin aus den
Rechnungen der S geltend gemachten Vorsteuerabzug nicht an und
setzte die Umsatzsteuer für das Streitjahr 2006 entsprechend
höher fest. Das FA wies den Einspruch zurück, weil die
Rechnungen keine Steuernummer enthielten und auch nach
Vertrauensschutzgrundsätzen der Vorsteuerabzug nicht zu
gewähren sei.
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Demgegenüber gab das Finanzgericht
(FG) der Klage statt. Zwar setze der Vorsteuerabzug eine
ordnungsgemäße Rechnung voraus, wofür die
Steuernummer des Leistenden anzugeben sei. Selbst wenn die
Kennzeichnung „75/180 Wv“ keine
„Steuernummer“ sei, stehe der Klägerin im Hinblick
auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit der
Vorsteuerabzug aus den Rechnungen der S zu, da dies für die
Klägerin nicht erkennbar gewesen sei und das Finanzamt B
selbst diese Kennzeichnung im Schriftverkehr mit der Leistenden, S,
verwendet habe. Die Klägerin sei nicht verpflichtet gewesen,
Auskünfte bei der Finanzverwaltung einzuholen.
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Das Urteil des FG ist in EFG (EFG) 2009,
798 veröffentlicht.
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Mit seiner Revision rügt das FA
Verletzung materiellen Rechts. Die Steuernummer sei zwingend in der
Rechnung anzugeben. Das FG habe eine ihm nicht zustehende
Billigkeitsentscheidung getroffen.
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Das FA beantragt, das Urteil des FG
aufzuheben und die Klage abzuweisen.
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Die Klägerin beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
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Bei der Zeichenfolge „75/180
Wv“ handele es sich um eine Steuernummer, da sie geeignet und
dazu bestimmt sei, den Steuerpflichtigen zu identifizieren. Das FA
habe durch die Verwendung dieser Zeichenfolge einen
Vertrauenstatbestand gesetzt. Das FA könne sich auf das Fehlen
einer Steuernummer zumindest nicht berufen, da ein
widersprüchliches Verhalten vorliege. Da das Finanzamt B dem
leistenden Unternehmer keine andere Steuernummer erteilt habe,
könne sich die Finanzverwaltung gegenüber ihr, der
Leistungsempfängerin, nicht darauf berufen, dass es sich bei
der Zeichenfolge nicht um eine Steuernummer handele. Es sei ihr,
der Klägerin, nicht zuzumuten, sich mit Detailfragen des
Aufbaus von Steuernummern beschäftigen zu müssen.
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II. Die Revision des FA ist begründet.
Das Urteil des FG ist aufzuheben und die Klage abzuweisen (§
126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO - ). Die
Rechnungen der S berechtigen nicht zum Vorsteuerabzug, da sie nicht
die Steuernummer des Leistenden enthalten.
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1. Nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 2
des Umsatzsteuergesetzes 2005 (UStG) setzt der Vorsteuerabzug
voraus, dass der Unternehmer eine nach den §§ 14, 14a
UStG ausgestellte Rechnung besitzt. Dies erfordert, dass die dem
Unternehmer erteilte Rechnung den Anforderungen des § 14 Abs.
4 UStG entspricht. Diese Vorschriften beruhen auf Art. 18 Abs. 1
Buchst. a und Art. 22 Abs. 3 Buchst. b der Sechsten Richtlinie des
Rates vom 17.5.1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der
Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie
77/388/EWG). Nach Art. 18 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie
77/388/EWG muss der Steuerpflichtige, um das Recht auf
Vorsteuerabzug ausüben zu können, eine nach Art. 22 Abs.
3 dieser Richtlinie ausgestellte Rechnung besitzen. Nach Art. 22
Abs. 3 Buchst. b dritter Gedankenstrich der Richtlinie 77/388/EWG
hat die Rechnung die Umsatzsteuer-Identifikationsnummer zu
enthalten, unter der der Steuerpflichtige die Lieferung von
Gegenständen oder Dienstleistungen bewirkt hat. Nach Art. 22
Abs. 9 Buchst. e der Richtlinie 77/388/EWG kann in der Rechnung
statt der Umsatzsteuer-Identifikationsnummer auch eine
Steuerregisternummer angegeben werden.
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2. Der Vorsteuerabzug setzt nach § 15
Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 2 UStG die Ordnungsmäßigkeit
der Rechnung voraus und verlangt daher u.a., dass die Rechnung
gemäß § 14 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 UStG entweder eine
dem leistenden Unternehmer erteilte Steuernummer oder dessen
Umsatzsteuer-Identifikationsnummer enthält (Urteil des
Bundesfinanzhofs - BFH - vom 23.9.2009 II R 66/07, BFHE 227, 212,
BStBl II 2010, 712 = SIS 09 37 64, unter II.1.).
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3. Fehlen die für den Vorsteuerabzug nach
§ 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG erforderlichen Rechnungsangaben
oder sind sie unzutreffend, besteht nach Satz 2 dieser Vorschrift
für den Leistungsempfänger kein Anspruch auf
Vorsteuerabzug (Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union
- EuGH - vom 15.7.2010 C-368/09, Pannon Gép, DStR 2010, 1475
= SIS 10 22 16 RandNr. 43 sowie BFH-Urteile vom 27.7.2000 V R
55/99, BFHE 193, 156, BStBl II 2001, 426 = SIS 01 01 60; vom
8.10.2008 V R 59/07, BFHE 222, 189, BStBl II 2009, 218 = SIS 08 44 50; vom 17.12.2008 XI R 62/07, BFHE 223, 535, BStBl II 2009, 432 =
SIS 09 07 00; vom 30.4.2009 V R 15/07, BFHE 225, 254, BStBl II
2009, 744 = SIS 09 21 18; in BFHE 227, 212, BStBl II 2010, 712 =
SIS 09 37 64, unter II.1.). Etwas anderes gilt nur für den -
hier nicht vorliegenden Fall - der lediglich
betragsmäßig unzutreffenden Rechnung (BFH-Urteil vom
19.11.2009 V R 41/08, BFHE 227, 521, BFH/NV 2010, 562 = SIS 10 02 06, Leitsatz 1).
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4. Das Urteil des FG entspricht nicht den
vorstehenden Grundsätzen und war daher aufzuheben. Die Sache
ist spruchreif und die Klage abzuweisen.
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Steuernummer ist die dem Steuerpflichtigen zur
verwaltungstechnischen Erfassung und der Durchführung des
Besteuerungsverfahrens erteilte und mitgeteilte Nummer (vgl. §
8 der Buchungsordnung der Finanzämter, BStBl I 1993, 562 = SIS 93 18 46). Bei der Rechnungsangabe „75/180 Wv“
handelte es sich weder um eine der Firma S erteilte Steuernummer
noch um eine diesem Unternehmer erteilte
Umsatzsteuer-Identifikationsnummer, sondern um ein aus einer
Zahlen- und Buchstabenkombination bestehendes Aktenzeichen, welches
das Finanzamt B im Schriftverkehr über die Erteilung einer
Steuernummer gegenüber S verwendet hatte. Die Klägerin
war daher nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt (BFH-Urteil in BFHE
227, 212, BStBl II 2010, 712 = SIS 09 37 64, unter II.1.).
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5. Im Streitfall kann offen bleiben, ob der
Berichtigung einer fehlerhaften Rechnung Rückwirkung auf den
Zeitpunkt der Rechnungserteilung zukommt (EuGH-Urteil Pannon
Gép in DStR 2010, 1475 = SIS 10 22 16 RandNr. 44 f.). Denn
aufgrund der für den Senat bindenden Feststellung des FG
(§ 118 Abs. 2 FGO) ist davon auszugehen, dass zumindest bis
zum Schluss der letzten mündlichen Verhandlung vor dem FG
keine nachträgliche Berichtigung der fehlerhaften
Rechnungsangabe erfolgt ist.
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6. Ohne Erfolg beruft sich die Klägerin
darauf, ihr sei der Vorsteuerabzug unter Berücksichtigung der
Grundsätze des Vertrauensschutzes zu gewähren.
Hierüber ist nicht im Verfahren über die
Rechtmäßigkeit des Steuerbescheides zu entscheiden.
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Liegen die Voraussetzungen für den
Vorsteuerabzug wegen unzutreffender Rechnungsangaben nicht vor,
kommt unter Berücksichtigung des Grundsatzes des
Vertrauensschutzes ein Vorsteuerabzug im Billigkeitsverfahren
(§§ 163, 227 der Abgabenordnung - AO - ) in Betracht.
Macht der Steuerpflichtige im Festsetzungsverfahren geltend, ihm
sei der Vorsteuerabzug trotz Nichtvorliegens der
materiell-rechtlichen Voraussetzungen zu gewähren, ist
allerdings die Entscheidung über die Billigkeitsmaßnahme
nach § 163 Satz 3 AO regelmäßig mit der
Steuerfestsetzung zu verbinden (BFH-Urteil
vom 30.4.2009 V R 15/07, BFHE 225, 254, BStBl II 2009, 744 =
SIS 09 21 18). Im vorliegenden Verfahren gegen die
Steuerfestsetzung kann der Senat darüber jedoch nicht
entscheiden. Im Übrigen ist die in den Rechnungen enthaltene
Angabe „75/180 Wv“ ungeeignet, einen
Vertrauenstatbestand in die Erteilung einer dem leistenden
Unternehmer erteilten Steuernummer zu begründen, da diese
Zeichenfolge - durch Vergleich mit der eigenen Steuernummer ohne
weiteres erkennbar - weder in ihrem Umfang noch nach ihrem Aufbau
den in der Bundesrepublik Deutschland gebräuchlichen
Steuernummern ähnelt.
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7. Die Klägerin kann ihren Anspruch auf
Vorsteuerabzug schließlich auch nicht darauf stützen,
dass eine Versagung des Vorsteuerabzugs durch das FA zu einem
widersprüchlichen Verhalten der Finanzverwaltung führen
würde. Zwar benötigte S zum Ausstellen von zum
Vorsteuerabzug berechtigenden Rechnungen eine Steuernummer.
Für die Auffassung der Klägerin, die Nichterteilung einer
Steuernummer für den leistenden Unternehmer begründe
jedoch einen Anspruch auf Vorsteuerabzug des
Leistungsempfängers, fehlt ein rechtlicher
Anknüpfungspunkt. Vielmehr kann und muss der leistende
Unternehmer seinen gesetzlichen Anspruch auf Erteilung einer
Steuernummer gegenüber dem FA ggf. gerichtlich durchsetzen
(vgl. BFH-Urteil in BFHE 227, 212, BStBl II 2010, 712 = SIS 09 37 64, Leitsatz).
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