1. Dem Gerichtshof der Europäischen Union
wird folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:
§ 15 Abs. 1 Satz 2 des deutschen
Umsatzsteuergesetzes bestimmt, dass die Lieferung, die Einfuhr oder
der innergemeinschaftliche Erwerb eines Gegenstands, den der
Unternehmer zu weniger als 10 % für sein Unternehmen nutzt,
nicht als für das Unternehmen ausgeführt gilt - und
schließt insoweit den Vorsteuerabzug aus.
Die Regelung beruht auf Art. 1 der
Entscheidung des Rates vom 19.11.2004 (2004/817/EG), der die
Bundesrepublik Deutschland ermächtigt, abweichend von Art. 17
Abs. 2 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG zur Harmonisierung der
Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern
Ausgaben für solche Gegenstände und Dienstleistungen vom
Abzug der Mehrwertsteuer auszuschließen, die zu mehr als 90 %
für private Zwecke des Steuerpflichtigen oder seines Personals
oder allgemein für unternehmensfremde Zwecke genutzt
werden.
Gilt diese Ermächtigung - entsprechend
ihrem Wortlaut - nur für die in Art. 6 Abs. 2 der Sechsten
Richtlinie 77/388/EWG zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der
Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern (Art. 26 der Richtlinie
2006/112/EG des Rates vom 28.11.2006 über das gemeinsame
Mehrwertsteuersystem) geregelten Fälle oder darüber
hinaus in sämtlichen Fällen, in denen ein Gegenstand oder
eine Dienstleistung nur teilweise unternehmerisch genutzt wird?
2. Das Revisionsverfahren wird bis zur
Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union
ausgesetzt.
1
|
I. Sachverhalt des
Ausgangsverfahrens
|
|
|
2
|
Der Kläger und Revisionskläger
(Kläger) ist ein Landkreis – das ist eine regionale
Gebietskörperschaft des öffentlichen Rechts, die in
eigener Verantwortung alle die Leistungsfähigkeit der
kreisangehörigen Gemeinden und Ämter übersteigenden
Aufgaben erfüllt.
|
|
|
3
|
Dem Kläger obliegt im Rahmen der
öffentlichen Gewalt u.a. als hoheitliche Aufgabe der Bau, die
Unterhaltung und die Erhaltung der Verkehrssicherheit der
Straßen in seinem Gebiet (§ 10 Abs. 1 Satz 1 des
Brandenburgischen Straßengesetzes vom 31.3.2005, Gesetz- und
Verordnungsblatt für das Land Brandenburg I 2005, 218). Diese
Aufgaben erfüllte der Kläger durch einen Eigenbetrieb
ohne Rechtspersönlichkeit mit der Bezeichnung
„Kreisstraßenbetrieb“.
|
|
|
4
|
Der Kreisstraßenbetrieb war nach
seiner Betriebssatzung neben der Ausübung der hoheitlichen
Aufgaben zur Kapazitätsauslastung auch dazu befugt, Leistungen
an Dritte zu erbringen, die in gleicher Weise von privaten Bau-
oder Landschaftsgestaltungsunternehmen erbracht werden (z.B.
Entasten und Fällen von Bäumen, Fräsen von
Baumstümpfen, Mäharbeiten, Winterdienst sowie Kehr- und
Reparaturarbeiten). Insoweit war der Kläger im Rahmen eines
Betriebes gewerblicher Art wirtschaftlich (unternehmerisch)
tätig und erbrachte steuerbare und steuerpflichtige
Leistungen.
|
|
|
5
|
Im Besteuerungszeitraum 2008 (Streitjahr)
erwarb der Kläger verschiedene Gegenstände
(Arbeitsmaschinen, Nutzfahrzeuge und Zubehörteile). Diese
verwendete er im Wesentlichen für die von ihm im Rahmen der
öffentlichen Gewalt als Träger der Straßenbaulast
erbrachten Leistungen und zu 2,65 % für die Erbringung von
steuerpflichtigen Leistungen gegenüber Dritten.
|
|
|
6
|
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das
Finanzamt - FA - ) ließ die geltend gemachten
Vorsteuerbeträge nicht zum Abzug zu, da die angeschafften
Gegenstände nicht gemäß § 15 Abs. 1 Satz 2 des
Umsatzsteuergesetzes (UStG) zu mindestens 10 % für das
Unternehmen des Klägers genutzt worden seien. Im Rahmen des
Einspruchsverfahrens gewährte das FA aus anderen Gründen
einen Teil des begehrten Vorsteuerabzugs. Im Übrigen blieb der
Einspruch erfolglos.
|
|
|
7
|
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab.
Das Urteil ist in EFG 2013, 987 = SIS 13 13 06
veröffentlicht.
|
|
|
8
|
Mit seiner Revision macht der Kläger
geltend, die Versagung des Vorsteuerabzugs verstoße gegen
Unionsrecht; denn die Bundesrepublik Deutschland (Deutschland) sei
durch die Entscheidung des Rates vom 19.11.2004 zur
Ermächtigung Deutschlands, eine von Art. 17 der Sechsten
Richtlinie 77/388/EWG zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der
Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern abweichenden Regelung
anzuwenden (2004/817/EG - Entscheidung 2004/817/EG - ), nicht
ermächtigt worden, den Vorsteuerabzug auch für den Fall
auszuschließen, dass - wie im Streitfall - ein Gegenstand zu
mehr als 90 % für nichtwirtschaftliche Tätigkeiten
verwendet werde, die nicht vom Anwendungsbereich der Mehrwertsteuer
erfasst werden, aber nicht als unternehmensfremd angesehen werden
könnten. Ihm stehe daher ein anteiliger Vorsteuerabzug von
2,65 % aus den mit Vorsteuer belasteten Kosten zu. Er könne
sich insoweit auf das für ihn günstigere Unionsrecht
berufen.
|
|
|
9
|
Die Versagung des Vorsteuerabzugs
verstoße außerdem gegen den Grundsatz der
Wettbewerbsneutralität. Der Ausschluss führe dazu, dass
die nichtabziehbaren Vorsteuerbeträge als direkter Aufwand in
die Preiskalkulation eingingen, obwohl die von ihm in Konkurrenz zu
privaten Unternehmern ausgeführten Ausgangsumsätze (in
vollem Umfang) besteuert würden. Damit liege ein struktureller
Wettbewerbsnachteil für ihn vor.
|
|
|
10
|
Der Kläger beantragt, das FG-Urteil
aufzuheben und den Umsatzsteuerbescheid für 2008 vom 4.2.2010
in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 14.4.2010 dahingehend zu
ändern, dass der Vorsteuerabzug um ... EUR (2,65 % von ...
EUR) erhöht wird,
|
|
hilfsweise, die Sache dem Gerichtshof der
Europäischen Union (EuGH) zur Vorabentscheidung
vorzulegen.
|
|
|
11
|
Das FA beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
|
|
|
12
|
II. Zur Rechtslage nach nationalem Recht
|
|
|
13
|
1. Maßgebliche Vorschriften
|
|
|
14
|
a) Ein - zum Vorsteuerabzug berechtigter -
Unternehmer ist gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 UStG, wer
eine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit selbständig
ausübt, wobei das Unternehmen die gesamte gewerbliche oder
berufliche Tätigkeit des Unternehmers umfasst (§ 2 Abs. 1
Satz 2 UStG). Gewerblich oder beruflich ist jede nachhaltige
Tätigkeit zur Erzielung von Einnahmen (§ 2 Abs. 1 Satz 3
UStG).
|
|
|
15
|
b) Die juristischen Personen des
öffentlichen Rechts sind nach § 2 Abs. 3 Satz 1 UStG nur
im Rahmen ihrer Betriebe gewerblicher Art (§ 1 Abs. 1 Nr. 6,
§ 4 des Körperschaftsteuergesetzes - KStG - ) und ihrer
land- oder forstwirtschaftlichen Betriebe gewerblich oder beruflich
tätig.
|
|
|
16
|
c) § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG sieht
vor, dass der Unternehmer die gesetzlich geschuldete Steuer
für Leistungen, die von einem anderen Unternehmer für
sein Unternehmen ausgeführt worden sind, als Vorsteuer
abziehen kann. Ausgeschlossen ist der Vorsteuerabzug für
Leistungen, die der Unternehmer verwendet für steuerfreie
Umsätze (§ 15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 UStG) oder für
Umsätze im Ausland, die steuerfrei wären, wenn sie im
Inland ausgeführt würden (§ 15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2
UStG).
|
|
|
17
|
d) Nach § 15 Abs. 1 Satz 2 UStG gilt die
Lieferung, die Einfuhr oder der innergemeinschaftliche Erwerb eines
Gegenstands, den der Unternehmer zu weniger als 10 % für sein
Unternehmen nutzt, nicht als für das Unternehmen
ausgeführt (sog. unternehmerische Mindestnutzung). Diese
Vorschrift wurde mit Wirkung zum 1.4.1999 durch das
Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 (BGBl I 1999, 402) in das
UStG eingefügt.
|
|
|
18
|
Bis zum Jahr 1992 bestand eine vergleichbare
Verwaltungsregelung (zuletzt in Abschn. 192 Abs. 17 Nr. 2 der
Umsatzsteuer-Richtlinien - UStR - 1988), die jedoch im Jahr 1992
nach Ergehen des EuGH-Urteils Lennartz vom 11.7.1991 C-97/90
(EU:C:1991:315 = SIS 91 23 19, Europäische Zeitschrift
für Wirtschaftsrecht - EuZW - 1991, 539, Rz 35) aufgegeben
wurde.
|
|
|
19
|
2. Rechtliche Würdigung
|
|
|
20
|
Der Kläger ist nach nationalem Recht
nicht zu dem von ihm geltend gemachten Vorsteuerabzug berechtigt.
Denn er verwendete die von ihm angeschafften Gegenstände im
Wesentlichen zur Erfüllung seiner hoheitlichen Aufgaben, d.h.
nicht im Rahmen seines Unternehmens (§ 2 Abs. 1 Satz 2 i.V.m.
§ 2 Abs. 3 Satz 1 UStG und § 4 Abs. 5 KStG), und nur zu
2,65 % im Rahmen seines Unternehmens zur Ausführung von nach
§ 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG steuerbaren und mangels Steuerbefreiung
auch steuerpflichtigen Leistungen. Für diesen Sachverhalt ist
der Vorsteuerabzug des Klägers nach § 15 Abs. 1 Satz 2
UStG ausgeschlossen, da der Anteil der Nutzung für das
Unternehmen des Klägers weniger als 10 % beträgt.
|
|
|
21
|
III. Zur Anrufung des EuGH
|
|
|
22
|
Es ist aber aus den nachfolgenden Gründen
fraglich, ob die Versagung des Vorsteuerabzugs gegen Unionsrecht
verstößt.
|
|
|
23
|
1. Maßgebliche Vorschriften des
Unionsrechts
|
|
|
24
|
a) Als - zum Vorsteuerabzug berechtigter -
Steuerpflichtiger gilt nach Art. 9 der im Streitjahr
maßgeblichen Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28.11.2006
über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL), wer
eine der in Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 2 MwStSystRL genannten
wirtschaftlichen Tätigkeiten unabhängig von ihrem Ort,
Zweck und Ergebnis selbständig ausübt.
|
|
|
25
|
b) Staaten, Länder, Gemeinden und
sonstige Einrichtungen des öffentlichen Rechts gelten nach
Art. 13 MwStSystRL nicht als Steuerpflichtige, soweit sie die
Tätigkeiten ausüben oder Umsätze bewirken, die ihnen
im Rahmen der öffentlichen Gewalt obliegen, auch wenn sie im
Zusammenhang mit diesen Tätigkeiten oder Umsätzen
Zölle, Gebühren, Beiträge oder sonstige Abgaben
erheben. Falls sie solche Tätigkeiten ausüben oder
Umsätze bewirken, gelten sie für diese Tätigkeiten
oder Umsätze jedoch als Steuerpflichtige, sofern eine
Behandlung als Nichtsteuerpflichtige zu größeren
Wettbewerbsverzerrungen führen würde (Art. 13 Abs. 1
Unterabs. 2 MwStSystRL).
|
|
|
26
|
c) Nach Art. 168 Buchst. a MwStSystRL ist der
Steuerpflichtige, der Gegenstände und Dienstleistungen
für Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet, befugt,
die im Inland geschuldete oder entrichtete Mehrwertsteuer für
Gegenstände und Dienstleistungen, die ihm von einem anderen
Steuerpflichtigen geliefert oder erbracht werden, von der von ihm
geschuldeten Steuer abzuziehen. Art. 17 Abs. 2 Buchst. a der
Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17.5.1977 zur
Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über
die Umsatzsteuern (Richtlinie 77/388/EWG) enthielt eine
entsprechende Bestimmung.
|
|
|
27
|
d) Nach Art. 395 MwStSystRL kann der Rat auf
Vorschlag der Kommission einstimmig jeden Mitgliedstaat
ermächtigen, von dieser Richtlinie abweichende
Sondermaßnahmen einzuführen, um die Steuererhebung zu
vereinfachen oder Steuerhinterziehungen oder -umgehungen zu
verhindern, wobei die Maßnahmen zur Vereinfachung der
Steuererhebung den Gesamtbetrag der von dem Mitgliedstaat auf der
Stufe des Endverbrauchs erhobenen Steuer nur in unerheblichem
Maße beeinflussen dürfen. Art. 27 Abs. 1 der Richtlinie
77/388/EWG enthielt eine entsprechende Bestimmung.
|
|
|
28
|
Nach Art. 411 Abs. 1 und 2 MwStSystRL gilt ein
Verweis auf Art. 27 Abs. 1 der Richtlinie 77/388/EWG als Verweis
auf Art. 395 Abs. 1 MwStSystRL.
|
|
|
29
|
e) Auf der Grundlage von Art. 27 Abs. 1 der
Richtlinie 77/388/EWG traf der Rat die Entscheidung 2004/817/EG vom
19.11.2004. Diese Entscheidung wurde am 2.12.2004 im Amtsblatt der
Europäischen Union (ABlEU) L 357/33 veröffentlicht und
war bis zum 31.12.2009 befristet; sie galt also auch im Streitjahr
2008.
|
|
|
30
|
Art. 1 dieser Entscheidung lautet:
|
|
|
31
|
|
“Deutschland wird ermächtigt,
abweichend von Artikel 17 Abs. 2 der Richtlinie 77/388/EWG Ausgaben
für solche Gegenstände vom Abzug der MwSt.
auszuschließen, die zu mehr als 90 % für private Zwecke
des Steuerpflichtigen oder seines Personals oder allgemein für
unternehmensfremde Zwecke genutzt werden.“
|
|
|
32
|
Die entsprechenden Ermächtigungen in den
vorangegangenen Entscheidungen vom 28.2.2000 (2000/186/EG,
Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften L 59/12) und vom
13.5.2003 (2003/354/EG, ABlEU L 123/47) und in den nachfolgenden
Entscheidungen vom 20.10.2009 (2009/791/EG, ABlEU L 283/55) und vom
13.11.2012 (2012/705/EU, ABlEU L 319/8) sind im Wesentlichen
identisch formuliert.
|
|
|
33
|
f) Eine vergleichbare Ermächtigung
besteht für die Republik Österreich (Entscheidung des
Rates vom 13.12.2004, 2004/866/EG, ABlEU L 371/47). Von dieser
Ermächtigung hat der österreichische Gesetzgeber in
§ 12 Abs. 2 Z 1 lit. b) des österreichischen
Umsatzsteuergesetzes für von einem Unternehmer bezogene
Lieferungen und - insoweit über § 15 Abs. 1 Satz 2 UStG
hinausgehend - für sonstige Leistungen Gebrauch gemacht.
|
|
|
34
|
2. Rechtliche Würdigung
|
|
|
35
|
a) Für den Fall, dass eine bezogene
Leistung - wie im Ausgangsverfahren - bestimmten
Ausgangsumsätzen zugeordnet werden kann, ist für den
Vorsteuerabzug zwischen drei unterschiedlichen Verwendungszwecken
(Bereichen bzw. Sphären) zu unterscheiden.
|
|
|
36
|
aa) Nach ständiger Rechtsprechung des
EuGH und des Bundesfinanzhofs (BFH) ist der Steuerpflichtige
(Unternehmer) zum Vorsteuerabzug berechtigt, soweit er Leistungen
für sein Unternehmen (§ 2 Abs. 1 UStG, Art. 9 MwStSystRL)
und damit für seine wirtschaftlichen Tätigkeiten zur
Erbringung entgeltlicher Leistungen (wirtschaftliche
Tätigkeiten) zu verwenden beabsichtigt (vgl. z.B.
BFH-Urteil vom 29.1.2014 XI R 4/12, BFHE 244, 131, BFH/NV 2014, 992
= SIS 14 10 52, Rz 49, m.w.N.).
|
|
|
37
|
Beabsichtigt der Unternehmer eine (teilweise)
Verwendung für eine nichtwirtschaftliche
Tätigkeit, ist er insoweit nicht zum Vorsteuerabzug
berechtigt (vgl. z.B. EuGH-Urteile Securenta vom 13.3.2008
C-437/06, EU:C:2008:166, UR 2008, 344 = SIS 08 16 67, Rz 30 und 31;
Vereniging Noordelijke Land- en Tuinbouw Organisatie - VNLTO - vom
12.2.2009 C-515/07, EU:C:2009:88, UR 2000, 199 = SIS 09 08 65, Rz
37; Gemeente ‘s-Hertogenbosch vom 10.9.2014 C-92/13,
EU:C:2014:2188, UR 2014, 852 = SIS 14 23 94, Rz 36; BFH-Urteile vom
3.3.2011 V R 23/10, BFHE 233, 274, BStBl II 2012, 74 = SIS 11 18 30, Rz 12 und 16; vom 19.7.2011 XI R 21/10, BFHE 235, 14, BStBl II
2012, 434 = SIS 11 36 18, Rz 28 und 29).
|
|
|
38
|
Beabsichtigt der Unternehmer eine von ihm
bezogene Leistung ausschließlich für
unternehmensfremde Zwecke i.S. von Art. 26 MwStSystRL, § 3
Abs. 9a UStG zu verwenden, steht ihm kein Vorsteuerabzug zu
(vgl. z.B. BFH-Urteile vom 9.12.2010 V R 17/10, BFHE 232, 243,
BStBl II 2012, 53 = SIS 11 06 15, Rz 10; in BFHE 244, 131, BFH/NV
2014, 992 = SIS 14 10 52, Rz 53). Bei der Lieferung eines
Gegenstands, den der Unternehmer sowohl für steuerpflichtige
wirtschaftliche Tätigkeiten als auch für
unternehmensfremde (private) Zwecke i.S. von Art. 26 Abs. 1 Buchst.
a MwStSystRL, § 3 Abs. 9a Nr. 1 UStG verwenden will, kann er
allerdings den Gegenstand insgesamt seinem Unternehmen zuordnen und
aufgrund dieser Unternehmenszuordnung in vollem Umfang zum
Vorsteuerabzug berechtigt sein; er hat dann aber die
unternehmensfremde Verwendung des Gegenstands zu versteuern (vgl.
z.B. EuGH-Urteil Puffer vom 23.4.2009 C-460/07, EU:C:2009:254, UR
2009, 410 = SIS 09 18 50, Rz 39; BFH-Urteil in BFHE 235, 14, BStBl
II 2012, 434 = SIS 11 36 18, Rz 30 und 31, jeweils m.w.N.).
|
|
|
39
|
Ergänzend hat der EuGH im Urteil VNLTO
(EU:C:2009:88, UR 2009, 199, Rz 38) entschieden, dass
Tätigkeiten, die nicht in den Anwendungsbereich der
Mehrwertsteuer fallen, nicht allgemein als
„unternehmensfremd“ i.S. des Art. 26 Abs. 1
Buchst. a MwStSystRL betrachtet werden können.
|
|
|
40
|
bb) Die Finanzverwaltung unterscheidet
insoweit zwischen der gewerblichen und beruflichen Tätigkeit
und den nichtunternehmerischen Tätigkeiten, welche sie weiter
in die nichtwirtschaftlichen Tätigkeiten im engeren Sinne und
die unternehmensfremden Tätigkeiten unterteilt (Abschn. 2.3
Abs. 1a Sätze 1 und 2 des Umsatzsteuer-Anwendungserlasses -
UStAE - ; ebenso z.B. Hundt-Eßwein in
Offerhaus/Söhn/Lange, § 15 UStG Rz 153a).
|
|
|
41
|
cc) In der Literatur werden die
wirtschaftlichen Tätigkeiten (so z.B. Oelmaier in
Sölch/Ringleb, Umsatzsteuer, § 15 Rz 245; Lippross,
Umsatzsteuer, 23. Aufl., S. 474) auch als unternehmerisch
bezeichnet (vgl. z.B. Bunjes/Heidner, UStG, 13. Aufl., § 15 Rz
121; Nieskens, EU-Umsatz-Steuer-Berater - EU-UStB - 2009, 19;
Sterzinger, UR 2010, 125, 129).
|
|
|
42
|
Bezüglich der nichtwirtschaftlichen
Tätigkeiten ist in der Literatur umstritten, ob dieser Bereich
zur unternehmerischen (so z.B. Küffner/von Streit, DStR 2012,
581, 588; mit anderer Bezeichnung: Oelmaier in Sölch/Ringleb,
Umsatzsteuer, § 15 Rz 245 „nichtwirtschaftliche
Tätigkeiten im Rahmen des Satzungszwecks“; Pull,
Mehrwertsteuerrecht 2013, 611, 612 „nicht-wirtschaftliche
unternehmenseigene Sphäre“) oder zur
nichtunternehmerischen Tätigkeit des Steuerpflichtigen
gehört, wobei unterschiedliche Bezeichnungen verwendet werden,
z.B. nichtunternehmerisch, aber nicht unternehmensfremd (vgl. z.B.
Bunjes/Heidner, a.a.O., § 15 Rz 121; Korn, DStR 2009, 372,
373; Nieskens, EU-UStB 2009, 19; Sterzinger, UR 2010, 125, 129)
oder nichtunternehmerisch, aber unternehmensnah (Lippross, a.a.O.,
S. 474).
|
|
|
43
|
Die privaten Zwecke werden überwiegend
als unternehmensfremd (vgl. nur Bunjes/Heidner, a.a.O., § 15
Rz 121; Sterzinger, UR 2010, 125, 129; Küffner/von Streit,
DStR 2012, 581, 588; Lippross, a.a.O., S. 474) oder auch als
nichtwirtschaftliche Tätigkeiten außerhalb des
Satzungszwecks (Oelmaier in Sölch/Ringleb, Umsatzsteuer,
§ 15 Rz 245) bezeichnet.
|
|
|
44
|
b) Nach diesen Grundsätzen ist der
Vorsteuerabzug (zwingend) ausgeschlossen, soweit der Kläger
die von ihm im Streitfall angeschafften Gegenstände - zu 97,35
% - für seine hoheitlichen Aufgaben verwendete.
|
|
|
45
|
Denn diese von ihm als sonstige Einrichtung
des öffentlichen Rechts i.S. von Art. 13 Abs. 1 MwStSystRL im
Rahmen der öffentlichen Gewalt ausgeübten hoheitlichen
Tätigkeiten als Träger der Straßenbaulast stellen
nicht von der Mehrwertsteuer erfasste nichtwirtschaftliche
Tätigkeiten dar (vgl. EuGH-Urteil Gemeente
‘s-Hertogenbosch, EU:C:2014:2188, UR 2014, 852 = SIS 14 23 94, Rz 25).
|
|
|
46
|
c) Im Übrigen verwendete der Kläger
die angeschafften Gegenstände - zu 2,65 % - direkt und
unmittelbar für Zwecke seiner besteuerten Umsätze.
Insoweit steht ihm nach Art. 168 Buchst. a MwStSystRL
(grundsätzlich) ein Vorsteuerabzugsrecht zu.
|
|
|
47
|
aa) Das in den Art. 167 ff. MwStSystRL
geregelte Recht auf Vorsteuerabzug ist nach ständiger
Rechtsprechung des EuGH integraler Bestandteil des
Mehrwertsteuersystems und kann grundsätzlich nicht
eingeschränkt werden (vgl. z.B. EuGH-Urteile BP Soupergaz vom
6.7.1995 C-62/93, EU:C:1995:223, HFR 1995, 606 = SIS 95 21 46, Rz
18; Kittel und Recolta Recycling vom 6.7.2006 C-439/04 und
C-440/04, EU:C:2006:446, UR 2006, 594 = SIS 06 33 36, Rz 47;
Mahagében und Dávid vom 21.6.2012 C-80/11 und C-142/11,
EU:C:2012:373, UR 2012, 591 = SIS 12 19 39, Rz 38; Macikowski vom
26.3.2015 C-499/13, EU:C:2015:201, UR 2015, 354 = SIS 15 08 42, Rz
55, m.w.N.).
|
|
|
48
|
Durch die Abzugsregelung soll der Unternehmer
vollständig von der im Rahmen seiner wirtschaftlichen
Tätigkeiten geschuldeten oder entrichteten Mehrwertsteuer
entlastet werden (vgl. z.B. EuGH-Urteile Gabalfrisa u.a. vom
21.3.2000 C-110/98 bis C-147/98, EU:C:2000:145, UR 2000, 209 = SIS 00 07 04, Rz 44; Halifax u.a. vom 21.2.2006 C-255/02,
EU:C:2006:121, UR 2006, 232 = SIS 06 12 87, Rz 78; Tóth vom
6.9.2012 C-324/11, EU:C:2012:549, UR 2012, 851 = SIS 12 25 10, Rz
25; Idexx Laboratories Italia vom 11.12.2014 C-590/13,
EU:C:2014:2429, UR 2015, 70 = SIS 15 00 12, Rz 32).
|
|
|
49
|
bb) Steuerpflichtige können sich
gegenüber einer mit Art. 168 Buchst. a MwStSystRL
unvereinbaren nationalen Regelung bei Vorliegen der entsprechenden
Voraussetzungen unmittelbar auf das günstigere Unionsrecht
berufen (vgl. zu Art. 17 Abs. 2 der Richtlinie 77/388/EWG z.B.
EuGH-Urteile BP Soupergaz, EU:C:1995:223, HFR 1995, 606 = SIS 95 21 46, Rz 35, und PARAT Automotive Cabrio vom 23.4.2009 C-74/08,
EU:C:2009:261, UR 2009, 452 = SIS 09 18 52, Rz 36).
|
|
|
50
|
cc) Ein Ausschluss des Vorsteuerabzugs ergibt
sich nicht aus Art. 173 Abs. 2 Buchst. e MwStSystRL.
|
|
|
51
|
Nach dieser Bestimmung können die
Mitgliedstaaten vorsehen, dass der Betrag der Mehrwertsteuer, der
vom Steuerpflichtigen nicht abgezogen werden kann, nicht
berücksichtigt wird, wenn er geringfügig ist. Das
Ausgangsverfahren betrifft jedoch den umgekehrten Fall, dass eine
Leistung nur zu einem geringen Teil für besteuerte
Umsätze verwendet wird. Diesbezüglich enthält die
Bestimmung keine Regelung.
|
|
|
52
|
3. Zur Vorlagefrage
|
|
|
53
|
Die Vorlagefrage betrifft die Auslegung der
Entscheidung 2004/817/EG. Deutschland könnte durch Art. 1 der
Entscheidung 2004/817/EG zur Versagung des Vorsteuerabzugs (auch)
in Fällen der vorliegenden Art ermächtigt sein.
|
|
|
54
|
a) Soweit § 15 Abs. 1 Satz 2 UStG den
Vorsteuerabzug ausschließt, weicht er von Art. 168 Buchst. a
MwStSystRL ab.
|
|
|
55
|
Denn das Recht auf Vorsteuerabzug nach dieser
Vorschrift besteht für den Steuerpflichtigen
uneingeschränkt, „wie gering auch immer der Anteil
der Verwendung für unternehmerische Zwecke sein mag. Eine
Vorschrift oder eine Verwaltungspraxis, die das Recht auf
Vorsteuerabzug im Falle einer begrenzten, gleichwohl aber
tatsächlichen unternehmerischen Verwendung allgemein
einschränkt, stellt eine Abweichung von Artikel 17 der
Sechsten Richtlinie dar und ist nur gültig, wenn sie den
Anforderungen des Artikels 27 Absatz 1 oder des Artikels 27 Absatz
5 der Sechsten Richtlinie genügt“ (vgl. EuGH-Urteil
Lennartz, EU:C:1991:315 = SIS 91 23 19, EuZW 1991, 539, Rz 35).
|
|
|
56
|
b) Die Entscheidung 2004/817/EG beruht auf
Art. 27 Abs. 1 der Richtlinie 77/388/EWG. Der Senat hat Zweifel
daran, ob Art. 1 der Entscheidung 2004/817/EG nicht nur -
entsprechend dem Wortlaut dieser Bestimmung - dann zum
Vorsteuerausschluss ermächtigt, wenn ein Gegenstand für
private Zwecke des Steuerpflichtigen oder seines Personals oder
allgemein für unternehmensfremde Zwecke genutzt wird, sondern
auch in den Fällen gilt, in denen ein Gegenstand - wie im
Ausgangsverfahren - zu mehr als 90 % für nichtwirtschaftliche
Tätigkeiten, die nicht in den Anwendungsbereich der
Mehrwertsteuer fallen, verwendet wird.
|
|
|
57
|
aa) Diese aus dem Wortlaut von Art. 1 der
Entscheidung 2004/817/EG folgenden Zweifel werden durch die
Entstehungsgeschichte dieser Ermächtigung verstärkt.
|
|
|
58
|
Das angestrebte Ziel dieser Ausnahmeregelung
ist in den Nrn. 3 und 4 der Begründung des von der Kommission
am 13.12.1999 vorgelegten Vorschlags für eine Entscheidung des
Rates zur Ermächtigung der Bundesrepublik Deutschland, von den
Artikeln 6 und 17 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG zur
Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über
die Umsatzsteuern abweichende Regelungen anzuwenden (KOM (1999) 690
endgültig, www.eur-lex.eu), wie folgt wiedergegeben:
|
|
|
59
|
„3. Die erste Ausnahmeregelung zielt
darauf ab, den Abzug der Mehrwertsteuer auf Ausgaben im
Zusammenhang mit Gegenständen und Dienstleistungen, die zu
weniger als 10 % für Zwecke des Unternehmens verwendet werden,
vollkommen auszuschließen.
|
|
|
60
|
4. Gemäß Artikel 27 können
von der Sechsten MwSt-Richtlinie abweichende Sonderregelungen
eingeführt werden, um die Steuererhebung zu vereinfachen oder
Steuerhinterziehungen oder -umgehungen zu verhüten. Auf der
Grundlage dieser Bestimmung ist eine Regelung, die einen
unbesteuerten Verbrauch verhindern soll, gerechtfertigt, da sie die
Anwendung der Steuer insofern vereinfacht, als sie die Verwaltung
von der erforderlichen Kontrolle der Ausübung des Rechts auf
Abzug der Mehrwertsteuer auf Ausgaben im Zusammenhang mit
Gegenständen und Dienstleistungen entlastet, die zu mehr als
90 % für unternehmensfremde Zwecke verwendet
werden.“
|
|
|
61
|
Entsprechende Formulierungen werden in den
nachfolgenden Vorschlägen verwendet (Abs. 3 der
Begründung zum Vorschlag vom 14.3.2003, KOM (2003) 116
endgültig; Abs. 3 der Begründung zum Vorschlag vom
2.9.2004, KOM (2004) 579 endgültig, verfügbar über
www.eur-lex.eu). Auch wenn die deutschen Sprachfassungen
unterschiedlich formuliert sind, so ergibt sich aus dem Vergleich
mit den französischen und englischen Fassungen („dont
l’utilisation pour les besoins de l’entreprise est de
moins de/inférieure à 10% de l’utilisation
totale“ bzw. „when less than 10% of those goods
and services are used for business purposes“), dass in
allen Fällen die Ermächtigung zum Ausschluss des
Vorsteuerabzugs für Gegenstände und Dienstleistungen
begehrt wurde, die zu weniger als 10 % für Zwecke des
Unternehmens verwendet werden.
|
|
|
62
|
bb) In Art. 1 der Entscheidung 2004/817/EG
wird die Ermächtigung dagegen wie folgt formuliert:
|
|
|
63
|
|
“Deutschland wird ermächtigt,
abweichend von Artikel 17 Absatz 2 der Richtlinie 77/388/EWG
Ausgaben für solche Gegenstände und Dienstleistungen vom
Abzug der MwSt. auszuschließen, die zu mehr als 90 % für
private Zwecke des Steuerpflichtigen oder seines Personals oder
allgemein für unternehmensfremde Zwecke genutzt
werden.“
|
|
|
64
|
Diese Formulierung entspricht inhaltlich der
zum Zeitpunkt ihres Ergehens im Jahr 2004 geltenden Bestimmung in
Art. 6 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 77/388/EWG (seit dem
1.1.2007 in Art. 26 Abs. 1 Buchst. a MwStSystRL), wonach einer
Dienstleistung gegen Entgelt gleichgestellt wird „die
Verwendung eines dem Unternehmen zugeordneten Gegenstands für
den privaten Bedarf des Steuerpflichtigen, für den Bedarf
seines Personals oder allgemein für unternehmensfremde
Zwecke“. Das gleiche gilt jeweils für die englische
und französische Fassung.
|
|
|
65
|
cc) Diese Formulierung in Art. 1 der
Entscheidung 2004/817/EG steht im Einklang mit dem Anlass, aus dem
der deutsche Gesetzgeber die Ermächtigung zu § 15 Abs. 1
Satz 2 UStG eingeholt hat.
|
|
|
66
|
Die Einführung der Bestimmung in §
15 Abs. 1 Satz 2 UStG begründete der Gesetzgeber wie folgt
(BTDrucks 14/443, S. 38, zu Nr. 11 Buchst. a):
|
|
|
67
|
|
“Beim Erwerb eines Fahrzeugs, das nur
ganz geringfügig für unternehmerische Zwecke genutzt
wird, tritt zwar der 50%ige Vorsteuerausschluß ein, zugleich
entfällt aber die Besteuerung der Privatnutzung. Daraus
entsteht ein unangemessener Steuervorteil, der durch
Einführung einer 10%igen unternehmerischen Mindestnutzung
deutlich abgemildert werden soll. Die Mindestnutzung von 10 v.H.
soll nicht nur für Kraftfahrzeuge, sondern für alle
Gegenstände gelten.“
|
|
|
68
|
Zur Umsetzung dieser Bestimmung beantragte die
Bundesregierung die Erteilung einer Ermächtigung zur Anwendung
abweichender Regelungen.
|
|
|
69
|
c) Nach der in Deutschland im Jahr 2004, in
dem die bezeichnete Ermächtigung beantragt und erteilt worden
ist, und auch noch im Streitjahr 2008 herrschenden Rechtsauffassung
wurden für den Vorsteuerabzug (lediglich) zwei
unterschiedliche Verwendungszwecke (Bereiche bzw. Sphären)
einer von einem Unternehmer bezogenen Leistung unterschieden: Eine
Nutzung für Zwecke des Unternehmens, d.h. für die
selbständig ausgeübte gewerbliche oder berufliche
Tätigkeit (§ 2 Abs. 1 Sätze 1 und 3 UStG) und eine
Verwendung für nichtunternehmerische Zwecke, wobei Letzteres
sowohl die nichtwirtschaftlichen Tätigkeiten als auch die
„unternehmensfremden Zwecke“ i.S. von Art. 26
Abs. 1 Buchst. a MwStSystRL umfasste (vgl. z.B. Abschn. 212 Abs. 3
Nr. 2 UStR 2008; ebenso die Stellungnahme Deutschlands in der
Rechtssache VNLTO, wiedergegeben in Rz 22 der Urteilsgründe
EU:C:2009:88, UR 2009, 199; Klenk in Sölch/ Ringleb,
Umsatzsteuer, 60. Aufl. 2008, § 3 Rz 621; Küffner/
Zugmaier, DStR 2005, 280, 282; Lange, Deutsche Steuerjuristische
Gesellschaft 32 (2009), S. 303, 310; Korn, DStR 2009, 372;
Sterzinger, UR 2010, 125, 129; Klenk, UR 2012, 663, 666; Radeisen,
BB 2013, 151).
|
|
|
70
|
Dieselbe Auffassung wurde auch in
Österreich (vgl. z.B. Korn, Österreichische Steuerzeitung
2009, 262) und - wie die Vorlage im Fall VNLTO zeigt - in den
Niederlanden vertreten (EuGH-Urteil VNLTO, EU:C:2009:88, UR 2009,
199, Rz 26).
|
|
|
71
|
aa) Das FA und ihm folgend das FG legen
dementsprechend die Ermächtigung in Art. 1 der Entscheidung
2004/817/EG dahingehend aus, dass sie auch eine von der MwStSystRL
abweichende Regelung umfasst, die den Vorsteuerabzug bei einer
Verwendung von mehr als 90 % für nichtwirtschaftliche
Tätigkeiten vollständig ausschließt (ebenso Lohse,
IStR 2009, 486, 488; Abschn. 15.2c Abs. 1 Satz 3 UStAE; Birkenfeld
in Birkenfeld/Wäger, Umsatzsteuer-Handbuch, § 170 Rz 152;
Hundt-Eßwein in Offerhaus/Söhn/Lange, § 15 UStG Rz
153a; Sterzinger, UR 2012, 213, 220).
|
|
|
72
|
Legt man die Ermächtigung in Art. 1 der
Entscheidung 2004/817/EG in diesem Sinne aus, wäre die
Revision des Klägers als unbegründet
zurückzuweisen.
|
|
|
73
|
bb) Andererseits wird aufgrund des
EuGH-Urteils VNLTO (EU:C:2009:88, UR 2009, 199) vertreten, dass der
dort verwendete Begriff des Unternehmens - im Gegensatz zur
früheren herrschenden Auffassung - sowohl die wirtschaftlichen
Tätigkeiten als auch die nichtwirtschaftlichen, aber nicht
unternehmensfremden Tätigkeiten umfasst (vgl. z.B. Sterzinger,
UR 2010, 125, 131; Küffner/von Streit, DStR 2012, 581, 588;
Ehrke-Rabel/von Streit, UR 2015, 249, 253). Daher sei die
Ermächtigung in Art. 1 der Entscheidung 2004/817/EG
dahingehend auszulegen, dass sie den - von den Vorschriften der
MwStSystRL abweichenden - Ausschluss des Vorsteuerabzugs nur in den
Fällen zulasse, in denen der angeschaffte Gegenstand zu mehr
als 90 % für die in Art. 26 Abs. 1 Buchst. a MwStSystRL
abschließend aufgeführten unternehmensfremden Zwecke
verwendet wird. Die in § 15 Abs. 1 Satz 2 UStG vorgesehene
Regelung sei daher nicht von der Ermächtigung gedeckt, soweit
der Vorsteuerabzug auch bei nichtwirtschaftlicher Verwendung von
mehr als 90 % ausgeschlossen werde (vgl. z.B. Stadie in
Rau/Dürrwächter, Umsatzsteuergesetz, § 15 Rz 865;
von Streit, Umsatzsteuer-Berater 2012, 197, 202; Küffner/von
Streit, DStR 2012, 636, 638; Baldauf, DStZ 2013, 516, 520; Pull,
Die Sphärentheorie im Mehrwertsteuerrecht, Diss. 2014, S. 101;
Wagner/Kurzenberger, BB 2014, 1111, 1112).
|
|
|
74
|
Für diese Auffassung spricht - neben der
dargelegten Entstehungsgeschichte der Ermächtigung - die
Ähnlichkeit der Formulierungen in Art. 1 der Entscheidung
2004/817/EG und Art. 26 Abs. 1 Buchst. a MwStSystRL. Dass bereits
vor Ergehen des EuGH-Urteils VNLTO (EU:C:2009:88, UR 2009, 199)
zwischen nichtwirtschaftlicher Tätigkeit und der Nutzung
für unternehmensfremde Zwecke i.S. von Art. 26 MwStSystRL
unterschieden wurde, zeigt z.B. der Bericht der Kommission an den
Rat vom 22.12.1992 bezüglich einer ähnlichen
Ermächtigung Frankreichs (vgl. KOM (1992), 591 endgültig,
S. 6 unter IV.3.).
|
|
|
75
|
Legt man die Ermächtigung in Art. 1 der
Entscheidung 2004/817/EG in diesem Sinne aus, wäre ein
anteiliger Vorsteuerabzug zu gewähren.
|
|
|
76
|
IV. Rechtsgrundlage für die Anrufung des
EuGH ist Art. 267 Abs. 3 des Vertrages über die Arbeitsweise
der Europäischen Union.
|
|
|
77
|
V. Das Revisionsverfahren wird bis zu einer
Entscheidung des EuGH ausgesetzt (§ 121 Satz 1 i.V.m. §
74 der Finanzgerichtsordnung).
|
|
|
|
|
|
|