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Verbösernde Einspruchsentscheidung nach Ergehen eines Teilerlasses

Verbösernde Einspruchsentscheidung nach Ergehen eines Teilerlasses: 1. Das FA ist nach § 367 Abs. 2 Satz 2 AO verfahrensrechtlich zum Erlass einer verbösernden Einspruchsentscheidung berechtigt, wenn ein Teilerlass mit dem Einspruch angefochten wird. - 2. Aufgrund der im Einspruchsverfahren geltenden umfassenden Überprüfungsmöglichkeit nach § 367 Abs. 2 Satz 1 AO ist das FA nicht an die Voraussetzungen der Korrekturvorschriften §§ 130 f., 172 ff. AO gebunden. - Urt.; BFH 10.3.2016, III R 2/15; SIS 16 09 16

Kapitel:
Verschiedenes > Aufhebung, Änderung, Berichtigung
Fundstellen
  1. BFH 10.03.2016, III R 2/15
    BStBl 2016 II S. 508
    DStR 2016 S. 1159
    BFHE 253 S. 12

    Anmerkungen:
    zur Veröffentlichung in BStBl II bestimmt nach BMF-Online vom 17.6.2016
    JH in StuB 13/2016 S. 522
    T. Carlé in DStZ 15/2016 S. 558
    R. Görke in BFH/PR 8/2016 S. 252
Normen
[AO 1977] § 130 f., § 172 ff., § 222, § 227, § 240, § 258, § 309, § 367 Abs. 1, § 367 Abs. 2
Vorinstanz / Folgeinstanz:
  • vor: FG Rheinland-Pfalz, 07.05.2014, SIS 15 06 54, Säumniszuschlag, Erlass, Aufhebung, Verböserung
Zitiert in... / geändert durch...
  • BFH 17.8.2023, SIS 23 18 42, Monatsbezug der Abrechnung über Säumniszuschläge in Kindergeldfällen: 1. Säumniszuschläge für fällige Kin...
  • FG Berlin-Brandenburg 22.11.2022, SIS 23 20 16, Kein Erlass von Säumniszuschlägen infolge sachlicher Unbilligkeit bei erfolgloser Beantragung von Aussetz...
  • FG Münster 1.7.2021, SIS 21 14 57, Erfüllungswirkung bei erfolgter Abtretung: 1. Dadurch, dass die Steuerpflichtige dem FA unter ihrem Namen...
  • FG Bremen 16.12.2020, SIS 21 03 00, Grunderwerbsteuer bei Verschmelzung von zuvor nicht aneinander beteiligten Genossenschaften nach vorangeg...
  • BFH 11.11.2020, SIS 21 04 49, Rücknahme der Gestattung der sog. Ist-Besteuerung im Gründungsjahr (Parallelentscheidung zu XI R 41/18 = ...
  • BFH 11.11.2020, SIS 21 04 55, Rücknahme der Gestattung der sog. Ist-Besteuerung im Gründungsjahr: 1. Der für die Gestattung der sog. Is...
  • FG Hamburg 1.10.2020, SIS 20 17 68, Keine verfassungsrechtlichen Zweifel an der Höhe der Säumniszuschläge nach § 238 AO: 1. Die gegen die Höh...
  • FG Hamburg 4.6.2020, SIS 20 12 12, Voraussetzungen für den Erlass von Säumniszuschlägen bei Aufhebung einer Abgabenfestsetzung: Wird eine Ab...
  • BFH 26.9.2019, SIS 19 17 21, Billigkeitserlass bei Rechtsirrtum über die Person des Steuerschuldners: Gehen der Leistende und Leistung...
  • BFH 18.9.2018, SIS 18 19 16, Zum Erlass von Säumniszuschlägen im Billigkeitsverfahren: 1. Säumniszuschläge sind nicht wegen sachlicher...
  • FG Münster 14.11.2017, SIS 17 25 46, Keine Verrechnungsstundung bei bestrittenem Anspruch gegen andere Finanzbehörde: Eine Verrechnungsstundun...
  • FG Hamburg 28.6.2017, SIS 17 17 42, Erlass von Säumniszuschlägen bei Zahlungsunfähigkeit: Der (hälftige) Erlass von Säumniszuschlägen aus sac...
  • BFH 2.3.2017, SIS 17 04 51, Kein Erlass von Säumniszuschlägen zur Grundsteuer wegen möglicher Verfassungswidrigkeit der Einheitsbewer...
  • BMF 12.1.2017, SIS 17 00 55, AEAO, Änderung 2017: Der Anwendungserlass zur Abgabenordnung wurde in zahlreichen Punkten geändert. U.a. ...
  • FG Köln 24.11.2016, SIS 17 02 69, Erlass von Säumniszuschlägen: 1. Säumniszuschläge sind wegen sachlicher Unbilligkeit zu erlassen, wenn di...
  • FG München 2.8.2016, SIS 18 13 09, Ladungsfähige Anschrift, Erlass aus Billigkeitsgründen: 1. Die Klage ist mangels aktueller Angaben über d...
  • Niedersächsisches FG 22.6.2016, SIS 17 00 77, Adressierung eines Steuerbescheides an eine Ein-Unternehmer-Gesellschaft, Auslegung des Adressaten: 1. Di...

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Finanzgerichts Rheinland-Pfalz vom 7.5.2014 1 K = SIS 15 06 54 1556/13 dahin geändert, dass die Klage in vollem Umfang abgewiesen wird.
Die Revision der Kläger wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des gesamten Verfahrens haben die Kläger zu tragen.

 

1

I. Die Kläger, Revisionsbeklagten und Revisionskläger (Kläger) sind Eheleute, die zusammen zur Einkommensteuer veranlagt werden. Der Kläger betreibt zusammen mit seinem Bruder die Firma ... OHG (OHG), deren Gesellschaftszweck der Betrieb eines Handelsgewerbes im Bereich der Güterbeförderung im Straßenverkehr ist. Außerdem erzielt der Kläger als Schiffsführer Einkünfte aus Gewerbebetrieb.

 

 

2

Im Rahmen einer für die Jahre 2001 bis 2003 durchgeführten Betriebsprüfung wurde festgestellt, dass sehr hohe Einlagen in das Betriebsvermögen der OHG geleistet wurden, welche den Gesellschaftern jeweils zu gleichen Teilen gutgeschrieben wurden. Eine Steuerfahndungsprüfung kam zu dem Ergebnis, dass als einzig mögliche Geldquelle für die ungeklärten Bareinlagen die gewerbliche Schiffsführertätigkeit des Klägers in Betracht komme. Daraufhin erließ der Beklagte, Revisionskläger und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA - ) im Jahre 2008 entsprechend geänderte Einkommensteuerbescheide für die Jahre 2002 bis 2005.

 

 

3

Dagegen legten die Kläger am 9.9.2008 zunächst ohne Begründung Einspruch ein. Mit Schreiben vom 5.12.2008 gaben sie zur Herkunft der ungeklärten Einlagen Spielbankgewinne im Ausland, einen Lottogewinn, Geschenke und die Veräußerung von Privatvermögen an. Im Mai und Juni 2010 änderten sie ihren Vortrag. In einem am 11.5.2010 durchgeführten Gespräch an Amtsstelle wiesen die Kläger auf Doppelbuchungen und weitere bisher nicht vorgetragene Möglichkeiten für die ungeklärten Einlagen hin, die mit mehreren Schreiben im Juni 2010 zusammengefasst und anhand von Buchungsunterlagen und Kontoauszügen belegt wurden. Dies führte dazu, dass das FA in den Einspruchsentscheidungen vom 10.1.2011 den Einsprüchen teilweise stattgab.

 

 

4

Während des Rechtsbehelfsverfahrens hatten die Kläger mit Schreiben vom 16.10.2008, 27.10.2008 und 15.2.2011 beim FA Anträge auf Aussetzung der Vollziehung (AdV) gestellt, die das FA ablehnte.

 

 

5

Aufgrund der Vollstreckungsrückstände nahm das FA bereits seit 2008 diverse Pfändungen vor, die jedoch nach einem Gespräch zwischen dem Kläger und dem FA am 25.11.2008 überwiegend nicht verwertet wurden, um den Klägern Gelegenheit zu geben, Rechtsbehelfe einzulegen bzw. zu begründen.

 

 

6

Die gegen die Einspruchsentscheidung vom 10.1.2011 erhobene Klage wegen Einkommensteuer 2002 bis 2005 wurde in der Hauptsache für erledigt erklärt, nachdem sich die Kläger und das FA dahin verständigt hatten, dass die in der Einspruchsentscheidung angesetzten zusätzlichen Gewinne nur zur Hälfte dem Einzelunternehmen des Klägers, im Übrigen aber dem Bruder des Klägers als Sonderbetriebseinnahmen im Rahmen der Mitunternehmerschaft zuzurechnen seien. Den noch beim Finanzgericht (FG) anhängigen Anträgen auf AdV trug das FA insoweit Rechnung, als es rückwirkend ab Antragstellung beim FA - 15.2.2011 - die AdV im Rahmen der Änderungen gewährte.

 

 

7

Mit mehreren Schreiben vom 5.4.2012 beantragten die Kläger insgesamt Säumniszuschläge in Höhe von 125.515,50 EUR für die Jahre 1998 bis 2005 sowie für die angepassten Vorauszahlungsbeträge 2007 und 2008 gemäß § 227 der Abgabenordnung (AO) zu erlassen. Mit Bescheid vom 9.11.2012 erließ das FA die Säumniszuschläge zur Hälfte, soweit die Kläger in der Hauptsache Erfolg gehabt hatten. Die danach zu erlassenen Säumniszuschläge ermittelte es mit 32.059,83 EUR. Im Übrigen lehnte es den Antrag ab.

 

 

8

Hiergegen legten die Kläger Einspruch ein. Nachdem das FA die Kläger auf die Möglichkeit einer verbösernden Entscheidung hingewiesen hatte, hob es mit Einspruchsentscheidung vom 10.4.2013 den bisher gewährten Teilerlass auf. Zur Begründung führte es u.a. aus, dass die Kläger erstmals in diversen Schreiben vom Juni 2010 zur Mittelherkunft einzelner Hinzuschätzungsbeträge Stellung genommen hätten. Nach eingehender Überprüfung sei dem Sachvortrag teilweise stattgegeben worden. Zu diesem Zeitpunkt sei ein Antrag auf AdV nicht mehr gestellt gewesen.

 

 

9

Gegen die Einspruchsentscheidung erhoben die Kläger Klage. Sie begehrten die Aufhebung des Bescheids vom 9.11.2012 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 10.4.2013 und die Verpflichtung des FA, die Höhe der zu erlassenden Säumniszuschläge neu zu bestimmen. Zur Begründung trugen sie vor, sie hätten gegen die zugrunde liegenden Steuerfestsetzungen rechtzeitig Einspruch eingelegt und AdV beantragt. Schon während des Gesprächs im Mai 2011 habe ihr Bevollmächtigter vorgetragen, dass ein Betrag von 100.000 EUR bis 150.000 EUR unstreitig sei, und angeboten, die gepfändeten Geldguthaben bei der Bausparkasse und die Pfandbriefe bei der Bank zur Tilgung zu verwenden. Das FA hätte auf diesen Vorschlag nicht reagiert. Darüber hinaus habe der Bevollmächtige am 29.5.2010 für jedes einzelne Jahr zwischen 30 und 35 Geschäftsvorfälle nachweisen können, in denen in buchungstechnisch unkorrekter Weise zusätzliche Gewinnerhöhungen in Steuerbescheiden enthalten gewesen seien. Doppelbuchungen und die Verwechslung von Soll und Haben durch zwei Betriebsprüfer hätten ernstliche rechtliche Zweifel an den Steuerbescheiden begründet. Zudem seien ihnen sämtliche Geldmittel durch die Pfändungen entzogen worden.

 

 

10

Das FG erachtete die Klage nur hinsichtlich der Aufhebung des Teilerlasses als begründet. Diese richte sich nach den §§ 130, 131 AO, wobei im Streitfall allein § 130 AO einschlägig sei. Dessen Voraussetzungen seien allerdings nicht gegeben. Im Übrigen habe das FA mit der Entscheidung, über den gewährten Teilerlass hinaus den Erlass abzulehnen, nicht die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten und ermessensgerecht gehandelt.

 

 

11

Gegen dieses Urteil wenden sich das FA und die Kläger mit der Revision.

 

 

12

Das FA macht mit seiner Revision geltend, im Einspruchsverfahren sei auch eine Verböserung des angefochtenen Verwaltungsakts zulässig. Bei einem Teilerlass und der Ablehnung im Übrigen handele es sich um einen einheitlichen Verwaltungsakt. Erst die Bestandskraft des Erlasses führe zum Erlöschen der Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis. In der Sache bestehe auch auf einen Teilerlass kein Anspruch, weil die Kläger nicht alles getan hätten, um eine AdV zu erreichen.

 

 

13

Die Kläger begründen ihre Revision damit, dass schon ein Teil der Säumniszuschläge nicht entstanden sei, weil aufgrund des Gesprächs am 25.11.2008 eine stillschweigende Stundung oder AdV gewährt worden sei, so dass allenfalls Stundungs- oder Aussetzungszinsen angefallen seien. Zur Klärung der genauen Höhe der Beträge sei ein Abrechnungsbescheid beantragt worden.

 

 

14

Darüber hinaus habe das FG nicht beachtet, dass Säumniszuschläge für den Zeitraum zwischen der Vorlage der Ausarbeitungen des Steuerberaters im Mai 2010, die zu einer erheblichen Herabsetzung der Steuerfestsetzungen im Januar 2011 geführt hätten, und der tatsächlich gewährten AdV ab 15.2.2011 entstanden seien. Zumindest mit den Schreiben Mai/Juni 2010 hätten sie alles getan, was von ihnen habe verlangt werden können. Zudem sei nicht berücksichtigt worden, dass die ursprünglichen Steuerfestsetzungen auch auf fehlerhaften Ermittlungen des FA beruht hätten.

 

 

15

Die Kläger beantragen, die Vorentscheidung und die Entscheidung des FA vom 9.11.2012 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 10.4.2013 aufzuheben und das FA zu verpflichten, die Höhe der zu erlassenden Säumniszuschläge unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats neu zu bestimmen und die Revision des FA zurückzuweisen.

 

 

16

Das FA beantragt, die Revision der Kläger zurückzuweisen, die Vorentscheidung, soweit sie dem klägerischen Begehren entsprochen hat, aufzuheben und die Klage auch insoweit abzuweisen.

 

 

17

II. Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Änderung der Vorentscheidung des FG und zur Klageabweisung in vollem Umfang (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO - ). Die Revision der Kläger ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO).

 

 

18

1. Der Senat kann über den beantragten Billigkeitserlass unabhängig von dem von den Klägern beantragten Abrechnungsbescheid über die Säumniszuschläge entscheiden. Denn das Billigkeitsverfahren nach § 227 AO und das Abrechnungsverfahren nach § 218 AO stehen selbständig nebeneinander (Beschlüsse des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 30.4.2003 XI B 175/02, BFH/NV 2003, 1393 = SIS 03 45 62, und vom 31.7.2007 VIII B 42/05, BFH/NV 2007, 2305 = SIS 08 01 27). Deshalb muss das Billigkeitsverfahren auch nicht ausgesetzt werden, wenn geltend gemacht wird, Säumniszuschläge seien aus anderen Gründen bereits nicht entstanden (BFH-Urteil vom 20.5.2010 V R 42/08, BFHE 229, 83, BStBl II 2010, 955 = SIS 10 22 05, Rz 28).

 

 

19

2. Das FG hat zu Unrecht eine Änderungsmöglichkeit des mit Bescheid vom 9.11.2012 ausgesprochenen Teilerlasses verneint. Das FA war nach § 367 Abs. 2 AO verfahrensrechtlich berechtigt, in der Einspruchsentscheidung den zuvor gewährten Teilerlass aufzuheben.

 

 

20

Gemäß § 367 Abs. 2 Satz 1 AO hat die Finanzbehörde im Einspruchsverfahren den Verwaltungsakt „in vollem Umfang erneut zu prüfen“. Sie kann nach Abs. 2 Satz 2 dieser Vorschrift den Verwaltungsakt auch zum Nachteil des Einspruchsführers ändern, wenn dieser zuvor auf die Möglichkeit einer verbösernden Entscheidung unter Angabe von Gründen hingewiesen und ihm Gelegenheit gegeben worden ist, sich zu äußern. Die Finanzbehörde kann dann im Einspruchsverfahren ebenso entscheiden, als ob sie die Sache erstmals in einem Verwaltungsakt regelt.

 

 

21

Dies gilt auch für die nach § 227 AO zu treffende Ermessensentscheidung, die ebenfalls vom Anwendungsbereich des § 367 Abs. 2 AO erfasst wird (vgl. BFH-Urteil vom 18.8.2015 V R 2/15, DStR 2015, 2382 = SIS 15 25 93, Rz 15; BFH-Beschluss vom 19.11.2007 VIII B 30/07, BFH/NV 2008, 335 = SIS 08 11 00). Die Rechtsbehelfsstelle hat eine eigenständige Entscheidung aufgrund der sich im Zeitpunkt der Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung bestehenden Sach- und Rechtslage zu treffen. Sie kann daher auch geänderte Erwägungen anstellen und eine Entscheidung zum Nachteil des Einspruchsführers korrigieren, wenn sie die verfahrensrechtlichen Voraussetzungen des Verböserungshinweises einhält. Die Finanzbehörde verbraucht mithin durch die Gewährung eines Teilerlasses, sofern dieser mit dem Einspruch angefochten wird, das ihr in § 367 Abs. 2 Satz 2 AO eingeräumte Recht der Selbstkontrolle nicht. Ein Teilabhilfebescheid hindert daher die Verböserung nicht (vgl. BFH-Urteil vom 6.9.2006 XI R 51/05, BFHE 214, 83, BStBl II 2007, 83 = SIS 07 00 09; Seer in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 367 AO Rz 22).

 

 

22

Der umfassenden Überprüfungsmöglichkeit nach § 367 Abs. 2 AO steht die Rücknahmevorschrift des § 130 AO nicht entgegen. Zwar gilt § 130 AO gemäß § 132 Satz 1 AO auch während des Einspruchsverfahrens. Der zulässig eingelegte Einspruch gegen einen Verwaltungsakt hindert jedoch den Eintritt der formellen bzw. materiellen Bestandskraft. Damit wird die Behörde verpflichtet, über den durch den angefochtenen Verwaltungsakt erfassten Lebenssachverhalt vollumfänglich erneut zu entscheiden (§ 367 Abs. 2 Satz 1 AO). Mangels Bestandskraft des Verwaltungsakts ist die Behörde damit nicht an die Voraussetzungen der allgemeinen Korrekturvorschriften, wie z.B. §§ 130 f., 172 ff. AO, gebunden (vgl. BFH-Urteil vom 17.2.2010 II R 38/08, BFH/NV 2010, 1236 = SIS 10 18 04, Rz 21; Wernsmann in Hübschmann/ Hepp/Spitaler - HHSp -, § 132 AO Rz 16; Cöster in Koenig, 3. Aufl., § 367 AO Rz 22; Loose in Tipke/Kruse, a.a.O., § 132 AO Rz 1).

 

 

23

Das vom FG angeführte BFH-Urteil vom 5.2.1975 I R 85/72 (BFHE 115, 173, BStBl II 1975, 677 = SIS 75 03 97) betrifft hingegen den Widerruf eines bestandskräftig gewährten Erlasses.

 

 

24

Da das FA die Kläger in Übereinstimmung mit § 367 Abs. 2 Satz 2 AO auf die Möglichkeit einer verbösernden Entscheidung unter Angabe von Gründen hingewiesen und ihnen Gelegenheit gegeben hat, sich zu äußern, war die Möglichkeit einer (auch negativen) Änderung nach § 367 Abs. 2 AO eröffnet.

 

 

25

3. Die Revision der Kläger ist unbegründet. Die Entscheidung des FA, keine Säumniszuschläge zu erlassen, lässt keinen Rechtsfehler erkennen.

 

 

26

a) Entgegen der Ansicht der Kläger ist Gegenstand des vorliegenden Verfahrens nicht die Frage, ob den verschiedenen Anträgen der Kläger auf Stundung oder AdV hätte entsprochen werden müssen, was zur Folge gehabt hätte, dass Säumniszuschläge in geringerer Höhe oder gar nicht entstanden wären. Diese Frage hätte nur durch Rechtsbehelfseinlegung in jenen Verfahren überprüft werden können (vgl. Senatsbeschluss vom 6.7.2015 III B 168/14, BFH/NV 2015, 1344 = SIS 15 20 63, Rz 7 f.). Darüber hinaus kann allein das Ausbleiben von Vollstreckungsmaßnahmen des FA und das Schweigen auf einen Antrag auf AdV vom Schuldner nicht dahin verstanden werden, dass das FA die AdV des betreffenden Verwaltungsakts gewährt hat (BFH-Beschluss vom 16.6.2005 VII B 273/04, BFH/NV 2005, 1747 = SIS 05 40 12).

 

 

27

b) Nach § 227 AO können die Finanzbehörden Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis ganz oder zum Teil erlassen, wenn deren Einziehung nach der Lage des einzelnen Falls - aus persönlichen oder sachlichen Gründen - unbillig wäre. Zu diesen Ansprüchen gehören auch Ansprüche auf steuerliche Nebenleistungen einschließlich der nach § 240 Abs. 1 AO entstehenden Säumniszuschläge.

 

 

28

Sachlich unbillig ist die Festsetzung bzw. Einziehung einer Steuer oder Nebenleistung, wenn sie zwar äußerlich dem Gesetz entspricht, aber den Wertungen des Gesetzgebers im konkreten Fall derart zuwiderläuft, dass die Erhebung der Steuer unbillig erscheint. So verhält es sich, wenn nach dem erklärten oder mutmaßlichen Willen des Gesetzgebers angenommen werden kann, dass er die im Billigkeitswege zu entscheidende Frage - wenn er sie als regelungsbedürftig erkannt hätte - i.S. der begehrten Billigkeitsmaßnahme entschieden hätte (BFH-Urteil vom 20.9.2012 IV R 29/10, BFHE 238, 518, BStBl II 2013, 505 = SIS 12 32 50, m.w.N.). Bei der Billigkeitsprüfung müssen solche Umstände außer Betracht bleiben, die der gesetzliche Tatbestand typischerweise mit sich bringt (BFH-Urteil vom 21.7.1993 X R 104/91, BFH/NV 1994, 597 = SIS 02 01 91). Eine für den Steuerpflichtigen ungünstige Rechtsfolge, die der Gesetzgeber bewusst angeordnet oder in Kauf genommen hat, rechtfertigt in der Regel keine Billigkeitsmaßnahme (BFH-Urteile vom 7.10.2010 V R 17/09, BFH/NV 2011, 865 = SIS 11 13 05, und vom 4.2.2010 II R 25/08, BFHE 228, 130, BStBl II 2010, 663 = SIS 10 09 17; jeweils m.w.N.); insbesondere kann § 227 AO nicht als Rechtsgrundlage für eine vom Gesetzgeber nicht gewollte Befreiungsvorschrift dienen (BFH-Urteil vom 10.5.1972 II 57/64, BFHE 105, 458, BStBl II 1972, 649 = SIS 72 03 79). Die Billigkeitsprüfung darf sich je nach Fallgestaltung nicht nur auf allgemeine Rechtsgrundsätze und verfassungsmäßige Wertungen beschränken; sie verlangt vielmehr eine Gesamtbeurteilung aller Normen, die für die Verwirklichung des in Frage stehenden Steueranspruchs im konkreten Fall maßgeblich sind (BFH-Urteil vom 26.10.1994 X R 104/92, BFHE 176, 3, BStBl II 1995, 297 = SIS 95 08 57, m.w.N.).

 

 

29

c) Unter Beachtung dieser Grundsätze ist die vom FA getroffene Entscheidung, Säumniszuschläge nicht zu erlassen, nicht zu beanstanden.

 

 

30

aa) Gemäß § 240 Abs. 1 Satz 1 AO sind Säumniszuschläge zu entrichten, falls eine Steuer nicht bis zum Ablauf des Fälligkeitstages gezahlt wird. Nach § 240 Abs. 1 Satz 4 AO bleiben die verwirkten Säumniszuschläge unberührt, wenn die Festsetzung einer Steuer aufgehoben oder geändert wird. Diese Regelung gilt uneingeschränkt auch für die Beseitigung rechtswidriger Steuerfestsetzungen, da die Vollstreckbarkeit eines Steuerbescheids nicht von seiner Bestandskraft abhängt. Säumniszuschläge sind allerdings nicht verwirkt, soweit die Vollziehung des Steuerbescheids ausgesetzt ist.

 

 

31

Deshalb ist in der Rechtsprechung des BFH anerkannt, dass Säumniszuschläge wegen sachlicher Unbilligkeit zu erlassen sind, wenn die Steuerfestsetzung später aufgehoben worden ist und der Steuerpflichtige alles getan hat, um die AdV eines Steuerbescheids zu erreichen, das FA aber die Aussetzung „obwohl möglich und geboten“ abgelehnt hat. Ein Erlass kommt hingegen nicht in Betracht, wenn der Steuerpflichtige sich nicht um die AdV bemüht hat oder wenn die Vollziehung nicht ausgesetzt worden ist, weil - z.B. in Schätzungsfällen - keine ernstlichen Zweifel bestanden und der Steuerbescheid erst aufgrund nachgereichter Steuererklärungen aufgehoben worden ist (BFH-Urteil vom 24.4.2014 V R 52/13, BFHE 245, 105, BStBl II 2015, 106 = SIS 14 19 39, Rz 11, m.w.N.).

 

 

32

bb) Im Streitfall haben die Kläger nach den Feststellungen des FG nicht alles getan, um die AdV zu erreichen. Die Einsprüche gegen die Änderungsbescheide vom 9.9.2008 wurden zunächst - wie das FG zu Recht festgestellt hat - nicht „ernsthaft“ begründet, ebenso nicht die Anträge auf AdV bzw. Stundung. Die Ablehnung der am 16. und 27.10.2008 gestellten Aussetzungsanträge war daher rechtmäßig. Eine nachvollziehbare Begründung ihres Einspruchs legten die Kläger erstmals im Mai/Juni 2010 vor. Aufgrund dieser Einwendungen hat das FA in den Einspruchsentscheidungen vom 10.1.2011 den Einsprüchen teilweise stattgegeben. Mit der erstmaligen substantiierten Einspruchsbegründung haben die Kläger aber keinen erneuten Antrag auf AdV gestellt. Erst nach Erlass der Einspruchsentscheidungen vom 10.1.2011 haben die Kläger mit Schreiben vom 15.2.2011 erneut AdV beantragt, dem rückwirkend ab Antragstellung in dem sich anschließenden gerichtlichen Verfahren aufgrund eines neuen Vorbringens teilweise entsprochen wurde.

 

 

33

cc) Sachliche Unbilligkeit i.S. des § 227 AO lässt sich entgegen der Ansicht der Kläger auch nicht aus dem Umstand herleiten, dass das FA zunächst auf Wunsch der Kläger auf die vorübergehende Einziehung der gepfändeten Forderungen verzichtet und insoweit einen Vollstreckungsaufschub nach § 258 AO gewährt hat. Denn Maßnahmen des Vollstreckungsaufschubs, mit denen die Vollstreckungsbehörde lediglich auf einzelne Vollstreckungsmaßnahmen verzichtet, lassen die Steuerforderungen und damit auch deren Fälligkeit unberührt. Der Vollstreckungsaufschub ist regelmäßig kein Grund für einen teilweisen Erlass wegen sachlicher oder persönlicher Unbilligkeit, da Vollstreckungsschutz bereits bei einer vorübergehenden Notlage zu gewähren ist, die nicht die Einziehung der Forderung, sondern lediglich die Art und Weise sowie den Umfang oder den Zeitpunkt ihrer Vollstreckung als unbillig erscheinen lässt (BFH-Urteil vom 14.5.1987 X R 26/81, BFH/NV 1988, 411 = SIS 87 17 45).

 

 

34

dd) Soweit die Kläger vorbringen, sie hätten das FA gebeten, hinsichtlich eines unstreitigen Teils der Steuerforderungen die gepfändeten Geldguthaben zu verwerten, begründet auch dies keinen sachlichen Billigkeitsgrund.

 

 

35

Den Klägern blieb es trotz des (relativen) Verfügungsverbots nach § 309 Abs. 1 Satz 1 AO unbenommen, die Drittschuldner (Banken) anzuweisen, an das FA als Vollstreckungsgläubiger zu zahlen, um damit die Säumniszuschläge möglichst gering zu halten. Denn das Verfügungsverbot bezieht sich nur auf Verfügungen, die die Rechtsstellung des Vollstreckungsgläubigers beeinträchtigen. Verfügungen, die die Rechtsstellung des Vollstreckungsgläubigers nicht beeinträchtigen, werden von dem durch die Forderungspfändung begründeten Verfügungsverbot nicht berührt (Beermann in HHSp, § 309 AO Rz 117).

 

 

36

ee) Das FA hat des Weiteren zu Recht eine (persönliche) Erlass- oder Stundungssituation (§ 222 AO), die einen Teilerlass der Säumniszuschläge hätte rechtfertigen können (vgl. BFH-Urteile vom 16.7.1997 XI R 32/96, BFHE 184, 193, BStBl II 1998, 7 = SIS 98 04 80; vom 30.3.2006 V R 2/04, BFHE 212, 23, BStBl II 2006, 612 = SIS 06 23 05), verneint. Eine Stundung wäre nur dann geboten gewesen, wenn eine Erlass- oder Stundungsbedürftigkeit gegeben gewesen wäre (Senatsurteil vom 7.5.1993 III R 43/89, BFH/NV 1994, 144). Eine solche lag aber im vorliegenden Fall nicht vor, da den Klägern während des Säumniszeitraums ausreichende Mittel zur Zahlung der fälligen Steuerforderungen zur Verfügung gestanden haben.

 

 

37

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.