Teilabhilfebescheid, spätere Verböserung: Das FA ist auch dann noch zum Erlass einer verbösernden Einspruchsentscheidung gemäß § 367 Abs. 2 Satz 2 AO 1977 berechtigt, wenn es zuvor einen Änderungsbescheid erlassen hat, in dem es dem Einspruchsbegehren teilweise entsprochen, jedoch nicht in voller Höhe abgeholfen hat (sog. Teilabhilfebescheid). - Urt.; BFH 6.9.2006, XI R 51/05; SIS 07 00 09
I. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das
Finanzamt - FA - ) setzte in dem unter dem Vorbehalt der
Nachprüfung (§ 164 Abs. 1 der Abgabenordnung - AO 1977 -
) stehenden Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr 1999
vom 13.11.2001 unter Schätzung der Besteuerungsgrundlagen die
Einkommensteuer auf 16.058 DM fest.
Zur Begründung ihres Einspruchs
reichten die Kläger und Revisionskläger (Kläger) die
Einkommensteuererklärung für 1999 und die
Gewinnermittlung des Klägers für seine selbständige
Tätigkeit ein. Dabei hatte der Kläger
Repräsentationsaufwendungen in Höhe von 2.405,85 DM und
Aushilfslöhne in Höhe von 13.340 DM als Betriebsausgaben
abgezogen. Bei letzteren handelte es sich um Lohnzahlungen des
Klägers an seine drei Kinder, deren Lohnsteuerkarten er
beifügte. Außerdem hatten die Kläger Spenden in
Höhe von 130 DM und Aufwendungen der Klägerin für
eine Ausbildung zur Heilpraktikerin in Höhe von 1.800 DM als
Sonderausgaben geltend gemacht.
Das FA bat die Kläger um den Nachweis
der Ausbildungskosten sowie der Spenden. Die Kläger legten mit
Schreiben vom 14.2.2002 eine Aufstellung der Ausbildungskosten vor.
Die nach dem Inhalt des Begleitschreibens ebenfalls
beigefügten Belege dazu sowie zu den Spenden waren nach einer
Aktennotiz der Bearbeiterin nicht beigefügt. Auch einem
Schreiben der Kläger vom 25.2.2002, nach dem die Spendenbelege
beigefügt sein sollten, waren sie nach einer Notiz der
Bearbeiterin des FA nicht beigefügt worden.
Das FA setzte die Einkommensteuer in einem
Änderungsbescheid vom 18.3.2002 auf 4.306 DM (2.201,62 EUR)
herab und hob den Vorbehalt der Nachprüfung auf. Es hatte
dabei die Einkünfte des Klägers aus selbständiger
Arbeit erklärungsgemäß berücksichtigt und die
Spenden und Ausbildungskosten der Klägerin nicht abgezogen. In
den Erläuterungen war u.a. festgestellt: „Dieser
Bescheid ändert den Bescheid vom 13.11.2001“.
Mit Schreiben vom 19.3.2002 wies das FA
darauf hin, dass die Repräsentationskosten, soweit darin
Bewirtungsaufwendungen enthalten seien, um die auf den Kläger
entfallenden Anteile zu kürzen seien; die Aushilfslöhne
seien nur abziehbar, wenn die mit den Kindern geschlossenen
Arbeitsverträge rechtswirksam seien, inhaltlich dem zwischen
Fremden Üblichen entsprächen und auch tatsächlich
durchgeführt worden seien. Es bat um Vorlage der
Arbeitsverträge. Es kündigte unter Hinweis auf § 367
Abs. 2 AO 1977 an, die bisher abgezogenen Aushilfslöhne nicht
mehr anzuerkennen und den Gewinn zu erhöhen, falls keine
ordnungsgemäßen Arbeitsverträge vorgelegt
würden und der Einspruch nicht zurückgenommen würde.
Nachdem auch nach einer Erinnerung mit Schreiben vom 25.4.2002 eine
Stellungnahme der Kläger nicht eingegangen war, setzte das FA
die Einkommensteuer für 1999 in der Einspruchsentscheidung vom
28.6.2002 auf 8.150 DM (4.167,03 EUR) herauf und wies den Einspruch
im Übrigen zurück.
Die Kläger erhoben Klage und verwiesen
wegen der Ausbildungskosten auf einen bereits im Vorjahr
eingereichten Unterrichtsvertrag. Daraufhin erkannte das FA mit
Änderungsbescheid vom 5.12.2002 die Ausbildungskosten der
Klägerin als Sonderausgaben an. Im Übrigen machten die
Kläger zur Begründung ihrer Klage geltend, das FA sei aus
verfahrensrechtlichen Gründen gehindert gewesen, die im
Änderungsbescheid vom 18.3.2002 getroffene Steuerfestsetzung
zu ihrem Nachteil zu ändern.
Nachdem die Kläger der auf § 79b
Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) gestützten Aufforderung
des Berichterstatters vom 21.11.2002, die Spendenbescheinigungen
und die Arbeitsverträge vorzulegen, nicht nachgekommen waren,
wies das Finanzgericht (FG) die Klage mit Urteil vom 16.8.2005 als
unbegründet ab. Es entschied, dem in der mündlichen
Verhandlung gestellten Antrag der Kläger auf Einräumung
einer Frist zur Einreichung der Arbeitsverträge sei nicht zu
entsprechen gewesen, da dies zu einer Verzögerung des
Rechtsstreits geführt hätte. Eine verbösernde
Einspruchsentscheidung dürfe auch dann ergehen, wenn sie sich
auf eine Besteuerungsgrundlage beziehe, die das FA in einem zuvor
ergangenen Teilabhilfebescheid bereits entsprechend dem
Einspruchsbegehren angesetzt habe. Das Urteil ist in EFG 2005, 1831
= SIS 06 00 84 veröffentlicht.
Die Kläger rügen mit ihrer
Revision eine Verletzung formellen und materiellen Rechts. Nach
§ 367 Abs. 2 AO 1977 sei das FA zum Erlass einer
Einspruchsentscheidung nur insoweit befugt, als der Einspruch noch
nicht erledigt sei. Entgegen der Auffassung des FG sei im
Streitfall eine Erledigung insoweit eingetreten, als dem Begehren
auf Anerkennung der Lohnzahlungen abgeholfen worden sei.
Die Vorentscheidung verstoße
außerdem gegen Treu und Glauben, weil das FA entgegen der
Auffassung des FG den Anschein erweckt habe, es habe
abschließend entschieden. Das Schreiben vom 19.3.2002 habe
als bloßes Versehen des FA verstanden werden müssen.
Dies gelte umso mehr, als das FA die überzahlten Steuern
erstattet habe.
Dadurch, dass das FG ihnen, den
Klägern, in der mündlichen Verhandlung keine
Fristverlängerung zur Einreichung der Arbeitsverträge
eingeräumt habe, habe es ihren Anspruch auf rechtliches
Gehör aus Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG)
verletzt.
Die Kläger erklären, ihr Begehren
wegen der nicht anerkannten Spenden von 130 DM nicht mehr
weiterverfolgen zu wollen.
Sie beantragen sinngemäß, unter
Aufhebung der Vorentscheidung den Änderungsbescheid über
die Einkommensteuer für 1999 vom 5.12.2002 dahin zu
ändern, dass die Einkünfte des Klägers aus
selbständiger Arbeit um 13.340 DM gemindert werden.
Das FA beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
II. Die Revision der Kläger ist
unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2
FGO). Das FG hat zu Recht entschieden, dass die Voraussetzungen
für den Abzug der Lohnzahlungen des Klägers an seine
Kinder als Betriebsausgaben (§ 4 Abs. 4 des
Einkommensteuergesetzes - EStG - ) nicht vorgelegen haben und das
FA berechtigt gewesen sei, den während des
Einspruchsverfahrens erlassenen Änderungsbescheid zu Lasten
der Kläger zu ändern. Das FG hat auch nicht das
rechtliche Gehör der Kläger verletzt.
1. Das FG hat das rechtliche Gehör (Art.
103 Abs. 1 GG) der Kläger nicht dadurch verletzt, dass es
ihrem in der mündlichen Verhandlung gestellten Antrag, ihnen
für die Einreichung der Arbeitsverträge eine Frist
einzuräumen, nicht entsprochen hat. Der Berichterstatter hatte
die Kläger mit Schreiben vom 21.11.2002 zur Vorlage der
Arbeitsverträge gemäß § 79b Abs. 2 Nr. 2 FGO
innerhalb von zwei Monaten aufgefordert und auf die Rechtsfolgen
einer Verspätung hingewiesen. Die Kläger sind dieser
Aufforderung nicht nachgekommen. Eine weitere Frist für eine
Stellungnahme nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung
hätte, wie das FG zutreffend ausgeführt hat, zu einer
Verzögerung des Rechtsstreits geführt. Da die Kläger
auch keine Entschuldigungsgründe i.S. von § 79b Abs. 3
Satz 1 Nr. 2 FGO vorgebracht hatten, hat das FG dem Antrag auf
Einräumung einer weiteren Frist für eine Stellungnahme zu
Recht nicht entsprochen.
2. Die Entscheidung des FG, dass die
materiellen Voraussetzungen für den Abzug der an die Kinder
der Kläger gezahlten Aushilfslöhne als Betriebsausgaben
(§ 4 Abs. 4 EStG) nicht vorgelegen haben, lässt keinen
Rechtsfehler erkennen.
Das FG ist zutreffend davon ausgegangen, dass
die steuerrechtliche Anerkennung eines Arbeitsverhältnisses
zwischen Eltern und ihren Kindern voraussetzt, dass das
Arbeitsverhältnis im Voraus rechtswirksam vereinbart und so
gestaltet und abgewickelt worden ist, wie dies sonst zwischen
Arbeitgeber und Arbeitnehmer üblich ist. Denn nur auf diese
Weise kann sichergestellt werden, dass die Vertragsbeziehungen und
die auf ihnen beruhenden Leistungen tatsächlich dem
betrieblichen und nicht - z.B. als Unterhaltsleistungen - dem
privaten Bereich (§ 12 Nr. 1 und 2 EStG) zuzuordnen sind (vgl.
Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 9.12.1993 IV R 14/92, BFHE
173, 140, BStBl II 1994, 298 = SIS 94 05 30).
Die Kläger haben die schriftlichen
Arbeitsverträge mit den Kindern weder im Verwaltungsverfahren
noch im finanzgerichtlichen Verfahren, sondern erst im
Revisionsverfahren vorgelegt. Das FG konnte daher nicht - wie
für einen Betriebsausgabenabzug erforderlich - feststellen,
dass die Zahlungen des Klägers an seine Kinder betrieblich
veranlasst waren.
Im Revisionsverfahren können die nunmehr
eingereichten Arbeitsverträge nicht mehr berücksichtigt
werden. Denn der BFH ist gemäß § 118 Abs. 2 FGO an
die in dem angefochtenen Urteil getroffenen tatsächlichen
Feststellungen gebunden. Deshalb kann er neues tatsächliches
Vorbringen und neue Beweismittel nicht mehr in seine Entscheidung
einbeziehen, es sei denn, dass in Bezug auf die tatsächlichen
Feststellungen des FG zulässige und begründete
Revisionsgründe vorgebracht worden sind. Letzteres trifft hier
nicht zu, da - wie oben dargelegt - das FG die Einräumung
einer weiteren Frist für die Einreichung der
Arbeitsverträge zu Recht abgelehnt hat.
3. Die Entscheidung des FG, eine
verbösernde Einspruchsentscheidung dürfe auch dann noch
ergehen, wenn sie sich auf eine Besteuerungsgrundlage eines
Einkommensteuerbescheids beziehe, die das FA in einem zuvor
ergangenen teilweisen Abhilfebescheid bereits entsprechend dem
Einspruchsbegehren angesetzt habe, ist nicht zu beanstanden. Sie
entspricht dem Wortlaut der §§ 365 Abs. 3 Satz 1, 367
Abs. 2 AO 1977. Die Voraussetzungen für eine den Wortlaut
einschränkende Auslegung dieser Vorschriften liegen nicht
vor.
a) Das FA hat den Schätzungsbescheid vom
13.11.2001, gegen den die Kläger Einspruch (§ 357 AO
1977) eingelegt hatten, durch den Bescheid vom 18.3.2002
geändert. Nach § 365 Abs. 3 Satz 1 AO 1977 wird der neue
Verwaltungsakt Gegenstand des Einspruchsverfahrens, wenn der
angefochtene Verwaltungsakt geändert oder ersetzt wird. Das
bedeutet, dass das Einspruchsverfahren anhängig geblieben und
sein Gegenstand nunmehr der Änderungsbescheid vom 18.3.2002
geworden war.
Etwas anderes hätte nur dann gegolten,
wenn der Einspruch unzulässig (§ 358 AO 1977) gewesen
wäre oder das FA in dem Änderungsbescheid dem
Einspruchsbegehren voll entsprochen hätte. Beides trifft im
Streitfall nicht zu.
aa) Bei Unzulässigkeit des Einspruchs hat
die Finanzbehörde diesen zu verwerfen (§ 358 Satz 2 AO
1977). Die von § 367 Abs. 2 Satz 1 und 2 AO 1977 geforderte
Sachprüfung ist ihr in diesem Fall verwehrt. Im Streitfall
haben die Kläger - wie unstreitig ist - rechtzeitig und
formgerecht Einspruch eingelegt.
bb) Hat die Finanzbehörde durch den
Änderungsbescheid dem Einspruchsbegehren in vollem Umfang
entsprochen, dann hat sich das Einspruchsverfahren in der
Hauptsache erledigt (vgl. BFH-Urteil vom 11.8.1971 VIII 7/65, BFHE
103, 130, BStBl II 1972, 2, 4 = SIS 72 00 01); einer
Einspruchsentscheidung bedarf es gemäß § 367 Abs. 2
Satz 3 AO 1977 nicht mehr. Im Streitfall hatte das FA dem
Einspruchsbegehren der Kläger nicht in vollem Umfang
entsprochen, da es die geltend gemachten Spenden und
Ausbildungskosten in dem Änderungsbescheid vom 18.3.2002 nicht
berücksichtigt hatte.
b) Da der Änderungsbescheid vom 18.3.2002
gemäß § 365 Abs. 3 Satz 1 AO 1977 Gegenstand des
Einspruchsverfahrens geworden war, war § 367 Abs. 2 AO 1977
auf ihn anzuwenden.
aa) Nach Satz 1 dieser Vorschrift hat die
Finanzbehörde, die über den Einspruch entscheidet, die
Sache in vollem Umfang erneut zu prüfen. Diese Vorschrift
bewirkt, dass Gegenstand des Einspruchsverfahrens der angefochtene
Einkommensteuerbescheid als solcher ist und dass es nicht einzelne
Streitpunkte sind, auf die der Einspruchsführer sein
Änderungsbegehren stützt (vgl. BFH-Beschluss vom 8.3.2000
I B 116/99, BFH/NV 2000, 983, 984 = SIS 00 57 68).
Ist Gegenstand des Einspruchsverfahrens ein
Änderungsbescheid, kann die
Überprüfungsmöglichkeit der Finanzbehörde zwar
nach § 351 Abs. 1 AO 1977 eingeschränkt sein. Danach
können Verwaltungsakte, die unanfechtbare Verwaltungsakte
ändern, nur insoweit angegriffen werden, als die Änderung
reicht. Diese Voraussetzungen lagen im Streitfall aber nicht vor.
Denn der Einkommensteuerbescheid vom 13.11.2001, der durch den
Bescheid vom 18.3.2002 geändert wurde, war nicht unanfechtbar,
da er rechtzeitig mit dem Einspruch angefochten worden war. Deshalb
konnte das FA den Änderungsbescheid vom 18.3.2002
gemäß § 367 Abs. 2 Satz 1 AO 1977 in vollem Umfang
prüfen.
bb) Nach § 367 Abs. 2 Satz 2 AO 1977 kann
der Verwaltungsakt auch zum Nachteil des Einspruchsführers
geändert werden, wenn dieser auf die Möglichkeit einer
verbösernden Entscheidung unter Angabe von Gründen
hingewiesen und ihm Gelegenheit gegeben worden ist, sich hierzu zu
äußern. Der Gesetzgeber hat durch diese Regelung dem
rechtsstaatlichen Grundsatz der sachlichen Richtigkeit den Vorrang
eingeräumt vor dem Grundsatz der Rechtssicherheit (vgl.
BFH-Urteil vom 15.7.1960 VI 228/57 U, BFHE 71, 381, BStBl III 1960,
392, 393 = SIS 60 02 20 zu der entsprechenden Regelung in §
243 der Reichsabgabenordnung).
Im Streitfall lagen die Voraussetzungen des
§ 367 Abs. 2 Satz 2 AO 1977 vor. Das FA hatte - wie oben
ausgeführt - die Aushilfslöhne zu Unrecht als
Betriebsausgaben abgezogen. Es hatte die Kläger mit Schreiben
vom 19.3.2002 auf die Verböserungsabsicht hingewiesen, falls
keine einem Fremdvergleich standhaltenden Arbeitsverträge
eingereicht würden und der Einspruch nicht zurückgenommen
würde. Da die Kläger ihren Einspruch nicht
zurückgenommen haben, konnte das FA den
Einkommensteuerbescheid vom 18.3.2002 zum Nachteil der Kläger
ändern.
c) Entgegen der Auffassung der Kläger ist
der Wortlaut der §§ 365 Abs. 3 Satz 1, 367 Abs. 2 AO 1977
nicht einschränkend dahin auszulegen, dass § 367 Abs. 2
Satz 2 AO 1977 dann nicht anzuwenden ist, wenn Gegenstand des
Einspruchs nicht der ursprünglich mit dem Einspruch
angefochtene Steuerbescheid, sondern ein während des
Einspruchsverfahrens erlassener teilweiser Abhilfebescheid ist. Der
während des Einspruchsverfahrens erlassene teilweise
Abhilfebescheid hat nach zutreffender Auffassung der Vorinstanz
keine stärkere Bestandskraft als der durch ihn geänderte
Bescheid (vgl. Tipke in Tipke/Kruse, Abgabenordnung,
Finanzgerichtsordnung, § 367 AO Tz. 47).
aa) Der Senat teilt nicht die Auffassung des
FG Hamburg in seinem Urteil vom 18.12.1981 VI 206/78 (EFG 1982,
283, 284), die Finanzbehörde habe mit dem Erlass eines dem
Einspruch teilweise abhelfenden Änderungsbescheids das ihr in
§ 367 Abs. 2 Satz 2 AO 1977 eingeräumte Recht der
Selbstkontrolle verbraucht. Gegenstand des Einspruchsverfahrens ist
der Steuerbescheid und sind nicht die Besteuerungsgrundlagen (vgl.
BFH-Beschlüsse in BFH/NV 2000, 983, 984 = SIS 00 57 68; vom
4.9.2002 XI R 64/99, BFH/NV 2003, 183, 184 = SIS 03 08 44).
Letztere sind nach § 157 Abs. 2 AO 1977 ein nicht
selbständig anfechtbarer Teil des Steuerbescheids. Hätte
der Gesetzgeber eine Teilbestandskraft eintreten lassen wollen,
soweit in einem während des Einspruchsverfahrens erlassenen
Änderungsbescheid dem Einspruch teilweise abgeholfen wird,
hätte er dies ohne weiteres in § 365 Abs. 3 Satz 1 AO
1977 durch eine entsprechende Einschränkung zum Ausdruck
bringen können.
Der Gesetzgeber hat dort, wo er ausnahmsweise
eine Teilbestandskraft während des Einspruchverfahrens
herbeiführen wollte, eine ausdrückliche Regelung
getroffen. So sehen § 354 Abs. 1a und § 362 Abs. 1a AO
1977 eine Teilbarkeit von steuerlichen Verwaltungsakten vor. Nach
der erstgenannten Vorschrift kann auf die Einlegung eines
Einspruchs verzichtet werden, soweit Besteuerungsgrundlagen
für ein Verständigungs- oder Schiedsverfahren nach einem
Vertrag i.S. des § 2 AO 1977 von Bedeutung sein können.
Nach § 362 Abs. 1a AO 1977 kann, soweit Besteuerungsgrundlagen
für derartige Verfahren von Bedeutung sein können, der
Einspruch hierauf begrenzt zurückgenommen werden.
Auch § 363 Abs. 2 Satz 2 AO 1977
stützt nicht die Annahme der Kläger, ein während des
Einspruchsverfahrens erlassener teilweiser Abhilfebescheid sei
teilweise bestandskräftig. Nach dieser Vorschrift ruht dann,
wenn wegen der Verfassungsmäßigkeit einer Rechtsnorm
oder wegen einer Rechtsfrage ein Verfahren bei dem Gerichtshof der
Europäischen Gemeinschaften, dem Bundesverfassungsgericht oder
einem obersten Bundesgericht anhängig ist und der Einspruch
hierauf gestützt wird, das Einspruchsverfahren insoweit.
Selbst wenn man dies dahin verstünde, dass eine
Teilbestandskraft eintreten kann, vermöchte dies nichts daran
zu ändern, dass keine Anhaltspunkte dafür zu erkennen
sind, dass nach Auffassung des Gesetzgebers ein während des
Einspruchsverfahrens zu Gunsten des Steuerpflichtigen gemachter
Fehler der Finanzbehörde in einem Änderungsbescheid einen
höheren Bestandsschutz genießen sollte als ein
vergleichbarer Fehler bei der erstmaligen Veranlagung (vgl. auch
Szymczak in Koch/Scholtz, AO, 5. Aufl., § 367 Rz. 13/4; FG
Rheinland-Pfalz, Urteil vom 29.8.1986 6 K 69/84, EFG 1989, 18;
Seitrich, BB 1988, 1799, 1800).
bb) Soweit das FG Hamburg in EFG 1982, 283 zur
Begründung seiner gegenteiligen Auffassung darauf verweist,
dass der Änderungsbescheid nur insoweit streitbefangen sei,
als dem Einspruch nicht abgeholfen worden sei, kommt es nach §
367 Abs. 2 Satz 1 AO 1977 für den Umfang der
Prüfungsbefugnis der Finanzbehörde auf den Antrag des
Einspruchsführers gerade nicht an.
Zwar hat der BFH in seiner früheren
Rechtsprechung zu der Frage des Umfangs der Ablaufhemmung bei der
Festsetzungsverjährung gemäß § 171 Abs. 3 AO
1977 a.F. eine Teilbarkeit eines Steuerbescheids bejaht. Nach
dieser Vorschrift lief dann, wenn ein Steuerbescheid mit einem
Einspruch oder einer Klage angefochten wird, die Festsetzungsfrist
nicht ab, bevor über den Rechtsbehelf unanfechtbar entschieden
ist. Dazu hatte der BFH entschieden, dass das FA einen
Steuerbescheid nach Ablauf der regulären Festsetzungsfrist
nicht mehr zum Nachteil des Steuerpflichtigen ändern
dürfe, wenn dieser gegen den Bescheid Einspruch eingelegt
habe; die Festsetzungsfrist werde nur im Umfang des
Rechtsbehelfsantrags gehemmt (BFH-Urteile vom 27.3.1996 I R 182/94,
BFHE 180, 444, BStBl II 1997, 449 = SIS 96 18 18; vom 8.7.1998 I R
112/97, BFHE 186, 496, BStBl II 1999, 123 = SIS 99 02 03).
Der Gesetzgeber hatte zwischen dieser
Rechtsprechung und der Verpflichtung der Finanzbehörde, die
Sache im Einspruchsverfahren in vollem Umfang erneut zu prüfen
und ggf. zum Nachteil des Einspruchsführers zu ändern,
einen Widerspruch gesehen; wenn der Steuerpflichtige den Einspruch
zur Vermeidung einer Verböserung zurücknehmen könne,
sei es nicht sachgerecht, den Finanzbehörden die
Möglichkeit, die Sache in vollem Umfang erneut zu prüfen,
zu beschneiden (BTDrucks 14/1514, S. 46). Er hat durch das
Steuerbereinigungsgesetz (StBereinG) 1999 vom 22.12.1999 (BGBl I
1999, 2601, BStBl I 2000, 13) § 171 Abs. 3 AO 1977
geändert und einen Abs. 3a in § 171 AO 1977
eingefügt. § 171 Abs. 3a Satz 1 AO 1977 entspricht dem
bisherigen § 171 Abs. 3 Satz 1 AO 1977. § 171 Abs. 3a
Satz 2 AO 1977 bestimmt, dass der Ablauf der Festsetzungsfrist
hinsichtlich des gesamten Steueranspruchs gehemmt wird, wenn der
Rechtsbehelf zulässig ist. § 171 Abs. 3a AO 1977 gilt
gemäß § 10 Abs. 9 des Einführungsgesetzes zur
AO 1977 für alle bei In-Kraft-Treten des StBereinG am
30.12.1999 noch nicht abgelaufenen Festsetzungsfristen und damit
auch im vorliegenden Verfahren. Der Gesetzgeber hat damit für
das Einspruchsverfahren den Vorrang der sachlichen Richtigkeit vor
der Rechtssicherheit unter Hinweis darauf bestätigt und
erweitert, dass der Einspruchsführer die Möglichkeit hat,
seinen Einspruch zurückzunehmen (vgl. BTDrucks 14/1514, S.
47).
Vor diesem Hintergrund erscheint sowohl bei
einem mit dem Einspruch angefochtenen Bescheid als auch bei einem
zum Gegenstand des Einspruchsverfahrens gewordenen
Änderungsbescheid die in § 367 Abs. 2 Satz 2 AO 1977
getroffene Regelung als ein angemessener Ausgleich der
gegenläufigen Interessen. In beiden Fällen hat der
Einspruchführer es aufgrund des vorgeschriebenen vorherigen
Hinweises auf die Verböserungsabsicht in der Hand, durch die
Rücknahme seines Einspruchs den zu seinen Gunsten fehlerhaften
Verwaltungsakt bestandskräftig werden zu lassen und die
angekündigte Verböserung zu verhindern.
d) Ob eine Finanzbehörde unter
Berücksichtigung von Treu und Glauben ausnahmsweise an ihre in
einem teilweisen Abhilfebescheid vertretene Auffassung gebunden
sein kann, braucht im Streitfall nicht entschieden zu werden. Denn
hier war nach zutreffender Auffassung der Vorinstanz für einen
erhöhten Vertrauensschutz der Kläger kein Raum. Das FA
hatte durch sein Schreiben vom 19.3.2002 im unmittelbaren Anschluss
an den Erlass des Änderungsbescheids klargestellt, dass es die
in dem teilweisen Abhilfebescheid berücksichtigten
Aushilfslöhne nicht mehr anerkennen werde, wenn die
Kläger nicht die entsprechenden Arbeitsverträge
einreichen und wenn diese nicht einem Fremdvergleich standhalten
würden. Das Vorbringen der Kläger, das Schreiben des FA
vom 19.3.2002 habe als bloßes Versehen verstanden werden
müssen, ist angesichts des ausdrücklichen Hinweises auf
§ 367 Abs. 2 AO 1977 und der Anregung, den Einspruch wegen der
ggf. erforderlichen Verböserung zurückzunehmen, nicht
nachvollziehbar.