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I. Die Klägerin und
Revisionsklägerin (Klägerin) vermietete im Jahr 1998
(Streitjahr) in X und in Y einfach möblierte Zimmer an die
dort tätigen Prostituierten. Die Zimmer wurden einzeln
ausschließlich an jeweils eine Prostituierte vermietet; sie
wurden nicht durch mehrere Prostituierte genutzt. Die
Prostituierten hatten dort ihre persönlichen Sachen und zum
Teil eigene kleinere Möbel untergebracht. Die Zimmer waren mit
einem Alarmknopf und einer Gegensprechanlage ausgestattet. Zur
Straßenseite verfügten die Häuser über mit
einem Schaufenster versehene sog. „Kober“, die von
allen Prostituierten genutzt wurden, um mit potentiellen Freiern
Kontakt aufzunehmen sowie Leistungen und Preise
auszuhandeln.
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Das Haus in X verfügte über eine
Gemeinschaftsküche mit Esstisch und Fernsehgerät sowie
über eine EC-Cash-Einrichtung, über die die Freier mit
EC-Karte bezahlen konnten; die Häuser in Y trugen die
Beschriftung „A“ bzw. „B“ und hatten
jeweils eine Teeküche.
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Die Überlassungsverträge wurden
mündlich und unbefristet abgeschlossen, die Miete betrug -
jeweils je Tag - in X 70 DM und in Y 40 DM. Für den Fall, dass
eine Gebrauchsüberlassung an die Prostituierte aufgrund
Erkrankung nicht erfolgen konnte, minderte sich die Miete; bei
längerer Abwesenheit der Prostituierten wurde die
Mietzinsverpflichtung ausgesetzt bis auf einen Mindestanspruch der
Klägerin von 360 DM monatlich. Daneben mussten die
Prostituierten einen täglichen Beitrag für die
„Nachtwache“ sowie eine wöchentliche Pauschale
für Licht und Papier entrichten. Die Klägerin stellte
ihnen und den Freiern gegen gesondertes Entgelt Getränke zur
Verfügung; in X mussten die Prostituierten einen
täglichen Mindestverzehr für Getränke und
Süßwaren tätigen.
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Das Offenhalten der Häuser erfolgte
ausschließlich durch die Prostituierten selbst, nicht durch
die Klägerin oder von ihr beauftragte Personen. Für das
Haus in X hatte sie eine Wirtschafterin angestellt, die jeden Tag
von 8:00 bis 15:00 Uhr anwesend war. Zu deren Aufgaben gehörte
neben der Vereinnahmung der Tagesmieten, der Beaufsichtigung von
Handwerkern und der Reinigung des Büroraumes auch die
Bewirtschaftung der Küche. Dort bereitete sie den Mieterinnen
Frühstück und Mittagessen zu; außerdem erledigte
sie Einkäufe für die Prostituierten.
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Die Klägerin behandelte die
gegenüber den Prostituierten ausgeführten Umsätze
zunächst als umsatzsteuerpflichtig und gab für das
Streitjahr eine entsprechende Jahreserklärung mit einer
verbleibenden Umsatzsteuer von ... DM (... EUR) ab. Später
reichte sie eine berichtigte Steuererklärung für das
Streitjahr ein, in der sie die Umsätze nunmehr als steuerfrei
behandelte und eine verbleibende Umsatzsteuer von ... DM (... EUR)
errechnete.
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Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das
Finanzamt - FA - ) ging mit Bescheid vom 23.9.2004 dagegen weiter
von der Steuerpflicht der Umsätze aus (Umsatzsteuer ...
EUR).
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Mit dem hiergegen eingelegten Einspruch
machte die Klägerin geltend, bei der
streitgegenständlichen Raumüberlassung handele es sich
nicht um eine (steuerpflichtige) kurzfristige Vermietung i.S. des
§ 4 Nr. 12 Satz 2 des Umsatzsteuergesetzes (UStG); es
würden keine Wohn- und Schlafräume, sondern Räume
zur Ausübung der Prostitution überlassen. Da die von ihr
- der Klägerin - erbrachten Nebenleistungen die
Vermietungsleistung nicht überdeckten, liege ein gemischter
Vertrag mit klar voneinander getrennten Leistungselementen, jedoch
kein Vertrag besonderer Art vor; denn sie habe neben der
Zimmervermietung keine Maßnahmen ergriffen, die im Sinne der
(älteren) Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) die
„gewerbsmäßige Unzucht“ der Mieterinnen
gefördert hätten.
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Im Einspruchsverfahren setzte das FA - aus
anderen, hier nicht streitigen Gründen - mit
Änderungsbescheid vom 19.7.2007 die Umsatzsteuer für das
Streitjahr auf ... EUR fest und wies den Einspruch der
Klägerin mit Einspruchsentscheidung vom 10.10.2007 als
unbegründet zurück.
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Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab.
Es entschied, die Voraussetzungen für die Steuerbefreiung nach
§ 4 Nr. 12 UStG seien im Streitfall nicht erfüllt. Die
Klägerin habe keine Vermietungsleistung i.S. des § 4 Nr.
12 Satz 1 Buchst. a UStG erbracht.
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Die Klägerin stützt ihre Revision
auf die Verletzung materiellen und formellen Rechts.
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Sie bringt im Wesentlichen vor, sie habe
entgegen der Auffassung des FG die Räume im Rahmen einer
Vermietung i.S. des § 4 Nr. 12 UStG überlassen. Die
Überlassung sei nicht zum „Wohnen und Schlafen“,
sondern zu gewerbsmäßigen Zwecken erfolgt, weshalb
§ 4 Nr. 12 Satz 2 UStG auch nach dem BFH-Urteil vom 22.8.2013
V R 18/12 (BFHE 243, 32, BStBl II 2013, 1058 = SIS 13 28 38) nicht
einschlägig sei. Das FG suggeriere in einer Fehlinterpretation
der BFH-Urteile vom 10.8.1961 V 95/60 U (BFHE 73, 714, BStBl III
1961, 525 = SIS 61 03 46) und V 31/61 U (BFHE 73, 717, BStBl III
1961, 526 = SIS 61 03 47) zu Unrecht, dass für eine
steuerfreie Vermietung stets die Vermietung zu Wohnzwecken
erforderlich sei.
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Nach den Feststellungen des FG seien die
Zimmer den Prostituierten jeweils zur alleinigen Nutzung
überlassen und damit i.S. des § 4 Nr. 12 UStG vermietet
worden - wie in dem vom FG Düsseldorf mit Urteil vom 9.10.1996
5 K 7121/92 U (EFG 1997, 506) entschiedenen Fall -, wodurch sich
der Streitfall von dem vom BFH entschiedenen Sachverhalt im
Beschluss vom 13.9.2002 V B 51/02 (BFH/NV 2003, 212 = SIS 03 08 75)
maßgeblich unterscheide.
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Hinsichtlich der Dauer der
Grundstücksnutzung als einem Hauptelement eines Mietvertrags
(Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union - EuGH - vom
18.1.2001 C-150/99, Stockholm Lindöpark, Slg. 2001, I-493,
BFH/NV Beilage 2001, 44, UR 2001, 153 = SIS 01 05 42) stelle die
Vorentscheidung unzutreffend auf die tatsächliche Dauer der
Mietverhältnisse anstatt auf die aus den Gesamtumständen
ableitbare Absicht des Vermieters ab (z.B. BFH-Urteil vom 25.1.1996
V R 6/95, BFH/NV 1996, 583).
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Die Vermietung werde vorliegend auch nicht
im Rahmen eines Vertrages besonderer Art durch andere
Dienstleistungselemente überlagert. Für eine solche
Überlagerung müssten die Überlassungsleistungen von
den sonstigen Leistungsanteilen dominiert werden, nämlich
„wenn der Vermieter durch Maßnahmen oder Einrichtungen
eine Organisation schafft und unterhält, die die
gewerbsmäßige Unzucht der Bewohnerinnen
fördert“ (BFH-Urteile in BFHE 73, 714, BStBl III 1961,
525 = SIS 61 03 46, und in BFHE 73, 717, BStBl III 1961, 526 = SIS 61 03 47). Unabhängig davon, ob sich diese Einordnung der
Prostitution unter Berücksichtigung ihres gewandelten
gesellschaftlichen Bildes noch halten lasse, unterhalte sie, die
Klägerin, weder ein Bordell noch eine diesbezügliche
„Organisation“, sondern vermiete lediglich
Zimmer.
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Im Übrigen seien die
Tatsachenfeststellungen des FG widersprüchlich und
lückenhaft; sie verstießen zum Teil gegen den klaren
Akteninhalt. Die Schlussfolgerungen des FG seien in wesentlichen
Teilen nicht nachvollziehbar.
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Die Klägerin beantragt, die
Vorentscheidung aufzuheben und den Umsatzsteuerbescheid für
1998 vom 19.7.2007 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom
10.10.2007 dahingehend zu ändern, dass die Umsatzsteuer auf
... EUR festgesetzt wird,
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hilfsweise die Sache unter Aufhebung der
Vorentscheidung zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung
zurückzuverweisen.
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Das FA beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
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II. Die Revision ist unbegründet und
daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der
Finanzgerichtsordnung - FGO - ). Die Würdigung des FG, bei den
streitigen Leistungen der Klägerin handele es sich nicht um
Vermietungsleistungen i.S. von § 4 Nr. 12 Satz 1 Buchst. a
UStG, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
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1. Von der Steuer befreit ist nach § 4
Nr. 12 Satz 1 Buchst. a UStG u.a. die Vermietung von
Grundstücken. Die Steuerfreiheit erstreckt sich dabei auch auf
die Vermietung einzelner Räume (vgl. z.B. BFH-Urteile vom
8.10.1991 V R 95/89, BFHE 166, 191, BStBl II 1992, 209 = SIS 92 03 24, unter II.1.a; vom 21.4.1993 XI R 55/90, BFHE 172, 141, BStBl II
1994, 266 = SIS 94 05 47, unter II.2.b; vom 24.4.2014 V R 27/13,
BFHE 245, 404, BStBl II 2014, 732 = SIS 14 19 37, Rz 18).
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Die Vorschrift beruht auf Art. 13 Teil B
Buchst. b der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom
17.5.1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der
Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern (Richtlinie 77/388/EWG;
seit dem 1.1.2007 auf Art. 135 Abs. 1 Buchst. l der Richtlinie
2006/112/EG des Rates vom 28.11.2006 über das gemeinsame
Mehrwertsteuersystem), wonach die Vermietung von Grundstücken
grundsätzlich steuerfrei ist.
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a) Der BFH hat in ständiger
Rechtsprechung die Steuerfreiheit nach § 4 Nr. 12 Satz 1
Buchst. a UStG für die Vermietung möblierter Räume
oder Gebäude bejaht, wenn es sich um eine auf Dauer angelegte
und nicht um eine kurzfristige Überlassung handelt (vgl. z.B.
BFH-Urteile vom 20.8.2009 V R 21/08, BFH/NV 2010, 473 = SIS 10 06 14, Rz 15, m.w.N.; vom 8.8.2013 V R 7/13, BFH/NV 2013, 1952 = SIS 13 30 33, Rz 16, m.w.N.; in BFHE 243, 32, BStBl II 2013, 1058 = SIS 13 28 38, Rz 12; vom 19.2.2014 XI R 1/12, BFH/NV 2014, 1398 = SIS 14 21 35, Rz 23, m.w.N.). Dies steht im Einklang mit der
Rechtsprechung des EuGH zu Art. 13 Teil B Buchst. b der Richtlinie
77/388/EWG, wonach „die Dauer der Grundstücksnutzung
ein Hauptelement eines Mietvertrags“ bildet (EuGH-Urteile
vom 12.2.1998 C-346/95, Blasi, Slg. 1998, I-481, UR 1998, 189 = SIS 98 07 47, Rz 23, und Stockholm Lindöpark in Slg. 2001, I-493,
BFH/NV Beilage 2001, 44, UR 2001, 153, Rz 27).
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b) Ob eine Vermietungstätigkeit vorliegt,
richtet sich umsatzsteuerrechtlich aufgrund richtlinienkonformer
Auslegung nicht nach den Vorschriften des nationalen Zivilrechts,
sondern nach dem Unionsrecht (vgl. z.B. EuGH-Urteil vom 16.1.2003
C-315/00, Maierhofer, Slg. 2003, I-563, BFH/NV Beilage 2003, 104 =
SIS 03 09 06, Rz 26; BFH-Urteile vom 7.7.2011 V R 41/09, BFHE 234,
513, BStBl II 2014, 73 = SIS 11 31 05, Rz 19; vom 21.2.2013 V R
10/12, BFH/NV 2013, 1635 = SIS 13 25 63, Rz 26; vom 13.2.2014 V R
5/13, BFHE 245, 92, BFH/NV 2014, 1159 = SIS 14 15 48, Rz 19, und in
BFH/NV 2014, 1398 = SIS 14 21 35, Rz 26).
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Das grundlegende Merkmal des unionsrechtlichen
Begriffs der „Vermietung von Grundstücken“
besteht darin, dass dem Vertragspartner auf bestimmte Zeit gegen
eine Vergütung das Recht eingeräumt wird, ein
Grundstück so in Besitz zu nehmen, als wäre er dessen
Eigentümer, und jede andere Person von diesem Recht
auszuschließen (EuGH-Urteile vom 4.10.2001 C-326/99, Goed
Wonen, Slg. 2001, I-6831, BFH/NV Beilage 2002, 10 = SIS 01 13 24,
Rz 55; vom 9.10.2001 C-108/99, Cantor Fitzgerald International,
Slg. 2001, I-7257, BFH/NV Beilage 2002, 19 = SIS 01 13 22, Rz 21;
vom 12.6.2003 C-275/01, Sinclair Collis, Slg. 2003, I-5965, BFH/NV
Beilage 2003, 216 = SIS 03 29 11, Rz 25; vom 18.11.2004 C-284/03,
Temco Europe, Slg. 2004, I-11237, BFH/NV Beilage 2005, 86 = SIS 05 07 23, Rz 19; vom 16.12.2010 C-270/09, MacDonald Resorts, Slg.
2010, I-13179, UR 2011, 462 = SIS 11 00 41, Rz 46; vgl. auch
BFH-Urteil vom 27.9.2007 V R 73/05, BFH/NV 2008, 252 = SIS 08 08 03, unter II.1., m.w.N.). Maßgebend ist der objektive Inhalt
des Vorgangs, unabhängig von der Bezeichnung, die die Parteien
ihm gegeben haben (EuGH-Urteil MacDonald Resorts in Slg. 2010,
I-13179, UR 2011, 462 = SIS 11 00 41, Rz 46, m.w.N.).
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c) Der Begriff „Vermietung von
Grundstücken“ i.S. von § 4 Nr. 12 Satz 1
Buchst. a UStG und Art. 13 Teil B Buchst. b der Richtlinie
77/388/EWG ist eng auszulegen, da diese Bestimmungen eine Ausnahme
von dem allgemeinen Grundsatz vorsehen, dass jede Dienstleistung,
die ein Steuerpflichtiger gegen Entgelt erbringt, der Umsatzsteuer
unterliegt (EuGH-Urteile Goed Wonen in Slg. 2001, I-6831, BFH/NV
Beilage 2002, 10, Rz 46, und Temco Europe in Slg. 2004, I-11237,
BFH/NV Beilage 2005, 86, Rz 17).
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d) Allerdings können mehrere Leistungen
auch derart untrennbar miteinander verbunden sein, dass sie eine
einheitliche (komplexe) Leistung bilden, die nicht als Vermietung
von Grundstücken umsatzsteuerfrei, sondern
umsatzsteuerpflichtig ist (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 31.5.2001 V R
97/98, BFHE 194, 555, BStBl II 2001, 658 = SIS 01 11 12, unter
II.2.a; vom 24.1.2008 V R 12/05, BFHE 221, 310, BStBl II 2009, 60 =
SIS 08 14 79, unter II.2.a; vom 4.5.2011 XI R 35/10, BFHE 233, 379,
BStBl II 2011, 836 = SIS 11 24 25, Rz 25 ff.; EuGH-Urteil vom
27.9.2012 C-392/11, Field Fisher Waterhouse, HFR 2012, 1210, UR
2012, 964 = SIS 12 33 69, Rz 15 ff.).
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Steuerfreie Vermietungsleistungen liegen
demnach nicht vor, wenn nach dem Gesamtbild der tatsächlichen
Verhältnisse die Überlassung des Grundstücks oder
Grundstücksteiles zum Gebrauch von anderen wesentlicheren
Leistungen überdeckt wird (vgl. BFH-Urteile in BFHE 73, 714,
BStBl III 1961, 525 = SIS 61 03 46; in BFHE 73, 717, BStBl III
1961, 526 = SIS 61 03 47; vom 10.8.1961 V 111/60, HFR 1962, 145;
BFH-Beschluss vom 26.4.2002 V B 168/01, BFH/NV 2002, 1345 = SIS 02 94 51, unter II.2.c). Dies kommt insbesondere dann in Betracht,
wenn Unterkünfte an Prostituierte vermietet werden und nicht
die Grundstücksnutzung, sondern die Möglichkeit, die
Prostitution auszuüben, aus der Sicht des
Leistungsempfängers im Vordergrund steht (vgl. BFH-Beschluss
in BFH/NV 2003, 212 = SIS 03 08 75, unter II.2.a; BFH-Urteil in
BFH/NV 2014, 1398 = SIS 14 21 35, Rz 25; vgl. auch BFH-Urteil vom
12.4.1988 VIII R 256/81, BFH/NV 1989, 44 = SIS 88 17 18 zum
Ertragsteuerrecht).
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2. Das FG ist von diesen Grundsätzen
ausgegangen. Seine tatsächlichen Feststellungen tragen im
Ergebnis seine Entscheidung, dass im Streitfall die Voraussetzungen
einer steuerfreien Vermietung i.S. von § 4 Nr. 12 Satz 1
Buchst. a UStG nicht vorliegen.
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a) Die Klägerin rügt zwar zu Recht,
dass - entgegen der Auffassung des FG - in „der
dauerhaften Wohnsitznahme der Prostituierten“ (S. 10 des
Urteils) keine wesentliche Voraussetzung für eine steuerfreie
Vermietungsleistung i.S. von § 4 Nr. 12 Satz 1 Buchst. a UStG
liegt. Im Anwendungsbereich dieser Steuerbefreiung kommt es nach
dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift nicht darauf an, ob die
Prostituierten in dem Objekt ihren Wohnsitz hatten.
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b) Dies verhilft der Revision allerdings
trotzdem nicht zum Erfolg. Denn die Steuerpflicht der von der
Klägerin erbrachten Leistungen ergibt sich bereits aus der
tatsächlichen Würdigung des FG, dass die von der
Klägerin neben der Überlassung der Räume erbrachten
Leistungen „der Gesamtleistung der Klägerin ein
anderes Gepräge geben als ein reines
Mietverhältnis“ (S. 10 des Urteils).
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Das FG hat diese tatsächliche
Würdigung darauf gestützt, dass die Klägerin neben
der Überlassung der einzelnen Räume an die Prostituierten
eine Vielzahl an weiteren Leistungen erbracht hat. Diese umfassten
einen Platz in einem der „Kober“, der speziell
zur Kontaktaufnahme und Vertragsanbahnung mit den Freiern diente
und im Gegensatz zu den Räumen durch wechselnde Prostituierte
im Schichtbetrieb genutzt wurde, die Ausstattung der Räume mit
Alarmknopf und Gegensprechanlage, die Reinigung der Zimmer, den
Verkauf von Getränken und Süßwaren gegen
gesondertes Entgelt sowie die Nutzung von
Gemeinschaftseinrichtungen wie die Küche in X bzw. die
Teeküche in Y. Die Prostituierten hatten aufgrund der
mündlich und ohne weitere Zeitangabe geschlossenen
Verträge hierfür einen einheitlichen Tagespreis von 40 DM
in Y bzw. 70 DM in X zu zahlen, der deutlich über einer
Wohnungsmiete lag und der sich zum anderen bei Krankheit oder
Urlaub minderte. Diese Feststellungen betreffen sowohl das Haus in
X als auch die Häuser in Y und sind zwischen den Beteiligten
unstreitig.
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Nach den Feststellungen des FG konnten die
Verträge außerdem von beiden Seiten „von einem
Tag auf den anderen“ (S. 3 des Urteils) gekündigt
werden.
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c) Bereits aufgrund dieser Feststellungen, die
sowohl das Haus in X als auch die Häuser in Y betreffen, ist
die dem FG obliegende (vgl. z.B. BFH-Urteil in BFH/NV 2014, 1398 =
SIS 14 21 35, Rz 28) und von ihm im Streitfall vorgenommene
tatsächliche Würdigung möglich.
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Soweit das FG aus diesen Tatsachen den Schluss
zieht, dass die neben der Raumüberlassung erbrachten
Leistungen der Gesamtleistung der Klägerin das Gepräge
geben, ist diese tatsächliche Würdigung
verfahrensfehlerfrei zustande gekommen und entgegen der Ansicht der
Klägerin weder widersprüchlich, lückenhaft oder
mehrdeutig noch verstößt sie gegen Denkgesetze oder
allgemeine Erfahrungssätze. Sie bindet damit den Senat
gemäß § 118 Abs. 2 FGO auch dann, wenn sie nicht
die allein in Betracht kommende Würdigung ist (vgl. z.B.
BFH-Urteile vom 4.12.2001 IX R 70/98, BFH/NV 2002, 635 = SIS 02 62 17, unter II.2.; vom 4.9.2003 V R 9-10/02, BFHE 203, 389, BStBl II
2004, 627 = SIS 03 51 76, unter II.3.; vom 9.12.2009 II R 52/07,
BFH/NV 2010, 824 = SIS 10 11 61, Rz 17; BFH-Beschluss vom 23.9.2014
V B 37/14, BFH/NV 2015, 67 = SIS 14 32 85, Rz 8).
Verstöße gegen die Verfahrensordnung, gegen Denkgesetze
oder allgemeine Erfahrungssätze (vgl. dazu z.B. BFH-Urteil vom
19.5.2010 XI R 78/07, BFH/NV 2010, 2132 = SIS 10 32 74, Rz 33;
BFH-Beschluss vom 29.9.2010 XI S 23/10 (PKH), BFH/NV 2010, 2310 =
SIS 10 36 07, Rz 10) liegen im Streitfall nicht vor.
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34
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aa) Entgegen der Ansicht der Klägerin hat
das FG im Tatbestand und in den Entscheidungsgründen stets
zutreffend zwischen dem Haus in X und den beiden Häusern in Y
unterschieden. So wird auf S. 3 seines Urteils festgestellt, dass
nur in X eine Wirtschafterin angestellt war, zu deren Aufgaben
unter anderem die Zubereitung von Frühstück und
Mittagessen gehörte. Auch in den Entscheidungsgründen
stellt das FG in den Aufzählungen jeweils heraus, dass
einzelne Leistungen nur in X erbracht worden sind. Dass in den
Entscheidungsgründen teilweise Elemente aller Häuser im
Rahmen einer Gesamtbetrachtung aufgezählt werden, bedeutet
nicht, dass das FG diese Unterscheidung aufgegeben hat.
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bb) Das FG musste nicht feststellen, ob die
Klägerin die Absicht hatte, lang- oder kurzfristig zu
vermieten.
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Bei der Abgrenzung zwischen
Vermietungsleistung und anderer sonstiger Leistung ist die
Mietdauer nicht das allein entscheidende Kriterium (EuGH-Urteil
Temco Europe in Slg. 2004, I-11237, BFH/NV Beilage 2005, 86, Rz
21). Es ist deswegen nicht ausgeschlossen, dass auch bei
langfristiger Vermietung ein anderes Leistungselement oder andere
Leistungselemente als die Raumüberlassung für die
Gesamtleistung prägend sind (vgl. EuGH-Urteil Sinclair Collis
in Slg. 2003, I-5965, BFH/NV Beilage 2003, 216, Rz 30; BFH-Urteil
in BFH/NV 2014, 1398 = SIS 14 21 35, Rz 22 bis 25, m.w.N.).
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cc) Entgegen der Auffassung der Klägerin
sind die von den Prostituierten genutzten
„Kober“ nicht mit Schaufenstern von Ladenlokalen
gleichzustellen, wie keiner näheren Darlegung bedarf.
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dd) Mit ihrem im Einzelnen begründeten
Einwand, es liege kein Vertrag besonderer Art vor, weil die
Elemente der Vermietung im Streitfall nicht durch andere
Dienstleistungselemente überlagert würden, setzt die
Klägerin lediglich ihre Würdigung des Sachverhalts an die
Stelle der Würdigung des FG. Dies genügt nicht, um die
Bindungswirkung des § 118 Abs. 2 FGO entfallen zu lassen (vgl.
z.B. BFH-Urteile vom 15.7.1986 VIII R 187/84, BFH/NV 1987, 40; vom
14.5.2014 XI R 13/11, BFHE 245, 424, BStBl II 2014, 734 = SIS 14 18 68, Rz 31).
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ee) Soweit die Klägerin betont, dass sie
die Häuser, in denen sie Zimmer an Prostituierte vermietet,
geerbt hat und dass aufgrund der räumlichen Lage der
Häuser keine andere Chance bestanden habe, als diese so zu
vermieten, wie sie sie vermietet habe, rechtfertigt dies keine
andere Beurteilung der objektiv vorliegenden Gegebenheiten.
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d) Die von der Klägerin angeführten
Urteile stehen dieser Entscheidung nicht entgegen.
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aa) Die dem Urteil des BFH in BFH/NV 2010, 473
= SIS 10 06 14 zugrunde liegende Vermietung eines gesamten
Seniorenpflegeheims einschließlich Erstausrüstung ist in
tatsächlicher Hinsicht nicht mit der hier
streitgegenständlichen Raumüberlassung vergleichbar.
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bb) Der V. Senat des BFH hat zwar im Urteil in
BFHE 243, 32, BStBl II 2013, 1058 = SIS 13 28 38 in Rz 13
ausgeführt, im Streitfall habe „das FG zu Recht die
Anwendung des ermäßigten Steuersatzes auf die aufgrund
des Verzichts (§ 9 UStG) steuerpflichtige Leistung
verneint“. Dem lässt sich aber nicht die Auffassung
des V. Senats des BFH entnehmen, im dort entschiedenen Streitfall
habe eine steuerfreie Vermietung nach § 4 Nr. 12 Satz 1
Buchst. a UStG vorgelegen.
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Er hat mit dieser Äußerung vielmehr
lediglich an die - in Rz 4 seines Urteils wiedergegebene -
Begründung der Vorinstanz angeknüpft, „ob die
Leistung als Vermietung nach § 4 Nr. 12 UStG steuerfrei sei
oder eine steuerpflichtige sonstige Leistung eigener Art vorliege,
könne offen bleiben, da die Klägerin zumindest auf die
Steuerfreiheit nach § 9 Abs. 1 UStG verzichtet
habe“. Aus der von der Klägerin in Bezug genommenen
Anmerkung eines Mitglieds des V. Senats zu diesem Urteil in BFH/PR
2014, 17 ergibt sich nichts anderes.
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e) Eine andere Beurteilung des Streitfalls ist
auch nicht deshalb geboten, weil die Urteile, in denen über
die hier streitige Abgrenzung erstmals vom BFH entschieden worden
ist, aus dem Jahr 1961 stammen.
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Der Klägerin ist zuzugeben, dass der
darin verwendete Begriff der Förderung der
„gewerbsmäßigen Unzucht“
spätestens seit Inkrafttreten des Gesetzes zur Regelung der
Rechtsverhältnisse der Prostituierten (Prostitutionsgesetz) am
1.1.2002 überholt ist (vgl. auch BFH-Beschluss vom 20.2.2013
GrS 1/12, BFHE 140, 282, BStBl II 2013, 441 = SIS 13 11 96; s. aber
zur Umsatzsteuer bereits BFH-Urteil vom 4.6.1987 V R 9/79, BFHE
150, 192, BStBl II 1987, 653 = SIS 87 17 37). Maßgeblich ist
aber - wie dargelegt - nach wie vor, ob die Raumüberlassung
durch die Leistungselemente der Vermietung oder durch andere
Leistungselemente, die der Förderung der gewerblichen
Tätigkeit der Prostituierten dienen, geprägt wird.
Für die Vermietung an Prostituierte gelten mithin dieselben
Grundsätze wie für jede andere gewerbliche Vermietung an
andere Unternehmer auch.
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f) Die von der Klägerin gerügte
Ungleichbehandlung ihrer gewerblichen Vermietung gegenüber der
langfristigen Vermietung von Räumen zum Betrieb einer
Gaststätte, eines Restaurants, eines Erotikshops, eines
Swingerclubs liegt offensichtlich schon deshalb nicht vor, weil
derartige Räume nicht mit den im Streitfall festgestellten
zusätzlichen Leistungen vermietet werden und zudem derartige
Mietverhältnisse nicht - wie hier - Mietminderungen bei
Krankheit vorsehen und auch nicht von beiden Seiten „von
einem auf den anderen Tag“ gekündigt werden
können (vgl. auch BFH-Beschluss in BFH/NV 2002, 1345 = SIS 02 94 51, unter II.2.c).
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3. Eine Vorlage an den EuGH kommt im
Streitfall nicht in Betracht. Der EuGH hat bereits entschieden,
dass für die Frage, wie ein steuerbarer Umsatz einzuordnen
ist, eine Gesamtbetrachtung aller Umstände anzustellen ist,
unter denen der Umsatz erfolgt (EuGH-Urteil Sinclair Collis in Slg.
2003, I-5965, BFH/NV Beilage 2003, 216, Rz 26). Die Vornahme dieser
Gesamtbetrachtung ist Sache der nationalen Gerichte (EuGH-Urteile
Stockholm Lindöpark in Slg. 2001, I-493, BFH/NV Beilage 2001,
44, Rz 28; Temco Europe in Slg. 2004, I-11237, BFH/NV Beilage 2005,
86, Rz 26; vom 18.7.2013 C-210/11, C-211/11, Medicon und Maison
Patrice Alard, HFR 2013, 853, UR 2014, 404 = SIS 13 27 59, Rz 33,
m.w.N.).
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4. Die Kostenentscheidung beruht auf §
135 Abs. 2 FGO.
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