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I. Die Klägerin und
Revisionsklägerin (Klägerin) erwarb ein bebautes
Grundstück. Sie sanierte in den Jahren 2008 und 2009 das
Gebäude für rd. 7,5 Mio. EUR. Das Objekt verfügte
über eine vermietbare Fläche von insgesamt 7.496 qm, die
die Klägerin überwiegend für den Betrieb eines
Studentenwohnheims steuerfrei verwendete. Im Erdgeschoss befand
sich ein 170 qm großes Bistro, in der ersten Etage ein
Büro mit einer Fläche von 295 qm. Bistro und Büro
vermietete die Klägerin steuerpflichtig unter Verzicht auf die
Steuerfreiheit gemäß § 9 des Umsatzsteuergesetzes
in der für das Streitjahr geltenden Fassung (UStG). Die
Mieterin des Büros, die X-GmbH, nutzte die Büroräume
im Wesentlichen für umsatzsteuerpflichtige Tätigkeiten
wie Bauentwicklung, Baubetreuung und Verwaltung fremder Immobilien.
Zu einem geringen Teil verwendete sie die Büroräume
für die umsatzsteuerfreie Verwaltung eigener Wohnimmobilien.
Die Fläche des Raumes, den die X-GmbH nach ihren Angaben auch
für die Verwaltung eigener Immobilien verwendete, betrug 16,75
qm.
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In ihrer Umsatzsteuererklärung
für das Streitjahr 2009 machte die Klägerin einen
Vorsteuerabzug in Höhe von 73.713,23 EUR geltend. Aufgrund von
Bruttoaufwendungen von 7.446.412,84 EUR waren Vorsteuerbeträge
von 1.188.923,06 EUR entstanden. Diese teilte die Klägerin
nach einem Flächenschlüssel auf und ging im Hinblick auf
die Steuerpflicht der Vermietung von Bistro und Büro von einem
anteiligen Recht auf Vorsteuerabzug von 6,2 % aus. Hieraus ergaben
sich abziehbare Vorsteuerbeträge in der geltend gemachten
Höhe.
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Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das
Finanzamt - FA - ) war demgegenüber im Anschluss an eine
Umsatzsteuersonderprüfung der Auffassung, dass für die
Klägerin ein anteiliges Recht auf Vorsteuerabzug bestehe und
daher abziehbare Vorsteuerbeträge von nur 24.929,98 EUR
vorlägen, da ein wirksamer Verzicht auf die Steuerfreiheit nur
bei der Vermietung des Bistros, nicht aber auch bei der Vermietung
an die X-GmbH vorliege. Die X-GmbH habe zu 20 %
vorsteuerschädliche Ausgangsumsätze ausgeführt.
Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg.
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In seinem in DStRE 2013, 1452
veröffentlichten Urteil vertrat das Finanzgericht (FG) die
Auffassung, die Klägerin habe bei der Vermietung an die X-GmbH
nicht wirksam auf die Steuerfreiheit verzichtet, da die X-GmbH die
angemieteten Flächen nicht ausschließlich für
Zwecke verwendet habe, die zum Vorsteuerabzug berechtigen. Es liege
auch kein wirksamer Teilverzicht vor, da ein abgrenzbarer
Funktionsbereich fehle, der Gegenstand eines selbständigen
Mietvertrags sein könne.
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Hiergegen wendet sich die Klägerin mit
der Revision, die sie auf Verletzung materiellen Rechts
stützt. In dem abzugsschädlich verwendeten Raum
hätten sich zwei Arbeitsplätze befunden, so dass nur die
Hälfte des Raums für Umsätze ohne Recht auf
Vorsteuerabzug genutzt worden sei. Bei einer flächenbezogenen
Betrachtung sei die Mieterin daher zu 97,2 % zum Vorsteuerabzug
berechtigt gewesen. § 9 Abs. 2 Satz 1 UStG enthalte nur eine
relative, nicht aber eine absolute Beschränkung. Die
Vorschrift diene der Bekämpfung missbräuchlicher
Gestaltungen. Gleichwohl sei der Grundsatz der
Verhältnismäßigkeit zu beachten. Die
Flächennutzung sei ein geeigneter Maßstab zur
Verwendungsbestimmung. Auch die Finanzverwaltung stelle auf einen
hypothetischen Vorsteuerabzug ab. Danach sei der Verzicht für
286,6 qm zulässig. Zudem ergebe sich aus der bisherigen
Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) nicht, dass einzelne
Flächen eines Raums nicht weiter aufgeteilt werden
können. Diese Rechtsprechung beziehe sich nur auf die
Vorsteueraufteilung, nicht aber auf den Verzicht.
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Die Klägerin beantragt, das Urteil des
FG aufzuheben und den Umsatzsteuerbescheid 2009 vom 27.1.2011 in
Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 24.10.2011 dahingehend zu
ändern, dass ihr ein weiterer Vorsteuerabzug in Höhe von
41.894 EUR gewährt wird.
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Das FA beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
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Sowohl bei einer umsatz- als auch bei einer
flächenbezogenen Betrachtungsweise lägen die
Voraussetzungen für einen Verzicht nicht vor. Die
Möglichkeit zur Teiloption beziehe sich nur auf abgrenzbare
Teilflächen. Bezogen auf einzelne Räume führe eine
Teiloption zu keinem anderen Ergebnis.
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II. Die Revision ist begründet. Das
Urteil des FG ist aufzuheben und die Sache an das FG
zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der
Finanzgerichtsordnung - FGO - ). Entgegen der Vorentscheidung ist
die Klägerin berechtigt, den Verzicht nach § 9 Abs. 2
Satz 1 UStG auch nur teilweise auszuüben. Hierzu sind im
zweiten Rechtsgang weitere Feststellungen zu treffen.
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1. Nach § 9 Abs. 2 Satz 1 UStG ist der
„Verzicht auf Steuerbefreiung nach Absatz 1 ... bei der
Bestellung und Übertragung von Erbbaurechten (§ 4 Nr. 9
Buchstabe a), bei der Vermietung oder Verpachtung von
Grundstücken (§ 4 Nr. 12 Satz 1 Buchstabe a) und bei den
in § 4 Nr. 12 Satz 1 Buchstabe b und c bezeichneten
Umsätzen nur zulässig, soweit der Leistungsempfänger
das Grundstück ausschließlich für Umsätze
verwendet oder zu verwenden beabsichtigt, die den Vorsteuerabzug
nicht ausschließen“.
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a) § 9 Abs. 2 Satz 1 UStG beruht
unionsrechtlich auf Art. 137 Abs. 1 Buchst. d der Richtlinie
2006/112/EG des Rates über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem
vom 28.11.2006 - MwStSystRL - (zuvor Art. 13 Teil C der Sechsten
Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17.5.1977 zur Harmonisierung
der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die
Umsatzsteuern - Richtlinie 77/388/EWG - ). Danach können die
Mitgliedstaaten ihren Steuerpflichtigen das Recht einräumen,
sich bei der Vermietung und Verpachtung von Grundstücken
für eine Besteuerung zu entscheiden. Dabei sind die
Mitgliedstaaten gemäß Art. 137 Abs. 2 MwStSystRL
berechtigt, die Einzelheiten für die Inanspruchnahme des
Wahlrechts festzulegen.
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b) Nach der zu Art. 13 Teil C der Richtlinie
77/388/EWG ergangenen Rechtsprechung des Gerichtshofs der
Europäischen Union (EuGH), die auch unter der Geltung von Art.
137 MwStSystRL zu beachten ist, „können die
Mitgliedstaaten aufgrund dieser Befugnis den Steuerpflichtigen, die
unter die Steuerbefreiungen der Sechsten Richtlinie fallen, die
Möglichkeit einräumen, in allen Fällen oder in
bestimmten Grenzen oder auch nach bestimmten Modalitäten auf
die Befreiung zu verzichten“. Die Mitgliedstaaten
verfügen insoweit über ein „weites
Ermessen“ (EuGH-Urteil vom 9.9.2004 C-269/03,
Vermietungsgesellschaft Objekt Kirchberg Sàrl, Slg. 2004,
I-8067 = SIS 04 37 98, Rdnr. 21). Entscheiden sie sich für die
Einführung eines Optionsrechts, können sie „auch
bestimmte Umsätze oder bestimmte Gruppen von Steuerpflichtigen
vom Geltungsbereich dieses Rechts ausnehmen“ (EuGH-Urteil
vom 12.1.2006 C-246/04, Turn- und Sportunion Waldburg, Slg. 2006,
I-589 = SIS 06 10 92, Rdnrn. 29 f.). Mitgliedstaaten, die von der
Befugnis Gebrauch machen, den Umfang des Optionsrechts zu
beschränken und die Modalitäten seiner Ausübung
festzulegen, müssen aber „die Ziele und die
allgemeinen Grundsätze der ... Richtlinie, insbesondere den
Grundsatz der steuerlichen Neutralität und das Erfordernis
einer korrekten, einfachen und einheitlichen Anwendung der
vorgesehenen Befreiungen, beachten“ (EuGH-Urteil Turn-
und Sportunion Waldburg in Slg. 2006, I-589, Rdnr. 31).
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c) Die in § 9 Abs. 2 Satz 1 UStG für
den Verzicht genannten Voraussetzungen stehen im Einklang mit dem
Unionsrecht. Es ist insbesondere mit dem Grundsatz der steuerlichen
Neutralität vereinbar, das Recht zum Verzicht auf die
Steuerfreiheit bei einer Vermietung davon abhängig zu machen,
dass der Mieter nicht nur Unternehmer ist, sondern das Mietobjekt
auch für Umsätze verwendet, die den Vorsteuerabzug nicht
ausschließen. Denn der Neutralitätsgrundsatz erfasst
zwar wirtschaftliche Tätigkeiten, steht aber unter dem
Vorbehalt, dass „diese Tätigkeiten grundsätzlich
selbst der Mehrwertsteuer unterliegen“ (EuGH-Urteil vom
6.9.2012 C-496/11, Portugal Telecom, UR 2012, 762 = SIS 12 25 04,
Rdnr. 44).
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2. § 9 Abs. 2 Satz 1 UStG lässt
einen nur teilweisen Verzicht im Umfang der Verwendung für
Umsätze zu, die den Vorsteuerabzug nicht ausschließen.
Das richtet sich nach der Verwendung des Mietgegenstandes, dessen
Überlassung ohne den Verzicht nach § 4 Nr. 12 UStG
steuerfrei wäre. Wesensmerkmal der (steuerfreien) Vermietung
ist es, dem Vertragspartner auf bestimmte Zeit gegen Vergütung
das Recht einzuräumen, ein Grundstück so in Besitz zu
nehmen, als wäre er dessen Eigentümer, und jede andere
Person von diesem Recht auszuschließen (BFH-Urteil vom
8.11.2012 V R 15/12, BFHE 239, 509, BStBl II 2013, 455 = SIS 13 11 18, unter II.1.a, m.w.N. zur EuGH-Rechtsprechung). Die somit
erforderliche Inbesitznahme des Grundstücks bezieht sich auf
die Flächen des mietweise überlassenen Grundstücks.
Dementsprechend kommt es beim Verzicht nach § 9 Abs. 2 Satz 1
UStG auf die Verwendung dieser Grundstücksflächen an.
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Berechtigt § 9 Abs. 2 Satz 1 UStG zu
teilweisem Verzicht, bezieht sich dieser dementsprechend auf
Teilflächen des Mietgegenstandes. Der Verzicht
gemäß § 9 Abs. 2 Satz 1 UStG kann daher auch
teilweise für einzelne Flächen eines Mietobjekts wirksam
sein, wenn diese Teilflächen eindeutig bestimmbar sind. Ebenso
wie bei der Vorsteueraufteilung nach § 15 Abs. 4 UStG sind
dabei die baulichen Gegebenheiten des vermieteten Grundstücks
zu berücksichtigen. Ist Mietgegenstand z.B. ein
gemischtgenutztes Gebäude, kann der Verzicht nach § 9
Abs. 2 Satz 1 UStG auf die Vermietung von Ladeneinheiten
beschränkt werden, die der Mieter für Umsätze
verwendet, die den Vorsteuerabzug nicht ausschließen, ohne
auch die steuerfreie Vermietung von Wohnungen zu erfassen (vgl.
BFH-Urteil vom 7.7.2011 V R 36/10, BFHE 234, 542, BStBl II 2012, 77
= SIS 11 34 43, unter II.3.c aa, zu § 15 Abs. 4 UStG).
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Einer derartigen Teiloption muss ein
hinreichend objektiv nachprüfbarer Aufteilungsmaßstab
zugrunde liegen. Dies ist bei einer Abgrenzung der Teilflächen
nach baulichen Merkmalen wie etwa nach den Räumen eines
Mietobjekts zu bejahen. Teilflächen innerhalb eines Raums sind
demgegenüber im Regelfall wie z.B. bei der Vermietung eines
Büros nicht hinreichend abgrenzbar.
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3. Im Streitfall ist danach das Urteil des FG
aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen. Zwar hat
das FG im Ergebnis zu Recht entschieden, dass ein
vollständiger Verzicht für die Gesamtheit der
Mietflächen nicht in Betracht kommt, da ein Raum mit einem
Anteil an der Gesamtfläche von 5,68 % auch für
vorsteuerabzugsschädliche Umsätze verwendet wurde.
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Es kommt aber ein Teilverzicht in Betracht, da
hierfür entgegen dem Urteil des FG kein abgrenzbarer
Funktionsbereich erforderlich ist, der Gegenstand eines
selbständigen Mietvertrags sein könnte. Möglich ist
vielmehr auch ein Teilverzicht, der sich auf einzelne Räume
bezieht, zumal auch die Vermietung eines Raums in einem Büro
Gegenstand eines eigenständigen Mietvertrags sein kann.
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Hierzu sind im zweiten Rechtsgang weitere
Feststellungen zu treffen. Dabei können Gemeinflächen wie
Flure, Küchen- und Sanitärflächen nach den
Verhältnissen des Streitfalls der steuerpflichtig vermieteten
Teilfläche zugerechnet werden, da nur einer von mehreren
Büroräumen - und dieser auch nur teilweise - für
vorsteuerabzugsschädliche Umsätze verwendet wurde.
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