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I. An der grundbesitzenden G-GmbH, deren
Stammkapital 25.000 EUR betrug, waren die Klägerin und
Revisionsbeklagte (Klägerin) zunächst mit einem
Geschäftsanteil von 16.200 EUR (64,8 %), F mit einem
Geschäftsanteil von 2.500 EUR (10 %) und die H-AG mit 6.300
EUR (25,2 %) beteiligt. Die Klägerin erwarb mit notariell
beurkundetem Kauf- und Abtretungsvertrag vom 18.12.2008 von der
H-AG deren Geschäftsanteil und ferner von F einen
Geschäftsanteil in Höhe von 1.250 EUR (5 %), so dass sie
mit insgesamt 23.750 EUR (95 %) an der G-GmbH beteiligt war. Der
Kaufpreis für den von F erworbenen Geschäftsanteil betrug
3.000 EUR. Der Notar zeigte den Kauf- und Abtretungsvertrag dem
seinerzeit zuständigen Finanzamt H mit Schreiben vom
22.12.2008 an.
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Das Finanzamt H setzte gegen die
Klägerin im Hinblick auf die in ihrer Person i.S. des § 1
Abs. 3 Nr. 1 des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG) vereinigten 95
% der Anteile an der G-GmbH durch Bescheid vom 30.11.2009
Grunderwerbsteuer in Höhe von 20.825 EUR fest. Gegen diesen
Bescheid legte die Klägerin Einspruch ein. Im Verlauf des
Einspruchsverfahrens vereinbarte die Klägerin mit F
gemäß notariell beurkundetem Vertrag vom 10.2.2010 die
Aufhebung des Kauf- und Abtretungsvertrags vom 18.12.2008 sowie die
Rückabtretung des Geschäftsanteils von 1.250 EUR an der
G-GmbH. In demselben Vertrag verkaufte F einen Geschäftsanteil
von 1.225 EUR zu einem Kaufpreis von 3.000 EUR an die Klägerin
und trat diesen an die Klägerin ab. Der Kaufpreisanspruch der
F wurde mit dem Anspruch der Klägerin auf Rückerstattung
des Kaufpreises aus dem Kauf- und Abtretungsvertrag vom 18.12.2008
vollumfänglich verrechnet.
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In der Einspruchsentscheidung erklärte
das Finanzamt H den Grunderwerbsteuerbescheid vom 30.11.2009
hinsichtlich der Frage, ob die Heranziehung der Grundbesitzwerte
i.S. von § 138 des Bewertungsgesetzes (BewG) als
Bemessungsgrundlage für die Grunderwerbsteuer
verfassungsgemäß sei, gemäß § 165 Abs. 1
Satz 2 Nr. 3 und 4 der Abgabenordnung für vorläufig und
wies im Übrigen den Einspruch als unbegründet
zurück.
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Die hiergegen erhobene Klage hatte Erfolg.
Das Finanzgericht (FG) führte zur Begründung aus, dass
der Aufhebungs- und Übertragungsvertrag vom 10.2.2010 zu einem
Rückerwerb von 0,1 % auf 94,9 % der Anteile an der G-GmbH und
damit zu einer nicht gemäß § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG
tatbestandsmäßigen Anteilsvereinigung geführt habe.
Es sei unschädlich, dass lediglich ein Teil der von F
gemäß Vertrag vom 18.12.2008 auf die Klägerin
übertragenen Anteile auf F zurückübertragen worden
sei. Die nach dem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 18.4.2012
II R 51/11 (BFHE 236, 569 = SIS 12 17 01) maßgebenden
Rechtsgrundsätze für die Anwendung des § 16 Abs. 2
GrEStG auf Erwerbsvorgänge i.S. des § 1 Abs. 2a GrEStG
seien auch auf Erwerbsvorgänge i.S. des § 1 Abs. 3 GrEStG
anzuwenden. § 16 Abs. 2 GrEStG verlange keine
vollständige Rückgängigmachung des
Rechtsgeschäfts, das den Anspruch auf Übertragung eines
oder mehrerer Anteile begründet habe.
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Mit der Revision rügt der Beklagte und
Revisionskläger (das nunmehr zuständige Finanzamt - FA -
) die Verletzung des § 16 Abs. 2 GrEStG. Bei
Erwerbsvorgängen nach § 1 Abs. 3 GrEStG führe ein
Rückerwerb von Anteilen nur dann zur Anwendung des § 16
Abs. 2 GrEStG, wenn eine vollständige
Rückübertragung der Anteile, deren Übergang die
Steuerbarkeit aus § 1 Abs. 3 GrEStG ausgelöst habe,
erfolge. Die im BFH-Urteil in BFHE 236, 569 = SIS 12 17 01 für
Erwerbsvorgänge i.S. des § 16 Abs. 2 GrEStG entwickelten
Grundsätze seien auf den Steuertatbestand des § 1 Abs. 3
GrEStG wegen seiner von § 1 Abs. 2a GrEStG abweichenden
Ausgestaltung des Steuertatbestands nicht übertragbar.
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Das FA beantragt, die Klage unter Aufhebung
der Vorentscheidung abzuweisen.
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Die Klägerin beantragt, die Revision
als unbegründet zurückzuweisen.
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II. Die Revision ist unbegründet und war
daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der
Finanzgerichtsordnung - FGO - ). Das FG hat zutreffend erkannt,
dass die Festsetzung der Grunderwerbsteuer gemäß §
16 Abs. 2 GrEStG aufzuheben war.
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1. Nach § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG
unterliegt der Grunderwerbsteuer u.a. ein Rechtsgeschäft, das
den Anspruch auf Übertragung eines oder mehrerer Anteile einer
grundbesitzenden Gesellschaft begründet, wenn durch die
Übertragung unmittelbar oder mittelbar mindestens 95 % der
Anteile der Gesellschaft in der Hand des Erwerbers allein vereinigt
werden würden.
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a) Die Steuerbarkeit wird nur durch den Erwerb
des letzten Anteils ausgelöst. Dabei ist der Vorgang, der zum
Erwerb dieses Anteils führt, zwar das die Steuer
auslösende Moment. Gegenstand der Steuer ist jedoch nicht der
Anteilserwerb als solcher, sondern die durch ihn begründete
Zuordnung von mindestens 95 % der Anteile in einer Hand. Mit dem
Anteilserwerb wird grunderwerbsteuerrechtlich derjenige, in dessen
Hand sich die Anteile vereinigen, so behandelt, als habe er die
Grundstücke von der Gesellschaft erworben, deren Anteile sich
in seiner Hand vereinigen (ständige Rechtsprechung, vgl.
BFH-Urteile vom 23.5.2012 II R 21/10, BFHE 237, 466, BStBl II 2012,
793 = SIS 12 19 49; vom 2.4.2008 II R 53/06, BFHE 220, 550, BStBl
II 2009, 544 = SIS 08 21 73).
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b) Im Streitfall war aufgrund des Kauf- und
Abtretungsvertrags vom 18.12.2008 durch Vereinigung von 95 % der
Anteile an der G-GmbH in der Hand der Klägerin der Tatbestand
des § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG erfüllt.
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2. Der Aufhebungs- und
Übertragungsvertrag vom 10.2.2010 erfüllt die
Anforderungen des § 16 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG, so dass die
Festsetzung der Grunderwerbsteuer für die in der Hand der
Klägerin eingetretene Anteilsvereinigung aufzuheben war.
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a) Erwirbt der Veräußerer das
Eigentum an dem veräußerten Grundstück zurück,
so wird nach § 16 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG auf Antrag sowohl
für den Rückerwerb als auch für den vorausgegangenen
Erwerbsvorgang die Steuer nicht festgesetzt oder die
Steuerfestsetzung aufgehoben, wenn der Rückerwerb innerhalb
von zwei Jahren seit der Entstehung der Steuer für den
vorausgegangenen Erwerbsvorgang stattfindet. Diese Vorschrift
betrifft über ihren Wortlaut hinaus auch Erwerbsvorgänge
nach § 1 Abs. 2, 2a und 3 GrEStG. Dies folgt aus § 16
Abs. 5 GrEStG, wonach § 16 Abs. 1 bis 4 GrEStG nicht gilt,
wenn einer der in § 1 Abs. 2, 2a und 3 GrEStG bezeichneten
Erwerbsvorgänge rückgängig gemacht wird, der nicht
ordnungsgemäß angezeigt worden war. Diese Regelung setzt
die grundsätzliche Anwendbarkeit der
Begünstigungsvorschrift des § 16 GrEStG auch auf
Tatbestände des § 1 Abs. 3 GrEStG voraus
(BFH-Entscheidungen vom 2.3.2011 II R 64/08, BFH/NV 2011, 1009 =
SIS 11 15 97; vom 16.1.1980 II R 83/74, BFHE 130, 70, BStBl II
1980, 359 = SIS 80 01 96; vom 16.1.1963 II 58/61, HFR 1964,
241).
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b) Der zwischen der Klägerin und F
geschlossene Vertrag vom 10.2.2010, durch den zum einen der
zwischen diesen Vertragsparteien geschlossene Kauf- und
Abtretungsvertrag vom 18.12.2008 aufgehoben und die Klägerin
sodann einen Geschäftsanteil von 1.225 EUR an der G-GmbH von F
erworben hat, genügt den Anforderungen eines Rückerwerbs
i.S. des § 16 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG. Aufgrund des Vertrags vom
10.2.2010 hat sich die Beteiligung der Klägerin an der G-GmbH
innerhalb von zwei Jahren seit Entstehung der Steuer aus § 1
Abs. 3 GrEStG auf einen den tatbestandlichen Voraussetzungen des
§ 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG nicht genügenden Anteil von 94,9
% ermäßigt.
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c) Der Anwendung des § 16 Abs. 2 Nr. 1
GrEStG steht nicht entgegen, dass keine vollständige
Rückabwicklung sämtlicher Anteilserwerbe, die
gemäß Vertrag vom 18.12.2008 zur
Tatbestandsverwirklichung des § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG
geführt haben, erfolgt ist. Für die Anwendung des §
16 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG ist allein entscheidend, dass aufgrund des
Vertrags vom 10.2.2010 weniger als 95 % der Anteile in der Hand der
Klägerin vereinigt wurden und dass hinsichtlich des auf F
zurückübertragenen Anteils von 0,1 % eine
vollständige Rückübertragung erfolgt ist.
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aa) Für die Anwendung des § 16 Abs.
2 Nr. 1 GrEStG auf eine Anteilsvereinigung (§ 1 Abs. 3 Nr. 1
und Nr. 2 GrEStG) gilt insoweit nichts anderes als für
Erwerbsvorgänge i.S. des § 1 Abs. 2a GrEStG. Die
Voraussetzungen des § 16 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG sind bei
Erwerbsvorgängen nach § 1 Abs. 2a GrEStG bereits dann
erfüllt, wenn aufgrund eines Anteilsrückerwerbs innerhalb
von zwei Jahren seit Entstehung der Steuer für diesen
Erwerbsvorgang die in § 1 Abs. 2a GrEStG bestimmte Grenze von
95 % der Anteile am Gesellschaftsvermögen nicht mehr erreicht
wird (BFH-Urteil in BFHE 236, 569 = SIS 12 17 01). Eines
Rückerwerbs sämtlicher Anteile, deren Übergang zur
Verwirklichung des Steuertatbestands des § 1 Abs. 2a GrEStG
beigetragen hat, bedarf es nicht.
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bb) Diese auch für die
Rückgängigmachung einer Anteilsvereinigung
maßgebende Rechtslage folgt aus dem systematischen
Zusammenhang zwischen § 16 GrEStG und den
Steuertatbeständen des § 1 GrEStG. § 16 GrEStG ist
eine am Besteuerungszweck orientierte gegenläufige
Korrekturvorschrift zu § 1 GrEStG (BFH-Urteile vom 25.4.2007
II R 18/05, BFHE 217, 276, BStBl II 2007, 726 = SIS 07 24 60; vom
19.3.2003 II R 12/01, BFHE 202, 383, BStBl II 2003, 770 = SIS 03 34 41). Der Steuertatbestand des § 1 Abs. 3 Nr. 1 und 2 GrEStG
ist ausschließlich dann erfüllt, wenn 95 % der Anteile
am Gesellschaftsvermögen in einer Hand vereinigt werden. Wird
daher durch Anteilsrückerwerb nach § 16 Abs. 2 Nr. 1
GrEStG eine nach § 1 Abs. 3 Nr. 1 und Nr. 2 GrEStG steuerbare
Anteilsvereinigung in der Weise beseitigt, dass das von dieser
Vorschrift vorausgesetzte Quantum von 95 % der Anteile der
Gesellschaft unterschritten wird, ist der Steuertatbestand des
§ 1 Abs. 3 Nr. 1 und Nr. 2 GrEStG nicht (mehr)
erfüllt.
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cc) Eine Einschränkung dieser
Rechtsgrundsätze ergibt sich auch nicht aus den vom FA
herausgestellten Besonderheiten des Steuertatbestands des § 1
Abs. 3 Nr. 1 und Nr. 2 GrEStG im Vergleich zu dem des § 1 Abs.
2a GrEStG.
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Zwar fingiert § 1 Abs. 2a GrEStG - im
Unterschied zum Steuertatbestand des § 1 Abs. 3 Nr. 1 und Nr.
2 GrEStG - ein auf Übereignung des Grundstücks auf eine
„neue“ Personengesellschaft gerichtetes
Rechtsgeschäft. Die Vorschrift erfasst damit nicht die
geänderte Sachherrschaft über ein Grundstück in der
Person neuer Gesellschafter, sondern die geänderte Zuordnung
der Gesellschaftsgrundstücke auf der Gesellschaftsebene
(BFH-Beschluss vom 11.9.2002 II B 113/02, BFHE 199, 32, BStBl II
2002, 777 = SIS 02 94 74). Dieser rechtskonstruktive Unterschied
zwischen beiden Steuertatbeständen findet seinen Ausdruck auch
in den unterschiedlichen Regelungen über die
Steuerschuldnerschaft (§ 13 Nr. 5 Buchst. a und b GrEStG
einerseits und § 13 Nr. 6 GrEStG andererseits). Für die
Anwendung des § 16 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG ist aber letztlich nur
entscheidend, ob aufgrund eines Rückerwerbs von Anteilen das
in § 1 Abs. 3 Nr. 1 und Nr. 2 GrEStG vorausgesetzte Quantum
von 95 % der Anteile unterschritten wird und damit dieser
Steuertatbestand nicht (mehr) erfüllt ist.
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d) Im Streitfall ist hinsichtlich eines
Anteils von 0,1 % an der G-GmbH eine vollständige
Rückübertragung auf F erfolgt. Der Anwendung des §
16 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG steht nicht entgegen, dass der der
Klägerin aus der Aufhebung des Anteilskaufvertrags vom
18.12.2008 gegen F zustehende Anspruch auf
Kaufpreisrückerstattung mit dem Kaufpreisanspruch der F aus
dem Geschäftsanteilskauf- und -abtretungsvertrag vom 10.2.2010
verrechnet wurde. Die Gegenleistung für einen Anteilserwerb
ist im Zusammenhang mit § 1 Abs. 3 GrEStG ohne Bedeutung, weil
sich die Bemessungsgrundlage gemäß § 8 Abs. 2 Satz
1 Nr. 3 GrEStG ausschließlich nach den Werten i.S. des §
138 Abs. 2 bis 4 BewG bestimmt. Auch im Zusammenhang mit der
Nichtfestsetzung der Steuer oder der Aufhebung der
Steuerfestsetzung für einen dieser Vorschrift unterfallenden
Erwerbsvorgang kommt es daher auf die Gegenleistung nicht an.
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e) Ob und gegebenenfalls welche weiteren
Voraussetzungen an einen den Anforderungen des § 16 Abs. 2 Nr.
1 GrEStG genügenden Anteilsrückerwerb zu stellen sind,
wenn im Zusammenhang mit einer Rückübertragung von
Anteilen deren Weiterübertragung an Dritte erfolgt, kann offen
bleiben. Im Streitfall ist eine solche Weiterübertragung nicht
erfolgt.
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