1
|
I. Streitig ist, ob die Klägerin und
Revisionsbeklagte (Klägerin), deren Mitarbeiter verbilligt
Waren von einem Lieferanten der Klägerin bezogen haben,
insoweit zum Lohnsteuerabzug verpflichtet war.
|
|
|
2
|
Die Klägerin war in den Jahren 2004
bis 2006 Trägerin eines Krankenhauses und beschäftigte
dort 750 Mitarbeiter. Sie bezog in diesem Zeitraum aufgrund eines
seit dem Jahr 1998 bestehenden Versorgungsvertrags Apothekenartikel
aller Art von der Firma X. X lieferte darüber hinaus im Rahmen
eines sog. „Mitarbeiter-Vorteilsprogramms“ an die
Mitarbeiter der Klägerin ebenfalls Apothekenartikel aller Art,
wobei die Mitarbeiter einen Nachlass auf den üblichen
Apothekenendpreis erhielten. Das Mitarbeiter-Vorteilsprogramm war
von X initiiert und den Mitarbeitern bekannt gemacht worden. Die
Klägerin hatte diese Bekanntmachung in ihrem Betrieb
geduldet.
|
|
|
3
|
Die Artikel bestellten die Mitarbeiter von
ihrem Arbeitsplatz aus direkt bei X, wobei sie die Station, Name
und Krankenhaus, ggf. die Kundennummer angaben. X lieferte dann die
bestellten Artikel den Mitarbeitern direkt an deren Arbeitsplatz im
Betrieb der Klägerin, was die Klägerin ebenfalls duldete.
Die Mitarbeiter bezahlten die von ihnen bestellten Artikel mittels
Einzugsermächtigung direkt an X.
|
|
|
4
|
Die Klägerin gab regelmäßig
Lohnsteuer-Voranmeldungen ab. Die Belieferung ihrer Mitarbeiter
durch X sah sie dabei als lohnsteuerlich unerheblichen Vorgang
an.
|
|
|
5
|
Im Anschluss an eine
Lohnsteuer-Außenprüfung gelangte der Beklagte und
Revisionskläger (das Finanzamt - FA - ), dem Prüfer
folgend, zu der Auffassung, die von X den Mitarbeitern
eingeräumten Rabatte seien als Arbeitslohn von dritter Seite
anzusehen und entsprechend lohnzuversteuern. Das FA ermittelte
anhand einer Vergleichstabelle für 12 Apothekenartikel eine
durchschnittliche Ersparnis von rund 40 %.
|
|
|
6
|
Mangels Unterlagen ermittelte das FA die
als Arbeitslohn anzusetzenden Beträge im Schätzungswege.
Dabei ging es davon aus, dass in 12 % der Fälle Arbeitnehmer
die Freigrenze des § 8 Abs. 2 Satz 9 des
Einkommensteuergesetzes (EStG) überschritten hätten und
der durchschnittliche Rabatt bei jeder dieser Lieferungen bei 60
EUR gelegen habe, so dass der nachzuversteuernde geldwerte Vorteil
pro Jahr 64.800 EUR betragen habe, nämlich 750 Mitarbeiter x
12 Monate x 60 EUR/Fall x 12 % = 64.800 EUR. Das FA wandte dann auf
den geldwerten Vorteil einen Bruttosteuersatz von 30 % an, so dass
sich ein jährlicher Haftungsbetrag von 19.440 EUR
ergab.
|
|
|
7
|
Das FA erließ gegenüber der
Klägerin einen entsprechenden Haftungsbescheid. Zur
Begründung gab es an, die Klägerin hafte als
Arbeitgeberin nach § 42d EStG, weil sie Lohnsteuer und andere
Lohnabzugsbeträge in unzutreffender Höhe einbehalten,
angemeldet und abgeführt habe. Die Klägerin werde an
Stelle der jeweiligen Arbeitnehmer in Haftung genommen, weil ein
Haftungsausschluss nicht vorliege und sie sich mit ihrer
Inanspruchnahme einverstanden erklärt habe.
|
|
|
8
|
Die dagegen nach erfolglosem
Einspruchsverfahren erhobene Klage war aus den in EFG 2012, 364 =
SIS 12 01 54 veröffentlichten Gründen erfolgreich. Die im
Rahmen des „Mitarbeiter-Vorteilsprogramms“ verbilligt
überlassenen Apothekenartikel stellten keinen dem
Lohnsteuerabzug unterliegenden Arbeitslohn von dritter Seite
dar.
|
|
|
9
|
Mit der Revision rügt das FA die
Verletzung materiellen Rechts.
|
|
|
10
|
Es beantragt, das angefochtene Urteil des
Niedersächsischen Finanzgerichts (FG) vom 17.11.2011 11 K
128/10 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
|
|
|
11
|
Die Klägerin beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
|
|
|
12
|
II. Die Revision des FA ist unbegründet
und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der
Finanzgerichtsordnung - FGO - ). Das FG hat zu Recht entschieden,
dass die Klägerin wegen der Vorteile ihrer Arbeitnehmer aus
dem verbilligten Bezug von Apothekenartikeln der X nicht zum
Lohnsteuerabzug verpflichtet war.
|
|
|
13
|
1. Nach § 42d Abs. 1 Nr. 1 EStG haftet
der Arbeitgeber für die Lohnsteuer, die er nach § 38 Abs.
1 Sätze 1 und 3, Abs. 3 Satz 1 EStG bei jeder Lohnzahlung vom
Arbeitslohn - auch soweit er durch einen Dritten gewährt wird
- für Rechnung des Arbeitnehmers einzubehalten und nach §
41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG abzuführen hat.
|
|
|
14
|
a) Zu den Einkünften aus
nichtselbständiger Arbeit gehören gemäß §
19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG - neben Gehältern und Löhnen
- auch andere Bezüge und Vorteile, die
„für“ eine Beschäftigung im
öffentlichen oder privaten Dienst gewährt werden. Dabei
ist gleichgültig, ob ein Rechtsanspruch auf sie besteht
(§ 19 Abs. 1 Satz 2 EStG) oder unter welcher Bezeichnung oder
in welcher Form sie gewährt werden (§ 2 Abs. 1 Satz 2 der
Lohnsteuer-Durchführungsverordnung in der im Streitjahr
geltenden Fassung).
|
|
|
15
|
b) Nach ständiger Rechtsprechung (z.B.
Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 30.5.2001 VI R 159/99,
BFHE 195, 364, BStBl II 2001, 815 = SIS 01 09 99; vom 22.3.1985 VI
R 170/82, BFHE 143, 544, BStBl II 1985, 529 = SIS 85 18 29; vom
11.12.2008 VI R 9/05, BFHE 224, 70, BStBl II 2009, 385 = SIS 09 05 70; vom 30.7.2009 VI R 54/08, BFH/NV 2010, 30 = SIS 09 37 04, und
vom 20.5.2010 VI R 41/09, BFHE 229, 346, BStBl II 2010, 1022 = SIS 10 20 98) werden Bezüge oder Vorteile für eine
Beschäftigung gewährt, wenn sie durch das individuelle
Dienstverhältnis veranlasst worden sind. Erforderlich ist
nicht, dass sie eine Gegenleistung für eine konkrete
(einzelne) Dienstleistung des Arbeitnehmers sind. Eine Veranlassung
durch das individuelle Dienstverhältnis ist vielmehr zu
bejahen, wenn die Einnahmen dem Empfänger mit Rücksicht
auf das Dienstverhältnis zufließen und sich als Ertrag
der nichtselbständigen Arbeit darstellen, d.h. wenn sich die
Leistung des Arbeitgebers im weitesten Sinne als Gegenleistung
für das Zurverfügungstellen der individuellen
Arbeitskraft des Arbeitnehmers erweist (vgl. Schmidt/Krüger,
EStG, 31. Aufl., § 19 Rz 24).
|
|
|
16
|
c) Arbeitslohn kann (ausnahmsweise) auch bei
der Zuwendung eines Dritten anzunehmen sein, wenn diese ein Entgelt
„für“ eine Leistung bildet, die der
Arbeitnehmer im Rahmen des Dienstverhältnisses für seinen
Arbeitgeber erbringt, erbracht hat oder erbringen soll.
Voraussetzung ist, dass sie sich für den Arbeitnehmer als
Frucht seiner Arbeit für den Arbeitgeber darstellt und im
Zusammenhang mit dem Dienstverhältnis steht (z.B. BFH-Urteile
vom 24.2.1981 VIII R 109/76, BFHE 133, 375, BStBl II 1981, 707 =
SIS 81 22 30; vom 5.7.1996 VI R 10/96, BFHE 180, 441, BStBl II
1996, 545 = SIS 96 19 38; vom 19.8.2004 VI R 33/97, BFHE 207, 230,
BStBl II 2004, 1076 = SIS 04 38 35; vom 10.5.2006 IX R 82/98, BFHE
213, 487, BStBl II 2006, 669 = SIS 06 30 11; bestätigt u.a.
durch BFH-Urteile vom 19.6.2008 VI R 4/05, BFHE 222, 353, BStBl II
2008, 826 = SIS 08 31 17, und vom 20.11.2008 VI R 25/05, BFHE 223,
419, BStBl II 2009, 382 = SIS 09 03 43; vom 18.12.2008 VI R 8/06,
BFH/NV 2009, 382 = SIS 09 05 99, und VI R 49/06, BFHE 224, 103,
BStBl II 2009, 820 = SIS 09 00 51; in BFHE 229, 346, BStBl II 2010,
1022 = SIS 10 20 98; Pflüger in Herrmann/Heuer/Raupach, §
19 EStG Rz 170 f.). Arbeitslohn liegt jedoch dann nicht vor, wenn
die Zuwendung wegen anderer Rechtsbeziehungen oder wegen sonstiger
nicht auf dem Dienstverhältnis beruhender Beziehungen zwischen
Arbeitnehmer und Arbeitgeber gewährt wird (BFH-Urteile in BFHE
143, 544, BStBl II 1985, 529 = SIS 85 18 29; vom 24.1.2001 I R
100/98, BFHE 195, 102, BStBl II 2001, 509 = SIS 01 08 94; vom
17.6.2009 VI R 69/06, BFHE 226, 47, BStBl II 2010, 69 = SIS 09 29 90, m.w.N., und in BFHE 229, 346, BStBl II 2010, 1022 = SIS 10 20 98; Schmidt/Krüger, a.a.O., § 19 Rz 29, m.w.N.).
|
|
|
17
|
d) Die Beantwortung der Frage, ob eine
Zuwendung (eines Dritten) durch das Dienstverhältnis
veranlasst ist, obliegt in erster Linie der tatrichterlichen
Würdigung durch das FG. Denn ob ein Leistungsaustausch
zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer den Einkünften aus
nichtselbständiger Arbeit oder aufgrund einer
Sonderrechtsbeziehung einer anderen Einkunftsart oder dem nicht
einkommensteuerbaren Bereich zuzurechnen ist, kann, auch wenn - wie
im Streitfall - durch Dritte gewährte Vorteile in Rede stehen,
nur aufgrund einer Würdigung aller wesentlichen Umstände
des Einzelfalles entschieden werden (BFH-Urteil in BFHE 229, 346,
BStBl II 2010, 1022 = SIS 10 20 98).
|
|
|
18
|
2. Nach diesen Grundsätzen hat das FG
eine Gesamtwürdigung vorgenommen. Es ist dabei zu dem Ergebnis
gelangt, dass es sich bei der Rabattgewährung durch X nicht um
- durch einen Dritten vermittelten - Arbeitslohn handelt. Dies ist
revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Denn die Würdigung
des FG, nach der hinter dem Mitarbeiter-Vorteilsprogramm vor allem
das Interesse von X, Kunden zu gewinnen, an sich zu binden (nicht
zuletzt auch die Klägerin) und trotz der rabattierten Preise
durch Synergieeffekte einen zusätzlichen Gewinn zu
erwirtschaften, steht, verstößt weder gegen Denkgesetze
noch Erfahrungssätze. Sie ist vielmehr im Streitfall
naheliegend.
|
|
|
19
|
a) Denn allein der Umstand, dass X den
Preisnachlass lediglich den Mitarbeitern der Klägerin und
nicht auch Arbeitnehmern anderer, nicht von ihr belieferter
Krankenhäuser gewährt hat, vermag den erforderlichen
Veranlassungszusammenhang zwischen Vorteilsgewährung und
Arbeitsleistung entgegen der Auffassung des FA nicht zu
begründen. Das FA kann sich insoweit insbesondere nicht auf
das Senatsurteil in BFHE 229, 346, BStBl II 2010, 1022 = SIS 10 20 98 berufen. Denn der BFH hat dort zwar entschieden, der Umstand,
dass eine Bausparkasse sowohl bei Arbeitnehmern ihrer
„Partnerbanken“ als auch bei ihren freien
Handelsvertretern und deren Arbeitnehmern sowie den
Beschäftigten anderer genossenschaftlich organisierter
Unternehmen und Kooperationspartner auf die Erhebung von
Abschlussgebühren verzichte, begründe Zweifel daran, ob
dieser Gebührenvorteil Arbeitslohn sei. Diese Erkenntnis
erlaubt jedoch nicht den vom FA gezogenen Umkehrschluss, dass immer
dann Arbeitslohn vorliegt, wenn ausschließlich Arbeitnehmer
eines Unternehmens durch Zuwendungen oder Preisnachlässe eines
Dritten, sei es ein Geschäftspartner des Arbeitgebers oder ein
Unternehmen, das keine entsprechenden Geschäftsbeziehungen
pflegt, begünstigt sind. Einen entsprechenden
„Automatismus“ vermag der Umstand, dass
lediglich Arbeitnehmer eines Unternehmens - hier der Klägerin
- die streitgegenständlichen Rabatte in Anspruch nehmen
können, nicht zu begründen. Denn dadurch stellt sich ein
Preisnachlass (noch nicht) als Frucht der Arbeitsleistung für
den Arbeitgeber dar. Davon kann erst ausgegangen werden, wenn sich
die Zuwendung als durch den Dritten vermittelter Arbeitslohn des
Arbeitgebers darstellt, der Arbeitgeber beispielsweise einen ihm
zustehenden Vorteil etwa im abgekürzten Zahlungswege als
Arbeitsentgelt an seine Mitarbeiter weitergibt. Dies beurteilt sich
jedoch nicht ausschließlich nach dem Empfängerkreis der
Drittzuwendung, sondern nach deren Rechtsgrund und damit nicht
zuletzt danach, ob der Dritte den Vorteil aus eigenwirtschaftlichem
Interesse oder im Interesse des Arbeitgebers gewährt.
|
|
|
20
|
b) Auch die vermeintliche Mitwirkung der
Klägerin an der Verschaffung der von X gewährten
Preisvorteile erlaubt es im Streitfall nicht, die streitigen
Rabatte als Arbeitslohn Dritter einzuordnen. Soweit das FA in der
mündlichen Verhandlung vorgetragen hat, dass die Klägerin
in die Einführung des Mitarbeiter-Vorteilsprogramms
eingewilligt, die Belegschaft über die Preisvorteile durch
einen Aushang am „schwarzen Brett“ informiert
und Störungen im Betriebsablauf durch die
„Auslieferung“ der Apothekenartikel geduldet
hat, vermag der Senat hierin schon kein aktives Mitwirken an der
Gewährung der Rabatte durch X zu erkennen. Im Übrigen
gehören Preisvorteile, die ein Dritter Arbeitnehmern
einräumt, - entgegen dem Vorbringen der Revision - nicht
allein deshalb zum Arbeitslohn, weil der Arbeitgeber an der
Verschaffung der Rabatte mitgewirkt hat. Zwar kann die Mitwirkung
des Arbeitgebers an Preisvorteilen (Rabatten), die Arbeitnehmern
von dritter Seite eingeräumt werden, dafür sprechen, dass
die Drittzuwendung wirtschaftlich betrachtet Arbeitslohn ist.
Zwingend ist dies jedoch nicht. Die insoweit gegenteilige
Auffassung der Finanzbehörden (Schreiben des
Bundesministeriums der Finanzen - BMF - vom 27.9.1993 IV B 6 - S
2334 - 152/93, BStBl I 1993, 814 = SIS 93 20 53, auf das sich das
BMF-Schreiben vom 27.1.2004 IV C 5 - S 2000 - 2/04, BStBl I 2004,
173 = SIS 04 05 26 zu der ab dem 1.1.2004 gültigen Rechtslage
bezieht) teilt der Senat nicht. Entscheidend ist vielmehr, ob die
Zuwendung des Dritten Prämie oder Belohnung für eine
Leistung ist, die der Arbeitnehmer im Rahmen seines
Arbeitsverhältnisses für den Arbeitgeber erbringt (z.B.
BFH-Urteil in BFHE 133, 375, BStBl II 1981, 707 = SIS 81 22 30,
m.w.N.).
|