Auf die Revisionen des Beklagten und der
Klägerin wird das Urteil des Finanzgerichts Hamburg vom
21.09.2021 - 4 K 19/20 = SIS 22 02 09 aufgehoben, soweit dies die
Festsetzung von Stromsteuer für das Kalenderjahr 2016
betrifft.
Die Steueranmeldung vom … für das
Kalenderjahr 2016 in Gestalt des Steuerbescheids vom … -
VS-XXX-1, der Einspruchsentscheidung vom … und des
Steueränderungsbescheids vom … - VSP-XXX-3 wird
dahingehend geändert, dass der Stromverbrauch für die
Kohleförderbänder zu den Kohlekreislagern, für die
Kohleförderbänder ab den Kohlekreislagern und für
die Kohlekreislager von der Stromsteuer befreit sind.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Berechnung der Steuer wird dem Beklagten
übertragen.
Die Revisionen des Beklagten und der
Klägerin gegen das Urteil des Finanzgerichts Hamburg vom
21.09.2021 - 4 K 19/20 werden zurückgewiesen, soweit dies die
Festsetzung von Stromsteuer für das Kalenderjahr 2017
betrifft.
Die Kosten des Klageverfahrens bis zum
… haben die Klägerin zu 15 % und der Beklagte zu 85 %
zu tragen.
Die Kosten des Klageverfahrens ab dem …
haben die Klägerin zu 28 % und der Beklagte zu 72 % zu
tragen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens fallen der
Klägerin zu 30 % und dem Beklagten zu 70 % zur Last.
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I. Die Klägerin, Revisionsbeklagte und
Revisionsklägerin (Klägerin) betrieb in den Streitjahren
2016 und 2017 ein Steinkohlekraftwerk zur Stromerzeugung. Sie
verfügte über die Erlaubnis, Strom zur Stromerzeugung
steuerfrei nach § 9 Abs. 1 Nr. 2 des Stromsteuergesetzes in
der für die Streitjahre geltenden Fassung (StromStG) zu
entnehmen, und über die Erlaubnis, Kohle nach § 37 Abs. 2
Satz 1 Nr. 3 des Energiesteuergesetzes in der für die
Streitjahre geltenden Fassung (EnergieStG) steuerfrei als Heizstoff
zur Stromerzeugung zu verwenden.
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Die Klägerin beschäftigte in
ihrem Kraftwerk circa … eigene Mitarbeiter. Zur Abdeckung
von Arbeitsspitzen hatte die Klägerin mit der …
(Dienstleistungsunternehmen) einen Vertrag über die
Durchführung von Tätigkeiten der Ver- und Entsorgung
geschlossen. Daher waren laufend … Mitarbeiter des
Dienstleistungsunternehmens auf dem Betriebsgelände der
Klägerin tätig. Insgesamt waren im Schichtbetrieb
… Mitarbeiter des Dienstleistungsunternehmens
ausschließlich bei der Klägerin eingesetzt. In den
Zeiten der Schiffsbe- und -entladung stellte das
Dienstleistungsunternehmen zusätzlich pro Schicht …
Kranfahrer und weiteres logistisches Personal (zum Beispiel
Schiffstrimmer). Die personalintensiven Schiffsbe- und
-entladevorgänge betreffend Kohle und Reststoffe kamen aber
nicht laufend vor, denn verschiedene Lager auf dem
Kraftwerksgelände dienten als Puffer zur zeitlichen
Entkopplung der Ver- und Entsorgung vom laufenden
Kraftwerksbetrieb.
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Für den Kraftwerksbetrieb
verantwortlich war der Kraftwerksleiter, in dessen Abwesenheit der
Produktionsleiter und in dessen Abwesenheit der Schichtleiter, alle
drei eigene Mitarbeiter der Klägerin. Der Schichtleiter war
verantwortlich für den Betrieb der Anlagen und der technischen
Systeme des Kraftwerks. Er war weisungsbefugt gegenüber den
Mitarbeitern der Klägerin und dem Personal des
Dienstleistungsunternehmens.
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Der Kraftwerksbetrieb wurde wesentlich
über … Arbeitsplätze im Kraftwerksleitstand
gesteuert. Diese waren mit dem Schichtleiter und … weiteren
Mitarbeitern der Klägerin sowie dem sogenannten Ver- und
Entsorgungs-Koordinator (V+E-Koordinator), einem Mitarbeiter des
Dienstleistungsunternehmens, besetzt. Die Leitstandfahrer der
Klägerin steuerten mittels der „Leitstände A und
B“ die „Kraftwerksblöcke A und
B“ und mittels des „Leitstands
Y“ übergeordnete Vorgänge, die sich
nicht eindeutig einem der beiden Blöcke zuordnen ließen
(zum Beispiel die Wasseraufbereitung). Der V+E-Koordinator steuerte
mittels des „Leitstands V+E“ zahlreiche
Ver- und Entsorgungsprozesse im Kraftwerk. Er wurde bei
kurzfristiger Abwesenheit von einem Leitstandfahrer der
Klägerin vertreten. Der Schichtleiter konnte mit dem
übergeordneten Schichtleiterpult alle Aggregate bedienen und
im Bedarfsfall die komplette Steuerung inklusive spezieller
(Override-)Funktionen übernehmen, für die er die
ausschließliche Berechtigung hatte.
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In täglichen Betriebsbesprechungen,
den sogenannten Bekohlungsrunden, stimmten die Beschäftigten
der Klägerin und der V+E-Koordinator die Kraftwerksprozesse
ab. Stets begann der V+E-Koordinator die Bekohlungsrunde durch
einen Statusbericht der letzten Schiffsentladungen, der Schichtung
der Kohle in den Kohlekreislagern und möglicher Defekte oder
Probleme in den vom Dienstleistungsunternehmen bedienten
Anlagenteilen. Der Produktionsleiter beziehungsweise der
Schichtleiter der Klägerin legte sodann unter Beachtung der
betrieblichen und behördlichen Produktions- und
Emissionsvorgaben fest, welche Kohlebestände an dem Tag
verarbeitet werden sollten. Der V+E-Koordinator setzte diese
Bekohlungsanweisung in Abstimmung mit dem klägerischen Leiter
des Stoffstrommanagements und dem leitenden Anlageningenieur um und
bestückte über den Leitstand V+E die Tagesbunker mit der
richtigen Kohlemischung aus den Kohlekreislagern. Über den
Leitstand V+E steuerte beziehungsweise überwachte der
V+E-Koordinator zudem die Entladung des Gipskreislagers sowie der
Asche- und Schlackesilos auf Lastkraftwagen und Schiffe.
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Der V+E-Koordinator war nicht berechtigt,
den Betriebsablauf eigenständig zu ändern, etwa durch
eine Änderung der Kohlesorten. Gegenüber dem Personal des
Dienstleistungsunternehmens war der V+E-Koordinator weisungsbefugt,
er unterlag aber seinerseits den Weisungen des
Schichtleiters.
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Das Kohlekraftwerk wurde im Einzelnen
folgendermaßen betrieben:
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Die Kohle wurde mit Massengutfrachtern
(maximale Ladekapazität von … t) angeliefert und am
eigenen Kai durch strombetriebene Entladekräne gelöscht,
die von Kranfahrern des Dienstleistungsunternehmens bedient wurden.
Die Entladung wurde vom Vormann des Dienstleistungsunternehmens
koordiniert, der vom Schiffsführer angewiesen wurde, welche
Luken zuerst entladen werden mussten. Die Kohle wurde am Kai auf
strombetriebene Förderbänder geladen, die zu dem
Kohleübergabebauwerk und von dort zu den beiden auf dem
Kraftwerksgelände befindlichen Kohlekreislagern mit einem
Fassungsvermögen von jeweils … t Kohle führten
(Leitstand V+E). Bei Volllast wäre diese Menge innerhalb von
circa vier Wochen verbraucht worden; eine längere Lagerung war
aufgrund einer Brandschutzauflage unzulässig und wäre
unter anderem wegen der Möglichkeit spontaner
Selbstentzündung gefährlich gewesen. Der Betrieb sowie
die Klimatisierung und Lüftung der Kohlekreislager waren
strombetrieben. In den Kohlekreislagern wurde Kohle mit
unterschiedlichen chemischen Qualitäten mittels
strombetriebener elektrischer „Absetzer“
(Leitstand V+E) sortenrein eingelagert.
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Auf diese Bestände wurde durch
strombetriebene „Kratzer“ zugegriffen.
Das heizwert- und emissionsbezogen optimale Mischen der Kohle
erfolgte über den Abwurf auf nachgelagerte
Förderbänder (Leitstand V+E). Zur Verstromung wurde die
Kohle über diese Förderbänder in … jeweils
… t fassende Tagesbunker - jeweils … pro
Kraftwerksblock - transportiert, in denen die verschiedenen in den
Kohlekreislagern befindlichen Kohlesorten im optimalen
Mischungsverhältnis vorgehalten wurden (Leitstand V+E).
Für Ausnahmefälle war eine sogenannte Direktbekohlung
unter Umgehung der Kohlekreislager möglich, die aber eine
Brandgefahr beinhaltete und das Risiko von Fremdkörpern in der
Kohle, welche die Kohlemühlen beschädigen könnten,
barg. Zudem konnte bei einer Direktbekohlung keine hinreichende
Kohleanalyse zur Einhaltung der Emissionsgrenzwerte
durchgeführt werden. Die immissionsschutzrechtliche
Genehmigung verlangte die geschlossenen Förderbänder und
die geschlossene Lagerung der Kohle zur Staubvermeidung.
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Aus den Tagesbunkern rutschte die Kohle
mittels Schwerkraft in die … Kohlemühlen je Block, in
denen die Kohle gebrochen, getrocknet und zu Kohlestaub gemahlen
wurde. Der Kohlestaub wurde mit heißer Frischluft in die
Brennkammer des jeweiligen Dampferzeugers geblasen. Die
Dampferzeuger wandelten die chemische Energie der Kohle durch
Verheizen in Wärmeenergie um, die an den Wasserdampfkreislauf
übertragen wurde. Der Dampf trieb die mehrstufigen Turbinen
und damit den Generator an (Leitstände A und B).
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Beim Verheizen der Kohle fielen große
Mengen flugfähige Asche an, die über die
elektromagnetischen Filter (E-Filter) der Rauchgasreinigungsanlage
abgeschieden und über nachgelagerte Förderbänder in
die Aschesilos transportiert wurde (Leitstand Y). Die sogenannte
„Verwerfasche“ wurde entsorgt, die
„Qualitätsasche“ wurde zur
Betonherstellung vermarktet. Für die Qualitätsasche
bestand eine Lagerkapazität von … t, für
Verwerfasche von … t. Der Transport der Asche in die Silos,
die dortigen Auflockerungsgebläse zur Vermeidung von
Anbackungen (Leitstand Y) sowie die Beladung der Schiffe mit
Förderluft (Leitstand V+E) waren strombetrieben.
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Für die Rauchgasentschwefelung wurde
Ammoniak eingesetzt, das strombetrieben angeliefert und gelagert
wurde (Leitstand V+E). Bei der strombetriebenen
Rauchgasentschwefelung mittels Kreideberieselung fielen große
Mengen von Gipssuspension an. Diese wurde zu Gips getrocknet
(Leitstand A, B beziehungsweise Y), über nachgelagerte
Förderbänder in das Gipskreislager transportiert und
später durch strombetriebene Kratzer und
Förderbänder zur Vermarktung verladen (Leitstand
V+E).
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Die aus den Brennkammern fallenden nicht
flugfähigen Verbrennungsrückstände (Schlacke) wurden
aus dem Schlackebad strombetrieben entnommen, getrocknet
(Leitstände A, B beziehungsweise Y) und in Silos bis zur
Vermarktung gelagert (Leitstand V+E). Die Schlacke wurde von
nachfolgenden Industrien verwendet.
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Die Klägerin betrieb zudem zwei
Wasseraufbereitungsprozesse (Leitstand Y). Ein vor der
Energieumwandlung erfolgender Aufbereitungsprozess ist nicht
streitbefangen. Bei dem nachgelagerten, streitbefangenen
Wasseraufbereitungsprozess wurde das Abwasser aus dem
Wasser-Dampf-Kreislauf der Dampferzeugerwasserspeisung, der
Kühlkreisläufe und der Rauchgaswäsche entsprechend
der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung durch Zugabe von
Chemikalien gereinigt und abgekühlt, um es anschließend
einem nahegelegenen Fluss zuzuführen.
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Diese dem Energieumwandlungsprozess vor-
und nachgelagerten Prozesse gab die Klägerin in den
Stromsteueranmeldungen für die Kalenderjahre 2016 und 2017 als
steuerfrei an.
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Nach einer Außenprüfung
betreffend das Kalenderjahr 2016 setzte der Beklagte,
Revisionskläger und Revisionsbeklagte (Hauptzollamt - HZA - )
mit Steuerbescheid vom … - VS-XXX-1 für das
Kalenderjahr 2016 nachträglich Stromsteuer in Höhe von
… EUR und mit Steuerbescheid vom … - VS-XXX-2
für das Kalenderjahr 2017 nachträglich Stromsteuer in
Höhe von … EUR fest. Die Einsprüche gegen die
Steuerfestsetzungen für die Streitjahre wies das HZA
zusammengefasst mit Einspruchsentscheidung vom … als
unbegründet zurück.
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Dagegen hat die Klägerin am …
Anfechtungsklage erhoben.
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Aufgrund einer Außenprüfung
betreffend das Kalenderjahr 2017 setzte das HZA mit
Änderungsbescheid vom … - VSP-XXX-1 weitere Stromsteuer
in Höhe von insgesamt … EUR mit der Begründung
fest, weitere Prozesse hätten nicht der Stromerzeugung
gedient. Unter dem … legte die Klägerin hilfsweise
Einspruch gegen den Bescheid VSP-XXX-1 ein und erstreckte ihre
Klage auf diesen Bescheid.
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18
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Mit Stromsteueränderungsbescheid vom
… - VSP-XXX-2 minderte das HZA die Stromsteuerfestsetzung
für das Kalenderjahr 2017 um … EUR, weil es den
Stromverbrauch für den Betrieb der Kohlemühlen nunmehr
als steuerfrei anerkannte.
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19
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Während des Verfahrens vor dem
Finanzgericht (FG) hat die Klägerin die nachträgliche
Besteuerung für 2017 in Höhe von … EUR akzeptiert.
Streitig waren vor dem FG somit zuletzt für das Kalenderjahr
2016 eine Stromsteuerbefreiung in Höhe von … EUR
(für … MWh) und für das Kalenderjahr 2017 in
Höhe von … EUR (für … MWh). Bezüglich
der Verteilung der vor dem FG streitigen Strommenge auf die
einzelnen Stromverbraucher im Kraftwerk wird auf die in der
Vorentscheidung enthaltene Übersicht verwiesen (FG Hamburg,
Urteil vom 21.09.2021 - 4 K 19/20, Rz 19, S. 9 und 10).
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Das FG urteilte, die Klage sei zum Teil
begründet. Der Steuerbefreiung nach § 9 Abs. 1 Nr. 2
StromStG stehe nicht entgegen, dass bestimmte Stromentnahmen durch
Personal eines Dienstleistungsunternehmens
„angeschaltet“ worden seien. Verwender
sei nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH), wer die
Sachherrschaft über die verbrauchsteuerpflichtige Ware, bei
der Stromsteuer gleichzeitig auch über die
privilegierungsfähige Anlage, als Besitzherr ausübe und
die Verwendung von Energieerzeugnissen und Strom Besitzdienern
überlasse, die die tatsächliche Gewalt über die
verbrauchsteuerpflichtigen Erzeugnisse für den Besitzherrn
ausübten. Die teilweise in der Literatur und der
Rechtsprechung vertretene streng betriebsbezogene Sichtweise sei
nicht auf die Stromsteuerbefreiung zur Stromerzeugung zu
übertragen, weil zwischen § 9b StromStG und § 9 Abs.
1 Nr. 2 StromStG entscheidende systematische und dogmatische
Unterschiede bestünden. § 9 Abs. 1 Nr. 2 StromStG sei
nicht unternehmensbezogen, sondern vorgangsbezogen beziehungsweise
prozessbezogen ausgestaltet. Die Zurechnung der Stromentnahme bei
arbeitsteiliger betrieblicher Integration eines Subunternehmens sei
jedenfalls dann möglich, wenn das Strom erzeugende Unternehmen
die Sachherrschaft über die dem Stromerzeugungsprozess
dienende Anlage, die Anlagenbestandteile und Entnahmevorgänge
ausübe und die Betriebsvorgänge steuere. Demnach seien
die streitbefangenen Stromentnahmen der Klägerin als
Begünstigte zuzurechnen, weil sämtliche Stromentnahmen
vorab mit dem Schichtleiter abgestimmt gewesen seien und das
Dienstleistungsunternehmen der Klägerin weisungsabhängig
zugearbeitet habe. Zudem hätten sämtliche
Stromverbrauchsgeräte im Eigentum der Klägerin
gestanden.
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21
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Die Stromentnahmen seien teilweise
stromsteuerbefreit, obwohl es sich um Prozesse handele, die der
unmittelbaren Energieumwandlung vor- und nachgelagert seien.
Ausgehend von den Vorgaben des Unionsrechts und der Rechtsprechung
seien die für den Betrieb von Entladekränen,
Förderbändern und den Kohlekreislagern, für die
Kreideanlieferung und -lagerung und die Lagerung des
Ammoniakwassers, für die E-Filter und für die
Wasseraufbereitung verwendeten Strommengen steuerbefreit. Nicht
steuerbefreit seien die für den Schlackeabzug, die
Schlacketrocknung und -lagerung, die Gipstrocknung und -lagerung
sowie den Betrieb der Aschesilos entnommenen Strommengen. Bei der
Beurteilung, welche Anlagen begünstigt seien, komme es auf die
von den Beteiligten in Bezug genommenen technischen Regelwerke
nicht an.
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22
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Das HZA begründet seine Revision
damit, dass das FG § 9 Abs. 1 Nr. 2 StromStG rechtsfehlerhaft
ausgelegt habe, weil bei dessen unionsrechtskonformer Auslegung nur
der Stromverbrauch für Prozesse freizustellen sei, die
unmittelbar bei der Stromerzeugung im technischen Sinne anfielen.
Art. 14 Abs. 1 Buchst. a Satz 1 der Richtlinie 2003/96/EG des Rates
vom 27.10.2003 zur Restrukturierung der gemeinschaftlichen
Rahmenvorschriften zur Besteuerung von Energieerzeugnissen und
elektrischem Strom (Amtsblatt der Europäischen Union 2003, Nr.
L 283, 51) - Energiesteuerrichtlinie (EnergieStRL) - sei eng
auszulegen, andernfalls würde Art. 21 Abs. 3 Satz 2
EnergieStRL unterlaufen. Eine Auslegung, nach der zur Herstellung
von Energieerzeugnissen erzeugter und verwendeter elektrischer
Strom unter Umständen wie denen des vorliegenden Verfahrens
automatisch bereits unter die Ausnahme von Art. 14 Abs. 1 Buchst. a
Satz 1 EnergieStRL zu subsumieren sei, unterliefe den
Anwendungsbereich von Art. 21 Abs. 3 Satz 2 EnergieStRL und
nähme den Mitgliedstaaten das Wahlrecht zur Umsetzung dieser
Begünstigungsmöglichkeit. Der Verbrauch von
Energieerzeugnissen könne nur dann unter die Steuerbefreiung
nach Art. 14 Abs. 1 Buchst. a Satz 1 EnergieStRL fallen, wenn der
Strom für Zwecke der Stromerzeugung verwendet werde. Dies sei
jedoch nur dann der Fall, wenn bereits ein verbrauchsfertiger
Brennstoff vorliege, der unter die mögliche Steuerbefreiung
nach Art. 21 Abs. 3 EnergieStRL fallen könne. Es dürfe
auch nicht zu einer ungerechtfertigten Ungleichbehandlung
gegenüber anderen Energieerzeugnissen kommen. Die anerkannten
Regeln der Technik könnten als Grundlage für die
Identifikation der zu betrachtenden Stromerzeugungsanlage
herangezogen werden.
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Die Entladung, der Transport, die Lagerung
und die Bearbeitung von Kohle sowie die Lagerung und der
Abtransport der marktfähigen Produkte Asche und Gips seien
nicht objektiv zur technischen Stromerzeugung erforderlich und
dienten nicht unmittelbar zur Aufrechterhaltung der technischen
Stromerzeugung. Zu den Stromentnahmen für die
Entladekräne führt das HZA aus, dass diese nicht zwingend
für die Aufrechterhaltung der Stromerzeugung im technischen
Sinne erforderlich seien. In Bezug auf die
Kohleförderbänder und die Kohlekreislager weist das HZA
darauf hin, dass auch eine Direktbekohlung der beiden
Kraftwerksblöcke technisch möglich gewesen sei. Zudem
resultiere die Länge der Förderbänder vor allem aus
der Distanz zwischen der Kaianlage und den Kohlekreislagern sowie
zwischen den Kohlekreislagern und den Tagesbunkern beziehungsweise
dem Kessel- und Maschinenhaus.
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Auch wenn die Rauchgasreinigung als
privilegierter Teilprozess der Stromerzeugung in § 12 Abs. 1
Nr. 1 der Stromsteuer-Durchführungsverordnung in der im
Streitfall geltenden Fassung (StromStV) genannt sei, hätten
nicht alle mit der Rauchgasreinigung in irgendeinem faktischen oder
wirtschaftlichen Zusammenhang stehenden Tätigkeiten oder
Unterprozesse an der Privilegierung teil. Die Anlieferung und
Lagerung von Kreide und Lagerung von Ammoniakwasser stünden
nicht in einem engen Zusammenhang mit der Rauchgasreinigung und
seien daher nicht privilegiert. Bei der in § 12 Abs. 1 Nr. 1
StromStV genannten Wasseraufbereitung handele es sich um die
technisch für ein Kraftwerk erforderliche Einspeisung und
Aufbereitung von Kühlwasser und nicht um die Aufbereitung von
Abwasser.
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25
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Nach Auffassung des HZA seien Gips und
Asche nicht nahezu ausschließlich als Nebenprodukte in
Kraftwerksprozessen hergestellt worden. Um die Ziele der
Energiesteuerrichtlinie einzuhalten, sei eine klare Abgrenzung
zwischen Energieerzeugnissen zur Herstellung von Strom und Strom
zur Herstellung von Strom sowie zu den Steuerbefreiungen nach Art.
21 Abs. 3 EnergieStRL vorzunehmen.
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Der brennfertige Betriebsstoff für die
Stromerzeugung sei erst der Kohlestaub und nicht bereits die
unbearbeitete Steinkohle. Die vorherigen Transport-, Lagerungs- und
Verarbeitungshandlungen seien somit der Herstellung von
Energieerzeugnissen zuzuordnen. Die Klägerin dürfe zur
Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen nicht anders gestellt werden
als ein Unternehmen, das bereits fertig hergestellte
Kohlenstäube von Dritten, die hierfür keine
Stromsteuerbefreiung erhielten, beziehe. Erst auf der Stufe des
tatsächlich einsetzbaren Energieerzeugnisses - bei Kraftwerken
mit Kohlenstaubfeuerung der gemahlene Kohlenstaub - sei die
steuerliche Bemessungsgrundlage für die am Realakt des
Verbrauchs und dem Besteuerungsmaßstab des Heizwertes
anknüpfende Besteuerung zutreffend und unabhängig von
räumlichen wie technischen Begleitumständen der einzelnen
Anlage zu ermitteln. Durch das Mischen verschiedener Sorten von
Steinkohle verändere sich jedoch die steuerliche
Bemessungsgrundlage. Die Entscheidung des Gerichtshofs der
Europäischen Union (EuGH) RWE Power vom 09.03.2023 - C-571/21,
EU:C:2023:186 = SIS 23 04 03 ändere an der Beurteilung des
Streitfalls nichts.
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27
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Abgesehen von der Beurteilung der einzelnen
Prozessschritte habe das Dienstleistungsunternehmen und nicht die
Klägerin den Strom entnommen. Insofern sei auf die kleinste
rechtlich selbständige Einheit sowie auf die unmittelbare
tatsächliche Sachherrschaft abzustellen.
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28
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Das HZA beantragt,
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die Vorentscheidung aufzuheben, soweit sie
die
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a) für den Betrieb der
Entladekräne, der Förderbänder, der Kohlekreislager,
der Tagesbunker und die in diesem Zusammenhang erfolgte Bearbeitung
der Steinkohle (insbesondere deren Mischen und
Trocknen/Klimatisieren),
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b) für die Kreideanlieferung und
Kreidelagerung und
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c) die Lagerung des Ammoniakwassers sowie
die Abwasseraufbereitung entnommenen Strommengen von insgesamt
… MWh (entspricht … EUR) für das Kalenderjahr
2016 und insgesamt … MWh (entspricht … EUR) für
das Kalenderjahr 2017 als steuerbefreit ansieht, und die Klage auch
insoweit abzuweisen.
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29
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Die Klägerin hat sich der Revision des
HZA angeschlossen und beantragt,
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unter Abänderung der Vorentscheidung
den Steuerbescheid 2016 - VS-XXX-1 in Gestalt der
Einspruchsentscheidung und des Änderungsbescheids VSP-XXX-3
aufzuheben,
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und unter Abänderung der
Vorentscheidung den Steuerbescheid 2017 - VS-XXX-2 in Gestalt der
Einspruchsentscheidung, des Änderungsbescheids VSP-XXX-1 und
des Änderungsbescheids VSP-XXX-2 aufzuheben.
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30
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Außerdem beantragt die
Klägerin,
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die Revision des HZA
zurückzuweisen.
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31
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Auf die Revision der Klägerin hin
beantragt das HZA,
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die Revision der Klägerin
zurückzuweisen.
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32
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Zur Begründung ihrer Anträge
führt die Klägerin aus, die EuGH-Entscheidung Repsol
Petróleo vom 03.12.2020 - C-44/19, EU:C:2020:982 = SIS 20 19 56 betreffend Kuppelprodukte könne nicht auf den Streitfall
übertragen werden, weil es vorliegend um die Reichweite von
Art. 14 Abs. 1 Buchst. a Satz 1 EnergieStRL und nicht um Art. 21
Abs. 3 EnergieStRL gehe, der im Wortlaut anders gefasst sei. Die
Gesetzgebungshistorie weise darauf hin, dass die der
Aufrechterhaltung der Stromerzeugungsfähigkeit dienenden
Verbräuche über die bei der Stromerzeugung verwendeten
Strommengen hinausgingen. Die Aufrechterhaltung der
Stromerzeugungsfähigkeit erfasse auch vor- und nachgelagerte
Verfahren, die sich aus den spezifischen Erfordernissen einer
Stromerzeugungseinheit ergäben und ohne die eine
lückenlose Stromerzeugung in der jeweiligen Einheit nicht
sichergestellt wäre. Das HZA habe keine output-bezogene
Aufteilung der stromsteuerbefreiten Verbräuche nach
Maßgabe des mengenmäßigen Anteils des erzeugten
Stroms und der anderen Stoffe vorgenommen, wie es der EuGH beim
Eigenverbrauch für sinnvoll und möglich gehalten habe,
sondern gleichsam input-bezogen einzelnen für die
Stromerzeugung beziehungsweise die Aufrechterhaltung der
Fähigkeit zur Stromerzeugung notwendigen Verbräuchen die
Steuerbegünstigung vorenthalten. Dies entspreche nicht der
Rechtsprechung des EuGH und des BFH. Der Hinweis des FG auf die
Wettbewerbsgleichheit verfange nicht, weil Gips, Asche und Schlacke
nahezu ausschließlich oder zu einem großen Teil als
Nebenprodukt von Kraftwerksprozessen hergestellt würden und
auch Wettbewerber diese Nebenprodukte stromsteuerfrei gewinnen
könnten. Es komme nicht darauf an, dass die Klägerin
diese Produkte weiterverkauft habe.
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Auf das in Art. 21 Abs. 3 Satz 1 und 2
EnergieStRL vorgesehene Herstellerprivileg berufe sie sich nicht,
weshalb es für den Streitfall ohne Bedeutung sei, dass der
deutsche Gesetzgeber die fakultative Steuerbefreiung nicht
umgesetzt habe. Abgesehen davon handele es sich bei ihrem Betrieb
nicht um einen herstellenden Betrieb im Sinne dieser Vorschrift;
ihr Kraftwerk erzeuge Strom. Nach der Systematik der
Energiesteuerrichtlinie könnten aber die Herstellung von
Energieerzeugnissen und die Erzeugung von Strom nicht gleichgesetzt
werden. Die Behandlung der Steinkohle diene der Anpassung des
Brennstoffs an die speziellen Bedürfnisse des Kraftwerks, sie
sei jedoch bereits vorher ein Brennstoff und ein
Energieerzeugnis.
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34
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Nach § 9 Abs. 1 Nr. 2 StromStG seien
auch Stromverbräuche begünstigt, die nicht selbst der
Stromerzeugung dienten, aber für deren Aufrechterhaltung
erforderlich seien. Der Betrieb eines Steinkohlekraftwerks stelle
sich von der Anlieferung, Lagerung und Aufbereitung der Kohle bis
hin zur Entsorgung der Abfallprodukte als ein einheitlicher Prozess
der steinkohlespezifischen Stromerzeugung dar.
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35
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Die Stromentnahmen seien der Klägerin
zurechenbar. Nur die bei Bedarf einzuschaltenden drei Kranfahrer
und der Leitstandfahrer des Dienstleistungsunternehmens hätten
einen (mittelbaren) Bezug zur Stromentnahme, während alle
anderen Mitarbeiter des Dienstleistungsunternehmens, die auf dem
Kraftwerksgelände tätig seien, mit dem Realakt der
Stromerzeugung in keinem Zusammenhang stünden. Die
Klägerin steuere die Betriebsvorgänge im Kraftwerk und
übe somit die Sachherrschaft über die Stromentnahme aus.
Die Hilfspersonen des Dienstleistungsunternehmens übten die
tatsächliche Gewalt über den Strom für die
Klägerin aus und seien weisungsgebunden. Im Übrigen
könne die Klägerin die von dem Dienstleistungsunternehmen
übernommenen Tätigkeiten ohne Weiteres auch selbst
vornehmen. Eine Besteuerung des Strom-Inputs und des Strom-Outputs
widerspreche zudem der Energiesteuerrichtlinie. Eine
Übertragung der Grundsätze zu § 9b StromStG auf
§ 9 Abs. 1 Nr. 2 StromStG sei ebenfalls nicht mit der
Energiesteuerrichtlinie vereinbar, weil die erstere Vorschrift
unternehmensbezogen und die zweite vorgangsbezogen sei.
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36
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Nach Auffassung der Klägerin wird die
Vorentscheidung durch das EuGH-Urteil RWE Power vom 09.03.2023 -
C-571/21, EU:C:2023:186 = SIS 23 04 03 bestätigt. Durch die
Aufbereitung der Kohle entstehe kein neues Energieerzeugnis. Vor-
und insbesondere auch nachgelagerte Prozesse könnten nach
dieser Entscheidung von der Stromsteuer befreit sein, wenn sie dazu
beitrügen, den technologischen Prozess der Stromerzeugung
unmittelbar aufrechtzuerhalten. Für die Erfüllung der
zweiten Alternative der Stromsteuerbefreiung nach Art. 14 Abs. 1
Buchst. a Satz 1 EnergieStRL sei es nicht erforderlich, dass die
Stromentnahme zur Erzeugung von Strom führe. Sämtliche
hier streitgegenständlichen Verbräuche seien demnach von
der Stromsteuer zu befreien.
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37
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Während des Revisionsverfahrens hat
das HZA den Stromverbrauch in den E-Filtern der
Rauchgasreinigungsanlage im Jahr 2016 steuerfrei gestellt und mit
Bescheid VSP-XXX-3 „die entstandene Stromsteuer in Höhe
von noch … EUR für eine Menge von noch … MWh
Strom, die für die Kohleförderbänder, das
Kohlekreislager, das Aschesilo und das Gipskreislager verbraucht
worden sind, fest[gesetzt]“. Der
Stromverbrauch in den E-Filtern (… MWh beziehungsweise eine
Steuerforderung in Höhe von … EUR) ist damit nicht mehr
streitgegenständlich.
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38
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II. Die Revisionen des HZA und der
Klägerin bezüglich des Streitjahres 2016 sind
begründet. Sie führen gemäß § 126 Abs. 3
Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) insoweit zur Aufhebung
des angefochtenen Urteils des FG.
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Die Festsetzung der Stromsteuer für das
Kalenderjahr 2016 wird dahingehend geändert, dass der
Stromverbrauch für die Kohleförderbänder zu den
Kohlekreislagern, für die Kohleförderbänder ab den
Kohlekreislagern und für die Kohlekreislager von der
Stromsteuer befreit sind. Der Stromverbrauch für den Betrieb
der Aschesilos und des Gipskreislagers ist demgegenüber
steuerpflichtig, weil eine Befreiung von der Stromsteuer insofern
nicht gegeben ist.
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40
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Bezüglich des Streitjahres 2017 sind die
Revisionen des HZA und der Klägerin unbegründet und daher
gemäß § 126 Abs. 2 FGO zurückzuweisen.
Insoweit entspricht die Vorentscheidung Bundesrecht (§ 118
Abs. 1 Satz 1 FGO).
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41
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1. Das Urteil des FG ist bezüglich des
Streitjahres 2016 aus verfahrensrechtlichen Gründen
aufzuheben, da das HZA während des Revisionsverfahrens einen
Steueränderungsbescheid erlassen hat (VSP-XXX-3), der an die
Stelle des angegriffenen Steuerbescheids VS-XXX-1 und der dazu
ergangenen Einspruchsentscheidung getreten ist (ständige
Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Urteil vom 11.07.2024 - III R 41/22,
BStBl II 2024, 772 = SIS 24 15 68, Rz 14). Damit liegt dem
FG-Urteil ein nicht mehr existierender Bescheid zugrunde mit der
Folge, dass auch das FG-Urteil keinen Bestand haben kann (s.
BFH-Urteil vom 28.05.2015 - IV R 27/12, BFHE 249, 544, BStBl II
2015, 837 = SIS 15 16 24, Rz 17).
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42
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Der Bescheid VSP-XXX-3 wurde nach § 121
Satz 1 FGO i.V.m. § 68 Satz 1 FGO Gegenstand des
Revisionsverfahrens. Da sich durch die Bescheidänderung
hinsichtlich der streitigen Punkte keine Änderungen ergeben
und keine weitergehenden Anträge gestellt wurden, bedarf es
allein deshalb keiner Zurückverweisung der Sache an das FG
gemäß § 127 FGO. Das finanzgerichtliche Verfahren
leidet nicht an einem Verfahrensmangel, sodass die vom FG
getroffenen tatsächlichen Feststellungen durch die Aufhebung
des Urteils nicht weggefallen sind; sie bilden - soweit sie die
maßgeblichen Fragen hinreichend beantworten - nach wie vor
die Grundlage für die Entscheidung des Senats in der Sache
(BFH-Urteil vom 20.06.2023 - IX R 17/21, BFHE 281, 415, BStBl II
2024, 35 = SIS 23 18 44, Rz 11).
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43
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2. Die von der Klägerin angefochtenen
Bescheide betreffend die Streitjahre 2016 und 2017 sind nicht
gemäß § 125 der Abgabenordnung (AO) nichtig und
damit nicht bereits gemäß § 124 Abs. 3 AO
unwirksam.
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44
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a) Ein Verwaltungsakt ist nichtig und damit
nach § 124 Abs. 3 AO unwirksam, soweit er an einem besonders
schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger
Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände
offenkundig ist (§ 125 Abs. 1 AO). Ein Verwaltungsakt leidet
an schweren und offenkundigen Mängeln und ist deshalb nichtig,
wenn er inhaltlich nicht so bestimmt ist, dass ihm hinreichend
sicher entnommen werden kann, was von wem verlangt wird (vgl.
BFH-Urteil vom 13.10.2016 - IV R 20/14 = SIS 17 03 59, Rz 42,
m.w.N.).
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45
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aa) Nach § 119 Abs. 1 AO muss ein
Verwaltungsakt inhaltlich hinreichend bestimmt sein, das
heißt, ihm muss der Regelungsinhalt eindeutig zu entnehmen
sein.
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46
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Erforderlich ist unter anderem die Bezeichnung
der festgesetzten Steuer nach Art und Betrag (§ 157 Abs. 1
Satz 2 AO). Ein Änderungsbescheid muss zudem
grundsätzlich den geänderten Bescheid erkennen lassen
(vgl. BFH-Urteile vom 24.04.2013 - II R 53/10, BFHE 241, 63, BStBl
II 2013, 755 = SIS 13 18 01, Rz 34 und vom 17.12.2014 - II R 2/13,
BFHE 248, 238, BStBl II 2015, 557 = SIS 15 05 91, Rz 13). Hierzu
genügt es, dass aus dem gesamten Inhalt des Bescheids, aus dem
Zusammenhang, aus der von der Behörde gegebenen
Begründung oder aus den den Beteiligten bekannten näheren
Umständen des Erlasses im Wege einer am Grundsatz von Treu und
Glauben orientierten Auslegung hinreichende Klarheit gewonnen
werden kann (BFH-Urteil vom 24.04.2013 - II R 53/10, BFHE 241, 63,
BStBl II 2013, 755 = SIS 13 18 01, Rz 34, m.w.N.).
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47
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bb) Ob diese Voraussetzungen erfüllt
sind, ist über den bloßen Wortlaut hinaus im Wege der
Auslegung zu ermitteln, wobei die §§ 133, 157 des
Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) auch für
öffentlich-rechtliche Willensbekundungen geltende
Auslegungsregeln enthalten (BFH-Urteil vom 10.05.2012 - IV R 34/09,
BFHE 239, 485, BStBl II 2013, 471 = SIS 13 10 40, Rz 36).
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48
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Entscheidend ist danach, wie der Betroffene
nach den ihm bekannten Umständen - seinem „objektiven
Verständnishorizont“ (vgl. BFH-Urteil vom
08.11.1995 - V R 64/94, BFHE 179, 211, BStBl II 1996, 256 = SIS 96 10 30) - den materiellen Gehalt der Erklärung unter
Berücksichtigung von Treu und Glauben verstehen konnte
(BFH-Urteile vom 18.04.1991 - IV R 127/89, BFHE 164, 185, BStBl II
1991, 675 = SIS 91 16 60 und vom 11.07.2006 - VIII R 10/05, BFHE
214, 18, BStBl II 2007, 96 = SIS 06 37 93). Bei der Auslegung ist
nicht allein auf den Tenor des Bescheids abzustellen, sondern auch
auf den materiellen Regelungsgehalt einschließlich der
für den Bescheid gegebenen Begründung (ständige
Rechtsprechung; vgl. z.B. BFH-Urteil vom 26.11.2009 - III R 87/07,
BFHE 227, 466, BStBl II 2010, 429 = SIS 10 04 91, unter II.2.a,
m.w.N.). Es kommt somit weder darauf an, was die Behörde mit
ihrer Erklärung gewollt hat (BFH-Urteil vom 11.05.1999 - IX R
72/96, BFH/NV 1999, 1446 = SIS 99 53 02), noch darauf, wie ein
außenstehender Dritter die Erklärung der Behörde
auffassen konnte beziehungsweise musste (BFH-Urteil vom 30.09.1988
- III R 218/84, BFH/NV 1989, 749 = SIS 89 08 44). Da der
Verwaltungsakt nur mit dem bekanntgegebenen Inhalt wirksam wird,
muss aber die Auslegung zumindest einen Anhalt in der
bekanntgegebenen Regelung haben (BFH-Beschluss vom 12.05.2022 - V R
31/20 = SIS 22 14 58, Rz 29, m.w.N.).
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49
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Die Frage, welchen Inhalt ein Verwaltungsakt
hat, ist vom Revisionsgericht in eigener Zuständigkeit zu
beantworten und gegebenenfalls zu korrigieren, wenn die
tatsächlichen Feststellungen des FG hierzu ausreichen
(Senatsurteil vom 18.04.2023 - VII R 59/20, BFHE 280, 373, BStBl II
2023, 950 = SIS 23 11 63, Rz 24).
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50
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cc) In diesem Zusammenhang hat der erkennende
Senat bereits klargestellt, dass die Abgabenordnung - im Gegensatz
zum Zollkodex (ZK) und zum Zollkodex der Union (UZK) -
Nachforderungsbescheide nicht kennt. Vielmehr hat die
Finanzbehörde die jeweilige Steuer für einen
Besteuerungszeitraum in einem einzigen Bescheid festzusetzen. Eine
entsprechende Anwendung von Art. 105 Abs. 4 UZK (vorher Art. 220
ZK) kommt nicht in Betracht, weil im Verbrauchsteuerrecht die
Abgabenordnung anzuwenden ist und diese die Steuerfestsetzung
abschließend regelt (Senatsurteil vom 18.04.2023 - VII R
59/20, BFHE 280, 373, BStBl II 2023, 950 = SIS 23 11 63, Rz 33).
Ein wesentlicher Mangel, der zur Nichtigkeit des Steuerbescheids
führt, liegt unter anderem vor, wenn der Steuerbescheid nicht
deutlich erkennen lässt, in welchem Verhältnis er zu den
zeitlich zuvor abgegebenen Steueranmeldungen steht (vgl.
Senatsurteil vom 18.04.2023 - VII R 59/20, BFHE 280, 373, BStBl II
2023, 950 = SIS 23 11 63, Rz 31).
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b) Die Steuerfestsetzung für das
Streitjahr 2016 erfüllt gerade noch die oben dargestellten
Anforderungen an die inhaltliche Bestimmtheit.
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52
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aa) Für den Zeitraum vom 01.01.2016 bis
zum 31.12.2016 hat die Klägerin mit ihrer Steueranmeldung vom
… eine Stromsteuer in Höhe von … EUR für
… MWh erklärt und als nach § 9 Abs. 1 Nr. 2
StromStG steuerfrei eine Strommenge von … MWh angegeben.
Gemäß § 168 Satz 1 AO steht diese Steueranmeldung
einer Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung
gleich, die gemäß § 164 Abs. 2 Satz 1 AO aufgehoben
oder geändert werden kann, solange der Vorbehalt wirksam ist.
Eine Festsetzung der Steuer ist nach § 167 Abs. 1 Satz 1 AO im
Fall einer verpflichtend abzugebenden Steueranmeldung (§ 8
Abs. 1 StromStG) nur erforderlich, wenn die Festsetzung zu einer
abweichenden Steuer führt.
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53
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bb) Mit Steuerbescheid VS-XXX-1 setzte das HZA
unter der Überschrift „I.
Festsetzung“ „für den Zeitraum vom
01.01.2016 bis zum 31.12.2016 die entstandene Stromsteuer in
Höhe von … EUR (…) fest“.
Aus der Berechnungsanlage ergibt sich weiter eine zu besteuernde
Strommenge von … MWh. Weiter ergibt sich aus den
Ausführungen zur Berechnung der Festsetzung unter II., dass
sich dieser Steuerbescheid auf eine Lieferung von … MWh an
das Dienstleistungsunternehmen bezieht, wovon allerdings bereits
… MWh versteuert wurden, sodass noch für … MWh
„die Stromsteuer anzufordern“ sei. Dies
entspricht einem Steuerbetrag von … EUR.
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54
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Diese Strommenge beziehungsweise dieser
Steuerbetrag lassen sich anhand des Prüfungsberichts vom
… (insbesondere Tz. 3.3.3 und 4) betreffend die Strom- und
Energiesteuer für den Prüfungszeitraum …
nachvollziehen (in der Bezugszeile des Steuerbescheids VS-XXX-1
wird auf die „Außenprüfung Kalenderjahr
2016“ hingewiesen). In Tz. 1.7.3 des
Prüfungsberichts vom … wird zudem ausgeführt, dass
für das Kalenderjahr 2016 bereits … EUR Stromsteuer
entrichtet wurde - dies entspricht abgerundet der mit der
Steueranmeldung angemeldeten Stromsteuer für das Streitjahr
2016.
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55
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Aufgrund der Inbezugnahme des
Prüfungsberichts und der darin enthaltenen Angaben kann -
obwohl die Steueranmeldung der Klägerin für das
Kalenderjahr 2016 in dem Steuerbescheid VS-XXX-1 nicht
ausdrücklich erwähnt wird - ausgehend vom
Verständnishorizont der Klägerin unter
Berücksichtigung der ihr bekannten Umstände nachvollzogen
werden, dass das HZA mit dem Steuerbescheid VS-XXX-1 einen
Änderungsbescheid erlassen hat, in dem die Stromsteuer
für das Kalenderjahr 2016 unter Änderung der
Steueranmeldung auf insgesamt … EUR (… EUR + …
EUR) festgesetzt wurde.
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56
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Mit der Einspruchsentscheidung vom …
hat das HZA die Steuerfestsetzung nicht geändert.
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cc) Mit Änderungsbescheid VSP-XXX-3 hat
das HZA die Stromsteuer für den Zeitraum vom 01.01.2016 bis
zum 31.12.2016 erneut geändert. Es hat neben der
Steueranmeldung und dem Prüfungsbericht auch den
Steuerbescheid VS-XXX-1 über … EUR in Bezug genommen
und Letzteren ausdrücklich dahingehend geändert, dass
nunmehr nicht mehr … EUR, sondern nur noch … EUR
für eine Strommenge von … MWh festgesetzt wurden, weil
der Stromverbrauch in den E-Filtern der Rauchgasreinigungsanlage
(… MWh beziehungsweise Stromsteuer in Höhe von …
EUR) nunmehr als steuerfrei angesehen werde.
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58
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Ausgehend von den hier angefochtenen
Steueränderungsbescheiden ergibt sich somit eine für das
Kalenderjahr 2016 festgesetzte Stromsteuer in Höhe von
… EUR für … MWh.
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59
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c) Die Steuerfestsetzung für das
Kalenderjahr 2017 ist ebenfalls inhaltlich hinreichend
bestimmt.
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60
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aa) Für den Zeitraum vom 01.01.2017 bis
zum 31.12.2017 hat die Klägerin mit ihrer Steueranmeldung
(undatiert) Stromsteuer in Höhe von … EUR für
… MWh erklärt und eine Strommenge von … MWh als
nach § 9 Abs. 1 Nr. 2 StromStG steuerfrei angegeben.
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61
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bb) Mit Steuerbescheid VS-XXX-2 setzte das HZA
unter der Überschrift „I.
Festsetzung“ „für den Zeitraum vom
01.01.2017 bis zum 31.12.2017 die entstandene Stromsteuer in
Höhe von … EUR (…) fest“.
Aus der Berechnungsanlage ergibt sich weiter eine zu besteuernde
Strommenge von … MWh. Aus der Begründung unter III. und
IV. ist weiter zu ersehen, dass sich die Steuerfestsetzung auf die
durch das Dienstleistungsunternehmen entnommenen Strommengen
bezieht.
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62
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In dem Steuerbescheid VS-XXX-2 wird zwar nicht
ausdrücklich ausgeführt, wie dessen Verhältnis zur
Steueranmeldung für das Kalenderjahr 2017 ist. Die
Inbezugnahme des Schreibens vom … betreffend insbesondere
die Außenprüfung für das Kalenderjahr 2016 deutet
jedoch darauf hin, dass die Erkenntnisse aus der
Außenprüfung für 2016 auch für die Besteuerung
im Kalenderjahr 2017 übernommen werden sollten und die
Gesamtsteuer um … EUR erhöht werden sollte. Dass die
Steuer für das gesamte Kalenderjahr 2017 auf nur … EUR
festgesetzt werden sollte, was die Formulierung unter „I.
Festsetzung“ des Steuerbescheids VS-XXX-2
vermuten lassen könnte, ergibt sich demgegenüber weder
aus dem Steuerbescheid noch aus dem Zusammenhang, zumal auch die
Begründung der Festsetzung für eine Erhöhung der
Steuerforderung spricht.
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63
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cc) Anhand des Bescheids VSP-XXX-1 lässt
sich die insgesamt festgesetzte Stromsteuer für das
Kalenderjahr 2017 dagegen erkennen. Es wird zwar insgesamt nur eine
„Nacherhebung“ von … EUR
errechnet. Allerdings wird zusätzlich der Prüfungsbericht
vom … in Bezug genommen, in dem unter Tz. 1.7.3 eine
für 2017 gezahlte Stromsteuer in Höhe von … EUR
angegeben ist. Dies entspricht abgerundet der bis dahin
festgesetzten Steuersumme von … EUR (… EUR aus der
Steueranmeldung + „Nacherhebung“ in
Höhe von … EUR mit Bescheid VS-XXX-2). Zusammen mit der
„Nacherhebung“ aus dem Bescheid
VSP-XXX-1 ergibt sich somit eine Gesamtsteuerforderung in Höhe
von … EUR.
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64
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Abzüglich der Aufhebung der Nachforderung
in Höhe von … EUR (für … MWh bezüglich
der Herstellung von Kohlestaub) mit
Stromsteueränderungsbescheid VSP-XXX-2 ergibt sich eine
Gesamtsteuerforderung für das Jahr 2017 in Höhe von
… EUR. Davon sind … EUR aus der Steueranmeldung
unstreitig und … EUR während des FG-Verfahrens
unstreitig gestellt worden. Streitig sind nunmehr noch … EUR
(s. FG Hamburg, Urteil vom 21.09.2021 - 4 K 19/20 = SIS 22 02 09,
Rz 19, S. 9 und 10).
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65
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3. Die Stromsteuer betreffend die Streitjahre
2016 und 2017 ist entstanden, und die Klägerin ist
Steuerschuldnerin.
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66
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a) Gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1
Alternative 2 StromStG entsteht die Stromsteuer dadurch, dass der
Versorger dem Versorgungsnetz Strom zum Selbstverbrauch
entnimmt.
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aa) Das Stromsteuergesetz enthält keine
nähere Definition des Begriffs der Entnahme.
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68
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(1) Bei den Verbrauchsteuern handelt es sich
um Realaktsteuern, das heißt, die Steuer entsteht durch einen
Realakt, also durch einen tatsächlichen Vorgang, wie zum
Beispiel die körperliche Entfernung einer
verbrauchsteuerpflichtigen Ware aus einem Steuerlager, das
Verbringen in das Steuergebiet, die konsumtive Verwendung oder die
Herstellung einer verbrauchsteuerpflichtigen Ware außerhalb
eines Steuerlagers (Senatsbeschlüsse vom 30.09.2010 - VII B
45/10 = SIS 11 04 84, Rz 9 und vom 24.02.2016 - VII R 7/15, BFHE
252, 568 = SIS 16 06 04, Rz 9; Senatsurteil vom 10.11.2009 - VII R
39/08, BFHE 227, 546 = SIS 10 04 94, unter II.2., m.w.N.). Diese
tatsächlichen Vorgänge führen zur Erfüllung der
jeweiligen Steuerentstehungstatbestände, ohne dass es dabei
auf vertragliche, wirtschaftliche oder sachenrechtliche
Umstände ankommt (Senatsbeschluss vom 02.09.2015 - VII B 18/15
= SIS 16 00 67, Rz 9).
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69
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Die Stromsteuer weist allerdings die
Besonderheit auf, dass bei ihr die Entnahme in den steuerrechtlich
freien Verkehr und der Verbrauch zeitlich zusammenfallen
(Senatsbeschluss vom 24.02.2016 - VII R 7/15, BFHE 252, 568 = SIS 16 06 04, Rz 9; Senatsurteil vom 07.07.2020 - VII R 6/19 = SIS 20 18 06, Rz 10). Daraus ergibt sich, dass derjenige den Strom aus dem
Versorgungsnetz entnimmt, der die unmittelbare beziehungsweise
tatsächliche Sachherrschaft über die Anlagen hat, in
denen der Strom verbraucht wird. Denn in diesen Anlagen wird der
Strom einer eliminierenden Nutzung zugeführt, also verbraucht,
und eine nicht steuerbare Ware (zum Beispiel Wärme) erzeugt.
Der Begriff der unmittelbaren Sachherrschaft ist gleichbedeutend
mit dem Begriff der tatsächlichen Gewalt in § 854 Abs. 1
BGB (vgl. zum Begriff des Besitzes Urteil des Bundesgerichtshofs
vom 06.05.2009 - XII ZR 137/07, BGHZ 180, 300, unter II.3.b aa). In
diesem Zusammenhang kommt es nicht darauf an, auf welcher
vertraglichen Grundlage die unmittelbare beziehungsweise
tatsächliche Sachherrschaft über die Anlagen
eingeräumt worden ist oder in wessen Eigentum die
stromverbrauchenden Anlagen stehen (vgl. hierzu Senatsurteil vom
07.08.2012 - VII R 15/09 = SIS 13 01 90, Rz 16; Senatsbeschluss vom
24.06.2021 - VII R 26/19 = SIS 21 14 41, Rz 23 ff., m.w.N.).
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70
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Eine lediglich mittelbare Sachherrschaft
über die stromverbrauchenden Anlagen reicht für eine
Zuordnung der Stromentnahme nicht aus. Die mittelbare
Sachherrschaft lehnt sich an den mittelbaren Besitz nach § 868
BGB an. Danach ist zum Beispiel mittelbarer Besitzer auch der
Verpächter oder Vermieter, also jemand, dessen Vertragspartner
auf Zeit zum Besitz berechtigt oder verpflichtet ist. Diese
zivilrechtliche Konstruktion wurde insbesondere geschaffen, um den
Besitzschutz nach §§ 858 ff. BGB auch bestimmten Personen
zukommen zu lassen, die nicht unmittelbare Besitzer sind
(MüKoBGB/Schäfer, 9. Aufl., § 868 Rz 1, m.w.N.).
Dagegen dient der Entnahmebegriff im Stromsteuergesetz
gänzlich anderen Zielsetzungen, sodass die zivilrechtliche
Konstruktion auf das Stromsteuerrecht nicht übertragbar ist
(vgl. auch Senatsbeschlüsse vom 21.10.2015 - VII B 39/15 = SIS 16 00 59, Rz 12 und vom 24.06.2021 - VII R 26/19 = SIS 21 14 41, Rz
26).
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71
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(2) Zur Bedeutung der Besitzverhältnisse
für die Entnahme von elektrischem Strom hat der erkennende
Senat bereits mehrfach und zu verschiedenen Fallkonstellationen bei
Steuerbegünstigungen und -entlastungen Stellung genommen.
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72
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(a) Mit Beschluss vom 24.06.2021 - VII R 26/19
= SIS 21 14 41, Rz 27 f. hat der Senat entschieden, dass die
Entnahme von Strom dem Betriebsführer zuzurechnen ist, wenn
diesem im Rahmen eines Betriebsführungsvertrags die
tatsächliche Sachherrschaft über die stromverbrauchenden
Anlagen übertragen wurde, während dem Auftraggeber die
Entnahme in diesem Fall nicht zugerechnet werden konnte. Dem lag
ein Sachverhalt zugrunde, bei dem der Kläger die gesamte
Betriebsführung im Rahmen eines Betriebsführungsvertrags
auf eine GmbH übertragen und dieser sämtliche
dazugehörigen Anlagen übergeben hatte. Die GmbH traf
dementsprechend die Entscheidungen über die laufende
Betriebsführung und hatte eine Generalhandlungsvollmacht,
während dem Auftraggeber lediglich ein Überwachungs- und
Weisungsrecht verblieb.
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73
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(b) Weiterhin hat der Senat entschieden, dass
ein Werkunternehmer, der seine Aufgaben selbständig und
eigenverantwortlich zu erledigen hatte, den dafür verwendeten
Strom entnimmt (Senatsurteil vom 25.09.2013 - VII R 64/11, BFHE
242, 460 = SIS 13 30 71).
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74
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(c) Im Fall der Vercharterung eines Flugzeugs
einschließlich Flugbenzins sah der Senat den Charterer als
Verwender des Flugzeugs an, weil dieser die Sachherrschaft
über das Flugzeug ausübte und die Einsatzorte und -zeiten
festlegte und somit die volle Verantwortung und
Entscheidungsbefugnis über das Flugzeug hatte (Senatsurteil
vom 07.08.2012 - VII R 15/09 = SIS 13 01 90, Rz 18).
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75
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(3) An dieser Rechtsprechung hält der
Senat auch für den Begriff der Entnahme in § 5 Abs. 1
Satz 1 StromStG fest. Die Entnahme erfolgt demnach nicht nur durch
die Person, die „den Schalter umlegt“,
sondern kann auch Personen zugerechnet werden, die aufgrund einer
besonderen Einwirkungsmöglichkeit auf eine andere Person und
die stromverbrauchenden Anlagen die tatsächliche
Sachherrschaft über diese Anlagen ausüben. In diesem
Zusammenhang kommt es darauf an, ob die Person, die rein
tatsächlich den Stromverbrauch verursacht, eine eigene
Entscheidungsfreiheit in Bezug auf die stromverbrauchenden Anlagen
hat oder ob diese einer anderen Person zusteht. Eine solche
Einwirkungsmöglichkeit ist gegeben beim Einsatz von eigenen
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern eines Unternehmens, kann aber
unter engen Voraussetzungen auch beim Einsatz von Fremdpersonal,
das wie eigenes Personal in den Betrieb eingegliedert ist und nicht
selbständig über die Bedienung der stromverbrauchenden
Anlagen entscheiden kann, der Fall sein. Maßgeblich sind die
Umstände des Einzelfalls.
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76
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bb) Ausgehend von den Umständen des
vorliegenden Streitfalls hat die Klägerin die streitigen
Strommengen entnommen, auch wenn sie teilweise Personal des
Dienstleistungsunternehmens in ihrem Kraftwerk eingesetzt hat. Die
Klägerin behielt die unmittelbare Sachherrschaft über die
stromerzeugenden Anlagen und über die Anlagenbestandteile, mit
denen die hier streitigen Vorgänge durchgeführt wurden,
da sie keine rechtlichen Befugnisse an das
Dienstleistungsunternehmen übertragen hatte und die Kontrolle
über die Anlagen durch die klägerischen Mitarbeiterinnen
und Mitarbeiter sichergestellt blieb, selbst wenn einzelne
Anlagenbestandteile durch das Personal des
Dienstleistungsunternehmens bedient wurden. Somit verblieb der
Klägerin nicht lediglich die Stellung einer mittelbaren
Besitzerin.
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77
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Darüber hinaus hatte das
Dienstleistungsunternehmen weder Vollmachten noch wurden ihr
Betriebsmittel übertragen. Abgesehen davon konnte das Personal
des Dienstleistungsunternehmens nach den gemäß §
118 Abs. 2 FGO bindenden Feststellungen des FG keine eigenen
Entscheidungen, zum Beispiel hinsichtlich der Auswahl der Kohle,
treffen. Der Schichtleiter, ein Angestellter der Klägerin, war
zudem weisungsbefugt gegenüber dem Personal des
Dienstleistungsunternehmens und verantwortlich für den Betrieb
der Anlagen und technischen Systeme des Kraftwerks.
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78
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Auch der V+E-Koordinator, ein Angestellter des
Dienstleistungsunternehmens, unterlag den Weisungen des
Schichtleiters. Der V+E-Koordinator steuerte zwar Ver- und
Entsorgungsprozesse im Kraftwerk der Klägerin, er wurde jedoch
ebenfalls auf Anordnung des Schichtleiters der Klägerin
tätig und war nicht befugt, den Betriebsablauf
eigenständig zu ändern. Aufgrund dessen hatte er keine
eigene Entscheidungsfreiheit in Bezug auf die stromverbrauchenden
Anlagen, weshalb die Klägerin auch insoweit die unmittelbare
Sachherrschaft über die vom V+E-Koordinator gesteuerten
Anlagenteile innehatte.
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79
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Die Kranfahrer, die die strombetriebenen
Entladekräne am Kai bedienten, waren nach den Feststellungen
des FG ebenfalls von den Weisungen des Schichtleiters der
Klägerin abhängig.
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80
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b) Die Klägerin ist Versorgerin im Sinne
von § 2 Nr. 1 StromStG und damit Steuerschuldnerin nach §
5 Abs. 2 Alternative 1 StromStG.
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81
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4. Das FG hat zu Recht entschieden, dass der
Stromverbrauch im Kalenderjahr 2016 für die
Kohleförderbänder zu den Kohlekreislagern, für die
Kohleförderbänder ab den Kohlekreislagern und für
die Kohlekreislager nach § 9 Abs. 1 Nr. 2 StromStG von der
Stromsteuer befreit ist. Der Stromverbrauch für den Betrieb
der Aschesilos und des Gipskreislagers ist demgegenüber nicht
von der Stromsteuer befreit.
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82
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a) Gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 2
StromStG ist Strom, der zur Stromerzeugung entnommen wird, von der
Steuer befreit. Zur Stromerzeugung entnommen im Sinne von § 9
Abs. 1 Nr. 2 StromStG wird nach § 12 Abs. 1 StromStV Strom,
der in den Neben- und Hilfsanlagen einer Stromerzeugungseinheit
insbesondere zur Wasseraufbereitung, Dampferzeugerwasserspeisung,
Frischluftversorgung, Brennstoffversorgung oder Rauchgasreinigung
(Nr. 1) oder der in Pumpspeicherkraftwerken von den Pumpen zum
Fördern der Speichermedien (Nr. 2) zur Erzeugung von Strom im
technischen Sinne verbraucht wird.
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83
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aa) Der Wortlaut von § 12 Abs. 1
StromStV, der eine nicht abschließende Aufzählung von
Neben- und Hilfsanlagen enthält, legt nahe, dass nur die
Strommengen von der Steuer befreit sind, deren Verwendung in einem
engen Zusammenhang mit der eigentlichen Stromerzeugung steht
(„im technischen Sinne“). Deshalb sind
solche Neben- und Hilfseinrichtungen in die Begünstigung
miteinzubeziehen, ohne die eine Stromerzeugungsanlage nicht
betrieben werden kann. Zur Stromerzeugung entnommen wird demnach
Strom, der erforderlich ist, um die Generatorenleistung zu
ermöglichen (Senatsurteile vom 13.12.2011 - VII R 73/10, BFHE
237, 478 = SIS 12 06 38, Rz 8; vom 06.10.2015 - VII R 25/14, BFHE
251, 563 = SIS 15 29 03, Rz 9 und vom 30.04.2019 - VII R 10/18,
BFHE 264, 556 = SIS 19 11 76, Rz 11; Senatsbeschlüsse vom
09.09.2011 - VII R 75/10, BFHE 235, 89 = SIS 11 34 45, Rz 7 und vom
20.06.2023 - VII R 2/21 = SIS 23 17 60, Rz 33; vgl. auch
Senatsbeschlüsse vom 28.01.2021 - VII B 99/20 = SIS 21 07 63,
Rz 9 und vom 25.10.2023 - VII B 103/22 = SIS 23 18 38, Rz 16). In
die Begünstigung einzubeziehen sind jedoch auch solche
Einrichtungen, ohne die ein Kraftwerk nach den atomrechtlichen,
gewerberechtlichen, umweltrechtlichen, wasserrechtlichen oder
arbeitsrechtlichen Vorschriften oder Auflagen überhaupt nicht
betrieben werden kann (Senatsurteile vom 13.12.2011 - VII R 73/10,
BFHE 237, 478 = SIS 12 06 38, Rz 12, m.w.N.; vom 06.10.2015 - VII R
25/14, BFHE 251, 563 = SIS 15 29 03, Rz 12 und vom 30.04.2019 - VII
R 10/18, BFHE 264, 556 = SIS 19 11 76, Rz 13). Da jedoch
verwaltungsrechtliche Vorgaben nicht die Reichweite der
Stromsteuerbegünstigung bestimmen dürfen, ist auch in
diesen Fällen ein enger Zusammenhang zum technischen Vorgang
der Stromerzeugung unabdingbar (vgl. Senatsurteil vom 30.04.2019 -
VII R 10/18, BFHE 264, 556 = SIS 19 11 76, Rz 13).
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84
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bb) § 9 Abs. 1 Nr. 2 StromStG wurde
eingeführt durch Art. 1 des Gesetzes zum Einstieg in die
ökologische Steuerreform vom 24.03.1999 (BGBl I 1999, 378) mit
der Einschränkung, dass die Entnahme durch einen
Letztverbraucher erfolgen musste. Dieses Tatbestandsmerkmal wurde
durch Art. 2 Nr. 5 Buchst. a Doppelbuchst. bb des Gesetzes zur
Fortführung der ökologischen Steuerreform vom 16.12.1999
(BGBl I 1999, 2432) mit Wirkung vom 01.01.2000 gestrichen, sodass
§ 9 Abs. 1 Nr. 2 StromStG dadurch inhaltlich seine heutige
Fassung erhalten hat. Durch Art. 2 Nr. 6 Buchst. a des Gesetzes zur
Neuregelung der Besteuerung von Energieerzeugnissen und zur
Änderung des Stromsteuergesetzes vom 15.07.2006 (BGBl I 2006,
1534) wurde die Vorschrift mit Wirkung vom 01.08.2006 ohne
inhaltliche Änderung umformuliert und hat ihren heute noch
gültigen Wortlaut erhalten. Diese Änderung diente der
Umsetzung der Energiesteuerrichtlinie in nationales Recht (vgl.
BT-Drucks. 16/1172, S. 1 und 32).
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85
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cc) § 9 Abs. 1 Nr. 2 StromStG beruht auf
Art. 14 Abs. 1 Buchst. a Satz 1 Alternative 1 EnergieStRL, wonach
bei der Stromerzeugung verwendeter elektrischer Strom (Englisch:
„used to produce electricity“;
Französisch: „utilisés pour produire de
l’électricité“)
von der Steuer zu befreien ist.
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86
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(1) Die Energiesteuerrichtlinie hat, wie sich
aus ihren Erwägungsgründen 3 bis 5 und ihrem Art. 1
ergibt, die Festlegung eines harmonisierten Besteuerungssystems
für Energieerzeugnisse und elektrischen Strom zum Gegenstand,
in dessen Rahmen die Besteuerung nach den in dieser Richtlinie
festgelegten Modalitäten die Regel ist (EuGH-Urteil RWE Power
vom 09.03.2023 - C-571/21, EU:C:2023:186 = SIS 23 04 03, Rz 24,
m.w.N.). Dadurch soll das reibungslose Funktionieren des
Binnenmarkts im Energiesektor insbesondere durch Vermeidung von
Wettbewerbsverzerrungen gefördert werden. Zu diesem Zweck
schreibt der Unionsgesetzgeber in Bezug auf die Stromerzeugung den
Mitgliedstaaten in Art. 1 EnergieStRL die Besteuerung des erzeugten
Stroms vor (vgl. S. 5 der Begründung - dort Art. 13 Abs. 1
Buchst. b - des Vorschlags für eine Richtlinie des Rates zur
Restrukturierung der gemeinschaftlichen Rahmenvorschriften zur
Besteuerung von Energieerzeugnissen vom 17.03.1997 - KOM(97) 30
endg. - 97/0111(CNS), Amtsblatt der Europäischen
Gemeinschaften 1997, Nr. C 139, 14), während die für die
Erzeugung dieses Stroms verwendeten Energieerzeugnisse von der
Besteuerung auszunehmen sind, was darauf abzielt, eine
Doppelbesteuerung von elektrischem Strom zu vermeiden (EuGH-Urteile
RWE Power vom 09.03.2023 - C-571/21, EU:C:2023:186 = SIS 23 04 03,
Rz 35 f., m.w.N. und Endesa Generación vom 22.06.2023 -
C-833/21, EU:C:2023:516 = SIS 23 11 54, Rz 29 ff.). Dies soll
dadurch erreicht werden, dass für die Erzeugung von Strom
verwendete Energieerzeugnisse beziehungsweise dafür
verwendeter elektrischer Strom von der Besteuerung ausgenommen
werden sollen, da bereits der erzeugte Strom einer Besteuerung
unterworfen ist (vgl. EuGH-Urteil Cristal Union vom 07.03.2018 -
C-31/17, EU:C:2018:168 = SIS 18 02 40, Rz 30 f.).
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(2) Mit seinem Urteil RWE Power vom 09.03.2023
- C-571/21, EU:C:2023:186 = SIS 23 04 03, Rz 26 f. hat der EuGH
weiter entschieden, dass die Wendung „bei der Stromerzeugung
verwendete Energieerzeugnisse bzw. verwendeter elektrischer
Strom“ bedeutet, dass die Verwendung von
elektrischem Strom im Rahmen der Stromerzeugung erfolgen muss,
indem sie unmittelbar zum technologischen Prozess der
Stromerzeugung beiträgt. Demnach fällt die Verwendung von
elektrischem Strom für die Umwandlung und Aufbereitung eines
Energieerzeugnisses wie Braunkohle, wie das Brechen, das Abscheiden
von Fremdteilen, das Zerkleinern und das Trocknen, unter die
genannte Befreiung, wenn diese Vorgänge für den Prozess
der Stromerzeugung unentbehrlich sind und hierzu unmittelbar
beitragen. Demgegenüber erfasst diese Steuerbefreiung nicht
die Verwendung elektrischen Stroms, die lediglich im Zusammenhang
mit dem Prozess der Stromerzeugung vorkommt. Auch ein
Stromverbrauch im Zusammenhang mit der Herstellung der Braunkohle
(insbesondere ihrer Förderung und ihres Transports zum Zweck
der Lagerung) wird nicht von Art. 14 Abs. 1 Buchst. a Satz 1
EnergieStRL begünstigt (EuGH-Urteil RWE Power vom 09.03.2023 -
C-571/21, EU:C:2023:186 = SIS 23 04 03, Rz 27 f.).
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Aus den Ausführungen des EuGH ergibt
sich, dass Bearbeitungshandlungen in Bezug auf Energieerzeugnisse
der Stromerzeugung und damit der Steuerbefreiung nach Art. 14 Abs.
1 Buchst. a Satz 1 EnergieStRL zugeordnet werden, sofern auch die
weiteren Voraussetzungen, nämlich deren Unentbehrlichkeit
für den Prozess der Stromerzeugung und der unmittelbare
Beitrag hierzu, erfüllt sind. Ein nur mittelbarer Zusammenhang
zur Stromerzeugung ist demgegenüber nicht ausreichend
(EuGH-Urteil RWE Power vom 09.03.2023 - C-571/21, EU:C:2023:186 =
SIS 23 04 03, Rz 29 und 31).
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Der Verbrauch von elektrischem Strom, der dazu
dient, ein Energieerzeugnis im Sinne von Art. 2 Abs. 1 Buchst. b
EnergieStRL zu erzeugen (zum Beispiel Braunkohle), gehört
demgegenüber nicht zum Vorgang der Stromerzeugung (vgl. dazu
Schlussanträge des Generalanwalts Rantos vom 13.10.2022 -
C-571/21, EU:C:2022:780, Rz 50). Dementsprechend fällt nach
Auffassung des Generalanwalts Rantos in seinen Schlussanträgen
zum Verfahren RWE Power elektrischer Strom, der für die
Aufbereitung der Braunkohle in den Kraftwerken verwendet wird, ab
dem Zeitpunkt, ab dem die Rohbraunkohle als
„Energieerzeugnis“ eingestuft wird, und
der bei Vorgängen verbraucht wird, die innerhalb desselben
Betriebs oder zumindest in Neben- oder Hilfsanlagen erfolgen und
der Umwandlung und Aufbereitung der Braunkohle in den Kraftwerken
dienen, unter die Befreiung von der Stromsteuer. Die Aufbereitung
dient nämlich nicht mehr der Erzeugung des
„Energieerzeugnisses“, sondern
unmittelbar der Stromerzeugung (Schlussanträge des
Generalanwalts Rantos vom 13.10.2022 - C-571/21, EU:C:2022:780, Rz
53).
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90
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(3) Diese Ausführungen stehen im Einklang
mit der Regelung der Energieerzeugnisse in Art. 2 Abs. 1
EnergieStRL, die anhand der dort aufgeführten
(Unter-)Positionen der Kombinierten Nomenklatur zu bestimmen sind.
Sind die von der Kombinierten Nomenklatur vorgegebenen objektiven
Beschaffenheitsmerkmale erfüllt, liegt ein Energieerzeugnis
vor, dessen reine Herstellung nicht nach Art. 14 Abs. 1 Buchst. a
Satz 1 EnergieStRL begünstigt ist (vgl. auch Senatsbeschluss
vom 09.09.2011 - VII R 75/10, BFHE 235, 89 = SIS 11 34 45, Rz 11).
Ob Stromverbräuche zur weiteren Bearbeitung eines bereits
vorhandenen Energieerzeugnisses gemäß § 9 Abs. 1
Nr. 2 StromStG steuerfrei sind, hängt - wie bereits
erwähnt - davon ab, ob ein unmittelbarer Zusammenhang zur
Stromerzeugung besteht.
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(4) Das Stromerzeugern gewährte
Herstellerprivileg ist demzufolge von der in Art. 21 Abs. 3
EnergieStRL festgelegten Steuerbegünstigung für die
Herstellung von Energieerzeugnissen, zu denen Strom selbst nicht
gehört, abzugrenzen. Nach Art. 21 Abs. 3 Satz 1 EnergieStRL
ist eine obligatorische Steuerbefreiung (nur) für den
Verbrauch solcher Energieerzeugnisse zu gewähren, die
innerhalb des Betriebsgeländes des Herstellerbetriebs
hergestellt worden sind. Die Begünstigung von elektrischem
Strom und Energieerzeugnissen, die nicht innerhalb des
Betriebsgeländes hergestellt wurden, ist demgegenüber den
Mitgliedstaaten nach Art. 21 Abs. 3 Satz 2 EnergieStRL
freigestellt, wovon die Bundesrepublik Deutschland (Deutschland)
keinen Gebrauch gemacht hat. Demnach besteht nach den
unionsrechtlichen Vorgaben keine obligatorische Steuerbefreiung
für Strom, der zur Herstellung von Energieerzeugnissen
eingesetzt wird, die bei der Stromerzeugung Verwendung finden.
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(5) Das Herstellerprivileg in Art. 14 Abs. 1
Buchst. a Satz 1 EnergieStRL wird von der fakultativen
Steuerbegünstigung in Art. 15 Abs. 1 Buchst. c EnergieStRL,
wonach die Mitgliedstaaten für Energieerzeugnisse und
elektrischen Strom, die für die Kraft-Wärme-Kopplung
verwendet werden, Steuerbefreiungen und
Steuerermäßigungen gewähren können, nicht
eingeschränkt. Denn damit sollte lediglich eine
zusätzliche Möglichkeit einer Steuerbegünstigung
geschaffen, die obligatorische Steuerbefreiung in Art. 14 Abs. 1
Buchst. a Satz 1 EnergieStRL aber nicht ausgeschlossen werden
(EuGH-Urteil Cristal Union vom 07.03.2018 - C-31/17, EU:C:2018:168
= SIS 18 02 40, Rz 44).
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93
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b) Nach Art. 14 Abs. 1 Buchst. a Satz 1
Alternative 2 EnergieStRL ist elektrischer Strom, der zur
Aufrechterhaltung der Fähigkeit, elektrischen Strom zu
erzeugen, verwendet wird, ebenfalls von der Steuer zu befreien.
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aa) Diesbezüglich hat der EuGH mit seinem
Urteil RWE Power vom 09.03.2023 - C-571/21, EU:C:2023:186 = SIS 23 04 03, Rz 44 ff. entschieden, dass es sich hierbei um eine zweite
und separate Fallgestaltung handelt, die nicht auf Tätigkeiten
im Bereich der Stromerzeugung abzielt, sondern auf die Verwendung
von elektrischem Strom, die dieser Erzeugung vor- oder nachgelagert
ist, wenn diese Verwendung zur Aufrechterhaltung der
Fähigkeit, elektrischen Strom zu erzeugen, dient. Die
Steuerbefreiung nach Art. 14 Abs. 1 Buchst. a Satz 1 Alternative 2
EnergieStRL ist ebenfalls restriktiv auszulegen, weshalb ihre
Anwendung voraussetzt, dass der elektrische Strom verwendet wird,
um die Fähigkeit des technologischen Prozesses der
Stromerzeugung unmittelbar aufrechtzuerhalten. Demnach sah der EuGH
in diesem Fall nur die im Kraftwerk stattfindenden Vorgänge
der Lagerung und des Transports der Braunkohle als für die
Aufrechterhaltung der Fähigkeit des technologischen Prozesses,
elektrischen Strom zu erzeugen, unentbehrlich an (EuGH-Urteil RWE
Power vom 09.03.2023 - C-571/21, EU:C:2023:186 = SIS 23 04 03, Rz
50).
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95
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Auch der erkennende Senat hat die zweite
Alternative des Art. 14 Abs. 1 Buchst. a Satz 1 EnergieStRL
implizit von dessen erster Alternative abgegrenzt und entschieden,
die unionsrechtlichen Vorgaben in Art. 14 Abs. 1 Buchst. a Satz 1
EnergieStRL sprächen dagegen, dass die Steuerbegünstigung
„bei der Stromerzeugung“ (Englisch:
„used to produce electricity“;
Französisch: „utilisés pour produire de
l’électricité“),
also die erste Alternative in dieser Vorschrift, der eigentlichen
Stromerzeugung nachgelagerte oder ihr sonst nicht zuzurechnende
Prozesse steuerlich privilegieren soll (vgl. Senatsurteil vom
30.04.2019 - VII R 10/18, BFHE 264, 556 = SIS 19 11 76, Rz 11 f.).
In Übereinstimmung mit der EuGH-Entscheidung RWE Power vom
09.03.2023 - C-571/21, EU:C:2023:186 = SIS 23 04 03, Rz 45 ff.
konkretisiert der Senat diesen rechtlichen Maßstab
dahingehend, dass die Steuerbefreiung nach § 9 Abs. 1 Nr. 2
StromStG nur für solchen Strom zu gewähren ist, der zur
eigentlichen Stromerzeugung entnommen wird, und der Stromerzeugung
vor- und nachgelagerte Vorgänge unter den Voraussetzungen des
Art. 14 Abs. 1 Buchst. a Satz 1 Alternative 2 EnergieStRL
privilegiert sind.
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96
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bb) Zu Art. 14 Abs. 1 Buchst. a Satz 1
Alternative 2 EnergieStRL sind in Deutschland bislang keine
Vorschriften erlassen worden, sodass diese Alternative nicht in
nationales Recht umgesetzt wurde.
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Nach ständiger EuGH-Rechtsprechung kann
sich der Einzelne jedoch in all den Fällen, in denen die
Bestimmungen einer Richtlinie inhaltlich unbedingt und hinreichend
genau sind, vor den nationalen Gerichten gegenüber dem Staat
auf diese Bestimmungen berufen, wenn dieser die Richtlinie nicht
fristgemäß oder nur unzulänglich in das nationale
Recht umgesetzt hat (EuGH-Urteil Flughafen Köln/Bonn vom
17.07.2008 - C-226/07, EU:C:2008:429 = SIS 08 37 55, Rz 23). Zur
Verpflichtung nach Art. 14 Abs. 1 Buchst. a Satz 1 Alternative 1
EnergieStRL, die für die Stromerzeugung bestimmten
Energieerzeugnisse von der in der Energiesteuerrichtlinie
vorgesehenen Besteuerung auszunehmen, hat der EuGH entschieden,
dass diese so genau und unbedingt ist, dass sie dem Einzelnen das
Recht verleiht, sich vor den nationalen Gerichten auf sie zu
berufen, um sich einer mit ihr unvereinbaren nationalen Regelung zu
widersetzen (EuGH-Urteile Flughafen Köln/Bonn vom 17.07.2008 -
C-226/07, EU:C:2008:429 = SIS 08 37 55, Rz 33 und 39 und Cristal
Union vom 07.03.2018 - C-31/17, EU:C:2018:168 = SIS 18 02 40, Rz
26).
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98
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Steuerpflichtige können sich gleichfalls
unmittelbar auf Art. 14 Abs. 1 Buchst. a Satz 1 Alternative 2
EnergieStRL berufen, weil diese Regelung ebenfalls unbedingt und
hinreichend genau ist (so auch FG Düsseldorf, Urteil vom
19.04.2023 - 4 K 3119/18 VSt = SIS 23 09 17, Rz 81).
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99
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c) Aufgrund der unterschiedlichen Ziele des
Stromsteuerrechts und der technischen Regelwerke kann bei der
Auslegung stromsteuerrechtlicher Begrifflichkeiten nicht auf die
anerkannten Regeln der Technik, zum Beispiel die Richtlinien des
Vereins Deutscher Ingenieure e.V. (VDI) oder das
Kraftwerk-Kennzeichnungssystem abgestellt werden, weil diese
anderen Zwecken dienen. Beispielsweise handelt es sich bei den
VDI-Richtlinien um technische Regelwerke, die den aktuellen Stand
der Technik abbilden (vgl. www.vdi.de/richtlinien). Auch das
Arbeitsblatt FW 308 „Zertifizierung von KWK-Anlagen -
Ermittlung des KWK-Stromes“ des
AGFW/Energieeffizienzverband für Wärme, Kälte und
KWK e.V. (Bundesanzeiger, Nichtamtlicher Teil, Institutionelle
Veröffentlichungen vom 19.10.2015) kann nicht zur Auslegung
stromsteuerrechtlicher Begriffe und Steuerbefreiungsvorschriften
herangezogen werden. Die Auslegung des Stromsteuerrechts muss sich
vielmehr an der Energiesteuerrichtlinie orientieren, weshalb
für die Auslegung des Stromsteuergesetzes grundsätzlich
auch nicht die Definitionen und Vorgaben des Gesetzes für den
Ausbau erneuerbarer Energien maßgeblich sind (vgl. z.B.
Senatsbeschluss vom 17.01.2023 - VII R 54/20, BFHE 279, 341 = SIS 23 06 98, Rz 32 f., m.w.N.).
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100
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Soweit in den Gesetzgebungsmaterialien zu
§ 3 EnergieStG bei der Berechnung des Nutzungsgrads von
Kraft-Wärme-Kopplungs-Anlagen (BT-Drucks. 17/11387, S. 35) und
zu § 53 EnergieStG bei der Abgrenzung des
Stromerzeugungsprozesses von peripheren Anlagenteilen (BT-Drucks.
17/11387, S. 36) die Anwendung der Regeln der Technik
befürwortet wird, betrifft dies rein technische Fragen, aber
nicht die Auslegung von Unionsrecht.
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101
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d) Ausgehend von diesen rechtlichen Grundlagen
hat das FG zu Recht entschieden, dass die im Kalenderjahr 2016
für den Betrieb der Förderbänder zu den
Kohlekreislagern (… MWh) und weg von den Kohlekreislagern
(… MWh) sowie für den Betrieb der Kohlekreislager
(… MWh) entnommene Menge elektrischen Stroms
gemäß Art. 14 Abs. 1 Buchst. a Satz 1 Alternative 2
EnergieStRL von der Stromsteuer befreit ist. Demgegenüber sind
die für den Betrieb der Aschesilos und den Betrieb des
Gipskreislagers im Kalenderjahr 2016 entnommenen Strommengen
(… MWh beziehungsweise … MWh) nicht von der
Stromsteuer befreit.
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102
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aa) Die Vorgänge im Zusammenhang mit dem
Transport der Kohle auf den Förderbändern und deren
Einlagerung in den Kohlekreislagern erfolgten mit dem Ziel, eine
über vier Wochen bestehende Dauerlastfähigkeit
sicherzustellen, etwa für den Fall vorübergehend
ausbleibender Kohlelieferungen. Dieser Stromverbrauch ist somit
erforderlich, um die Fähigkeit, elektrischen Strom zu
erzeugen, aufrechtzuerhalten. Darüber hinaus ist eine
Direktbekohlung nach den gemäß § 118 Abs. 2 FGO
bindenden Feststellungen des FG wegen einer möglichen
Selbstentzündung und eventueller Fremdkörper in der
angelieferten Kohle gefährlich. Auch daraus ergibt sich, dass
die Zwischenlagerung der Kohle und der dafür erforderliche
Transport auf dem Kraftwerksgelände zur Aufrechterhaltung der
Fähigkeit, Strom zu erzeugen, notwendig waren, weil dadurch
Schäden an der Anlage vorgebeugt wurde. Schließlich war
die Lagerung der Kohle nach den weiteren Feststellungen des FG
für die Kohleanalyse erforderlich, um eine korrekte Mischung
und damit die Einhaltung der Heiz- und Emissionswerte und
Verbrennungsrückstände zu gewährleisten,
während bei einer Direktbekohlung keine hinreichende
Kohleanalyse zur Einhaltung der Emissionsgrenzwerte
durchgeführt werden könnte. Die geschlossenen
Förderbänder und die geschlossene Lagerung der Kohle
waren zudem zur Staubvermeidung in der immissionsschutzrechtlichen
Genehmigung vorgegeben. Nach der oben dargestellten
Senatsrechtsprechung können verwaltungsrechtliche
Genehmigungen Einfluss auf die Einbeziehung von Einrichtungen eines
Kraftwerks in die Steuerfreiheit nach dem Stromsteuerrecht haben,
sofern ein ausreichender Zusammenhang mit der Stromerzeugung
gegeben ist, was vorliegend der Fall ist. Auch ist es ohne
Bedeutung, ob die Klägerin die Anlage anders hätte planen
können und der Stromverbrauch dann beispielsweise durch
kürzere Förderbänder geringer ausgefallen
wäre.
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103
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bb) Soweit das FG weiterhin entschieden hat,
dass auch der im Kalenderjahr 2016 in den E-Filtern verbrauchte
Strom (… MWh) von der Stromsteuer befreit ist, ist dies
mittlerweile nicht mehr streitgegenständlich, weil das HZA
während des Revisionsverfahrens einen Änderungsbescheid
(VSP-XXX-3) erlassen hat und diese Strommenge steuerfrei gestellt
hat. Diese Steueränderung hat Bestand und wird durch das
vorliegende Urteil des erkennenden Senats nicht berührt.
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104
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cc) Die für den Betrieb der Aschesilos
und des Gipskreislagers im Kalenderjahr 2016 entnommenen
Strommengen (… MWh beziehungsweise … MWh) sind
demgegenüber nicht von der Stromsteuer befreit.
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105
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Nach den Feststellungen des FG wurden der
getrocknete Gips und ein Teil der Asche vermarktet und zur
Zementherstellung beziehungsweise in der Baubranche eingesetzt. Die
Trocknung des Gipses und der Transport sowie die Verladung der
Asche und des Gipses mit Hilfe von Förderbändern
beziehungsweise Förderluft hatten somit keinen ausreichenden
Zusammenhang mehr mit der Stromerzeugung oder der Aufrechterhaltung
der Fähigkeit, elektrischen Strom zu erzeugen. Vielmehr
handelte es sich dabei um selbständige Wirtschaftsgüter,
die die Klägerin weiterverkaufte. Eine Steuerbefreiung der
Gips- und Ascheaufbereitung und -verladung führte zu einer
doppelten Begünstigung, da weder die erzeugten Produkte noch
der für deren Herstellung verbrauchte Strom besteuert
würden. Dies stünde im Widerspruch zur gesetzgeberischen
Intention, eine steuerliche Begünstigung ausschließlich
für den Strom zu schaffen, der unmittelbar für die
Stromerzeugung oder deren Aufrechterhaltung erforderlich ist. Zudem
könnten sich andere Hersteller von Gips und Asche, die keinen
Strom erzeugen, nicht auf die Steuerbefreiung nach § 9 Abs. 1
Nr. 2 StromStG oder Art. 14 Abs. 1 Buchst. a Satz 1 Alternative 2
EnergieStRL berufen, sodass es zu einer Wettbewerbsverzerrung
käme.
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106
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Soweit der erkennende Senat entschieden hat,
dass der für den Betrieb von Zentrifugen, die zur
Entwässerung einer Gipssuspension eingesetzt werden,
verwendete Strom gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 2 StromStG
steuerfrei ist (vgl. Senatsurteil vom 13.12.2011 - VII R 73/10,
BFHE 237, 478 = SIS 12 06 38, Rz 16), ist diese Entscheidung nicht
auf den vorliegenden Streitfall übertragbar. Denn in dem vom
Senat im Jahr 2011 entschiedenen Fall waren die Entwässerung
des Gipses und dessen Entsorgung auf einer Sondermülldeponie
in der Betriebsgenehmigung für die Anlage vorgeschrieben. Im
vorliegenden Streitfall wurde der Gips jedoch nach der Trocknung
zur Vermarktung verladen.
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107
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e) In Bezug auf die Stromsteuerfestsetzung
für das Kalenderjahr 2017 hat das FG zu Recht entschieden,
dass die Entnahme von Strom zum Betrieb der Entladekräne, der
Kohleförderbänder zu den Kohlekreislagern und weg von den
Kohlekreislagern, zum Betrieb der Kohlekreislager, für die
Kreideanlieferung und -lagerung, für die Lagerung des
Ammoniakwassers und für die Wasseraufbereitung (Abwasser) von
der Stromsteuer befreit sind. Der Stromverbrauch für die
Schlacketrocknung und den Schlackeabzug, für die
Schlackelagerung, den Betrieb der Aschesilos, die Gipstrocknung und
den Betrieb des Gipskreislagers sind demgegenüber nicht von
der Stromsteuer befreit.
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108
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aa) Die Steuerbefreiung ergibt sich aus §
9 Abs. 1 Nr. 2 StromStG beziehungsweise aus Art. 14 Abs. 1 Buchst.
a Satz 1 EnergieStRL.
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109
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(1) Der Strom zum Betrieb der
Entladekräne (… MWh) dient aus denselben
Erwägungen wie der Betrieb der Förderbänder und
Kohlekreislager der Aufrechterhaltung der Fähigkeit,
elektrischen Strom zu erzeugen, und ist aus den bereits
dargestellten Gründen gemäß Art. 14 Abs. 1 Buchst.
a Satz 1 Alternative 2 EnergieStRL von der Stromsteuer befreit.
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110
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(2) Zur Steuerbefreiung für den zum
Betrieb der Kohleförderbänder zu den Kohlekreislagern und
weg von den Kohlekreislagern und zum Betrieb der Kohlekreislager
entnommenen Strom wird auf die obigen Ausführungen
hinsichtlich des Kalenderjahres 2016 verwiesen.
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(3) Der für die Kreideanlieferung und
Kreidelagerung erforderliche Strom (… MWh im Kalenderjahr
2017) wurde für die Rauchgasreinigung verbraucht und ist daher
gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 2 StromStG i.V.m. § 12
Abs. 1 Nr. 1 StromStV ebenfalls von der Stromsteuer befreit.
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112
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Nach den gemäß § 118 Abs. 2
FGO bindenden Feststellungen des FG erfolgte die strombetriebene
Rauchgasentschwefelung mittels Kreideberieselung. Dies war zwingend
erforderlich, um dem bei der Stromerzeugung entstehenden Rauchgas
Schwefel und Stickoxide zu entziehen und war in der
Betriebsgenehmigung der Klägerin vorgeschrieben. Die
Rauchgasreinigung ist in § 12 Abs. 1 Nr. 1 StromStV
ausdrücklich genannt und wurde vom Verordnungsgeber der
Stromerzeugung zugeordnet. Damit hat er sich im Rahmen der
Ermächtigungsvorschrift des § 11 Satz 1 Nr. 8 StromStG
gehalten.
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113
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Soweit das HZA in der mündlichen
Verhandlung darauf hingewiesen hat, dass es sich bei der
Rauchgasreinigung um einen nachgelagerten Vorgang handelt, steht
dieser Einwand dem Wortlaut des § 12 Abs. 1 Nr. 1 StromStV
insofern entgegen, als die Rauchgasreinigung dort ausdrücklich
der Stromerzeugung zugeordnet wird. Letztlich kommt es darauf
jedoch nicht an, weil sich eine Steuerbefreiung für der
Stromerzeugung nachgelagerte Vorgänge unmittelbar aus Art. 14
Abs. 1 Buchst. a Satz 1 Alternative 2 EnergieStRL ergibt und somit
auch bei der Einordnung als nachgelagerter Vorgang eine
Steuerbefreiung gegeben wäre.
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(4) Der Stromverbrauch für die
Anlieferung und Lagerung von Ammoniak beziehungsweise die Lagerung
des Ammoniakwassers (… MWh im Kalenderjahr 2017) ist
gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 2 StromStG i.V.m. § 12
Abs. 1 Nr. 1 StromStV von der Stromsteuer befreit, weil der
Ammoniak nach den Feststellungen des FG bei der
Rauchgasentschwefelung eingesetzt wurde.
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(5) Die für die Abwasseraufbereitung
verbrauchten Strommengen (… MWh im Jahr 2017) sind ebenfalls
gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 2 StromStG i.V.m. § 12
Abs. 1 Nr. 1 StromStV von der Stromsteuer befreit. In § 12
Abs. 1 Nr. 1 StromStV wird die Wasseraufbereitung als
begünstigter Vorgang aufgeführt, ohne dass hierbei nach
Frischwasser- oder Abwasseraufbereitung unterschieden wird.
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Zudem hat das FG einen unmittelbaren
technischen Zusammenhang mit dem Energieumwandlungsprozess mittels
eines Dampfkreislaufs bejaht und damit auch bindende Feststellungen
zur technischen Bedeutung der Abwasseraufbereitung getroffen. Des
Weiteren musste die Klägerin das Prozesswasser aufgrund
genehmigungsrechtlicher Vorgaben vor der Wiedereinleitung in einen
nahe gelegenen Fluss reinigen und kühlen.
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bb) Die Entnahme von Strom für die
Schlacketrocknung und den Schlackeabzug, die Schlackelagerung, die
Aschesilos, die Gipstrocknung und das Gipskreislager ist ausgehend
von den oben dargestellten Grundsätzen nicht von der
Stromsteuer befreit. Diese Vorgänge dienen - wie das FG
richtig geurteilt hat - weder der Stromerzeugung gemäß
§ 9 Abs. 1 Nr. 2 StromStG noch der Aufrechterhaltung der
Fähigkeit, elektrischen Strom zu erzeugen, im Sinne von Art.
14 Abs. 1 Buchst. a Satz 1 Alternative 2 EnergieStRL.
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(1) Die für die Schlacketrocknung und den
Schlackeabzug entnommenen Strommengen (… MWh im Kalenderjahr
2017) und der Strom für die Schlackelagerung (… MWh im
Kalenderjahr 2017) sind nicht von der Stromsteuer befreit.
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(a) Die Schlacke fiel zwar als nicht
flugfähiger Verbrennungsrückstand der Kohle in den
Brennkammern an. Die strombetriebene Entnahme aus dem Schlackebad
diente jedoch nicht mehr der Stromerzeugung, weil diese in diesem
Verfahrensstand bereits abgeschlossen war. Die Weiterbehandlung der
Schlacke ist auch nicht zur Aufrechterhaltung der Stromerzeugung
erforderlich, sondern von dieser unabhängig. Die Herstellung
der Schlacke hängt somit nicht mit der Stromerzeugung im
Kraftwerk der Klägerin zusammen und fördert diese nicht
(vgl. dazu Senatsurteil vom 19.03.2019 - VII R 13/18, BFHE 264, 550
= SIS 19 10 10, Rz 16 f.).
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Darüber hinaus hat das FG festgestellt,
dass Schlacke in vielen Betrieben anfällt, die Kohle
verheizen, was ebenfalls bestätigt, dass die Weiterbearbeitung
der Schlacke in keinem Zusammenhang mit der Stromerzeugung oder
deren Aufrechterhaltung steht. Weiter hat das FG festgestellt, dass
die Schlacke an gewerbliche Abnehmer veräußert wurde und
damit in Konkurrenz zu Schlacke trat, die in stromsteuerpflichtigen
Herstellungsbetrieben für Energieerzeugnisse oder in anderen
Kohle verheizenden Herstellungsbetrieben anfällt. Auch soweit
keine Erlöse erzielt werden konnten, würde eine Befreiung
von der Stromsteuer zu einer ungerechtfertigten Begünstigung
der Klägerin im Vergleich zu anderen Unternehmen führen,
die ebenfalls Schlacke herstellen.
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(b) Die Schlacke kann auch nicht in Anwendung
der Rechtsprechung zu den Kuppelprodukten als steuerfrei angesehen
werden.
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Kuppelprodukte fallen zwangsläufig bei
der Herstellung von Energieerzeugnissen an (vgl. Senatsurteil vom
19.03.2019 - VII R 13/18, BFHE 264, 550 = SIS 19 10 10, Rz 21). Die
Steuerfreiheit des Verbrauchs von Energieerzeugnissen
gemäß Art. 21 Abs. 3 Satz 1 EnergieStRL betrifft
allerdings nur Betriebe, die Energieerzeugnisse herstellen, was auf
die Klägerin nicht zutrifft. Denn diese erzeugt elektrischen
Strom und keine Energieerzeugnisse, die nach der
Energiesteuerrichtlinie von Strom zu unterscheiden sind (vgl. Art.
2 Abs. 1 und 2 EnergieStRL).
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Abgesehen davon, dass die Klägerin keine
Kraftstoffe herstellt, wäre die fakultative
Steuerbegünstigung nach Art. 21 Abs. 3 Satz 2 EnergieStRL
(vgl. dazu EuGH-Urteil Koppers Denmark vom 06.06.2018 - C-49/17,
EU:C:2018:395 = SIS 18 08 04, Rz 35) nicht geeignet, das
Herstellerprivileg nach Art. 14 Abs. 1 Buchst. a Satz 1 EnergieStRL
zu erweitern.
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Der Klägerin ist zudem insoweit Recht zu
geben, als die Rechtsprechung bezüglich der Kuppelprodukte zum
energiesteuerrechtlichen Herstellerprivileg nach Art. 21 Abs. 3
EnergieStRL und nicht zum stromsteuerrechtlichen Herstellerprivileg
nach Art. 14 Abs. 1 Buchst. a Satz 1 EnergieStRL ergangen ist. Eine
entsprechende Anwendung der Rechtsprechung zu den Kuppelprodukten
hält der Senat aufgrund des Ausnahmecharakters von § 9
Abs. 1 Nr. 2 StromStG bzw. Art. 14 Abs. 1 Buchst. a Satz 1
EnergieStRL und des Fehlens einer Art. 21 Abs. 3 EnergieStRL
vergleichbaren Regelung nicht für geboten - unabhängig
davon, ob die Herstellung von Schlacke danach überhaupt
begünstigt wäre (s. oben).
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Im Übrigen erstreckt sich die
Steuerbegünstigung auch im Fall des Verbrauchs von
Energieerzeugnissen nicht auf den Teil, der auf die Herstellung
nicht energetischer Erzeugnisse entfällt. Insbesondere wenn
die gewonnenen nicht energetischen Erzeugnisse wirtschaftlich
verwertet werden, könnte durch die Gewährung einer
Steuerbegünstigung der Zweck der Energiesteuerrichtlinie - die
Einführung eines harmonisierten Systems zur Besteuerung von
Energieerzeugnissen und elektrischen Strom - beeinträchtigt
werden (vgl. EuGH-Urteil Repsol Petróleo vom 03.12.2020 -
C-44/19, EU:C:2020:982 = SIS 20 19 56, Rz 30 und 37; vgl. auch
Senatsurteil vom 19.03.2019 - VII R 13/18, BFHE 264, 550 = SIS 19 10 10, Rz 24).
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(2) Der Stromverbrauch für das Aschesilo
(… MWh im Kalenderjahr 2016 und … MWh im Kalenderjahr
2017), die Gipstrocknung (… MWh im Kalenderjahr 2017) und
das Gipskreislager (… MWh im Kalenderjahr 2016 und …
MWh im Kalenderjahr 2017) ist aus denselben Gründen nicht
gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 2 StromStG bzw. Art. 14 Abs. 1
Buchst. a Satz 1 Alternative 2 EnergieStRL stromsteuerbefreit.
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cc) Soweit die Klägerin im
Revisionsverfahren eine vollständige Aufhebung der
angefochtenen Steueränderungsbescheide beantragt hat, reicht
ihr Antrag zwar betragsmäßig weiter als in der ersten
Instanz, wo sie in Bezug auf das Kalenderjahr 2017 eine
Steuerforderung in Höhe von … EUR anerkannt hatte. Da
die Revision jedoch auch insoweit unbegründet wäre, kann
es dahinstehen, ob es sich hierbei um eine gemäß §
123 Abs. 1 Satz 1 FGO unzulässige Klageänderung
handelt.
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III. Die Kostenentscheidung beruht auf §
135 Abs. 1 und 2 FGO. Die Übertragung der Berechnung der
Stromsteuer für das Kalenderjahr 2016 beruht auf § 100
Abs. 2 Satz 2, § 121 Satz 1 FGO.
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