Die Revision des Beklagten gegen das Urteil
des Sächsischen Finanzgerichts vom 03.02.2021 - 2 K 763/20 =
SIS 21 06 61 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens hat der
Beklagte zu tragen.
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I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte
(Klägerin) war im Jahr 2012 (Streitjahr) Organträgerin
einer GmbH. Die GmbH erbrachte gegenüber einer AG, einer
Bauträgerin, im Streitjahr Bauleistungen ohne gesonderten
Ausweis der Umsatzsteuer, da die Vertragspartner von der
Steuerschuldnerschaft der Bauträgerin gemäß §
13b des Umsatzsteuergesetzes (UStG) ausgingen. Die Klägerin
erfasste die an die Bauträgerin erbrachten Leistungen daher
nicht in ihren monatlich abgegebenen Voranmeldungen, die
gemäß § 168 Satz 1 und 2 der Abgabenordnung (AO) zu
Steuerfestsetzungen unter Vorbehalt der Nachprüfung
führten.
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Über das Vermögen der GmbH
eröffnete das zuständige Amtsgericht mit Beschluss vom
XX.01.2013 das Insolvenzverfahren. Die Klägerin reichte am
09.04.2014 eine gemäß § 168 Satz 1 AO nicht
zustimmungsbedürftige Umsatzsteuerjahreserklärung
für das Streitjahr beim Beklagten und Revisionskläger
(Finanzamt - FA - ) ein. Am 14.07.2014 reichte sie eine aus hier
nicht streitigen Gründen berichtigte - und gemäß
§ 168 Satz 2 AO zustimmungsbedürftige -
Umsatzsteuerjahreserklärung ein, der das FA am 07.10.2014
zustimmte. In beiden Umsatzsteuerjahreserklärungen ging die
Klägerin wiederum von einer Steuerschuldnerschaft der
Bauträgerin für die an diese erbrachten Leistungen
aus.
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Die Bauträgerin beantragte aufgrund
des Senatsurteils vom 22.08.2013 - V R 37/10 (BFHE 243, 20, BStBl
II 2014, 128 = SIS 13 31 06) im Jahr 2015 die Erstattung der von
ihr entrichteten Umsatzsteuer. Daher setzte das FA mit Bescheid vom
14.09.2016 gemäß § 164 Abs. 2 AO gegenüber der
Klägerin als Organträgerin die Umsatzsteuer für das
Streitjahr um 49.487,02 EUR höher fest. Mit Bescheid vom
14.10.2016 änderte das FA die Umsatzsteuerfestsetzung nochmals
wegen hier nicht streitiger Gründe.
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Der Einspruch der Klägerin blieb ohne
Erfolg. Am 15.02.2019 bot die Klägerin dem FA an, einen ihr
gegenüber der GmbH aufgrund der seinerzeitigen Organschaft
zustehenden Anspruch auf Ausgleich der Umsatzsteuer abzutreten, und
meldete diese Forderung zur Insolvenztabelle an. Das FA nahm die
Abtretung nicht an. Die Insolvenzverwalterin der GmbH
übersandte der Bauträgerin keine geänderten
Rechnungen und machte gegenüber dieser auch keine
Nachforderung geltend.
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Demgegenüber gab das Finanzgericht
(FG) der Klage statt. Nach seinem in EFG 2021, 1235 = SIS 21 06 61
veröffentlichten Urteil fehlte es für den
Änderungsbescheid vom 14.09.2016 an einer Korrekturgrundlage.
Eine Änderung nach § 164 Abs. 2 AO scheitere an §
176 AO. Zwar sei beim Eingang der nach § 168 Satz 1 AO als
Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung geltenden
Umsatzsteuerjahreserklärung das Senatsurteil in BFHE 243, 20,
BStBl II 2014, 128 = SIS 13 31 06 bereits veröffentlicht
gewesen. Es sei aber das „Steuerjahr
2012“ zu diesem Zeitpunkt bereits abgelaufen
gewesen. Die Klägerin habe bei Abgabe der Steuererklärung
die bisherige Beurteilung zugrunde gelegt. Vertrauensschutz greife
ein, wenn die Finanzbehörde bei Kenntnis der Umstände die
bisherige Beurteilung von sich aus angewendet hätte. Das
Bundesministerium der Finanzen (BMF) habe in seinem Schreiben vom
05.02.2014 (BStBl I 2014, 823) die geänderte Rechtsprechung
für alle Umsätze ab dem 14.02.2014 für anwendbar
erklärt. Auch die Voraussetzungen des § 27 Abs. 19 UStG
lägen nicht vor. Abtretbarer Anspruch sei im Fall einer
Organschaft nur der dem Organträger gegenüber der
Organgesellschaft zustehende Erstattungsanspruch. Dessen Abtretung
habe das FA nicht angenommen.
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Hiergegen wendet sich das FA mit seiner auf
das Streitjahr beschränkten Revision. Änderungsschutz
komme nur nach § 176 Abs. 2 AO in Betracht. Dieser scheide
aber aus, da das Senatsurteil in BFHE 243, 20, BStBl II 2014, 128 =
SIS 13 31 06 vor der Abgabe der Umsatzsteuerjahreserklärung
des Streitjahres veröffentlicht worden sei. Es sei
unerheblich, dass die Klägerin Umsatzsteuervoranmeldungen
für Januar bis Dezember 2012 eingereicht habe und diese
Steuerfestsetzungen unter dem Vorbehalt der Nachprüfung
darstellten. Die Voraussetzungen für die Anwendung einer
finanzbehördlichen Übergangsregelung lägen nicht
vor.
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Das FA beantragt,
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das Urteil des FG in Bezug auf das
Streitjahr aufzuheben und die Klage insoweit abzuweisen.
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Die Klägerin beantragt,
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die Revision zurückzuweisen.
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Ihr stehe Vertrauensschutz zu.
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II. Die Revision des FA ist unbegründet
und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der
Finanzgerichtsordnung - FGO - ). Das FG hat im Ergebnis zu Recht
entschieden, dass das FA zu einer Änderung zu Lasten der
Klägerin nicht berechtigt war. Zum einen verhindert § 176
Abs. 2 AO eine Änderung des Umsatzsteuerjahresbescheids nach
§ 164 Abs. 2 AO. Zum anderen liegen die Voraussetzungen von
§ 27 Abs. 19 UStG nicht vor.
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1. Der Änderung nach § 164 Abs. 2 AO
steht § 176 Abs. 2 AO entgegen. Danach darf bei der Aufhebung
oder Änderung eines Steuerbescheids nicht zuungunsten des
Steuerpflichtigen berücksichtigt werden, dass eine allgemeine
Verwaltungsvorschrift der Bundesregierung, einer obersten Bundes-
oder Landesbehörde von einem obersten Gerichtshof des Bundes
als nicht mit dem geltenden Recht in Einklang stehend bezeichnet
worden ist. Diese Voraussetzungen liegen im Streitfall vor.
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a) Die von § 176 Abs. 2 AO vorausgesetzte
Änderung eines Steuerbescheids ist gegeben. Vertrauensschutz
gemäß § 176 AO besteht auch bei formell
bestandskräftigen Bescheiden, die unter dem Vorbehalt der
Nachprüfung ergangen sind (vgl. z.B. Urteile des
Bundesfinanzhofs - BFH - vom 28.09.1987 - VIII R 154/86, BFHE 151,
107, BStBl II 1988, 40 = SIS 88 02 54, unter 1.; vom 10.11.1988 -
IV R 63/86, BFHE 155, 109, BStBl II 1989, 198 = SIS 89 03 41, unter
3.a und vom 30.10.1997 - IV R 76/96, BFH/NV 1998, 578 = SIS 98 07 78, unter 2.a), und demgemäß für Steueranmeldungen,
die nach § 168 AO einer Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt
der Nachprüfung gleichstehen (vgl. z.B. BFH-Urteil vom
17.12.2015 - V R 45/14, BFHE 252, 511, BStBl II 2017, 658 = SIS 16 04 62, Rz 20).
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Im Streitfall änderte der
ursprünglich angefochtene Änderungsbescheid vom
14.09.2016 die mit Zustimmung des FA nach § 168 Satz 2 AO als
Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung wirkende
berichtigte Umsatzsteuerjahresanmeldung vom 14.07.2014, die zu
einer Änderung der nach § 168 Satz 1 AO ebenfalls als
Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung wirkenden
Umsatzsteuerjahresanmeldung vom 09.04.2014 geführt hatte.
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b) Die nach § 176 Abs. 2 AO erforderliche
Bezeichnung einer allgemeinen Verwaltungsvorschrift als nicht mit
dem geltenden Recht in Einklang stehend ergibt sich vorliegend aus
dem Senatsurteil in BFHE 243, 20, BStBl II 2014, 128 = SIS 13 31 06, wovon auch die Beteiligten übereinstimmend ausgehen. Diese
Verwaltungsvorschrift (Abschn. 182a Abs. 11 der
Umsatzsteuer-Richtlinien 2005 und später Abschn. 13.b.3 Abs. 8
Satz 4 ff. des Umsatzsteuer-Anwendungserlasses i.d.F. vor der
Änderung durch das BMF-Schreiben vom 05.02.2014, BStBl I 2014,
233 = SIS 14 04 70) lag den zu einer Steuerfestsetzung unter
Vorbehalt der Nachprüfung führenden
Umsatzsteuerjahreserklärungen der Klägerin zugrunde. Die
Klägerin ging dabei entsprechend dieser Verwaltungsauffassung
für die Erbringung von Bauleistungen an einen Bauträger
unter den dort bezeichneten Voraussetzungen von dessen
Steuerschuldnerschaft als Leistungsempfänger aus.
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c) Entgegen der Auffassung des FA steht der
Anwendung von § 176 Abs. 2 AO nicht entgegen, dass der BFH mit
seinem Urteil in BFHE 243, 20, BStBl II 2014, 128 = SIS 13 31 06
die Verwaltungsauffassung bereits vor der ersten
Umsatzsteuerjahresfestsetzung vom 09.04.2014 als nicht mit dem
geltenden Recht in Einklang stehend bezeichnet hat.
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aa) Im Ausgangspunkt zutreffend weist das FA
darauf hin, dass die in § 176 Abs. 2 AO genannte Bezeichnung
nach dem Erlass des ursprünglichen Bescheids, aber vor dem
Erlass des Änderungsbescheids erfolgt sein muss (vgl. z.B.
BFH-Urteil vom 20.12.2000 - I R 50/95, BFHE 194, 185, BStBl II
2001, 409 = SIS 01 06 55, unter II.5.b; ebenso für § 176
Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO z.B. BFH-Urteile in BFHE 194, 185, BStBl II
2001, 409 = SIS 01 06 55, unter II.5.a bb und vom 11.04.2002 - V R
26/01, BFHE 198, 238, BStBl II 2004, 317 = SIS 02 08 69, unter
II.2.). § 176 AO ist daher zum Beispiel beim Erlass eines
Erstbescheids nicht anwendbar, der dann vorliegt, wenn der
Steuerpflichtige weder Umsatzsteuervoranmeldungen noch eine
Jahressteuererklärung eingereicht hat, die gemäß
§ 168 AO als Festsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung
gelten, sondern die Finanzbehörde von sich aus erstmals einen
Steuerbescheid erlassen hat (BFH-Urteil vom 24.01.2013 - V R 34/11,
BFHE 239, 552, BStBl II 2013, 460 = SIS 13 11 19, Rz 30).
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bb) Liegen allerdings bereits vor dem
Umsatzsteuerjahresbescheid Voranmeldungsfestsetzungen vor,
können diese für die Prüfung, ob einer Änderung
einer Steuerfestsetzung der Vertrauensschutz nach § 176 Abs. 2
AO entgegensteht, nicht außer Betracht bleiben.
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(1) § 176 AO schützt nicht das
Vertrauen in die Gesetzgebung oder in die höchstrichterliche
Rechtsprechung, sondern in die Bestandskraft der Steuerfestsetzung
(BFH-Urteile in BFHE 198, 238, BStBl II 2004, 317 = SIS 02 08 69,
unter II.2. und vom 14.02.2007 - XI R 30/05, BFHE 216, 559, BStBl
II 2007, 524 = SIS 07 16 56, unter II.3.b aa). Die Vorschrift
beruht auf einem einheitlichen Vertrauenstatbestand, durch den der
Steuerpflichtige davor geschützt werden soll, dass sich ein
Rechtsakt, der Eingang in einen Steuerbescheid gefunden hat,
später als mit der Rechtsordnung nicht vereinbar erweist
(BFH-Urteil vom 11.10.1988 - VIII R 419/83, BFHE 155, 298, BStBl II
1989, 284 = SIS 89 10 35, unter 3.b).
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(2) § 18 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 Satz 1
UStG ordnen an, dass der Unternehmer für die gemäß
§ 13 Abs. 1 Nr. 1 UStG bereits mit Ablauf des
Voranmeldungszeitraums entstandene Steuer eine Voranmeldung und
eine Steuererklärung (Steueranmeldung) zu übermitteln
hat, die unter den Voraussetzungen des § 168 AO zu einer
Umsatzsteuervoranmeldungs- und einer Umsatzsteuerjahresfestsetzung
führen. Dabei ist zu beachten, dass die Steuer für den
Voranmeldungszeitraum in der Steuer für den
Besteuerungszeitraum (Kalenderjahr) aufgeht, dass die materiell
zutreffende Jahressteuer der Summe der materiell zutreffenden
Steuern der Voranmeldungszeiträume entspricht und dass die -
nicht mehr auf bloße
„Vorauszahlungen“ bezogene -
Jahressteuerfestsetzung die Voranmeldungszeiträume mit der
Folge ablöst, dass die Voranmeldungsfestsetzung durch die
Umsatzsteuerjahresfestsetzung im Sinne von § 124 Abs. 2 AO
„auf andere Weise erledigt“ wird
(BFH-Urteil vom 29.11.1984 - V R 146/83, BFHE 143, 101, BStBl II
1985, 370 = SIS 85 09 40). Das materielle Ergebnis der in dem
Kalenderjahr entstandenen Umsatzsteuer wird für die Zukunft
ausschließlich aus dem Jahressteuerbescheid festgestellt
(BFH-Urteil vom 21.02.1991 - V R 130/86, BFHE 163, 408, BStBl II
1991, 465 = SIS 91 13 82).
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Damit weist der für einen
Besteuerungszeitraum ergangene Umsatzsteuerjahresbescheid
grundsätzlich denselben Regelungsinhalt auf wie die Gesamtheit
der für die Voranmeldungszeiträume dieses
Besteuerungszeitraums vorliegenden Voranmeldungsfestsetzungen. Denn
die Jahressteuerfestsetzung nimmt die Vorauszahlungsbescheide in
ihren Regelungsgehalt (BFH-Urteil vom 19.05.2005 - V R 31/03, BFHE
210, 167, BStBl II 2005, 671 = SIS 05 31 27, unter II.1.a) und
damit materiell-rechtlich den Inhalt der Steuerfestsetzungen
für die Voranmeldungszeiträume in sich auf (BFH-Urteil
vom 07.07.2011 - V R 42/09, BFHE 234, 519, BStBl II 2014, 76 = SIS 11 31 06, Rz 27).
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(3) Nimmt der Umsatzsteuerjahresbescheid den
Regelungsgehalt vorheriger Voranmeldungsfestsetzungen in dieser
Weise in sich auf, ist für die Prüfung, zu welchem
Zeitpunkt die in § 176 Abs. 2 AO genannte allgemeine
Verwaltungsvorschrift als nicht mit dem geltenden Recht in Einklang
stehend bezeichnet wurde, auf die jeweilige
Voranmeldungsfestsetzung abzustellen. Denn bereits aus dieser
ergibt sich gemäß § 168 AO eine Steuerfestsetzung
unter dem Vorbehalt der Nachprüfung für eine bereits nach
§ 13 Abs. 1 Nr. 1 UStG entstandene Steuer, die das für
§ 176 Abs. 2 AO entscheidende Vertrauen in die Bestandskraft
der Steuerfestsetzung erzeugt (vgl. z.B. BFH-Urteil in BFHE 252,
511, BStBl II 2017, 658 = SIS 16 04 62, Rz 20).
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Dem steht die
„Vorläufigkeit“ der
Voranmeldungsfestsetzung nicht entgegen. Zwar ist die
Voranmeldungsfestsetzung keiner materiellen Bestandskraft in dem
Sinne fähig, dass sie - mit gegenüber dem
Umsatzsteuerjahresbescheid durchsetzbarer Verbindlichkeit -
über das Bestehen einer Umsatzsteuerschuld entscheidet
(BFH-Urteil in BFHE 234, 519, BStBl II 2014, 76 = SIS 11 31 06, Rz
27). Dies ist aber bezogen auf die hier maßgebliche Anwendung
von § 176 AO unerheblich, da sogar vorläufige
Steuerfestsetzungen gemäß § 165 AO den
Änderungsschutz nach dieser Vorschrift genießen
(Beschluss des Großen Senats des BFH vom 23.11.1987 - GrS
1/86, BFHE 151, 495, BStBl II 1988, 180 = SIS 88 05 47, unter
C.II.2.c).
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Im Übrigen steht die
Berücksichtigung der Voranmeldungsfestsetzungen für die
Prüfung, ob der Anwendungsbereich des § 176 Abs. 2 AO
eröffnet ist, im Einklang mit der BFH-Rechtsprechung, nach der
einzelne Rechtswirkungen der Voranmeldungsfestsetzung trotz ihrer
Erledigung durch den Umsatzsteuerjahresbescheid (BFH-Urteil in BFHE
143, 101, BStBl II 1985, 370 = SIS 85 09 40) erhalten bleiben. So
werden auf der Voranmeldungsfestsetzung beruhende
Vollstreckungsmaßnahmen, festgesetzte
Verspätungszuschläge, die Auszahlung eines an einen
Dritten abgetretenen Vorsteuerüberschusses oder die
Fälligkeit von Vorauszahlungen und eine dadurch entstandene
Aufrechnungslage durch den späteren Erlass eines
Umsatzsteuerjahresbescheids nicht berührt (BFH-Urteil vom
15.06.1999 - VII R 3/97, BFHE 189, 14, BStBl II 2000, 46 = SIS 99 20 76, unter 2.b bb ccc, m.w.N. zur diesbezüglichen
BFH-Rechtsprechung). Eine derartige Rechtswirkung ist auch
vorliegend zu bejahen.
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(4) Bestätigt wird dies durch das
Unionsrecht.
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(a) Grundlage für die Pflicht,
Voranmeldungen nach § 18 Abs. 1 UStG abzugeben, ist die in
Art. 250 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28.11.2006
über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL) genannte
Mehrwertsteuererklärung, die gemäß Art. 252 Abs. 2
MwStSystRL für einen von den Mitgliedstaaten zu bestimmenden
Steuerzeitraum von einem, zwei oder drei Monaten abzugeben ist.
Dagegen beruht die Steueranmeldung des § 18 Abs. 3 UStG auf
Art. 261 Abs. 1 MwStSystRL. Danach können die Mitgliedstaaten
von dem Steuerpflichtigen verlangen, dass er eine Erklärung
über sämtliche Umsätze des vorangegangenen Jahres
abgibt.
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(b) Die Abgabe einer
Jahressteuererklärung ist somit unionsrechtlich nicht zwingend
vorgesehen. Entscheidet sich ein Mitgliedstaat gleichwohl für
eine derartige Zusatzerklärungspflicht, darf dies aus Sicht
des Senats nicht zu einer Einschränkung eines ansonsten zu
gewährenden Vertrauensschutzes führen, der
unionsrechtlich insbesondere dann eingreift, wenn die
zuständige Verwaltungsbehörde wie vorliegend aufgrund
einer allgemein angewendeten Verwaltungsvorschrift berechtigte
Erwartungen begründet hat (BFH-Urteil vom 23.02.2017 - V R 16,
24/16, BFHE 257, 177, BStBl II 2017, 760 = SIS 17 04 53, Rz 34
unter Bezugnahme auf die Urteile des Gerichtshofs der
Europäischen Union Europäisch-Iranische Handelsbank vom
05.03.2015 - C-585/13 P, EU:C:2015:145, Rz 95 und Tomoiaga vom
09.07.2015 - C-144/14, EU:C:2015:452 = SIS 15 15 54, Rz 44).
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Der Streitfall verdeutlicht dies. Ohne
Ausübung der durch Art. 261 MwStSystRL eingeräumten
Möglichkeit, den Steuerpflichtigen zur Abgabe einer
Steueranmeldung nach § 18 Abs. 3 UStG zu verpflichten,
hätte das FA die einzelnen Voranmeldungsfestsetzungen
ändern müssen, was diesem im Hinblick auf das
Senatsurteil in BFHE 243, 20, BStBl II 2014, 128 = SIS 13 31 06
nach Abgabe dieser Voranmeldungen (§ 168 Satz 1 AO) verwehrt
gewesen wäre.
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(5) Der Senat weicht damit nicht von der
bisherigen BFH-Rechtsprechung ab, die sich zu dieser Frage noch
nicht geäußert hat. So hatte der Senat im Urteil vom
06.12.2007 - V R 3/06 (BFHE 221, 67, BStBl II 2009, 203 = SIS 08 17 96, unter II.3.b) nur zu entscheiden, zu welchem Zeitpunkt der
Umsatzsteuerjahresbescheid als Erstbescheid vorlag, ohne dass er
sich weitergehend zur Bedeutung von Voranmeldungsfestsetzungen zu
äußern hatte. Auch für das BFH-Urteil in BFHE 252,
511, BStBl II 2017, 658 = SIS 16 04 62 war die hier zu
entscheidende Frage unerheblich. Weiter hat der BFH in seinem
Urteil vom 14.05.2008 - XI R 70/07 (BFHE 221, 517, BStBl II 2008,
912 = SIS 08 33 08, unter II.4.) lediglich das Vorliegen einer
geänderten Rechtsprechung verneint und ist im Urteil vom
28.05.2013 - XI R 11/09 (BFHE 242, 84, BStBl II 2023, 537 = SIS 13 20 49, Rz 70) davon ausgegangen, dass die fragliche Rechtsprechung
erst im Anschluss an den Änderungsbescheid veröffentlicht
wurde. Es besteht auch kein Widerspruch zu der Rechtsprechung, in
der der Senat den Vertrauensschutz nach § 176 AO bejaht hat
(vgl. z.B. BFH-Urteile vom 11.10.2007 - V R 27/05, BFHE 219, 266,
BStBl II 2008, 438 = SIS 08 14 81, unter II.3.b und in BFHE 252,
511, BStBl II 2017, 658 = SIS 16 04 62, Rz 19 ff.).
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Auf die Rechtsprechung zu anderen Steuerarten,
denen wie zum Beispiel bei der Einkommensteuer (vgl. § 37 Abs.
1 des Einkommensteuergesetzes) ein Besteuerungsverfahren mit
Voranmeldungsfestsetzungen über bereits entstandene
Steueransprüche fremd ist (vgl. z.B. BFH-Urteile vom
30.06.1993 - XI R 76/92, BFH/NV 1994, 303, unter II.2.a; vom
12.12.1995 - VIII R 59/92, BFHE 179, 335, BStBl II 1996, 219 = SIS 96 09 39, unter A.II.2.a aa; vom 23.04.1996 - VIII R 13/95, BFHE
181, 1, BStBl II 1998, 325 = SIS 96 22 39, unter 2.; in BFHE 194,
185, BStBl II 2001, 409 = SIS 01 06 55, unter II.5.a bb und b; vom
19.03.2002 - VIII R 57/99, BFHE 198, 137, BStBl II 2002, 662 = SIS 02 08 59, unter II.B.5.c; vom 28.05.2002 - IX R 86/00, BFHE 199, 1,
BStBl II 2002, 840 = SIS 02 97 58, unter II.1.b; in BFHE 216, 559,
BStBl II 2007, 524 = SIS 07 16 56, unter II.3.b aa; vom 10.06.2008
- VIII R 79/05, BFHE 222, 320, BStBl II 2008, 863 = SIS 08 33 19,
unter II.3.c; vom 14.07.2009 - VIII R 10/07, BFH/NV 2009, 1815 =
SIS 09 32 62, unter II.2.a und vom 27.08.2014 - II R 43/12, BFHE
246, 506, BStBl II 2015, 241 = SIS 14 29 69, Rz 27) und für
die die Regelungen der MwStSystRL ohne Bedeutung sind, kommt es im
Übrigen nicht an.
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cc) Danach ist der vorliegend angefochtene
Bescheid zur Änderung des Umsatzsteuerjahresbescheids unter
Verstoß gegen § 176 Abs. 2 AO ergangen. Im Streitfall,
in dem die Klägerin anders als in der Fallgestaltung des
BFH-Urteils in BFHE 239, 552, BStBl II 2013, 460 = SIS 13 11 19
für die einzelnen Voranmeldungszeiträume des Streitjahres
Voranmeldungen abgegeben hatte, die gemäß § 168 AO
Steuerfestsetzungen unter dem Vorbehalt der Nachprüfung
gleichstanden, sind diese für die Prüfung, ob der
Anwendungsbereich des § 176 Abs. 2 AO bei einer Änderung
der Umsatzsteuerjahresfestsetzung eröffnet ist, zu
berücksichtigen. Da die Voranmeldungsfestsetzungen ausnahmslos
bereits vor der maßgeblichen Veröffentlichung des
Senatsurteils in BFHE 243, 20, BStBl II 2014, 128 = SIS 13 31 06
auf der Internetseite des BFH (vgl. BFH-Urteil in BFHE 221, 67,
BStBl II 2009, 203 = SIS 08 17 96, unter II.3.b) am 27.11.2013
vorlagen, hat das FG im Ergebnis zu Recht entschieden, dass §
176 AO - und zwar dessen Abs. 2 - einer Änderung nach §
164 Abs. 2 AO entgegenstand.
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Aufgrund der insoweit zu
berücksichtigenden Voranmeldungsfestsetzungen ist es im
Übrigen unerheblich, dass die Finanzverwaltung aufgrund der
Änderungen durch das BMF-Schreiben vom 05.02.2014 (BStBl I
2014, 233 = SIS 14 04 70) ihre frühere Auffassung aufgegeben
und sich der BFH-Rechtsprechung angeschlossen hatte.
Schließlich ist nicht zu entscheiden, ob der
Umsatzsteuerjahresbescheid zu einer Änderung von
Voranmeldungsfestsetzungen führt (verneinend Senatsbeschluss
vom 23.04.2010 - V B 89/09, BFH/NV 2010, 1782 = SIS 10 27 11) und
ob bei Annahme einer derartigen Änderung § 176 AO
anzuwenden sein könnte.
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2. Das FA war auch nicht zu einer
Änderung der Umsatzsteuerfestsetzung nach § 27 Abs. 19
Satz 1 UStG berechtigt. Diese Vorschrift eröffnet keine
Änderungsbefugnis, wenn der Organträger einer
Bauleistungen erbringenden Organgesellschaft keinen Anspruch der
Organgesellschaft gegen den Leistungsempfänger abtreten kann,
da über das Vermögen der Organgesellschaft das
Insolvenzverfahren eröffnet worden ist.
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a) Sind Unternehmer und
Leistungsempfänger davon ausgegangen, dass der
Leistungsempfänger die Steuer nach § 13b UStG auf eine
vor dem 15.02.2014 erbrachte steuerpflichtige Leistung schuldet und
stellt sich diese Annahme als unrichtig heraus, ist
gemäß § 27 Abs. 19 Satz 1 UStG die gegen den
leistenden Unternehmer wirkende Steuerfestsetzung zu ändern,
soweit der Leistungsempfänger die Erstattung der Steuer
fordert, die er in der Annahme entrichtet hatte, Steuerschuldner zu
sein.
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Hierzu hat der BFH bereits entschieden, dass
eine Umsatzsteuerfestsetzung nach § 27 Abs. 19 Satz 1 UStG
gegenüber dem leistenden Unternehmer nur dann geändert
werden kann, wenn ihm ein abtretbarer Anspruch auf Zahlung der
gesetzlich entstandenen Umsatzsteuer gegen den
Leistungsempfänger zusteht (BFH-Urteil in BFHE 257, 177, BStBl
II 2017, 760 = SIS 17 04 53, Leitsatz 1). Der Senat hat dies aus
einer Auslegung von § 27 Abs. 19 UStG nach Normzweck,
Sinnzusammenhang und Wortlaut abgeleitet.
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b) Ist bei einer Organschaft die Bauleistungen
erbringende Organgesellschaft irrtümlich von einer
Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers ausgegangen, ist
für die nach dem BFH-Urteil in BFHE 257, 177, BStBl II 2017,
760 = SIS 17 04 53 erforderliche Prüfung, ob der
zivilrechtliche Anspruch der Organgesellschaft auf Zahlung der
gesetzlich entstandenen Umsatzsteuer gegen den
Leistungsempfänger „abtretbar“ ist,
im Grundsatz auf den Organträger abzustellen, der
umsatzsteuerrechtlich gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG
als Leistender hinsichtlich der Bauleistungen anzusehen ist. Ohne
dass der Senat nach den Verhältnissen des Streitfalls
hierüber abschließend zu entscheiden hat, ist im Fall
einer bestehenden Organschaft, bei der das der Leistungserbringung
zugrunde liegende Rechtsverhältnis, das den Anspruch auf die
Gegenleistung begründet, zum Leistungsempfänger über
eine Organgesellschaft vorliegt, im Allgemeinen davon auszugehen,
dass der Organträger im Rahmen der für ihn aufgrund der
Eingliederung bestehenden Einwirkungsmöglichkeiten auf eine
Anspruchsabtretung durch die Organgesellschaft hinwirken kann.
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Diese Möglichkeit besteht aber bei einer
zwischenzeitlichen Insolvenzeröffnung über das
Vermögen der Organgesellschaft nicht. Unabhängig davon,
dass es hierdurch zur Beendigung der Organschaft kommt (BFH-Urteil
vom 15.12.2016 - V R 14/16, BFHE 256, 562, BStBl II 2017, 600 = SIS 17 03 81, Leitsatz 2), kann nicht davon ausgegangen werden, dass
der Insolvenzverwalter einen werthaltigen, der Masse zustehenden
Anspruch durch Abtretung aufgibt. Daher scheidet hier eine
Änderung gemäß § 27 Abs. 19 Satz 1 UStG zu
Lasten des Organträgers aus. Das von der Vorschrift verfolgte
Regelungsziel, eine Änderung zu Lasten des leistenden
Unternehmers deshalb zu ermöglichen, da ihm aufgrund einer
Anspruchsabtretung an das FA kein Nachteil erwächst, wobei das
FA die Nachforderung durch die Durchsetzung der ihm abgetretenen
Forderung tilgen kann, versagt hier. Nicht zu entscheiden hat der
Senat vorliegend, ob das FA, hätte es das Angebot auf
Abtretung eines „Erstattungsanspruchs“
gegen die Organgesellschaft angenommen, änderungsbefugt
gewesen wäre.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf §
135 Abs. 2 FGO.
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