Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil
des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 29.10.2020 - 11 K
21/20 = SIS 21 02 40 aufgehoben.
Die Sache wird an das Niedersächsische
Finanzgericht zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung
zurückverwiesen.
Diesem wird die Entscheidung über die
Kosten des Verfahrens übertragen.
1
|
I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte
(Klägerin), eine KG, errichtete in den Jahren 2005 und 2006
eine Biogasanlage, die sie im Jahr 2006 in Betrieb nahm. Den mit
der Anlage erzeugten Strom lieferte sie gegen Entgelt und machte
aus den Errichtungskosten den Vorsteuerabzug geltend. Der Beklagte
und Revisionskläger (das Finanzamt - FA - ) folgte den
Umsatzsteuerjahreserklärungen der Klägerin, die
Steuerfestsetzungen unter Vorbehalt der Nachprüfung
gemäß § 164 der Abgabenordnung gleichstanden. Mit
zwei im März 2006 und Oktober 2008 abgeschlossenen
Verträgen verpflichtete sich die Klägerin zur
unentgeltlichen Lieferung von Wärme an zwei GbRs. In den
Jahren 2009 und 2010 erweiterte die Klägerin ihre Anlage und
machte auch insoweit den Vorsteuerabzug geltend.
|
|
|
2
|
Im Anschluss an eine
Außenprüfung ging das FA für die Jahre 2007 bis
2009 (Streitjahre) davon aus, dass die unentgeltlichen
Wärmelieferungen zu einer unentgeltlichen Wertabgabe nach
§ 3 Abs. 1b Satz 1 Nr. 3 des Umsatzsteuergesetzes (UStG)
geführt haben. Diese sei nach den Selbstkosten zu bemessen.
Eine erst im Zusammenhang mit der Außenprüfung
getroffene Preisvereinbarung für die Wärmelieferungen
erkannte das FA nicht an und sah vier hierüber am 23.08.2011
gegenüber den GbRs erteilte Rechnungen als unbeachtlich an.
Der Einspruch gegen die am 06.03.2012 erlassenen
Umsatzsteuerbescheide hatte keinen Erfolg.
|
|
|
3
|
Demgegenüber gab das Finanzgericht
(FG) der Klage überwiegend statt. Nach dem in EFG 2021, 607 =
SIS 21 02 40 veröffentlichten Urteil liegt mit der
kostenlosen Abgabe von Wärme an die beiden GbRs, die die
Klägerin von vorneherein beabsichtigt habe, zwar
tatbestandlich eine unentgeltliche Zuwendung i.S. von § 3 Abs.
1b Satz 1 Nr. 3 UStG vor. Gleichwohl sei diese aber nach Satz 2
dieser Vorschrift nicht steuerbar. Dies ergebe sich aus der
Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH). Danach sei die
Klägerin zu einem Abzug der bei den Eingangsleistungen
angefallenen Umsatzsteuer für den Anteil, der auf diese
Wärmeabgaben entfiel, nicht berechtigt gewesen. Dass sie aus
der Herstellung der Biogasanlage in 2005 und 2006 den
Vorsteuerabzug in Anspruch genommen habe, sei zwar rechtswidrig
gewesen, vorliegend aber unbeachtlich. Dem stehe die Rechtsprechung
des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) zur Richtlinie
2006/112/EG des Rates vom 28.11.2006 über das gemeinsame
Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL) nicht entgegen. Denn im
Streitfall sei zu berücksichtigen, dass die unentgeltliche
Wärmelieferung nicht unumgänglich gewesen sei. Die
Wärme hätte „auch in die Luft“ abgegeben
werden können. Es bestehe die Gefahr einer unversteuerten
Wärmeabgabe. Die in 2011 getroffene Preisvereinbarung habe
nicht zu einem Entgelt geführt. Der vereinbarte Preis von 0,05
Cent/kWh sei unbeachtlich. Abweichendes ergebe sich auch nicht aus
§ 17 UStG, da es an einem steuerbaren (unentgeltlichen) Umsatz
von Anfang an gefehlt habe. Die Klägerin habe auch nicht von
einer Vertrauensschutzregelung Gebrauch gemacht. Anderes folge auch
nicht daraus, dass aufgrund der Außenprüfung
Umsatzsteuerbescheide vom 06.03.2012 ergangen seien, mit denen es
zu keiner Korrektur des ursprünglichen Vorsteuerabzugs
gekommen sei. Stattdessen seien die für die Streitjahre
geltend gemachten Vorsteuerbeträge in analoger Anwendung von
§ 15 Abs. 4 UStG anteilig zu kürzen, soweit
unentgeltliche Wärmelieferungen vorlägen. Dies habe nach
der Marktwertmethode auf der Grundlage eines Marktwertes von 0,04
EUR/kWh zu erfolgen. Der vom FA vertretene Leistungsvergleich komme
nicht in Betracht. Es sei auch nicht zulässig, den in den
Vorjahren rechtswidrig in Anspruch genommenen Vorsteuerabzug in den
Streitjahren nach § 15a UStG zu berichtigen. Zwar sei dies
nach der BFH-Rechtsprechung möglich, da es sich um eine
verwendungsbezogene Fehlbeurteilung gehandelt habe; mit der neueren
EuGH-Rechtsprechung sei eine derartige Berichtigung aber nicht
vereinbar.
|
|
|
4
|
Hiergegen wendet sich das FA mit der
Revision. Zwar werde am Ansatz einer unentgeltlichen Wertabgabe
entsprechend dem Urteil des FG nicht mehr festgehalten. Auf dieser
Grundlage sei aber entgegen dem FG-Urteil der in den Vorjahren
rechtswidrig in Anspruch genommene Vorsteuerabzug in den
Streitjahren nach § 15a UStG zu berichtigen. Dem stehe die
neuere EuGH-Rechtsprechung nicht entgegen. In Bezug auf die
Vorsteueraufteilung bestünden gegen die Marktwertmethode
grundsätzliche Bedenken. Zudem überzeuge die
Schätzung des FG nicht. Es sei nicht sachgerecht, mangels
feststellbaren Marktpreises vor Ort nur die Referenzpreise
benachbarter Regionen heranzuziehen und dabei Beschaffungskosten,
wie etwa für den Leitungsbau, außer Ansatz zu lassen.
Das Fehlen eines Fernwärmenetzzugangs könne auf
wirtschaftlichen Überlegungen beruhen. Maßgeblich sei
die Erreichbarkeit vergleichbarer Gegenstände.
|
|
|
5
|
Das FA beantragt,
|
|
das Urteil des FG „insoweit
aufzuheben, als das FG eine Vorsteuerberichtigung nach § 15a
UStG für die Vorjahre abgelehnt und die in den Streitjahren
berücksichtigten Vorsteuerbeträge nach der
Marktwertmethode aufgeteilt hat“ und die Sache an das FG
zurückzuverweisen.
|
|
|
6
|
Die Klägerin beantragt,
|
|
die Revision zurückzuweisen.
|
|
|
7
|
Der erstinstanzliche Vortrag zur
Entgeltlichkeit werde aufrechterhalten. Das FG sei zutreffend ihrer
Auffassung zur Verneinung einer unentgeltlichen Wertabgabe gefolgt.
Eine Vorsteuerberichtigung für die in den Vorjahren
angefallenen Vorsteuerbeträge komme nicht in Betracht. Ihre
ursprüngliche Annahme, dass der sog. KWK-Bonus als Entgelt
für die Wärmelieferung anzusehen sei, habe sich erst
aufgrund späterer BFH-Rechtsprechung als unzutreffend
herausgestellt. Die sog. Zuordnungsrechtsprechung mit der
Beurteilung nach verschiedenen Bereichen
(„Sphären“) sei auch im Rahmen von § 3 Abs.
1b Satz 1 Nr. 3 UStG zu beachten. Habe sie somit den Vorsteuerabzug
zu Unrecht in Anspruch genommen, könne dieser nicht in den
Streitjahren nach § 15a UStG berichtigt werden. Ihre
Ausgangsumsätze hätten sich nicht geändert, sondern
nur die rechtliche Beurteilung zur Entgeltlichkeit ihrer
Wärmelieferungen. Bereits nach der BFH-Rechtsprechung sei eine
Vorsteuerberichtigung dann nicht zulässig, da die
unentgeltlichen Wärmelieferungen kein Verwendungsumsatz seien.
Zudem sei es für das FA möglich gewesen, den
Vorsteuerabzug für die Vorjahre zu kürzen, da die
diesbezüglichen Steuerfestsetzungen unter Vorbehalt der
Nachprüfung gestanden hätten. Im Übrigen sei an der
BFH-Rechtsprechung zur Berichtigung eines rechtswidrig in Anspruch
genommenen Vorsteuerabzugs nach der neueren EuGH-Rechtsprechung
nicht festzuhalten.
|
|
|
8
|
II. Die Revision des FA ist aus anderen als
den geltend gemachten Gründen begründet. Das Urteil des
FG ist aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen
(§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -
). Liefert der Unternehmer mit einer von ihm hergestellten
Biogasanlage vorsteuerabzugsberechtigt Strom gegen Entgelt,
während er die mit der Anlage erzeugte Wärme
unentgeltlich auf andere Personen überträgt, handelt es
sich bei der Wärmelieferung um eine Zuwendung i.S. von §
3 Abs. 1b Satz 1 Nr. 3 und Satz 2 UStG. Zwar ist das FG im
Streitfall zutreffend von einer Unentgeltlichkeit der
Wärmelieferungen ausgegangen. Es hat aber zu Unrecht die
Voraussetzungen von § 3 Abs. 1b Satz 1 Nr. 3 und Satz 2 UStG
verneint. Dass das FA mit seiner Revision nicht die Verletzung
dieser Vorschrift rügt, ist ohne Bedeutung. Denn stützt
der Revisionskläger - wie im vorliegenden Fall - sein
Rechtsmittel in zulässiger Weise auf die Verletzung
materiellen Rechts, prüft der BFH nach dem Grundsatz der
Vollrevision das angefochtene Urteil in vollem Umfang auf die
Verletzung revisiblen Rechts, ohne dabei an die vorgebrachten
Revisionsgründe gebunden zu sein (§ 118 Abs. 3 Satz 2
FGO; vgl. BFH-Urteile vom 27.01.2016 - X R 2/14, BFHE 253, 89,
BStBl II 2016, 534 = SIS 16 09 13; vom 19.10.2011 - X R 65/09, BFHE
235, 304, BStBl II 2012, 345 = SIS 12 04 23, und vom 23.10.2019 - V
R 46/17, BFHE 267, 140 = SIS 19 19 22).
|
|
|
9
|
1. Einer Lieferung gegen Entgelt wird
gemäß § 3 Abs. 1b Satz 1 Nr. 3 UStG jede andere
unentgeltliche Zuwendung eines Gegenstands, ausgenommen Geschenke
von geringem Wert und Warenmuster für Zwecke des Unternehmens,
gleichgestellt. Auf eine Entnahme für Zwecke, die
außerhalb des Unternehmens liegen, kommt es hierfür
anders als bei § 3 Abs. 1b Satz 1 Nr. 1 UStG nicht an.
Voraussetzung ist aber nach Satz 2 dieser Vorschrift, dass der
Gegenstand oder seine Bestandteile zum vollen oder teilweisen
Vorsteuerabzug berechtigt haben.
|
|
|
10
|
Unionsrechtlich beruht dies auf Art. 16
MwStSystRL, der für vier Tatbestände die
„Entnahme eines Gegenstands durch einen Steuerpflichtigen
aus seinem Unternehmen“ einer Lieferung gegen Entgelt
gleichstellt. § 3 Abs. 1b Satz 1 Nr. 3 UStG dient dabei der
Umsetzung von Art. 16 Fall 3 MwStSystRL („als
unentgeltliche Zuwendung“), während sich § 3
Abs. 1b Satz 1 Nr. 1 UStG auf Art. 16 Fälle 1 und 4 MwStSystRL
(„für seinen privaten Bedarf“ und
„allgemein für unternehmensfremde Zwecke“)
bezieht. Auch unionsrechtlich kommt es darauf an, dass Gegenstand
oder seine Bestandteile zu einem vollen oder teilweisen Abzug der
Mehrwertsteuer berechtigt haben.
|
|
|
11
|
2. Die für die Zuwendung nach § 3
Abs. 1b Satz 1 Nr. 3 UStG erforderliche Unentgeltlichkeit hat das
FG im Ergebnis zu Recht bejaht.
|
|
|
12
|
a) Nach der BFH-Rechtsprechung setzt die
Zuwendung im Sinne dieser Vorschrift insbesondere die
Unentgeltlichkeit einer Lieferung voraus (BFH-Urteil vom 14.05.2008
- XI R 60/07, BFHE 221, 512, BStBl II 2008, 721 = SIS 08 28 81,
Leitsätze 1 und 2). Hieran hat sich durch die
Rechtsprechungsänderung aufgrund des BFH-Urteils vom
16.12.2020 - XI R 26/20 (XI R 28/17), BFHE 272, 240 = SIS 21 07 67,
Rz 39 nichts geändert. Zwar hat der BFH hier entschieden, dass
er, soweit er „in der Entscheidung in BFHE 221, 512, BStBl
II 2008, 721 = SIS 08 28 81 von anderen Rechtsgrundsätzen
ausgegangen ist, (...) daran nicht mehr fest[hält]“.
Der erkennende Senat versteht dies allerdings dahingehend, dass
sich diese Rechtsprechungsänderung nicht auf das Erfordernis
der Unentgeltlichkeit, sondern auf das nunmehr zusätzlich zu
beachtende Kriterium der „Gefahr eines unversteuerten
Endverbrauchs“ bezieht. Hierauf hatte der BFH in seinem
Urteil in BFHE 221, 512, BStBl II 2008, 721 = SIS 08 28 81 noch
nicht abgestellt.
|
|
|
13
|
b) Im Streitfall folgt die Unentgeltlichkeit
aus dem Fehlen einer zu einem Entgelt führenden
Preisvereinbarung, für die das FG in den zwischen den
Beteiligten geführten Parallelverfahren (s. Urteile des
Niedersächsischen FG vom 29.10.2020 - 11 K 22/20 [EFG 2021,
599 = SIS 21 03 07] und 11 K 23/20 [EFG 2021, 608 = SIS 21 03 08],
betreffend der dortigen Streitjahre 2012 bis 2017) zutreffend auf
die Gesamtumstände des ohne wesentliche Änderung auch die
Streitjahre 2007 bis 2009 umfassenden Streitfalls abgestellt
hat.
|
|
|
14
|
Dabei ist neben dem ursprünglichen Fehlen
einer Preisvereinbarung zu berücksichtigen, dass
|
|
|
-
|
es zu der (erst) späteren Vereinbarung
eines Preises aufgrund einer Beanstandung der Unentgeltlichkeit im
Rahmen einer Außenprüfung kam,
|
|
|
-
|
ein nur geringer Preis von 0,05 Cent/kWh
vereinbart wurde, der sich nur auf 1/80 des vom FG festgestellten
Marktpreises von 0,04 EUR/kWh belief, und dass
|
|
|
-
|
die Preisvereinbarung (trotz ansonsten
schwankender Preise für den Liefergegenstand) über einen
mehrjährigen Zeitraum (bis mindestens 2017) nicht
geändert wurde, wie das FA in der mündlichen Verhandlung
vor dem Senat zutreffend als Indiz für den tatsächlichen
Parteiwillen angemerkt hat.
|
|
|
15
|
Ob bereits die geringe Höhe des
vereinbarten Preises für sich allein gegen das Vorliegen eines
Entgelts spricht, ist somit nach den Verhältnissen des
Streitfalls nicht zu entscheiden.
|
|
|
16
|
c) Entsprechend der bisherigen
BFH-Rechtsprechung (Urteil vom 31.05.2017 - XI R 2/14, BFHE 258,
191, BStBl II 2017, 1024 = SIS 17 14 27, Leitsatz) ist zudem der
KWK-Bonus weiterhin nicht als Entgelt für die Lieferung von
Wärme anzusehen. Zwar hat der BFH auch an dieser Entscheidung
in seinem späteren BFH-Urteil in BFHE 272, 240 = SIS 21 07 67,
Rz 38 f. nicht festgehalten. Dies bezieht sich indes auf die
gegenüber der Unentgeltlichkeit eigenständigen Frage, ob
§ 3 Abs. 1b Satz 1 Nr. 3 UStG einer „wortlautgetreuen
Anwendung“ bedarf (BFH-Urteil in BFHE 258, 191, BStBl II 2017, 1024 =
SIS 17 14 27, Rz 23), was der BFH nunmehr im Hinblick auf das
Zusatzkriterium der „Gefahr eines unversteuerten
Endverbrauchs“ verneint (BFH-Urteil in BFHE 272, 240 =
SIS 21 07 67, Rz 38 f.). Dementsprechend ändert sich auch
nichts daran, dass unter Beachtung dieses Endverbrauchskriteriums
§ 3 Abs. 1b Satz 1 Nr. 3 UStG entsprechend dem BFH-Urteil in
BFHE 258, 191, BStBl II 2017, 1024 = SIS 17 14 27, Rz 31 ff. auf
die unentgeltliche Wärmeabgabe aus Biogasanlagen anzuwenden
ist.
|
|
|
17
|
3. Die weiteren Voraussetzungen des § 3
Abs. 1b Satz 1 Nr. 3 UStG liegen vor.
|
|
|
18
|
a) Die unentgeltliche Übertragung der
Wärme als Gegenstand (BFH-Urteil vom 12.12.2012 - XI R 3/10,
BFHE 239, 377, BStBl II 2014, 809 = SIS 13 06 24, Rz 18) auf die
beiden GbRs als Empfängerinnen führte dazu, dass die
Klägerin diesen jeweils zielgerichtet einen
Vermögensvorteil verschafft hat (vgl. BFH-Urteil in BFHE 221,
512, BStBl II 2008, 721 = SIS 08 28 81, Leitsatz 1). Soweit der BFH
zudem darauf abstellt, dass ein „unversteuerter
Endverbrauch droht“ (BFH-Urteil in BFHE 272, 240 = SIS 21 07 67,
Leitsatz 2), ist auch diese Voraussetzung erfüllt, da die auf
die beiden GbRs übertragene Wärme einem derart
eigenständigen Endverbrauch zugeführt werden konnte.
|
|
|
19
|
b) Entgegen dem Revisionsvortrag der
Klägerin ist es für die Zuwendungsbesteuerung nach §
3 Abs. 1b Satz 1 Nr. 3 UStG unerheblich, ob der Zuwendende
außerunternehmerische Zwecke verfolgt. Der Senat versteht
dieses Vorbringen dahingehend, dass die für § 3 Abs. 1b
Satz 1 Nr. 1 UStG zu beachtende Voraussetzung der „Zwecke,
die außerhalb des Unternehmens liegen“, auch
für § 3 Abs. 1b Satz 1 Nr. 3 UStG gelten soll. Sei daher
§ 3 Abs. 1b Satz 1 Nr. 1 UStG zu verneinen, wenn z.B. eine
juristische Person des öffentlichen Rechts die Wärme
einer zur entgeltlichen Stromlieferung erworbenen Biogasanlage
für nichtunternehmerische Hoheitszwecke verwendet, da eine
Verwendung für eine „nichtwirtschaftliche
Tätigkeit i.e.S.“ vorliege, die einer
Unternehmenszuordnung entgegenstehe und insoweit nicht zum
Vorsteuerabzug berechtige (vgl. hierzu Abschn. 2.5 Abs. 12 und 20
i.V.m. Abschn. 2.3 Abs. 1a des Umsatzsteuer-Anwendungserlasses -
UStAE - ), müsse dies auf § 3 Abs. 1b Satz 1 Nr. 3 UStG
übertragen werden. Daher sei im Streitfall die Anwendung
dieser Vorschrift zu verneinen, da sie bei der Abgabe der
Wärme an die beiden GbRs ebenso „nichtwirtschaftlich
i.e.S.“ tätig gewesen sei.
|
|
|
20
|
Dem folgt der Senat bereits im Ausgangspunkt
nicht. Wie sich auch aus den unionsrechtlichen Grundlagen in Art.
16 MwStSystRL ergibt, bezieht sich § 3 Abs. 1b Satz 1 Nr. 1
UStG auf die in Art. 16 Fall 4 MwStSystRL genannte Entnahme
„allgemein für unternehmensfremde Zwecke“,
während § 3 Abs. 1b Satz 1 Nr. 3 UStG die
„unentgeltliche Zuwendung“ i.S. von Art. 16 Fall
3 MwStSystRL erfasst (s. oben II.1.). Im Hinblick auf diesen
Unterschied kommt es für im Fall der hoheitlichen
Eigenverwendung von Wärme, die eine juristische Person des
öffentlichen Rechts mit einer unternehmerisch genutzten Anlage
herstellt, auf das Zusatzkriterium der außerunternehmerischen
Zwecke i.S. von § 3 Abs. 1b Satz 1 Nr. 1 UStG und damit auf
die Beurteilung der Wärmeverwendung als sog.
„nichtwirtschaftliche Tätigkeit i.e.S.“ an.
Demgegenüber ist der Zuwendungstatbestand sowohl nach
nationalem Recht wie auch nach dem Unionsrecht zweckneutral
ausgestaltet und wird allenfalls durch das im Streitfall
vorliegende Kriterium des unversteuerten Endverbrauchs begrenzt (s.
oben II.3.a). Da im Streitfall bei den beiden GbRs keine einem
Hoheitsträger vergleichbare „nichtwirtschaftliche
Tätigkeit i.e.S.“ vorlag, ist vorliegend nicht zu
entscheiden, welche Bedeutung eine derartige Verwendung des
zugewendeten Gegenstands beim Leistungsempfänger für
§ 3 Abs. 1b Satz 1 Nr. 3 UStG hat.
|
|
|
21
|
c) Wie das FG letztlich zutreffend entschieden
hat, ist das EuGH-Urteil
Mitteldeutsche Hartstein-Industrie vom 16.09.2020 - C-528/19
(EU:C:2020:712 = SIS 20 12 33) für den Streitfall ohne
Bedeutung. Dieses EuGH-Urteil betrifft einen Gegenstand
(Straße), für den nur eine Verwendungsmöglichkeit
(Straßenverkehr) besteht, die aber für unterschiedliche
Zwecke (unternehmerischer und öffentlicher
Straßenverkehr) genutzt werden kann. Dabei verneinte der EuGH
die Zuwendungsbesteuerung in Rz 67 i.V.m. Rz 37 seines Urteils, da
„die Arbeiten zum Ausbau dieser Straße nicht
für die Bedürfnisse der betreffenden Gemeinde oder des
öffentlichen Verkehrs durchgeführt wurden, sondern um die
(...) Gemeindestraße an den Schwerlastverkehr anzupassen, der
vom Betrieb des Kalksteinbruchs durch die Klägerin (...)
hervorgerufen wird“.
|
|
|
22
|
Demgegenüber geht es vorliegend um einen
Gegenstand (Biogasanlage), den die Klägerin unterschiedlich
(zur Strom- und
Wärmeerzeugung) verwendete. Dabei hat die Strom- und
Wärmeerzeugung im Gegensatz zur Straßennutzung einen
jeweils eigenständigen Charakter, wie sich bereits aus der
Möglichkeit zur gesonderten Vermarktung ergibt. Diese
Eigenständigkeit kann auch zu einem eigenständigen
„tatsächlichen Endverbrauch“ (EuGH-Urteil
Mitteldeutsche Hartstein-Industrie, EU:C:2020:712 = SIS 20 12 33,
Rz 67) in Bezug auf Strom oder Wärme führen (vgl.
BFH-Urteil in BFHE 239, 377, BStBl II 2014, 809 = SIS 13 06 24).
Dies unterscheidet die Strom- und Wärmeverwendung von der nur
nebensächlichen Mitbenutzung einer Straße für den
allgemeinen öffentlichen Straßenverkehr, die zur
Aufnahme eines unternehmerischen Schwerlastverkehrs als Hauptzweck
ertüchtigt wurde.
|
|
|
23
|
Der Senat sieht hierin keinen Widerspruch zum
BFH-Urteil in BFHE 272, 240 = SIS 21 07 67. Im Hinblick auf die
vorstehenden Unterschiede ist im Übrigen nicht zu entscheiden,
welche Bedeutung dem EuGH-Urteil Mitteldeutsche Hartstein-Industrie
(EU:C:2020:712 = SIS 20 12 33) für den Fall der Errichtung von
auf eine Gemeinde zu übertragenden Erschließungsanlagen
zukommt (vgl. BFH-Urteil vom 13.01.2011 - V R 12/08, BFHE 232, 261,
BStBl II 2012, 61 = SIS 11 06 14, Leitsatz 2 und daran zweifelnd BFH-Urteil in BFHE 272,
240 = SIS 21 07 67, Rz 29).
|
|
|
24
|
4. Entgegen dem Urteil des FG ist auch die
Berechtigung zum Vorsteuerabzug nach § 3 Abs. 1b Satz 2 UStG
zu bejahen.
|
|
|
25
|
a) Für die Frage, ob der nach § 3
Abs. 1b Satz 1 Nr. 3 UStG zugewendete Gegenstand entsprechend dem
Satz 2 dieser Regelung zum vollen oder teilweisen Vorsteuerabzug
berechtigt hat, ist bei Gegenständen, die der Unternehmer mit
eigenen Produktionsmitteln herstellt, darauf abzustellen, ob er aus
dem Erwerb derartiger Anlagen zum Vorsteuerabzug berechtigt
ist.
|
|
|
26
|
Dementsprechend hat der BFH bereits zu einem
Blockheizkraftwerk ausdrücklich entschieden, dass in der
Verwendung von dort erzeugtem Strom und Wärme für den
Eigenbedarf eine der Umsatzbesteuerung unterliegende Entnahme i.S.
von § 3 Abs. 1b Satz 1 Nr. 1 UStG liegt, wenn der Betreiber
den Vorsteuerabzug aus der Anschaffung des Kraftwerks geltend
gemacht hat (BFH-Urteil in BFHE 239, 377, BStBl II 2014, 809 = SIS 13 06 24, Leitsatz 2). Dabei bejaht der BFH den die Entnahme nach
§ 3 Abs. 1b Satz 2 UStG begründenden Vorsteuerabzug auch
dann, wenn der Betreiber von Anfang an teilweise eine private
Strom- und Wärmenutzung beabsichtigt (BFH-Urteil in BFHE 239,
377, BStBl II 2014, 809 = SIS 13 06 24, Rz 15, 17).
|
|
|
27
|
Da § 3 Abs. 1b Satz 2 UStG nicht zwischen
den einzelnen Tatbeständen des § 3 Abs. 1b Satz 1 UStG
unterscheidet, gilt dies ebenso im Rahmen von § 3 Abs. 1b Satz
1 Nr. 3 UStG. Unionsrechtlich folgt dies daraus, dass sich die
Bedingung der Vorsteuerabzugsberechtigung auf alle Fälle des
Art. 16 MwStSystRL bezieht (s. oben II.1.).
|
|
|
28
|
b) Der vollumfängliche Vorsteuerabzug in
Bezug auf Produktionsmittel, die der Unternehmer auch für
Entnahme- oder Zuwendungszwecke verwendet, steht entgegen dem
Urteil des FG nicht im Widerspruch zur Versagung des
Vorsteuerabzugs bei einer ausschließlichen
Entnahmeverwendung. Insoweit hat der BFH zwar entschieden, dass der
Unternehmer nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt ist, wenn er
bereits bei Leistungsbezug beabsichtigt, die bezogene Leistung
nicht für seine wirtschaftliche Tätigkeit, sondern
ausschließlich und unmittelbar für
eine unentgeltliche Entnahme i.S. von § 3 Abs. 1b UStG zu
verwenden. Dies gilt auch dann, wenn er bei Errichtung von
Erschließungsanlagen beabsichtigt, diese einer Gemeinde
unentgeltlich i.S. von § 3 Abs. 1b Satz 1 Nr. 3 UStG
zuzuwenden. Die Absicht, Grundstücke im
Erschließungsgebiet steuerpflichtig zu liefern, steht dem
nicht entgegen (BFH-Urteil in BFHE 232, 261, BStBl II 2012, 61 =
SIS 11 06 14, Leitsätze 1 und 2). Dies bezieht sich indes, wie
sich auch aus dem später ergangenen BFH-Urteil in BFHE 239,
377, BStBl II 2014, 809 = SIS 13 06 24 ergibt, nur auf den Fall
einer ausschließlichen Entnahmeverwendung, an der es bei der
im Streitfall gegebenen teilweisen Anlagennutzung für
entgeltliche Stromlieferungen fehlt. Auf weitergehende
Zuordnungsfragen (s. oben II.3.b) kommt es nicht an.
|
|
|
29
|
5. Die Sache ist nicht spruchreif. Die
Klägerin ist zum vollen Vorsteuerabzug aus der Errichtung der
Biogasanlage berechtigt. Da die Mitnutzung für unentgeltliche
Wärmelieferungen den Vorsteuerabzug aus den Errichtungskosten
für die Anlage nicht einschränkt, ist entgegen dem
FG-Urteil nicht über eine Vorsteueraufteilung, sondern
über die Bemessung dieser Entnahme nach § 10 Abs. 4 Satz
1 Nr. 1 UStG zu entscheiden. Dies kann in einem Revisionsverfahren
nicht nachgeholt werden.
|
|
|
30
|
6. Lediglich vorsorglich und ohne Bindung nach
§ 126 Abs. 5 FGO weist der Senat dabei auf Folgendes hin:
|
|
|
31
|
a) Die Bemessungsgrundlage gemäß
§ 10 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 UStG bestimmt sich nach den
Selbstkosten, wenn der Unternehmer einen Gegenstand (hier: die
Biogasanlage) für unterschiedliche Zwecke (hier: die
entgeltliche Stromlieferung und die unentgeltliche Zuwendung von
Wärme) verwendet, ohne dass - wie im Streitfall - eine
Anbindung an das Fernwärmenetz besteht (BFH-Urteil in BFHE
239, 377, BStBl II 2014, 809 = SIS 13 06 24). Maßgeblich sind
somit die Selbstkosten für die Errichtung und den Betrieb der
Biogasanlage.
|
|
|
32
|
b) § 10 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 UStG
enthält keine ausdrückliche Aufteilungsregelung für
Selbstkosten, die gleichermaßen für die entgeltliche
Lieferung (von Strom) und die unentgeltliche Zuwendung (von
Wärme) anfallen. Für die gleichwohl erforderliche
Aufteilung kann der Rechtsgedanke des § 15 Abs. 4 UStG
heranzuziehen sein. Verwendet der Unternehmer Strom und Wärme
einer Anlage für entgeltliche Umsätze unterschiedlicher
Art, führt dies zu einer Vorsteueraufteilung nach ggf.
fiktiven Entgelten (BFH-Urteil vom 16.11.2016 - V R 1/15, BFHE 255,
354 = SIS 16 26 26, Rz 27). Dabei ist auch zu berücksichtigen,
dass die MwStSystRL zur Aufteilung von Selbstkosten keine Regelung
enthält, sodass die Mitgliedstaaten hierfür Regelungen zu
treffen haben (vgl. BFH-Urteil vom 03.03.2011 - V R 23/10, BFHE
233, 274, BStBl II 2012, 74 = SIS 11 18 30, Leitsatz 4 zur
Parallelfrage der analogen Anwendung von § 15 Abs. 4 UStG auf
die von der Richtlinie ebenso nicht geregelte Frage der
Vorsteueraufteilung bei einer Verwendung für wirtschaftliche
und nichtwirtschaftliche Zwecke).
|
|
|
33
|
Somit kommt es entsprechend § 15 Abs. 4
Satz 2 UStG auf eine sachgerechte Schätzung an. Dabei kann
sich eine Aufteilung nach Umsätzen im Vergleich zu einer sog.
energetischen Aufteilung (vgl. Abschn. 25 Abs. 22 Satz 6 UStAE)
insbesondere dann als sachgerecht erweisen, wenn es um die
Aufteilung von Selbstkosten einer Anlage geht, bei deren Betrieb
der Unternehmer ein Haupt- und ein Nebenprodukt herstellt, wovon
die Klägerin für den Streitfall ausgeht. Handelt es sich
bei dem Nebenprodukt z.B. um Abfall, führt die Aufteilung nach
möglichen Lieferentgelten zu realitätsgerechteren
Ergebnissen als eine Aufteilung nach anderen Merkmalen (wie etwa
eine energetische Aufteilung), wie z.B. die unentgeltliche
Wärmeabgabe an Dritte durch den Betreiber eines Rechenzentrums
mit hohem Strombedarf zeigt.
|
|
|
34
|
c) Für den Streitfall könnte auf
dieser Grundlage davon auszugehen sein, dass die vom FG in seinem
Urteil auf S. 14 angestellten Überlegungen zur
Vorsteueraufteilung auf die Bestimmung des Anteils der Selbstkosten
zu übertragen sind, die auf die unentgeltliche
Wärmeabgabe entfallen. Danach würden die Selbstkosten zu
6,412 % auf die unentgeltliche Wärmelieferung entfallen.
|
|
|
35
|
Allerdings hat das FG bislang keine
Feststellungen zur Ermittlung und zur Höhe der Selbstkosten
getroffen. Im Hinblick auf die im Rahmen der
Außenprüfung nach Aktenlage vorgenommene Einbeziehung
von Zinsaufwand wird dabei zu überprüfen sein, ob es
entsprechend Abschn. 10.6 Abs. 1 Satz 5 UStAE zu einer Einbeziehung
von Kosten gekommen ist, die nicht zum Vorsteuerabzug berechtigten.
Es wäre dann zu entscheiden, ob dies - unter
Berücksichtigung von § 3 Abs. 1b Satz 2 UStG - mit dem
Zweck der Entnahme- und Zuwendungsbesteuerung vereinbar ist, einen
unversteuerten Endverbrauch zu verhindern (s. oben II.3.a), was als
fraglich angesehen werden kann (vgl. hierzu Treiber in
Sölch/Ringleb, Umsatzsteuer, § 10 Rz 447, und Wäger
in Wäger, UStG, § 10 Rz 153).
|
|
|
36
|
7. Auf die Frage, ob und unter welchen
Voraussetzungen ein in Vorjahren rechtswidrig in Anspruch
genommener Vorsteuerabzug in Folgejahren einer Berichtigung nach
§ 15a UStG zugänglich ist, kommt es demgegenüber
nicht an, da der Klägerin das Recht auf Vorsteuerabzug zusteht
(s. oben II.4.).
|
|
|
37
|
8. Die Übertragung der Kostenentscheidung
beruht auf § 143 Abs. 2 FGO.
|
|
|
|