Die Revisionen des Beklagten und der
Klägerin gegen das Urteil des Niedersächsischen
Finanzgerichts vom 19.09.2019 - 11 K 195/17 = SIS 20 12 47 werden als unbegründet
zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens haben der
Beklagte in Höhe von 53 v.H. und die Klägerin in
Höhe von 47 v.H. zu tragen.
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I. Die Klägerin, Revisionsbeklagte und
Revisionsklägerin (Klägerin) betreibt ein
Blockheizkraftwerk (BHKW) zur dezentralen Strom- und
Wärmeproduktion, das mit aus Biomasse selbst erzeugtem Biogas
betrieben wird.
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Der vom BHKW produzierte Strom wurde
überwiegend in das allgemeine Stromnetz eingespeist und von
dem Stromnetzbetreiber vergütet. Die vom BHKW erzeugte
Wärme diente zu einem Teil dem Produktionsprozess. Den
überwiegenden Teil der Wärme überließ die
Klägerin im Besteuerungszeitraum 2008 (Streitjahr) mit Vertrag
vom 29.11.2007 dem Unternehmer A
„kostenlos“ zur Trocknung von Holz in
Containern und mit Vertrag vom 29.07.2008 der B GbR (B), die mit
der Wärme ihre Spargelfelder beheizte. In beiden
Verträgen ist geregelt, dass die Höhe der Vergütung
je nach wirtschaftlicher Lage des Wärmeabnehmers individuell
vereinbart und in den Verträgen nicht festgelegt
werde.
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Im Streitjahr erhielt die Klägerin
für die Lieferung von 6.714.247 kWh Strom vom
Stromnetzbetreiber neben der sogenannten
Mindest-Einspeisevergütung nach § 8 Abs. 1 des
Erneuerbare-Energien-Gesetzes i.d.F. vom 07.11.2006 - EEG - (BGBl I
2006, 2550) in Höhe von 1.054.337,85 EUR einen
Erhöhungsbetrag nach § 8 Abs. 3 EEG (sogenannter
Kraft-Wärme-Kopplung [KWK]-Bonus), weil es sich bei dem von
ihr erzeugten Strom um solchen im Sinne von § 3 Abs. 4 des
Kraft-Wärme-Kopplungsgesetzes i.d.F. vom 19.03.2002 (BGBl I
2002, 1092) handelte. Auch dieser KWK-Bonus in Höhe von
85.070,66 EUR wurde entsprechend der Umsatzsteuererklärung der
Klägerin vom Beklagten, Revisionskläger und
Revisionsbeklagten (Finanzamt - FA - ) in die Bemessungsgrundlage
der steuerpflichtigen Umsätze einbezogen.
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Da die Klägerin den
Wärmeabnehmern kein Entgelt in Rechnung stellte, ging der
Prüfer im Rahmen einer bei der Klägerin
durchgeführten Außenprüfung von einer
unentgeltlichen Zuwendung der Wärme im Sinne von § 3 Abs.
1b Satz 1 Nr. 3 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) an A und B aus.
Mangels eines Einkaufspreises für Wärme berechnete er die
Bemessungsgrundlage für diese Entnahme gemäß §
10 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 UStG nach den Selbstkosten. Von den in der
Gewinn- und Verlustrechnung aufgeführten Gesamtkosten in
Höhe von 1.104.453,35 EUR entfielen nach der Berechnung des
Prüfers auf die abgegebene Wärme 384.791,55 EUR (= 34,84
v.H.), so dass er - ausgehend von dieser Bemessungsgrundlage -
insoweit Umsatzsteuer in Höhe von 73.110,29 EUR
ansetzte.
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Das FA folgte dem Ergebnis der Prüfung
mit Umsatzsteuerbescheid für 2008 vom 17.11.2011. Den dagegen
eingelegten Einspruch wies es mit Einspruchsentscheidung vom
01.08.2012 als unbegründet zurück.
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Mit ihrer ursprünglichen Klage machte
die Klägerin unter anderem geltend, der KWK-Bonus sei ein
Entgelt von dritter Seite. Das Finanzgericht (FG) gab der Klage der
Klägerin im ersten Rechtsgang statt. Auf die Revision des
FA hob der Bundesfinanzhof (BFH) mit Urteil vom 31.05.2017 - XI R
2/14 (BFHE 258, 191, BStBl II 2017, 1024 = SIS 17 14 27) das Urteil
des FG auf und verwies die Sache an das FG zurück. Der
sogenannte KWK-Bonus, den der Stromnetzbetreiber an die
Klägerin gezahlt habe, sei nicht Entgelt für die
„kostenlosen“ Wärmeabgaben der
Klägerin. Es handele sich bei der Vergütung des
Stromnetzbetreibers vielmehr um ein Entgelt für den von der
Klägerin an ihn gelieferten Strom. Die Sache sei nicht
spruchreif, da nicht entschieden werden könne, in welcher
Höhe die unentgeltlichen Wertabgaben der Klägerin
versteuert werden müssen. Dies richte sich nach § 10 Abs.
4 Satz 1 Nr. 1 UStG gemäß den Grundsätzen der
BFH-Urteile vom
12.12.2012 - XI R 3/10 (BFHE 239, 377, BStBl II 2014, 809 = SIS 13 06 24) und vom 16.11.2016 - V R 1/15 (BFHE 255, 354, BStBl II
2022, 777 = SIS 16 26 26). Die dazu erforderlichen Feststellungen
habe das FG nachzuholen.
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Im zweiten Rechtsgang wendete sich die
Klägerin unter anderem im Hinblick auf die Bemessungsgrundlage
für die Wärmelieferungen gegen die Berechnung des FA, das
diese Wertabgabe gemäß § 10 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1
UStG nach den Selbstkosten ermittelte (s. Änderungsbescheid
vom 26.03.2019). Das FG gab der Klage im zweiten Rechtsgang
teilweise statt. Die Umsatzsteuer für die unentgeltlichen
Wertabgaben bemesse sich gemäß § 10 Abs. 4 Satz 1
Nr. 1 UStG nach den Selbstkosten, die nach der sogenannten
Marktwertmethode und nicht wie im Änderungsbescheid vom
26.03.2019 aus Vereinfachungsgründen nach dem
bundeseinheitlichen durchschnittlichen Fernwärmepreis zu
berechnen seien. Es sei auf die Marktwerte für Strom und
Wärme am konkreten Ort der Klägerin abzustellen.
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Auf die Beschwerde des FA hat der Senat mit
Beschluss vom 30.06.2020 - XI B 104/19 (nicht veröffentlicht)
die Revision zugelassen. Daraufhin hat auch die Klägerin
Revision eingelegt.
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Mit der Revision rügt das FA die
Berechnung der Bemessungsgrundlage für die unentgeltliche
Fernwärmeabgabe. Das FA bringt im Wesentlichen vor, es
müsse eine Aufteilung nach energetischer Methode erfolgen.
Eine Aufteilung nach der Marktwertmethode trage nicht dem
Verursacherprinzip Rechnung. Es würde zudem für das
Produkt Wärme für das Streitjahr an Marktwerten fehlen.
Es würden nur Referenzpreise als Grundlage genommen und
anfallende Beschaffungskosten (zum Beispiel Leitungsbau, Transport,
Lieferkosten) nicht berücksichtigt. Die räumliche
Nähe der feststellbaren Preise lasse sich nicht feststellen.
Es sei daher die Vereinfachungsregelung des Abschn. 2.5 Abs. 22
Satz 8 des Umsatzsteuer-Anwendungserlasses anzuwenden.
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Bezüglich der Revision der
Klägerin hält es das FA nach den Grundsätzen des BFH
im Streitfall für erforderlich, die Selbstkosten als Grundlage
der Ermittlung der Bemessungsgrundlage für die unentgeltlichen
Wärmelieferungen anzusetzen, da sich ein Einkaufspreis
für den Gegenstand oder für einen gleichartigen
Gegenstand nicht ermitteln lasse. Die Klägerin sei nicht an
ein Fernwärmenetz angeschlossen gewesen. Bundeseinheitliche
Listenpreise würden für die Anwendung der
Vereinfachungsregelung des Umsatzsteuer-Anwendungserlasses bei der
Ermittlung der Selbstkosten sprechen.
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Das FA beantragt, die Vorentscheidung
aufzuheben und den Umsatzsteuerbescheid für 2008 vom
26.03.2019 dahingehend zu bestätigen, dass die festgesetzte
Umsatzsteuer 150.686,93 EUR beträgt (darin Bemessungsgrundlage
der unentgeltlichen Wärmeabgabe 216.163 EUR), und die Revision
der Klägerin zurückzuweisen.
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Die Klägerin beantragt, die
Vorentscheidung aufzuheben und den Umsatzsteuerbescheid für
2008 vom 26.03.2019 dahingehend zu ändern, dass die
Umsatzsteuer unter Berücksichtigung unentgeltlicher
Wertabgaben für 2008 in Höhe von 17.432,51 EUR (3.486.502
kWh x 0,005 EUR/kWh) festgesetzt wird und die Revision des FA
zurückzuweisen.
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Mit ihrer Revision vertritt die
Klägerin die Ansicht, dass es möglich sei, einen
Einkaufspreis zu ermitteln. Es sei ein (fiktiver) Einkaufspreis
für einen vergleichbaren Gegenstand zu bestimmen. Es komme
dabei nicht auf die Frage nach dem Vorhandensein eines
tatsächlichen Fernwärmeanschlusses an.
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Die Marktpreisermittlung des FG im Rahmen
der Ermittlung der Selbstkosten verstoße gegen Denkgesetze
und allgemeine Erfahrungssätze. Es gebe für den Bereich
der Holztrocknung einen vom Fachverband Biogas e.V. ermittelten
Mittelwert von unter 1 ct/kWh. Die Wärmelieferverträge ab
dem Jahr 2010 halte das FG für das Streitjahr zu Unrecht nicht
für marktgerecht. Der Grund für die geringeren Werte sei
die Notwendigkeit von Wärmelieferungen, um den erhöhten
KWK-Bonus zu erlangen. Deshalb werde auch heute kaum ein Entgelt
für solche Wärmenutzungen gezahlt. Daher sei die
Heranziehung von Entgelten örtlicher Stadtwerke nicht
möglich. Dies gelte auch deshalb, weil ein hoher Anteil von
Netzerrichtungskosten und Kosten für Instandhaltung bei den
Stadtwerken zu berücksichtigen sei.
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Bezüglich der Revision des FA wendet
sich die Klägerin gegen die Behauptung des FA, dass es
für die Ermittlung der Bemessungsgrundlage eine gefestigte
höchstrichterliche Rechtsprechung gebe. Es sei auch nicht ein
tatsächlicher Fernwärmeanschluss notwendig, um einen
(fiktiven) Einkaufspreis zugrunde zu legen. Jedenfalls könnten
die Selbstkosten nach Marktpreisen aufgeteilt werden. Der Begriff
der Selbstkosten sei - entgegen der Auffassung des FA - im
Umsatzsteuer-Anwendungserlass definiert. Die Begriffe Selbstkosten
und (fiktiver) Einkaufspreis seien nicht vergleichbar. Es sei ein
Markt für Fernwärme vorhanden. Die
Infrastrukturaufwendungen, die das FA berücksichtigen wolle,
fielen bei der Holztrocknung beziehungsweise Spargelfeldbeheizung
wegen der unmittelbaren Nähe der Wärmeabnehmer nicht ins
Gewicht. Die Vereinfachungsregelung des
Umsatzsteuer-Anwendungserlasses sei daher nicht anzuwenden. Es
käme sonst zu einer Übermaßbesteuerung.
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Mit Beschluss vom 22.11.2022 - XI R 17/20
(BFHE 279, 262, BStBl II 2023, 601 = SIS 23 05 16) hatte der Senat
dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) gemäß
Art. 267 Abs. 3 des Vertrags über die Arbeitsweise der
Europäischen Union folgende Fragen zur Vorabentscheidung
vorgelegt:
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„1. Handelt es sich um die
‘Entnahme eines Gegenstands durch einen
Steuerpflichtigen aus seinem Unternehmen ... als unentgeltliche
Zuwendung’ i.S. von Art. 16 [der Richtlinie
2006/112/EG des Rates vom 28.11.2006 über das gemeinsame
Mehrwertsteuersystem] MwStSystRL, wenn ein Steuerpflichtiger
Wärme aus seinem Unternehmen unentgeltlich an einen anderen
Steuerpflichtigen für dessen wirtschaftliche Tätigkeit
abgibt (hier: Zuwendung von Wärme aus dem Blockheizkraftwerk
eines Stromlieferanten an ein landwirtschaftliches Unternehmen zum
Beheizen von Spargelfeldern)? Kommt es hierfür darauf an, ob
der steuerpflichtige Empfänger die Wärme für Zwecke
verwendet, die ihn zum Vorsteuerabzug berechtigen?
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2. Schränkt der Tatbestand der
Entnahme (Art. 16 MwStSystRL) den Selbstkostenpreis i.S. des Art.
74 MwStSystRL in der Weise ein, dass bei seiner Berechnung nur
vorsteuerbelastete Kosten einzubeziehen sind?
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3. Gehören zum Selbstkostenpreis nur
die unmittelbaren Herstellungs- oder Erzeugungskosten oder auch nur
mittelbar zurechenbare Kosten wie z.B.
Finanzierungsaufwendungen?“
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Der EuGH hat mit seinem Urteil Finanzamt X
vom 25.04.2024 - C-207/23, EU:C:2024:352 = SIS 24 08 09 über das
Vorabentscheidungsersuchen entschieden und die Vorlagefragen wie
folgt beantwortet:
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„1. Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie
2006/112/EG des Rates vom 28.11.2006 über das gemeinsame
Mehrwertsteuersystem ist dahin auszulegen, dass es sich um eine
einer Lieferung von Gegenständen gegen Entgelt gleichgestellte
Entnahme eines Gegenstands durch einen Steuerpflichtigen aus seinem
Unternehmen als unentgeltliche Zuwendung im Sinne dieser Bestimmung
handelt, wenn der Steuerpflichtige von ihm erzeugte Wärme
unentgeltlich an andere Steuerpflichtige für deren
wirtschaftliche Tätigkeit abgibt, wobei es hierfür nicht
darauf ankommt, ob diese anderen Steuerpflichtigen die Wärme
für Zwecke verwenden, die sie zum Vorsteuerabzug
berechtigen.
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2. Art. 74 der Richtlinie 2006/112 ist
dahin auszulegen, dass der Selbstkostenpreis im Sinne dieser
Bestimmung nicht nur die unmittelbaren Herstellungs- oder
Erzeugungskosten umfasst, sondern auch mittelbar zurechenbare
Kosten wie Finanzierungsaufwendungen, wobei es keine Rolle spielt,
ob es sich um vorsteuerbelastete Kosten handelt oder
nicht.“
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Die Klägerin trägt daraufhin vor,
dass nach dem Wortlaut des EuGH-Urteils in Rz 55 die Ermittlung des
Selbstkostenpreises der Steuerbehörde obliege. Wie die
Finanzverwaltung dieses in der Praxis umsetzen solle, bleibe
völlig offen. Denn grundsätzlich müsse der
Unternehmer im Rahmen seiner Umsatzsteuererklärungen die
Bemessungsgrundlage mitteilen. Der Senat möge sich dazu
positionieren.
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II. Die Revisionen des FA und der
Klägerin sind unbegründet und daher jeweils
gemäß § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO)
zurückzuweisen. Die Wärmeabgabe an A und B ist als
unentgeltliche Zuwendung eines Gegenstands im Sinne des § 3
Abs. 1b Satz 1 Nr. 3 UStG zu erfassen (dazu 1.). Das FG hat
zutreffend als Bemessungsgrundlage für die
Wärmelieferungen an A und B die anteiligen Selbstkosten
angesetzt (dazu 2.). Es hat in revisionsrechtlich nicht zu
beanstandender Weise den abziehbaren Anteil nach der
Marktwertmethode ermittelt (dazu 3.). Die Berechnung der
Selbstkosten begegnet keinen Bedenken. Zu den Selbstkosten
gehören auch nicht vorsteuerbelastete Kosten (dazu 4.).
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1. Die Wärmeabgabe an A und B ist als
unentgeltliche Zuwendung eines Gegenstands im Sinne des § 3
Abs. 1b Satz 1 Nr. 3 UStG zu berücksichtigen.
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a) Nach § 3 Abs. 1b Satz 1 Nr. 3 UStG,
der auf Art. 16 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28.11.2006
über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL) beruht,
werden einer Lieferung gegen Entgelt unter anderem gleichgestellt
die unentgeltliche Zuwendung eines Gegenstands. Voraussetzung ist,
dass der Gegenstand oder seine Bestandteile zum vollen oder
teilweisen Vorsteuerabzug berechtigt haben (§ 3 Abs. 1b Satz 2
UStG).
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b) Wird - wie im Streitfall - Wärme
unentgeltlich an andere Unternehmer für deren Unternehmen
(wirtschaftliche Tätigkeit) abgegeben, handelt es sich nach
Auffassung des EuGH um eine unentgeltliche Zuwendung im Sinne
dieser Vorschriften beziehungsweise Bestimmungen. Der EuGH hat dies
wie folgt begründet:
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Rz 33 „Aus dem Wortlaut von Art. 16 Abs.
1 der Mehrwertsteuerrichtlinie geht hervor, dass in diesem 3. Fall
die Entnahme eines Gegenstands durch einen Steuerpflichtigen aus
seinem Unternehmen einer Lieferung von Gegenständen gegen
Entgelt gleichgestellt wird, wenn zum einen die Entnahme eine
unentgeltliche Zuwendung bewirkt hat und zum anderen der entnommene
Gegenstand oder seine Bestandteile diesen Steuerpflichtigen zu
einem vollen oder teilweisen Abzug der Mehrwertsteuer berechtigt
haben.“
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Rz 34 „Dagegen ergibt sich aus der
Prüfung des Wortlauts dieser Bestimmung nicht, dass eine
zusätzliche Voraussetzung im Zusammenhang mit dem steuerlichen
Status des Empfängers dieser Zuwendung insofern bestünde,
als der Empfänger den zugewandten Gegenstand für
Umsätze verwenden müsste, die zum Abzug der
Mehrwertsteuer berechtigen.“
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Rz 35 „Im vorliegenden Fall lässt
sich dem Vorabentscheidungsersuchen zum einen entnehmen, dass Y
[gemeint ist die Klägerin], eine mehrwertsteuerpflichtige
Gesellschaft, ihrem Unternehmen Wärme entnommen hat, bei der
es sich um einen körperlichen Gegenstand im Sinne von Art. 15
Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie handelt, den sie im Rahmen
ihrer Tätigkeiten erzeugt hat. Zudem geht aus dem
Vorabentscheidungsersuchen hervor, dass die Wärme von Y
unentgeltlich an A und B zur Ausübung von deren
wirtschaftlichen Tätigkeiten zugewandt
wurde.“
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Rz 36 „Zum anderen führt das
vorlegende Gericht aus, dass Y angesichts dessen, dass die
entgeltlichen Lieferungen des vom Blockheizkraftwerk von Y
erzeugten Stroms der Mehrwertsteuer unterlegen hätten,
berechtigt gewesen sei, die gesamte Vorsteuer für dieses
Kraftwerk abzuziehen, das auch die an A und B unentgeltlich
zugewandte Wärme erzeugt habe.“
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...
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Rz 44 „Zudem ergibt sich aus Art. 16
Abs. 2 der Mehrwertsteuerrichtlinie, dass nicht nach dem
steuerlichen Status des Empfängers von Warenmustern
differenziert wird und dass dieser Status folglich für die
Anwendung dieser Bestimmung nicht relevant ist (vgl. in diesem
Sinne zu Art. 5 Abs. 6 Satz 2 der Sechsten Richtlinie 77/388 Urteil
vom 30.9.2010, EMI Group, C-581/08, EU:C:2010:559 = SIS 10 33 38, Rn. 51 und
52).“
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Rz 45 „Im Übrigen könnte eine
Auslegung von Art. 16 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie dahin,
dass der steuerliche Status des Empfängers des entnommenen und
unentgeltlich zugewandten Gegenstands zu berücksichtigen
wäre, zu praktischen Schwierigkeiten führen auf die
sowohl vom vorlegenden Gericht als auch von der Europäischen
Kommission in ihren schriftlichen Erklärungen hingewiesen
wurde, da der Steuerpflichtige, der einen Gegenstand entnimmt und
unentgeltlich zuwendet, gezwungen wäre, Nachforschungen
anzustellen, um diesen Status zu
prüfen.“
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Rz 46 „Schließlich hat der
Gerichtshof zwar in Rn. 68 des Urteils vom 16.9.2020,
Mitteldeutsche Hartstein-Industrie (C-528/19, EU:C:2020:712 =
SIS 20 12 33), auf das sich
insbesondere Y beruft, entschieden, dass zugunsten einer Gemeinde
durchgeführte Arbeiten zum Ausbau einer Gemeindestraße,
die der Öffentlichkeit offensteht, aber im Rahmen der
wirtschaftlichen Tätigkeit des Steuerpflichtigen, der diese
Arbeiten unentgeltlich durchgeführt hat, von ihm sowie von der
Öffentlichkeit genutzt wird, keinen Umsatz darstellen, der
einer Lieferung von Gegenständen gegen Entgelt im Sinne von
Art. 5 Abs. 6 der Sechsten Richtlinie 77/388 (entspricht Art. 16
der Mehrwertsteuerrichtlinie) gleichzustellen
ist.“
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Rz 47 „Zum einen jedoch kamen diese
Arbeiten dem die Zuwendung vornehmenden Steuerpflichtigen zugute
und wiesen einen direkten und unmittelbaren Zusammenhang mit seiner
gesamten wirtschaftlichen Tätigkeit auf. Zum anderen waren die
Kosten der erhaltenen Eingangsleistungen, die mit diesen Arbeiten
in Zusammenhang standen, Kostenelemente der von diesem
Steuerpflichtigen getätigten Ausgangsumsätze. Dagegen
gibt es keinen Anhaltspunkt dafür, dass die von Y entnommene
und unentgeltlich zugewandte Wärme auch von Y genutzt worden
wäre.“
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2. Als Bemessungsgrundlage dieser Umsätze
sind die Selbstkosten anzusetzen, da kein Einkaufspreis
existiert.
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a) Gemäß § 10 Abs. 4 Satz 1
Nr. 1 UStG wird der Umsatz bei Lieferungen im Sinne des § 3
Abs. 1b UStG nach dem Einkaufspreis zuzüglich der Nebenkosten
für den Gegenstand oder für einen gleichartigen
Gegenstand oder mangels eines Einkaufspreises nach den
Selbstkosten, jeweils zum Zeitpunkt des Umsatzes, bemessen.
Unionsrechtlich beruht § 10 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 UStG auf Art.
74 MwStSystRL. Bemessungsgrundlage ist danach der Einkaufspreis
für den entnommenen oder einen gleichartigen Gegenstand,
hilfsweise der Selbstkostenpreis. Sowohl der EuGH (Urteile Property
Development Company vom 23.04.2015 - C-16/14, EU:C:2015:265 =
SIS 15 10 57; Het Oudeland Beheer
vom 28.04.2016 - C-128/14, EU:C:2016:306 = SIS 16 09 58) als auch der BFH (Urteil vom
12.12.2012 - XI R 3/10, BFHE 239, 377, BStBl II 2014, 809 = SIS 13 06 24) setzen auch bei selbst hergestellten Wirtschaftsgütern
den Einkaufspreis, gegebenenfalls einen fiktiven Einkaufspreis an,
sofern ein solcher am Markt zu ermitteln ist. Die Selbstkosten sind
daher nur dann als Bemessungsgrundlage anzusetzen, wenn ein
Einkaufspreis für den entnommenen oder für einen
gleichartigen Gegenstand am Markt nicht zu ermitteln ist
(BFH-Urteil vom 12.12.2012 - XI R 3/10, BFHE 239, 377, BStBl II
2014, 809 = SIS 13 06 24, Rz 22, 28).
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b) Im Streitfall ist die Entscheidung des FG,
dass kein Einkaufspreis am Markt für einen gleichartigen
Gegenstand ermittelt werden könne, weil die Klägerin
nicht an ein Fernwärmenetz angeschlossen ist,
revisionsrechtlich nicht zu beanstanden; denn von einem
Fernwärmeversorger produzierte und angebotene Fernwärme
kann nur dann als „gleichartiger
Gegenstand“ im Sinne der Vorschrift angesehen
werden, wenn sie für den jeweiligen Verbraucher (hier: die
Klägerin) zum Zeitpunkt des Umsatzes grundsätzlich ebenso
erreichbar und einsetzbar ist wie die selbst erzeugte Wärme
(vgl. BFH-Urteil vom 15.03.2022 - V R 34/20, BFHE 276, 369 = SIS 22 12 07, Rz 16). Eine Anbindung an ein Fernwärmenetz ist
Voraussetzung für den Ansatz eines (fiktiven) Einkaufspreises
(vgl. BFH-Urteil vom 25.11.2021 - V R 45/20, BFHE 275, 392 = SIS 22 05 92, Rz 31). Existiert kein (fiktiver) Einkaufspreis, sind
Bemessungsgrundlage für die unentgeltlichen
Wärmeumsätze die darauf entfallenden Selbstkosten
für die Errichtung und den Betrieb des BHKW.
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3. Die Aufteilung der Selbstkosten auf Strom
und Wärme ist nach der Marktwertmethode vorzunehmen.
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a) § 10 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 UStG
enthält keine ausdrückliche Aufteilungsregelung für
Selbstkosten, die gleichermaßen für die entgeltliche
Lieferung (von Strom) und die unentgeltliche Zuwendung (von
Wärme) anfallen. Für die gleichwohl erforderliche
Aufteilung kann - wie der Senat bereits im ersten Rechtsgang
entschieden hat (vgl. BFH-Urteil vom 31.05.2017 - XI R 2/14, BFHE
258, 191, BStBl II 2017, 1024 = SIS 17 14 27, Rz 44) - der
Rechtsgedanke des § 15 Abs. 4 UStG heranzuziehen sein. Dies
hat die Rechtsprechung später dahingehend weiter
präzisiert, dass sie die von der Finanzverwaltung angewendete,
ausschließlich energetische Methode als nicht sachgerecht
verworfen hat und stattdessen eine zweistufige,
ausschließlich umsatzbezogene Schätzung (ohne
Berücksichtigung der nicht genutzten Wärme) als
sachgerecht angesehen hat (vgl. BFH-Urteile vom 15.03.2022 - V R
34/20, BFHE 276, 369 = SIS 22 12 07, Rz 22; vom 09.11.2022 - XI R
31/19, BFHE 279, 227 = SIS 23 02 27, Rz 15 und 25). Daran hält
der Senat weiter fest.
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b) Auf der Grundlage dieser
Schätzungsmethode ist die Schätzung des FG
revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
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aa) Das FG ist, wie die Berechnung in Rz 57,
62 der Vorentscheidung zeigt, von der zutreffenden
Schätzungsmethode des BFH ausgegangen. Im Rahmen der
Berechnung hat es Verkaufspreise von zwei Anbietern von
Fernwärme in der Nähe der Anlage der Klägerin
(Stadtwerke X und Stadtwerke Y) herangezogen.
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bb) Diese Schätzung hält den
Angriffen der beiden Revisionen stand.
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(1) Entgegen der Auffassung des FA ist die vom
FG gewählte, der Methode des BFH entsprechende,
Schätzungsmethode sachgerecht. Die Heranziehung der
Verkaufspreise von zwei Anbietern von Fernwärme in der
Nähe der Anlage der Klägerin begegnet ebenfalls keinen
Bedenken, da das FG im Rahmen seiner eigenen
Schätzungsbefugnis auf Grundlage speziellerer Wertermittlungen
Werte für die Lieferung von Wärme ermitteln darf (vgl.
BFH-Urteil vom 09.11.2022 - XI R 31/19, BFHE 279, 227 = SIS 23 02 27, Rz 15).
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(2) Entgegen dem Vortrag des FA und der
Klägerin hat das FG sehr wohl im Rahmen des Abschlags
berücksichtigt, dass die Abnehmer die Kosten der Installation
eines Leitungsnetzes tragen mussten. Der Abschlag war auch nicht
unangemessen.
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(3) Es handelte sich des Weiteren bei den zwei
Vergleichsanbietern - entgegen der Auffassung des FA - um in
räumlicher Nähe liegende Marktanbieter. Beide
Marktanbieter befanden sich im regionalen Umfeld der
Klägerin.
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(4) Es ist auch nicht zu beanstanden, dass das
FG die anderen im finanzgerichtlichen Verfahren ermittelten
Marktpreise für Fernwärme nicht in die Berechnung der
Bemessungsgrundlage hat mit einfließen lassen. Denn entweder
betrafen sie andere Zeiträume (2010; 2016) als das Streitjahr
(2008) oder wurden vom FG nicht als marktgerecht beurteilt, da sie
im Vergleich zum ermittelten Durchschnittswert gering waren. Auch
diese mögliche tatsächliche Würdigung ist
revisionsrechtlich nicht zu beanstanden; sie bindet daher den Senat
(§ 118 Abs. 2 FGO).
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4. Die Berechnung der Selbstkosten begegnet
ebenfalls keinen Bedenken.
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a) Das FG hat als Selbstkosten auch nicht
unmittelbar mit der Herstellung oder Erzeugung
zusammenhängende Kosten berücksichtigt, die nicht mit
Vorsteuer belastet sind (zum Beispiel Finanzierungskosten).
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b) Dies hat der EuGH auf Vorlage des Senats
als unionsrechtlich zutreffend bestätigt (vgl. Urteil
Finanzamt X vom 25.04.2024 - C-207/23, EU:C:2024:352 = SIS 24 08 09, Tenor Ziffer 2): Art. 74
MwStSystRL ist dahin auszulegen, dass der Selbstkostenpreis im
Sinne dieser Bestimmung nicht nur die unmittelbaren
Herstellungskosten oder Erzeugungskosten umfasst, sondern auch
mittelbar zurechenbare Kosten wie Finanzierungsaufwendungen, wobei
es keine Rolle spielt, ob es sich um vorsteuerbelastete Kosten
handelt oder nicht.
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c) Dies ist im Wege einer richtlinienkonformen
Auslegung von § 10 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 UStG in das nationale
Recht zu übertragen; die Begriffe
„Selbstkostenpreis“ und
„Selbstkosten“ sind identisch auszulegen
und synonym zu verwenden (vgl. bereits BFH-Urteil vom 12.12.2012 -
XI R 3/10, BFHE 239, 377, BStBl II 2014, 809 = SIS 13 06 24, Rz
42). Soweit die gesetzgebenden Körperschaften die Begriffe
zunächst nicht synonym verstanden haben sollten, weil sie den
Unternehmergewinn nicht in die Selbstkosten einbeziehen wollten
(BT-Drucks. 11/5970, S. 45), ist dies nach der Rechtsprechung des
BFH (vgl. Urteil vom 10.03.1994 - V R 91/91, BFH/NV 1995, 451)
weder bei den Selbstkosten noch nach der Rechtsprechung des EuGH
(vgl. Urteil Finanzamt X vom 25.04.2024 - C-207/23, EU:C:2024:352 =
SIS 24 08 09, Rz 59) beim
Selbstkostenpreis der Fall. Der Senat hält daher an seinem
synonymen Verständnis der Begriffe im BFH-Urteil vom
12.12.2012 - XI R 3/10 (BFHE 239, 377, BStBl II 2014, 809 = SIS 13 06 24, Rz 42) fest.
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d) Soweit die Klägerin darauf verweist,
dass nach Rz 55 des EuGH-Urteils Finanzamt X vom 25.04.2024 -
C-207/23, EU:C:2024:352 = SIS 24 08 09 der Steuerbehörde die Ermittlung des
Selbstkostenpreises obliegt, versteht der Senat dies in der Weise,
dass bei der Überprüfung der Steueranmeldungen das FA als
„Steuerbehörde“ die genannten
Umstände zu beachten hat. Entgegen den Bedenken der
Klägerin bleibt es jedoch die Aufgabe des Steuerpflichtigen,
die Steuer gemäß den Regelungen in § 16 UStG selbst
zu berechnen (§ 18 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 UStG) und die
selbst berechnete Steuer anzumelden (§ 150 Abs. 1 Satz 3,
§ 167 Satz 1, § 168 Satz 1 und 2 der Abgabenordnung). Er
muss folglich dazu auch die erforderlichen Ermittlungen selbst
vornehmen. Da außerdem bei der Ermittlung der Selbstkosten
die bestehende Regelungslücke entsprechend § 15 Abs. 4
UStG durch sachgerechte Schätzung nach dem Kriterium der
wirtschaftlichen Zurechnung zu schließen ist (vgl. BFH-Urteil
vom 15.03.2022 - V R 34/20, BFHE 276, 369 = SIS 22 12 07, Rz 19),
ist die Schätzung grundsätzlich Sache des Unternehmers,
der zu entscheiden hat, welche Schätzungsmethode er
wählt, wobei die Steuerbehörde (und damit auch das FG)
nachprüfen kann, ob diese Schätzung sachgerecht ist (vgl.
BFH-Urteil vom 09.11.2022 - XI R 31/19, BFHE 279, 227 = SIS 23 02 27, Rz 12). Hieran ändert sich durch Rz 55 des EuGH-Urteils
Finanzamt X vom 25.04.2024 - C-207/23, EU:C:2024:352 = SIS 24 08 09 aufgrund des nationalen
Verfahrensrechts nichts; denn bei fehlenden Unionsregeln zu einer
verfahrensrechtlichen Frage ist es nach dem Grundsatz der
Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten Sache der innerstaatlichen
Rechtsordnung jedes Mitgliedstaats, entsprechende Regeln
festzulegen, wobei diese dem Äquivalenzgrundsatz und dem
Effektivitätsgrundsatz genügen müssen (vgl. z.B.
EuGH-Urteil Farkas vom 26.04.2017 - C-564/15, EU:C:2017:302 =
SIS 17 08 36, Rz 31), was hier der
Fall ist.
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5. Die Kostenentscheidung ist nach dem
Grundsatz der einheitlichen Kostenverteilung nach Quoten der
Gesamtkosten zu treffen, wenn - wie hier - beide Beteiligte
Revision eingelegt haben (vgl. BFH-Urteil vom 26.06.1997 - VII R
10-11/97, BFH/NV 1997, 906, unter II.3.). Die Kostenverteilung
ergibt sich nach dem Maße des Obsiegens beziehungsweise
Unterliegens (§ 136 Abs. 1 Satz 1 FGO).
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