1
|
I. Streitig ist, ob im Streitjahr (2006)
zugeflossene Erstattungszinsen (§ 233a der Abgabenordnung - AO
- ) Einnahmen aus Kapitalvermögen sind und ob für sie die
ermäßigte Besteuerung nach § 34 Abs. 1 und 2 des
Einkommensteuergesetzes (EStG) gilt.
|
|
|
2
|
Die miteinander verheirateten Kläger
und Revisionskläger (Kläger) sind Rentner. Für das
Streitjahr wurden sie zusammen zur Einkommensteuer veranlagt.
Gemäß dem Einkommensteuerbescheid für 1995
entrichtete die Klägerin am 9.7.1997 eine
Einkommensteuernachzahlung, die auf den Gewinn aus der
Veräußerung ihres Kommanditanteils an der K.KG zum
31.12.1995 entfiel. Im Streitjahr stellte sich der endgültige
Ausfall der Kaufpreisforderung heraus. Der Beklagte und
Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA - ) änderte infolge
eines entsprechend geänderten Grundlagenbescheides des
Finanzamts H. den Einkommensteuerbescheid für 1995 unter
Ansatz eines Veräußerungsgewinnes von 0 EUR und setzte
Erstattungszinsen fest.
|
|
|
3
|
Am 8.11.2007 erging ein erstmaliger
Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr, bei dem Zinsen auf
die Einkommensteuererstattung für 1995 in Höhe von
118.101 EUR für 109 Monate als Einnahmen aus
Kapitalvermögen berücksichtigt wurden.
|
|
|
4
|
Die nach insoweit erfolglosem Einspruch
erhobene Klage, mit der die Kläger für die
Erstattungszinsen eine ermäßigte Besteuerung nach §
32a Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 34 Abs. 1 Satz 1 EStG begehrten,
blieb ebenfalls erfolglos (Urteil des Finanzgerichts - FG -
Baden-Württemberg vom 29.1.2010 10 K 2720/09, EFG 2010, 723 =
SIS 10 10 50).
|
|
|
5
|
Mit ihrer Revision rügen die
Kläger die Verletzung materiellen Rechts. Das
Bundesministerium der Finanzen (BMF) ist dem Revisionsverfahren
beigetreten.
|
|
|
6
|
Die Kläger halten die Erfassung der
Erstattungszinsen als Kapitaleinnahmen i.S. von § 20 Abs. 1
Nr. 7 EStG für verfassungswidrig; jedenfalls müsse der
ermäßigte Steuersatz gemäß § 34 Abs. 1
EStG Anwendung finden.
|
|
|
7
|
Mit dem Abzugsverbot des § 12 Nr. 3
EStG habe der Gesetzgeber eine Grundsatzentscheidung getroffen und
auch die Erstattungszinsen der einkommensteuerrechtlich
irrelevanten Ebene zugewiesen. Der Zufluss von Zinsen nach §
233a AO (Erstattungszinsen) und der Abfluss derartiger Zinsen
(Nachzahlungszinsen) seien wesentlich gleiche Sachverhalte.
Erstattungs- und Nachzahlungszinsen würden gemäß
§ 233a AO identisch berechnet und verfolgten denselben Zweck
(Hinweis auf das Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 20.9.1995
X R 86/94, BFHE 178, 555, BStBl II 1996, 53 = SIS 96 04 52).
|
|
|
8
|
Im Ergebnis habe der Gesetzgeber mit der
Ergänzung des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG durch das
Jahressteuergesetz 2010 vom 8.12.2010 - JStG 2010 - (BGBl I 2010,
1768) in dessen Satz 3 eine Norm geschaffen, die in unmittelbarem
Widerspruch zu seiner eigenen, in § 12 Nr. 3 EStG verankerten
Grundentscheidung stehe, bestimmte Steuern und darauf entfallende
Nebenleistungen dem nicht steuerbaren Bereich zuzuweisen. Eine
derartige Regelung sei nicht nur system- und damit rechtswidrig.
Vielmehr liege auch ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 des
Grundgesetzes (GG) vor.
|
|
|
9
|
Darüber hinaus begegne auch die
Anwendungsvorschrift des § 52a Abs. 8 Satz 2 EStG i.d.F. des
JStG 2010 verfassungsrechtlichen Bedenken unter dem Aspekt des
Verbots einer echten Rückwirkung.
|
|
|
10
|
Hinsichtlich der begehrten
ermäßigten Besteuerung nach § 34 EStG
erfüllten die Erstattungszinsen den Begriff der
Entschädigung i.S. von § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG.
Jedenfalls sei eine analoge Anwendung der begünstigenden
Vorschriften geboten wegen einer ungewollten Regelungslücke,
da ein dem Regelungsgehalt von § 24 Nr. 1 Buchst. a, § 34
Abs. 2 Nr. 2 EStG vergleichbarer Sachverhalt vorliege. Zudem
stellten die Erstattungszinsen eine Vergütung für
mehrjährige Tätigkeit gemäß § 34 Abs. 2
Nr. 4 EStG dar.
|
|
|
11
|
Die Kläger beantragen
sinngemäß,
|
|
das FG-Urteil aufzuheben und die
Einkommensteuerfestsetzung für 2006 in Gestalt der
Einspruchsentscheidung vom 28.5.2009 dahingehend zu ändern,
dass Erstattungszinsen nach § 233a AO in Höhe von 118.101
EUR nicht mehr als Einnahmen erfasst werden, hilfsweise, die
Erstattungszinsen in Höhe von 118.101 EUR nach § 34 Abs.
1 EStG zu besteuern.
|
|
|
12
|
Das FA beantragt sinngemäß, die
Revision zurückzuweisen.
|
|
|
13
|
II. Die Revision ist nicht begründet und
deshalb nach § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO)
zurückzuweisen.
|
|
|
14
|
Zu Recht hat das FG die streitbefangenen
Erstattungszinsen als Einnahmen aus Kapitalvermögen der
Einkommensteuerfestsetzung für das Streitjahr zugrunde
gelegt.
|
|
|
15
|
1. Erstattungszinsen i.S. von § 233a AO
gehören zu den Einkünften aus Kapitalvermögen
(§ 20 Abs. 1 Nr. 7 Sätze 1 und 3 EStG i.d.F. des JStG
2010) und unterliegen als solche der Einkommensteuer (§ 2 Abs.
1 Satz 1 Nr. 5 EStG). Die Vorschrift des § 20 Abs. 1 Nr. 7
Satz 3 EStG i.d.F. des JStG 2010 gilt für alle Fälle, in
denen die Steuer im Zeitpunkt der Gesetzesänderung noch nicht
bestandskräftig festgesetzt war (§ 52a Abs. 8 Satz 2 EStG
i.d.F. des JStG 2010), mithin auch im Streitfall.
|
|
|
16
|
a) Dem steht die Regelung in § 12 Nr. 3
EStG nicht entgegen. Dort heißt es, dass Steuern vom
Einkommen weder bei den einzelnen Einkunftsarten noch vom
Gesamtbetrag der Einkünfte abgezogen werden dürfen und
dies auch für die auf diese Steuern entfallenden
Nebenleistungen gilt. Die Auffassung des erkennenden Senats in
seinem Urteil vom 15.6.2010 VIII R 33/07 (BFHE 230, 109, BStBl II
2011, 503 = SIS 10 23 36), die Vorschrift weise über ihren
Wortlaut hinaus auch Steuererstattungen und daran anknüpfende
Erstattungszinsen dem nichtsteuerbaren Bereich zu, kann der
Entscheidung des Streitfalls angesichts der durch das JStG 2010
getroffenen Regelung in § 20 Abs. 1 Nr. 7 Satz 3 EStG nicht
mehr zugrunde gelegt werden.
|
|
|
17
|
Mit der ausdrücklichen Normierung der
Erstattungszinsen als Kapitaleinkünfte (§ 20 Abs. 1 Nr. 7
Satz 3 EStG i.d.F. des JStG 2010) hat der Gesetzgeber seinen
Willen, diese der Besteuerung zu unterwerfen, klar zum Ausdruck
gebracht. Dazu bedurfte es keiner Änderung des § 12 EStG.
Es ist dem Gesetzgeber überlassen, an welcher Stelle des
Gesetzes er das von ihm nicht geteilte Rechtsverständnis der
Rechtsprechung zur Nichtsteuerbarkeit der Erstattungszinsen
korrigiert, ob - wie geschehen - durch eine (positive) Regelung auf
der Einnahmenseite oder durch eine (negative) Regelung im Rahmen
der Vorschrift über die Nichtabzugsfähigkeit von Ausgaben
(§ 12 EStG). Die positive Regelung auf der Einnahmenseite ist
systematisch näherliegend. Auch im Schrifttum wird
überwiegend die Auffassung vertreten, dass der Gesetzgeber
insoweit bei der Gesetzesänderung durch das JStG 2010 zurecht
auf der Einnahmenseite angesetzt hat (Balliet, DStZ 2012, 436,
unter II.1. und 2.; Thiemann, FR 2012, 673, 677; Wacker, HFR 2012,
636, unter 3.; Zimmermann, EFG 2011, 649, 651 f.). Der
gegenteiligen Auffassung (Panzer/Gebert, DStR 2011, 741, 742; vgl.
auch Beschluss des FG Münster vom 27.10.2011 2 V 913/11 E, EFG
2012, 118 = SIS 12 05 06), wonach der gesetzgeberische Wille
angesichts eines ansonsten unveränderten Normengefüges
keinen hinreichenden Ausdruck gefunden habe, ist nicht zu folgen.
Da § 12 Nr. 3 EStG nach Wortlaut und systematischer Stellung
den Abzug von Ausgaben regelt und die Erstattungszinsen nicht
anspricht, war zur gesetzgeberischen Korrektur der Rechtsprechung
keine Änderung auch dieser Norm geboten.
|
|
|
18
|
b) Der aus dem klaren Wortlaut des § 20
Abs. 1 Nr. 7 Satz 3 EStG i.d.F. des JStG 2010 erkennbare
Gesetzeszweck wird durch die Entstehungsgeschichte bestätigt.
So heißt es im Bericht des Finanzausschusses zum Entwurf
eines JStG 2010 (BTDrucks 17/3549, S. 17), dass Erstattungszinsen
steuerbar sind und die gesetzliche Klarstellung notwendig sei,
„da der Bundesfinanzhof (BFH) mit seinem Urteil vom
15.6.2010, Az. VIII R 33/07, seine Rechtsprechung zur Steuerpflicht
von Erstattungszinsen teilweise geändert hat und nunmehr
ausführt, dass gesetzliche Zinsen, die das Finanzamt auf Grund
von Einkommensteuererstattungen an den Steuerpflichtigen zahlt
(sog. Erstattungszinsen), nicht (mehr) der Einkommensteuer
unterliegen.“
|
|
|
19
|
Damit bleibt für eine Behandlung der
Erstattungszinsen nach § 233a AO als nicht steuerbar kein Raum
mehr. Bei Auslegung des Gesetzes ist die gesetzgeberische
Entscheidung zu respektieren und der im Gesetz angelegte
„Wille des Gesetzgebers ... möglichst
zuverlässig zur Geltung zu bringen“ (Beschluss des
Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - vom 25.1.2011 1 BvR 918/10,
BVerfGE 128, 193 = SIS 11 09 43).
|
|
|
20
|
2. Die verfassungsrechtlichen Einwendungen der
Kläger greifen nicht durch.
|
|
|
21
|
a) Die Anordnung der Besteuerung der
Erstattungszinsen als Einnahmen aus Kapitalvermögen durch den
Gesetzgeber verstößt im Vergleich zur Nichtabziehbarkeit
der Nachzahlungszinsen weder gegen den Gleichheitssatz des Art. 3
GG noch das daraus folgende, an den Gesetzgeber gerichtete
verfassungsrechtliche Gebot, einmal getroffene (steuerliche)
Belastungsentscheidungen folgerichtig auszugestalten
(Folgerichtigkeitsgebot).
|
|
|
22
|
Es fehlt schon an einer Ungleichbehandlung
i.S. des Art. 3 GG. § 233a AO regelt die Verzinsung von
Steuernachforderungen und Steuererstattungen. Dem Entstehen von
Nachforderungsansprüchen einerseits und
Erstattungsansprüchen andererseits liegen unterschiedliche
Sachverhalte zugrunde, nämlich in einem Fall zu geringe
Vorleistungen auf die entstandene Steuerschuld, im anderen Fall
eine Überzahlung. Diese unterschiedlichen Sachverhalte sind
allenfalls insoweit abstrakt vergleichbar, als sie beide
Zahlungsansprüche im Steuerrechtsverhältnis
begründen und sich - mit unterschiedlichen Vorzeichen - auf
die Liquidität des Steuerpflichtigen auswirken. In ihrer
wirtschaftlichen Auswirkung und ihrer steuerrechtlich
maßgeblichen Veranlassung sind sie hingegen nicht
vergleichbar (vgl. BFH-Beschluss vom 15.2.2012 I B 97/11, BFHE 236,
458, BStBl II 2012, 697 = SIS 12 07 31; Thiemann, FR 2012, 673,
679). Nachzahlungszinsen sind durch § 12 Nr. 3 EStG der
Sphäre der steuerrechtlich unbeachtlichen
Einkünfteverwendung zugewiesen. Die Verwendung von Einkommen
ist einkommensteuerrechtlich grundsätzlich irrelevant, soweit
es sich nicht um Erwerbsaufwendungen (Betriebsausgaben,
Werbungskosten) handelt oder die steuerliche Abzugsmöglichkeit
(insbesondere als Sonderausgabe oder außergewöhnliche
Belastung, §§ 10 ff., 33 f. EStG) ausdrücklich
gesetzlich geregelt ist.
|
|
|
23
|
Die gesetzliche Regelung des § 20 Abs. 1
Nr. 7 Satz 3 EStG i.d.F. des JStG 2010 führt mithin nicht zu
einer gleichheitssatzwidrigen Ungleichbehandlung wesentlich
gleichartiger Sachverhalte. Damit fehlt im Streitfall die
Voraussetzung der Anwendung des Folgerichtigkeitsgebots. Es besteht
keine Korrespondenz zwischen der Behandlung des Abzugstatbestandes
in § 12 Nr. 3 EStG (Abzugsverbot für Nachzahlungszinsen)
und des Einnahmetatbestandes in § 20 Abs. 1 Nr. 7 Satz 3 EStG
i.d.F. des JStG 2010 (vgl. Thiemann, FR 2012, 673, 679; Balliet,
DStZ 2012, 436, unter 4.).
|
|
|
24
|
Zutreffend wird in diesem Zusammenhang
hervorgehoben, dass die Zuweisung der Nachzahlungszinsen in den
nichtsteuerbaren Bereich (auch) der Gleichbehandlung mit
Steuerpflichtigen dient, die eine private Steuerschuld
kreditfinanziert tilgen müssen und die dafür entstehenden
Schuldzinsen unter keinem Gesichtspunkt steuerlich abziehen
können (Bericht des Finanzausschusses, BTDrucks 17/3549, S.
18; Thiemann, FR 2012, 673, 680; Balliet, DStZ 2012, 436, unter
4.).
|
|
|
25
|
Zwar wird das Abzugsverbot in § 12 Nr. 3
EStG in Teilen des Schrifttums für verfassungswidrig gehalten
(s. Seer/Klemke, Institut Finanzen und Steuern e.V., IFSt-Schrift
Nr. 490, 2013, S. 88 ff., unter Hinweis auf Söffing, BB 2002,
1456). Indes könnte die - unterstellte, vom Senat allerdings
in seiner Entscheidung vom 2.9.2008 VIII R 2/07 (BFHE 223, 15,
BStBl II 2010, 25 = SIS 08 44 59) bereits verneinte -
Verfassungswidrigkeit nicht zugleich die Verfassungswidrigkeit des
Einnahmetatbestandes in § 20 Abs. 1 Nr. 7 Satz 3 EStG i.d.F.
des JStG 2010 begründen.
|
|
|
26
|
b) Die Regelung des zeitlichen
Anwendungsbereichs des § 20 Abs. 1 Nr. 7 Satz 3 EStG i.d.F.
des JStG 2010 verstößt nicht gegen das
verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot.
|
|
|
27
|
aa) § 20 Abs. 1 Nr. 7 Satz 3 EStG i.d.F.
des JStG 2010 ist nach § 52a Abs. 8 Satz 2 EStG i.d.F. des
JStG 2010 „in allen Fällen anzuwenden, in denen die
Steuer noch nicht bestandskräftig festgesetzt ist“.
Damit ist das Gesetz rückwirkend auch auf den Streitfall
anwendbar.
|
|
|
28
|
bb) Die Anwendungsbestimmung (§ 52a Abs.
8 Satz 2 EStG i.d.F. des JStG 2010) führt nach Auffassung
einiger Finanzgerichte und Stimmen in der Literatur zu einer
unzulässigen echten Rückwirkung. Zumindest werden Zweifel
an der Verfassungsmäßigkeit der Rückwirkung
angemeldet (vgl. Beschlüsse des FG Düsseldorf vom
5.9.2011 1 V 2325/11 A(E), EFG 2012, 120, 122 = SIS 11 35 24; des
FG Münster in EFG 2012, 118, 119; des Schleswig-Holsteinischen
FG vom 27.1.2012 1 V 226/11, EFG 2012, 619, 621 = SIS 12 06 01;
Panzer/Gebert, DStR 2011, 741, 743 f.; Rublack, FR 2011, 173, 175).
Auch der Senat hat deswegen in einer Reihe von Fällen aufgrund
summarischer Prüfung zunächst die Vollziehung von
Steuerfestsetzungen ausgesetzt (Beschlüsse vom 22.12.2011 VIII
B 190/11, BFHE 236, 158, BStBl II 2012, 243 = SIS 12 04 26; vom
22.12.2011 VIII B 146/11, BFH/NV 2012, 575 = SIS 12 06 73; vom
9.1.2012 VIII B 95/11, BFH/NV 2012, 575 = SIS 12 06 72).
|
|
|
29
|
cc) Indes erweist sich die in § 52a Abs.
8 Satz 2 EStG i.d.F. des JStG 2010 angeordnete Rückwirkung
nach abschließender Prüfung im Revisionsverfahren nicht
als verfassungsrechtlich unzulässig. Auch wenn man abweichend
von den Gesetzesmaterialien in der Regelung in § 20 Abs. 1 Nr.
7 Satz 3 EStG i.d.F. des JStG 2010 keine
„Klarstellung“ sieht, sondern davon ausgeht,
dass die Anwendungsvorschrift eine echte Rückwirkung für
bereits abgeschlossene Erhebungszeiträume bedeutet, hält
die Vorschrift verfassungsrechtlicher Nachprüfung stand. Zwar
sind Gesetze mit echter Rückwirkung, die die Rechtsfolge eines
der Vergangenheit zugehörigen Verhaltens nachträglich
belastend ändern, im Hinblick auf die Verlässlichkeit der
Rechtsordnung als Grundbedingung freiheitlicher Verfassungen
grundsätzlich unzulässig (vgl. BVerfG-Beschluss vom
3.12.1997 2 BvR 882/97, BVerfGE 97, 67, 78 = SIS 98 10 50;
BVerfG-Urteil vom 23.11.1999 1 BvF 1/94, BVerfGE 101, 239, 263;
Nichtannahmebeschluss des BVerfG vom 15.10.2008 1 BvR 1138/06, HFR
2009, 187). Jedoch sind in der Rechtsprechung des BVerfG
Fallgruppen anerkannt, in denen das rechtsstaatliche
Rückwirkungsverbot durchbrochen ist. So tritt das
Rückwirkungsverbot, das seinen Grund im Vertrauensschutz hat,
namentlich dann zurück, wenn sich kein schützenswertes
Vertrauen auf den Bestand des geltenden Rechts bilden konnte (vgl.
BVerfG-Urteil in BVerfGE 101, 239, 263; Nichtannahmebeschluss des
BVerfG in HFR 2009, 187).
|
|
|
30
|
dd) So liegt der Streitfall. Mit der Regelung
in § 20 Abs. 1 Nr. 7 Satz 3 EStG i.d.F. des JStG 2010, die
Erstattungszinsen dem steuerbaren Bereich zuweist, hat der
Gesetzgeber die Rechtslage auch mit Wirkung für die
Vergangenheit so geregelt, wie sie bis zum Ergehen des BFH-Urteils
in BFHE 230, 109, BStBl II 2011, 503 = SIS 10 23 36 der gefestigten
höchstrichterlichen Rechtsprechung (vgl. BFH-Urteile vom
18.2.1975 VIII R 104/70, BFHE 115, 216, BStBl II 1975, 568 = SIS 75 03 29; vom 8.4.1986 VIII R 260/82, BFHE 146, 408, BStBl II 1986,
557 = SIS 86 18 13; vom 25.10.1994 VIII R 79/91, BFHE 175, 439,
BStBl II 1995, 121 = SIS 95 01 01; vom 8.11.2005 VIII R 105/03,
BFH/NV 2006, 527 = SIS 06 11 68, m.w.N.; BFH-Beschlüsse vom
14.4.1992 VIII B 114/91, BFH/NV 1993, 165 = SIS 92 20 39; vom
30.6.2009 VIII B 8/09, BFH/NV 2009, 1977 = SIS 09 36 22) und der
Praxis der Finanzverwaltung (BMF-Schreiben vom 5.10.2000 IV C 1 - S
2252 - 231/00, BStBl I 2000, 1508 = SIS 00 14 26; weitere Nachweise
im BFH-Urteil in BFH/NV 2006, 527 = SIS 06 11 68) entsprach (vgl.
Nichtannahmebeschluss des BVerfG in HFR 2009, 187). Die Behauptung
der Kläger, der BFH habe seine langjährige Rechtsprechung
seit Inkrafttreten des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 vom
24.3.1999 - BGBl I 1999, 402 - (mit dem der Sonderausgabenabzug
für Nachzahlungszinsen gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 5
EStG gestrichen worden war) nicht mehr bestätigt, trifft nicht
zu, wie sich den Entscheidungen des Senats in BFH/NV 2006, 527 =
SIS 06 11 68 und BFH/NV 2009, 1977 = SIS 09 36 22 entnehmen
lässt.
|
|
|
31
|
ee) Vor der Rechtsprechungsänderung durch
das Senatsurteil in BFHE 230, 109, BStBl II 2011, 503 = SIS 10 23 36 konnte deshalb kein schutzwürdiges Vertrauen der
Kläger auf die Nichtsteuerbarkeit der Erstattungszinsen
entstehen, zumal der Zufluss der streitbefangenen Erstattungszinsen
bei den Klägern bereits mehrere Jahre zurücklag.
|
|
|
32
|
Ein Vertrauenstatbestand hätte sich
deshalb allenfalls ab der Veröffentlichung des die
Rechtsprechung ändernden Senatsurteils in BFHE 230, 109, BStBl
II 2011, 503 = SIS 10 23 36 entwickeln können. Jedenfalls
fehlt es angesichts der Vorgeschichte sowie des relativ kurzen
Zeitraums zwischen der Veröffentlichung dieses Urteils (am
8.9.2010) und dem Inkrafttreten des JStG 2010 (am 14.12.2010) an
der Schutzwürdigkeit eines Vertrauens in den Fortbestand der
Rechtsprechungsänderung, zumal in diese Zwischenzeit keine
schutzwürdigen Vermögensdispositionen der Kläger
fielen.
|
|
|
33
|
3. Entgegen der Auffassung der Kläger
sind die Erstattungszinsen keine außerordentlichen
Einkünfte i.S. von § 34 Abs. 1 und 2 EStG.
|
|
|
34
|
a) Die Leistung von Erstattungszinsen
erfüllt nicht den Tatbestand des § 24 Nr. 1 Buchst. a
EStG (Ersatz für entgangene oder entgehende Einnahmen), da sie
unabhängig davon erbracht wird, ob dem Steuerpflichtigen
Einnahmen entgangen sind oder entgehen. Die Rechtslage ist insoweit
nicht anders als bei Prozess- oder Verzugszinsen (vgl. dazu
BFH-Urteil in BFHE 175, 439, BStBl II 1995, 121 = SIS 95 01 01,
m.w.N.). § 233a AO regelt in einer praktikablen, typisierenden
Weise einen finanziellen Ausgleich in Fällen, in denen die
nicht zeitnah erfolgte Festsetzung (hier:) der Einkommensteuer zu
einem Unterschiedsbetrag zwischen festgesetzter Steuer einerseits
und Lohnsteuerabzugsbeträgen, anzurechnender
Körperschaftsteuer und festgesetzten Vorauszahlungen
andererseits führt (§ 233a Abs. 3 AO). Die Typisierung
hat zur Folge, dass es auf die tatsächlichen Umstände
nicht ankommt. Es bleibt unerheblich, ob der Steuerpflichtige als
Zinsgläubiger den Erstattungsbetrag bei früherer
Erlangung rentierlich angelegt hätte, ob er dies
gegebenenfalls zu einem höheren oder nur zu einem niedrigeren
Zins hätte tun können oder ob er etwa - wie von den
Klägern im Streitfall geltend gemacht - vor der späteren
Steuererstattung zur zwischenzeitlichen Begleichung eines letztlich
nicht bestehenden Steueranspruchs eine bestehende rentierliche
Geldanlage auflösen musste.
|
|
|
35
|
Die typisierende Norm des § 233a AO
trifft für die in ihrem Abs. 1 aufgeführten Zinsen eine
abschließende Regelung. Auch in Bezug auf geltend gemachte
Besonderheiten des Einzelfalles verbleibt insoweit keine
Regelungslücke. Der den Kapitaleinkünften zugewiesene
Zinsanspruch (§ 20 Abs. 1 Nr. 7 Satz 3 EStG i.d.F. des JStG
2010) trägt seinen Rechtsgrund allein in § 233a AO, was
einen Rückgriff auf andere Rechtsgründe weder erfordert
noch ermöglicht.
|
|
|
36
|
b) Der Senat folgt nicht der Auffassung der
Kläger, die Erstattungszinsen stellten eine Vergütung
für eine mehrjährige Tätigkeit i.S. von § 34
Abs. 2 Nr. 4 EStG dar.
|
|
|
37
|
aa) Der Wortsinn der Vorschrift schließt
dies aus. Die Zinszahlung „vergütet“ keine
„Tätigkeit“, sondern eine durch
Verwaltungsakt bestimmte zwangsweise Kapitalüberlassung (s.
auch Urteil des FG Düsseldorf vom 16.4.2009 11 K 1764/08 F,
EFG 2009, 1568 = SIS 09 30 66), infolge derer die Zinsen ohne
weiteres Zutun des betroffenen Steuerpflichtigen kraft Gesetzes als
Ausgleich für die Vorenthaltung der Erstattungsleistung
entstehen (vgl. BFH-Urteil vom 13.11.2007 VIII R 36/05, BFHE 220,
35, BStBl II 2008, 292 = SIS 08 10 28).
|
|
|
38
|
bb) Dass Zinsen nicht unter § 34 Abs. 2
Nr. 4 EStG fallen, folgt aus der Normsystematik.
|
|
|
39
|
(1) Als außerordentliche Einkünfte
kommen nach Abs. 2 der Vorschrift nur die dort enumerativ
aufgeführten in Betracht. Dazu gehören gemäß
§ 34 Abs. 2 Nr. 3 EStG Zinsen i.S. des § 24 Nr. 3 EStG,
soweit sie für einen Zeitraum von mehr als drei Jahren
nachgezahlt werden. Aus der ausdrücklichen Aufführung
dieser bestimmten Zinsen im Katalog des § 34 Abs. 2 EStG folgt
im Umkehrschluss, dass andere Zinsen generell nicht von dieser
Vorschrift erfasst werden sollen. Dies gilt auch deshalb, weil die
in § 34 Abs. 2 Nr. 3 EStG aufgeführten Zinsen nur unter
einer zeitlichen Voraussetzung privilegiert werden, die strikter
ist als die der mehrjährigen Tätigkeit.
|
|
|
40
|
(2) Die steuerliche Privilegierung der in
§ 34 EStG aufgeführten Einkünfte setzt
außerdem ihre Qualifizierung als
„außerordentlich“ voraus (§ 34 Abs. 1
Satz 1, Abs. 2 EStG sowie amtliche Überschrift). So hat der
BFH von jeher geurteilt, dass es sich bei den Vergütungen
für mehrjährige Tätigkeiten um einmalige und
für die jeweilige Einkunftsart ungewöhnliche
Einkünfte handeln müsse, die zudem das zusammengeballte
Ergebnis mehrerer Jahre darstellten (vgl. BFH-Urteile vom 17.2.1993
I R 119/91, BFH/NV 1993, 593; vom 21.11.1980 VI R 179/78, BFHE 132,
60, BStBl II 1981, 214 = SIS 81 10 37; Horn in
Herrmann/Heuer/Raupach, § 34 EStG Rz 60). Auch in einer
neueren Entscheidung hat er die Vergütungen für eine
mehrjährige Tätigkeit bei üblichem Anfall im Rahmen
einer freiberuflichen Praxis nicht unter § 34 Abs. 2 Nr. 4
EStG subsumiert (BFH-Urteil vom
30.1.2013 III R 84/11, BFHE 240, 156 = SIS 13 08 43). Die Finanzverwaltung knüpft die
Erstreckung des § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG auf andere
Einkunftsarten als die nach § 19 EStG an die
einschränkende Voraussetzung, dass eine Zusammenballung von
Einkünften eingetreten ist, die nicht dem
vertragsgemäßen oder dem typischen Ablauf entspricht (R
34.4 Abs. 1 der Einkommensteuerrichtlinien - EStR - ). Der Senat
hält diese Einschränkung nach dem Gesetzeszweck für
grundsätzlich zutreffend. Gegen eine Erstreckung des § 34
Abs. 2 Nr. 4 EStG auf die Erstattungszinsen spricht deshalb auch,
dass ihre Festsetzung für einen längeren,
periodenübergreifenden Zeitraum und der daran anknüpfende
Zufluss in einem Betrag keineswegs untypisch sind. Denn Fälle,
in denen die Karenzzeiten des § 233a AO überschritten
werden und damit der Zinslauf erst beginnt, sind häufig
zugleich solche, in denen der Zinslauf länger andauert, etwa
infolge von Rechtsbehelfsverfahren, länger währenden
Außenprüfungen oder spät erteilten
Grundlagenbescheiden.
|
|
|
41
|
cc) Allerdings sprechen sich Stimmen in der
Literatur für eine Anwendung des § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG
auch auf Kapitaleinkünfte aus (vgl. Mellinghoff in Kirchhof,
EStG, 12. Aufl., § 34 Rz 27; Schmidt/Wacker, EStG, 32. Aufl.,
§ 34 Rz 38 f.). Dieser Ansicht ist aus den voranstehenden
Gründen jedenfalls für Zinsen i.S. des § 233a AO
nicht zu folgen.
|