Zinsen bei Rentennachzahlungen, Steuerpflicht: 1. Von der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte im Zusammenhang mit Rentennachzahlungen gezahlte Zinsen gemäß § 44 Abs. 1 SGB I unterliegen der Steuerpflicht nach § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG. - 2. Dass mit der Zinszahlung Nachteile ausgeglichen werden sollen, die der Berechtigte durch die verspätete Zahlung der Sozialleistungen erleidet, steht dem nicht entgegen. - Urt.; BFH 13.11.2007, VIII R 36/05; SIS 08 10 28
I. Die Kläger und Revisionskläger
(Kläger) sind Eheleute, die zusammen zur Einkommensteuer
veranlagt werden. Aufgrund eines im Januar 1984 erlittenen
Verkehrsunfalls führte die Klägerin mit der
Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA)
langjährige Auseinandersetzungen wegen einer
Erwerbsunfähigkeitsrente und erhielt ab 1.11.1998 eine Rente
wegen Erwerbsunfähigkeit bis längstens zur Vollendung des
65. Lebensjahrs von monatlich brutto 1.574,27 DM (netto 1.451,48
DM). Außerdem wurde der Klägerin für den Zeitraum
1.1.1992 bis 31.10.1998 eine Nachzahlung in Höhe von insgesamt
128.687,89 DM zugesprochen. Ausweislich des Rentenbescheids ist in
diesem Betrag eine Zinsnachzahlung für den Zeitraum Februar
1992 bis August 1998 in Höhe von 14.376,59 DM enthalten. Diese
Zinsen berücksichtigte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das
Finanzamt - FA - ) bei der Veranlagung der Kläger für das
Streitjahr 1998 als Einkünfte aus Kapitalvermögen i.S.
des § 20 Abs. 1 Nr. 7 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Aus
nicht streitbefangenen Gründen wurde der
Einkommensteuerbescheid 1998 mehrfach geändert, zuletzt durch
Einkommensteuerbescheid vom 10.2.2003.
Mit der nach erfolglosem
Einspruchsverfahren erhobenen Klage machten die Kläger
geltend, bei den Zinsen handele es sich um einen pauschalierten
Nachteilsausgleich und nicht um ein Entgelt für eine
Kapitalüberlassung i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG. Bei
einer Sozialversicherungsrente könne von einer
Kapitalüberlassung nicht die Rede sein. Der Gesetzgeber habe
die Verzinsung aus rein sozialen Gründen angeordnet und die
Zinsen hätten keinen Entgeltcharakter, zumal die Zinszahlung
auch dem teilweisen Ausgleich von Inflationsverlusten diene, die
durch die verspätete Auszahlung entstanden seien. Es
würde Sinn und Zweck der Regelung in § 44 Abs. 1 des
Ersten Buches Sozialgesetzbuch (SGB I) widersprechen, die im
Rentenbescheid ausgewiesenen Zinsen wie normale Zinsen aus
Kapitalvermögen zu behandeln.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage mit
seinem in EFG 2005, 1610 = SIS 05 33 57 veröffentlichten
Urteil vom 9.5.2005 ab.
Mit der Revision machen die Kläger
geltend, die Auffassung des FG zur Anwendung des § 20 Abs. 1
Nr. 7 EStG auf Zinszahlungen nach § 44 Abs. 1 SGB I
berücksichtige nicht hinreichend, dass es sich bei derartigen
Zinszahlungen um einen speziellen und besonderen Fall des
Nachteilsausgleichs für den Rentenberechtigten ohne
Entgeltcharakter handele. Das mache bereits die
Gesetzesbegründung (BTDrucks 7/868, S. 30) deutlich. Wenn der
Gesetzgeber als tragende Begründung für die
Einführung der Verzinsungspflicht Gesichtspunkte nenne, die
mit einem Entgeltcharakter auch bei wirtschaftlicher
Betrachtungsweise nicht in Verbindung gebracht werden könnten,
widerspreche die Qualifizierung der gemäß § 44 Abs.
1 SGB I gezahlten Zinsen als Entgelt für
Kapitalüberlassung nach § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG Sinn und
Zweck des § 44 Abs. 1 SGB I. Die Kläger beantragen, die
Einkommensteuer 1998 unter Aufhebung des Urteils des FG
München vom 9.5.2005 1 K 3684/03 sowie unter Änderung des
Einkommensteuerbescheids 1998 vom 10.2.2003 i.d.F. der
Einspruchsentscheidung vom 28.7.2003 soweit herabzusetzen, wie sie
sich bei Einkünften der Klägerin aus Kapitalvermögen
mit 0 DM ergibt;
hilfsweise, die Höhe der
festzusetzenden Steuer im Hinblick auf die Regelung des § 34
Abs. 3 EStG zu überprüfen.
Das FA beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
II. Die Revision der Kläger ist
unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2
der Finanzgerichtsordnung - FGO - ).
Zu Recht ist das FG davon ausgegangen, dass
die der Klägerin im Streitjahr 1998 zugeflossenen Zinsen
steuerpflichtige Einnahmen aus Kapitalvermögen sind (§ 20
Abs. 1 Nr. 7 EStG).
1. Nach ständiger Rechtsprechung des
Bundesfinanzhofs (BFH) bezieht Einnahmen aus Kapitalvermögen,
wer Entgelt zur Nutzung überlässt; zu den Einkünften
aus Kapitalvermögen gehören alle Vermögensmehrungen,
die bei wirtschaftlicher Betrachtung Entgelt für eine
Kapitalnutzung sind. Unerheblich ist es, ob der Überlassung
von Kapital ein Darlehensvertrag oder ein anderer Rechtsgrund
zugrunde liegt. Auch die vom Schuldner erzwungene
Kapitalüberlassung kann zu Einnahmen aus Kapitalvermögen
führen (vgl. BFH-Urteile vom 8.4.1986 VIII R 260/82, BFHE 146,
408, BStBl II 1986, 557 = SIS 86 18 13; vom 31.10.1989 VIII R
210/83, BFHE 160, 11, 15, BStBl II 1990, 532, 533 = SIS 90 12 34,
m.w.N.; vom 8.11.2005 VIII R 105/03, BFH/NV 2006, 527 = SIS 06 11 68).
Mit den gegen die steuerrechtliche Erfassung
von Erstattungs-, Prozess- und Verzugszinsen vorgebrachten
Einwänden hat sich der BFH mehrfach auseinandergesetzt (vgl.
BFH-Urteile in BFH/NV 2006, 527 = SIS 06 11 68; vom 25.10.1994 VIII
R 79/91, BFHE 175, 439, BStBl II 1995, 121 = SIS 95 01 01; vom
9.5.1989 VIII R 184/82, BFH/NV 1990, 283 = SIS 90 02 41, m.w.N.;
BFH-Beschluss vom 14.4.1992 VIII B 114/91, BFH/NV 1993, 165 = SIS 92 20 39). Schrifttum und Finanzverwaltung stimmen dieser
Rechtsprechung ganz überwiegend zu (vgl. die Nachweise in den
BFH-Urteilen in BFH/NV 2006, 527 = SIS 06 11 68, und in BFHE 175,
439, BStBl II 1995, 121 = SIS 95 01 01).
2. An dieser Rechtsprechung hält der
Senat fest. Denn bei wirtschaftlicher Betrachtung kann auch die vom
Schuldner erzwungene Kapitalüberlassung oder die Vorenthaltung
von Kapital zu Einnahmen aus Kapitalvermögen führen (vgl.
BFH-Urteil in BFHE 175, 439, BStBl II 1995, 121 = SIS 95 01 01).
Dabei kommt es - wie das FG zutreffend feststellt - nicht darauf
an, ob die Auszahlung des Kapitals selbst steuerpflichtig ist. Denn
die fehlende Steuerbarkeit der Hauptleistung erstreckt sich nicht
zugleich auf die Zinsen (vgl. BFH-Urteile vom 12.9.1985 VIII R
306/81, BFHE 145, 320, 326, BStBl II 1986, 252, 255 = SIS 86 04 03;
vom 20.5.1980 VIII R 64/78, BFHE 131, 297, 298, BStBl II 1981, 6, 7
= SIS 81 05 09, und vom 22.4.1980 VIII R 120/76, BFHE 130, 451,
BStBl II 1980, 570 = SIS 80 02 92). Demgemäß hat der BFH
z.B. für Zinsen, die im Zusammenhang mit steuerfreien
Entschädigungen zur Wiedergutmachung nationalsozialistischen
Unrechts gezahlt werden, steuerpflichtige Kapitaleinnahmen bejaht
(BFH-Urteil in BFHE 131, 297, BStBl II 1981, 6 = SIS 81 05 09) und
gleichermaßen Verzugs- und Prozesszinsen, die im Zusammenhang
mit einer nach einem ärztlichen Kunstfehler gewährten
Mehrbedarfsrente gemäß § 843 Abs. 1 2. Alternative
des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) geleistet werden, als
Einkünfte aus Kapitalvermögen gemäß § 20
Abs. 1 Nr. 7 EStG beurteilt (BFH-Urteil in BFHE 175, 439, BStBl II
1995, 121 = SIS 95 01 01). Gleiches gilt für Zinsen, die wegen
verspäteter Entschädigungszahlungen für eine
faktische Bausperre gezahlt werden oder für Zinsen im
Zusammenhang mit Enteignungsentschädigungen (vgl.
Senatsurteile in BFHE 145, 320, BStBl II 1986, 252 = SIS 86 04 03;
in BFHE 130, 451, BStBl II 1980, 570 = SIS 80 02 92).
3. Unter Anwendung dieser Grundsätze auf
den Streitfall hat das FG zutreffend die Steuerpflicht der Zinsen
nach § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG angenommen. Nach § 44 Abs. 1
SGB I sind sozialversicherungsrechtliche Ansprüche auf
Geldleistungen nach Ablauf eines Kalendermonats nach Eintritt ihrer
Fälligkeit bis zum Ablauf des Kalendermonats vor der Zahlung
mit 4 % zu verzinsen. Nach der Vorstellung des Gesetzgebers (vgl.
BTDrucks 7/868, S. 30) sollen mit der Zinszahlung Nachteile
ausgeglichen werden, die der Berechtigte, für den die sozialen
Geldleistungen regelmäßig die Lebensgrundlage bilden,
durch die verspätete Zahlung der Sozialleistungen erleidet.
Die Zinsen werden insoweit für das unberechtigte Vorenthalten
der Rentenbezüge und zum Ausgleich der mit der
verspäteten Zahlung verbundenen Nachteile geleistet.
Wirtschaftlich betrachtet sind die Zinsen damit auch Entgelt
für die verspätete Zahlung, d.h. die Vorenthaltung von
Kapital, und unterliegen deshalb der Besteuerung nach § 20
Abs. 1 Nr. 7 EStG. Denn wenn die Klägerin unstreitig für
die Zeit ab Januar 1992 einen begründeten Rentenanspruch
hatte, den die BfA - wie sich aus dem Rentenbescheid ergibt - nicht
umgehend erfüllt hat, so überlässt die Klägerin
ihrem Schuldner (der BfA) wirtschaftlich gesehen Kapital, das ihr
zusteht.
Wenn die Kläger dagegen einwenden, ein
solches Ergebnis sei mit Sinn und Zweck des § 44 Abs. 1 SGB I
nicht vereinbar, so vermag der Senat dem nicht zu folgen. Zwar ist
den Klägern einzuräumen, dass die Zinsen einen
pauschalierten Nachteilsausgleich aus sozialen Gründen
(für Kreditaufnahme, Auflösung von Ersparnissen oder
Einschränkung der Lebensführung) darstellen. Dieser
sozialrechtliche Zweck der Zinsen ändert aber nichts an ihrer
steuerrechtlich maßgebenden Funktion als Entgelt für die
unfreiwillige Vorenthaltung der der Klägerin zustehenden
Rentenbezüge. Eine abweichende Beurteilung würde
voraussetzen, dass der Gesetzgeber von der ihm zustehenden Befugnis
Gebrauch gemacht hätte, die Erfassung derartiger Zinsen bei
den Einkünften aus Kapitalvermögen von vornherein
auszuschließen, z.B. durch Aufnahme in den Katalog der
steuerfreien Einnahmen nach § 3 EStG. Das ist jedoch nicht der
Fall. Die für vergleichbare Fälle entwickelten
Grundsätze der Erfassung von Zinsen als Kapitaleinnahmen (vgl.
u.a. Senatsurteile vom 29.9.1981 VIII R 39/79, BFHE 134, 281, BStBl
II 1982, 113 = SIS 82 09 02, und in BFHE 130, 451, BStBl II 1980,
570 = SIS 80 02 92 zu Verzugszinsen bzw. Zinsen für eine
Enteignungsentschädigung als Einnahmen aus
Kapitalvermögen) finden deshalb auch hier Anwendung. Im
Ergebnis ist die Auffassung des FG, die Zinsen seien Entgelt
für die zwangsweise Vorenthaltung von Kapital, daher
rechtsfehlerfrei.
4. Die vom FG festgesetzte Steuer ist der
Höhe nach zutreffend. Der Senat hat die Berechnung der Steuer
überprüft; diese ist auch mit Blick auf die Regelung des
§ 34 Abs. 3 EStG korrekt berechnet worden.
5. Ob dem Anliegen der Kläger durch eine
Billigkeitsmaßnahme ganz oder teilweise entsprochen werden
kann, ist nicht Gegenstand des Streitverfahrens. Angesichts der
erheblichen Nachteile, die die Klägerin aufgrund des
Verkehrsunfalls erlitten hat und da die Klägerin
möglicherweise aufgrund der Besteuerung im Ergebnis
wirtschaftlich schlechter gestellt ist als bei rechtzeitiger
Zahlung der ihr zustehenden Rente, liegen
Billigkeitserwägungen jedoch erkennbar nahe.