1
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I. Der Kläger begehrt gemäß
§ 198 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) Entschädigung
wegen der von ihm als unangemessen angesehenen Dauer eines vom
20.2.2004 (Klageeingang) bis zum 8.11.2012 (Kostenbeschluss nach
Erledigung der Hauptsache) vor dem Finanzgericht (FG)
Baden-Württemberg anhängigen Klageverfahrens.
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2
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Dem Ausgangsverfahren liegt der folgende
Sachverhalt zugrunde: Während der Kläger seinen
Lebensmittelpunkt durchgängig in Deutschland hatte, verzog
seine Ehefrau (E) mit den drei gemeinsamen Kindern im Jahr 2000
nach Nordirland. Dort besuchten die Kinder seitdem die Schule. Der
Kläger trug während des Verfahrens vor, er sei an jedem
Wochenende nach Nordirland geflogen, um seine Familie zu besuchen.
Die Ferien hätten E und die Kinder bei ihm in Deutschland
verbracht. Einkommensteuerrechtlich wurden der Kläger und E in
Deutschland zusammen veranlagt, weil E auf ihren Antrag
gemäß § 1 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG)
als unbeschränkt steuerpflichtig behandelt wurde.
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3
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Bis einschließlich Januar 2001 hatte
E das Kindergeld bezogen. Im Jahr 2001 beantragte der Kläger
bei der Familienkasse (der Beklagten des Ausgangsverfahrens)
Kindergeld für seine drei in Nordirland lebenden Kinder. Die
Familienkasse lehnte dies mit Bescheid vom 9.8.2002 zunächst
mit der Begründung ab, die Kinder hätten weder einen
Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland.
Während des anschließenden Einspruchsverfahrens
erließ die Familienkasse am 27.9.2002 Teilabhilfebescheide.
Darin setzte sie zugunsten des Klägers dem Grunde nach
Kindergeld fest, kürzte dessen Höhe jedoch um die
kindergeldähnlichen Leistungen (child benefit), die E nach
Auffassung der Familienkasse im Vereinigten Königreich
zustanden. Im fortgeführten Einspruchsverfahren behauptete der
Kläger, E erhalte in Nordirland kein Kindergeld. Auf die Bitte
der Familienkasse, dies nachzuweisen, legte er eine Bescheinigung
der für die Zahlung des child benefit in Nordirland
zuständigen Behörde (Child Benefit Office - CBO - ) vor,
aus der sich ergab, dass E bisher keinen Antrag auf diese Leistung
gestellt habe. Die Familienkasse wies den Einspruch am 29.1.2004
mit der Begründung zurück, E habe nach dem Recht des
Vereinigten Königreichs einen Anspruch auf child benefit. Es
komme nicht darauf an, dass die entsprechenden Leistungen mangels
Antragstellung nicht ausgezahlt würden.
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4
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Hiergegen erhob der Kläger am
20.2.2004 Klage. Diese stützte er auf seine - bereits
während des Verwaltungs- und Einspruchsverfahrens vertretene -
Auffassung, der Anspruch auf ungekürztes deutsches Kindergeld
folge bereits daraus, dass sowohl er als auch E und die drei Kinder
in Deutschland unbeschränkt einkommensteuerpflichtig seien.
Der - für das Verfahren zugleich als Berichterstatter
zuständige - damalige Vorsitzende des FG-Senats erteilte dem
Kläger am 7.6.2004 einen rechtlichen Hinweis, wonach es
für die Frage, ob ausländische Familienleistungen
anzurechnen seien, nicht auf eine etwaige unbeschränkte
Steuerpflicht in Deutschland ankomme. Er bat den Kläger darum,
sich mit der als schlüssig anzusehenden Auffassung der
Familienkasse auseinanderzusetzen. Ferner bat er um Darstellung,
weshalb E in Nordirland keinen Anspruch auf child benefit habe,
sowie um Vorlage eines entsprechenden Ablehnungsbescheids der
dortigen Behörde.
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5
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Der Kläger erklärte daraufhin, E
habe in Nordirland einen entsprechenden Antrag gestellt; eine
„formale Ablehnung“ liege jedoch nicht vor. Er bat um
eine angemessene Frist zur Beschaffung einer entsprechenden
Bescheinigung aus Nordirland. Der Senatsvorsitzende erteilte dem
Kläger am 2.2.2005 einen weiteren rechtlichen Hinweis und
fragte am 24.3.2005 bei der Familienkasse an, ob auf der Grundlage
von deren zwischenzeitlich präzisierter Rechtsauffassung eine
Teilabhilfe möglich sei.
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6
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Damit endeten die gerichtlichen
Aktivitäten zunächst. Der bisherige Senatsvorsitzende
trat in den Ruhestand ein; bis Anfang 2008 wechselte der für
das Verfahren zuständige Berichterstatter insgesamt vier Mal.
Auch in diesem Zeitraum reichten der Kläger und die
Familienkasse allerdings zahlreiche Schriftsätze beim FG ein;
dieses beschränkte sich auf die Weiterleitung der
Schriftsätze an den jeweils anderen Beteiligten. Am 3.4.2006
teilte die Familienkasse mit, sie habe die Verbindungsstelle in
Nordirland um rechtliche Beurteilung gebeten und werde das FG
unterrichten, sobald die Antwort vorliege. Am 12.10.2006
übersandte die Familienkasse dem FG eine Zwischennachricht des
CBO vom 19.9.2006. Danach habe dort kein Vorgang gefunden werden
können. Das CBO habe gegenüber E angeregt, einen Antrag
auf child benefit zu stellen und werde sich nach Eingang einer
Antwort melden.
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7
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Das FG wurde wieder tätig, indem es am
13.11.2007, 10.1.2008 und 20.2.2008 drei Sachstandsanfragen an die
Familienkasse richtete. Die Familienkasse erklärte, bisher
liege keine Antwort des CBO vor. Nachdem weitere 14 Monate
verstrichen waren, beraumte das FG am 17.4.2009 einen
Erörterungstermin für den 15.5.2009 an. In diesem Termin
überreichte die Berichterstatterin Ausdrucke der
Internetseiten des CBO zu den Voraussetzungen des child benefit.
Die Familienkasse erklärte, sie werde das volle Kindergeld
zahlen, wenn feststehe, dass im Wohnsitzland der Kinder kein
Anspruch auf child benefit bestehe. Der Kläger erklärte,
E werde innerhalb eines Monats in Nordirland auf amtlichem Vordruck
einen Antrag auf child benefit stellen und die Antragstellung
gegenüber dem FG nachweisen. Die Berichterstatterin setzte ihm
hierfür eine Frist gemäß § 79b der
Finanzgerichtsordnung (FGO). Die Beteiligten erklärten sich
damit einverstanden, dass das Verfahren ab dem Eingang des
Nachweises über die Antragstellung bis zur Entscheidung
über diesen Antrag ruhen solle.
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8
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Nachdem der Kläger die Antragstellung
nachgewiesen hatte, beschloss die Berichterstatterin am 15.6.2009
das Ruhen des Verfahrens bis zur Entscheidung über den Antrag
der E und sandte die Kindergeldakte am 26.6.2009 an die
Familienkasse zurück. In der Folgezeit erkundigte sich das FG
mehrfach beim Kläger nach dem Sachstand. Nachdem dieser keine
Reaktion des CBO mitteilen konnte, regte das FG am 6.4.2010 an,
dass die Familienkasse über ihre Verbindungsstelle anfrage,
wie der Antrag der E beschieden worden sei. Die Familienkasse
stellte am 10.5.2010 eine entsprechende Anfrage.
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Das CBO antwortete am 31.8.2010, sie habe
den Antrag der E am 30.3.2010 abgelehnt, weil kein Anspruch auf
child benefit bestehe. Dieses Antwortschreiben ging am 15.9.2010
bei der Familienkasse ein, wurde dort aber unbearbeitet zur
Kindergeldakte genommen. Gleiches geschah mit einer zweiten
Ausfertigung des Antwortschreibens, die am 14.10.2011 bei der
Familienkasse einging.
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Das FG, aus dessen Sicht die Antwort des
CBO noch ausstand, richtete am 16.2.2011 das folgende Schreiben an
die Familienkasse: „Wie soll verfahren werden? Erledigung
innerhalb von 1 Monat“. Am 11.5.2011 beschloss das FG die
Aufnahme des Verfahrens und fasste einen Beweisbeschluss, wonach
das Auswärtige Amt erklären solle, wie das CBO über
den Antrag der E auf Gewährung von child benefit entschieden
habe. Nachdem das Auswärtige Amt sich umgehend für
unzuständig erklärt hatte, schrieb das FG am 25.5.2011 an
die Beteiligten: „Ich bitte um Vorschläge, wie weiter
verfahren werden soll.“
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Der Kläger erklärte, er begehre
eine Entscheidung nach Aktenlage; die Familienkasse teilte mit, der
Fall werde der Zentrale der Bundesagentur für Arbeit in
Nürnberg berichtet, was allerdings letztlich ergebnislos
blieb. Am 8.8.2011 rügte der Kläger die überlange
Verfahrensdauer im Hinblick auf den seinerzeit von den
gesetzgebenden Körperschaften beratenen Entwurf des Gesetzes
über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren
und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren (ÜberlVfRSchG). Am
10.8.2011 bat das FG den Kläger, eine Bescheinigung des CBO
vorzulegen, wonach keine Familienleistungen bezogen würden.
Der Kläger reichte eine solche Bescheinigung am 6.12.2011 beim
FG ein, das sie kommentarlos und ohne Fristsetzung der
Familienkasse zur Stellungnahme übersandte. Am 16.1.2012
richtete das FG eine Sachstandsanfrage an die Familienkasse. Am
16.2.2012 ging beim FG ein Schriftsatz des Klägers vom
15.2.2012 ein, in dem es u.a. hieß: „Da sich das
Verfahren mittlerweile seit Klageerhebung mit Klageschrift vom
16.02.2004 hinzieht, erscheint eine klare Richtungsvorgabe
gegenüber dem Beklagten gerechtfertigt. Gelingt dies nicht,
muss die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für
Menschenrechte vom 02.09.2010 46344/06, Rumpf, NJW 2010, 3355 und
die mittlerweile geschaffene Rechtsgrundlage Anwendung
finden.“
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Die Familienkasse erklärte mit
Schreiben vom 19.3.2012 „abschließend“, rechtlich
bestehe im Vereinigten Königreich allein aufgrund des dortigen
Wohnsitzes der E und der drei Kinder ein Anspruch auf child
benefit. Die fehlende Rückmeldung des CBO sei kein Indiz
für das Fehlen eines solchen Anspruchs. „Etwaig“
müsse das FG über das Bestehen eines Anspruchs in
Nordirland entscheiden.
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Mit einem am 23.3.2012 beim FG
eingegangenen Schreiben vom 21.3.2012 erhob der Kläger
„in Ergänzung zum Schreiben vom 15.02.2012“
ausdrücklich Verzögerungsrüge und kündigte die
Einleitung eines Entschädigungsklageverfahrens beim
Bundesfinanzhof (BFH) an. Daraufhin forderte das FG bei der
Familienkasse die Kindergeldakte wieder an, die am 26.4.2012 beim
FG einging. In der Folgezeit bat das FG angesichts des Umstands,
dass die bisherigen europarechtlichen Regelungen über die
Zuständigkeit für die Gewährung von
Familienleistungen in grenzüberschreitenden Fällen mit
Wirkung zum 1.5.2010 geändert worden waren, die Beteiligten um
Stellungnahme zum Kindergeldanspruch ab Mai 2010. Im Verlauf des
sich hierzu entwickelnden Schriftwechsels regte das FG an, den
Rechtsstreit, soweit er die Zeit ab Mai 2010 betreffe, zum Ruhen zu
bringen, abzutrennen oder außerhalb des Klageverfahrens im
Verwaltungsverfahren zu bearbeiten. Der Kläger erklärte
daraufhin am 30.7.2012 die Rücknahme der Klage für die
Zeiträume ab Mai 2010. Ferner holte das FG das
Einverständnis der Beteiligten mit einer Entscheidung durch
die Berichterstatterin und ohne mündliche Verhandlung
ein.
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14
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Am 15.8.2012 bemerkte die
Berichterstatterin, dass in der - ihr seit dem 26.4.2012 wieder
vorliegenden - Kindergeldakte das Antwortschreiben des CBO vom
31.8.2010 abgeheftet war. Sie bat die Familienkasse um
vollständige Vorlage des Vorgangs sowie um Mitteilung, weshalb
dieses Schreiben dem Gericht nicht unverzüglich
übermittelt worden sei. Daraufhin erklärte die
Familienkasse, dem Begehren des Klägers für
Anspruchszeiträume bis zum Zugang der Einspruchsentscheidung
(März 2001 bis Februar 2004) innerhalb des Klageverfahrens und
für die späteren Anspruchszeiträume (März 2004
bis April 2010) außerhalb des Klageverfahrens abhelfen zu
wollen. Nach Ergehen entsprechender Abhilfebescheide vom 16.10.2012
erklärten die Familienkasse und der Kläger den
Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt. Mit
Kostenbeschluss vom 8.11.2012, der am 12.11.2012 mit einfachem
Brief versandt wurde, legte das FG der Familienkasse die Kosten des
Verfahrens auf.
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15
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Der Kläger hat am 21.11.2012 die
vorliegende Entschädigungsklage erhoben. Ausgehend von einer
als üblich anzusehenden Verfahrensdauer von drei Jahren
begehrt er für einen Zeitraum von 68 Monaten eine
Entschädigung für Nichtvermögensnachteile in
Höhe von 7.200 EUR. Ferner begehrt er Ersatz für
Überziehungszinsen, die seinem privaten Girokonto während
des Klageverfahrens belastet worden sind und die er in Höhe
von 14.985,16 EUR auf die verzögerte Auszahlung des
Kindergelds zurückführt.
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16
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Er ist der Auffassung, eine detaillierte
Untersuchung der einzelnen Verfahrensabschnitte erübrige sich,
weil vorliegend sogar die vom Europäischen Gerichtshof
für Menschenrechte (EGMR) mit acht Jahren angesetzte absolute
Höchstdauer für ein instanzgerichtliches Verfahren
überschritten sei. Im Rahmen der Prüfung der
Angemessenheit der Verfahrensdauer sei der staatlichen Seite auch
das Verhalten der beteiligten Behörden zuzurechnen. Dies gelte
nicht nur für die deutsche Familienkasse, sondern auch
für die ausländischen Behörden, da die gegenteilige
Handhabung dem „Gedanken der Europäischen Einheit“
widersprechen würde.
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17
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Der Kläger beantragt, den Beklagten zu
verurteilen, dem Kläger wegen der überlangen Dauer des
Verfahrens vor dem FG Baden-Württemberg 13 K 50/04
(später 13 K 1691/11 und 6 K 1691/11) eine Entschädigung
in Höhe von 22.185,16 EUR zu zahlen.
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Der Beklagte beantragt, die Klage
abzuweisen.
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19
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Er hält die Klage bereits für
unzulässig, weil die - zwingend erforderliche -
Verzögerungsrüge nicht i.S. des Art. 23 Satz 2
ÜberlVfRSchG „unverzüglich“ nach
Inkrafttreten dieses Gesetzes (3.12.2011) erhoben worden sei.
Hierfür sei als Obergrenze in der Regel ein Zeitraum von zwei
Wochen anzusehen. Die erst am 23.3.2012 beim FG eingegangene
Verzögerungsrüge sei daher erheblich verspätet
gewesen.
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20
|
Jedenfalls sei die Klage unbegründet,
weil die Verfahrensdauer nicht unangemessen gewesen sei. Der Fall
sei sowohl rechtlich als auch tatsächlich äußerst
komplex gewesen. Das CBO und die nordirische Verbindungsstelle der
Familienkasse hätten Anfragen nur sehr zögerlich
beantwortet. Zudem müsse die richterliche Unabhängigkeit
beachtet werden. Danach seien Umstände, die typischerweise
Ausprägungen richterlichen Handelns und Entscheidens seien,
keiner abweichenden Würdigung durch das
Entschädigungsgericht zugänglich. Die beim FG seit 2008
zuständige Berichterstatterin sei sehr bemüht gewesen,
zur Vermeidung des Eintritts der Festsetzungsverjährung in die
Entscheidung auch die nach Erlass der Einspruchsentscheidung
liegenden Anspruchszeiträume einzubeziehen, obwohl dies nach
der BFH-Rechtsprechung nicht erforderlich gewesen wäre. Soweit
damit eine Verfahrensverzögerung verbunden gewesen sei,
wäre es unbillig, diesen Umstand im
Entschädigungs-Rechtsstreit zum Vorteil des Klägers zu
würdigen. Dem Kläger sei anzulasten, dass er
zunächst unzutreffend behauptet habe, in Nordirland sei ein
Antrag auf child benefit gestellt worden. Dieser Vortrag habe sich
erst im Erörterungstermin - nach mehr als
fünfjähriger Verfahrensdauer - als unzutreffend
herausgestellt, so dass der Antrag habe nachgeholt werden
müssen. Das FG habe zudem nicht zu vertreten, dass die
Familienkasse die Rückantwort des CBO vom 31.8.2010 nicht
unverzüglich an das Gericht übermittelt habe. Zudem habe
das FG häufig auf Bescheinigungen warten müssen, die der
Kläger habe einreichen müssen.
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21
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II. Der Senat entscheidet gemäß
§ 99 Abs. 1 FGO durch Zwischenurteil vorab über den Grund
des Entschädigungsanspruchs. Insoweit ist der Rechtsstreit zur
Entscheidung reif, während die Entscheidung über die
Höhe der geltend gemachten Entschädigung für
materielle Nachteile (Überziehungszinsen) wegen der
Notwendigkeit weiterer Sachverhaltsermittlungen noch nicht ergehen
kann und dem Endurteil vorbehalten bleibt.
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22
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Der Kläger hat die erforderliche
Verzögerungsrüge noch
„unverzüglich“ nach dem Inkrafttreten des
ÜberlVfRSchG erhoben (dazu unter 1.). Die Dauer des
Ausgangsverfahrens war unangemessen; allerdings betrifft die
Verzögerung einen Zeitraum von 43 Monaten statt der vom
Kläger genannten 68 Monate (unter 2.).
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23
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1. Der Kläger hat im Ausgangsverfahren
eine Verzögerungsrüge so rechtzeitig angebracht, dass
auch Entschädigungsansprüche für die Zeit vor dem
Inkrafttreten des ÜberlVfRSchG gewahrt sind. Die Frage der
Erhebung bzw. Rechtzeitigkeit einer Verzögerungsrüge
betrifft entgegen der Auffassung des Beklagten nicht die
Zulässigkeit, sondern allein die Begründetheit der
Entschädigungsklage (unter a). Zwar kann der vom Kläger
bereits vor Inkrafttreten des ÜberlVfRSchG angebrachte Hinweis
auf die Verfahrensdauer nicht als Verzögerungsrüge i.S.
des § 198 Abs. 3 GVG angesehen werden (unter b). Jedoch ist
das Schreiben des Klägers vom 15.2.2012 als
Verzögerungsrüge auszulegen (unter c). Diese Rüge
ist noch als „unverzüglich“ nach
Inkrafttreten des ÜberlVfRSchG erhoben anzusehen (unter
d).
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24
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a) Anders als der Beklagte meint, hätte
das Fehlen einer Verzögerungsrüge oder die nicht
unverzügliche Erhebung einer solchen Rüge nicht die
Unzulässigkeit der Entschädigungsklage zur Folge.
Vielmehr ist die Verzögerungsrüge lediglich materielle
Voraussetzung eines Anspruchs auf Geldentschädigung (ebenso
Beschluss des Bundessozialgerichts - BSG - vom 27.6.2013 B 10
ÜG 9/13 B, nicht veröffentlicht - n.v. -, unter II.2.b).
Dies folgt bereits aus der Regelung des § 198 Abs. 4 Satz 3
GVG, wonach die Feststellung einer überlangen Verfahrensdauer
- die im Verfahren über eine Entschädigungsklage keinen
gesonderten Antrag voraussetzt - auch dann ausgesprochen werden
kann, wenn die in § 198 Abs. 3 GVG genannten Voraussetzungen
nicht erfüllt sind.
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25
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b) Das Schreiben des Klägers vom 8.8.2011
kann nicht als Verzögerungsrüge i.S. des § 198 Abs.
3 GVG angesehen werden. Zwar hat der Kläger schon in diesem
Schreiben eine überlange Verfahrensdauer ausdrücklich
unter Hinweis auf den seinerzeit von den gesetzgebenden
Körperschaften beratenen Entwurf des ÜberlVfRSchG
gerügt. Zu diesem Zeitpunkt war das ÜberlVfRSchG - und
damit die Vorschrift des § 198 Abs. 3 GVG - aber noch nicht in
Kraft getreten. Das genannte Gesetz ist am Tage nach seiner
Verkündung - d.h. am 3.12.2011 - in Kraft getreten. Zwar gilt
es auch für Verfahren, die bei seinem Inkrafttreten bereits
anhängig waren (Art. 23 Satz 1 ÜberlVfRSchG). Für
diese Verfahren enthält Art. 23 Satz 2 ÜberlVfRSchG aber
die zusätzliche Maßgabe, dass die
Verzögerungsrüge „unverzüglich nach
Inkrafttreten“ erhoben werden muss. Eine bereits vor dem
Inkrafttreten des Gesetzes erhobene Verzögerungsrüge
erfüllt diese Voraussetzung nicht.
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26
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c) Allerdings ist nicht erst das Schreiben des
Klägers vom 21.3.2012 - in dem er erstmals ausdrücklich
den Begriff „Verzögerungsrüge“
verwendet hat -, sondern bereits das Schreiben vom 15.2.2012, das
am 16.2.2012 beim FG eingegangen ist, als
Verzögerungsrüge i.S. des § 198 Abs. 3 GVG
anzusehen.
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27
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aa) Die genannte Vorschrift stellt keine
besonderen Anforderungen an die Form oder den Mindestinhalt einer
Verzögerungsrüge. In den Gesetzesmaterialien findet sich
die - mit dem Gesetzeswortlaut in Einklang stehende - Auffassung,
eine Verzögerungsrüge könne auch mündlich
erhoben werden (BTDrucks 17/3802, 22); auch brauche sie nicht
begründet werden, insbesondere genüge ein schlichter
Hinweis auf die bisherige Verfahrensdauer (BTDrucks 17/7217, 27).
Aus dem Wortlaut und der Entstehungsgeschichte des Gesetzes folgt
daher, dass auch eine nicht ausdrücklich als
„Verzögerungsrüge“ bezeichnete
Äußerung eines Verfahrensbeteiligten im Wege der
Auslegung als Verzögerungsrüge i.S. des § 198 Abs. 3
GVG angesehen werden kann.
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28
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Bei der Verzögerungsrüge handelt es
sich auch nicht um eine Prozesshandlung im engeren Sinne, weil sie
auf das im Ausgangsverfahren bestehende
Prozessrechtsverhältnis nicht unmittelbar rechtsgestaltend
einwirkt. Die an Prozesshandlungen zu stellenden Anforderungen im
Hinblick auf die Klarheit, Eindeutigkeit und
Bedingungsfeindlichkeit derartiger Äußerungen gelten
für Verzögerungsrügen daher nicht.
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29
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bb) Die erforderliche Auslegung des Schreibens
des Klägers vom 15.2.2012 führt zu dem Ergebnis, dass es
sich dabei um eine Verzögerungsrüge gehandelt hat. Der
Kläger hat darin erklärt, „ohne eine klare
Richtungsvorgabe“ des FG gegenüber der Familienkasse
müsse die Entscheidung des EGMR vom 2.9.2010 46344/06 -
Rumpf/Deutschland - (NJW 2010, 3355) „und die mittlerweile
geschaffene Rechtsgrundlage“ Anwendung finden. Mit dem
vom Kläger genannten Urteil des EGMR ist die Bundesrepublik
Deutschland verpflichtet worden, innerhalb eines Jahres nach
Endgültigkeit jener Entscheidung einen Rechtsbehelf gegen
überlange Gerichtsverfahren einzuführen. Die vom
Kläger bezeichnete „mittlerweile geschaffene
Rechtsgrundlage“ ist das ÜberlVfRSchG.
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30
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Ein Hinweis eines Verfahrensbeteiligten in
einem seinerzeit bereits seit über acht Jahren anhängigen
Gerichtsverfahren auf die Rechtsprechung des EGMR zu
überlangen Verfahren und die für derartige Fälle neu
geschaffene nationale Rechtsgrundlage kann aber - was bisher weder
vom FG noch vom Beklagten erwogen worden ist - nicht anders
verstanden werden, als dass der Verfahrensbeteiligte damit eine aus
seiner Sicht überlange Verfahrensdauer rügen möchte.
Dies gilt im Streitfall erst recht angesichts des Umstands, dass
der Kläger bereits vor dem Inkrafttreten des ÜberlVfRSchG
die Verfahrensdauer unter ausdrücklicher Bezugnahme auf den
seinerzeitigen Entwurf des ÜberlVfRSchG gerügt hatte.
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d) Die Verzögerungsrüge vom
16.2.2012 ist unverzüglich nach Inkrafttreten des
ÜberlVfRSchG erhoben worden und hat damit
Entschädigungsansprüche auch für die Zeit vor dem
Inkrafttreten des ÜberlVfRSchG gewahrt.
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32
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aa) Gemäß Art. 23 Satz 1
ÜberlVfRSchG gilt dieses Gesetz auch für Verfahren, die
bei seinem Inkrafttreten (3.12.2011) bereits anhängig waren.
War ein solches anhängiges Verfahren beim Inkrafttreten des
Gesetzes bereits verzögert, gilt die in § 198 Abs. 3 GVG
vorgesehene Obliegenheit zur Erhebung einer
Verzögerungsrüge mit der Maßgabe, dass diese
„unverzüglich nach Inkrafttreten erhoben werden
muss“ (Art. 23 Satz 2 ÜberlVfRSchG). In diesem Fall
wahrt die Verzögerungsrüge einen Anspruch nach § 198
GVG auch für den vorausgehenden Zeitraum (Art. 23 Satz 3
ÜberlVfRSchG).
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33
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bb) Der Begriff
„unverzüglich“ bedeutet ein Handeln
„ohne schuldhaftes Zögern“ (§ 121 Abs.
1 Satz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs - BGB - ). Diese
Legaldefinition gilt nach allgemeiner Auffassung auch über die
Fälle des § 121 BGB hinaus, mithin gleichermaßen im
öffentlichen Recht. Der Senat vermag dem Beklagten allerdings
nicht darin zu folgen, dass auch die von der zivilgerichtlichen
Rechtsprechung zu § 121 BGB in typisierender Betrachtungsweise
vertretene Bejahung eines „schuldhaften
Zögerns“ bei Überschreitung einer
Zwei-Wochen-Frist unbesehen auf alle anderen Rechtsbereiche zu
übertragen ist, in denen der Gesetzgeber den Begriff
„unverzüglich“ verwendet.
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34
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Die angeführte Zwei-Wochen-Frist geht auf
das Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 14.12.1979 7 AZR
38/78 (BAGE 32, 237, unter IV.2.) zurück. Darin wurde die
für außerordentliche fristlose Kündigungen geltende
zweiwöchige gesetzliche Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2
Satz 1 BGB auch zur Auslegung des Begriffs der
„Unverzüglichkeit” in Fällen der
Irrtumsanfechtung herangezogen.
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35
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Diese Übertragung der in § 626
BGB genannten Frist ist aber nicht in allen Fällen, in denen
der Gesetzgeber den Begriff „unverzüglich”
verwendet, sachgerecht. Vielmehr ist eine normspezifische Auslegung
dieses Tatbestandsmerkmals - bzw. der gesetzlichen Erläuterung
„ohne schuldhaftes Zögern“ - in
Abhängigkeit vom betroffenen Sachbereich, des in diesem
Sachbereich typischerweise anzutreffenden Grades der Dringlichkeit,
der Interessenlage der Parteien bzw. Beteiligten und dem jeweiligen
Zweck des Unverzüglichkeitserfordernisses geboten und wird von
der Rechtsprechung und Rechtspraxis auch entsprechend
vorgenommen.
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36
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(1) So findet sich der Begriff
„unverzüglich“ auch im Zusammenhang mit der
Rügepflicht beim Handelskauf (§ 377 Abs. 1 des
Handelsgesetzbuchs - HGB - ). Hier liegt auf der Hand, dass die
schematische Anwendung einer Zwei-Wochen-Frist nicht sachgerecht
wäre, insbesondere wenn es sich um verderbliche Waren handelt.
§ 377 Abs. 1 HGB ist im Interesse der im Handelsverkehr
unerlässlichen schnellen Abwicklung der Handelsgeschäfte
streng auszulegen (Urteil des Bundesgerichtshofs - BGH - vom
30.1.1985 VIII ZR 238/83, BGHZ 93, 338, unter 5.c bb).
Dementsprechend hat der BGH in der vorstehend angeführten
Entscheidung ein zweiwöchiges Zuwarten - das in den
Fällen des § 121 BGB noch hinzunehmen wäre - nicht
mehr als ausreichend angesehen. Vielmehr wird für den
Regelfall - in Abhängigkeit von den Eigenschaften der
betroffenen Ware - nur die Wahrung einer Frist, die zwischen
einigen Stunden und einer Woche beträgt, noch als angemessen
angesehen (vgl. Emmerich/Hoffmann in Heymann, HGB, 2. Aufl., §
377 Rz 53 ff., m.w.N.).
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37
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(2) Gemäß § 34b Abs. 4 Nr. 2
EStG müssen Schäden infolge höherer Gewalt
„unverzüglich“ nach Feststellung des
Schadensfalls der zuständigen Finanzbehörde mitgeteilt
werden, damit die für außerordentliche Holznutzungen
geltenden ermäßigten Steuersätze in Anspruch
genommen werden können. Die Finanzverwaltung sieht dieses
Erfordernis noch als gewahrt an, wenn die entsprechende
Schadensmeldung spätestens bis zum Ablauf von drei Monaten
nach Feststellung des Schadens eingereicht wird (Verfügung der
Oberfinanzdirekton Magdeburg vom 5.2.2007 S 2232-14-St-212,
Einkommensteuer-Kartei Sachsen-Anhalt § 34b EStG Karte 1,
unter 1.).
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38
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(3) Auch in seiner Rechtsprechung zur
unverschuldeten verspäteten Geltendmachung von
Betriebskosten-Nachforderungen durch den Vermieter (§ 556 Abs.
3 Satz 3 BGB) wendet der BGH zur Bestimmung des Zeitraums, der dem
Vermieter nach Wegfall des Hindernisses für die Nachholung der
Geltendmachung zuzubilligen ist, nicht die aus der Rechtsprechung
zu § 121 BGB abgeleitete Zwei-Wochen-Frist, sondern eine
Drei-Monats-Frist an (vgl. Urteile vom 5.7.2006 VIII ZR 220/05, NJW
2006, 3350, unter II.2.b bb, und vom 12.12.2012 VIII ZR 264/12, NJW
2013, 456 = SIS 13 11 83).
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39
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cc) Die gebotene normspezifische Auslegung
führt im Falle des Art. 23 Satz 2 ÜberlVfRSchG zu dem
Ergebnis, dass eine Zwei-Wochen-Frist nicht sachgerecht ist. Der
Senat hält bei typisierender Betrachtung vielmehr eine Frist
von drei Monaten für angemessen.
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40
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(1) Die zu § 121 BGB ergangene
Entscheidung des BAG in BAGE 32, 237 ist auf die Situation, wie sie
der Gesetzgeber mit dem Inkrafttreten des ÜberlVfRSchG und der
dazugehörigen Übergangsregelung geschaffen hat, bereits
im Ausgangspunkt nicht übertragbar. § 121 BGB betrifft
die Anfechtung eines Vertrags wegen eines Irrtums des Anfechtenden.
Die Anfechtungsmöglichkeit besteht - in Abgrenzung zu den
Fällen des § 123 BGB, für die der Gesetzgeber eine
Jahresfrist vorsieht (§ 124 Abs. 1 BGB) - gerade dann, wenn
der andere Teil nichts zu dem Irrtum beigetragen hat. Daher kommt
im Rahmen der erforderlichen Abwägung zwischen dem Interesse
des Anfechtungsberechtigten an seiner Lösung von dem Vertrag
und dem Interesse des Anfechtungsgegners am rechtlichen Bestand des
Vertrags dem Schutz des Anfechtungsgegners ein hoher Stellenwert
zu. Hinzu kommt, dass die Frist des § 121 BGB - ebenso wie die
vom BAG herangezogene zweiwöchige Frist für die
außerordentliche fristlose Kündigung nach § 626
Abs. 2 BGB - erst beginnt, wenn der Anfechtungs- bzw.
Kündigungsberechtigte positive Kenntnis von dem Anfechtungs-
bzw. Kündigungsgrund hat; ein bloßes Kennenmüssen
löst den Fristbeginn hingegen nicht aus.
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Beide genannten Gesichtspunkte, die in den
Fällen des § 121 BGB für eine eher strenge Auslegung
des Tatbestandsmerkmals „unverzüglich“
sprechen, sind in den Fällen des Art. 23 Satz 2
ÜberlVfRSchG nicht einschlägig. Hier liegt die
wesentliche Ursache für die Erforderlichkeit der
unverzüglichen Abgabe einer Erklärung nicht beim
Erklärenden - im Fall des § 121 BGB dem
Anfechtungsberechtigten, im Fall des ÜberlVfRSchG dem
späteren Entschädigungskläger -, sondern beim
Erklärungsempfänger. Denn vor allem das Gericht hat durch
sein zögerliches Verhalten - unterstellt, die
Verzögerungsrüge sei berechtigt - die Ursache für
die Erhebung der Verzögerungsrüge gesetzt. Zudem
knüpft Art. 23 Satz 2 ÜberlVfRSchG den Beginn des zur
Verfügung stehenden Zeitraums an ein rein objektives Kriterium
- das Inkrafttreten des Gesetzes - ; eine positive Kenntnis des
Berechtigten von dem Ereignis, das den Fristenlauf auslöst,
ist nicht erforderlich.
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42
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Beide Gesichtspunkte rechtfertigen und
gebieten es, den Begriff der
„Unverzüglichkeit“ hier deutlich weniger
streng auszulegen als bei § 121 BGB.
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43
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(2) Gleichwohl lässt sich der in der
Entscheidung in BAGE 32, 237 enthaltene grundsätzliche
methodische Ansatz des BAG, in verwandten Rechtsnormen genannte
Fristen für eine normspezifische Konkretisierung des Begriffs
„unverzüglich“ heranzuziehen, auch
vorliegend fruchtbar machen. So gilt für die Erhebung einer
Verfassungsbeschwerde gegen ein Gesetz - abweichend von der
einmonatigen Regelfrist - eine Frist von einem Jahr (§ 93 Abs.
3 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht - BVerfGG -
). Beschwerden zum EGMR können innerhalb von sechs Monaten
nach der endgültigen innerstaatlichen Entscheidung erhoben
werden (Art. 35 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der
Menschenrechte und Grundfreiheiten - EMRK - ).
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44
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§ 93 Abs. 3 BVerfGG zeigt, dass der
nationale Gesetzgeber in Fällen, in denen das Inkrafttreten
eines Gesetzes einen Fristenlauf auslöst, die für die
Erhebung von Rechtsbehelfen ansonsten allgemein übliche
Monatsfrist nicht als ausreichend ansieht, sondern eine erheblich
längere Frist gewährt. Die Sechs-Monats-Frist des Art. 35
Abs. 1 EMRK steht wiederum in einem sehr engen Zusammenhang zu dem
in Entschädigungsklagefällen betroffenen Sachbereich, da
mit dem ÜberlVfRSchG gerade die Rechtsprechung des EGMR
umgesetzt werden sollte und weitere Verurteilungen der
Bundesrepublik Deutschland durch den EGMR vermieden werden
sollten.
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45
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In seinen Entscheidungen, die nach
Inkrafttreten des ÜberlVfRSchG ergangen sind, verweist der
EGMR die Beschwerdeführer auch in solchen Verfahren, die bei
ihm bereits vor Inkrafttreten des Gesetzes anhängig waren, auf
den nationalen Rechtsbehelf der Entschädigungsklage. Er
führt aber zugleich aus, dass er diese Position in Zukunft
überprüfen werde, was insbesondere von der Fähigkeit
der innerstaatlichen Gerichte abhängig sei, im Hinblick auf
das ÜberlVfRSchG eine konsistente und den Erfordernissen der
EMRK entsprechende Rechtsprechung zu etablieren (so
ausdrücklich Entscheidung des EGMR vom 29.5.2012 53126/07 -
Taron/Deutschland -, Europäische Grundrechte-Zeitschrift 2012,
514, Rz 45). Vor diesem Hintergrund hat der Senat auch die
Erfordernisse eines effektiven Menschenrechtsschutzes zu
berücksichtigen, mit dem eine kurze - den auch für
bereits anhängige Fälle erforderlichen Rechtsschutz eher
verhindernde als ermöglichende - Zwei-Wochen-Frist nicht
vereinbar wäre.
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46
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(3) Hiervon ausgehend hält der Senat eine
Frist im Umfang der Hälfte der in Art. 35 Abs. 1 EMRK
genannten Frist - d.h. drei Monate - für erforderlich, um den
Anforderungen der EMRK Rechnung zu tragen, aber auch für
ausreichend, damit Prozessbevollmächtigte sämtliche von
ihnen geführte Verfahren auf mögliche Verzögerungen
analysieren können (a.A. ohne Begründung in einer nicht
tragenden Erwägung für eine am 13.2.2012 erhobene
Verzögerungsrüge Landessozialgericht Berlin-Brandenburg,
Urteil vom 13.9.2012 L 38 SF 73/12 EK AS, n.v.; ebenso
Oberlandesgericht Bremen, Urteil vom 4.7.2013 1 SchH 10/12 (EntV),
NJW 2013, 3109, für eine am 23.1.2013 eingegangene
Verzögerungsrüge).
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47
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Diese Frist hat der Kläger im Streitfall
mit seinem am 16.2.2012 beim FG eingegangenen Schreiben
gewahrt.
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48
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2. Die Dauer des Ausgangsverfahrens war
unangemessen. Die Verzögerung beläuft sich entgegen der
Auffassung des Klägers aber nicht auf 68 Monate, sondern auf
43 Monate.
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49
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a) Gemäß § 198 Abs. 1 Satz 2
GVG richtet sich die Angemessenheit der Verfahrensdauer nach den
Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach der Schwierigkeit
und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der
Verfahrensbeteiligten und Dritter. Diese gesetzlichen
Maßstäbe beruhen auf der ständigen Rechtsprechung
des EGMR und des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - (näher
dazu Senatsurteil vom 17.4.2013 X K 3/12, BFHE 240, 516, BStBl II
2013, 547 = SIS 13 14 53, unter III.3.a).
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50
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Grundlage dieser Rechtsprechung ist zum einen
die Regelung des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK, wonach jede Person ein
Recht darauf hat, dass über Streitigkeiten von einem Gericht
„innerhalb angemessener Frist verhandelt wird“.
Zum anderen folgt aus dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3
des Grundgesetzes (GG) ein Anspruch auf gerichtliche Entscheidung
über streitige Rechtsverhältnisse „in
angemessener Zeit“ (BVerfG-Beschluss vom 27.7.2004 1 BvR
1196/04, NJW 2004, 3320, unter II.2.a, m.w.N.).
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51
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b) Bei der Konkretisierung dieses Anspruchs
des Verfahrensbeteiligten und bei der Ableitung der in § 198
GVG vorgesehenen Rechtsfolgen für den einzelnen Fall ist zu
berücksichtigen, dass der Begriff der
„Angemessenheit“ für Wertungen offen ist.
Dies ermöglicht es, dem Spannungsverhältnis zwischen
einem möglichst zügigen Abschluss des Rechtsstreits und
anderen, ebenfalls hochrangigen sowie verfassungs- und
menschenrechtlich verankerten prozessualen Grundsätzen
Rechnung zu tragen (allgemein zu diesem Spannungsverhältnis
bereits Urteil des BSG vom 21.2.2013 B 10 ÜG 1/12 KL, Die
Sozialgerichtsbarkeit - SGb - 2013, 527, zur amtlichen
Veröffentlichung in BSGE vorgesehen, unter 2.a aa, m.w.N.).
Die zügige Erledigung eines Rechtsstreits ist kein Selbstzweck
(so auch Urteil des Bundesverwaltungsgerichts - BVerwG - vom
11.7.2013 5 C 23.12 D, zur amtlichen Veröffentlichung in
BVerwGE vorgesehen, unter 1.b bb (3)).
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52
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So könnte eine Überbeschleunigung
von Verfahren in einen Konflikt mit dem - durch Art. 6 Abs. 1 Satz
1 EMRK, Art. 19 Abs. 4, Art. 20 Abs. 3 GG abgesicherten - Anspruch
auf Gewährung eines effektiven Rechtsschutzes geraten, zu
dessen Kernbereich die Schaffung gerichtlicher Strukturen
gehört, die eine möglichst weitgehende inhaltliche
Richtigkeit von Entscheidungen und ihre möglichst hohe
Qualität gewährleisten. Ferner könnte der Grundsatz
der Unabhängigkeit der Richter (Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK,
Art. 97 Abs. 1 GG) berührt sein, sofern die
Entschädigungsgerichte mittelbar in die Freiheit der Richter
eingreifen würden, ihr Verfahren frei von äußeren
Einflüssen zu gestalten. Auch der Anspruch auf den
gesetzlichen Richter (Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK, Art. 101 Abs. 1
Satz 2 GG) könnte betroffen sein, wenn zunehmender
Beschleunigungsdruck dazu führen würde, dass Verfahren
bereits wegen kurzzeitiger, in der Person eines Richters liegender
Erledigungshindernisse (z.B. einer nicht langfristigen Erkrankung
oder einer lediglich als vorübergehend anzusehenden
höheren Belastung durch anderweitige Verfahren) diesem Richter
entzogen und einem anderen Richter zugewiesen werden.
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53
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Der erkennende Senat ist daher, um diesen
gegenläufigen, ebenfalls hochrangigen Rechtsgrundsätzen
Rechnung zu tragen, der Auffassung, dass die zeitliche Grenze bei
der Bestimmung der Angemessenheit der Dauer eines Verfahrens nicht
zu eng gezogen werden darf. Die Dauer eines Gerichtsverfahrens ist
nicht schon dann „unangemessen“, wenn die
Betrachtung eine Abweichung vom Optimum ergibt. Vielmehr muss eine
deutliche Überschreitung der äußersten Grenze des
Angemessenen festzustellen sein (ebenso BSG-Urteil in SGb 2013,
527, unter 2.a aa). Hinzu kommt, dass die Betrachtung des
jeweiligen Verfahrensablaufs durch das Entschädigungsgericht
notwendigerweise rückblickend vorgenommen wird und daher
regelmäßig auf bessere Erkenntnisse gegründet ist
als sie das Ausgangsgericht haben konnte.
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54
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Aus den genannten Gründen ist dem
Ausgangsgericht ein erheblicher Spielraum für die Gestaltung
seines Verfahrens einzuräumen (vgl. auch BVerwG-Urteil 5 C
23.12 D, unter 1.b bb (3)). So ist jedes Gericht - nicht nur ein
Rechtsmittelgericht, das in besonderem Maße Verfahren von
grundsätzlicher Bedeutung zu entscheiden hat - berechtigt,
einzelne (ältere und jüngere) Verfahren aus Gründen
eines sachlichen, rechtlichen, persönlichen oder
organisatorischen Zusammenhangs zu bestimmten Gruppen
zusammenzufassen oder die Entscheidung einer bestimmten Sach- oder
Rechtsfrage als dringlicher anzusehen als die Entscheidung anderer
Fragen, auch wenn eine solche zeitliche
„Bevorzugung“ einzelner Verfahren jeweils
denknotwendig zu einer längeren Dauer anderer Verfahren
führt. Ebenso ist es hinzunehmen, wenn die - durch Art. 19
Abs. 4, Art. 20 Abs. 3 GG im Einzelfall als geboten erscheinende
und zum Kernbereich der durch Art. 97 Abs. 1 GG geschützten
richterlichen Unabhängigkeit gehörende - besonders
intensive Befassung mit einem in tatsächlicher und/oder
rechtlicher Hinsicht schwierig erscheinenden Verfahren
notwendigerweise dazu führt, dass sich nicht allein die Dauer
dieses Verfahrens verlängert, sondern während dieser Zeit
auch eine Förderung aller anderen diesem Richter zugewiesenen
Verfahren nicht möglich ist. Hinzu kommt, dass es aus
nachvollziehbaren Gründen der öffentlichen
Personalwirtschaft gerichtsorganisatorisch mitunter unvermeidbar
ist, Richtern oder Spruchkörpern einen relativ großen
Bestand an Verfahren zuzuweisen. Eine gleichzeitige inhaltlich
tiefgehende Bearbeitung sämtlicher Verfahren, die bei einem
Gericht anhängig oder einem Spruchkörper bzw. Richter
zugewiesen sind, ist aber aus tatsächlichen Gründen nicht
möglich und wird auch von Art. 20 Abs. 3 GG bzw. Art. 6 Abs. 1
Satz 1 EMRK nicht verlangt.
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55
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Der damit vom Entschädigungsgericht den
Ausgangsgerichten eingeräumte Gestaltungsspielraum dient dazu,
dass Gerichte - ohne unangemessene Überbetonung allein des
zeitlichen bzw. quantitativen Aspekts richterlicher
Verfahrensgestaltung und Entscheidungsfindung - in innerer und
äußerer Freiheit und Unabhängigkeit inhaltlich
möglichst zutreffende und qualitativ möglichst
hochwertige Entscheidungen treffen können. Stets ist zu
beachten, dass sich mit zunehmender Verfahrensdauer die Pflicht des
Gerichts verdichtet, sich nachhaltig um eine Förderung,
Beschleunigung und Beendigung des Verfahrens zu bemühen
(BVerfG-Beschluss in NJW 2004, 3320, unter II.2.a, m.w.N.).
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56
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c) Die nach dem Wortlaut des § 198 Abs. 1
Satz 2 GVG - sowie nach der im Gesetzeswortlaut zum Ausdruck
kommenden Konzeption des EGMR und BVerfG - damit im Vordergrund
stehende Einzelfallbetrachtung schließt es aus, im Rahmen der
Auslegung der genannten Vorschrift konkrete Fristen zu bezeichnen,
innerhalb der ein Verfahren im Regelfall abschließend
erledigt sein sollte (dazu unter aa) oder bei deren
Überschreitung eine „absolute überlange
Verfahrensdauer“ anzunehmen sein soll, die ohne weitere
Einzelfallbetrachtung zur Zuerkennung einer Entschädigung
führen soll (unter bb).
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aa) In der Literatur wird mitunter vertreten,
der Rechtsprechung des EGMR sei zu entnehmen, dass die angemessene
Verfahrensdauer grob ein Jahr pro Instanz betrage (Böcker,
DStR 2011, 2173, 2175, m.N. in Fn. 25; ders., DB 2013, 1930,
1931).
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58
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Daran ist zutreffend, dass sich in mehreren
Entscheidungen des EGMR die Formulierung findet, „one year
per instance may be a rough rule of thumb in Article 6 § 1
cases“ (ein Jahr pro Instanz mag eine grobe Faustregel in
Fällen des Art. 6 Abs. 1 EMRK sein). Tragend war diese
Formulierung aber für keine der Entscheidungen des EGMR, in
denen sie verwendet worden ist. Ganz überwiegend sind diese
Entscheidungen von vornherein nicht zu Art. 6 Abs. 1 EMRK ergangen,
der den Anspruch auf Entscheidung „innerhalb angemessener
Frist“ enthält, sondern zu Freiheitsentziehungen
i.S. des Art. 5 EMRK, der in Abs. 4 einen Anspruch auf gerichtliche
Entscheidung „innerhalb kurzer Frist“ vorsieht
(zu Strafverfahren in der Russischen Förderation vgl.
Entscheidungen des EGMR vom 7.4.2005 54071/00 - Rokhlina - ; vom
8.11.2005 6847/02 - Khudoyorov - ; vom 24.5.2007 27193/02 - Ignatov
-, Rz 111; vom 9.10.2008 62936/00 - Moiseyev -, Rz 160, und vom
26.11.2009 13591/05 - Nazarov -, Rz 126; zur zwangsweisen
Unterbringung eines als „Psychopathen“
eingestuften Straftäters in einer britischen Klinik vgl.
EGMR-Urteil vom 20.2.2003 50272/99 - Hutchison Reid -, Rz 79). Im
Anwendungsbereich des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK findet sich diese
Formel - ebenfalls nicht tragend - in einer Entscheidung, die eine
arbeitsrechtliche Streitigkeit wegen einer angeblichen
Diskriminierung betraf (EGMR-Urteil vom 16.1.2003 50034/99 - Obasa
-, Rz 35). Arbeitsrechtliche Streitigkeiten gehören aber
grundsätzlich zu den Verfahrensarten, die besonders
eilbedürftig sind (vgl. Peukert in Frowein/Peukert,
EMRK-Kommentar, 3. Aufl., Art. 6 Rz 262, m.w.N. auf die
Rechtsprechung des EGMR). Insoweit enthalten auch die Vorschriften
des Arbeitsgerichtsgesetzes (ArbGG) seit jeher besondere
Beschleunigungsgebote, die sich in den für andere
Gerichtszweige geltenden Verfahrensordnungen nicht finden (z.B.
§ 9 Abs. 1, § 17 Abs. 2 Satz 2, § 47 Abs. 2, §
61a ArbGG).
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Eine Entscheidung des EGMR, die tragend auf
die „grobe Faustregel“ einer angemessenen
Verfahrensdauer von einem Jahr pro Instanz gestützt oder in
der gar ein geringfügiges Überschreiten dieser zeitlichen
Grenze als unangemessen angesehen worden wäre, ist weder in
der Literatur nachgewiesen noch sonst ersichtlich.
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60
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Jedenfalls im Anwendungsbereich des § 198
GVG wäre eine Auslegung dieser Vorschrift dahingehend, eine
Jahresfrist als „Faustregel“ anzunehmen, schon
durch die Entstehungsgeschichte dieser Norm ausgeschlossen. Im
Gesetzgebungsverfahren war ausdrücklich beantragt worden, in
das Gesetz eine Regelung aufzunehmen, wonach bei einer
Verfahrenslaufzeit von mehr als einem Jahr die Unangemessenheit der
Verfahrensdauer vermutet werden sollte. Dieser Antrag ist indes von
der großen Mehrheit der Abgeordneten des Rechtsausschusses
abgelehnt worden (zum Ganzen ausführlich BTDrucks 17/7217,
25).
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61
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bb) Soweit der Kläger die Auffassung
vertritt, ab einer - im Streitfall gegebenen - Verfahrenslaufzeit
von acht Jahren sei von einer „absoluten überlangen
Verfahrensdauer“ auszugehen, die eine
Einzelfallprüfung entbehrlich mache, vermag der Senat dem
ebenfalls nicht zu folgen. Zwar verdichtet sich mit zunehmender
Verfahrensdauer die Pflicht des Gerichts, sich nachhaltig um eine
Förderung, Beschleunigung und Beendigung des Verfahrens zu
bemühen (BVerfG-Beschluss in NJW 2004, 3320, unter II.2.a,
m.w.N.). Eine Bewertung der Umstände des Einzelfalls bleibt
aber stets erforderlich. Selbst wenn es eine Grenze der
„absoluten überlangen Verfahrensdauer“
gäbe, wäre diese jedenfalls nicht bei acht Jahren zu
ziehen (vgl. - unter Auswertung der Rechtsprechung des EGMR -
Peukert in Frowein/Peukert, a.a.O., Art. 6 Rz 249: erst eine
Verfahrensdauer von zehn und mehr Jahren werde
„grundsätzlich als nicht angemessen“
bewertet).
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62
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d) Gleichwohl können angesichts der
besonderen Bedingungen, die die im Vergleich zu anderen
Gerichtsbarkeiten eher homogene Fallstruktur in der
Finanzgerichtsbarkeit und die relativ einheitliche
Bearbeitungsweise der einzelnen Gerichte und Spruchkörper mit
sich bringen, für bestimmte typischerweise zu durchlaufende
Abschnitte finanzgerichtlicher Verfahren - nicht jedoch für
ihre Gesamtdauer - zeitraumbezogene Konkretisierungen gefunden
werden. Vorrang behält dennoch die stets vorzunehmende
Einzelfallbetrachtung.
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aa) Nach den Ausführungen unter c kann
ein Regel- oder auch nur Anhaltswert für die Gesamtdauer eines
Verfahrens nicht genannt werden. Dies folgt schon daraus, dass der
Schwierigkeitsgrad des einzelnen Verfahrens sowohl
rechtstatsächlich von entscheidender Bedeutung für die
konkrete Verfahrensdauer ist als auch nach der Konzeption des
§ 198 Abs. 1 Satz 2 GVG zu den wesentlichen Merkmalen für
die Beurteilung der Angemessenheit der Verfahrensdauer gehört.
Finanzgerichtliche Verfahren unterscheiden sich in ihrem
Schwierigkeitsgrad und der dadurch hervorgerufenen
Bearbeitungsintensität und -dauer so sehr voneinander, dass
eine Generalisierung der Gesamtverfahrensdauer nicht möglich
ist.
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Auf der anderen Seite wird die
höchstrichterliche finanzgerichtliche Rechtsprechung in
Entschädigungssachen, schon zur Gewährleistung einer
möglichst einheitlichen Rechtsanwendung und um der
Rechtspraxis Anhaltspunkte für die Einschätzung der
Erfolgsaussichten etwa zu erhebender Entschädigungsklagen zu
geben, es nicht gänzlich vermeiden können, dort - unter
Beachtung des Grundsatzes, dass die stets vorzunehmende
Einzelfallbetrachtung Vorrang hat - zeitraumbezogene
Konkretisierungen vorzunehmen, wo derartige Konkretisierungen
aufgrund vorgefundener Übereinstimmungen sowohl in der
Struktur zahlreicher finanzgerichtlicher Verfahren als auch ihrer
Bearbeitung durch die Gerichte vertretbar sind.
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bb) Die Frage, ob zeitliche Konkretisierungen
stets ausgeschlossen sind oder für bestimmte Fallgruppen eine
Erleichterung der rechtlichen Beurteilung ermöglichen, wird in
der bisherigen Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe des
Bundes zu § 198 GVG nicht einheitlich beurteilt. Dies beruht
indes darauf, dass zwischen den einzelnen Gerichtsbarkeiten
erhebliche Unterschiede sowohl in der Struktur und Streubreite der
Verfahren als auch in den Verfahrensabläufen bestehen. So
lehnt das BVerwG (Urteil 5 C 23.12 D, unter 1.b aa (2)) für
instanzgerichtliche Verfahren der Verwaltungsgerichtsbarkeit jede
Orientierung an Anhaltswerten ab und führt zur Begründung
aus, die Struktur der zu entscheidenden Verfahren sei zu
unterschiedlich. Demgegenüber sieht das BSG für Verfahren
der Nichtzulassungsbeschwerde - deren Ablauf aufgrund der im
Höchstfall drei Monate betragenden Begründungsfrist und
des Umstands, dass in aller Regel Sachverhaltsermittlungen nicht
vorgesehen sind, in besonderem Maße standardisiert ist, so
dass die einzelnen Verfahren nur eine geringe Varianz zueinander
aufweisen - eine Regelfrist für die Gesamtbearbeitungsdauer
von zwölf Monaten vor (BSG-Urteil in SGb 2013, 527, unter 2.a
cc ccc).
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66
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cc) Dies vorausgeschickt, lässt sich
für den ganz überwiegenden Teil der finanzgerichtlichen
Klageverfahren zum einen feststellen, dass die jeweiligen
Verfahrenssituationen und Streitgegenstände im Kern
miteinander vergleichbar sind und eine erheblich geringere Varianz
zueinander aufweisen als dies in der Verwaltungs- oder
Zivilgerichtsbarkeit der Fall ist. In den meisten Fällen geht
es darum, dass der Bürger sich gegen einen Geldanspruch
wendet, den die Finanzverwaltung durch Steuerbescheid gegen ihn
festgesetzt hat, oder - in Gestalt einer Steuervergütung -
seinerseits einen Geldanspruch von der Finanzverwaltung
begehrt.
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Darüber hinaus lässt sich
feststellen, dass der Ablauf der weitaus meisten
finanzgerichtlichen Klageverfahren im Wesentlichen einer Einteilung
in drei Phasen folgt: Die erste Phase besteht in der Einreichung
und im Austausch vorbereitender Schriftsätze (§ 77 Abs. 1
Satz 1 FGO) durch die Beteiligten. Das Gericht wird in dieser Phase
zumeist nur insoweit tätig, als es eingehende
Schriftsätze an den jeweils anderen Beteiligten weiterleitet;
die Erteilung rechtlicher Hinweise durch das Gericht
beschränkt sich - auch mangels Vorliegens der Akten der
beklagten Behörde - auf Ausnahmefälle. An das Ende dieses
Schriftsatzaustausches schließt sich in der Regel eine Phase
an, in der das Verfahren - gerichtsorganisatorisch durch die
Gesamtanzahl der dem Spruchkörper oder Richter zugewiesenen
Verfahren bedingt - wegen der Arbeit an anderen Verfahren nicht
bearbeitet werden kann. Der Beginn der dritten Phase ist dadurch
gekennzeichnet, dass das Gericht Maßnahmen trifft, die das
Verfahren einer Entscheidung zuführen sollen (z.B. Handlungen
der Sachaufklärung, Erteilung rechtlicher Hinweise, sonstige
in § 79 FGO genannte Anordnungen, in einfach gelagerten
Fällen auch die sofortige Ladung zur mündlichen
Verhandlung). Diese dritte Phase ist in besonderem Maße vom
Schwierigkeitsgrad des Verfahrens, dem Verhalten der
Verfahrensbeteiligten und Dritter - insbesondere von deren
Reaktionsgeschwindigkeit auf gerichtliche Anfragen und
Ermittlungshandlungen - und der Intensität der Bearbeitung
durch den hierfür berufenen Richter abhängig. Die Frage,
welche Dauer für diese Phase - und damit auch für die
Gesamtlaufzeit eines Verfahrens - „angemessen“
ist, entzieht sich daher jedem Versuch einer Typisierung oder
zeitlichen Konkretisierung. Gleiches mag für die erste Phase
gelten, da auch die Dauer des Wechsels vorbereitender
Schriftsätze zwischen den Beteiligten häufig vom
Schwierigkeitsgrad des Verfahrens sowie dem Verhalten der
Verfahrensbeteiligten abhängig sein wird.
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68
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Demgegenüber eignet sich die dargestellte
zweite Phase eher für die Suche nach zeitlichen
Konkretisierungen. Insbesondere ist sie in erster Linie
gerichtsorganisatorisch bedingt, weist aber keinen Zusammenhang zum
Schwierigkeitsgrad des einzelnen Verfahrens auf, da ein -
vermeintlich - höherer Schwierigkeitsgrad eines Verfahrens
nicht als sachlicher Grund anzusehen wäre, ein solches
Verfahren länger als vermeintlich einfachere Verfahren
unbearbeitet zu lassen. Zugleich ist diese zweite Phase typischer
finanzgerichtlicher Verfahren im Hinblick auf den Schutzzweck der
§§ 198 ff. GVG von besonderer Bedeutung, da gerade
während eines Zeitraums, in dem weder die Beteiligten noch das
Gericht Aktivitäten entfalten, für den
Verfahrensbeteiligten mit zunehmender Dauer dieses Zeitraums die
Frage Bedeutung gewinnt, wann denn mit einer Förderung und
Entscheidung „seines“ Verfahrens zu rechnen sei.
Demgegenüber ist in der ersten Phase, in der die Beteiligten
aktiv sind, und in der dritten Phase, in der das Gericht das
Verfahren in Richtung auf eine Entscheidung vorantreibt, die
Betroffenheit des Verfahrensbeteiligten durch eine - unter
Umständen längere - Dauer dieser Verfahrensabschnitte
geringer, weil das Verfahren jeweils gefördert wird. Die Dauer
dieser Verfahrensabschnitte wird daher im Wesentlichen nur durch
den aus der Rechtsprechung des BVerfG folgenden Gesichtspunkt
begrenzt, wonach sich mit zunehmender Verfahrensdauer die Pflicht
des Gerichts verdichtet, sich nachhaltig um eine Förderung,
Beschleunigung und Beendigung des Verfahrens zu bemühen
(Beschluss in NJW 2004, 3320, unter II.2.a, m.w.N.).
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69
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dd) Vor diesem Hintergrund spricht bei einem
finanzgerichtlichen Klageverfahren, das im Vergleich zu dem
dargestellten Verfahrensablauf keine wesentlichen Besonderheiten
aufweist, eine Vermutung dafür, dass die Dauer des Verfahrens
angemessen ist, wenn das Gericht gut zwei Jahre nach dem Eingang
der Klage mit Maßnahmen beginnt, die das Verfahren einer
Entscheidung zuführen sollen (vgl. hierzu bereits Senatsurteil
in BFHE 240, 516, BStBl II 2013, 547 = SIS 13 14 53, unter III.3.a
b), und die damit begonnene („dritte“) Phase des
Verfahrensablaufs nicht durch nennenswerte Zeiträume
unterbrochen wird, in denen das Gericht die Akte unbearbeitet
lässt.
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70
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Der erkennende Senat hat diesen für die
Dauer der ersten beiden Phasen genannten, in einem Verfahren ohne
Besonderheiten die Vermutung der Angemessenheit begründenden
„Karenzzeitraum“ von gut zwei Jahren anhand
einer Abwägung der widerstreitenden Gesichtspunkte gewonnen.
Ein solcher Zeitraum erscheint für den Regelfall als
ausreichend, dem gerichtsorganisatorisch bedingten Faktum Rechnung
zu tragen, dass zu einem richterlichen Dezernat zahlreiche
Verfahren gehören, die aber nicht allesamt gleichzeitig mit
dem erforderlichen Tiefgang bearbeitet werden können. Zugleich
ermöglicht es dieser Zeitraum dem Richter an einem oberen
Landesgericht (vgl. § 2 FGO), in Verantwortung für die
inhaltliche Richtigkeit und das qualitativ hohe Niveau seiner
Entscheidung sowie in Ausübung seiner richterlichen
Unabhängigkeit gegebenenfalls von seinem Gestaltungsspielraum
(siehe oben b) Gebrauch zu machen, indem er einzelne Verfahren
zeitlich vorzieht oder besonders intensiv bearbeitet, und andere
Verfahren dadurch notwendigerweise länger unbearbeitet
lässt.
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71
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Auf der anderen Seite hält es der Senat
dem Verfahrensbeteiligten noch für zumutbar, bis zu zwei Jahre
auf den Beginn der zielgerichteten Bearbeitung durch das FG zu
warten. Dabei ist entscheidend zu berücksichtigen, dass der
Gegenstand finanzgerichtlicher Klageverfahren - anders als etwa die
typische Streitigkeit aus dem Bereich des Arbeits-, Familien- oder
Statusrechts oder des Rechts existenzsichernder Sozialleistungen
(vgl. die auf die Rechtsprechung des EGMR gestützte
Zusammenstellung eilbedürftiger Verfahrensarten bei Peukert in
Frowein/Peukert, a.a.O., Art. 6 Rz 262) - typischerweise nicht
durch besondere Eilbedürftigkeit gekennzeichnet ist. Es geht
in aller Regel um staatliche Geldansprüche, die zudem
regelmäßig auf einen Bruchteil des Einkommens, Umsatzes
oder der sonstigen Wirtschaftsteilhabe des Verfahrensbeteiligten
beschränkt sind. Zudem gewähren Finanzverwaltung und
-gerichte unter Anwendung relativ großzügiger
Maßstäbe Aussetzung der Vollziehung, so dass die meisten
Verfahrensbeteiligten während der Verfahrensdauer von der
Pflicht zur Leistung der streitigen Steuern entweder befreit sind
oder sich befreien lassen könnten.
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72
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Eine Frist von etwa zwei Jahren wird auch von
großen Teilen der Literatur vertreten (Peukert in
Frowein/Peukert, a.a.O., Art. 6 Rz 249: 1,5 bis zwei Jahre;
Meyer-Ladewig, EMRK, 3. Aufl., Art. 6 Rz 199: zwei Jahre; Remus,
NJW 2012, 1403, 1404: zwei bis drei Jahre). Sie entspricht zudem
der tatsächlichen durchschnittlichen Dauer zulässiger
Klageverfahren, die von den Finanzgerichten in den Jahren 2007 bis
2010 durch Urteil entschieden worden sind (Geschäftsbericht
der Finanzgerichte der Bundesrepublik Deutschland für die
Jahre 2009 und 2010, EFG 2011, 1578, 1581; vgl. aber zur
eingeschränkten Aussagekraft statistischer Werte für die
Konkretisierung des § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG BVerwG-Urteil 5 C
23.12 D, unter 1.b aa (2)). Auch das BVerfG hat es - in Bezug auf
sein eigenes Verfahren - nicht als unangemessen angesehen, wenn bis
zur Entscheidung über einen Schadensersatz-Geldanspruch ein
Zeitraum von 27 Monaten verstrichen ist (BVerfG-Beschluss vom
3.4.2013 1 BvR 2256/10 - Vz 32/12, NJW 2013, 2341, unter II.1.c vor
aa). Zwar beziehen sich alle vorstehend genannten
Durchschnittswerte auf die gesamte Verfahrenslaufzeit, während
der vom Senat genannte Zeitraum nur die beiden ersten Phasen eines
typischen finanzgerichtlichen Verfahrens erfasst. Die damit
verbundene Gewährung eines zusätzlichen
Bearbeitungszeitraums rechtfertigt sich aber daraus, dass eine
entschädigungspflichtige menschenrechts- und
grundgesetzwidrige Verzögerung nur bei einer deutlichen
Überschreitung der äußersten Grenze des
Angemessenen festzustellen ist (vgl. oben b). Hinzu kommt, dass
gerade bei einfach gelagerten Verfahren die dritte Phase der
Bearbeitung sich häufig auf die Ladung zur und
Durchführung der mündlichen Verhandlung oder eines
Erörterungstermins beschränken wird, also nicht zu einer
wesentlichen weiteren Verlängerung der Verfahrensdauer
führt.
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ee) Allerdings steht es jedem
Verfahrensbeteiligten frei, das Gericht auf eine aus seiner Sicht
gegebene besondere Eilbedürftigkeit des Verfahrens
hinzuweisen. Dies zeigt auch die Regelung des § 198 Abs. 3
Satz 3 GVG, die Umstände erfasst, die für ein besonderes
Beschleunigungsbedürfnis von Bedeutung sind (vgl. BTDrucks
17/3802, 21). Werden solche Gründe rechtzeitig und in
nachvollziehbarer Weise vorgetragen, gilt die eingangs genannte
Vermutung, die Verfahrensdauer sei angemessen, wenn die dritte
Phase im Verfahrensablauf gut zwei Jahre nach dem Eingang der Klage
beginnt, nicht. Vielmehr kommt es dann ausschließlich auf die
besonderen Umstände des Einzelfalls an.
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e) Bei Anwendung dieser Grundsätze ergibt
sich, dass das Ausgangsverfahren während eines Zeitraums von
43 Monaten in unangemessener Weise verzögert worden ist.
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aa) Die Anwendung der in § 198 Abs. 1
Satz 2 GVG beispielhaft genannten Kriterien vermittelt im
Streitfall kein einheitliches Bild.
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So war der Schwierigkeitsgrad des Verfahrens
als überdurchschnittlich hoch anzusehen. Zum einen waren
Sachverhaltsermittlungen im Ausland durchzuführen, die sich
als äußerst langwierig gestalteten. Zum anderen waren
sowohl ausländische als auch komplexe europäische
Rechtsvorschriften anzuwenden. Die Auslegung der letztgenannten
Vorschriften hat gerade während der Zeit der Anhängigkeit
des Ausgangsverfahrens einer sehr dynamischen Entwicklung
unterlegen.
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Auf der anderen Seite war auch die Bedeutung
des Verfahrens für den Kläger als
überdurchschnittlich hoch einzuschätzen. Das Kindergeld
stellt - obwohl es rechtstechnisch im EStG geregelt ist und als
„Steuervergütung“ bezeichnet wird (§
31 Satz 3 EStG) - eine Leistung zur Förderung der Familie
(§ 31 Satz 2 EStG) dar, die ihren Förderzweck
grundsätzlich nur erfüllen kann, wenn es den Berechtigten
in zeitlichem Zusammenhang zum Anfallen der kindbedingten
Unterhaltsaufwendungen ausgezahlt wird. Dies gilt ungeachtet
dessen, dass der Kläger im vorliegenden Verfahren trotz eines
entsprechenden Hinweises des Beklagten keine Angaben zu seinen
Einkommens- und Vermögensverhältnissen gemacht hat, so
dass nicht festgestellt werden kann, dass er auf die möglichst
zügige Auszahlung des Kindergelds ebenso angewiesen war wie
ein Empfänger solcher Sozialleistungen, die zur
Existenzsicherung und ausschließlich in Fällen einer
konkreten Bedürftigkeit gezahlt werden.
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Das Verhalten Dritter hat in erheblichem
Maße zu der letztlich erreichten Verfahrensdauer von mehr als
acht Jahren beigetragen. So war lange Zeit unklar, ob E - die am
Klageverfahren nicht beteiligt war und deren Verhalten dem
Kläger nicht zuzurechnen ist - überhaupt einen
Kindergeldantrag in Nordirland gestellt hatte. Auch erteilte E nur
sehr schleppend Auskünfte über die ihr gegenüber
ergangenen Entscheidungen der CBO; ebenso haben die CBO selbst
sowie die nordirische Verbindungsstelle der Familienkasse jeweils
längere Zeit benötigt, um Auskünfte gegenüber
der Familienkasse zu erteilen. Die Familienkasse als
Verfahrensbeteiligte hat insoweit zu einer nennenswerten
Verfahrensverzögerung beigetragen, als sie die - letztlich
streitentscheidende - Antwort der CBO nicht an das FG
weitergeleitet, sondern unbearbeitet zu ihren Akten genommen
hat.
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bb) Die vom Senat erkannte Verzögerung um
43 Monate ergibt sich aus einer Betrachtung des konkreten
Verfahrensablaufs.
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(1) Das seit dem 20.2.2004 beim FG
anhängige Ausgangsverfahren ist bereits unmittelbar nach
seinem Eingang sehr zielgerichtet durch den damaligen Vorsitzenden
gefördert worden. Dieser hat am 7.6.2004 einen rechtlichen
Hinweis an den Kläger gerichtet, der der rechtlichen und
tatsächlichen Problematik des Falles umfassend gerecht
geworden, vom Kläger aber nur unzureichend aufgegriffen worden
ist. Weitere Hinweise des damaligen Senatsvorsitzenden folgten am
2.2.2005 und 24.3.2005. Danach hat das FG seine Tätigkeit
indes für einen mehrjährigen Zeitraum eingestellt.
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(2) Geht man nach den unter d dargelegten
Grundsätzen davon aus, dass die Angemessenheit der
Verfahrensdauer zu vermuten ist, wenn das Gericht gut zwei Jahre
nach dem Eingang der Klage mit Maßnahmen beginnt, die das
Verfahren einer Entscheidung zuführen sollen, und
berücksichtigt man zusätzlich, dass der damalige
Senatsvorsitzende bereits während des Wechsels der
vorbereitenden Schriftsätze zwischen den Beteiligten
zielgerichtete rechtliche Hinweise erteilt hatte, was eine gewisse
Verlängerung der Regelfrist rechtfertigt, hätte das FG
das Verfahren im zweiten Halbjahr 2006 wieder aufgreifen und durch
kontinuierliches Tätigwerden zur Entscheidungsreife
führen müssen. Da zu diesem Zeitpunkt allerdings bereits
die Familienkasse eigenständig mit Ermittlungen in Nordirland
begonnen hatte, war es unter den besonderen Umständen des
Streitfalls für das FG sachgerecht, den Ausgang dieser
Ermittlungen zunächst abzuwarten. Daher ist die Regelfrist
hier um weitere sechs Monate zu verlängern. Spätestens ab
dem Beginn des Jahres 2007 - das Verfahren war seinerzeit bereits
fast drei Jahre anhängig - genügte es aber nicht mehr,
lediglich das eigenständige (und bisher nicht zu konkreten
Ergebnissen führende) Handeln der Familienkasse zu beobachten.
Vielmehr hätte das FG entweder selbst - notfalls, wie
wesentlich später auch tatsächlich geschehen, über
den Kläger - darauf hinwirken müssen, dass E in
Nordirland einen bearbeitungsfähigen Kindergeldantrag stellt,
oder aber im Wege der ihm obliegenden Sachaufklärung den
Inhalt des im Vereinigten Königreich geltenden
Kindergeldrechts ermitteln müssen.
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(3) Seit Januar 2007 war das Verfahren daher
als verzögert anzusehen. Die Verzögerung wurde auch nicht
durch die zwischen November 2007 und Februar 2008 an die
Familienkasse gerichteten Sachstandsanfragen des FG unterbrochen.
Denn in diesem Verfahrensstadium war - wie vorstehend unter (2)
dargelegt - das bloße Abwarten der Ergebnisse der eigenen
Ermittlungen der Familienkasse nicht mehr ausreichend. Die
Verzögerung des Verfahrens endete vielmehr - vorläufig -
erst mit der im April 2009 ergangenen Ladung zum
Erörterungstermin. Von Januar 2007 bis März 2009 ist
danach eine unangemessene Verfahrensverzögerung von 27 Monaten
zu verzeichnen.
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(4) Mit Zustimmung der Beteiligten hat das FG
am 15.6.2009 das Ruhen des Verfahrens angeordnet. Die Zeit eines
einvernehmlichen förmlichen Ruhens des Verfahrens kann
grundsätzlich nicht als unangemessen im Hinblick auf die
Gesamtverfahrensdauer angesehen werden, da jeder Beteiligte die
Möglichkeit hat, den Eintritt des Ruhens durch Versagung
seiner erforderlichen Zustimmung zu verhindern.
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Allerdings endet die Wirkung eines
Ruhensbeschlusses von selbst, sobald das in diesem Beschluss
genannte Ereignis eintritt (BFH-Beschluss vom 9.8.2007 III B
187/06, BFH/NV 2007, 2310 = SIS 08 01 34). Für den konkreten
Zeitpunkt, zu dem die Wirkung eines Ruhensbeschlusses endet, ist
dabei die Formulierung des jeweiligen Beschlusstenors
maßgebend. So endet ein „bis zum Ergehen“
einer bestimmten obergerichtlichen Entscheidung angeordnetes Ruhen
bereits mit dem - objektiven - Ergehen der Entscheidung im
bezeichneten Musterverfahren; ob das Gericht oder die Beteiligten
im bisher ruhenden Verfahren Kenntnis von der obergerichtlichen
Entscheidung haben, ist ohne Belang (BFH-Beschluss vom 8.1.2013 V B
23/12, BFH/NV 2013, 748 = SIS 13 10 83). Ebenso kommt es zur
Beurteilung des vorliegenden Falles, in dem das FG das Ruhen
„bis zur Entscheidung“ über den Antrag der
E angeordnet hatte, allein auf das objektive Ergehen dieser
Entscheidung an, nicht aber auf die entsprechende Kenntniserlangung
durch das FG. Damit ruhte das Ausgangsverfahren ab dem 30.3.2010,
dem Datum der Entscheidung der CBO, nicht mehr.
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(5) Dies bedeutet jedoch nicht, dass das
Ausgangsverfahren ab diesem Zeitpunkt wieder als unangemessen
verzögert anzusehen wäre. Vielmehr ist im Rahmen der
Beurteilung der Angemessenheit zu berücksichtigen, dass das FG
vom objektiven Wegfall des Ruhensgrunds keine Kenntnis haben
konnte. Zudem hat das FG die Familienkasse bereits am 6.4.2010
gebeten, über deren nordirische Verbindungsstelle Ermittlungen
zum Schicksal des Kindergeldantrags zu führen. Dies war
sachgerecht.
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Nach Auffassung des Senats durfte das FG in
diesem Verfahrensstadium allerdings nicht länger als sechs
Monate auf eine Antwort warten. Zwar nehmen Ermittlungen, die im
Wege der Einschaltung ausländischer Behörden geführt
werden, erfahrungsgemäß deutlich längere
Zeiträume in Anspruch als vergleichbare Ermittlungen im
Inland. Auf der anderen Seite sind die Verbindungsstellen der
Familienkassen gerade deshalb geschaffen worden, um im Interesse
der Verfahrensbeschleunigung einen unmittelbaren Verkehr zwischen
den beteiligten Fachbehörden zu ermöglichen (vgl. Art. 3
der Verordnung (EWG) Nr. 574/72 des Rates vom 21.3.1972 über
die Durchführung der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 über
die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer
und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die
innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern), ohne den
komplizierten und zeitraubenden Weg eines Rechtshilfeersuchens zu
gehen. Zudem war das Verfahren beim Beginn dieser Ermittlungen
bereits seit über sechs Jahren anhängig und schon
erheblich verzögert. In einem solchen Fall verdichtet sich -
wie bereits ausgeführt - die Pflicht des Gerichts, auf eine
ununterbrochene Förderung des Verfahrens hinzuwirken.
Angesichts des Umstands, dass im gesamten Verlauf des bisherigen
Verfahrens keine brauchbaren Unterlagen aus Nordirland beim FG
eingegangen waren, durfte es sich nicht allein auf die
Antwortbereitschaft der ausländischen Behörde verlassen.
Spätestens im November 2010 hätte das FG daher auf
anderem Wege tätig werden müssen. Tatsächlich ist es
jedoch erst am 10.8.2011 - auf Drängen des Klägers -
tätig geworden, indem es diesen um die Vorlage einer
Bescheinigung des CBO gebeten hat. Für den Zeitraum von
November 2010 bis Juli 2011 ist somit eine weitere unangemessene
Verzögerung von neun Monaten zu verzeichnen.
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(6) Der Kläger reichte die angeforderte
Bescheinigung am 6.12.2011 beim FG ein. Danach hätte das FG
angesichts der bereits erreichten Verfahrensdauer von knapp acht
Jahren umgehend mit der abschließenden Bearbeitung des
Verfahrens beginnen müssen. Allein die kommentarlose
Übersendung der Bescheinigung an die Familienkasse kann nach
nahezu achtjähriger Verfahrensdauer nicht als ausreichende
Verfahrensförderung angesehen werden, zumal das FG selbst
diese Bescheinigung angefordert hatte und sich daher gegenüber
den Beteiligten zumindest dazu hätte äußern
können, ob die Bescheinigung die Erwartungen, die das FG bei
dessen Anforderung hegte, erfüllen konnte.
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Tatsächlich hat das FG erst auf die
wiederholten Verzögerungsrügen des Klägers am
26.3.2012 die Kindergeldakten bei der Familienkasse angefordert und
die Akten im August 2012 durchgesehen; diese Aktendurchsicht
führte dann am 15.8.2012 zu rechtlichen Hinweisen an die
Beteiligten und - ohne weitere Verzögerung - zu einer
Beendigung des Ausgangsverfahrens durch behördliche Abhilfe
und die Abgabe von Hauptsacheerledigungserklärungen. Im
Zeitraum von Januar bis Juli 2012 ist daher eine weitere
unangemessene Verzögerung von sieben Monaten eingetreten.
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Dieser Beurteilung steht nicht entgegen, dass
das FG sich in der Zeit ab dem 20.4.2012 bemüht hat, die
Erledigung eines Verfahrens über „Kindergeld ab Mai
2010“ zu erreichen. Ein solches Verfahren war zu keinem
Zeitpunkt beim FG anhängig. Die - auch teilweise - Ablehnung
einer Kindergeldfestsetzung entfaltet vielmehr nur bis zum Ende des
Monats der Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung Bindungswirkung
(BFH-Beschluss vom 19.12.2008 III B 163/07, BFH/NV 2009, 578 = SIS 09 09 06, m.w.N. auf die ständige höchstrichterliche
Rechtsprechung zu dieser Frage), hier also bis Januar 2004. Wenn
das FG sich um die Beendigung eines solchen, nur vermeintlich bei
ihm anhängigen Verfahrens bemüht, kann dies nicht dazu
führen, dass das tatsächlich anhängige, bereits
erheblich verzögerte Verfahren während eines weiteren
Zeitraums unbearbeitet bleiben darf. Soweit der Beklagte das
Vorgehen des FG damit zu erklären versucht, die dortige
Berichterstatterin habe den Eintritt der
Festsetzungsverjährung verhindern wollen, überzeugt dies
nicht. Für Anspruchszeiträume ab Mai 2010 drohte im Jahr
2012 erkennbar noch keine Festsetzungsverjährung. Für
Zeiträume ab Februar 2004 - für die aufgrund
entsprechender Erklärungen der Familienkasse der Eintritt der
Festsetzungsverjährung ebenfalls nicht drohte - sind keine
Maßnahmen des FG feststellbar, die zusätzlich zu den
bereits für den Streitzeitraum (März 2001 bis Januar
2004) ergriffenen Maßnahmen getroffen worden wären und
insoweit zu einer Verlängerung des Verfahrens hätten
führen können.
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(7) Danach ist das Verfahren von Januar 2007
bis März 2009 (27 Monate), November 2010 bis Juli 2011 (neun
Monate) und Januar bis Juli 2012 (sieben Monate) unangemessen
verzögert worden, insgesamt also während eines Zeitraums
von 43 Monaten.
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cc) Die vorstehend vorgenommene Beurteilung
lässt entgegen der Auffassung des Beklagten keinen Raum mehr
dafür, die unzutreffende Angabe des Klägers zu Beginn des
Ausgangsverfahrens, in Nordirland sei bereits damals ein
Kindergeldantrag gestellt worden, zur Rechtfertigung der langen
Verfahrensdauer heranzuziehen. Vielmehr hat der Senat die Wartezeit
auf die Antragstellung, Antragsbearbeitung und
Entscheidungsbekanntgabe in Nordirland im Rahmen der vorstehend
unter bb vorgenommenen Würdigung der Umstände des
Einzelfalls bereits hinreichend bei der Bemessung der noch als
angemessen anzusehenen Verfahrensdauer berücksichtigt.
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Umgekehrt vermag der Senat auch der Auffassung
des Klägers nicht zu folgen, das Verhalten aller in das
Ausgangsverfahren einbezogenen in- und ausländischen
Behörden sei dem Beklagten zuzurechnen, so dass die Wartezeit
auf behördliche Entscheidungen keinerlei
Verfahrensverlängerung rechtfertige. Das „Verhalten
der Verfahrensbeteiligten und Dritter“ ist vielmehr
gemäß § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG als eines von
mehreren Merkmalen in die Bewertung und Gewichtung der
Umstände des Einzelfalls einzubeziehen. Soweit das FG das
Verhalten von - insbesondere ausländischen - Behörden
nicht beeinflussen kann, ist ihm dieses Verhalten nicht unmittelbar
zuzurechnen. Es hat lediglich die - sich mit zunehmender
Verfahrensdauer verdichtende - Pflicht, das Verfahren zu
fördern.
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3. Die Entscheidung über die Höhe
des Entschädigungsanspruchs bleibt dem Betragsverfahren bzw.
Endurteil vorbehalten. Gleiches gilt für die
Kostenentscheidung.
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