Der Beklagte wird verurteilt, an den
Kläger wegen überlanger Dauer des Klageverfahrens 2 K
2472/10 beim Finanzgericht Köln für einen Zeitraum von 19
Monaten Entschädigung in Höhe von insgesamt 4.275 EUR zu
zahlen.
Es wird festgestellt, dass das Verfahren im
Umfang von einem weiteren Monat verzögert war.
Die Kosten des Verfahrens trägt der
Beklagte.
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I. Der Kläger begehrt gemäß
§ 198 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) Entschädigung
wegen der von ihm als unangemessen angesehenen Dauer eines vom
3.8.2010 (Klageeingang) bis zum 16.12.2014 (übereinstimmende
Erledigungserklärungen) vor dem Finanzgericht (FG) Köln
anhängigen Verfahrens.
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Gegenstand des Ausgangsverfahrens war die
Rechtmäßigkeit von Steuerbescheiden, in denen das
Finanzamt W (FA) von einer unbeschränkten Steuerpflicht des
Klägers ausging und Einkommensteuer, Solidaritätszuschlag
sowie Zinsen für die Streitjahre 1995 bis 2001 sowie 2003 bis
2005 in Höhe von rund 660.000 EUR festsetzte.
Materiell-rechtlich war die Frage zu entscheiden, ob der
Kläger in den Streitjahren 1995 bis 2001 sowie 2003 bis 2005
im Inland über einen Wohnsitz gemäß § 8 der
Abgabenordnung (AO) verfügt hat und dementsprechend
unbeschränkt steuerpflichtig war.
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Der Kläger war als Handelsvertreter
u.a. für X mit Schwerpunkt in Polen tätig gewesen. Im
Sommer 1994 beendete er seine berufliche Tätigkeit und meldete
sich beim Finanzamt B ab. Nach der Trennung von seiner Ehefrau
meldete er im Juni 1995 seinen Hauptwohnsitz in B und im September
1995 seinen Nebenwohnsitz in W ab.
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In der Folge hat der Kläger seinen
Wohnsitz bis 2003 in Spanien, von 2003 bis 2005 in Österreich
und ab August 2005 in der Schweiz angemeldet.
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Das Finanzamt für Steuerstrafsachen
und Steuerfahndung leitete im Jahr 2006 ein Steuerstrafverfahren
gegen den Kläger ein. Es ging davon aus, der Kläger habe
seinen inländischen Wohnsitz beibehalten und durch die
Abmeldung der inländischen und die Anmeldung
ausländischer Wohnsitze versucht, die Besteuerung der in den
Jahren 1995 bis 2005 erhaltenen Handelsvertreterprovisionen zu
vermeiden. Die Staatsanwaltschaft hat das Strafverfahren im
Dezember 2009 gemäß § 170 Abs. 2 der
Strafprozessordnung eingestellt.
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Nach erfolglosem Einspruchsverfahren gegen
die Steuerbescheide der Jahre 1995 bis 2001, 2003 bis 2005 erhob
der Kläger am 3.8.2010 Klage vor dem FG. Mit Schriftsatz vom
11.10.2010 trug der Kläger ergänzend vor. Am 14.4.2011
begründete das FA seinen Antrag auf Klageabweisung und wies
dabei unter Bezugnahme auf Urteile des Bundesfinanzhofs (BFH)
darauf hin, es sei zur Bejahung eines inländischen Wohnsitzes
weder eine Mindestnutzungsdauer erforderlich noch müsse sich
der Lebensmittelpunkt im Inland befinden. Das FG übersandte
diesen Schriftsatz am 19.4.2011 dem Kläger mit der Bitte um
Stellungnahme.
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Am 24.10.2012 teilte der Kläger
persönlich dem FG seine Adressänderung in der Schweiz
mit. Mit Schreiben vom 29.10.2012 wurde der Kläger vom FG an
die Erledigung des Schreibens vom 19.4.2011 erinnert. Mit
Schriftsatz vom 31.10.2012 nahm der Kläger erneut Stellung und
verwies darauf, dass die vom FA zitierte BFH-Rechtsprechung nicht
einschlägig sei, da sie sich nur auf Fälle bezogen habe,
in denen kein Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) anwendbar gewesen
sei. Im Streitfall müsse die Frage des Wohnsitzes aber im
Kontext mit den einschlägigen DBA geprüft werden. Am
9.1.2013 verzichtete das FA auf eine weitergehende
Stellungnahme.
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Am 27.7.2013 erhob der Kläger
Verzögerungsrüge.
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Nach einem senatsinternen
Berichterstatterwechsel lud das FG am 17.9.2014 die Beteiligten zur
mündlichen Verhandlung am 5.11.2014. Am 30.9.2014 wurden zu
diesem Termin auch sechs Zeugen geladen. Am 22.10.2014 wies der
Berichterstatter zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung
darauf hin, die Bestimmung des Wohnsitzes enthalte ein Zeitelement,
bei dem auf die Sechsmonatsfrist des § 9 Satz 2 AO
zurückgegriffen werden könne. Er bat das FA im Hinblick
auf die bislang zusammengetragenen Indizien sowie die Frage der
eigenen örtlichen Zuständigkeit zu überprüfen,
ob die Steuerbescheide aufrechterhalten werden sollten. Da das FA
mit Schriftsatz vom 24.10.2014 und auch der Kläger mit
Schriftsatz vom 29.10.2014 die Vernehmung weiterer Zeugen
beantragten, wurde der Termin zur mündlichen Verhandlung auf
den 16.12.2014 verlegt. In diesem Termin sagte das FA zu, die
streitgegenständlichen Bescheide aufzuheben. Daraufhin
erklärten der Kläger und das FA übereinstimmend den
Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt.
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Am 8.4.2015 hat der Kläger
Entschädigungsklage gegen das Land Nordrhein-Westfalen
(Beklagter) erhoben. Er rügt, die Verfahrensdauer von 50 1/2
Monaten müsse nicht hingenommen werden. Hinzu komme, dass das
Verfahren bei der Finanzverwaltung bereits seit Juni 2006
anhängig gewesen sei.
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Er habe zwar auf die Klageerwiderung des FA
erst aufgrund der erneuten Anfrage des FG geantwortet. In dem
Schriftsatz des FA sei jedoch nur Rechtsprechung angeführt
worden, die das FG auf den ersten Blick als nicht einschlägig
hätte erkennen können. Mangels Ausführungen zum
Sachverhalt habe es daher einer Gegenäußerung des
Klägers nicht bedurft. Insgesamt betrachtet sei der
Verfahrensgegenstand nicht allzu schwierig gewesen.
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Sein Interesse an einer schnellen
Verfahrensbeendigung ergebe sich daraus, dass er im
Unterliegensfall 6 % Zinsen p.a. hätte zahlen müssen, da
er die Steuern nicht entrichtet habe. Hinzu komme, dass er zur
Sicherung der vom FA geforderten Steuerschuld eine
Bankbürgschaft habe erbringen müssen, die ihn
jährlich 1.500 EUR gekostet habe. Hätte er beim FG
verloren, wäre wegen Einkommensteuer,
Solidaritätszuschlag, Gewerbesteuer und Zinsen seit 1995 sowie
der Kosten des Verfahrens ein Betrag von bis zu 1 Mio. EUR auf ihn
zugekommen, den er nicht hätte bezahlen können, so dass
er zum Sozialfall geworden wäre. Diese Umstände
hätten bei ihm zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen
geführt.
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Der Kläger beantragt
sinngemäß, den Beklagten zu verurteilen, an ihn wegen
überlanger Dauer des beim FG Köln durchgeführten
Klageverfahrens 2 K 2472/10 eine Entschädigung für
materielle sowie immaterielle Nachteile in Höhe von mindestens
2.400 EUR zu zahlen.
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Der Beklagte beantragt, die Klage
abzuweisen.
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Die Dauer des Verfahrens sei unter
Berücksichtigung der Rechtsprechung des angerufenen Senats
nicht unangemessen. Die Anwendung der in § 198 Abs. 1 Satz 2
GVG genannten Kriterien lasse eher eine längere
Verfahrensdauer angemessen erscheinen. Der Schwierigkeitsgrad des
Verfahrens sei hoch gewesen. Die Klageschrift sei mit 37 Seiten
zuzüglich zahlreicher Anlagen überdurchschnittlich
umfangreich gewesen. Abgesehen von den generellen Besonderheiten
von Fällen, denen eine Steuerfahndungsprüfung zugrunde
liege, sei das Verfahren dadurch gekennzeichnet gewesen, dass der
Sachverhalt nicht sofort durchschaubar sowie streitig gewesen sei
und bereits zum Zeitpunkt des Klageantrags lange zurückgelegen
habe. Außerdem habe es sich um einen Sachverhalt mit
Auslandsbezug gehandelt, in dem Steuerbescheide aus drei Staaten zu
prüfen gewesen seien. Da die Kriterien, wann eine Wohnung i.S.
des § 8 AO beibehalten werde, schwer zu fassen und daher
letztlich Tatfrage seien, sei im Streitfall eine umfangreiche
Sachverhaltsaufklärung, die zudem die private Sphäre des
Klägers betroffen habe, erforderlich gewesen, was auch die
umfangreiche Beweisaufnahme gezeigt habe.
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Die Bedeutung des Verfahrens für den
Kläger stelle sich zweischneidig dar. Einerseits sei die
Steuerschuld von nicht unbeträchtlicher Höhe gewesen,
andererseits habe das FA Aussetzung der Vollziehung (AdV)
gewährt, so dass sich der Kläger während der
gesamten Verfahrensdauer keinen fälligen Forderungen des FA
gegenüber gesehen habe, auch wenn er bei Klageabweisung
Aussetzungszinsen gemäß § 237 AO hätte tragen
müssen.
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Umstände, die für eine besondere
Eilbedürftigkeit sprächen, seien vom Kläger weder
dargelegt worden noch seien sie für das FG sonst ersichtlich
gewesen. Die erste Phase des Klageverfahrens, die vom FG nur schwer
zu steuern sei, habe bis zum Verzicht des FA auf eine weitere
Stellungnahme im Januar 2013 fast zweieinhalb Jahre gedauert. Der
Kläger habe selbst zur zeitlichen Ausdehnung des Verfahrens
beigetragen, da er erst auf erneute gerichtliche Aufforderung vom
29.10.2012 die erbetene Stellungnahme zur Klageerwiderung des FA
vom 14.4.2011 abgegeben habe. Es hätte dem Kläger
oblegen, dem FG mitzuteilen, er sehe von einer Stellungnahme ab.
Das FG habe nicht davon ausgehen können, dass der Kläger
auf eine Replik habe verzichten wollen.
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Daher sei der Zeitraum von 20 Monaten (vom
9.1.2013 bis zum 17.9.2014), in dem das Verfahren nach Aktenlage
durch das FG nicht fortbetrieben wurde, hinzunehmen gewesen. Dies
zeige auch das Senatsurteil vom 19.3.2014 X K 8/13 (BFHE 244, 521,
BStBl II 2014, 584 = SIS 14 15 45), in dem ein gerichtlicher
Untätigkeitszeitraum von 20 Monaten als unschädlich
angesehen wurde. Die Dauer des vorangegangenen
Verwaltungsverfahrens sei hingegen grundsätzlich nicht zu
berücksichtigen (vgl. Senatsurteil vom 19.3.2014 X K 3/13,
BFH/NV 2014, 1053 = SIS 14 15 88).
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Sollte eine unangemessene Verfahrensdauer
bejaht werden, erscheine die Feststellung der überlangen
Verfahrensdauer ausreichend, da der Kläger nicht zu erkennen
gegeben habe, dass ihm an einer besonders zügigen
Verfahrenserledigung gelegen gewesen sei. Er habe sich zur
Klageerwiderung des FA vom 14.4.2011 erst am 31.10.2012
geäußert und sich bis auf die Erhebung der
Verzögerungsrüge auch nicht nach dem Sachstand des
Verfahrens erkundigt.
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Rein vorsorglich werde darauf hingewiesen,
dass der geltend gemachte Entschädigungsanspruch jedenfalls
der Höhe nach ungerechtfertigt sei. Es könne - wenn
überhaupt - nur innerhalb eines Zeitfensters vom 9.1.2013
(Verzicht auf eine weitere Stellungnahme des FA) oder der Erhebung
der Verzögerungsrüge am 27.7.2013 bis zur aktenkundigen
Fortbetreibung des Verfahrens durch das FG eine unangemessene
Verfahrensdauer in Betracht kommen. Es seien keine Umstände
erkennbar, die die Festsetzung eines höheren Betrages
rechtfertigen könnten.
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Zudem stelle die Avalprovision, die
für die Erbringung der Bürgschaft zu zahlen gewesen sei,
keinen materiellen Schaden dar, weil ihr die Erlangung eines
Liquiditäts- und Zinsvorteils gegenüberstehe. Die
höchstrichterliche Rechtsprechung im Hinblick auf den Erlass
von Aussetzungszinsen bei gewährter AdV im Falle
überlanger Verfahrensdauer, die einen Billigkeitserlass
ablehne (vgl. BFH-Urteil vom 21.2.1991 V R 105/84, BFHE 163, 313,
BStBl II 1991, 498 = SIS 91 11 17), könne auch auf dieses
Verfahren übertragen werden. Auch seien die Zinsen
gegenzurechnen, die der Kläger aus der Anlage des vom FA
freigegebenen Betrages von 200.000 EUR erzielt habe.
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II. Die Klage hat Erfolg. Das Klageverfahren 2
K 2472/10 beim FG Köln war um 20 Monate verzögert (unter
1.). Dem Kläger steht wegen der überlangen Dauer des
Verfahrens für einen Zeitraum von 19 Monaten eine
Entschädigung für materielle Nachteile in Höhe von
2.375 EUR sowie für immaterielle Nachteile in Höhe von
1.900 EUR zu (unter 2.). In Bezug auf die Verzögerung des
Verfahrens im September 2012 kann wegen der verspätet
erhobenen Verzögerungsrüge lediglich die Verzögerung
des Verfahrens festgestellt werden (unter 3.).
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1. Die Dauer des Verfahrens war unangemessen
i.S. des § 198 GVG.
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a) Gemäß § 198 Abs. 1 Satz 2
GVG richtet sich die Angemessenheit der Verfahrensdauer nach den
Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der
Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten
der Verfahrensbeteiligten und Dritter. Diese gesetzlichen
Maßstäbe beruhen auf der ständigen Rechtsprechung
des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR)
und des Bundesverfassungsgerichts (vgl. hierzu und zum Folgenden
ausführlich Senatsurteil vom 7.11.2013 X K 13/12, BFHE 243,
126, BStBl II 2014, 179 = SIS 13 32 59, unter II.2., auf das zur
Vermeidung von Wiederholungen wegen der Einzelheiten Bezug genommen
wird). Nach dieser Entscheidung ist der Begriff der
„Angemessenheit“ für Wertungen offen, die
dem Spannungsverhältnis zwischen dem Interesse an einem
möglichst zügigen Abschluss des Rechtsstreits einerseits
und anderen, ebenfalls hochrangigen sowie verfassungs- und
menschenrechtlich verankerten prozessualen Grundsätzen - wie
dem Anspruch auf Gewährung eines effektiven Rechtsschutzes
durch inhaltlich möglichst zutreffende und qualitativ
möglichst hochwertige Entscheidungen, der Unabhängigkeit
der Richter und dem Anspruch auf den gesetzlichen Richter -
Rechnung tragen. Danach darf die zeitliche Grenze bei der
Bestimmung der Angemessenheit der Dauer des Ausgangsverfahrens
nicht zu eng gezogen werden; dem Ausgangsgericht ist ein
erheblicher Spielraum für die Gestaltung seines Verfahrens -
auch in zeitlicher Hinsicht - einzuräumen. Zwar schließt
es die nach der Konzeption des § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG
vorzunehmende Einzelfallbetrachtung aus, im Rahmen der Auslegung
der genannten Vorschrift konkrete Fristen zu bezeichnen, innerhalb
derer ein Verfahren im Regelfall abschließend erledigt sein
sollte. Gleichwohl kann für ein finanzgerichtliches
Klageverfahren, das im Vergleich zu dem typischen in dieser
Gerichtsbarkeit zu bearbeitenden Verfahren keine wesentlichen
Besonderheiten aufweist, die Vermutung aufgestellt werden, dass die
Dauer des Verfahrens angemessen ist, wenn das Gericht gut zwei
Jahre nach dem Eingang der Klage mit Maßnahmen beginnt, die
das Verfahren einer Entscheidung zuführen sollen, und die
damit begonnene („dritte“) Phase des
Verfahrensablaufs nicht durch nennenswerte Zeiträume
unterbrochen wird, in denen das Gericht die Akte unbearbeitet
lässt. Diese Vermutung gilt indes nicht, wenn der
Verfahrensbeteiligte rechtzeitig und in nachvollziehbarer Weise auf
Umstände hinweist, aus denen eine besondere
Eilbedürftigkeit des Verfahrens folgt.
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b) Nach diesen Grundsätzen war das
Ausgangsverfahren um 20 Monate verzögert.
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aa) Die Anwendung der in § 198 Abs. 1
Satz 2 GVG beispielhaft genannten Kriterien vermittelt im
Streitfall kein einheitliches Bild. So war der Schwierigkeitsgrad
des Verfahrens eher als überdurchschnittlich anzusehen, da zur
Lösung des Streitfalles nicht nur nationales Recht zu
prüfen war, sondern auch Fragen des jeweils anzuwendenden DBA
berücksichtigt werden mussten. Sowohl die umfangreiche
Klageschrift samt beigefügtem Ordner als auch die Tatsache,
dass ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren vorausgegangen war,
ließen erwarten, dass eine umfängliche und
überdurchschnittlich zeitaufwändige
Sachverhaltsermittlung des FG notwendig werden würde.
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In Bezug auf die Bedeutung des Verfahrens
für den Kläger ist zum einen zu berücksichtigen,
dass - wie der Kläger dargelegt hat und auch für das FG
erkennbar war - die Frage, ob er in den Streitjahren im Inland
steuerpflichtig war, für ihn angesichts der hohen in Streit
stehenden Steuerbeträge von existentieller Bedeutung war.
Indes hat der Kläger in dem Verfahren nie explizit darauf
hingewiesen, dass es notwendig sei, das Verfahren beschleunigt zu
bearbeiten. Er hat es vielmehr sogar zugelassen, dass das Verfahren
knapp eineinhalb Jahre überhaupt nicht gefördert
wurde.
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bb) Die vom Senat erkannte Verzögerung
des Rechtsstreits um 20 Monate ergibt sich aus einer Betrachtung
des konkreten Verfahrensablaufs.
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(1) In dem seit dem 3.8.2010 beim FG
anhängigen Klageverfahren endete der Wechsel der
vorbereitenden Schriftsätze zwischen den Beteiligten und damit
die sog. erste Phase nach zwei Jahren und fünf Monaten am
9.1.2013, als das FA auf eine weitergehende Stellungnahme
verzichtete. Das FG hätte nach gut zwei Jahren, also im
September 2012, mit der Bearbeitung des Verfahrens beginnen
müssen. Es ist dem FG zwar zuzugeben, dass es nach seiner
Aufforderung zur Stellungnahme von dem Kläger noch eine
Äußerung zur Klageerwiderung des FA erwarten durfte und
nicht davon ausgehen musste, das Verfahren sei bereits
ausgeschrieben. Dennoch hat die fehlende Reaktion des Klägers
das FG nicht davon entbunden, das Verfahren nach gut zwei Jahren
voranzutreiben, was es jedoch verabsäumt hat. Das bedeutet,
dass im September 2012 das Verfahren verzögert wurde.
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(2) In der Zeit von Oktober 2012 bis Januar
2013 wurde das Verfahren gefördert. Es ist nicht als
unangemessen anzusehen, wenn das FG etwas mehr als zwei Monate auf
eine angeforderte Stellungnahme des FA wartet.
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(3) Ab Februar 2013 bis August 2014 wurde das
Verfahren vom FG erneut nicht gefördert. Das FG hat selbst die
Verzögerungsrüge des Klägers nicht zum Anlass
genommen, tätig zu werden, so dass das Verfahren um weitere 19
Monate verzögert war.
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(4) Vom September 2014 an wurde das Verfahren
sachgerecht und zügig mit dem Ergebnis betrieben, dass das FA
in der mündlichen Verhandlung vom 16.12.2014 die Aufhebung der
Steuerbescheide zusagte und die Beteiligten den Rechtsstreit in der
Hauptsache für erledigt erklärten.
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2. Für die Verzögerung des
Rechtsstreits von Februar 2013 bis August 2014, also für 19
Monate, steht dem Kläger eine Entschädigung für die
erlittenen materiellen und immateriellen Schäden zu.
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a) Der materielle Nachteil i.S. des § 198
Abs. 1 GVG liegt darin, dass der Kläger für die Zeit der
überlangen Verfahrensdauer die Kosten der vom FA geforderten
Bankbürgschaft zu tragen hatte. Da die Belastung jährlich
1.500 EUR betrug, ist während der neunzehnmonatigen
Verzögerung ein zu entschädigender Vermögensschaden
in Höhe von 2.375 EUR entstanden.
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aa) Im Gegensatz zur Auffassung des Beklagten
ist die BFH-Rechtsprechung zum Billigkeitserlass bei
Aussetzungszinsen nicht auf die Entschädigung der materiellen
Nachteile wegen einer überlangen Verfahrensdauer
übertragbar. Es geht nicht um die Überprüfung, ob es
zu einem nicht gewollten und im Einzelfall unbilligen Überhang
einer gesetzlichen Regelung gekommen ist, sondern vielmehr darum,
ob ein Verfahrensbeteiligter infolge unangemessener Dauer eines
Gerichtsverfahrens einen Nachteil erlitten hat, der
gemäß § 198 Abs. 1 GVG angemessen zu
entschädigen ist. Der materielle Nachteil muss dabei durch die
unangemessene Verfahrensdauer im Verantwortungsbereich des in
Anspruch genommenen Rechtsträgers verursacht worden sein. Der
Entschädigungsanspruch umfasst als Vermögensnachteile
insbesondere auch Kostenerhöhungen im Ausgangsverfahren
aufgrund der Verzögerung (BTDrucks 17/3802, 19).
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Zur Ermittlung des materiellen Nachteils muss
geprüft werden, wie das Verfahren ohne die Verzögerung
verlaufen wäre; das Ergebnis ist dann dem tatsächlichen
Geschehensablauf gegenüberzustellen (ähnlich auch
Roderfeld in Marx/Roderfeld, Rechtsschutz bei überlangen
Gerichts- und Ermittlungsverfahren, 2013, § 198 GVG, Rz 67;
Schwarz in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 155 FGO Rz 85;
Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, Zivilprozessordnung, 74.
Aufl., § 198 GVG Rz 16).
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bb) Im Streitfall hätte der Kläger
19 Monate früher vom FA die Zusage erhalten, dass wegen seines
fehlenden inländischen Wohnsitzes die
streitgegenständlichen Steuerbescheide aufgehoben würden.
Die Verpflichtungen der Bank aus der Bankbürgschaft wären
19 Monate früher beendet worden, so dass vom Kläger
für diesen Zeitraum keine Avalprovisionen zu zahlen gewesen
wären. Damit sind deren Kosten durch die Verzögerung
verursacht worden.
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38
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cc) Die Avalprovisionen sind - entgegen der
Auffassung des Beklagten - nicht um ggf. erhaltene Zinsen zu
mindern. Bei der Bemessung des Entschädigungsanspruches sind
zwar die Zinsvorteile, die sich aus den Vorschriften der AO zur
Vollverzinsung ergeben, nach den Grundsätzen der
Vorteilsausgleichung zu berücksichtigen, um eine
Überkompensation zu vermeiden (BTDrucks 17/3802, 19). Ein
Gegenrechnen von Zinsvorteilen aufgrund der Vollverzinsung kommt im
Streitfall aber nicht in Betracht, da es zu keiner
Rückerstattung von zu viel gezahlter Steuer gekommen ist. Die
Berücksichtigung der möglicherweise erhaltenen Zinsen aus
einer Anlage des vom FA freigegebenen Betrages von 200.000 EUR ist
ebenfalls nicht möglich, da sie dem Kläger
unabhängig von der Dauer des Verfahrens zugeflossen wären
bzw. sind. Wäre der Rechtsstreit zügig beendet worden,
hätte der Kläger die Zinsen ebenso erhalten wie er sie
tatsächlich erhalten hat.
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39
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b) Das Bestehen eines
Nichtvermögensnachteils wird in Fällen unangemessener
Verfahrensdauer gemäß § 198 Abs. 2 Satz 1 GVG
vermutet (vgl. auch Senatsurteil vom 17.4.2013 X K 3/12, BFHE 240,
516, BStBl II 2013, 547 = SIS 13 14 53, unter III.6.a). Eine
Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß § 198 Abs.
2 Satz 2, Abs. 4 GVG wäre im Streitfall für die
unangemessene Verzögerung nicht ausreichend. Dafür
spricht vor allem, dass das FG auf die Verzögerungsrüge
des Klägers über ein Jahr lang nicht reagiert hat.
Umstände dafür, dass der in § 198 Abs. 2 Satz 3 GVG
genannte Regelbetrag von 1.200 EUR für jedes Jahr der
Verzögerung vorliegend unbillig (§ 198 Abs. 2 Satz 4 GVG)
sein könnte, sind nicht ersichtlich. Die Entschädigung in
Geld nach § 198 Abs. 2 Satz 3 GVG kann nach Monaten bemessen
werden (ständige Senatsrechtsprechung, vgl. z.B. Urteil vom
20.8.2014 X K 9/13, BFHE 247, 1, BStBl II 2015, 33 = SIS 14 25 64,
Rz 38), so dass dem Kläger eine Entschädigung wegen
immaterieller Nachteile für 19 Monate in Höhe von
insgesamt 1.900 EUR zu gewähren ist.
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40
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3. In Bezug auf die Untätigkeit des
Gerichts im September 2012 kann lediglich die überlange
Verfahrensdauer festgestellt werden, da die erst im Juli 2013
erhobene Verzögerungsrüge, die gemäß §
198 Abs. 3 Satz 1 GVG notwendige Voraussetzung für eine
Entschädigung ist, nicht unbeschränkt auf eine bereits
zehn Monate zurückliegende Verfahrensverzögerung
zurückwirken kann.
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41
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a) Während nach § 198 Abs. 3 Satz 2
GVG die Verzögerungsrüge erst erhoben werden darf, wenn
Anlass zur Besorgnis besteht, dass das Verfahren nicht in einer
angemessenen Zeit abgeschlossen werden kann, legt das GVG nicht
fest, bis zu welchem Zeitpunkt eine Verzögerungsrüge
spätestens erhoben werden muss. Eine gesetzliche Regelung
findet sich lediglich in der - im Streitfall nicht anwendbaren -
Übergangsvorschrift des Art. 23 Satz 2 des Gesetzes über
den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und
strafrechtlichen Ermittlungsverfahren für bereits bei dessen
Inkrafttreten verzögerte Verfahren; in diesen Fällen wird
eine unverzügliche Rüge gefordert.
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42
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Einige Passagen der Gesetzesmaterialien
könnten dafür sprechen, dass es grundsätzlich
unschädlich ist, wenn die Rüge nach dem in § 198
Abs. 3 Satz 2 GVG bestimmten Zeitpunkt eingelegt wird. So wird in
der Begründung zum Entwurf der Bundesregierung eines Gesetzes
über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren
und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren ausgeführt, die
Geduld eines Verfahrensbeteiligten solle nicht bestraft werden.
Stelle das Verhalten des Betroffenen allerdings bei Würdigung
der Gesamtumstände eher ein „dulde und
liquidiere“ dar, so könne das
Entschädigungsgericht dies sowohl bei der Beurteilung der
Angemessenheit der Verfahrensdauer gemäß § 198 Abs.
1 GVG berücksichtigen als auch bei der Frage, ob
Wiedergutmachung auf andere Weise durch Feststellung der
Überlänge gemäß Abs. 4 ausreiche (BTDrucks
17/3802, 21). Der Bundesrat regte daraufhin im
Gesetzgebungsverfahren an, diese von der Bundesregierung
vorgenommene Auslegung des Gesetzestextes, die sich nicht aus dem
Regelungstext sowie der Gesetzessystematik herleiten lasse und nur
in der Begründung zum Ausdruck gebracht werde, gesetzlich
klarzustellen (BTDrucks 17/3802, 35), was die Bundesregierung
jedoch ablehnte, da sie insoweit keinen Klarstellungsbedarf sah.
Sie wies darauf hin, dass der Regelungsvorschlag keine Unklarheit
im Hinblick auf die grundsätzliche Unschädlichkeit einer
Verspätung der Verzögerungsrüge aufweise. Weder im
Anspruchstatbestand des § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG noch bei der
Rügeobliegenheit in § 198 Abs. 3 Satz 2 GVG werde eine
Wahrung des in § 198 Abs. 3 Satz 2 GVG genannten
frühestmöglichen Zeitpunkts als Voraussetzung für
die Gewährung und die Bemessung der Entschädigung
benannt. Daraus folge klar, dass grundsätzlich eine
Verspätung nicht relevant sei und „Geduld“
nicht „bestraft“ werden solle. Werde die
Verzögerungsrüge bewusst sehr spät i.S. eines
„dulde und liquidiere“ eingelegt, könne das
Entschädigungsgericht dies schon bei der Beurteilung der
Angemessenheit der Verfahrensdauer und bei der Frage, ob eine
Wiedergutmachung auf andere Weise ausreichend sei,
berücksichtigen. Für die Entschädigung wegen
immaterieller Nachteile enthalte § 198 Abs. 4 GVG
überdies eine Möglichkeit zur Reduzierung der
Entschädigung, falls der volle Pauschbetrag nach den
Umständen des Einzelfalls unbillig sei (BTDrucks 17/3802,
41).
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43
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Hieraus schließen sowohl der
Bundesgerichtshof (BGH) als auch das Bundessozialgericht (BSG) in
obiter dicta und damit den erkennenden Senat nicht bindend, dass
die Verzögerungsrüge lediglich im laufenden
Ausgangsverfahren erhoben werden müsse, ohne dass ein
Endtermin bestimmt und damit eine Frist für die Rüge
festgelegt werde (so BGH-Urteil vom
10.4.2014 III ZR 335/13, NJW 2014, 1967, Rz 31) und eine verspätet erhobene
Verzögerungsrüge unschädlich sei (BSG-Urteil vom
5.5.2015 B 10 ÜG 8/14 R, Sozialrecht 4 1710 Art. 23 Nr. 4, Rz
24). Im Schrifttum wird ebenfalls die Auffassung vertreten, auch
verspätete, d.h. nach dem in § 198 Abs. 3 Satz 2 GVG
normierten Zeitpunkt erhobene Verzögerungsrügen seien
grundsätzlich uneingeschränkt geeignet, den
Entschädigungsanspruch zu wahren (so Stiepel in Beermann/
Gosch, FGO § 155 Rz 109; Kissel/Mayer,
Gerichtsverfassungsgesetz, 8. Aufl. 2015, § 198 Rz 20, m.w.N.;
ähnlich auch Brandis in Tipke/Kruse, Abgabenordnung,
Finanzgerichtsordnung, § 155 FGO Rz 14 „Rüge
trotz eindeutiger Verfahrensverzögerung ‘erst in letzter
Minute’“).
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b) Diesen Überlegungen vermag sich der
erkennende Senat nicht anzuschließen. Eine unbeschränkt
zurückwirkende Verzögerungsrüge entspräche dem
präventiven Aspekt des Gesetzeszwecks nicht, sondern
ließe diesen leerlaufen. Das System des § 198 GVG, mit
dem die EGMR-Rechtsprechung umgesetzt worden ist, sieht erkennbar
eine Kombination aus zwei Modellen vor. Zum einen wird nach der
sog. „Kompensationslösung“ für
Verzögerungen eine nachträgliche Geldentschädigung
oder anderweitige Genugtuung gewährt. Zum anderen aber soll
die Verzögerungsrüge im jeweiligen Einzelfall eine
„konkret-präventive Beschleunigungswirkung“
(so ausdrücklich BTDrucks 17/3802, 16, Rz 4) entfalten und
nach der gesetzlichen Konzeption so dazu beitragen, dass es erst
gar nicht zu einer entschädigungspflichtigen Verzögerung
kommt. Diese mit der Verzögerungsrüge intendierte
konkret-präventive Beschleunigungswirkung würde
entwertet, wenn es für den Erhalt bzw. die Höhe einer
Geldentschädigung überhaupt nicht darauf ankäme, zu
welchem Zeitpunkt nach Eintritt der Verzögerung sie erstmals
erhoben wurde. So hat auch der Rechtsausschuss des Deutschen
Bundestages im weiteren Verlauf der Gesetzesberatungen die
„Kombination aus präventiven und kompensatorischen
Regelungselementen“ ausdrücklich begrüßt
(BTDrucks 17/7217, 27); sie gehört daher eindeutig zum
Regelungskonzept des Gesetzgebers.
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Zudem heißt es in den
Gesetzesmaterialien, die Verzögerungsrüge solle
„dem Ausgangsgericht Anlass zur Prüfung geben und
eine Abhilfemöglichkeit eröffnen“ (BTDrucks
17/3802, 16, Rz 5). Auch dieser vom Gesetzgeber beabsichtigte
Effekt könnte nicht eintreten, wenn auch eine erst sehr lange
nach dem Beginn der Verzögerung erhobene Rüge - die daher
für die bereits eingetretene Verzögerung keine
Prüfungs- und Abhilfemöglichkeit mehr eröffnet - mit
unbeschränkter Rückwirkung für die Höhe der
Geldentschädigung ausgestattet wäre. Dies lüde
vielmehr zu dem seitens des Gesetzgebers ausdrücklich
missbilligten „dulde und liquidiere“ regelrecht
ein.
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c) Aus diesen Gründen und auch um die
Vorhersehbarkeit und Berechenbarkeit der Rechtsprechung im Bereich
der Entschädigungsklagen zu verbessern, erscheint es dem
erkennenden Senat notwendig, den in der Rechtspraxis nur schwer
fassbaren Zeitraum eines unzulässigen „Duldens und
Liquidierens“ durch eine Vermutungsregel zu typisieren.
Ihm erscheint dabei für den Regelfall ein Zeitraum von gut
sechs Monaten, für den eine Verzögerungsrüge
zurückwirkt, als angemessen und zumutbar. Gesetzliche
Anhaltspunkte für diese Zeitspanne sind § 198 Abs. 3 Satz
2 GVG, wonach eine Verzögerungsrüge frühestens nach
sechs Monaten wiederholt werden kann, sowie § 198 Abs. 5 Satz
1 GVG, wonach die Entschädigungsklage frühestens sechs
Monate nach Erhebung der Verzögerungsrüge einzureichen
ist; diese muss zudem spätestens sechs Monate nach Eintritt
der Rechtskraft im Ausgangsverfahren erhoben werden (§ 198
Abs. 5 Satz 2 GVG).
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Für einen Entschädigungskläger
ist die hierin liegende Einschränkung der Rückwirkung
auch deshalb zumutbar, weil nur sehr geringe Anforderungen daran
gestellt werden, ein Verhalten oder eine Äußerung des
Klägers als Verzögerungsrüge auszulegen (vgl.
Senatsurteil in BFHE 243, 126, BStBl II 2014, 179 = SIS 13 32 59,
Rz 27). Auch ist der Zeitraum, innerhalb dessen der künftige
Entschädigungskläger die Verzögerungsrüge
treffen muss, durch deren begrenzte Rückwirkung nicht
unzumutbar knapp bemessen: Zwar ist eine eindeutig zu früh
erhobene Rüge unwirksam; für eine wirksame Rüge ist
aber nicht Voraussetzung, dass objektiv schon eine Verzögerung
eingetreten ist, sondern es genügt, dass die
„Besorgnis der Gefährdung“ besteht (so
BTDrucks 17/3802, 20).
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4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135
Abs. 1 i.V.m. § 155 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung.
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