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I. Die
Beteiligten streiten über die umsatzsteuerrechtliche
Behandlung von sog. Bereitstellungsentgelten bei
Zwangsräumungen.
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Die Klägerin
und Revisionsbeklagte (Klägerin) betreibt ein
Speditionsunternehmen in der Rechtsform einer GmbH. Sie führt
u.a. im Auftrag von Gerichtsvollziehern Zwangsräumungen durch.
Hierfür erhält sie - gestaffelt nach der Anzahl der zu
räumenden Zimmer - ein Entgelt, das der Umsatzsteuer
unterworfen wird. Werden Zwangsräumungen innerhalb von vier
Tagen vor dem Räumungstermin vom zuständigen
Gerichtsvollzieher abgesagt, so erhält sie von diesem 30 % des
für eine tatsächlich durchgeführte Räumung
vereinbarten Entgelts. Die Klägerin hat die sog.
Bereitstellungsentgelte nicht der Umsatzsteuer unterworfen.
Bestimmte Vorbereitungshandlungen für eine bevorstehende
Wohnungsräumung, wie etwa Zurverfügungstellung von
Personal, Fahrzeugen oder Räumlichkeiten, erbringt sie bis zum
Kündigungstermin nicht.
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Im Rahmen einer
Außenprüfung für die Streitjahre 1995 bis 1999
vertrat der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -
) die Auffassung, dass auch die sog. Bereitstellungsentgelte der
Umsatzsteuer zu unterwerfen seien. Den Einspruch der Klägerin
wies das FA zurück.
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Das
Finanzgericht (FG) gab der Klage statt; die Klägerin habe keine steuerbaren Leistungen
erbracht. Die Entscheidung ist veröffentlicht in EFG
2008, 1073 = SIS 08 26 70.
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Zur
Begründung seiner Revision trägt das FA vor,
kennzeichnend für einen nicht steuerbaren Schadensersatz sei,
dass die Vergütung für ein vertragswidriges Verhalten
geschuldet und somit losgelöst vom ursprünglichen
Rechtsgrund gezahlt werde. Die sog. Bereitstellungsentgelte
würden dagegen nicht für eine vertragswidrige
Auflösung gezahlt, sondern für eine Leistung innerhalb
des vereinbarten Leistungsaustausches, denn es handele sich bei der
Zahlung um einen für Zwangsräumungen typischen Vorgang
und dieser beruhe nicht auf einem vom ursprünglichen
Rechtsgrund losgelösten eigenen Rechtsgrund. Nach den
Abrechnungen werde die von vornherein festgelegte
Abstandspauschale für eine bestimmte
und nach Anzahl der Wagen und Arbeitskräfte genau bezeichnete
Leistung bezahlt.
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Zu Unrecht sei
das FG unter Verweis auf das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom
27.8.1970 V R 159/66 (BFHE 100, 259, BStBl II 1971, 6 = SIS 71 00 06) davon ausgegangen, dass die Klägerin noch keine Leistung
erbracht habe. Denn dort sei nicht, wie hier, eine sonstige
Leistung Vertragsgegenstand gewesen, sondern eine Werklieferung,
bei der der Liefervorgang im Vordergrund stehe und damit die
Verschaffung der Verfügungsmacht an der bestellten Sache.
Gegenstand der sonstigen Leistung im Streitfall sei hingegen nicht
nur die eigentliche Räumung, sondern seien auch etwaige
„Vorleistungen“, zu denen gehöre, dass die
Klägerin durch organisatorische Maßnahmen sicherstelle,
zum vereinbarten Termin über die notwendigen Kapazitäten
zu verfügen.
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Das FA beantragt
sinngemäß, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage
abzuweisen.
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Die Klägerin
beantragt, die Revision zurückzuweisen.
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II. Die Revision ist
unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2
der Finanzgerichtsordnung - FGO - ). Zutreffend ist das FG
zu dem Ergebnis gekommen, dass die sog. Bereitstellungsentgelte
nicht im Rahmen eines Leistungsaustausches i.S. des § 1 Abs. 1
Nr. 1 des Umsatzsteuergesetzes in der in den Streitjahren geltenden
Fassung (UStG) gezahlt worden sind, weil ihnen keine Leistungen der
Klägerin gegenüberstanden.
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1. Sonstige Leistungen, die ein Unternehmer im
Inland gegen Entgelt im Rahmen seines Unternehmens ausführt,
unterliegen gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG der
Umsatzsteuer. Sonstige Leistungen sind Leistungen, die keine
Lieferungen sind (§ 3 Abs. 9 Satz 1 UStG).
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a) Für das Vorliegen einer entgeltlichen
Leistung, die in Übereinstimmung mit Art. 2 Nr. 1 der Sechsten
Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17.5.1977 zur Harmonisierung
der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die
Umsatzsteuern (Richtlinie 77/388/EWG) nach § 1 Abs. 1 Nr. 1
UStG steuerbar ist, sind nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs
der Europäischen Union (EuGH), der sich der BFH angeschlossen
hat, im Wesentlichen folgende unionsrechtlich geklärten
Grundsätze zu berücksichtigen:
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Zwischen der Leistung und dem erhaltenen
Gegenwert muss ein unmittelbarer Zusammenhang bestehen, wobei
die gezahlten Beträge die
tatsächliche Gegenleistung für eine bestimmbare Leistung
darstellen, die im Rahmen eines zwischen dem Leistenden und
dem Leistungsempfänger bestehenden Rechtsverhältnisses, in dem gegenseitige
Leistungen ausgetauscht werden, erbracht wurde (EuGH-Urteile
vom 18.7.2007 Rs. C-277/05 -
Societé thermale d’Eugénie-les-Bains -, Slg.
2007, I-6415, BFH/NV Beilage 2007, 424 =
SIS 07 28 58, Rz 19; vom 21.3.2002 Rs. C-174/00 - Kennemer Golf & Country
Club -, Slg. 2002, I-3293, BFH/NV Beilage 2002, 95 = SIS 02 07 71,
Rz 39, und vom 3.3.1994 Rs.
C-16/93 - Tolsma -, Slg. 1994, I-743, UR 1994, 399 = SIS 94 14 34,
Rz 13; BFH-Urteile vom 19.2.2004 V R 10/03, BFHE 205, 495, BStBl II
2004, 675 = SIS 04 27 20; vom 5.12.2007 V R 60/05, BFHE 219, 455,
BStBl II 2009, 486 = SIS 08 17 97, jeweils m.w.N.;
Schlosser-Zeuner in Bunjes/Geist, UStG,
9. Aufl., § 1 Rz 14 ff., 28, m.w.N.).
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Dabei bestimmt sich in erster Linie nach dem
der Leistung zugrunde liegenden Rechtsverhältnis, ob die
Leistung des Unternehmers derart mit der Zahlung verknüpft
ist, dass sie sich auf die Erlangung einer Gegenleistung (Zahlung)
richtet (BFH-Urteil vom 18.12.2008 V R 38/06, BFHE 225, 155, BStBl
II 2009, 749 = SIS 09 19 44).
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Echte Entschädigungs- oder
Schadensersatzleistungen sind demgegenüber kein Entgelt im
Sinne des Umsatzsteuerrechts, wenn die Zahlung nicht für eine
Lieferung oder sonstige Leistung an den Zahlungsempfänger
erfolgt, sondern weil der Zahlende nach Gesetz oder Vertrag
für den Schaden und seine Folgen einzustehen hat (vgl.
BFH-Urteil vom 10.12.1998 V R 58/97, BFH/NV 1999, 987 = SIS 98 59 19).
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b) Entsprechend diesen Grundsätzen hat
der EuGH in seinem Urteil Societé thermale
d’Eugénie-les-Bains (Slg. 2007, I-6415, BFH/NV Beilage
2007, 424) entschieden, dass die von einem Gast an einen
Hotelbetreiber als Angeld geleisteten Beträge in Fällen,
in denen der Erwerber von der ihm eröffneten Möglichkeit
des Rücktritts Gebrauch macht und der Hotelbetreiber diese
Beträge einbehält, als pauschalierte Entschädigung
zum Ausgleich des infolge des Vertragsrücktritts des Gastes
entstandenen Schadens - ohne direkten Bezug zu einer entgeltlichen
Dienstleistung - und als solche nicht als mehrwertsteuerpflichtig
anzusehen sind.
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Da die Zahlung des
Angelds zum einen kein Entgelt für eine eigenständige,
bestimmbare Leistung darstelle, die der Hotelbetreiber seinem Gast
erbracht habe, und die Einbehaltung des Angelds nach einer
Stornierung zum anderen den Zweck habe, die Folgen der
Nichterfüllung des Vertrags auszugleichen, falle weder die
Zahlung noch die Einbehaltung des Angelds unter Art. 2 Nr. 1 der
Richtlinie 77/388/EWG (Rz 35 des Urteils). Das Angeld sei keine
Gegenleistung für eine der Mehrwertsteuer unterliegende
Reservierungsleistung, die sich bereits direkt aus dem
Beherbergungsvertrag ergebe, sondern eine pauschalierte
Entschädigungszahlung, bei der es normal sei, dass der Betrag
des entstandenen Schadens und das einbehaltene Angeld in den
meisten Fällen nicht übereinstimmten (Rz 23 f. und 32 f.
des Urteils).
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2. Unter Berücksichtigung dieser
Grundsätze stellen die sog.
Bereitstellungsentgelte eine pauschalierte Entschädigung und
kein Entgelt für eine Dienstleistung dar.
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a) Nach der zwischen der Klägerin und den
Gerichtsvollziehern getroffenen Vereinbarung erhält sie 30 %
der für eine tatsächlich durchgeführte Räumung
vereinbarten Pauschale, wenn die Zwangsräumung innerhalb von
vier Tagen vor dem Räumungstermin vom zuständigen
Gerichtsvollzieher abgesagt wird.
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Wird ein Speditionsvertrag vorzeitig
gekündigt, so behält der Unternehmer grundsätzlich
den Anspruch auf die vereinbarte Vergütung. Er muss sich
jedoch gemäß § 649 Satz 2 des Bürgerlichen
Gesetzbuchs (BGB) ersparte Aufwendungen oder dasjenige, was er
durch anderweitige Verwendung seiner Arbeitskraft erzielt oder zu
erwerben böswillig unterlässt, anrechnen lassen (vgl.
z.B. Beschluss des Landgerichts Frankfurt vom 19.9.2005 2/9 T
614/05, Deutsche Gerichtsvollzieherzeitung 2006, 115).
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Für den Fall der Kündigung eines
Frachtvertrages ist in § 415 Abs. 2 des Handelsgesetzbuches
(HGB) ausdrücklich geregelt, dass der Frachtführer
entweder die vereinbarte Fracht unter Anrechnung bestimmter
Beträge oder „ein Drittel der vereinbarten Fracht
(Fautfracht)“ verlangen kann. Das Rechtsinstitut der
„Fautfracht“ (vgl. hierzu auch BFH-Urteile vom
22.1.1970 V R 118/66, BFHE 98, 225, BStBl II 1970, 363 = SIS 70 02 01, und vom 27.8.1970 V R 130/66, BFHE 100, 150, BStBl II 1970, 856
= SIS 70 04 72) versteht sich als eine gesetzlich festgelegte,
pauschale Kündigungsentschädigung, die nach der
Begründung der Bundesregierung zum Entwurf eines Gesetzes zur
Neuregelung des Fracht-, Speditions- und Lagerrechts
(Transportrechtsreformgesetz) weder Leistungsentgelt noch
Schadensersatz ist (BTDrucks 13/8445, S. 45; vgl. auch
MünchKommHGB/Czerwenka, § 415 Rz 17). Die Bundesregierung
hat den Vorteil der „Fautfracht“ darin gesehen,
dass auf diese Weise eine leicht handhabbare, zugleich streit- und
prozessverhindernde Regelung geschaffen werden könne (BTDrucks
13/8445, S. 45).
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Da ein Gerichtsvollzieher Nichtkaufmann ist,
unterliegt der Speditionsvertrag nicht den Vorschriften des HGB,
sondern des BGB. Es steht den Vertragspartnern jedoch frei, den
Inhalt ihres Rechtsverhältnisses einschließlich der
Folgen eines eventuellen Rücktritts oder der etwaigen
Nichterfüllung ihrer Verpflichtungen unter Beachtung
zwingender Vorschriften und der öffentlichen Ordnung zu
bestimmen (EuGH-Urteil
Societé thermale d’Eugénie-les-Bains
in Slg. 2007, I-6415, BFH/NV
Beilage 2007, 424, Rz 28 f.). Dabei muss es ihnen insbesondere
gestattet sein, eine Rechtsfolge, die der Gesetzgeber für
Kaufleute für den Fall der Kündigung als vorteilhaft
angesehen und deshalb wahlweise vorgesehen hat, ausdrücklich
zu vereinbaren.
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Die vertraglich vereinbarte pauschale
Kündigungsentschädigung kann umsatzsteuerrechtlich nicht
anders qualifiziert werden als die in § 415 Abs. 2 Nr. 2 HGB
ausdrücklich geregelte (vgl. dazu BFH-Urteile in BFHE 98, 225,
BStBl II 1970, 363 = SIS 70 02 01, und in BFHE 100, 150, BStBl II
1970, 856 = SIS 70 04 72). Deshalb gilt für beide Fälle,
dass es sich jedenfalls nicht um ein Leistungsentgelt handelt und
die pauschale Entschädigung daher nicht der Umsatzsteuer
unterliegt.
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b) Die Entscheidung, dass die sog.
Bereitstellungsentgelte nicht als Leistungsentgelte zu beurteilen
sind, steht auch im Einklang mit der Rechtsprechung des EuGH in dem
oben zitierten Urteil Societé thermale
d’Eugénie-les-Bains (Slg. 2007, I-6415, BFH/NV Beilage
2007, 424). Das „Angeld“ und die
Bereitstellungsentgelte sind vergleichbar, so dass es sich in
beiden Fällen um eine pauschalierte
Kündigungsentschädigung ohne Entgeltcharakter
handelt.
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