Arbeitnehmer-Abfindung, DBA-Belgien, Verständigungsvereinbarung: 1. Art. 15 Abs. 1 DBA-Belgien ermöglicht kein deutsches Besteuerungsrecht für eine Abfindungszahlung, die eine in Belgien ansässige Person von ihrem bisherigen inländischen Arbeitgeber aus Anlass der Kündigung des Arbeitsverhältnisses erhält (Bestätigung der ständigen Rechtsprechung). - 2. Eine Übereinkunft zwischen den deutschen und belgischen Steuerbehörden (Verständigungsvereinbarung mit dem belgischen Finanzministerium vom 15.12.2006 über die Zuordnung des Besteuerungsrechts bei Abfindungen an Arbeitnehmer, bekannt gegeben durch BMF-Schreiben vom 10.1.2007, BStBl 2007 I S. 261 = SIS 07 03 35) nach Maßgabe von Art. 25 Abs. 3 DBA-Belgien bindet die Gerichte nicht (ebenfalls Bestätigung der ständigen Rechtsprechung). - 3. Natürliche Personen, die nach § 1 Abs. 3 EStG 2002 auf Antrag als unbeschränkt steuerpflichtig behandelt werden, unterfallen nicht der sog. Rückfallregelung des § 50 d Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 EStG 2002 i.d.F. des JStG 2007. (zur Anwendung vgl. BMF-Schreiben vom 13.4.2010, IV B 3 - S 1301/10/10003, BStBl 2010 I S. 353 = SIS 10 09 11) - Urt.; BFH 2.9.2009, I R 90/08; SIS 09 33 03
I. Der Kläger und Revisionsbeklagte
(Kläger) und seine Ehefrau hatten ihren Wohnsitz im Streitjahr
2005 in Belgien. Der Kläger erzielte im Streitjahr in
Deutschland Einkünfte aus nichtselbständiger
Tätigkeit. Sein Arbeitgeber kündigte ihm aus
betriebsbedingten Gründen zum 31.12.2005.
Aus Anlass dieser Kündigung erhielt
der Kläger im Streitjahr neben einem Bruttoarbeitslohn in
Höhe von 53.023,14 EUR eine Abfindung in Höhe von 19.110
EUR und eine Jubiläumszuwendung in Höhe von 1.074 EUR.
Die Abfindung zahlte der Arbeitgeber in Höhe von 7.200 EUR
steuerfrei aus. Die Jubiläumszuwendung und den nicht
steuerfrei belassenen Teil der Abfindung besteuerte der Arbeitgeber
nach § 34 Abs. 1 und 2 Nr. 2 i.V.m. § 24 Nr. 1 des
Einkommensteuergesetzes (EStG 2002) ermäßigt.
Mit ihrer Einkommensteuererklärung
2005 beantragten der Kläger und seine Ehefrau die
Durchführung einer Einkommensteuerveranlagung nach den
Grundsätzen der unbeschränkten Steuerpflicht
gemäß § 1 Abs. 3 EStG 2002. Beigefügt war eine
Bescheinigung EU/EWR (nach § 1 Abs. 3 Satz 4 EStG 2002), aus
der sich ergab, dass weder der Kläger noch seine Ehefrau in
Belgien im Streitjahr Einkünfte erzielt hatten, die dort der
Besteuerung unterlagen.
Der Beklagte und Revisionskläger (das
Finanzamt - FA - ) setzte die Einkommensteuer gemäß
§ 1 Abs. 3 EStG 2002 nach den Grundsätzen der
unbeschränkten Steuerpflicht fest. Die Abfindung in Höhe
von 19.110 EUR bezog er dabei nach Abzug des Freibetrags von 7.200
EUR nach § 3 Nr. 9 EStG 2002 in die Steuerfestsetzung mit ein
(angesetzter Bruttoarbeitslohn 66.008 EUR); die Abfindung und die
Jubiläumszuwendung wurden der sog. Fünftel-Regelung nach
§ 34 Abs. 1 und 2 Nr. 2 i.V.m. § 24 Nr. 1 EStG 2002
unterworfen. Das FA bezog sich im Hinblick auf die Besteuerung der
Abfindung auf die zwischen dem Bundesministerium der Finanzen (BMF)
der Bundesrepublik Deutschland und dem Finanzministerium des
Königreichs Belgien am 15.12.2006 getroffene
Verständigungsvereinbarung gemäß Art. 25 Abs. 3 des
Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem
Königreich Belgien zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und
zur Regulierung verschiedener anderer Fragen auf dem Gebiete der
Steuern vom Einkommen und vom Vermögen einschließlich
der Gewerbesteuer und der Grundsteuern vom 11.4.1967 (BGBl II 1969,
18, BStBl I 1969, 39) i.d.F. des Zusatzabkommens vom 5.11.2002
(BGBl II 2003, 1616) - DBA-Belgien - ; das BMF hat diese
Verständigungsvereinbarung in seinem Schreiben vom 10.1.2007
(BStBl I 2007, 261 = SIS 07 03 35) bekannt gegeben.
Die Klage gegen den hiernach ergangenen
Einkommensteuerbescheid war erfolgreich. Das Finanzgericht (FG)
Köln gab ihr durch Urteil vom 13.8.2008 4 K 3363/07 statt; das
Urteil ist in EFG 2008, 1775 = SIS 08 39 34
veröffentlicht.
Seine Revision stützt das FA auf
Verletzung materiellen Rechts. Es beantragt, das FG-Urteil
aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
Das dem Revisionsverfahren beigetretene BMF
hat sich in der Sache dem FA angeschlossen, jedoch keine eigenen
Anträge gestellt.
II. Die Revision ist unbegründet.
1. Das FA hat dem Antrag des Klägers, der
im Streitjahr im Inland weder einen Wohnsitz noch einen
gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in Belgien auch keine
Einkünfte erzielte, die nicht der deutschen Besteuerung
unterlagen, zu Recht entsprochen und ihn nach Maßgabe des
§ 1 Abs. 3 EStG 2002 mit den inländischen Einkünften
aus nichtselbständiger Arbeit i.S. des § 49 Abs. 1 Nr. 4
(i.V.m. § 19) EStG 2002 (i.d.F. des Zweiten Gesetzes zur
Änderung steuerlicher Vorschriften -
Steueränderungsgesetz 2003 [StÄndG 2003] - vom
15.12.2003, BGBl I 2003, 2645, BStBl I 2003, 710) als
unbeschränkt steuerpflichtig behandelt.
a) Zu diesen Einkünften aus
nichtselbständiger Arbeit gehört gemäß §
49 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. d EStG 2002 i.d.F. des
Steueränderungsgesetzes 2003 auch die in Rede stehende
Abfindung. Denn diese wurde nach den bindenden tatrichterlichen
Feststellungen als Entschädigung i.S. des § 24 Nr. 1 EStG
2002 für die Auflösung eines Dienstverhältnisses
gezahlt und die für die zuvor ausgeübte Tätigkeit
bezogenen Einkünfte haben der inländischen Besteuerung
unterlegen. Die Voraussetzungen des § 49 Abs. 1 Nr. 4 Buchst.
d EStG 2002 i.d.F. des Steueränderungsgesetzes 2003 sind damit
erfüllt. Das ist unter den Beteiligten auch nicht
streitig.
b) Eine Veranlagung des Klägers und
seiner Ehefrau gemäß § 1 Abs. 3 EStG 2002 setzt
voraus, dass deren Einkünfte im Streitjahr mindestens zu 90
v.H. der deutschen Einkommensteuer unterlagen oder die nicht der
deutschen Einkommensteuer unterliegenden Einkünfte nicht mehr
als 12.272 EUR im Kalenderjahr betrugen (§ 1 Abs. 3 Satz 2,
§ 1a Abs. 1 Nr. 2 EStG 2002). Jedenfalls die alternative
Höchstbetragsgrenze von 12.272 EUR wurde im Streitfall nicht
überschritten. Zwar belief sich die gezahlte Abfindung auf
19.110 EUR. Da diese in Höhe von 7.200 EUR nach § 3 Nr. 9
EStG 2002 steuerfrei war, lagen die nicht der deutschen
Einkommensteuer unterliegenden Einkünfte (s. dazu nachfolgend
unter 2.) in Höhe der verbleibenden 11.910 EUR unter dem
schädlichen Betrag von 12.272 EUR (s. dazu BMF-Schreiben vom
6.12.1995, BStBl I 1995, 803 = SIS 96 02 55; Gosch in Kirchhof,
EStG, 8. Aufl., § 1 Rz 34, m.w.N.).
2. Das Deutschland nach innerstaatlichem Recht
zustehende Besteuerungsrecht für die Abfindung wurde durch das
DBA-Belgien beschränkt; das Besteuerungsrecht steht nach Art.
15 Abs. 1 DBA-Belgien Belgien als dem Wohnsitzstaat des
Klägers zu.
a) Art. 15 Abs. 1 Sätze 1 und 2
DBA-Belgien, der die Behandlung von Einkünften aus einer
unselbständigen Arbeit regelt, bestimmt, dass Löhne,
Gehälter und ähnliche Vergütungen, die eine in einem
Vertragsstaat ansässige Person aus unselbständiger Arbeit
bezieht, nur in diesem Staat besteuert werden können, es sei
denn, dass die Arbeit in dem anderen Vertragsstaat ausgeübt
wird. Wird die Arbeit dort ausgeübt, so können die
dafür bezogenen Vergütungen in dem anderen Staat
besteuert werden.
Wie der Senat wiederholt entschieden hat (z.B.
Urteile vom 24.2.1988 I R 143/84, BFHE 152, 500, BStBl II 1988, 819
= SIS 88 11 58; vom 27.8.2008 I R 81/07, BFHE 222, 560, BStBl II
2009, 632 = SIS 08 44 46; vom 10.7.1996 I R 83/95, BFHE 181, 155,
BStBl II 1997, 341 = SIS 97 03 85; Beschluss vom 12.9.2006 I B
27/06, BFH/NV 2007, 13 = SIS 06 47 93, jeweils m.w.N.), folgt
daraus, dass Abfindungen anlässlich der Beendigung eines
Dienstverhältnisses nicht im Tätigkeitsstaat, sondern im
Ansässigkeitsstaat zu besteuern sind. Denn bei Abfindungen
handelt es sich unbeschadet dessen, dass sie nach dem insoweit
maßgebenden innerstaatlichen Recht (vgl. Art. 3 Abs. 2
DBA-Belgien) Arbeitslohn (§ 19 EStG 2002) sind, nicht um ein
zusätzliches Entgelt für eine frühere Tätigkeit
i.S. des Art. 15 Abs. 1 Satz 2 DBA-Belgien. Sie werden nicht
für eine konkrete im Inland oder Ausland ausgeübte
Tätigkeit gezahlt, sondern gerade für den Verlust des
Arbeitsplatzes. Ein bloßer Anlasszusammenhang zwischen
Zahlung und Tätigkeit genügt nach dem Abkommenswortlaut
(„dafür“) indes nicht. Die Finanzverwaltung
hat sich dem prinzipiell angeschlossen (BMF-Schreiben vom
14.9.2006, BStBl I 2006, 532 = SIS 06 37 59, dort Tz. 6.3).
b) An dieser Rechtsauffassung, an welcher der
Senat festhält, hat sich infolge der zwischenzeitlichen
Verständigungsvereinbarung der deutschen und belgischen
Finanzbehörden zur Besteuerung von Abfindungen vom 15.12.2006
- und damit nach Ablauf des Streitjahres - nichts
geändert.
aa) Das BMF und das Finanzministerium des
Königreichs Belgien haben sich in jener Vereinbarung
(wiedergegeben im BMF-Schreiben in BStBl I 2007, 261 = SIS 07 03 35) auf der Basis von Konsultationsverhandlungen nach Maßgabe
des Art. 25 Abs. 3 DBA-Belgien darauf verständigt, das
Besteuerungsrecht der beiden Vertragsstaaten danach zuzuteilen, ob
der Abfindung Versorgungscharakter beizumessen ist oder ob es sich
um eine Nachzahlung von Löhnen, Gehältern oder anderen
Vergütungen handelt. In dem ersten Fall kann die Abfindung
danach gemäß Art. 18 DBA-Belgien nur im Wohnsitzstaat
des Empfängers besteuert werden, im zweiten Fall soll
gemäß Art. 15 Abs. 1 DBA-Belgien das sog.
Tätigkeitsortsprinzip gelten. Hintergrund dieser Vereinbarung
ist der Umstand, dass aufgrund der unterschiedlichen Spruchpraxis
der Steuergerichte in Deutschland und in Belgien über die
Besteuerungszuordnung die Gefahr sog. weißer Einkünfte,
also der doppelten Nichtbesteuerung, bestand. Die Vereinbarung
tritt nach ihrem Abs. 5 Satz 1 am Tag nach der Unterzeichnung in
Kraft. Sie ist nach Abs. 5 Satz 3 auch auf alle Fälle
anzuwenden, die - wie der Streitfall - zum Zeitpunkt des
Inkrafttretens der Vereinbarung noch nicht abgeschlossen oder die
Gegenstand eines Verständigungsverfahrens sind. Für die
Beurteilung des Steitfalls ergeben sich daraus jedoch keine
Konsequenzen.
bb) Die Vereinbarung betrifft die Auslegung
des zwischenstaatlichen vereinbarten Abkommenstextes. Sie wird als
solche nach Art. 25 Abs. 3 DBA-Belgien ermöglicht und soll
eine weitgehende Widerspruchsfreiheit bei der Abkommensanwendung
sicherstellen. Die Frage nach der Bindungswirkung einer derartigen
Vereinbarung ist indes umstritten.
Überwiegend (s. z.B. Lehner in
Vogel/Lehner, DBA, 5. Aufl., Art. 25 Rz 154, 166; Vogel, daselbst,
Einl. Rz 109, 200 f.; Lüthi in Gosch/Kroppen/Grotherr, DBA,
Art. 25 OECD-MA Rz 94; Gosch in Lüdicke [Hrsg.], Wo steht das
deutsche Internationale Steuerrecht?, 2009, S. 130 ff., 134;
Schmitz in Strunk/ Kaminski/Köhler,
Außensteuergesetz/Doppelbesteuerungsabkommen, Art. 25 OECD-MA
Rz 64; Eilers in Debatin/Wassermeyer, Doppelbesteuerung, Art. 25 MA
Rz 61; Frotscher, Internationales Steuerrecht, 3. Aufl., Rz 209 f.;
Ismer, IStR 2009, 366; O. Schmidt in Haase,
Außensteuergesetz/Doppelbesteuerungsabkommen, Art. 15 Rz 51
ff.; Becker, daselbst, Art. 25 Rz 42; Kopf in Lang/Jirousek
[Hrsg.], Praxis des Internationalen Steuerrechts, Festschrift
Loukota, 2005, S. 253, jeweils m.w.N.) wird angenommen, dass
zwischen der (völkerrechtlichen) Bindung gegenüber dem
anderen Vertragsstaat, der Bindung innerstaatlicher
Rechtsanwendungsorgane und der Selbstbindung der die
Verständigungsvereinbarung abschließenden und der ihnen
nachgeordneten Behörden zu unterscheiden ist. Innerstaatliche
Wirkungen kann eine solche Vereinbarung für die
rechtsanwendenden Organe, also vor allem die Rechtsprechung, nur
nach Maßgabe der verfassungsrechtlichen Vorgaben des
einzelnen Vertragsstaats entfalten. Das kann im Einzelfall ihre
unmittelbare Wirksamkeit zur Folge haben. Es kann aber auch, wie im
Regelfall in Deutschland, voraussetzen, dass die Vereinbarung
zunächst nach den Grundsätzen des einschlägigen
Verfassungsrechts in einfaches Gesetzesrecht transformiert werden
muss (vgl. Art. 59 Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes - GG - ).
Andernfalls bleibt es bei der Letztverbindlichkeit des Abkommens in
seiner in diesem Sinne in nationales Recht umgesetzten Fassung.
Diese Fassung allein ist vor dem Hintergrund des grundgesetzlichen
Gesetzesvorbehalts (Art. 20 Abs. 3 GG) für die
Abkommensauslegung maßgeblich. Denn aus innerstaatlicher
Sicht handelt es sich bei der nicht transformierten
Verständigungsvereinbarung der beteiligten Finanzverwaltungen
lediglich um ein Verwaltungsabkommen und damit der Rechtsnatur nach
um eine Verwaltungsvorschrift, die nicht auf einer ihrerseits
demokratisch legitimierten Rechtsverordnung i.S. von Art. 80 Abs. 1
GG beruht und die deswegen nicht geeignet ist, positives Recht in
verbindlicher Weise zu verändern. In Einklang mit diesen
Vorgaben hat der Senat bereits durch seine Urteile vom 1.2.1989 I R
74/86 (BFHE 157,39, BStBl II 1990, 4 = SIS 90 25 01) sowie vom
10.7.1997 I R 4/96 (BFHE 181, 158, BStBl II 1997, 15 = SIS 97 06 90) entschieden. Der Streitfall gibt keine Veranlassung, davon
abzurücken.
cc) Das schließt es nicht aus, die
Abkommenspraxis der Vertragsstaaten, wie sie in der
Verständigungsvereinbarung zum Ausdruck kommt, bei der
Abkommensauslegung zu berücksichtigen; es gilt der Grundsatz
der Entscheidungsharmonie. In Einklang damit stehen die
Grundsätze zur Auslegung von Verträgen nach Art. 31 des
Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge
vom 23.5.1969 - WÜRV - (BGBl II 1985, 927), in
innerstaatliches Recht transformiert seit Inkrafttreten des
Zustimmungsgesetzes vom 3.8.1985 (BGBl II 1985, 926) am 20.8.1987
(BGBl II 1987, 757): Ein Vertrag ist danach nach Treu und Glauben
in Übereinstimmung mit der gewöhnlichen, seiner
Bestimmung in ihrem Zusammenhang zukommenden Bedeutung im Lichte
seines Zieles und Zweckes auszulegen. Außer dem bei der
Auslegung zu berücksichtigenden und in Art. 31 Abs. 2
WÜRV näher beschriebenen systematischen
„Zusammenhang“ sind nach Art. 31 Abs. 3
WÜRV in gleicher Weise zu berücksichtigen: a) jede
spätere Übereinkunft zwischen den Vertragsparteien
über die Auslegung des Vertrages oder die Anwendung seiner
Bestimmungen sowie b) jede spätere Übung bei der
Anwendung des Vertrags, aus der die Übereinstimmung der
Vertragsparteien über seine Auslegung hervorgeht. So gesehen
kann ein übereinstimmendes Abkommensverständnis und eine
gemeinsame „Übung“ der beteiligten
Finanzverwaltungen für eine Abkommensauslegung bedeutsam sein
(s. z.B. Senatsurteile vom 25.10.2006 I R 81/04, BFHE 215, 237 =
SIS 07 06 03, sowie I R 18/04, BFH/NV 2007, 875 = SIS 07 61 48,
beide zu leitenden Angestellten als sog. Grenzgänger im Sinne
des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der
Schweizerischen Eidgenossenschaft zur Vermeidung der
Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom
Vermögen vom 11.8.1971 - DBA-Schweiz 1971 - ), das aber immer
nur insofern, als sie sich aus dem Wortlaut des Abkommens ableiten
lassen (vgl. Senatsurteil vom 27.8.2008 I R 64/07, BFHE 222, 553,
BStBl II 2009, 97 = SIS 08 40 97). Auch diese Grundsätze
erzwingen eine Regelungsauslegung also immer nur nach Maßgabe
des Abkommenswortlauts; dieser stellt in abschließender Weise
die „Grenzmarke“ für das
„richtige“ Abkommensverständnis dar.
Daran scheitert im Streitfall die vom FA und
vom BMF verfochtene Auslegung: Der Abkommenstext ist aus Sicht des
erkennenden Senats aus den beschriebenen Gründen hinreichend
eindeutig. Wenn eine Staatenpraxis dennoch wechselseitig von der
bisherigen Abkommensauslegung abweicht, so wird dadurch nicht eine
Auslegung, die insbesondere auf dem Abkommenswortlaut gründet,
bestätigt. Vielmehr läuft dies auf eine - für den
Steuerpflichtigen steuerverschärfende und damit (ggf. und so
auch im Streitfall überdies rückwirkend) belastende -
Abkommensänderung hinaus und ist es allein aus dem bilateralen
Bemühen zu erklären, etwaigen Nichtbesteuerungen der
betreffenden Abfindungen vorzubeugen. Die Umsetzung dieses
Bemühens mag (unbeschadet des Abkommensprinzips der nur
virtuellen Doppelbesteuerung) gerechtfertigt und vor allem in der
abkommensrechtlich (in Art. 25 Abs. 3 DBA-Belgien) vereinbarten
Bekundung angelegt sein, Schwierigkeiten oder Zweifel, die bei der
Auslegung oder Anwendung des Abkommens entstehen, in gegenseitigem
Einvernehmen zu beseitigen. Sie kann vor dem Hintergrund des
Abkommenstextes indes aus deutscher Sicht nur gelingen, wenn die
„spätere Übung“ oder
„Übereinkunft“ in positives und mit dem
Abkommen gleichrangiges Recht erhoben wird. Es gilt erneut der
verfassungsrechtliche Gesetzesvorbehalt. Auf der Basis einer
bloßen Verwaltungsvereinbarung gelingt das deswegen nicht
(vgl. Senatsurteil in BFHE 157, 39, BStBl II 1990, 4 = SIS 90 25 01; s. auch H. Loukota, Steuer und Wirtschaft International - SWI -
2000, 299, 304 ff.; s. auch abgrenzend Senatsurteile vom 17.12.2003
I R 14/02, BFHE 204, 263, BStBl II 2004, 260 = SIS 04 09 26; vom
4.6.2008 I R 62/06, BFHE 222, 255, BStBl II 2008, 793 = SIS 08 33 10; vom 20.8.2008 I R 39/07, BFHE 222, 509, BStBl II 2009, 234 =
SIS 08 42 89). Ob das - wie das BMF vorträgt - nach den
Verfassungsordnungen verschiedener anderer Staaten abweichend
gehandhabt werden kann und wird (vgl. dazu auch, insbesondere in
Bezug auf die Niederlande, Prokisch in Vogel/Lehner, a.a.O., Art.
15 Rz 17a f.; Wassermeyer in Debatin/Wassermeyer, a.a.O., Art. 15
MA Rz 144; s. auch aus österreichischer Sicht M. Lang/ Schuch,
DBA-Österreich, Art. 21 Rz 13; H. Loukota, SWI 2000, 299; Kopf
in Festschrift Loukota, a.a.O., S. 253), ist insofern
unbeachtlich.
dd) Ein anderes Ergebnis folgt weder aus dem
vom BMF herangezogenen Urteil des Bundesverfassungsgerichts
(BVerfG) zu den Auslandseinsätzen der Bundeswehr vom 12.7.1994
2 BvE 3/92, 2 BvE 5/93, 2 BvE 7/93, 2 BvE 8/93 (BVerfGE 90, 286)
noch aus dem Urteil des BVerfG vom 22.11.2001 2 BvE 6/99 (BVerfGE
104, 151, 209) zum NATO-Strategiekonzept. Zwar hebt das BVerfG
insbesondere in dem Urteil in BVerfGE 90, 286 hervor, dass in der
völkerrechtlichen Praxis „fließende
Übergänge zwischen Vertragsauslegung und
Vertragsänderung“ bestehen (unter III.3.a dd der
Entscheidungsgründe). Es liege auch in der Hand der
Vertragspartner, durch eine Vertragsauslegung eine neue Praxis der
Vertragsanwendung begründen zu wollen, selbst dann, wenn diese
Praxis - entgegen der Auffassung der Vertragsparteien - über
den Vertragsinhalt hinausgehe; eines Zustimmungsvorbehalts des
Gesetzgebers (nach Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG) bedürfe es in
derartigen Situationen nicht (ebenda). Das BVerfG stellt aber
zugleich klar, dass der Vollzug solcher Vereinbarungen dann auf
jene Tätigkeiten beschränkt ist, die nicht dem
Gesetzesvorbehalt unterliegen. Ist das nicht der Fall - und der
Senat nimmt dies unter den Gegebenheiten des Streitfalls für
den steuerrechtlich belastenden Zugriff auf die in Rede stehende
Abfindungszahlung aus den dargelegten Erwägungen an -
„besteht ein Handlungsverbot, solange nicht entweder das
nationale Zustimmungsgesetz den innerstaatlichen
Rechtsanwendungsbefehl erteilt oder das Parlament eine sonstige
ausreichende Ermächtigungsgrundlage geschaffen hat“
(unter III.3.a ee der Entscheidungsgründe), woran es
vorliegend jedoch fehlt.
ee) Aus demselben Grund scheidet
schließlich die vom BMF eingeforderte verfassungskonforme
Auslegung des Abkommens (nach Maßgabe des
Leistungsfähigkeitsprinzips, Art. 3 Abs. 1 GG) aus, um der
Gefahr einer doppelten Nichtbesteuerung des Klägers (und damit
sog. weißer Einkünfte) entgegenzutreten (s. dazu erneut
auch Senatsurteile in BFHE 222, 255, BStBl II 2008, 793 = SIS 08 33 10, und in BFHE 222, 509, BStBl II 2009, 234 = SIS 08 42 89).
3. Weitere Rechtsgrundlagen, welche ein
deutsches Besteuerungsrecht an der gezahlten Abfindung zu
begründen vermöchten, sind nicht ersichtlich. Eine solche
ergibt sich namentlich nicht aus § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 1
EStG 2002 (i.V.m. § 52 Abs. 59a Satz 6 EStG 2002) i.d.F. des
Jahressteuergesetzes 2007, BGBl I 2006, 2878, BStBl I 2007, 28 -
JStG 2007 - ) - EStG 2002 n.F. - . Diese Vorschrift zielt zwar
darauf ab, unter näher eingegrenzten Voraussetzungen das
Besteuerungsrecht für bestimmte Einkünfte trotz deren
abkommensrechtlicher Freistellung sicherzustellen, falls es in dem
anderen Vertragsstaat nicht zu einer Besteuerung kommt und deswegen
eine sog. Keinmal- oder doppelte Nichtbesteuerung droht. Diesen
Zweck verwirklicht § 50d Abs. 9 EStG 2002 n.F. allerdings
nicht umfassend, sondern nur für unbeschränkt
Steuerpflichtige. § 50d Abs. 9 EStG 2002 n.F. baut also
erkennbar auf der sog. Freistellungsmethode des Art. 23A des
Musterabkommens der Organisation for Economic Cooperation and
Development auf und bestimmt (nur) hierfür unbeschadet der
bilateral verabredeten Freistellung im Wege eines sog. Treaty
override einseitig den Rückfall des (deutschen)
Besteuerungsrechts. Unter den im Streitfall in Rede stehenden
Vorgaben der sog. fiktiven unbeschränkten Steuerpflicht nach
§ 1 Abs. 3 EStG 2002 geht es jedoch gerade nicht um einen
derartigen „Rückfall“ des
Besteuerungsrechts nach Deutschland als den Wohnsitzstaat infolge
abkommensrechtlich durch diesen gewährter Freistellung
(vorliegend nach Art. 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Art. 15 Abs. 1
DBA-Belgien), sondern um dessen Besteuerungszugriff als
Quellenstaat (nach dem Tätigkeitsortprinzip). Wohnsitzstaat
des Klägers ist und bleibt hingegen Belgien (vgl. zum
Verhältnis der fiktiven unbeschränkten Steuerpflicht nach
§ 1 Abs. 3 EStG 2002 einerseits und der abkommensrechtlichen
Ansässigkeit und Abkommensberechtigung andererseits auch
Senatsurteil vom 20.9.2006 I R 13/02, IStR 2007, 148 = SIS 07 06 67). Nur diese Abkommenskonstellation eines sog.
Outbound-Sachverhalts hat § 50d Abs. 9 EStG 2002 vor Augen;
Einkünfte eines beschränkt Steuerpflichtigen werden
erklärtermaßen nicht einbezogen. Das aber muss sich dann
auch auf natürliche Personen auswirken, welche nicht
tatsächlich (gemäß § 1 Abs. 1 EStG 2002),
sondern lediglich fiktiv nach Maßgabe des § 1 Abs. 3
EStG 2002 mit ihren inländischen Einkünften i.S. des
§ 49 EStG 2002 (vgl. § 1 Abs. 3 Satz 1 letzter Halbsatz
EStG 2002) als unbeschränkt steuerpflichtig behandelt werden.
Der insoweit nicht unterscheidende und deshalb
überschießende Regelungstatbestand („...
unbeschränkt Steuerpflichtigen ...“) in § 50d
Abs. 9 EStG 2002 n.F. ist entsprechend eingeschränkt
aufzufassen (im Ergebnis ebenso z.B. Schönfeld in
Flick/Wassermeyer/Baumhoff, Außensteuerrecht, § 50d Abs.
9 EStG Rz 52 f.; Wagner in Blümich, EStG, KStG, GewStG, §
50d EStG Rz 102; wohl auch Frotscher, EStG, § 50d Rz 131.
Jankowiak, Doppelte Nichtbesteuerung im Internationalen
Steuerrecht, 2009, S. 230; anders Hahn-Joecks in
Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 50d Rz J 7 und K 6;
Nieland in Lademann, EStG, § 50d Rz 412), ohne dass noch zu
prüfen wäre, ob die tatbestandlichen Voraussetzungen der
Vorschrift im Übrigen vorliegen. Ebenso wenig muss der Frage
danach nachgegangen werden, ob die Vorschrift
verfassungsrechtlichen Anforderungen standhält (s. dazu
allgemein - im Hinblick auf das sog. Treaty overriding - z.B.
Gosch, IStR 2008, 413; Frotscher in Spindler/Tipke/Rödder
[Hrsg.], Steuerzentrierte Rechtsberatung, Festschrift für
Schaumburg, 2009, S. 687 ff., sowie konkret - bezogen auf die in
§ 52 Abs. 59a Satz 6 EStG 2002 n.F. angeordnete
Rückwirkung auf noch nicht bestandskräftig abgeschlossene
Verfahren - z.B. Gosch in Kirchhof, a.a.O., § 50d Rz 7;
Schönfeld in Flick/ Wassermeyer/Baumhoff, a.a.O., § 50d
Abs. 9 EStG Rz 31 ff.; Hahn-Joecks in
Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, a.a.O., § 50d Rz K 5, jeweils
m.w.N.).
4. Obwohl die Abfindung aus der
Bemessungsgrundlage der deutschen Einkommensteuer herauszunehmen
ist, unterliegt sie, soweit sie den Freibetrag von 7.200 EUR
übersteigt (§ 3 Nr. 9 EStG 2002), dem
Progressionsvorbehalt (§ 32b Abs. 1 Nr. 3 EStG 2002). Dabei
sind die darin enthaltenen außerordentlichen Einkünfte
mit einem Fünftel zu berücksichtigen (§ 34 Abs. 1
und 2 Nr. 2 i.V.m. § 24 Nr. 1 EStG 2002). Darüber besteht
unter den Beteiligten kein Streit, so dass sich auch dazu weitere
Ausführungen erübrigen.