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A. Der in den Streitjahren 2007 bis 2010 im
Inland wohnende Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger)
erzielte in jenen Jahren als Flugzeugführer einer irischen
Fluggesellschaft Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit.
Die von seinem Arbeitgeber auf diese Beträge zunächst
einbehaltenen und an die irischen Finanzbehörden
abgeführten Steuern wurden auf Antrag des Klägers in
voller Höhe an ihn erstattet.
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Der Beklagte und Revisionskläger (das
Finanzamt - FA - ) unterwarf den Bruttoarbeitslohn der deutschen
Besteuerung. Die Einkünfte seien wegen § 50d Abs. 9 Satz
1 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes 2002 (EStG 2002) i.d.F. des
Jahressteuergesetzes 2007 (JStG 2007) vom 13.12.2006 (BGBI I 2006,
2878, BStBl I 2007, 28) - EStG 2002/2007 - (bzw. des
Einkommensteuergesetzes i.d.F. der Bekanntmachung der Neufassung
des Einkommensteuergesetzes vom 8.10.2009, BGBl I 2009, 3366, BStBl
I 2009, 1346 - EStG 2009 - ) - EStG 2002/2007/2009 - nicht
gemäß Art. XII Abs. 3 i.V.m. Art. XXII Abs. 2 Buchst. a
Doppelbuchst. aa Satz 1 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik
Deutschland und Irland zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur
Verhinderung der Steuerverkürzung bei den Steuern vom
Einkommen und vom Vermögen sowie der Gewerbesteuer vom
17.10.1962 (BGBI II 1964, 267, BStBl I 1964, 321) - DBA-Irland 1962
- von der Bemessungsgrundlage für die Steuer in der
Bundesrepublik Deutschland (Deutschland) auszunehmen.
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Die dagegen erhobene Klage hatte Erfolg.
Das Schleswig-Holsteinische Finanzgericht (FG) gab ihr unter
Hinweis auf das in einer Parallelsache ergangene Senatsurteil vom
11.1.2012 I R 27/11 (BFHE 236, 327 = SIS 12 07 80) durch Urteil vom
1.7.2013 3 K 18/13 statt. Der Senat hat die Revision auf Beschwerde
des FA durch Beschluss vom 17.12.2013 I B 117/13 in Anbetracht der
zwischenzeitlich rückwirkend geänderten Gesetzeslage in
§ 50d Abs. 9 Satz 3 und § 52 Abs. 59a Satz 9 EStG 2009
nach Maßgabe des Gesetzes zur Umsetzung der
Amtshilferichtlinie sowie zur Änderung steuerlicher
Vorschriften vom 26.6.2013 (Amtshilferichtlinie-Umsetzungsgesetz -
AmtshilfeRLUmsG -, BGBl I 2013, 1809, BStBl I 2013, 790) - EStG
2009/2013 - zugelassen.
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Das FA stützt die Revision auf
Verletzung materiellen Rechts und beantragt, das FG-Urteil
aufzuheben und die Klage abzuweisen.
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Der Kläger beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
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B. Die Vorlage an das Bundesverfassungsgericht
(BVerfG) ist gemäß Art. 100 Abs. 1 Satz 1 des
Grundgesetzes (GG) i.V.m. § 80 Abs. 2 Satz 1 des Gesetzes
über das Bundesverfassungsgericht geboten, weil zur
Überzeugung des Senats die Regelung des § 50d Abs. 9 Satz
1 Nr. 2 Satz 1 EStG 2002/2007/2009 gegen bindendes
Völkervertragsrecht als materielle Gestaltungsschranke
verstößt und damit der in Art. 25 GG niedergelegten
Wertentscheidung des Grundgesetzes zum Vorrang der allgemeinen
Regeln des Völkerrechts zuwiderläuft, ohne dass
dafür ein tragfähiger Rechtfertigungsgrund vorliegt.
Dadurch wird der Kläger in seinem durch Art. 2 Abs. 1 i.V.m.
Art. 20 Abs. 3 GG gewährleisteten subjektiven Grundrecht auf
Einhaltung der verfassungsmäßigen Ordnung und damit auch
des sog. Gesetzesvorbehalts verletzt. Der Senat ist überdies
davon überzeugt, dass die rückwirkende Geltung der
Vorschrift des § 50d Abs. 9 Satz 3 EStG 2009/2013, wie sie in
§ 52 Abs. 59a Satz 9 EStG 2009/2013 angeordnet wird, dem
verfassungsrechtlich gewährten Vertrauensschutzgebot und damit
dem Rechtsstaatsgebot des Art. 20 Abs. 3 GG nicht
standhält.
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I. Anwendung von § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr.
2 EStG 2002/2007/2009 im Streitfall
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1. Der Kläger hatte in den Streitjahren
seinen Wohnsitz in Deutschland. Er unterfällt deswegen
gemäß § 1 Abs. 1 EStG 2002/2009 hier mit seinem
Welteinkommen der unbeschränkten Einkommensteuerpflicht.
Dieser Pflicht ist auch der Arbeitslohn (§ 19 EStG 2002)
unterworfen, den er als Flugzeugführer für die irische
Fluggesellschaft in den Streitjahren vereinnahmt hat.
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2. Das Besteuerungsrecht für diesen
Arbeitslohn ist in Deutschland allerdings nach Art. XII Abs. 3
i.V.m. Art. XXII Abs. 2 Satz 1 Buchst. a Doppelbuchst. aa Satz 1
DBA-Irland 1962 von der Bemessungsgrundlage für die
Einkommensteuer auszunehmen, weil es sich hierbei um Einkünfte
aus Quellen innerhalb Irlands handelt, die in Übereinstimmung
mit dem Abkommen in Irland besteuert werden können: Dass es
sich um Einkünfte aus Quellen innerhalb Irlands handelt,
ergibt sich aus Art. XXII Abs. 3 DBA-Irland 1962; Dienstleistungen,
die eine natürliche Person ganz oder überwiegend an Bord
von Luftfahrzeugen erbringt, die eine in einem Vertragsstaat
ansässige Person betreibt, gelten danach als in diesem
Vertragsstaat erbracht. Und die Vergütungen für solche
Dienstleistungen können nach Art. XII Abs. 3 DBA-Irland 1962
in dem Vertragsstaat besteuert werden, in dem sich der Ort der
tatsächlichen Geschäftsleitung des Unternehmens befindet,
im Streitfall also in Irland. In Deutschland verbleibt nach Art.
XXII Abs. 2 Satz 1 Buchst. a Doppelbuchst. aa Satz 2 DBA-Irland
1962 lediglich die Möglichkeit, die Einkünfte
gemäß § 32b EStG 2002/2007/2009 dem
Progressionsvorbehalt zu unterwerfen.
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3. Jedoch wird die Freistellung jener
Einkünfte nach Maßgabe des Abkommens zur Vermeidung der
Doppelbesteuerung nach § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 EStG
2002/2007/2009 ungeachtet des Abkommens nicht gewährt, wenn
die Einkünfte in dem anderen Staat nur deshalb nicht
steuerpflichtig sind, weil sie von einer Person bezogen werden, die
in diesem Staat nicht - soweit hier von Relevanz - aufgrund ihres
Wohnsitzes oder ständigen Aufenthalts unbeschränkt
steuerpflichtig ist. Mit dieser Formulierung will das Gesetz
erreichen, dass das Besteuerungsrecht an Deutschland
zurückfällt, falls der andere Vertragsstaat als
Quellenstaat von dem ihm abkommensrechtlich zugestandenen
Besteuerungsrecht an bestimmten Einkünften im Rahmen der
dortigen beschränkten Steuerpflicht rechtlich keinen Gebrauch
macht.
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Eine derartige Situation ist im Streitfall
nach den tatrichterlichen und den Senat bindenden (vgl. § 118
Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO - ) Feststellungen des FG zu
der irischen Rechtslage gegeben: Irland gebührt nach Art. XII
Abs. 3 DBA-Irland 1962 das Besteuerungsrecht für die in Rede
stehenden Vergütungen des Klägers. Irland verzichtet nach
seinem Steuerrecht aber auf die Einkommensbesteuerung. Zwar ist der
leistende Arbeitgeber - hier die Fluggesellschaft - verpflichtet,
die auf den Arbeitslohn entfallende Steuer als Quellensteuer
einzubehalten und an die Finanzbehörden abzuführen. Dem
beschränkt Steuerpflichtigen steht indes ein Erstattungsrecht
zu. Von diesem Recht hat im Streitfall der Kläger auch
Gebrauch gemacht. Dass die Geltendmachung des Erstattungsanspruchs
antragsgebunden ist, muss an der Regelungslage ebenso wenig
ändern wie der Umstand, dass die Quellensteuerabzugspflicht
temporär oder - bei unterbleibendem Erstattungsantrag - final
eine doppelte Besteuerung eines und desselben Sachverhalts in
Irland und in Deutschland zur Folge haben kann. Es verbleibt
ungeachtet dessen und ungeachtet des notwendigen Erstattungsantrags
dabei, dass die Einkünfte nach materiellem Recht in Irland
abstrakt nicht beschränkt steuerpflichtig sind und der dort
einbehaltenen Quellensteuer (Lohnsteuer) sonach auch keine
abgeltende Wirkung zukommt. Der Tatbestand des § 50d Abs. 9
Satz 1 Nr. 2 EStG 2002/2007/2009 ist damit als solcher
erfüllt.
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4. Die Anwendbarkeit von § 50d Abs. 9
Satz 1 Nr. 2 EStG 2002/2007/2009 wird indessen ihrerseits durch
Abs. 8 der Vorschrift ausgeschlossen.
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a) Diese Vorschrift ordnet in einer mit Abs. 9
Satz 1 Nr. 2 vergleichbaren Weise den Rückfall des
Besteuerungsrechts an Deutschland unbeschadet einer
völkerrechtlich vereinbarten Freistellung von Einkünften
an, dies aber - erstens - nur für Einkünfte eines
unbeschränkt Steuerpflichtigen aus nichtselbständiger
Arbeit und - zweitens -, soweit der Steuerpflichtige nicht
nachweist, dass der andere Vertragsstaat, dem nach dem Abkommen zur
Vermeidung der Doppelbesteuerung das Besteuerungsrecht zusteht, auf
dieses Besteuerungsrecht verzichtet hat oder dass die in diesem
Staat auf die Einkünfte festgesetzten Steuern entrichtet
wurden. Im Streitfall steht nach den beschriebenen tatrichterlichen
Feststellungen fest, dass Irland die in Rede stehenden
Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit des Flugpersonals
nicht in seinen Katalog beschränkt steuerpflichtiger
Einkünfte aufgenommen und insofern auf den ihm
eingeräumten Besteuerungszugriff nach seinem innerstaatlichen
Recht verzichtet hat; der (vorübergehende) Lohnsteuereinbehalt
widerspricht dem (auch hier) nicht. Das erhellt zugleich, dass der
Kläger den erforderlichen Nachweis über den irischen
Besteuerungsverzicht erbracht hat: Was ohnehin feststeht, muss
nicht gesondert nachgewiesen werden.
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b) Es verbleibt deswegen bei der
Einkommensfreistellung. § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 EStG
2002/2007/2009 ändert daran unilateral nichts. Dass die
tatbestandlichen Voraussetzungen (auch) der letzteren Vorschrift
erfüllt sind, ist unbeachtlich. Denn § 50d Abs. 9 Satz 3
EStG 2002/2007/2009 ordnet ausdrücklich an, dass (u.a.)
„Absatz 8 ... unberührt (bleibt)“. Das Gesetz
akzeptiert insofern mit § 50d Abs. 8 EStG 2002 i.d.F. des
Zweiten Gesetzes zur Änderung steuerlicher Vorschriften vom
15.12.2003 (Steueränderungsgesetz 2003 - StÄndG 2003 -,
BGBl I 2003, 2645, BStBl I 2003, 710) - EStG 2002/2004/2009 - den -
einseitigen - Besteuerungsverzicht des anderen Staates (zu den
Verzichtsmotiven s. Wassermeyer/Schwenke in Wassermeyer, DBA, MA
Art. 15 Rz 181) als Ausübung der zwischenstaatlich
vereinbarten Besteuerungszuordnung. Es ist nichts (auch nicht aus
der amtlichen Gesetzesbegründung, vgl. BTDrucks 16/2712, S. 61
f.) dafür ersichtlich, dass diese Akzeptanz durch Abs. 9 Satz
1 Nr. 2 im Verhältnis zu der Regelung in Abs. 8 der Vorschrift
für die Situation der (nicht im Ausland erfassten)
beschränkten Steuerpflicht wieder zurückgenommen werden
soll. Vielmehr hat umgekehrt § 50d Abs. 8 EStG 2002/2004/2009
als die speziellere Vorschrift sowohl inhaltlich als auch in seiner
gesetzessystematischen Stellung gegenüber Abs. 9 Satz 1 Nr. 2
Vorrang und steht demzufolge seinerseits auch nicht unter einem
entsprechenden, gegenläufigen Anwendungsvorbehalt zugunsten
von § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 EStG 2002/2007/2009.
Bestätigt wird das dadurch, dass der Vorbehalt in Abs. 9 Satz
3 zum „Unberührtbleiben“ von § 50d Abs. 8
EStG 2002/2004/2009 sich auf beide dort
rückfallauslösenden Tatbestandsalternativen - nicht
nachgewiesener Besteuerungsverzicht einerseits oder nicht
nachgewiesene Steuerzahlung andererseits - erstreckt und damit
allgemein und unbedingt wirkt, anders als insoweit der nur
eingeschränkte Vorrang einschlägiger
DBA-Rückfallklauseln, der in § 50d Abs. 9 Satz 3 EStG
2002/2007/2009 zwar ebenfalls angeordnet wird, das aber nur
für den Fall, dass die jeweilige DBA-Rückfallklausel die
Freistellung von Einkünften in einem „weiter gehenden
Umfang“ (als § 50d Abs. 9 EStG 2002/2007/2009)
einschränkt (vgl. demgegenüber allerdings die
Denkschriften zu dem neu verhandelten DBA-Großbritannien
sowie dem ebenfalls neu verhandelten DBA-Irland 1962, jeweils vom
30.3.2011, BTDrucks 17/2254, S. 38, und 17/6258, S. 36, wo auch
insoweit ein Spezialitätenvorrang gegenüber Abs. 9
angenommen wird). Das alles ergibt sich bereits aus dem
Senatsurteil in BFHE 236, 327 = SIS 12 07 80, an dem festzuhalten
ist und auf dessen Begründung im Übrigen, um
Wiederholungen zu vermeiden, deshalb verwiesen wird.
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Im Ergebnis ist der Senat in jenem Urteil in
BFHE 236, 327 = SIS 12 07 80 damit der im Schrifttum bis dahin
nahezu einhellig vertretenen Auffassung gefolgt (z.B. Urbahns,
Unternehmensteuern und Bilanzen - StuB - 2011, 420; M. Klein/Hagena
in Herrmann/Heuer/Raupach, § 50d EStG Rz 110, 124; Boochs in
Lademann, EStG, § 50d Rz 411; Schönfeld in
Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, Außensteuerrecht,
§ 50d EStG Rz 142; Frotscher, EStG, § 50d Rz 190; anders
Grotherr in Gosch/Kroppen/Grotherr, DBA, Art. 23A, Art. 23B Rz
75/9). Auch das nachfolgend begleitende Schrifttum hat sich dem
ganz überwiegend angeschlossen (vgl. z.B. Kempermann, FR 2012,
467; J. Becker, BB 2014, 744; Gosch in Kirchhof, EStG, 13. Aufl.,
§ 50d Rz 41g; Hilbert, IStR 2012, 405; Möhrle/Groschke,
IStR 2012, 610; Stöbener/Gach, IStR 2013, 19; C. Pohl,
Internationale Wirtschaftsbriefe - IWB - 2012, 656; Urbahns, StuB
2012, 438; anders z.B. Mitschke, FR 2012, 467, sowie - aber aus
Wettbewerbsgründen gegenüber deutschen Fluggesellschaften
- Sedemund/Hegner, IStR 2012, 315; Sedemund, IStR 2012, 613).
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5. Auch die Vorinstanz ist dem Senatsurteil in
BFHE 236, 327 = SIS 12 07 80 gefolgt. Sie hat aber die
zwischenzeitliche Rechtsentwicklung ignoriert, obschon diese zu
einem anderen Ergebnis führt. Denn in Reaktion auf die
Entscheidung des Senats in BFHE 236, 327 = SIS 12 07 80 hat der
Gesetzgeber des Amtshilferichtlinie-Umsetzungsgesetzes (vom
26.6.2013) das Verhältnis zwischen § 50d Abs. 8 EStG
2002/2004/2009 einerseits und § 50d Abs. 9 EStG 2002/2007/2009
andererseits neu justiert. Nunmehr bleiben nach § 50d Abs. 9
Satz 3 EStG 2009/2013 „Bestimmungen eines Abkommens zur
Vermeidung der Doppelbesteuerung sowie Absatz 8 und § 20
Absatz 2 des Außensteuergesetzes (...) unberührt, soweit
sie jeweils die Freistellung von Einkünften in einem
weitergehenden Umfang einschränken“. Mit anderen Worten:
Die bis dato nur auf Abkommensbestimmungen gemünzte
Verhältnisregelung („welche die Freistellung von
Einkünften in einem weiter gehenden Umfang
einschränkt“) wird jetzt auf alle drei Regelungen, also
neben den einschlägigen Abkommensbestimmungen
gleichermaßen auf § 50d Abs. 8 EStG 2002/2004 sowie auf
§ 20 Abs. 2 des Gesetzes über die Besteuerung bei
Auslandsbeziehungen (Außensteuergesetz - AStG - ), bezogen.
Nur soweit das nicht der Fall ist und der jeweils spezifische
Freistellungsumfang mit jenem von § 50d Abs. 9 Satz 1 EStG
2002/2007/2009 parallel läuft, treten sowohl § 50d Abs. 8
EStG 2002/2004 als auch § 20 Abs. 2 AStG hinter § 50d
Abs. 9 Satz 1 EStG 2002/2007/2009 zurück. Damit wird zwar
nicht gänzlich zweifelsfrei (s. zutreffend Zuber/Ditsch in
Littmann/Bitz/Pust, Die Einkommensteuer, § 50d EStG Rz 172;
Zech/Reinhold, IWB 2014, 384), aber doch hinreichend klar, dass
beide Vorschriften - § 50d Abs. 8 EStG 2002/2004 und §
50d Abs. 9 EStG 2002/2007/2009 im Rahmen ihrer allerdings
voneinander abweichenden tatbestandlichen Erfordernisse (s. dazu
Senatsbeschluss vom 19.12.2013 I B 109/13, BFHE 244, 40 = SIS 14 04 26; Zech/Reinhold, IWB 2014, 384; J. Becker, BB 2014, 744; Gosch,
BFH/PR 2014, 173; Kempermann, Internationale Steuer-Rundschau - ISR
- 2014, 125; Hahn-Joecks in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG,
§ 50d Rz K 14, auch Rz K 7; einschränkend FG
Berlin-Brandenburg, Zwischenurteil vom 29.4.2014 3 K 3227/13, IStR
2014, 529 = SIS 14 17 50, mit zustimmender Anmerkung
Weinschütz. Wiesemann, Entstehung und Vermeidung
systembedingter doppelter Nicht- und Minderbesteuerung in
Outbound-Konstellationen, 2014, S. 448 ff.) - nebeneinander
anwendbar sein sollen. Dass jene Vorschriften als solche ihren
jeweiligen materiellen Regelungsbereichen nach gegenüber
§ 50d Abs. 9 Satz 1 EStG 2002/2007/2009 spezieller sein
mögen, ändert daran nichts (im Ergebnis ebenso z.B. FG
Köln, Beschluss vom 18.10.2013 1 V 1635/13, EFG 2014, 204 =
SIS 14 02 50; FG Berlin-Brandenburg, Zwischenurteil in IStR 2014,
529 = SIS 14 17 50; Gosch in Kirchhof, a.a.O., § 50d Rz 41g;
Zuber/Ditsch in Littmann/Bitz/Pust, ebenda; wohl auch Hahn-Joecks
in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, a.a.O., § 50d Rz K 19;
anders Hagena/Klein, ISR 2013, 267, 273; Hasbargen/Kemper/Franke,
BB 2014, 407; Zech/Reinhold, IWB 2014, 384; Salzmann, IWB 2013,
405).
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6. Auf der Grundlage der vorstehenden
Regelungslage hätte die Revision Erfolg. Der erkennende Senat
müsste, die Verfassungsmäßigkeit des § 50d
Abs. 9 Satz 1 EStG 2002/2007/2009 sowie des § 52 Abs. 59a Satz
9 i.V.m. § 50d Abs. 9 Satz 3 EStG 2009/2013 unterstellt, das
angefochtene Urteil aufheben und die Klage abweisen.
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II. Verfassungsrechtliche Beurteilung
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Der Senat ist jedoch der Überzeugung,
dass § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 EStG 2002/2007/2009 gegen
Völkervertragsrecht verstößt, dass für diesen
Verstoß keine tragfähigen Gründe bestehen und dass
der Kläger infolgedessen in seinem subjektiven Grundrecht auf
die Einhaltung der verfassungsmäßigen Ordnung verletzt
ist (nachfolgend unter II. 1. bis 3.). Er ist überdies davon
überzeugt, dass die Vorschrift dem Gleichheitsgebot des Art. 3
Abs. 1 GG widerspricht. Er ist gleichermaßen davon
überzeugt, dass die in § 52 Abs. 59a Satz 9 EStG
2009/2013 angeordnete rückwirkende Anordnung der neugefassten
Verhältnisbestimmung in § 50d Abs. 9 Satz 3 EStG
2009/2013 verfassungswidrig ist, weil sie das Vertrauen des
Klägers in die vormals gesetzte Regelungslage verletzt
(nachfolgend unter II. 4.).
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1. Die in § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 EStG
2002/2007/2009 getroffene Regelung weicht von Art. XII Abs. 3
DBA-Irland 1962 und der darin völkerrechtlich zwischen beiden
Staaten vereinbarten Verteilung und Zuordnung des
Besteuerungsrechts ab. Sie bricht damit diese Vereinbarung und
verstößt gegen den Grundsatz des pacta sunt servanda,
der gewohnheitsrechtlich zu den allgemeinen Regeln des
Völkerrechts gehört und der insoweit in Art. 26 und Art.
27 des Wiener Übereinkommens über das Recht der
Verträge vom 23.5.1969 (BGBl II 1985, 927) - WÜRV -, in
innerstaatliches Recht transformiert seit Inkrafttreten des
Zustimmungsgesetzes vom 3.8.1985, BGBl II 1985, 926, am 20.8.1987,
BGBl II 1987, 757, kodifiziert ist. Allerdings verwandelt dieser
Grundsatz die einzelnen Normen völkerrechtlicher Verträge
nicht ihrerseits ebenfalls in allgemeine Regeln des
Völkerrechts mit Vorrang vor innerstaatlichem Recht (vgl.
BVerfG-Entscheidung vom 9.6.1971 2 BvR 225/69, BVerfGE 31, 145,
„Milchpulver“, unter Hinweis auf BVerfG-Urteil
vom 26.3.1957 2 BvG 1/55, BVerfGE 6, 309, 363,
„Reichskonkordat“). Vielmehr werden Abkommen zur
Vermeidung der Doppelbesteuerung und damit hier auch das DBA-Irland
1962 in Deutschland nicht unmittelbar, sondern nach Maßgabe
von Art. 59 Abs. 2 GG nur mittelbar in der Form des
Zustimmungsgesetzes vom 25.3.1964 (BGBl II 1964, 266, BStBl I 1964,
321) angewendet. Das (förmliche) Zustimmungsgesetz - sei es
als sog. Transformationsakt, sei es als sog. Vollzugsbefehl
(„Rechtsanwendungsbefehl“, so BVerfG, z.B.
Beschluss vom 14.10.2004 2 BvR 1481/04, BVerfGE 111, 307 = SIS 04 39 67, „Görgülü“; Urteile vom
3.7.2007 2 BvE 2/07, BVerfGE 118, 244,
„ISAF-Mandat“; vom 4.5.2011 2 BvR 2333/08, 2 BvR
2365/09, 2 BvR 571/10, 2 BvR 740/10, 2 BvR 1152/10, BVerfGE 128,
326, „Sicherungsverwahrung I und II“; vgl.
umfassend und zum Diskussionsstand Rauschning in
Dolzer/Vogel/Großhof, Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Art.
59 Rz 137 ff., 144 f., m.w.N.) - ist ein einseitiger Akt des
deutschen Gesetzgebers. Das Abkommen erhält dadurch
innerstaatlich den Rang eines einfachen Bundesgesetzes, das infolge
der normhierarchischen Gleichrangigkeit mit Vorbehalten versehen,
aufgehoben oder geändert werden kann. Ob durch einen Vorbehalt
bzw. durch die Aufhebung oder Änderung Völkerrecht
verletzt würde, ist eine andere Frage, die die formale
Wirksamkeit des Vorbehalts bzw. der Aufhebung oder Änderung
nicht berührt. Aus § 2 (nunmehr § 2 Abs. 1) der
Abgabenordnung ergibt sich nichts anderes, weil die Vorschrift
nicht den Fall betrifft, dass der Gesetzgeber - wie in § 50d
Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 EStG 2002/2007/2009 geschehen -
ausdrücklich eine vom Zustimmungsgesetz abweichende Regelung
trifft; es gilt dann vielmehr der Grundsatz des lex posterior
derogat legi priori. Art. 25 GG ist insoweit nicht angesprochen,
weil Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung nicht zu den
allgemeinen Regeln des Völkerrechts gehören und auch
nicht unter Art. 79 Abs. 1 GG fallen, weshalb die Einfügung
des § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 EStG 2002/2007/2009 kein den
Art. 25 GG im Einzelfall mit der qualifizierten Mehrheit des Art.
79 Abs. 2 GG änderndes Gesetz voraussetzt. Schließlich
gilt im Bereich des Art. 59 Abs. 2 GG kein
„Alles-oder-nichts-Prinzip“. Der innerstaatliche
Gesetzgeber ist im Prinzip frei darin, im Zustimmungsgesetz
Vorbehalte gegenüber der Anwendung bestimmter
Abkommensvorschriften zu verankern.
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21
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2. Wegen dieser Ausgangslage entspricht es
herkömmlicherweise bis heute der wohl überwiegenden
Rechtsauffassung im Schrifttum, dass der unilaterale
„Bruch“ des völkervertragsrechtlich
Vereinbarten - das sog. Treaty overriding - zwar aus
rechtspolitischer Sicht unerfreulich, dass darin aber kein
verfassungsrelevanter Vorgang zu sehen ist (so z.B. Bron, IStR
2007, 431; Musil, Recht der internationalen Wirtschaft - RIW -
2006, 287; derselbe, FR 2012, 149, 151; derselbe IStR 2014, 192;
Stein, IStR 2006, 505; Hahn, IStR 2011, 863; Frotscher,
Steuerberater-Jahrbuch - StbJb - 2009/2010, S. 151; derselbe in
Spindler/Tipke/Rödder [Hrsg.], Steuerzentrierte
Rechtsberatung, Festschrift für Harald Schaumburg, 2009, S.
687; derselbe, IStR 2009, 866. Jansen/Weidmann, IStR 2010, 596;
Brombach-Krüger, Die Unternehmensbesteuerung - Ubg - 2008,
324; Lehner/Waldhoff in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, a.a.O.,
§ 1 Rz A 516a; Lehner, FR 2011, 1087; derselbe, IStR 2011,
733; derselbe, IStR 2014, 189; derselbe in Isensee/Kirchhof
[Hrsg.], Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland,
Band XI Internationale Bezüge, 3. Aufl., 2013, § 251 Rz
56 ff.; Bernhardt in Isensee/Kirchhof, a.a.O., Band VII
Normativität und Schutz der Verfassung, Internationale
Beziehungen, 1. Aufl., 1992, § 174, S. 571; Hofmann, Deutsches
Verwaltungsblatt 2013, 215; Rojahn in v. Münch/Kunig, GGK,
Band I, 6. Aufl., 2012, Art. 24 Rz 5; Heger, Steuer und Wirtschaft
International - SWI - 2011, 95; Karla, Steueranwaltsmagazin - SAM -
2011, 181; Mitschke, DStR 2011, 2221; Wichmann, FR 2011, 1082;
Thiemann, Juristenzeitung - JZ - 2012, 908; Lampert,
Doppelbesteuerungsrecht und Lastengleichheit, 2010, passim;
derselbe, NVwZ 2013, 195; Wiesemann, a.a.O., S. 345 ff.;
Frau/Trinks, Die öffentliche Verwaltung 2013, 228; C. Pohl,
ISR 2014, 158; Schwenke, FR 2012, 443; derselbe in
Baumhoff/Schönfeld [Hrsg.], Doppelbesteuerungsabkommen –
Nationale und internationale Entwicklungen, Forum der
Internationalen Besteuerung, Band 41, 2012, S. 23 f.; Ismer/Baur,
IStR 2014, 421; Rehr, Zur Verfassungswidrigkeit des Treaty
Override, derzeit noch unveröffentlichte Bachelorarbeit der
Bucerius Law School, April 2014). Dem hat sich der erkennende Senat
in seiner früheren Spruchpraxis angeschlossen (vgl. z.B.
Urteil vom 13.7.1994 I R 120/93, BFHE 175, 351, BStBl II 1995, 129
= SIS 94 24 27, dort m.w.N. zur älteren Literatur; Beschluss
vom 17.5.1995 I B 183/94, BFHE 178, 59, BStBl II 1995, 781 = SIS 95 18 32).
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3. Der Senat möchte an dieser
Spruchpraxis - erneut und übereinstimmend mit seinen bereits
an das BVerfG gerichteten Vorlagebeschlüssen vom 10.1.2012 I R
66/09 (BFHE 236, 304 = SIS 12 12 75), dort betreffend die Regelung
in § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG 2002 i.d.F. des
Steueränderungsgesetzes 2003, sowie vom 11.12.2013 I R 4/13
(BFHE 244, 1 = SIS 14 04 27), dort betreffend die Regelungen in
§ 50d Abs. 10 Satz 1 EStG 2002 i.d.F. des Jahressteuergesetzes
2009 (JStG 2009) vom 19.12.2008 (BGBl I 2008, 2794, BStBl I 2009,
74), bzw. i.d.F. der Bekanntmachung der Neufassung des
Einkommensteuergesetzes vom 8.10.2009 und in § 50d Abs. 10
Satz 1 EStG 2009 i.d.F. des Amtshilferichtlinie-Umsetzungsgesetzes
- nicht festhalten. Er ist vielmehr der Überzeugung, dass die
bislang vertretene Einschätzung den verfassungsrechtlichen
Vorgaben und Anforderungen nicht gerecht wird.
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a) Grund dafür gibt ihm die
ursprünglich vor allem von Vogel angefachte (z.B. in
Cagianut/Vallender [Hrsg.], Steuerrecht, Ausgewählte Probleme
am Ende des 20. Jahrhunderts, Festschrift für Ernst Höhn,
1995, S. 461 ff.; in JZ 1997, 161; in
Blankenagel/Pernice/Schulze-Fielitz [Hrsg.], Verfassung im Diskurs
der Welt, Festschrift für Peter Häberle, 2004, S. 481
ff.; in IStR 2005, 29, und in Vogel/Lehner, DBA, 5. Aufl., Einl. Rz
193 ff., 205) und in den letzten Jahren wieder aufgeflammte
intensive Diskussion (z.B. Rust/Reimer, IStR 2005, 843. Jankowiak,
Doppelte Nichtbesteuerung im Internationalen Steuerrecht, 2009, S.
219 ff. und passim; Bron, IStR 2007, 431; Musil, RIW 2006, 287;
derselbe, FR 2012, 149, 151; derselbe, IStR 2014, 192; Stein, IStR
2006, 505; Hahn, IStR 2011, 863; Kempf/Bandl, DB 2007, 1377; Rust,
Die Hinzurechnungsbesteuerung, 2007, S. 108 ff.; Gosch, IStR 2008,
413; derselbe in Kirchhof, a.a.O., § 50d Rz 25; Frotscher,
StbJb 2009/2010, S. 151; derselbe in Spindler/Tipke/Rödder,
a.a.O., S. 687; derselbe, IStR 2009, 593, sowie IStR 2009, 866;
Salzmann, IWB 2014, 226; Schaumburg, IStR, 3. Aufl., Rz 3.24 ff..
Jansen/Weidmann, IStR 2010, 596; Brombach-Krüger, Ubg 2008,
324; Heger, SWI 2011, 95; Karla, SAM 2011, 181; Mitschke, DStR
2011, 2221; Wichmann, FR 2011, 1082; Lehner, FR 2011, 1087;
derselbe, IStR 2011, 733; Drüen in Tipke/Kruse,
Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 2 AO Rz 5a;
Wiesemann, a.a.O., S. 345 ff.; Wassermeyer/Schönfeld in
Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, a.a.O., § 20 AStG
Rz 41 ff.; Lüdicke, Überlegungen zur deutschen
DBA-Politik, 2008, S. 34 ff., 87 ff. und passim; M. Lang in Lehner,
Reden zum Andenken an Klaus Vogel, 2010, S. 59 ff.; Rauschning in
Bonner Kommentar zum Grundgesetz, a.a.O., Art. 59 Rz 137 ff., 143;
Vöneky in Isensee/Kirchhof, a.a.O., Band XI, § 236 Rz 33;
F. Becker, NVwZ 2005, 289; Oellerich in Beermann/Gosch, AO § 2
Rz 86 ff.; Hahn-Joecks in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, a.a.O.,
Rz A 35 ff.), welche ihrerseits an die zwischenzeitliche
Entwicklung der Rechtsprechung des BVerfG anknüpft. Diese
Rechtsprechung wird markiert durch die Beschlüsse in BVerfGE
111, 307 = SIS 04 39 67 (319) - den sog.
Görgülü-Beschluss - sowie vom 26.10.2004 2 BvR
955/00, 2 BvR 1038/01 (BVerfGE 112, 1) - den sog.
Alteigentümer-Beschluss - sowie - nachfolgend darauf aufbauend
- das Urteil in BVerfGE 128, 326 in Sachen
„Sicherungsverwahrung I und II“.
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Das BVerfG bestätigt in diesen
Entscheidungen die aus dem Rechtsstaatsprinzip abzuleitende
Verpflichtung aller staatlichen Organe zur Beachtung der Konvention
zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl II 2010,
1198), die kraft Zustimmung gemäß Art. 59 Abs. 2 GG -
nicht anders als ein Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung
(hier das DBA-Irland 1962) - in den Rang eines innerstaatlichen
Bundesgesetzes überführt worden ist (vgl. z.B. BVerfG,
Beschluss in BVerfGE 111, 307, 316 f. = SIS 04 39 67; Urteil in
BVerfGE 128, 326). Es äußert sich dahin, dass der
Gesetzgeber von Verfassungs wegen gehalten ist,
Völkervertragsrecht zu beachten, wenn nicht ausnahmsweise die
Voraussetzungen vorliegen, von denen das BVerfG die
Zulässigkeit der Abweichung vom Völkervertragsrecht
abhängig macht. Darauf aufbauend ergibt sich aus Sicht des
BVerfG in dem sog. Alteigentümer-Beschluss die Verpflichtung
aller Staatsorgane, „die die Bundesrepublik Deutschland
bindenden Völkerrechtsnormen zu befolgen und Verletzungen nach
Möglichkeit zu unterlassen“. Aus diesen
Erkenntnissen ist - aus Sicht des erkennenden Senats zu Recht - der
Umkehrschluss gezogen worden: Der Gesetzgeber wird von Verfassungs
wegen (und damit basierend auf dem Rechtsstaatsgebot des Art. 20
Abs. 3 GG) in die Pflicht genommen, Völkervertragsrecht zu
beachten. Die prinzipielle Völkerrechtsfreundlichkeit des
Grundgesetzes ist vorrangig. Sie nimmt dem Gesetzgeber - in Abkehr
von der bisherigen (und früher auch vom BVerfG vertretenen, s.
sub B.II.1. und 2.) Sichtweise - „die Verfügungsmacht
über den Rechtsbestand“ (so - mit allerdings noch
anderem Ergebnis - BVerfG-Urteil in BVerfGE 6, 309, 363) und wirkt
für den Gesetzgeber unbeschadet dessen
demokratisch-legitimierten Rechtssetzungsbefugnissen als
unmittelbar bindendes Gebot wie als materiell-rechtliche
„Sperre“. Ausnahmen bedürfen einer
besonderen Rechtfertigung. Die Voraussetzungen dafür sind eng;
im sog. Alteigentümer-Beschluss wird dies präzisiert:
Rechtfertigungsgründe sind die Beachtung der
Menschenwürde, die Beachtung der Grundrechte. Das BVerfG
verschiebt damit nicht die Rangfolge zwischen Zustimmungs- und
speziellem Steuergesetz; es formt und bestimmt jedoch die
inhaltlichen, die materiellen Maßstäbe für das, was
an Spezielle(re)m zulässig ist und weist methodisch den Weg zu
einer Erforderlichkeitsprüfung. Als „in diesem Sinne
rechtsstaatlich kann Art. 59 Abs. 2 GG daher nur dergestalt
gedeutet werden, dass der Gesetzgeber“ mit der Umsetzung
„über seine Gesetzgebungskompetenzen verfügt und
dadurch seine ungebundene Normsetzungsautorität in dem
Maße, das der völkerrechtliche Vertrag vorgibt,
einbüßt“ (so Rust, a.a.O., S. 108 ff.). Ein
Bruch des Völkervertragsrechts ist ausnahmsweise
innerstaatlich bindend, „sofern nur auf diese Weise ein
Verstoß gegen tragende Grundsätze der Verfassung
abzuwenden ist“. Damit weist das BVerfG den methodischen
Weg zur Anwendung des Erforderlichkeitsgrundsatzes auch für
ein Treaty override: Es kommt für den Ausgleich der
widerstreitenden Verfassungsprinzipien von Rechtsstaat und
Demokratie darauf an, ob dem Gesetzgeber gegenüber dem
Vertragsbruch ein gleich sicheres, aber milderes Mittel zu Gebote
steht (so Rust, ebenda; im Ergebnis ebenso z.B. Rust/Reimer, IStR
2005, 843. Jankowiak, a.a.O., S. 219 ff. und passim; Gosch, IStR
2008, 413; derselbe in Kirchhof, a.a.O., § 50d Rz 25;
Schaumburg, a.a.O., Rz 3.24 ff.; Kempf/Bandl, DB 2007, 1377;
Wassermeyer/Schönfeld in
Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, a.a.O., § 20 AStG
Rz 41 ff.; Oellerich in Beermann/Gosch, AO § 2 Rz 89 f.;
Rauschning in Bonner Kommentar zum Grundgesetz, a.a.O., Art. 59 Rz
137 ff., 143; Zech/Reinhold, IWB 2014, 384; s.a. Hahn-Joecks in
Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, a.a.O., Rz A 35 ff.).
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b) Der Senat macht sich diese
Überlegungen zu eigen. Er erkennt in § 50d Abs. 9 Satz 1
Nr. 2 EStG 2002/2007/2009 einen Völkerrechtsverstoß, der
sich nicht nur im Sinne einer möglichen
völkerrechtsfreundlichen Normauslegung auswirkt, sondern der
in dem prinzipiellen Vorrang des Abkommens begründet ist und
der aus verfassungsrechtlicher Sicht die Nichtigkeit der
„abkommensüberschreibenden“ unilateralen
Vorschrift nach sich zieht.
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aa) Bei § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 EStG
2002/2007/2009 handelt es sich um ein Treaty override:
Völkerrechtlich haben Deutschland und Irland sich für
Vergütungen, die an das Flugpersonal für die an Bord der
Luftfahrzeuge erbrachten Dienstleistungen gezahlt werden, auf die
Freistellungsmethode und auf das Quellenprinzip verständigt,
und die Vergütungen können danach unter den im Streitfall
festgestellten Gegebenheiten in jenem Vertragsstaat besteuert
werden, in dem sich der Ort der Geschäftsleitung des
Unternehmens befindet, das die Luftfahrzeuge betreibt. Das ist hier
für den Kläger Irland. Die beschriebene Freistellung ist
in Deutschland vorbehaltlos und unbedingt vereinbart und ebenso
vorbehaltlos und unbedingt kraft Zustimmung in nationales Recht
überführt worden. In Einklang damit fehlt es insoweit an
einer abkommenseigenen Rückfallklausel - einer sog. subject to
tax-Klausel - zugunsten des Ansässigkeitsstaats des
Arbeitnehmers.
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bb) Eine Rechtfertigung für den
Völkerrechtsverstoß erkennt der vorlegende Senat
nicht.
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aaa) Ausweislich der amtlichen
Gesetzesmaterialien (BTDrucks 16/2712, S. 61 f.) ging es dem
Gesetzgeber bei der Regelung des § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 2
EStG 2002/2007 im Kern um die Gleichbehandlung von
inländischen und ausländischen Steuerpflichtigen.
Andernfalls gelange man „zu einer dem Sinn und Zweck der
Freistellungsmethode widersprechenden Nichtbesteuerung (...), wenn
das DBA dem anderen Vertragsstaat das Besteuerungsrecht zuweist,
dieser Staat sich jedoch an der Besteuerung der Einkünfte
gehindert sieht, weil sein innerstaatliches Recht die
Besteuerung“ - so nach Maßgabe von § 50d Abs.
9 Satz 1 Nr. 2 EStG 2002/2007/2009 - „nicht
erfasst“. Vor diesem Hintergrund sei es nicht nur
gerechtfertigt, sondern auch geboten, die Freistellung der
Einkünfte auszuschließen.
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Dieses Gesetzesziel mag vor dem Hintergrund
des allgemeinen Gleichheitssatzes des Art. 3 Abs. 1 GG hinnehmbar
erscheinen. Es blendet indessen aus, dass sich eine derartige
Gleichheit vor dem Hintergrund der abkommensrechtlich verbindlich
eingegangenen Vereinbarungen nicht rechtfertigen lässt. Aus
Verfassungssicht darf nicht außer Acht gelassen werden, dass
ausschließlich im Inland tätige Steuerpflichtige in
einem anderen Regelungszusammenhang agieren. Gleiches gilt für
Steuerpflichtige, welche zwar im Ausland agieren, jedoch in einem
Staat, mit dem Deutschland sich abkommensrechtlich auf die sog.
Anrechnungsmethode verständigt hat. Solchen Steuerpflichtigen
steht keine Steuerfreistellung zu. Richtigerweise muss deswegen
auch die maßgebende Vergleichsgruppe eine andere sein:
Derjenige Steuerpflichtige, der unter den Voraussetzungen der
abkommensrechtlich vereinbarten Freistellungsmethode Einkünfte
vereinnahmt, die aus dem jeweils anderen Vertragsstaat stammen,
kann nur mit ebensolchen Personen verglichen werden. Mit
Steuerpflichtigen, die ausschließlich über entsprechende
Inlandsbeziehungen verfügen oder die mit ihren
Auslandseinkünften unter Anrechnung einer ausländischen
Steuer im Inland besteuert werden, sind Steuerpflichtige mit
einschlägigen, freigestellten Auslandseinkünften so
gesehen bereits im Ausgangspunkt ebenso wenig vergleichbar, wie
dies beschränkt und unbeschränkt Steuerpflichtige sind
(vgl. BVerfG, Beschluss vom 12.10.1976 1 BvR 2328/73, BVerfGE 43,
1, BStBl II 1977, 190 = SIS 77 01 11; s. auch Beschlüsse vom
24.2.1989 1 BvR 519/87, Die Information für Steuerberater und
Wirtschaftsprüfer 1990, 359; vom 9.2.2010 2 BvR 1178/07, IStR
2010, 327 = SIS 10 22 85; s. vor diesem Hintergrund zur
gleichheitsrechtlichen Unvereinbarkeit der Methode der Freistellung
und der Methode der Anrechnung als beiderseitige Methoden zur
Vermeidung der Doppelbesteuerung auch den Antrag des
österreichischen Verwaltungsgerichtshofs vom 24.10.2013 A
2013/0010 an den österreichischen Verfassungsgerichtshof,
abrufbar unter
www.vwgh.gv.at/rechtsprechung/2010150039.pdf?458h7x). Es ist hier
wie dort allein sachgerecht, die inländische (Gesamt-)
Leistungsfähigkeit von der ausländischen
(Teil-)Leistungsfähigkeit zu trennen und beide
Leistungsfähigkeiten im jeweiligen Kontext einerseits mit dem
Welteinkommensprinzip, andererseits mit dem
Territorialitätsprinzip und als deren Konkretisierung und
Ausformung zu erkennen (zutreffend Jankowiak, a.a.O., S. 100 ff.,
m.w.N.). Der Gesetzgeber mag grundsätzlich gleichwohl
legitimiert sein, eine ggf. weiter gehende Gleichbehandlung
anzustreben und dafür andere Vergleichsgruppen als
maßgebend zu bestimmen (so zutreffend insbesondere Wiesemann,
a.a.O., S. 362 ff.). Doch ist seine diesbezügliche Befugnis
eingeschränkt, wenn er sich anderweitig völkerrechtlich
gebunden hat. Die Gleichbehandlung lässt sich in Anbetracht
dessen in verfassungskonformer Weise immer nur im Rahmen einer
möglichen - völkerrechtlich-autonomen -
Abkommensauslegung erreichen. Sie kann jedoch nicht darüber
hinausgehen und verbietet sich, wenn der Abkommenstext und die
Abkommenssystematik eine solche Auslegung ausschließen
(teilweise weiter gehend Lampert, a.a.O., passim, bezogen auf
konkrete Qualifikationsdivergenzen S. 279 ff.; u.U. auch Lang in
Achatz [Hrsg.], Internationales Steuerrecht, Deutsche
Steuerjuristische Gesellschaft - DStJG -, Bd. 36 [2013], S. 7), und
das ist die Situation im Streitfall.
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bbb) Im Übrigen ist ohnehin zu
bezweifeln, dass den Gesetzgeber solche
Gleichheitsüberlegungen prägend geleitet haben. Denn er
gibt in diesem Zusammenhang seine wahren Beweggründe für
die Abkommensüberschreibung zu erkennen (BTDrucks 16/2712, S.
61): Geboten sei diese nämlich, um andernfalls drohende
Steuerausfälle zu verhindern, überdies und „vor
allem, weil die Freistellungsmethode durch entsprechende
Gestaltungen gezielt eingesetzt wird, um ‘doppelte’
Nichtbesteuerungen zu erreichen“. Letzteres ist für
die hier zu beurteilende Situation des bei der irischen
Fluggesellschaft angestellten Klägers von vornherein
ausgeschlossen. Und weshalb dieser trotz der bilateral vereinbarten
Freistellung und der (wohl bewussten) Entscheidung des irischen
Gesetzgebers, auf das ihm zugewiesene (Quellen-)Besteuerungsrecht
(partiell) zu verzichten, in Deutschland befürchtete
Steuerausfälle ausgleichen sollte, lässt sich nicht
belastbar begründen. Hätten den vertragsbeteiligten
Staaten solche Fiskalzwecke vor Augen gestanden, hätten sie
sich entweder auf eine Anrechnungsmethode verständigen oder
auf den Abschluss eines Abkommens zur Vermeidung der
Doppelbesteuerung in Gänze verzichten müssen. Das erhellt
augenfällig, dass es Deutschland letzten Endes darum geht, dem
anderen Vertragsstaat zugewiesenes Besteuerungssubstrat in
vertragswidriger Weise zu okkupieren. Und dass die
Anrechnungsmethode der Freistellungsmethode als solche gleichwertig
ist, taugt in diesem Zusammenhang ebenso wenig als tragfähiges
Gegenargument, wie die Erkenntnis, dass Deutschland sich
„mit der grundsätzlichen Vereinbarung der
Freistellungsmethode seiner eigenen Steuersouveränität in
Bezug auf internationale Sachverhalte (nicht) vollständig
begeben“ hätte (so aber Wiesemann, a.a.O., S. 444
ff.). Beide Argumente sind eo ipso richtig, beide Argumente
überzeugen in der Debatte über die verfassungsrechtliche
Zulässigkeit des Treaty override im Allgemeinen und der
entsprechenden Beurteilung von § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 EStG
2002/2007/2009 im Besonderen aber nur dann, wenn man der
völkerrechtlichen Verständigung die hier zugrunde gelegte
Verbindlichkeit abspricht.
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ccc) Schließlich ist nicht erkennbar,
dass Deutschland gezwungen gewesen wäre, mittels der in §
50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 EStG 2002/2007/2009 getroffenen Neuregelung
beschleunigt - und deswegen unilateral und ohne beschwerliche Nach-
oder Neuverhandlungen mit dem anderen Vertragsstaat - auf einen
besonderen Missstand oder einen in besonderer Weise zutage
tretenden Steuerausfall bei der Besteuerung von Arbeitslöhnen
in grenzüberschreitenden Zusammenhängen zu reagieren.
Abgesehen davon, dass - wie vorstehend unter bbb) aufgezeigt - der
hier zu beurteilenden Sachverhaltskonstellation keine irgendwie
geartete Gestaltungsrelevanz und Reaktionsdringlichkeit zukam,
hätte dem Gesetzgeber jedenfalls für das DBA-Irland 1962
(wie in Übereinstimmung mit Art. 31 des Musterabkommens der
Organisation for Economic Cooperation and Development [OECD] auch
nach den meisten anderen deutscherseits geschlossenen Abkommen zur
Vermeidung der Doppelbesteuerung) aber auch zweifelsfrei ein
anderweitiges, milderes Mittel der Reaktion zur Verfügung
gestanden: Es war nach Art. XXVIII Satz 1 und 2 DBA-Irland 1962 bis
einschließlich 30. Juni jedes Kalenderjahres zum Ende eines
Kalenderjahres einseitig kündbar. Deutschland wäre also
sehr wohl in der Lage gewesen, auch kurzfristig handeln zu
können. Dass eine derartige Kündigung für den
Steuerpflichtigen in der „Saldobetrachtung“
immer auch mit steuerlichen Nachteilen verbunden sein kann, steht
auf einem anderen Blatt und stellt kein taugliches Gegenargument
dar (ebenso Vöneky in Isensee/Kirchhof, a.a.O., Band XI,
§ 236 Rz 33; anders Wiesemann, a.a.O., S. 364; Cloer/Trinks,
IWB 2012, 402, 405; Ismer/Baur, IStR 2014, 421, 424; skeptisch auch
Lang, DStJG, Bd. 36 [2013], S. 7, 12 f., dort auch zu den
möglichen Konsequenzen einer etwaigen Verfassungsakzeptanz des
Treaty overriding).
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Deutschland hätte dann auch versuchen
können, in bilateralen Verhandlungen sein Interesse an einer
„kupierten“ Freistellung und an einer Vermeidung
der doppelten Nichtbesteuerung so durchzusetzen, wie das
beispielsweise in der (ministeriellen)
„Verhandlungsgrundlage für Doppelbesteuerungsabkommen
im Bereich der Steuern vom Einkommen und Vermögen“
vom 17.4.2013, Stand: 22.8.2013 (abgedruckt in IStR, Beihefter
10/2013 unter II. und berichtigt in IStR 2014, 440), dort in Art.
22 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. b, niedergelegt und wie das konkret bezogen
auf Irland auch umgesetzt worden ist: Deutschland und Irland haben
zwischenzeitlich das Abkommen neu verhandelt. Zwar enthält das
neu vereinbarte und am 28.11.2012 in Kraft getretene (BGBl II 2013,
332, BStBl I 2013, 487) Abkommen zwischen der Bundesrepublik
Deutschland und Irland zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur
Verhinderung der Steuerverkürzung auf dem Gebiet der Steuern
vom Einkommen und vom Vermögen vom 30.3.2011 (BGBl II 2011,
1043, BStBl I 2013, 472) - DBA-Irland 2011 - eine entsprechende
Rückfallklausel. Nach Art. 23 Abs. 2 Buchst. a Satz 1
DBA-Irland 2011 hängt die Freistellung der Einkünfte, die
in Irland besteuert werden können, davon ab, dass sie in
Irland auch tatsächlich besteuert werden. In Einklang damit
hat Irland seit dem Veranlagungszeitraum 2011 sein nationales Recht
geändert; seitdem wird in Irland beschränkt
steuerpflichtiges Flugpersonal, das bei irischen Fluggesellschaften
angestellt ist, mit seinen dafür empfangenen Vergütungen
dort tatsächlich besteuert (s. im Einzelnen Zech/Reinhold, IWB
2014, 384; Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen - BMF -
vom 5.12.2012, BStBl I 2012, 1248 = SIS 12 33 58).
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Gerade an der Abkommenslage mit Irland wird
exemplarisch, dass es andere Möglichkeiten als den
Vertragsbruch gibt, eine unerwünschte doppelte
Nichtbesteuerung trotz vereinbarter Freistellungsmethode zu
vermeiden. Des einseitigen Vorgehens über ein Treaty override
bedarf es dafür nicht.
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ddd) Schließlich trifft es auch nicht
zu, wie aber zuweilen kritisch bemerkt wird, dass „das
Zusammenspiel von autonomer Auslegung, vermeintlicher
Verfassungsfestigkeit und Verneinung völkerrechtlicher
Flexibilitätsmechanismen (...) dazu führen (würde),
dass die Judikative weitgehend unabänderlich zur
Inhaltsbestimmung von DBA ermächtigt würde“ (so
aber Ismer/Baur, IStR 2014, 421, 427). Exekutive und Legislative
sind darin frei, völkerrechtlich verbindlich zu verhandeln und
das Vereinbarte umzusetzen. Sie sind wie aufgezeigt, auch darin
frei, das zwischenstaatlich Vereinbarte abzuwandeln und sich durch
eine spätere zwischenstaatliche
„Übung“ für die Zunkunft auf eine
bestimmte Handhabung einzelner Bestimmungen zu verständigen.
Die Gerichte hätten eine solche Handhabung durchaus zu
berücksichtigen (vgl. Art. 31 Abs. 3 WÜRV; s. dazu z.B.
Senatsurteil vom 2.9.2009 I R 90/08, BFHE 226, 267, BStBl II 2010,
394 = SIS 09 33 03, m.w.N.). Vorbehaltlich einer Rechtfertigung im
Einzelfall ist der Gesetzgeber zur Überzeugung des Senats aber
aus den beschriebenen Gründen nicht darin frei, das
völkerrechtlich Vereinbarte einseitig zu konterkarieren. Dass
es Sache der Judikative ist, Gesetze auszulegen, ist davon
unabhängig (s. dazu zuletzt bezogen auf die Frage danach, ob
einer Vorschrift konstitutiver oder lediglich deklaratorischer
Charakter zukommt, BVerfG-Beschluss vom 17.12.2013 1 BvL 5/08, BGBl
I 2014, 255 = SIS 14 07 79).
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35
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c) Im Ergebnis überwiegt demnach das
rechtsstaatliche Interesse an der Einhaltung der
völkerrechtlichen Verpflichtungen (s. ebenso
Vorlagebeschlüsse des Senats in BFHE 236, 304 = SIS 12 12 75,
sowie in BFHE 244, 1 = SIS 14 04 27, jeweils m.w.N.). § 50d
Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 EStG 2002/2007/2009 steht zur Überzeugung
des Senats nach allem nicht mit der verfassungsmäßigen
Ordnung in Einklang. Die zitierte, vom BVerfG (im Beschluss in
BVerfGE 111, 307, 319 = SIS 04 39 67) dem Gesetzgeber zugestandene
Ausnahme, „Völkervertragsrecht (...) nicht (zu
beachten), sofern nur auf diese Weise ein Verstoß gegen
tragende Grundsätze der Verfassung abzuwenden ist“,
liegt bei der Abgrenzung der Tatbestände im Steuerrecht im
Allgemeinen (s. auch z.B. BVerfG, Beschluss vom 14.5.1986 2 BvL
2/83, BVerfGE 72, 200, 272 = SIS 86 25 18: „keinen
zwingenden Grund des gemeinen Wohls“) und bei der hier in
Rede stehenden Vorschrift des § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 EStG
2002/2007/2009 im Besonderen nicht vor. Der Senat erkennt in
Anbetracht dessen keine andere Möglichkeit, dem
klägerischen Begehren abzuhelfen. Insbesondere erscheint ihm
als nicht gangbar, die ihrem Wortlaut nach insoweit
unmissverständliche Regelung des § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr.
2 EStG 2002/2007/2009 vermittels eines
völkerrechtsfreundlichen und damit zugleich
verfassungskonformen Normenverständnisses im Sinne dieses
Begehrens auszulegen. Das gilt auch für die vom FG Hamburg (im
Urteil vom 21.8.2013 1 K 87/12, EFG 2013, 1932 = SIS 13 29 37)
befürwortete methodische Überlegung, dass das später
ergangene unilaterale „Treaty override“ einer
vorangegangenen Abkommensregelung über die Freistellung
bestimmter Einkünfte im Hinblick auf den Grundsatz der
Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes und die
lex-posterior-Regel durch Regelungen eines später erlassenen
Abkommens verdrängt werde. Unabhängig davon, ob man sich
dem anschließen könnte (der Senat hat das gegen das
FG-Urteil angestrengte Revisionsverfahren allerdings durch
Beschluss vom 31.3.2014 I R 64/13 gemäß § 74 Abs. 1
FGO ausgesetzt), scheiden solche Überlegungen für den
Streitfall bezogen auf das bereits im Jahre 1963 in Kraft getretene
DBA-Irland 1962 von vornherein aus.
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d) Verstößt § 50d Abs. 9 Satz
1 Nr. 2 EStG 2002/2007/2009 damit aber in gleichheitswidriger Weise
gegen vorrangiges Völkervertragsrecht, so löst dies
zugleich einen Verstoß gegen die verfassungsmäßige
Ordnung aus, die in Art. 20 Abs. 3 GG Handlungsmaßstab und
Bindung für die Gesetzgebung ist und woraus dem betroffenen
Steuerpflichtigen, hier dem Kläger, wiederum aus der
allgemeinen Handlungsfreiheit des Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs.
3 GG ein subjektives Recht auf Beachtung jener Ordnung
erwächst (s. bereits Senatsbeschlüsse in BFHE 236, 304 =
SIS 12 12 75, sowie in BFHE 244, 1 = SIS 14 04 27, jeweils m.w.N.;
s. auch Gosch, IStR 2008, 413; anders z.B. Wiesemann, a.a.O., S.
364 f.).
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4. Der Senat ist schließlich der
Überzeugung, dass die Neuregelung in § 50d Abs. 9 Satz 3
EStG 2009/2013 insoweit nicht dem Rechtsstaatsgebot des Art. 20
Abs. 3 GG standhält, als sie nach § 52 Abs. 59a Satz 9
EStG 2009/2013 in allen Fällen anzuwenden ist, in denen die
Einkommen- oder Körperschaftsteuer noch nicht
bestandskräftig festgesetzt worden ist. Es handelt sich bei
der Regelungsanordnung bezogen auf den Streitfall (Streitjahre 2007
bis 2010) um sog. echte Rückwirkungen. Diese
Rückwirkungen sind nicht zulässig; sie verletzen in
verfassungsrechtlich nicht hinnehmbarer Weise das in einem
Rechtsstaat prinzipiell geschützte Vertrauen des Bürgers
in die gesetzte Rechtsordnung und widersprechen damit dem
Rechtsstaatsgebot des Art. 20 Abs. 3 GG (ebenso z.B. FG Köln,
Beschluss in EFG 2014, 204 = SIS 14 02 50; Gosch in Kirchhof,
a.a.O., § 50d Rz 41g; Hahn-Joecks in
Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, a.a.O., § 50d Rz K 5, K 21;
Hasbargen/Kemper/Franke, BB 2014, 407, 409; Wiesemann, a.a.O., S.
409 ff.; anders z.B. FG Berlin-Brandenburg, Zwischenurteil in IStR
2014, 529 = SIS 14 17 50, mit zustimmender Anmerkung
Weinschütz).
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a) Das Rechtsstaatsprinzip und die Grundrechte
begrenzen die Befugnis des Gesetzgebers, Rechtsänderungen
vorzunehmen, die an Sachverhalte der Vergangenheit anknüpfen.
Die Verlässlichkeit der Rechtsordnung ist eine Grundbedingung
freiheitlicher Verfassungen (vgl. BVerfG-Urteil vom 5.2.2004 2 BvR
2029/01, BVerfGE 109, 133, 180; BVerfG-Beschluss in BGBl I 2014,
255). Dabei findet das Rückwirkungsverbot seinen Grund im
Vertrauensschutz (vgl. BVerfG-Beschluss vom 15.10.1996 1 BvL 44/92,
1 BvL 48/92, BVerfGE 95, 64, 86 f.). Das grundsätzliche Verbot
der echten Rückwirkung greift daher aber auch nur dann ein,
wenn eine gesetzliche Regelung dazu geeignet war, Vertrauen auf
ihren Fortbestand in vergangenen Zeiträumen zu erwecken (vgl.
BVerfG-Entscheidungen vom 27.6.1961 1 BvL 26/58, BVerfGE 13, 39, 45
f.; vom 23.3.1971 2 BvL 2/66, 2 BvR 168/66, 2 BvR 196/66, 2 BvR
197/66, 2 BvR 210/66, 2 BvR 472/66, BVerfGE 30, 367, 389).
Entscheidend ist, ob die bisherige Regelung bei objektiver
Betrachtung geeignet war, ein Vertrauen der betroffenen
Personengruppe auf ihren Fortbestand zu begründen (vgl.
BVerfG-Entscheidung vom 20.10.1971 1 BvR 757/66, BVerfGE 32, 111,
123). Die Fundierung im Vertrauensschutz zeichnet zugleich die
Grenze des Rückwirkungsverbotes vor (vgl. BVerfG-Entscheidung
in BVerfGE 32, 111, 123; BVerfG-Beschluss vom 25.5.1993 1 BvR
1509/91, 1 BvR 1648/91, BVerfGE 88, 384, 404; BVerfG-Urteil vom
23.11.1999 1 BvF 1/94, BVerfGE 101, 239, 266; BVerfG-Beschluss in
BGBl I 2014, 255). Dieses greift ausnahmsweise dann nicht ein, wenn
sich kein schutzwürdiges Vertrauen auf den Bestand des
geltenden Rechts für vergangene Zeiträume bilden konnte
(vgl. BVerfG-Beschlüsse in BVerfGE 88, 384, 404; in BVerfGE
95, 64, 86 f.; BVerfG-Urteil in BVerfGE 101, 239, 263), etwa wenn
die Betroffenen mit einer Änderung einer unklaren und
verworrenen Rechtslage rechnen mussten, oder wenn das bisherige
Recht derart systemwidrig und unbillig war, dass ernsthafte Zweifel
an seiner Verfassungsmäßigkeit bestanden (vgl.
BVerfG-Entscheidung in BVerfGE 30, 367, 388; vgl. auch
BVerfG-Beschlüsse in BGBl I 2014, 255, und vom 21.7.2010 1 BvL
11/06, 1 BvL 12/06, 1 BvL 13/06, 1 BvR 2530/05). Davon abzugrenzen
sind aber schlicht auslegungsbedürftige Gesetze. Nicht jede
Auslegungsbedürftigkeit und -problematik ist geeignet, die
Entstehung schutzwürdigen Vertrauens zu verhindern oder
solches Vertrauen zu zerstören. Vielmehr müssen
qualifizierende Umstände hinzutreten. Solche Umstände
liegen etwa dann vor, wenn auch unter Berücksichtigung von
Wortlaut, Systematik und Normzweck völlig unverständlich
ist, welche Bedeutung die fragliche Norm haben soll
(BVerfG-Beschluss in BGBl I 2014, 255).
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b) Von Letzterem kann unter den Gegebenheiten
des Streitfalls keine Rede sein. § 50d Abs. 9 Satz 3 EStG
2002/2007/2009 mag auslegungsbedürftig gewesen sein. Die
Vorschrift war aber weder „völlig
unverständlich“ noch „systemwidrig und
verworren“. Soweit die Frage des Verhältnisses von
§ 50d Abs. 8 EStG 2002/2004 zu § 50d Abs. 9 EStG
2002/2007/2009 vormals überhaupt diskutiert wurde, entsprach
das Meinungsbild einhellig dem Senatsurteil in BFHE 236, 327 = SIS 12 07 80. Eine „Verworrenheit“ lässt sich
auch nicht daraus ableiten, dass die Vorinstanz zu jenem Urteil,
das FG Bremen in dessen Urteil vom 10.2.2011 1 K 20/10 (3) (EFG
2011, 988 = SIS 11 14 03), entgegen dem beschließenden Senat
die zugrunde liegende Klage abgewiesen hat. Denn die Rechtsfrage
nach besagtem Normenverhältnis wurde vom FG Bremen ebenso wie
von den Beteiligten seinerzeit mit keinem Wort erwähnt und
vermutlich beiderseits - und übereinstimmend mit der
Verwaltungspraxis (s. dazu BMF-Schreiben vom 12.11.2008, BStBl I
2008, 988 = SIS 08 41 08; Bayerisches Landesamt für Steuern,
Verfügung vom 8.6.2011, DStR 2011, 1714, beide zum in
Deutschland ansässigen Flugpersonal irischer
Fluggesellschaften) - als solche überhaupt nicht erkannt.
Schon von daher will es nicht einleuchten, wenn das FG
Berlin-Brandenburg in seinem zwischenzeitlich vorliegenden
Zwischenurteil in IStR 2014, 529 = SIS 14 17 50 wegen einer
angeblichen Divergenz in dieser Frage zwischen dem FG Bremen und
dem beschließenden Senat eine
„Verworrenheit“ der Rechtslage im beschriebenen
Sinn annehmen will (wie hier auch Wiesemann, a.a.O., S. 409 ff.,
412). Ebenso wenig war die frühere Regelungslage in einer
Weise „grob unbillig“, dass sie einen
Vertrauensschutz ausgeschlossen hätte (so aber erneut FG
Berlin-Brandenburg, Urteil in IStR 2014, 529 = SIS 14 17 50). Es
mag sein, dass sie im Einzelfall eine sog. Keinmalbesteuerung zur
Folge hatte. Ursächlich dafür ist aber die
Freistellungsmethode, auf die sich Deutschland und Irland
abkommensrechtlich eingelassen haben. Alles was dazu zu sagen ist,
ergibt sich vorstehend unter B.II.3. der Entscheidungsgründe.
Das Vertrauen des Steuerpflichtigen in die gesetzte Rechtslage ist
in Anbetracht dessen nicht weniger schutzwürdig, weil eine
etwaige, durch die Freistellungsmethode ausgelöste
„Keinmalbesteuerung“ - wie das FG
Berlin-Brandenburg (ebenda) meint - „von weiten Kreisen
der Bevölkerung als grob unbillig empfunden“
wird.
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c) Nach den Gesetzesmaterialien (BRDrucks
632/1/12) hat allerdings auch der Finanzausschuss des Deutschen
Bundestags in seinen Empfehlungen an den Bundesrat zu der -
ursprünglich im Entwurf eines Jahressteuergesetzes 2013
geplanten und dann nachfolgend im
Amtshilferichtlinie-Umsetzungsgesetz verwirklichten - Vorschrift
des § 52 Abs. 59a Satz 9 EStG 2009/2013 einen Vertrauensschutz
ausgeschlossen: „Die Verwaltungsauffassung war im
BMF-Schreiben vom 12.11.2008 (BStBl I 2008, 988 = SIS 08 41 08)
klar zum Ausdruck gekommen. Auch in Bezug auf das (...)
gegenteilige BFH-Urteil konnte kein schutzwürdiges Vertrauen
entstehen. Es handelt sich insoweit nicht um gefestigte,
langjährige Rechtsprechung.“ Das kann nicht
überzeugen. Zwar hatte der Senat in der Tat erstmals durch
sein Urteil in BFHE 236, 327 = SIS 12 07 80 Gelegenheit, über
die betreffende Frage zu entscheiden. Dennoch war dieses Urteil
geeignet, die bereits zuvor bestehenden Auslegungszweifel
aufzulösen. Denn auch dann, wenn die betroffene
Auslegungsfrage noch nicht höchstrichterlich geklärt ist,
ist es weiterhin Aufgabe der Fachgerichte, den Inhalt der alten
Rechtslage durch Auslegung zu klären (vgl. BVerfG-Beschluss in
BGBl I 2014, 255). Die im Amtshilferichtlinie-Umsetzungsgesetz
gefundene Neuregelung war in Anbetracht dessen nicht klarstellend,
sondern konstitutiv rückwirkend. Sie war geeignet, die
Regelungslage für die Vergangenheit in
vertrauenszerstörender Weise zu verändern.
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d) Schließlich ist die Übergangs-
und Anwendungsvorschrift des § 52 Abs. 59a Satz 9 EStG
2009/2013 einer etwaigen verfassungskonformen Auslegung nicht
zugänglich; die Regelung ist nach ihrem Wortlaut vielmehr
eindeutig.
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III. Entscheidung des Senats
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In Anbetracht der hiernach vom Senat
angenommenen Verfassungswidrigkeit von § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr.
2 EStG 2002/2007/2009 einerseits und § 52 Abs. 59a Satz 9
i.V.m. § 50d Abs. 9 Satz 3 EStG 2009/2013 andererseits war das
Revisionsverfahren gemäß Art. 100 Abs. 1 GG auszusetzen
und ist die Entscheidung des BVerfG über die im Leitsatz
formulierten Fragen zur Verfassungsmäßigkeit der
genannten Vorschriften einzuholen.
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