Fehlende KapSt-Bescheinigung, Verschweigen von Kapitalerträgen, Steuerhinterziehung: 1. War der Steuerpflichtige nicht im Besitz einer Kapitalertragsteuerbescheinigung nach § 45 a Abs. 2 EStG, so konnte eine Anrechnung der - eventuell - einbehaltenen und abgeführten Kapitalertragsteuer auch bereits nach der im Streitjahr 1993 geltenden Fassung des § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG nicht stattfinden. - 2. Ist dem Steuerpflichtigen bewusst, dass er ohne Kapitalertragsteuerbescheinigung eine Anrechnung der Kapitalertragsteuer nicht herbeiführen kann, und gibt er deshalb Kapitaleinkünfte in seiner Steuererklärung in dem Bewusstsein nicht an, bei wahrheitsgemäßer Erklärung die Kapitalerträge wegen der fehlenden Anrechnungsmöglichkeit gewissermaßen ein "zweites Mal" versteuern zu müssen, so kann in diesem Verhalten eine Steuerhinterziehung zu erblicken sein. - 3. Erfasst die gerügte Gehörsverletzung nicht das Gesamtergebnis des Verfahrens, sondern bezieht sich lediglich auf einzelne Feststellungen, so liegt kein Fall des § 119 Nr. 3 FGO vor, so dass die Entscheidung über diese Verfahrensrüge gemäß § 126 Abs. 6 FGO keiner Begründung bedarf. - Urt.; BFH 29.4.2008, VIII R 28/07; SIS 08 27 46
I. Zwischen den Beteiligten ist umstritten,
ob die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) und
ihr im Januar 2008 verstorbener Ehemann (Kläger), dessen
Rechtsnachfolgerin sie ist, Einkommensteuer auf Einnahmen aus
Tafelgeschäften hinterzogen haben und die Festsetzungsfrist
deshalb zehn Jahre beträgt.
Die zusammen zur Einkommensteuer
veranlagten Kläger gaben am 13.6.1994 ihre
Einkommensteuererklärung 1993 beim Beklagten und
Revisionsbeklagten (Finanzamt - FA - ) ab. Unter anderem
erklärten sie in der beigefügten Anlage KSO
Einkünfte aus Kapitalvermögen in Höhe von 7.720 DM
und - unter Beifügung von Steuerbescheinigungen -
anzurechnende Kapitalertragsteuer von 1.813,11 DM. Das FA
veranlagte erklärungsgemäß und setzte mit Bescheid
vom 23.1.1995 eine Steuer in Höhe von 306 DM fest. Im August
1995 meldeten die Kläger weitere Zinserträge in Höhe
von rund 10.000 DM nach, woraufhin das FA die Steuerfestsetzung
entsprechend änderte.
Tatsächlich hatten die Kläger
deutlich höhere Kapitaleinkünfte erzielt. Diese beliefen
sich im Streitjahr 1993 auf insgesamt 120.551,82 DM.
Auch in den Vorjahren und in den
Folgejahren waren in den von den Klägern abgegebenen
Steuererklärungen nur geringe Teile der insgesamt erzielten
Kapitaleinkünfte erfasst. So waren ihnen 1990 62.407,88 DM,
1991 90.564,21 DM und 1992.118.156,93 DM zugeflossen, von denen sie
aber jeweils nur 7.988 DM für 1990, 11.187 DM für 1991
und 27.392 DM für 1992 angaben. Die für die
Veranlagungszeiträume 1994 bis 1999 abgegebenen
Erklärungen waren in vergleichbarer Weise
unvollständig.
Bei den nicht erklärten Einnahmen
handelte es sich zu einem beträchtlichen Teil um Erträge
aus Tafelgeschäften, die die Kläger anonym am Schalter
abgewickelt hatten (Hingabe der Zinsscheine gegen Barauszahlung).
Steuerbescheinigungen waren von den Banken nicht ausgestellt
worden. Die übrigen Einnahmen resultierten aus über
Konten oder Depots getätigte Anlagen in festverzinsliche
Wertpapiere und ähnliche Investitionen. Diesbezüglich
führten die Banken Kapitalertragsteuer ab und stellten
Steuerbescheinigungen aus.
Im November 2001 teilte die
Steuerfahndungsstelle - Steufa - den Klägern schriftlich mit,
dass sich aus ihr vorliegenden Unterlagen ergebe, dass Geld- bzw.
Wertpapierübertragungen in das Ausland vorgenommen worden
seien. Der Aufforderung der Steufa, eine vollständige
Aufstellung der in- und ausländischen Kapitalerträge
nebst einschlägiger Unterlagen vorzulegen, kamen die
Kläger nach. Mit Schreiben vom 18.12.2001 berichtigten sie
ihre bisherigen Erklärungen der Jahre 1990 bis 1999 und
machten umfangreiche Angaben über die tatsächlich
zugeflossenen Geldbeträge.
Im Änderungsbescheid vom 20.9.2002
wertete das FA das klägerische Schreiben aus und setzte die
Einkommensteuer 1993 auf 26.008 DM fest. Das FA erfasste unter
anderem nacherklärte Einnahmen aus Tafelgeschäften in
Höhe von 63.888,33 DM. Diesbezüglich nahm es keine
Anrechnung von Kapitalertragsteuer vor. Mit Bescheid vom 16.12.2002
wurde die Steuerfestsetzung aus nicht im Streit stehenden
Gründen noch einmal geändert. Ohne Erfolg machten die
Kläger im Einspruchs- wie im späteren Klageverfahren
geltend, dass die Änderung der Steuerfestsetzung nicht mehr
zulässig sei. Die verlängerte Festsetzungsfrist komme
nicht zum Tragen, weil keine Steuer hinterzogen worden sei.
Die Klage hatte im Streitpunkt keinen
Erfolg. Das Urteil des Finanzgerichts (FG) ist in EFG 2008, 95 =
SIS 07 37 45 veröffentlicht.
Mit ihrer Revision rügt die
Klägerin eine Verletzung materiellen und formellen
Rechts.
Das FG-Urteil leide an schwerwiegenden
Verfahrensmängeln. Die Vorinstanz habe eine
Überraschungsentscheidung getroffen.
Das Urteil beruhe auf einem weiteren
Gehörsverstoß. Das FG habe rechtserhebliche
Einwendungen, die in der mündlichen Verhandlung unter
Heranziehung bestimmt bezeichneter Entscheidungen anderer Gerichte
geltend gemacht worden seien, nicht zur Kenntnis genommen und in
Erwägung gezogen.
Außerdem habe es § 370 Abs. 1
der Abgabenordnung (AO) und §§ 15, 16 Abs. 1 des
Strafgesetzbuchs (StGB) unzutreffend angewandt.
Nach der Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofs (BGH) und auch des Bundesfinanzhofs (BFH) sei
der Begriff des Tatbestandsirrtums in einer subjektiven Weise
auszulegen. Habe ein Steuerpflichtiger angenommen, dass eine
steuerliche Behandlung richtig sei, dann liege ein
vorsatzausschließender Tatbestandsirrtum vor. Das FG habe den
Irrtumsbegriff gewissermaßen verobjektiviert und daher ihre
Einlassung, im Hinblick auf die erhöhte Kapitalertragsteuer an
deren Abgeltungscharakter geglaubt zu haben, zu Unrecht als
bloße Schutzbehauptung und nicht als subjektiv zutreffende
Annahme gewürdigt.
Den objektiven Tatbestand der
Steuerhinterziehung habe das FG zu Unrecht bejaht. Zu einer
Steuerverkürzung sei es wegen der Abführung der
Kapitalertragsteuer gar nicht gekommen. Dem Fiskus sei nicht nur
kein Schaden entstanden. Vielmehr habe dieser sogar einige Tausend
DM zuviel erhalten. Denn der persönliche Steuersatz der
Kläger habe tatsächlich unter dem Zinsabschlagsteuersatz
von 35 % gelegen. Nach Verfügungen der Oberfinanzdirektionen
(OFD) München, Düsseldorf, Münster und Hannover sei
dem Staat kein Schaden entstanden, weshalb § 370 AO nicht zur
Anwendung komme.
Die Klägerin beantragt, unter
Aufhebung des Urteils des Schleswig-Holsteinischen FG vom
22.11.2006 2 K 30186/03 die Einkommensteuer 1993 auf 3.762 EUR
festzusetzen, hilfsweise, das Urteil aufzuheben und die Sache an
das FG zurückzuweisen.
Das FA beantragt, die Revision als
unbegründet zurückzuweisen.
Zwar bestätigten die von der
Klägerin angeführten Verfügungen der OFD
München und Hannover insoweit deren Rechtsauffassung, dass
eine Steuerhinterziehung nicht vorliege, wenn die einbehaltene
Kapitalertragsteuer die festzusetzende Steuer übersteige. Dies
setze jedoch voraus, dass Kapitalertragsteuer tatsächlich
abgeführt worden sei. Im Streitfall sei dies gerade nicht
nachgewiesen worden.
II. Die Revision ist unbegründet und
deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der
Finanzgerichtsordnung - FGO - ). Das FG hat zu Recht entschieden,
dass die Festsetzungsfrist zehn Jahre betrug.
1. Das Revisionsverfahren ist durch den Tod
des Klägers nicht nach § 155 FGO i.V.m. § 239 Abs. 1
der Zivilprozessordnung (ZPO) unterbrochen, weil dieser durch eine
Prozessbevollmächtigte vertreten war (§ 246 Abs. 1 ZPO;
vgl. BFH-Beschluss vom 12.9.2007 III R 37/03, BFH/NV 2007, 2329 =
SIS 08 01 55).
2. Die Verfahrensrügen greifen nicht
durch.
a) Soweit die Klägerin unter Bezugnahme
auf ihr Vorbringen im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde
geltend macht, entgegen § 93 Abs. 1 FGO sei die Streitsache in
der mündlichen Verhandlung vom FG nicht einmal in
Ansätzen erörtert worden, hat der Senat diese Rüge
geprüft, aber nicht für zulässig erhoben erachtet.
Er sieht insoweit von einer Begründung gemäß §
126 Abs. 6 Satz 1 FGO ab.
b) Die Rüge, das rechtliche Gehör
sei nicht gewährt worden, ist formgerecht erhoben.
Insbesondere war die Bezugnahme auf das Vorbringen im
Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren zulässig, weil die
Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde bereits eine
umfassende und kritische Würdigung der verfahrensrechtlichen
Richtigkeit des FG-Urteils enthielt (vgl. Gräber/Ruban,
Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 120 Rz 62; BFH-Beschluss
vom 26.9.1995 VII R 29/95, BFH/NV 1996, 385 = SIS 96 07 42). Das FG
hat den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör
allerdings nicht verletzt, es hat insbesondere keine
Überraschungsentscheidung getroffen.
aa) Nach Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes
(GG) und § 96 Abs. 1 FGO darf das Urteil nur auf Tatsachen und
Beweisergebnisse gestützt werden, zu denen sich die
Beteiligten äußern konnten. Hieraus folgt unter anderem
das Verbot von Überraschungsentscheidungen; ein bisher nicht
erörterter Umstand, der dem Rechtsstreit eine Wendung gibt,
mit der ein kundiger Beteiligter nach dem bisherigen Verlauf des
Verfahrens nicht hat rechnen müssen, darf nicht zur Grundlage
der Entscheidung gemacht werden. Allerdings bedeutet dies nicht,
dass das Gericht die maßgeblichen rechtlichen Gesichtspunkte
mit den - zumal fachkundig vertretenen - Beteiligten umfassend
erörtern müsste. Das Gericht ist grundsätzlich weder
zu einem Rechtsgespräch noch zu einem Hinweis auf seine
Rechtsauffassung verpflichtet. Auch wenn die Rechtslage umstritten
oder problematisch ist, muss daher ein Verfahrensbeteiligter
grundsätzlich alle vertretbaren rechtlichen Gesichtspunkte von
sich aus in Betracht ziehen und seinen Vortrag darauf einrichten.
Eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör liegt erst
dann vor, wenn das Gericht ohne vorherigen Hinweis Anforderungen an
den Sachvortrag stellt oder auf einen rechtlichen Gesichtspunkt
abstellt, mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger
Prozessbeteiligter - selbst unter Berücksichtigung der
Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen - nicht zu rechnen
brauchte, so dass dies im Ergebnis der Verhinderung eines Vortrages
gleichkommt (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Urteil vom
21.8.2007 VII R 37/04, HFR 2008, 254 = SIS 07 38 63, m.w.N.;
BFH-Beschlüsse vom 5.12.2006 VIII B 4/06, BFH/NV 2007, 490 =
SIS 07 07 33; vom 16.8.2007 VIII B 211/06, BFH/NV 2007, 2312 = SIS 08 01 37, m.w.N.; vom 25.1.2008 X B 179/06, BFH/NV 2008, 608 = SIS 08 14 45, m.w.N.).
Nach diesen Maßstäben hat das FG
keine Überraschungsentscheidung getroffen. Denn ein kundiger
Prozessbeteiligter muss in einem Gerichtsverfahren, in dem im Kern
nur über die Frage des Vorliegens einer Steuerhinterziehung
gestritten wird, ohne weiteres damit rechnen, dass das zur
Entscheidung berufene FG bei der Prüfung des Vorsatzes auch
das aktenkundige Erklärungsverhalten des Steuerpflichtigen in
der Vergangenheit in seine Beurteilung einbezieht. Wird
nämlich die vorsätzliche Begehungsweise vom
Steuerpflichtigen nicht eingeräumt und fehlen eindeutige Sach-
und/oder Personalbeweise, wie z.B. Aussagen straftatbeteiligter
Personen (Mittäter, Gehilfen, Anstifter), so sind die
erforderlichen Feststellungen im Wege des Indizienbeweises zu
treffen. Welche Einzeltatsachen den Schluss auf das Vorliegen des
Vorsatzes zulassen können, hängt ganz von den
Umständen des Einzelfalles ab. Bei der erforderlichen
Gesamtwürdigung ist auf die gesamte überschaubare
Tätigkeit des Steuerpflichtigen abzustellen, eine
Beschränkung auf Einzeltatsachen, die zeitlich unmittelbar mit
dem streitgegenständlichen Besteuerungsabschnitt
zusammenhängen, besteht hiernach nicht (vgl. BFH-Beschluss vom
27.6.2002 III B 38/02, BFH/NV 2002, 1443 = SIS 02 97 95). Dies
wäre mit der richterlichen Pflicht, dem Urteil das
Gesamtergebnis des Verfahrens zugrunde zu legen, nicht zu
vereinbaren (vgl. BFH-Beschluss vom 29.1.2008 VIII B 37/07, nicht
veröffentlicht - n.v. -, m.w.N.).
Danach versteht es sich von selbst, dass aus
dem Erklärungs- oder sonstigen Verhalten des Steuerpflichtigen
in früheren - oder auch späteren Jahren -
Rückschlüsse auf den Kenntnisstand, die Absichten und
Motive des Steuerpflichtigen im Streitjahr gezogen werden
können. Da das FG nach ständiger Rechtsprechung nicht
verpflichtet ist, die für seine Entscheidung erheblichen
Gesichtspunkte im Voraus anzudeuten, musste die Klägerin von
sich aus in Betracht ziehen, dass das FG die Tatsache der
gänzlichen Nichtversteuerung erheblicher Kapitaleinkünfte
in den Jahren 1990 bis 1992 verwertet und als Indiz für
Bösgläubigkeit heranzieht. Dies gilt umso mehr, wenn die
Klägerin - wie im Streitfall - durch einen Angehörigen
der steuerberatenden Berufe vertreten ist (Gräber/Ruban,
a.a.O., § 119 Rz 10 a, m.w.N.).
bb) Auch die weitere Rüge, dass der
Vortrag der Klägerin zu den rechtlichen Anforderungen an das
Vorliegen eines Tatbestandsirrtums gemäß § 16 Abs.
1 StGB nicht berücksichtigt worden sei, hält der Senat
für unbegründet. Denn das mit Hinweisen auf straf- und
finanzgerichtliche Judikate versehene Vorbringen der Klägerin
wurde, wie Tatbestand und Entscheidungsgründe zeigen, vom FG
entgegengenommen. Eine Gehörsverletzung liegt in einem solchen
Fall nur dann vor, wenn sich aus den besonderen Umständen des
einzelnen Falles deutlich ergibt, dass das Gericht das empfangene
Vorbringen entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder
doch bei seiner Entscheidung ersichtlich nicht in Erwägung
gezogen hat (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Beschluss vom
26.3.2007 II S 1/07, BFH/NV 2007, 1094 = SIS 07 15 39, m.w.N.).
Solche besonderen Umstände sind im Streitfall weder
vorgetragen noch ersichtlich.
cc) Im Übrigen sieht der Senat
gemäß § 126 Abs. 6 Satz 1 FGO von einer weiter
gehenden Begründung ab. Eine Pflicht zur Begründung der
Revisionsentscheidung gemäß § 126 Abs. 6 Satz 2 FGO
besteht nicht, weil es sich bei den von der Klägerin geltend
gemachten Gehörsverletzungen nicht um eine Rüge nach
§ 119 FGO handelt. Eine Rüge nach § 119 Nr. 3 FGO,
bei der die Kausalität des Verfahrensmangels für die
Entscheidung unwiderleglich vermutet wird, betrifft nur solche
Fälle, in denen der gerügte Gehörsverstoß das
Gesamtergebnis des Verfahrens erfasst. Bezieht sich die behauptete
Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör, wie
vorliegend, lediglich auf einzelne Feststellungen, so ist die
Kausalität vom Revisionskläger darzulegen und vom
Revisionsgericht zu prüfen. Folglich handelt es sich nicht um
einen absoluten Revisionsgrund i.S. des § 119 FGO (vgl.
Beschluss des Großen Senats des BFH vom 3.9.2001 GrS 3/98,
BFHE 196, 39, 43 = SIS 01 14 64, 47, BStBl II 2001, 802 = SIS 01 14 64; Gräber/Ruban, a.a.O., § 119 Rz 11, m.w.N.; Beermann
in Beermann/Gosch, FGO, § 119 Rz 49 f., 50.1 bis 50.4,
m.w.N.).
3. Die Revision hat auch mit der Sachrüge
keinen Erfolg.
a) Steuerbescheide sind gemäß
§ 173 Abs. 1 Nr. 1 AO zu ändern, soweit Tatsachen
nachträglich bekannt werden, die zu einer höheren Steuer
führen. Eine Änderung ist jedoch dann nicht mehr
zulässig, wenn die Festsetzungsfrist abgelaufen ist (§
169 Abs. 1 Satz 1 AO). Die Frist zur Festsetzung der
Einkommensteuer beträgt nach § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO
vier Jahre. Sie beträgt zehn Jahre, soweit eine Steuer
hinterzogen, und fünf Jahre, soweit sie leichtfertig
verkürzt worden ist (§ 169 Abs. 2 Satz 2 AO).
Die Annahme einer auf zehn bzw. fünf
Jahre verlängerten Frist setzt voraus, dass die objektiven und
subjektiven Tatbestandsmerkmale einer vollendeten
Steuerhinterziehung i.S. des § 370 AO oder einer
leichtfertigen Steuerverkürzung i.S. des § 378 AO
vorliegen (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Urteile vom
2.4.1998 V R 60/97, BFHE 186, 1, BStBl II 1998, 530 = SIS 98 17 51;
vom 19.12.2002 IV R 37/01, BFHE 200, 495, BStBl II 2003, 385 = SIS 03 18 31).
Gemäß § 36 Abs. 2 Nr. 2 des
Einkommensteuergesetzes (EStG) der im Streitjahr geltenden Fassung
wird auf die Einkommensteuer die durch Steuerabzug erhobene
Einkommensteuer angerechnet, soweit sie auf die bei der Veranlagung
erfassten Einkünfte entfällt und nicht die Erstattung
beantragt oder durchgeführt worden ist. Die
Anrechnungsverfügung stellt einen selbstständigen, von
der Steuerfestsetzung zu unterscheidenden, rechtsbestätigenden
Verwaltungsakt dar, der Teil des Erhebungsverfahrens ist
(BFH-Urteile vom 15.4.1997 VII R 100/96, BFHE 182, 506, BStBl II
1997, 787 = SIS 97 19 74; vom 18.7.2000 VII R 32, 33/99, BFHE 192,
405, BStBl II 2001, 133 = SIS 01 02 03).
b) Die Kläger haben im Streitjahr
Einkommensteuer hinterzogen. Die Festsetzungsfrist betrug daher
zehn Jahre, die Änderung der Steuerfestsetzung durch den
angegriffenen Bescheid war zulässig.
aa) Der objektive Tatbestand der
Steuerhinterziehung ist gegeben. Die Kläger haben
unvollständige Angaben zu ihren Kapitaleinkünften gemacht
und dadurch Steuern verkürzt.
(1) Steuern sind namentlich dann
verkürzt, wenn sie nicht, nicht in voller Höhe oder nicht
rechtzeitig festgesetzt werden (§ 370 Abs. 4 Satz 1 AO).
Wie zwischen den Beteiligten nicht streitig
ist, wurde infolge der Nichtangabe der Einnahmen aus
Tafelgeschäften und bestimmter Einnahmen aus anderen
Kapitalanlagen die Einkommensteuer im Bescheid vom 23.1.1995 zu
niedrig festgesetzt. Die Streitfrage, ob trotz der zu niedrigen
Festsetzung das Vorliegen einer Verkürzung zu verneinen ist,
wenn anrechenbare Kapitalertragsteuerbeträge an den Fiskus
abgeführt wurden, bedarf im Streitfall keiner Klärung
(Überblick zum Streitstand bei Lindwurm, Der AO-Steuerberater
2007, 218; Rolletschke in Rolletschke/Kemper, Steuerverfehlungen,
§ 370 AO Rz 102a). Denn eine derartige steuerstrafrechtliche
Verrechnung käme allenfalls unter der Prämisse in
Betracht, dass die steuerrechtlichen Anrechnungsvoraussetzungen im
Zeitpunkt der Abgabe der unvollständigen Steuererklärung
sämtlich erfüllt sind. Ist das nicht der Fall, dann steht
dem Fiskus die auf die nicht erklärten Kapitaleinkünfte
festzusetzende Steuer „ungeschmälert“, d.h.
ohne Berücksichtigung einer eventuell abgeführten
Kapitalertragsteuer, zu. Im Streitfall sind die
Anrechnungsvoraussetzungen objektiv nicht erfüllt gewesen.
Daher wurde die auf die nicht erklärten Kapitaleinkünfte
festzusetzende Steuer verkürzt.
(2) Nach der Rechtsprechung des BGH sind
anrechenbare Abzugsteuerbeträge steuerstrafrechtlich auf der
Tatbestandsebene allenfalls dann zu berücksichtigen, wenn die
steuerrechtlichen Anrechnungsvoraussetzungen vorliegen. Das ist
etwa dann nicht der Fall, wenn die Bescheinigungen über
Körperschaftsteuer nach § 44 des
Körperschaftsteuergesetzes (KStG a.F.) im Zeitpunkt der
Tatbegehung nicht vorliegen. Abzugsteuerbeträge, die nicht
bescheinigt wurden, sind weder geeignet, den tatbestandlichen
Erfolg der Steuerhinterziehung entfallen zu lassen noch die
Strafzumessung zugunsten des Einkommensteuerhinterziehers zu
beeinflussen (vgl. BGH-Urteil vom 12.1.2005 5 StR 301/04,
Zeitschrift für Wirtschafts- und Steuerstrafrecht - wistra -
2005, 144; BGH-Beschluss vom 7.11.2006 5 StR 435/06, wistra 2007,
68, jeweils zur Anrechnung von Körperschaftsteuer bei
Einkommensteuerhinterziehungen im Rahmen des früheren
Anrechnungsverfahrens). Fehlen Nachweise oder Bescheinigungen,
deren Vorliegen sachlich-rechtliche Voraussetzung einer Steuernorm
sind, und weiß der Steuerpflichtige, dass er diese
Bescheinigungen benötigt, um die Voraussetzungen einer
bestimmten begünstigenden Regelung erfüllen zu
können, so begeht er eine Steuerhinterziehung, wenn er diese
steuerliche Regelung beansprucht und dabei das Nichtvorliegen der
erforderlichen Bescheinigungen verschweigt (vgl. BGH-Urteil vom
8.2.1983 1 StR 765/82, BGHSt 31, 248, wistra 1983, 115;
BGH-Beschluss vom 4.1.1989 3 StR 415/88, wistra 1989, 190, jeweils
zum Buchnachweis für die Steuerbefreiung der Ausfuhr
gemäß § 6 Abs. 4 des Umsatzsteuergesetzes - UStG -
; BGH-Urteil vom 12.5.2005 5 StR 36/05, wistra 2005, 308, BFH/NV
2005, Beilage 4, 400 = SIS 05 36 41; Urteil des Bayerischen
Obersten Landesgerichts vom 26.10.1987 4 St 164/87, Neue
Zeitschrift für Strafrecht - NStZ - 1988, 313, zum
Rechnungsbesitz beim Vorsteuerabzug gemäß § 15
UStG).
(3) Diese Rechtsprechung, der sich der Senat
anschließt, hat im Streitfall zur Folge, dass die von der
Klägerin behauptete, aber nicht nachgewiesene Abführung
des Zinsabschlags in Höhe von 35 % der Erträge aus den
Tafelgeschäften steuerstrafrechtlich nicht zu
berücksichtigen ist. Denn die Kläger waren unstreitig nie
im Besitz von Bescheinigungen der Kapitalertragsteuer
gemäß § 45a Abs. 2 EStG, die materiell-rechtliche
Voraussetzung der Steueranrechnung sind. Eine Anrechnung der
Kapitalertragsteuer war somit nicht möglich.
(4) Zwar war nach der im Streitjahr 1993
geltenden Fassung des § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG im Unterschied
zur heutigen Gesetzesfassung (§ 36 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 Satz 2
EStG i.d.F. des Jahressteuergesetzes 1996 vom 11.10.1995, BGBl I
1995, 1250) die Vorlage der Steuerbescheinigung gemäß
§ 45a Abs. 2 EStG nicht ausdrücklich als Voraussetzung
der Steueranrechnung benannt. Doch bedeutete dies keinen Verzicht
auf jegliche formale Nachweiserfordernisse. Vielmehr konnte nach
Auffassung des Senats auch bereits im Veranlagungszeitraum 1993
eine Anrechnung von Kapitalertragsteuerbeträgen, die im
Zusammenhang mit getätigten Tafelgeschäften an den
deutschen Fiskus abgeführt worden sein könnten, nur bei
Vorlage einer Bescheinigung nach § 45a Abs. 2 EStG stattfinden
(gleicher Auffassung BFH-Urteil vom 12.2.2008 VII R 33/06, BFH/NV
2008, 845 = SIS 08 16 98, zur amtlichen Veröffentlichung
bestimmt; Abgrenzung zu BFH-Beschlüssen vom 26.9.1991 VIII B
41/91, BFHE 165, 287, BStBl II 1991, 924 = SIS 91 21 01; vom
21.1.2000 VII B 205/99, BFH/NV 2000, 1080 = SIS 00 58 11 - jeweils
obiter dicta - . Die Finanzverwaltung nahm durchgehend den hier
vertretenen Rechtsstandpunkt ein, vgl. R 154 Abs. 4 der
Einkommensteuer-Richtlinien - EStR - 1990 und R 154 Abs. 2 EStR
1993; Verfügungen der OFD Berlin vom 25.10.1994 St 411 - S -
2401 - 1/94, ESt-Kartei Berlin § 36 EStG Nr. 5; der OFD
Koblenz vom 25.3.1994 S 2400 A - St 34 3, DStR 1994, 753 = SIS 94 13 01).
Dies folgt aus dem Zweck der gesetzlichen
Bescheinigungsregelung in § 45a Abs. 2 EStG. Dieser Zweck
besteht in einer Nachweisfunktion. Im Unterschied zu einer Vielzahl
anderer „steuerermäßigender“
Tatbestände trifft der Gesetzgeber gerade im Zusammenhang mit
der Anrechnung von Kapitalertragsteuer eine spezielle
Bescheinigungs- und damit Nachweisregelung. Wenn der Gesetzgeber
dieses Nachweisinstrument eigens zum Zwecke der Anrechnung
einbehaltener Kapitalertragsteuer schafft, es detailliert
ausgestaltet und es mit einer Ausstellungspflicht des Schuldners
der Kapitalerträge bzw. des auszahlenden Kreditinstituts
verbindet, so ist das ein deutlicher Beleg dafür, dass von
diesem Nachweisinstrument nach dem Willen des Gesetzgebers auch
zwingend Gebrauch zu machen ist. Wäre der Gesetzgeber
tatsächlich der Auffassung gewesen, der Nachweis einbehaltener
und abgeführter Kapitalertragsteuer könne auf jede
erdenkliche Art und Weise geführt werden, so hätte es der
detaillierten Regelung in § 45a Abs. 2 EStG nicht bedurft.
Somit kann der Zweck der Regelung über die
Kapitalertragsteuerbescheinigung, die praktikable und rechtssichere
Durchführung der Kapitalertragsteueranrechnung zu
ermöglichen, nur erreicht werden, wenn der Steuerpflichtige
zwingend auf dieses spezielle Nachweisinstrument verwiesen wird. In
seiner Auffassung sieht sich der Senat durch die
Entstehungsgeschichte der ab dem Veranlagungszeitraum 1996
geltenden Neufassung des § 36 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 EStG
bestätigt. Aus den Gesetzesmaterialien geht hervor, dass der
Gesetzgeber mit der Anfügung des Satzes 2 in die
Anrechnungsvorschrift lediglich eine gesetzliche Klarstellung der
seit längerem in den EStR enthaltenen Regelung, wonach eine
Anrechnung ohne Kapitalertragsteuerbescheinigung nicht möglich
ist, bezweckte. Zudem sollte eine Gleichstellung mit der Anrechnung
von Körperschaftsteuer erreicht werden (vgl. BTDrucks 13/1686,
S. 46). Diesbezüglich war bereits geklärt, dass die
Bescheinigung der Körperschaft materiell-rechtliche
Voraussetzung der Anrechnung ist (BFH-Beschluss in BFHE 165, 287,
BStBl 1991, 924). Einen Grund, die Kapitalertragsteuerbescheinigung
anders zu behandeln als die Körperschaftsteuerbescheinigung,
gab es aus Sicht des Gesetzgebers nicht.
Zudem lassen die gesetzlichen Sonderregelungen
zur Behandlung von Tafelgeschäften darauf schließen,
dass der Gesetzgeber bei diesen Geschäften die
Kapitalertragsteuerbescheinigung als unverzichtbares Nachweismittel
angesehen hat, um den offenkundigen Manipulationsmöglichkeiten
angemessen Rechnung zu tragen. Faktisch ist die
Kapitalertragsteuerbescheinigung hier schon deshalb unentbehrlich,
weil es bei Tafelgeschäften an alternativen urkundlichen
Nachweisen, wie zum Beispiel Erträgnisaufstellungen der
Banken, fehlt. Ohne Kapitalertragsteuerbescheinigung würde die
Anrechnung des Zinsabschlags auf eine reine Schätzung
hinauslaufen und die gesetzlichen Kennzeichnungs- und
Bescheinigungsregelungen unterlaufen.
Nach den nicht angegriffenen Feststellungen
des FG haben die Kläger klassische Tafelgeschäfte
getätigt, indem sie am Schalter der Bank anonym, d.h. ohne
dass ihre Personalien aufgenommen worden wären, gegen
Aushändigung der Zinsscheine die Wertpapiererträge bar
vereinnahmten. Nach ihrem eigenen Vorbringen wollen die Kläger
lediglich einen Abrechnungsbeleg erhalten haben, in dem weder Name
noch Anschrift einer natürlichen Person aufgeführt waren.
Eine Steuerbescheinigung nach § 45a Abs. 2 EStG erhielten sie
ebenfalls nicht. Dies entspricht der üblichen Praxis des
Tafelgeschäfts, wonach Steuerbescheinigungen in der Regel
nicht ausgestellt werden und auch die erteilte Quittung keine
personenbezogenen Angaben enthält (vgl. Seemann in Frotscher,
EStG, 6. Aufl., Freiburg 1998 ff., § 44 Rz 21). Das Gesetz
sieht - und sah - allerdings auch bei Tafelgeschäften vor,
dass die auszahlende Stelle auf Verlangen des Gläubigers der
Kapitalerträge eine Steuerbescheinigung gemäß
§ 45a Abs. 2 EStG zu erteilen hat (vgl. nur Geurts in
Bordewin/Brandt, § 45a EStG Rz 87; Seemann, a.a.O., § 44
Rz 21). Jedoch muss die Bescheinigung bei Tafelgeschäften mit
einem speziellen Hinweis gekennzeichnet sein; die auszahlende
Stelle hat hierüber besondere Aufzeichnungen zu führen
(§ 45a Abs. 2 Satz 5 EStG i.V.m. § 45 Abs. 2 und 3 KStG
in der im Streitjahr geltenden Fassung; jetzt § 45a Abs. 2
Satz 5 EStG i.V.m. § 44a Abs. 6 EStG; hierzu Geurts, a.a.O.,
§ 45a Rz 87). Damit werden die Kontrollmöglichkeiten der
Finanzverwaltung verbessert und sichergestellt, „dass im
Veranlagungsverfahren die wirkliche Rechtslage geprüft und die
bescheinigte Steuer beim wirklich Berechtigten angerechnet
wird“ (so wörtlich Gesetzesentwurf der
Bundesregierung vom 30.4.1992 - Entwurf eines Gesetzes zur
Neuregelung der Zinsbesteuerung -, BTDrucks 12/2501, S. 20; vgl.
auch Bullinger/Radke, Handkommentar zum Zinsabschlag, 1994, Rz
819). Verlangt der Steuerpflichtige eine gekennzeichnete
Steuerbescheinigung, dann muss er allerdings aus der selbst
gewählten Anonymität des Tafelgeschäfts heraustreten
und seinen Namen und seine Anschrift preisgeben. Denn diese Angaben
müssen zwingend in der Steuerbescheinigung enthalten sein
(§ 45a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG). Blanko-Steuerbescheinigungen
sind unzulässig (Bullinger/Radke, Handkommentar zum
Zinsabschlag, 1994, Rz 819). Bevorzugt es der Steuerpflichtige
dagegen, in der Anonymität zu bleiben und den speziellen
Kennzeichnungs- und Aufzeichnungspflichten zu entgehen, so kommt
dies einem bewussten Verzicht auf die Erteilung einer
Steuerbescheinigung mit der Folge gleich, dass eine nachweisbare
Zuordnung etwaiger vom Kreditinstitut abgeführter
Kapitalertragsteuer zu einer bestimmten steuerpflichtigen Person
auf zuverlässige Weise generell nicht mehr bewerkstelligt
werden kann. Ein reiner Abrechnungsbeleg, der, wie im Streitfall,
ebenfalls keine personenbezogenen Daten enthält (vgl. Seemann,
a.a.O., § 44 Rz 21), ist zum Nachweis völlig ungeeignet,
weil aus ihm gerade nicht hervorgeht, dass derjenige
Steuerpflichtige, der unter Vorlage dieser Urkunde die Anrechnung
begehrt, identisch ist mit der Person, die das Tafelgeschäft
tatsächlich getätigt hat bzw. der die Zinsen subjektiv
zuzurechnen sind. Derartige „namenlose“ Urkunden
könnten in all den Fällen, in denen der persönliche
Steuersatz niedriger ist als der bei Tafelgeschäften geltende
Zinsabschlagsteuersatz von 35 %, sogar dazu eingesetzt werden,
ungerechtfertigte Steuererstattungen zu realisieren.
Die zur Anrechnung von Lohnsteuerbeträgen
bei Nichtvorlage der Lohnsteuerkarte oder der
Lohnsteuerbescheinigung ergangene Rechtsprechung ist auf den
vorliegenden Fall nicht übertragbar. Nach dieser
Rechtsprechung wird dem Arbeitnehmer die Möglichkeit zur
Lohnsteueranrechnung offen gehalten, auch wenn er keine
Lohnsteuerkarte oder -bescheinigung in den Händen hält.
Dies beruht unter anderem auf der Erwägung, dass der
Arbeitnehmer nicht mit dem Risiko belastet werden soll, aus in der
Sphäre des Arbeitgebers liegenden Gründen von diesem
keine Lohnsteuerbescheinigung erhalten zu können (vgl.
BFH-Urteil vom 22.9.1978 VI R 221/75, BFHE 126, 257, BStBl II 1979,
55 = SIS 79 00 31; BFH-Beschluss vom 29.2.1996 X B 303/95, BFH/NV
1996, 606 = SIS 96 25 00; Brenner, in:
Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 36 Rz D 171). Es
erscheint schon fraglich, ob bei dem normalen Kunden einer Bank ein
vergleichbares Risiko überhaupt besteht. Jedenfalls befindet
sich der Inhaber von Tafelpapieren zweifellos in einer ganz anderen
Situation. Er könnte, wenn er nur wollte, ohne weiteres von
einer Bank eine Kapitalertragsteuerbescheinigung über die dort
getätigten Schaltergeschäfte erhalten. Er will dies aber
nicht. Deshalb darf er mit den Folgen des von ihm selbst
geschaffenen Risikos belastet werden, über keinen
förmlichen Nachweis der angeblich auf seine Rechnung
abgeführten Kapitalertragsteuer zu verfügen.
bb) Die Kläger haben auch
vorsätzlich gehandelt. Das FG hat in revisionsrechtlich nicht
zu beanstandender Weise den Vorsatz bejaht und den
Tatbestandsirrtum i.S. des § 16 Abs. 1 StGB verneint.
(1) Nach § 16 Abs. 1 StGB handelt nicht
vorsätzlich, wer bei Begehung der Tat einen Umstand nicht
kennt, der zum gesetzlichen Tatbestand gehört
(Tatbestandsirrtum). Zum Vorsatz der Steuerhinterziehung
gehört danach, dass der Täter den angegriffenen
bestehenden Steueranspruch dem Grunde und der Höhe nach kennt
und dass er ihn trotz dieser Kenntnis gegenüber der
Steuerbehörde verkürzen will (BGH-Beschluss vom 19.5.1989
3 StR 590/88, wistra 1989, 263; BGH-Urteil vom 9.2.1995 5 StR
722/94, wistra 1995, 191). Ein Tatbestandsirrtum liegt u.a. dann
vor, wenn der Täter annahm, dass die steuerliche Behandlung
einer Angelegenheit richtig war (BGH-Urteil vom 7.12.1979 2 StR
315/79, BGHSt 29, 152; BGH-Beschluss in wistra 1989, 263).
(2) Nach diesem Maßstab hat das FG den -
revisionsgerichtlicher Kontrolle unterliegenden - Rechtsbegriff des
Tatbestandsirrtums nicht verkannt. Aus den Urteilsgründen geht
hervor, dass das FG in der Sache keine verengte oder - wie die
Klägerin meint - „verobjektivierte“
Irrtumsprüfung vorgenommen hat. Das FG ist zutreffend davon
ausgegangen, dass die Kläger Kenntnis von einem bestehenden
Steueranspruch haben mussten. Irrtum i.S. des § 16 Abs. 1 StGB
ist nichts weiter als die Negation der erforderlichen Kenntnis,
bedeutet also Un-Kenntnis von einem Umstand, der zum gesetzlichen
Straftatbestand gehört. Der Tatbestandsirrtum ist die
Kehrseite des Wissenselements des Vorsatzes (Lackner/Kühl,
StGB, 26. Aufl. 2007, § 16 Rz 3). Das FG ist bei seiner
Beweiswürdigung ersichtlich von diesen Rechtsgrundsätzen
ausgegangen. Es hat nämlich umfassend und eingehend
gewürdigt, ob die Kläger im konkreten Fall diese
erforderliche subjektive Kenntnis von dem staatlichen
Besteuerungsanspruch - der Steuerpflicht der Erträge aus
Tafelgeschäften - hatten oder ob ihnen diese Kenntnis deshalb
gefehlt hat, weil sie irrtumsbedingt an die abgeltende Wirkung der
einbehaltenen Zinsabschlagsteuer und den hiermit verbundenen
Wegfall der Erklärungs- und Steuerpflicht glaubten. Wenn sie -
was Tatfrage ist - geglaubt haben, der Steueranspruch des Staats
sei durch den Zinsabschlag bereits erloschen, dann handelten sie
ohne Kenntnis der Tatumstände und damit ohne Vorsatz.
(3) Die Beurteilung der Tatfrage, ob die
Kläger die erforderliche Kenntnis hatten oder nicht hatten,
gehört dem Bereich der Beweiswürdigung an und ist damit
der revisionsgerichtlichen Kontrolle grundsätzlich entzogen.
Im Streitfall ist die Würdigung des FG rechtlich nicht zu
beanstanden. Der Senat ist daher an die Feststellung des FG, die
Kläger hätten mit Vorsatz gehandelt, gebunden.
Die Beweiswürdigung des FG ist
grundsätzlich revisionsrechtlich bindend. Nur wenn sie
verfahrensrechtlich nicht einwandfrei zustande gekommen ist, sie
durch Denkfehler oder die Verletzung von Erfahrungssätzen
beeinflusst wurde, liegt ein die Revision begründender
sachlich-rechtlicher Mangel des Urteils vor (ständige
Rechtsprechung, vgl. BFH-Urteil vom 27.3.2007 VIII R 62/05, BFHE
217, 491 = SIS 07 19 25; BFH-Beschluss vom 18.10.2007 VIII B
212/06, BFH/NV 2008, 210 = SIS 08 07 63, m.w.N.). Ist das nicht der
Fall, so ist die tatrichterliche Würdigung auch dann
revisionsrechtlich bindend (§ 118 Abs. 2 FGO), wenn ein
abweichendes Verständnis gleichermaßen möglich oder
gar nahe liegend ist (BFH-Urteil vom 14.7.2004 I R 111/03, BFHE
206, 437, BStBl II 2005, 307 = SIS 04 38 10; BFH-Beschluss vom
22.8.2006 V B 59/04, BFH/NV 2007, 116 = SIS 06 48 77). Somit ist
insbesondere eine nachvollziehbar vom FG begründete
Würdigung einer Einlassung des Steuerpflichtigen als
Schutzbehauptung nicht revisibel (vgl. BFH-Beschluss vom 21.2.2007
VII R 51/04, BFH/NV 2007, 1161 = SIS 07 16 04).
Im Streitfall sind die von der Klägerin
erhobenen Verfahrensrügen nicht begründet (s. oben unter
I.1. und 2. der Gründe dieses Urteils). Denkfehler oder die
Verletzung von Erfahrungssätzen sind weder vorgetragen noch
ersichtlich. Insbesondere ist die nachvollziehbar begründete
Würdigung des FG, bei der Einlassung der Kläger handele
es sich um eine Schutzbehauptung, möglich. Denn die
wesentlichen Indizien, die das FG als für seine
Überzeugungsbildung maßgeblich herausgestellt hat,
lassen durchaus den Schluss auf bedingt vorsätzliches Handeln
der Kläger zu. So deutet die Tatsache, dass in den Jahren 1990
bis 1992 ganz erhebliche Kapitalerträge weder bei der
Veranlagung erfasst wurden noch dem Quellensteuerabzug unterlagen,
darauf hin, dass nicht der Glaube an die abgeltende Wirkung einer
wie auch immer gearteten Quellensteuer Grund für die
Nichterklärung der Kapitalerträge war, sondern die
Befürchtung, dass bei wahrheitsgemäßen Angaben zu
den Einkünften des Jahres 1993 die
„Unregelmäßigkeiten“ der Vorjahre ans
Licht kommen würden. Auch die vom FG festgestellte Tatsache,
dass in erheblichem Umfang Kapitalerträge verschwiegen wurden,
die dem normalen Zinsabschlagsteuersatz von 30 % unterlagen, kann
ebenfalls zur Bewertung der klägerischen Einlassung als
Schutzbehauptung führen. Denn die Kläger begründeten
ihren Glauben an die abgeltende Wirkung des Zinsabschlags mit dem
bei Tafelgeschäften auf 35 % erhöhten Steuersatz.
Unterlagen sie tatsächlich dieser Fehlvorstellung, dann
hätten sie zumindest die dem 30 %-igen Normalabzug
unterliegenden Kapitaleinkünfte vollständig erklären
müssen. Schließlich ist die Würdigung des FG
möglich, dass die Kläger die Kapitaleinkünfte aus
den Tafelgeschäften auch deshalb wissentlich nicht
erklärten, weil sie davon ausgingen, eine Anrechnung der
angeblich abgeführten Kapitalertragsteuer wegen der fehlenden
Steuerbescheinigungen nicht herbeiführen zu können und
die Erträge gewissermaßen ein „zweites
Mal“ versteuern zu müssen. Wussten sie um die
fehlende Anrechnungsmöglichkeit, dann haben sie die dem Staat
objektiv zustehende „zweite“ Steuer mit Wissen
und Wollen verkürzt. Wie eine derartige Straftat zu ahnden
wäre (Strafzumessung), ist eine Frage, die sich im
vorliegenden Verfahren nicht stellt.