Kapitalertragsteuer, keine Anrechnung bei verjährter Anrechnungsverfügung: Ist abgeführte Kapitalertragsteuer in einer Anrechnungsverfügung nicht angerechnet worden, so kann diese Anrechnung nach Ablauf der durch die Anrechnungsverfügung in Lauf gesetzten Zahlungsverjährungsfrist nicht mehr nachgeholt werden. - Urt.; BFH 12.2.2008, VII R 33/06; SIS 08 16 98
I. Gegen die Klägerin und
Revisionsklägerin (Klägerin) ist 1995
Körperschaftsteuer 1993 festgesetzt worden. In der
Anrechnungsverfügung hat der Beklagte und Revisionsbeklagte
(das Finanzamt - FA - ) die von der Klägerin beantragte
Anrechnung von Kapitalertragsteuer in Höhe von rd. 11.000 DM
abgelehnt, weil die dafür erforderlichen Steuerbescheinigungen
nicht vorlagen. Der Vorbehalt der Nachprüfung, unter dem
dieser Steuerbescheid stand, ist 1999 aufgehoben worden und die
Kapitalertragsteuer auch in der dem betreffenden Bescheid
beigefügten Anrechnungsverfügung nicht
berücksichtigt worden.
Im Jahr 2001 hat die Klägerin dem FA
Steuerbescheinigungen für den vorgenannten Betrag vorgelegt
und erneut die Anrechnung der darin ausgewiesenen
Kapitalertragsteuer beantragt. Das FA hat dies wegen
Zahlungsverjährung abgelehnt und, nachdem die Klägerin
hiergegen Einwendungen erhoben hatte, einen Abrechnungsbescheid
erlassen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die nach
erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage, die das
Finanzgericht (FG) mit dem in EFG 2006, 1396 = SIS 06 33 20
veröffentlichten Urteil abgewiesen hat.
Gegen dieses Urteil richtet sich die
Revision der Klägerin, die im Wesentlichen
folgendermaßen begründet wird:
Der Kapitalertragsteuererstattungsanspruch
der Klägerin habe in § 36 Abs. 2 Nr. 2 des
Einkommensteuergesetzes (EStG) eine eigenständige
materiell-rechtliche Grundlage. Voraussetzung für die
Entstehung des Anspruchs sei die Vorlage von Steuerbescheinigungen.
Die Fälligkeit des Erstattungsanspruchs setze gemäß
§ 36 Abs. 4 Satz 2 EStG eine Abrechnungsverfügung des FA
voraus, ohne die eine Zahlungsverjährungsfrist nicht habe
beginnen können. Mit der Erfüllung der Voraussetzungen
für die Anrechnung der Kapitalertragsteuer im Jahr 2001 sei
die vorangegangene Anrechnungsverfügung rechtswidrig geworden
und gemäß § 130 Abs. 1 und 4 der Abgabenordnung
(AO) zurückzunehmen. Hierzu beruft sich die Klägerin auf
das Urteil des Senats vom 18.7.2000 VII R 32, 33/99 (BFHE 192, 405,
BStBl II 2001, 133 = SIS 01 02 03) sowie auf § 175 Abs. 1 Satz
1 Nr. 2 AO.
Das FA trägt vor, die Anrechnung der
strittigen Kapitalertragsteuer sei mit der
Anrechnungsverfügung von 1995 abgelehnt worden, ohne dass
diese innerhalb der Rechtsbehelfsfrist angefochten worden
wäre. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO sei auf die
Änderung einer Anrechnungsverfügung nicht anwendbar.
Diese richte sich vielmehr nach §§ 130, 131 AO. Bei einer
zu geringen Anrechnung sei eine Änderung der
Anrechnungsverfügung jedoch nur innerhalb der
Zahlungsverjährungsfrist möglich (Hinweis auf das Urteil
des Senats vom 16.10.1986 VII R 159/83, BFHE 148, 4, BStBl II 1987,
405 = SIS 87 07 51). Diese Auffassung werde durch § 233a Abs.
5 Satz 1 Halbsatz 2 AO gestützt, der ohne Bedeutung wäre,
wenn eine Anrechnungsverfügung jederzeit geändert werden
könnte. Das Urteil des Senats in BFHE 192, 405, BStBl II 2001,
133 = SIS 01 02 03 stehe dem nicht entgegen; denn es betreffe einen
Fehler zugunsten des Steuerpflichtigen, nämlich einen Fall, in
dem wegen der Fälligkeitsregelung des § 36 Abs. 4 Satz 1
EStG der festgesetzte Einkommensteueranspruch mangels Anforderung
einer Abschlusszahlung noch nicht fällig geworden und damit
kein Verjährungsbeginn eingetreten sei. Das werde insbesondere
durch die Bezugnahme dieses Urteils auf das Urteil in BFHE 148, 4,
BStBl II 1987, 405 = SIS 87 07 51 deutlich.
II. Die zulässige Revision ist
unbegründet (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO
- ). Das angefochtene Urteil entspricht dem Bundesrecht (§ 118
Abs. 1 FGO).
Nach der Rechtsprechung des Senats (vgl.
Urteil des Senats vom 15.4.1997 VII R 100/96, BFHE 182, 506, BStBl
II 1997, 787 = SIS 97 19 74) vollzieht sich die in § 36 Abs. 4
EStG vorgeschriebene Abrechnung über die nach § 36 Abs. 2
Nr. 2 EStG auf die Einkommensteuer anzurechnenden Steuerzahlungen,
zu denen die hier strittige Kapitalertragsteuer gehört, durch
einen selbständigen, der Bestandskraft fähigen
Verwaltungsakt, der nur unter den Voraussetzungen des § 130 AO
geändert werden kann. Diese Voraussetzungen liegen im
Streitfall insoweit vor, als die strittige Kapitalertragsteuer,
also eine durch Steuerabzug erhobene Einkommensteuer (vgl. §
43 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 EStG), entgegen § 36 Abs. 2 Nr. 2
EStG (in der damals anzuwendenden Fassung des
Standortsicherungsgesetzes vom 13.9.1993, BGBl I 1993, 1569), der
gemäß § 31 Abs. 1 Satz 1 des
Körperschaftsteuergesetzes hier anzuwenden ist, nicht auf die
Körperschaftsteuerschuld der Klägerin angerechnet worden
ist. Denn zu Lasten eines Steuerpflichtigen von einem
Kreditinstitut einbehaltene und an das FA abgeführte
Kapitalertragsteuer ist nach § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG auf die
gegen den Steuerpflichtigen festgesetzte Einkommen- bzw.
Körperschaftsteuer anzurechnen. Die Vorlage einer
Bescheinigung über die Einbehaltung und Abführung der
Kapitalertragsteuer (§ 45a Abs. 2 und 3 EStG) ist jedoch
Voraussetzung der Anrechnung (Seibel in Herrmann/Heuer/Raupach,
§ 36 EStG Rz 23); sie erbringt den erforderlichen Nachweis der
Einbehaltung und Abführung von Kapitalertragsteuer in
gesetzlicher Form, welcher nur durch die vorgenannte Bescheinigung
geführt werden kann (vgl. R 154 Abs. 2 i.V.m. R 213g Abs. 2
Satz 1 der Einkommensteuer-Richtlinien 1993, sowie jetzt § 36
Abs. 2 Nr. 2 Satz 2 EStG; Blümich/Stuhrmann, § 36 EStG Rz
28). Wird die Bescheinigung nicht vor Ergehen der Veranlagung bzw.
der mit dieser zu verbindenden Anrechnungsverfügung, sondern
nachträglich vorgelegt, ist der Anrechnungsanspruch aber
mangels einer diesbezüglichen gesetzlichen Regelung nicht etwa
in einem besonderen, auf Erstattung der durch Steuereinbehalt
geleisteten Zahlungen gerichteten Verfahren geltend zu machen und
es wird dadurch insbesondere auch nicht unmittelbar ein
Erstattungsanspruch nach § 37 Abs. 2 AO ausgelöst; denn
diese Vorschrift ist insofern nicht einschlägig, als die
Kapitalertragsteuer nicht ohne rechtlichen Grund geleistet worden
ist und der rechtliche Grund für diese Leistung auch nicht im
Sinne vorgenannter Vorschrift entfällt, wenn die
Voraussetzungen für eine Anrechnung der geleisteten
Kapitalertragsteuer auf die festgesetzte Einkommensteuer von dem
Steuerpflichtigen nachträglich geschaffen werden. Vielmehr
wird in einem solchen Fall die (zunächst dem Gesetz
gemäß) erlassene Anrechnungsverfügung rechtswidrig,
weil es Sinn und Zweck des Anrechnungsverfahrens widerspräche,
nach Erlass der Anrechnungsverfügung eintretende Tatsachen
für die rechtliche Bewertung derselben außer Betracht zu
lassen.
Die rechtswidrig gewordene
Anrechnungsverfügung kann also, und zwar obwohl sie
unanfechtbar geworden ist, gemäß § 130 Abs. 1 AO
zurückgenommen werden. Damit ist jedoch noch nichts über
die Frage gesagt, ob einer Rücknahmeentscheidung des FA
anderweit zu beachtende Rechtsvorschriften, insbesondere die
Vorschriften über die Zahlungsverjährung (§ 228 ff.
AO) entgegenstehen können, welche im Streitfall die Weigerung
des FA, die Anrechnungsverfügung nach § 130 Abs. 1 AO
zurückzunehmen, rechtmäßig erscheinen lassen.
Eine solche Rechtfertigung kann sich
insbesondere aus den Vorschriften ergeben, welche die in der
Anrechnungsverfügung zu berücksichtigenden steuerlichen
Forderungen und Ansprüche betreffen. Denn die
Anrechnungsverfügung ist ein deklaratorischer,
bestätigender Verwaltungsakt; er begründet keine
Ansprüche, die nicht bereits unabhängig von der
Anrechnungsverfügung bestehen, sondern zieht lediglich die
rechnerischen Folgen aus anderweit begründeten Rechten und
Pflichten (Urteil des Senats in BFHE 192, 405, BStBl II 2001, 133 =
SIS 01 02 03). Dementsprechend hat der Senat in der eben genannten
Entscheidung für die Beantwortung der Frage, ob die in einer
Anrechnungsverfügung unzutreffend ausgewiesene
Abschlusszahlung nachträglich geändert werden kann,
darauf abgestellt, ob die Erhebung der Einkommensteuer, die
festgesetzt, aber bei der Bemessung der Abschlusszahlung zu Unrecht
nicht berücksichtigt worden war, infolge
Zahlungsverjährung ausgeschlossen ist, und dies in dem dort
entschiedenen Fall verneint, weil eine zwar festgesetzte, aber bei
der Bemessung der Abschlusszahlung nicht berücksichtigte
Einkommensteuer gemäß § 36 Abs. 4 EStG nicht
fällig werde und deshalb einer Zahlungsverjährung nicht
unterliege.
Im Streitfall ist ebenfalls die
Abschlusszahlung objektiv unrichtig festgesetzt. Die objektive
Unrichtigkeit der Anrechnungsverfügung besteht indes anders
als in dem vorgenannten Urteilsfall nicht darin, dass festgesetzte
Einkommensteuer nicht fällig gestellt worden ist und damit die
Zahlungsverjährungsfrist (§ 228 AO), wenn man, wie der
Senat in vorgenannter Entscheidung angenommen hat, auf die
festgesetzte Einkommensteuer (und nicht nur auf die
Abschlusszahlung als solche) § 36 Abs. 4 EStG anwenden muss,
für sie nicht begonnen hat, sondern dass gleichsam umgekehrt
Einkommensteuer fällig gestellt worden ist, die nicht
hätte fällig gestellt werden dürfen. Es geht also im
Streitfall um die - wie das FG richtig erkannt hat, durch das
vorgenannte Urteil des Senats nicht entschiedene - Frage, ob eine
solche Fälligkeitsbestimmung für einen bestimmten Betrag,
die den Lauf der Zahlungsverjährungsfrist für diesen
angeblich von dem Steuerpflichtigen geschuldeten Betrag
ausgelöst hat, noch zugunsten des Steuerpflichtigen
geändert werden kann, nachdem jene Frist bereits abgelaufen
ist.
Diese im Gesetz wortwörtlich nicht
beantwortete Frage ist zu verneinen. Denn das Institut der
Zahlungsverjährung soll im Erhebungsverfahren dafür
sorgen, dass nach Ablauf einer angemessenen Frist endgültig
Rechtssicherheit darüber einkehrt, was der Steuerpflichtige
aufgrund der Steuerfestsetzung unter Berücksichtigung
anzurechnender Vorauszahlungen und Abzugssteuern noch zu zahlen hat
bzw. was ihm zu erstatten ist. Das schließt es nicht nur aus,
fällig gewordene steuerliche Ansprüche nach Ablauf der
vom Gesetz in diesem Zusammenhang festgelegten
Fünf-Jahres-Frist noch geltend zu machen, sondern auch, auf
fällig gewordene Steuern nach Ablauf dieser Frist etwas
anzurechnen und dadurch Erstattungsansprüche i.S. des §
37 Abs. 2 AO auszulösen.
Zu Unrecht hält die Revision dem
entgegen, einen selbständigen steuerlichen Erstattungsanspruch
geltend zu machen, der mangels objektiv-richtiger
Anrechnungsverfügung des FA bisher nicht fällig geworden
sei. Dieser Betrachtungsweise vermag der erkennende Senat nicht zu
folgen. Die Klägerin verkennt, dass sie keinen von der
Anrechnungsverfügung in dem gegen sie ergangenen
Körperschaftsteuerbescheid unabhängigen
Erstattungsanspruch nach § 37 Abs. 2 AO geltend machen kann -
Kapitalertragsteuer ist von den Kapitalerträgen der
Klägerin zu Recht einbehalten und an das FA abgeführt
worden -, sondern dass ihr Erstattungsanspruch lediglich die Folge
einer Änderung der Anrechnungsverfügung des FA wäre.
Diese Änderung ist aber nach Ablauf der
Zahlungsverjährungsfrist, die mit der Festsetzung der
Abschlusszahlung zu laufen begonnen hat, ausgeschlossen.
Ob mit der Festsetzung der Einkommen- bzw.
Körperschaftsteuer oder erst mit der Vorlage von
Steuerbescheinigungen (vgl. so offenbar Urteil des Bundesfinanzhofs
vom 26.11.1997 I R 110/97, BFH/NV 1998, 581 = SIS 98 07 02) ein
Anspruch auf Vergütung abgeführter Kapitalertragsteuer
entsteht, bedarf keiner Erörterung, weil die Vergütung
jedenfalls aufgrund des § 36 Abs. 2 EStG durch Anrechnung
vorzunehmen ist und, wie dargelegt, im Streitfall nicht mehr
vorgenommen werden kann.