Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil
des Hessischen Finanzgerichts vom 13.07.2022 - 8 K 1466/19 = SIS 22 22 02 aufgehoben.
Die Bescheide über die gesonderte und
einheitliche Feststellung nach § 18 Abs. 4 des
Außensteuergesetzes für 2012 bis 2016, zuletzt in der
Fassung der Änderungsbescheide vom 01.11.2024 für 2015
sowie vom 07.11.2024 für 2012 bis 2014 und 2016, werden
aufgehoben.
Die Kosten des gesamten Verfahrens hat der
Beklagte zu tragen.
1
|
I. Die Beteiligten streiten über das
Vorliegen der Voraussetzungen der Zurechnungsbesteuerung nach
§ 15 des Außensteuergesetzes in der in den Streitjahren
2012 bis 2016 jeweils gültigen Fassung (AStG) sowie
darüber, ob hiervon zur Vermeidung eines Verstoßes gegen
die Kapitalverkehrsfreiheit Abstand zu nehmen ist.
|
|
|
2
|
Frau … (Stifterin) ordnete
testamentarisch die Errichtung einer Stiftung an. Nach deren
Errichtung infolge des Ablebens der Stifterin wurde die Stiftung in
die streitgegenständliche …-Familienstiftung
(Z-Stiftung) umbenannt. Bei der Z-Stiftung handelt es sich um eine
Stiftung nach dem Recht der Schweizerischen Eidgenossenschaft
(Schweiz). Sitz der Stiftung ist … in der Schweiz.
Destinatäre der Z-Stiftung sind die Feststellungsbeteiligten.
Nach dem Stiftungsstatut entscheidet der Stiftungsrat über die
Verwendung des Stiftungskapitals und der Erträgnisse nach
freiem Ermessen. Den Destinatären stehen keine klagbaren
Ansprüche gegen die Z-Stiftung zu. Der Rechtsweg ist daher
ausgeschlossen, solange den Destinatären ein Beschluss des
Stiftungsrats über eine Zuwendung nicht schriftlich mitgeteilt
worden ist. Der Stiftungsrat ist das für die Organisation der
Stiftungsgeschäfte zuständige Organ.
|
|
|
3
|
Das Finanzamt … stellte das den
Feststellungsbeteiligten zuzurechnende Einkommen (für 2012)
und die zuzurechnenden Einkünfte (für 2013 bis 2016)
gesondert und einheitlich gegenüber den
Feststellungsbeteiligten mit Bescheiden vom 21.03.2019 fest.
Gemeinsame Empfangsbevollmächtigte der
Feststellungsbeteiligten ist die Klägerin und
Revisionsbeklagte (Klägerin).
|
|
|
4
|
Die von der Klägerin gegen die
Feststellungsbescheide erhobene Klage zum Finanzgericht (FG)
führte zu deren Aufhebung (EFG 2023, 316 = SIS 22 22 02).
Während des Klageverfahrens wurde das Finanzamt … und
im Verlauf des Revisionsverfahrens der Beklagte und
Revisionskläger (Finanzamt … - FA - )
zuständig.
|
|
|
5
|
Mit der Revision rügt das FA im
Wesentlichen die Verletzung materiellen Rechts. Die
Feststellungsbeteiligten seien nicht nur anfalls-, sondern auch
bezugsberechtigt im Sinne von § 15 Abs. 1 Satz 1 AStG. Die
Zurechnung des Einkommens (für 2012) beziehungsweise der
Einkünfte (für 2013 bis 2016) der Z-Stiftung nach §
15 AStG verstoße nicht gegen die Grundfreiheiten.
|
|
|
6
|
Mit Datum vom 01.11.2024 für 2015 und
vom 07.11.2024 für 2012 bis 2014 und 2016 hat das FA aus im
Revisionsverfahren nicht streitgegenständlichen Gründen
geänderte Feststellungsbescheide erlassen.
|
|
|
7
|
Das FA beantragt,
|
|
das angefochtene Urteil aufzuheben und die
Klage abzuweisen.
|
|
|
8
|
Die Klägerin beantragt,
|
|
das angefochtene Urteil aufzuheben und die
gesonderten und einheitlichen Feststellungen nach § 18 Abs. 4
AStG für die Feststellungsjahre 2012 bis 2016, zuletzt in der
Fassung der Änderungsbescheide jeweils vom 07.11.2024,
aufzuheben.
|
|
|
9
|
Rechtsfehlerhaft habe die Vorinstanz eine
Anfallsberechtigung der Feststellungsbeteiligten angenommen.
Jedenfalls habe die Zurechnungsbesteuerung zur Vermeidung eines
Verstoßes gegen die Kapitalverkehrsfreiheit beziehungsweise
gegen die Grundrechte der Feststellungsbeteiligten zu
unterbleiben.
|
|
|
10
|
Mit Beschluss vom 11.06.2024 sind die
Feststellungsbeteiligten zum Verfahren beigeladen worden.
|
|
|
11
|
II. Bereits aus verfahrenstechnischen
Gründen hat die Vorentscheidung keinen Bestand.
|
|
|
12
|
Der Senat legt das klägerische Begehren
dahingehend aus, dass es sich hinsichtlich 2015 gegen die
gesonderte und einheitliche Feststellung nach § 18 Abs. 4 AStG
in der Fassung des Änderungsbescheids vom 01.11.2024
richtet.
|
|
|
13
|
1. Das angefochtene Urteil ist aus
verfahrensrechtlichen Gründen aufzuheben, da sich während
des Revisionsverfahrens der Verfahrensgegenstand, über dessen
Rechtmäßigkeit das FG zu entscheiden hatte,
geändert hat (§ 127 der Finanzgerichtsordnung - FGO - ).
Das FG hat über die Feststellungsbescheide vom 21.03.2019
entschieden. An deren Stelle sind während des
Revisionsverfahrens die Änderungsbescheide vom 01.11.2024
für 2015 und vom 07.11.2024 für 2012 bis 2014 und 2016
getreten, die nach § 121 Satz 1 i.V.m. § 68 Satz 1 FGO
Gegenstand des Verfahrens geworden sind. Damit liegen der
Vorentscheidung nicht mehr existierende Bescheide zugrunde. Das
angefochtene Urteil ist gegenstandslos geworden und aufzuheben
(Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 22.02.2018 - VI R 17/16,
BFHE 260, 532, BStBl II 2019, 496 = SIS 18 07 75, Rz 17,
m.w.N.).
|
|
|
14
|
2. Allein deshalb bedarf es jedoch keiner
Zurückverweisung an das FG gemäß § 127 FGO.
Denn hinsichtlich der streitigen Zurechnung des Einkommens
(für 2012) beziehungsweise der Einkünfte (für 2013
bis 2016) einer ausländischen Familienstiftung dem Grunde nach
haben sich durch die Änderungsbescheide vom 01.11.2024
für 2015 und vom 07.11.2024 für 2012 bis 2014 und 2016
keine Änderungen ergeben, und die Klägerin hat auch
keinen weitergehenden Antrag gestellt. Das finanzgerichtliche
Verfahren leidet auch nicht an einem Verfahrensmangel (dazu unter
III.2.b bb sowie III.3.), so dass die vom FG getroffenen
tatsächlichen Feststellungen durch die Aufhebung des Urteils
nicht weggefallen sind; sie bilden nach wie vor die Grundlage
für die Entscheidung des Senats in der Sache (BFH-Urteil vom
15.03.2007 - VI R 29/05, BFH/NV 2007, 1076 = SIS 07 15 28, unter
II.1.).
|
|
|
15
|
III. In der Sache hat die Revision keinen
Erfolg. Die Klage ist begründet. Die Bescheide über die
gesonderte und einheitliche Feststellung der Besteuerungsgrundlagen
nach § 18 Abs. 4 AStG für 2012 bis 2016 sind rechtswidrig
und daher aufzuheben. Zwar liegen die Voraussetzungen für eine
Zurechnung des Einkommens (für 2012) beziehungsweise der
Einkünfte (für 2013 bis 2016) der Z-Stiftung zu den
Feststellungsbeteiligten nach § 15 Abs. 1 Satz 1 AStG dem
Grunde nach vor (dazu unter 1.). Unter Berücksichtigung des
Anwendungsvorrangs des Unionsrechts hat die Zurechnung jedoch
gemäß § 15 Abs. 6 AStG zu unterbleiben (dazu unter
2.).
|
|
|
16
|
1. Zutreffend hat das FG die Voraussetzungen
für eine Zurechnung des Einkommens (für 2012)
beziehungsweise der Einkünfte (für 2013 bis 2016) zu den
Feststellungsbeteiligten nach § 15 Abs. 1 Satz 1 AStG dem
Grunde nach angenommen.
|
|
|
17
|
Nach dieser Vorschrift werden Vermögen
und Einkommen (für 2012) beziehungsweise Einkünfte
(für 2013 bis 2016) einer Familienstiftung, die
Geschäftsleitung und Sitz außerhalb des Geltungsbereichs
des Außensteuergesetzes hat (ausländische
Familienstiftung), dem Stifter, wenn er unbeschränkt
steuerpflichtig ist, sonst den unbeschränkt steuerpflichtigen
Personen, die bezugsberechtigt oder anfallsberechtigt sind,
entsprechend ihrem Anteil zugerechnet. Familienstiftungen sind nach
§ 15 Abs. 2 AStG Stiftungen, bei denen der Stifter, seine
Angehörigen und deren Abkömmlinge zu mehr als der
Hälfte bezugsberechtigt oder anfallsberechtigt sind.
|
|
|
18
|
a) Die Z-Stiftung ist eine ausländische
Stiftung. Die Feststellungsbeteiligten sind Angehörige
beziehungsweise Abkömmlinge der Stifterin. Dies ist
unstreitig.
|
|
|
19
|
b) Die Z-Stiftung ist eine Familienstiftung im
Sinne von § 15 Abs. 2 AStG. Die Feststellungsbeteiligten sind
jedenfalls zu mehr als der Hälfte anfallsberechtigt.
|
|
|
20
|
aa) Durch die Rechtsprechung des BFH ist
geklärt, dass eine Anfallsberechtigung im Sinne von § 15
AStG keinen (einklagbaren) Anspruch voraussetzt, sondern eine
gesicherte Rechtsposition in Bezug auf den Anfall des
Vermögens genügt (BFH-Urteil vom 25.04.2001 - II R 14/98,
BFH/NV 2001, 1457 = SIS 01 77 90, unter II.4.e).
|
|
|
21
|
Eine für eine Anfallsberechtigung
erforderliche gesicherte Rechtsposition nimmt die Rechtsprechung
an, wenn dem Steuerpflichtigen eine unentziehbare Rechtsposition
zuteilwird, so dass es nur bei Eintreten ungewöhnlicher
Verhältnisse in dessen Person zu einer Beeinträchtigung
seiner Rechte an der Auskehrung kommen kann (BFH-Urteil vom
25.04.2001 - II R 14/98, BFH/NV 2001, 1457 = SIS 01 77 90, unter
II.4.e). Soweit in der Literatur für die Annahme einer
Anfallsberechtigung auf eine Anwartschaft abgestellt wird
(Brandis/Heuermann/Vogt, § 15 AStG Rz 45), versteht der Senat
dies als ein Synonym für eine gesicherte Rechtsposition (so im
Ergebnis Hennemann-Raschke in Haun/Kahle/Goebel/Reiser,
Außensteuergesetz, § 15 Rz 17 i.V.m. Rz 19). Eine
Anwartschaft im steuerlichen Sinne liegt vor, soweit eine
begründete Aussicht auf den Erwerb einer tatsächlichen
oder rechtlichen Position besteht (BFH-Urteil vom 20.02.1975 - IV R
15/71, BFHE 115, 223, BStBl II 1975, 505 = SIS 75 03 00, unter 5.a;
vgl. Senatsurteil vom 19.02.2013 - IX R 35/12, BFHE 240, 559, BStBl
II 2013, 578 = SIS 13 17 78, Rz 13; Brandis/Heuermann/Ratschow,
§ 20 EStG Rz 359). Dementsprechend sind jedenfalls sogenannte
Zufallsdestinatäre, mithin Personen, bei denen es bloß
spekulativer Natur ist, ob sie Ausschüttungen einer
ausländischen Stiftung erhalten, nicht als anfallsberechtigt
anzusehen (Tz. 15.2 des Schreibens des Bundesministeriums der
Finanzen - BMF - vom 14.05.2004, BStBl I 2004, Sondernummer 1/2004,
S. 3 = SIS 04 21 57; Tz. 15.1.1.2 des BMF-Schreibens vom
22.12.2023, BStBl I 2023, Sondernummer 1/2023, S. 2 = SIS 23 21 31,
Grundsätze zur Anwendung des Außensteuergesetzes -
AEAStG - ; Brandis/Heuermann/Vogt, § 15 AStG Rz 42, m.w.N.).
Inwieweit einem Steuerpflichtigen hinsichtlich einer
Bezugsberechtigung eine derart unentziehbare Rechtsposition
zuteilwird, ergibt sich aus dem Zusammenhang zwischen abstrakter
Berechtigung und tatsächlicher Auskehrung (vgl. BFH-Urteil vom
02.02.1994 - I R 66/92, BFHE 173, 404, BStBl II 1994, 727 = SIS 94 16 77, unter II.1.d). Aufgrund desselben Wortstamms
„Berechtigung“ ist diese Rechtsprechung
auch auf die Anfallsberechtigung übertragbar. Mithin ist unter
einer gesicherten Rechtsposition vor dem Hintergrund des Zwecks der
Zurechnungsbesteuerung nach § 15 AStG, Steuerflucht und
Steuervermeidung entgegenzuwirken (BFH-Urteil vom 25.04.2001 - II R
14/98, BFH/NV 2001, 1457 = SIS 01 77 90, unter II.2.a; vgl.
BT-Drucks. 16/10189, S. 79), die bei objektiver Betrachtungsweise
bestehende begründete Aussicht eines Steuerpflichtigen zu
verstehen, dass er Auskehrungen aus einer ausländischen
Stiftung erhalten wird.
|
|
|
22
|
Dem steht nicht die zum Begriff des
Zwischenberechtigten im Sinne von § 7 Abs. 1 Nr. 9 Satz 2
Halbsatz 2 des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes
(ErbStG) ergangene Rechtsprechung entgegen. Hiernach ist
Zwischenberechtigter an einer ausländischen Stiftung, wer
unabhängig von einem konkreten Ausschüttungsbeschluss
über eine Rechtszuständigkeit an dem in der
Vermögensmasse gebundenen Vermögen und/oder an den durch
die Vermögensmasse erzielten Erträgen verfügt, sei
es - nach deutschem Rechtsverständnis - in Gestalt eines
dinglichen Rechts oder in Gestalt schuldrechtlicher Ansprüche.
Nicht zwischenberechtigt ist danach, wer über keine Rechte an
der Vermögensmasse oder Ansprüche gegenüber der
Vermögensmasse verfügt (BFH-Urteil vom 25.06.2021 - II R
32/19 = SIS 22 05 02, Rz 17).
|
|
|
23
|
Aufgrund der jeweiligen, den gesetzlichen
Regelungen zugrunde liegenden unterschiedlichen Ausgangslagen ist
diese Rechtsprechung nicht auf den Begriff des Anfallsberechtigten
im Sinne von § 15 AStG übertragbar (so aber Tischendorf,
IStR 2022, 489, 490; Haag/Tischendorf, IStR 2020, 794; vgl. Weiss,
IStR 2020, 124, 129 f.). § 7 Abs. 1 Nr. 9 Satz 2 Halbsatz 2
ErbStG regelt die Schenkungsteuerbarkeit des Erwerbs von einer
Vermögensmasse ausländischen Rechts. Zwar findet die
Zurechnungsbesteuerung auf solche Vermögensmassen nach §
15 Abs. 4 AStG ebenfalls Anwendung. Anders als § 15 AStG
für Zwecke der Ertragsbesteuerung, setzt § 7 Abs. 1 Nr. 9
Satz 2 Halbsatz 2 ErbStG für Zwecke der Schenkungsteuer eine
tatsächliche Zuwendung an den Zwischenberechtigten voraus. Die
Einkommensbesteuerung tatsächlicher Zuwendungen richtet sich
bei natürlichen Personen nach § 20 Abs. 1 Nr. 9 Satz 2
des Einkommensteuergesetzes - EStG - (BFH-Urteil vom 03.11.2010 - I
R 98/09, BFHE 232, 22, BStBl II 2011, 417 = SIS 11 05 54, Rz
11).
|
|
|
24
|
Die Beurteilung, ob ein Steuerpflichtiger
Anfallsberechtigter ist, erfolgt veranlagungszeitraumbezogen (vgl.
§ 25 Abs. 1 EStG; Schulz, Die Besteuerung ausländischer
Familienstiftungen nach dem Außensteuergesetz, S. 39). Die
einschlägigen Besteuerungsgrundlagen sind in jedem
Veranlagungszeitraum erneut zu prüfen und rechtlich zu
würdigen (BFH-Urteil vom 22.10.2015 - IV R 7/13, BFHE 251,
335, BStBl II 2016, 219 = SIS 15 28 91, Rz 36, m.w.N.), so dass in
der Zukunft eintretende Umstände nicht zu einer
rückwirkenden Annahme einer Anfallsberechtigung führen,
sondern eine solche erst bei ihrem Vorliegen zu begründen
vermögen. Die Anfallsberechtigung, welche voraussetzt, dass
das Vermögen der Stiftung noch nicht verteilt worden ist,
bezieht sich ihrer Natur nach auf einen in der Zukunft liegenden
Zeitpunkt. Dies steht der Annahme einer Anfallsberechtigung nicht
entgegen (BFH-Urteil vom 25.04.2001 - II R 14/98, BFH/NV 2001, 1457
= SIS 01 77 90, unter II.4.f aa). Insofern kommt es nicht darauf
an, inwiefern der Zeitpunkt der Auflösung ungewiss ist. Denn
die Anfallsberechtigung setzt gedanklich die Auflösung der
Stiftung voraus und betrifft die Frage, wie sich dann die
Berechtigung am Stiftungsvermögen darstellt. Ob der Zeitpunkt
der Auflösung bereits feststeht, ist für die
Anfallsberechtigung nicht von Bedeutung.
|
|
|
25
|
bb) Nach diesen Maßstäben sind die
Feststellungsbeteiligten als alleinige Anfallsberechtigte
anzusehen.
|
|
|
26
|
Nach den tatsächlichen Feststellungen der
Vorinstanz (§ 118 Abs. 2 FGO) bestand bei der gebotenen
objektiven Betrachtungsweise die begründete Aussicht, dass die
Feststellungsbeteiligten für den Fall der Auflösung der
Z-Stiftung jeweils eine Auskehrung des verbleibenden Vermögens
erhalten. Nach der Auflösung der Stiftung besorgt der
Stiftungsrat die Liquidation entsprechend der Art. 8 und 9 des
Stiftungsstatuts (Art. 10 des Stiftungsstatuts). Beim Aussterben
eines Stammes geht die Berechtigung an dessen Stiftungsanteil zu
gleichen Teilen an die verbleibenden Stämme über (Art. 8
Satz 2 des Stiftungsstatuts). Sollten keine Nachkommen vorhanden
sein, so fällt das Stiftungsvermögen an die Nachkommen
von [Frau A] (Art. 8 Satz 3 des Stiftungsstatuts). Hieraus folgt im
Umkehrschluss, dass die Auskehrung des Stiftungsvermögens im
Rahmen der Liquidation primär an die Feststellungsbeteiligten
als Angehörige des Stammes [Frau B] zu erfolgen hat. Zwar
können nach dem Stiftungsstatut der Z-Stiftung Auskehrungen
nicht nur an die Feststellungsbeteiligten, sondern auch zugunsten
deren Ehegatten erfolgen (Art. 3 Abs. 3 des Stiftungsstatuts). Da
dies jedoch nach dem Stiftungsstatut nur ausnahmsweise zu erfolgen
hat, ist es aus deren Sicht rein spekulativer Natur, inwiefern sie
Auskehrungen aus der Z-Stiftung erhalten. Mithin kann nicht von
einer begründeten Aussicht der Ehegatten der
Feststellungsbeteiligten auf den Erhalt des verbleibenden
Vermögens für den Fall der Auflösung der Z-Stiftung
ausgegangen werden.
|
|
|
27
|
cc) Für die Anwendung der
Zurechnungsbesteuerung dem Grunde nach kommt es auf die jeweilige
Höhe der Berechtigung der Feststellungsbeteiligten nicht an.
Mit den Feststellungsbeteiligten sind lediglich Angehörige der
Stifterin und deren Abkömmlinge anfallsberechtigt, so dass
diese jedenfalls gemeinsam zu mehr als der Hälfte
anfallsberechtigt sind.
|
|
|
28
|
dd) Ob die Feststellungsbeteiligten
darüber hinaus auch bezugsberechtigt im Sinne von § 15
Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 AStG waren, kann der Senat
offenlassen.
|
|
|
29
|
2. Aus unionsrechtlichen Gründen scheidet
im Streitfall eine Zurechnung der Einkünfte nach § 15
AStG aus.
|
|
|
30
|
Gemäß § 15 Abs. 6 AStG ist die
Zurechnungsbesteuerung nicht anzuwenden, wenn eine Familienstiftung
Geschäftsleitung oder Sitz in einem Mitgliedstaat der
Europäischen Union (EU) oder einem Vertragsstaat des Abkommens
über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR-Abkommen) hat
(dazu unter a) und nachgewiesen wird, dass das
Stiftungsvermögen der Verfügungsmacht der in § 15
Abs. 2 und Abs. 3 AStG genannten Personen rechtlich und
tatsächlich entzogen ist (§ 15 Abs. 6 Nr. 1 AStG, dazu
unter b), sowie zwischen der Bundesrepublik Deutschland
(Deutschland) und dem Staat, in dem die Familienstiftung
Geschäftsleitung oder Sitz hat, aufgrund der Richtlinie des
Rates vom 19.12.1977 über die gegenseitige Amtshilfe zwischen
den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten im Bereich
der direkten Steuern (Amtsblatt der Europäischen
Gemeinschaften - ABlEG - 1977, Nr. L 336, 15, - Richtlinie
77/799/EWG - ) - für 2012 - beziehungsweise aufgrund der
Richtlinie 2011/16/EU des Rates vom 15.02.2011 über die
Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden im Bereich der
Besteuerung und zur Aufhebung der Richtlinie 77/799/EWG (Amtsblatt
der Europäischen Union 2011, Nr. L 64, 1, -
Amtshilferichtlinie - ) gemäß § 2 Abs. 2 des
EU-Amtshilfegesetzes (BGBl I 2013, 1809) - für 2013 bis 2016 -
oder einer vergleichbaren zwei- oder mehrseitigen Vereinbarung,
Auskünfte erteilt werden, die erforderlich sind, um die
Besteuerung durchzuführen (§ 15 Abs. 6 Nr. 2 AStG, dazu
unter c).
|
|
|
31
|
a) § 15 Abs. 6 AStG findet über den
Wortlaut hinaus auch auf Drittstaatensachverhalte Anwendung (vgl.
Schönfeld/Baßler in
Flick/Wassermeyer/Ditz/Schönfeld, Außensteuerrecht,
§ 15 AStG Rz 263 ff.; Haag/Faltenbacher, IStR 2017, 89, 94).
Eine Beschränkung des Anwendungsbereichs auf Stiftungen mit
Geschäftsleitung oder Sitz in einem Mitgliedstaat der EU oder
einem Vertragsstaat des EWR-Abkommens verstößt gegen die
auch für Drittstaaten geltende Kapitalverkehrsfreiheit
gemäß Art. 63 des Vertrags über die Arbeitsweise
der Europäischen Union (AEUV) - zuvor Art. 56 des Vertrags zur
Gründung der Europäischen Gemeinschaft - (dazu unter aa).
Der Anwendungsvorrang des Unionsrechts vor dem nationalen Recht
gebietet es, auch ausländische Familienstiftungen mit Sitz in
einem Drittstaat der Regelung des § 15 Abs. 6 AStG zu
unterwerfen (dazu unter bb).
|
|
|
32
|
aa) Die Beschränkung des
Anwendungsbereichs des § 15 Abs. 6 AStG auf Stiftungen mit
Geschäftsleitung oder Sitz in einem Mitgliedstaat der EU oder
einem Vertragsstaat des EWR-Abkommens beschränkt die
Kapitalverkehrsfreiheit (dazu unter aaa) in unzulässiger (dazu
unter bbb) und nicht gerechtfertigter Weise (dazu unter ccc).
|
|
|
33
|
aaa) Die Kapitalverkehrsfreiheit verbietet
alle Beschränkungen des Kapitalverkehrs zwischen den
Mitgliedstaaten der EU sowie zwischen den Mitgliedstaaten und
dritten Ländern (Art. 63 Abs. 1 AEUV).
|
|
|
34
|
(1) Art. 63 AEUV findet in zeitlicher Hinsicht
auf den Streitfall Anwendung. Entgegen der Ansicht des FA ist nicht
auf einen früheren Rechtsstand, insbesondere auf den des
Zeitpunkts der Errichtung der Z-Stiftung, abzustellen. Der Vertrag
über die Arbeitsweise der Europäischen Union ist am
01.12.2009 in Kraft getreten (Art. 357 Abs. 2 Satz 1 AEUV). Eine
Regelung, die eine Anwendbarkeit auf bereits vor Inkrafttreten von
Art. 63 AEUV verwirklichte Sachverhalte ausschließt,
fehlt.
|
|
|
35
|
(2) Abweichend zur Auffassung des FA kommt es
nicht darauf an, inwieweit die Feststellungsbeteiligten individuell
durch die Zurechnungsbesteuerung im Sinne von § 15 AStG in
ihren Grundfreiheiten betroffen sind. Die Kapitalverkehrsfreiheit
verpflichtet generell die Mitgliedstaaten, diesbezüglich
einschränkende Maßnahmen zu unterlassen. Auf eine
individuelle Betroffenheit kommt es nicht an (vgl. Englisch in
Tipke/Lang, Steuerrecht, 25. Aufl., Kap. 4 Rz 82; Watrin/Eberhardt,
BB 2014, 2967, 2970).
|
|
|
36
|
Insoweit kann der Senat dahinstehen lassen,
inwiefern die Bestellung als Destinatär bereits in den
Schutzbereich der Kapitalverkehrsfreiheit fällt. Denn
jedenfalls fällt nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der
Europäischen Union (EuGH) unter anderem die Einbringung des
Stiftungsvermögens in die Stiftung bei deren Gründung
unter den Begriff „Kapitalverkehr“ im
Sinne des Art. 63 Abs. 1 AEUV (EuGH-Urteil F.E.
Familienprivatstiftung Eisenstadt vom 17.09.2015 - C-589/13,
EU:C:2015:612 = SIS 15 25 78, Rz 39).
|
|
|
37
|
(3) Der Anwendungsbereich der
Kapitalverkehrsfreiheit wird vorliegend nicht durch die -
Drittstaatensachverhalte nicht berührende -
Niederlassungsfreiheit (Art. 49 AEUV) verdrängt.
|
|
|
38
|
Eine nationale Regelung, die nur auf
Beteiligungen anwendbar ist, die es ermöglichen, einen
sicheren Einfluss auf die Entscheidungen einer Gesellschaft
auszuüben und deren Tätigkeit zu bestimmen
(Kontrollbeteiligung beziehungsweise Direktinvestition), fällt
in den Anwendungsbereich des Art. 49 AEUV über die
Niederlassungsfreiheit, während nationale Bestimmungen
über Beteiligungen, die in der alleinigen Absicht der
Geldanlage erfolgen, ohne dass auf die Verwaltung und Kontrolle des
Unternehmens Einfluss genommen werden soll (Streubesitzbeteiligung
beziehungsweise Portfoliobeteiligung), ausschließlich im
Hinblick auf den freien Kapitalverkehr zu prüfen sind
(EuGH-Urteil Gallaher vom 16.02.2023 - C-707/20, EU:C:2023:101 =
SIS 23 04 06, Rz 56, m.w.N.).
|
|
|
39
|
Nach diesen Maßstäben wird der
Anwendungsbereich der Kapitalverkehrsfreiheit vorliegend nicht von
der Niederlassungsfreiheit verdrängt (so im Ergebnis auch
Schönfeld/Baßler in
Flick/Wassermeyer/Ditz/Schönfeld, Außensteuerrecht,
§ 15 AStG Rz 46; Kraft in Kraft, AStG, 2. Aufl., § 15 Rz
105; a.A. Rundshagen in Strunk/Kaminski/Köhler, AStG/DBA,
§ 15 AStG Rz 30; Kraft/Hause, DB 2006, 414, 415). Entscheidend
für die Anwendung der Zurechnungsbesteuerung sind nach §
15 Abs. 2 AStG die Verhältnisse der Bezugs- beziehungsweise
Anfallsberechtigungen. Für die Bestimmung dieser kommt es
jedoch nicht darauf an, inwieweit einer Person ein sicherer
Einfluss auf die Entscheidungen einer ausländischen Stiftung
und deren Tätigkeit möglich ist. Liegt ein solcher vor,
ist die Stiftung bereits regelmäßig als steuerlich
transparent zu behandeln (vgl. BFH-Urteil vom 05.11.1992 - I R
39/92, BFHE 170, 62, BStBl II 1993, 388 = SIS 93 14 79, unter
II.2.; BT-Drucks. 16/10189, S. 78), so dass es bereits deshalb zu
keiner Zurechnungsbesteuerung kommt.
|
|
|
40
|
(4) Die Zurechnungsbesteuerung nach § 15
AStG schränkt die durch Art. 63 Abs. 1 AEUV garantierte
Kapitalverkehrsfreiheit ein.
|
|
|
41
|
Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH
gehören zu den Maßnahmen, die Art. 63 Abs. 1 AEUV als
Beschränkungen des Kapitalverkehrs verbietet, solche, die
geeignet sind, Gebietsfremde von Investitionen in einem
Mitgliedstaat oder die dort Ansässigen von Investitionen in
anderen Staaten abzuhalten (statt vieler EuGH-Urteil L Fund vom
27.04.2023 - C-537/20, EU:C:2023:339 = SIS 23 07 03, Rz 49,
m.w.N.).
|
|
|
42
|
Nach diesen Maßstäben liegt eine
Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit durch die
Zurechnungsbesteuerung im Sinne von § 15 AStG vor. Die
steuerlichen Implikationen der Zurechnungsbesteuerung können
einen potentiellen Stifter davon abhalten, eine Stiftung im Ausland
zu errichten und ihn stattdessen dazu bewegen, eine Stiftung im
Inland aufzusetzen.
|
|
|
43
|
Zwar unterliegen nach § 15 Abs. 11 Satz 1
AStG Zuwendungen der ausländischen Familienstiftung bei den
Zurechnungssubjekten nicht der Besteuerung, soweit die den
Zuwendungen zugrunde liegenden Einkünfte nachweislich bereits
zugerechnet worden sind. Dies vermag die Benachteiligung
ausländischer Stiftungen durch die Zurechnungsbesteuerung
jedoch nicht auszugleichen. Die Regelung greift bereits ins Leere,
soweit die ausländische Stiftung ihre Einkünfte
thesauriert und nicht ausschüttet. Auch wenn die
Einkünfte ausgekehrt werden und nach § 15 Abs. 11 Satz 1
AStG eine Besteuerung unterbleibt, verbleibt ein Zinsnachteil.
Dieser ergibt sich, soweit die auf den Zurechnungsbetrag
entfallende Steuer früher anfällt als die Steuerlast auf
die tatsächliche Auskehrung der Einkünfte. Im
Übrigen wurde § 15 Abs. 11 Satz 1 AStG erst durch das
Amtshilferichtlinie-Umsetzungsgesetz vom 26.06.2013 (BGBl I 2013,
1809) - AmtshilfeRLUmsG - mit Wirkung ab dem 01.01.2013 (Art. 31
Abs. 3 AmtshilfeRLUmsG) in § 15 AStG eingefügt und findet
somit auf das Streitjahr 2012 (anders als in 2013 bis 2016) keine
Anwendung.
|
|
|
44
|
bbb) Die Beschränkung der
Kapitalverkehrsfreiheit durch die Zurechnungsbesteuerung nach
§ 15 AStG ist nicht aufgrund Art. 64 Abs. 1 AEUV
zulässig.
|
|
|
45
|
(1) Nach Art. 64 Abs. 1 AEUV berührt Art.
63 AEUV nicht die Anwendung derjenigen Beschränkungen auf
Drittstaaten, die am 31.12.1993 aufgrund einzelstaatlicher
Rechtsvorschriften oder aufgrund von Rechtsvorschriften der Union
für den Kapitalverkehr mit Drittstaaten im Zusammenhang mit
Direktinvestitionen einschließlich Anlagen in Immobilien, mit
der Niederlassung, der Erbringung von Finanzdienstleistungen oder
der Zulassung von Wertpapieren zu den Kapitalmärkten bestehen.
Unter den Begriff der Direktinvestition sind direkte Investitionen
in Form der Beteiligung an einem Unternehmen durch den Besitz von
Anteilen zu verstehen, die die Möglichkeit verschafft, sich
tatsächlich an der Verwaltung dieser Gesellschaft und an deren
Kontrolle zu beteiligen (EuGH-Urteil X [in Drittländern
ansässige Zwischengesellschaften] vom 26.02.2019 - C-135/17,
EU:C:2019:136 = SIS 19 01 87, Rz 26; vgl. Anhang I I.
„Direktinvestitionen“ sowie
Begriffsbestimmungen
„Direktinvestitionen“ der Richtlinie
88/361/EWG des Rates vom 24.06.1988 zur Durchführung von
Artikel 67 des Vertrages, ABlEG 1988, Nr. L 178, 5).
|
|
|
46
|
(2) Die Zurechnungsbesteuerung nach § 15
AStG in der in den Streitjahren gültigen Fassung erfüllt
diese Anforderungen nicht. Soweit diese einen potentiellen Stifter
von der Errichtung einer Stiftung im Ausland abhalten könnte,
gehört die Dotation des Stiftungsvermögens nicht zu den
in Art. 64 Abs. 1 AEUV aufgezählten Kapitalbewegungen.
Insbesondere handelt es sich um keine Direktinvestition, weil dem
Stifter keine Beteiligung an der Stiftung gewährt wird, die es
ihm ermöglicht, sich tatsächlich an der Verwaltung dieser
Gesellschaft und an deren Kontrolle zu beteiligen (vgl. Moser, Die
Hinzurechnungsbesteuerung nach den §§ 7 bis 14 AStG und
die Besteuerung ausländischer Familienstiftungen nach §
15 AStG, S. 203).
|
|
|
47
|
ccc) Die Beschränkung der
Kapitalverkehrsfreiheit durch die Zurechnungsbesteuerung nach
§ 15 AStG ist nicht nach Art. 65 Abs. 1 Buchst. a AEUV
gerechtfertigt.
|
|
|
48
|
(1) Nach dieser Regelung berührt Art. 63
AEUV nicht das Recht der Mitgliedstaaten, die einschlägigen
Vorschriften ihres Steuerrechts anzuwenden, die Steuerpflichtige
mit unterschiedlichem Wohnort oder Kapitalanlageort unterschiedlich
behandeln. Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH ist Art. 65
Abs. 1 Buchst. a AEUV als Ausnahme vom Grundprinzip des freien
Kapitalverkehrs eng auszulegen. Diese Bestimmung kann somit nicht
dahin verstanden werden, dass jede Steuerregelung, die zwischen
Steuerpflichtigen nach ihrem Wohnort oder nach dem Staat ihrer
Kapitalanlage unterscheidet, ohne Weiteres mit dem Vertrag
vereinbar wäre (EuGH-Urteile X [in Drittländern
ansässige Zwischengesellschaften] vom 26.02.2019 - C-135/17,
EU:C:2019:136 = SIS 19 01 87, Rz 60, m.w.N.; BA [Successions -
Politique sociale de logement dans l’Union] vom
12.10.2023 - C-670/21, EU:C:2023:763 = SIS 23 16 26, Rz 54). Die
nach Art. 65 Abs. 1 Buchst. a AEUV zulässigen
Ungleichbehandlungen dürfen nämlich nach dessen Abs. 3
weder ein Mittel zur willkürlichen Diskriminierung noch eine
verschleierte Beschränkung darstellen. Daher sind solche
Ungleichbehandlungen nur zulässig, wenn sie Situationen
betreffen, die nicht objektiv miteinander vergleichbar sind, oder
anderenfalls, wenn sie durch einen zwingenden Grund des
Allgemeininteresses gerechtfertigt sind (EuGH-Urteil X [in
Drittländern ansässige Zwischengesellschaften] vom
26.02.2019 - C-135/17, EU:C:2019:136 = SIS 19 01 87, Rz 61,
m.w.N.). Für die Prüfung der Vergleichbarkeit ist nach
der Rechtsprechung des EuGH zum einen die Vergleichbarkeit eines
grenzüberschreitenden Sachverhalts mit einem innerstaatlichen
Sachverhalt unter Berücksichtigung des mit den fraglichen
nationalen Bestimmungen verfolgten Ziels sowie ihres Zwecks und
ihres Inhalts zu prüfen. Zum anderen sind für die
Beurteilung, ob die unterschiedliche Behandlung aufgrund einer
derartigen Regelung einem objektiven Unterschied der Situationen
entspricht, nur die von der betreffenden Regelung aufgestellten
maßgeblichen Unterscheidungskriterien zu berücksichtigen
(EuGH-Urteil L Fund vom 27.04.2023 - C-537/20, EU:C:2023:339 = SIS 23 07 03, Rz 54, m.w.N.). Liegt danach eine objektive
Vergleichbarkeit vor, ist bei der für die Rechtfertigung der
Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit nach Art. 65 Abs. 1
Buchst. a AEUV erforderlichen Beurteilung, ob die Beschränkung
durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt
ist, auch zu prüfen, ob sie geeignet ist, die Erreichung des
mit ihr verfolgten Ziels zu gewährleisten, sowie nicht
über das hinausgeht, was hierzu erforderlich ist (EuGH-Urteil
X [in Drittländern ansässige Zwischengesellschaften] vom
26.02.2019 - C-135/17, EU:C:2019:136 = SIS 19 01 87, Rz 70,
m.w.N.).
|
|
|
49
|
(2) Diesen Anforderungen wird § 15 AStG
nicht vollständig gerecht.
|
|
|
50
|
Die Zurechnungsbesteuerung nach § 15 AStG
dient generell der Bekämpfung von Steuerflucht und
Steuervermeidung durch die Errichtung ausländischer
Familienstiftungen (vgl. BFH-Urteil vom 25.04.2001 - II R 14/98,
BFH/NV 2001, 1457 = SIS 01 77 90, unter II.2.a; vgl. BT-Drucks.
16/10189, S. 79). Die weitergehende Auffassung des FG, die
Zurechnungsbesteuerung bezwecke, der Verlagerung von
„passiven Einkünften“
unbeschränkt steuerpflichtiger Personen auf ausländische
Stiftungen entgegenzuwirken, die in Gebieten errichtet werden, in
denen das Besteuerungsniveau niedriger ist, ist dagegen abzulehnen.
Denn § 15 AStG knüpft weder daran an, ob die
ausländische Stiftung aktive oder passive Einkünfte
erzielt, noch ist es für die Zurechnungsbesteuerung im Sinne
von § 15 AStG entscheidend, welchem Besteuerungsniveau die
ausländische Stiftung unterliegt - anders jeweils bei den
Regelungen über die Hinzurechnungsbesteuerung in §§
7 bis 14 AStG - . Unter Berücksichtigung des so definierten
Zwecks ist die Situation inländischer und ausländischer
Stiftungen miteinander objektiv vergleichbar. Vor diesem
Hintergrund ergeben sich - bei der vorliegend gebotenen
restriktiven Sichtweise - keine relevanten Unterschiede zwischen
inländischen und ausländischen Stiftungen. So unterfallen
der Zurechnungsbesteuerung nur solche ausländischen
Stiftungen, die nach einem Rechtstypenvergleich einer
inländischen Stiftung entsprechen. Auch die Begrenzung der
Möglichkeiten der Finanzverwaltung zur Sachverhaltsermittlung
bei Auslandssachverhalten rechtfertigt es nicht, die
Vergleichbarkeit inländischer und ausländischer
Stiftungen in Frage zu stellen. Zwar haben die Finanzbehörden
bei Auslandssachverhalten - anders als bei inländischen
Stiftungen, bei denen für die Finanzverwaltung verschiedene
Ermittlungsmöglichkeiten nach §§ 88 ff. der
Abgabenordnung (AO) zur Verfügung stehen - nur begrenzte
Möglichkeiten, den Sachverhalt aufzuklären und sind im
Wesentlichen auf die gesteigerte Mitwirkung der Beteiligten nach
§ 90 Abs. 2 AO angewiesen. Dieser Umstand ist aber nicht
geeignet, die Vergleichbarkeit abzulehnen, da anderenfalls generell
eine Vergleichbarkeit von Auslands- und Inlandssachverhalten zu
verneinen wäre.
|
|
|
51
|
(3) Diese objektive Ungleichbehandlung ist
nicht durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses
gerechtfertigt.
|
|
|
52
|
(a) Im Hinblick auf die
Hinzurechnungsbesteuerung im Sinne von §§ 7 bis 14 AStG
hat der EuGH in der Rechtssache X [in Drittländern
ansässige Zwischengesellschaften] vom 26.02.2019 - C-135/17,
EU:C:2019:136 = SIS 19 01 87 unter anderem die Verhinderung von
Steuerhinterziehung und Steuerumgehung als einen eine
Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit rechtfertigenden
zwingenden Grund des Allgemeininteresses angesehen (EuGH-Urteil X
[in Drittländern ansässige Zwischengesellschaften] vom
26.02.2019 - C-135/17, EU:C:2019:136 = SIS 19 01 87, Rz 75). Diese
Rechtsprechung ist auf die Zurechnungsbesteuerung nach § 15
AStG übertragbar. Die Zurechnungsbesteuerung dient - wie
dargelegt - der Bekämpfung von Steuerflucht und
Steuervermeidung und damit ebenfalls der Verhinderung von
Steuerhinterziehung und Steuerumgehung.
|
|
|
53
|
(b) Zur Erreichung dieses Ziels hält der
Senat die Zurechnung des Einkommens (für 2012) beziehungsweise
der Einkünfte (für 2013 bis 2016) einer
ausländischen Stiftung gemäß § 15 AStG
für geeignet. Indem dem Stifter, soweit dieser im Inland
unbeschränkt steuerpflichtig ist, ansonsten den im Inland
unbeschränkt steuerpflichtigen Bezugs- beziehungsweise
Anfallsberechtigten, das Einkommen (für 2012) beziehungsweise
die Einkünfte (für 2013 bis 2016) der ausländischen
Stiftung zugerechnet werden, werden diese der Besteuerung
ungeachtet dessen zugeführt, inwieweit diese anderweitig
gegenüber dem Finanzamt durch den Stifter beziehungsweise die
Bezugs- oder Anfallsberechtigten offengelegt werden.
|
|
|
54
|
(c) Allerdings geht die ausnahmslose
Zurechnung des Einkommens beziehungsweise der Einkünfte der
ausländischen Stiftung über das Erforderliche hinaus.
Zwar rechtfertigt die Ausnahme nach § 15 Abs. 6 AStG den mit
der Zurechnungsbesteuerung verbundenen Eingriff in die
Kapitalverkehrsfreiheit. Jedoch findet § 15 Abs. 6 AStG seinem
Wortlaut nach nicht auf ausländische Stiftungen mit
Geschäftsleitung oder Sitz in einem Drittstaat Anwendung.
|
|
|
55
|
(aa) Nach ständiger Rechtsprechung des
EuGH zur Beschränkung der Grundfreiheiten wegen der Zurechnung
von Einkünften ausländischer Gesellschaften kann der
bloße Umstand, dass eine gebietsansässige Gesellschaft
eine Beteiligung an einer anderen, in einem Drittstaat
ansässigen Gesellschaft hält, als solcher keine
allgemeine Vermutung der Steuerhinterziehung und Steuerumgehung
begründen und damit eine steuerliche Maßnahme
rechtfertigen, die den freien Kapitalverkehr beeinträchtigt.
Eine Rechtfertigung kann sich aber daraus ergeben, wenn die den
freien Kapitalverkehr beschränkende nationale Maßnahme
speziell darauf abzielt, Verhaltensweisen entgegenzuwirken, durch
die rein künstliche Gestaltungen errichtet werden (EuGH-Urteil
X [in Drittländern ansässige Zwischengesellschaften] vom
26.02.2019 - C-135/17, EU:C:2019:136 = SIS 19 01 87, Rz 80,
m.w.N.). Die „künstliche
Gestaltung“ umfasst im Kontext des freien
Kapitalverkehrs jede Vorkehrung, bei der das Hauptziel oder eines
der Hauptziele darin besteht, durch Tätigkeiten im
Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats erzielte Gewinne künstlich
in Drittstaaten mit niedrigem Besteuerungsniveau zu transferieren
(EuGH-Urteil X [in Drittländern ansässige
Zwischengesellschaften] vom 26.02.2019 - C-135/17, EU:C:2019:136 =
SIS 19 01 87, Rz 84). Ferner muss eine die Kapitalverkehrsfreiheit
beschränkende nationale Regelung nach der Rechtsprechung des
EuGH, damit sie in angemessenem Verhältnis zum Ziel der
Verhinderung von Steuerhinterziehung und Steuerumgehung steht, in
jedem Fall, in dem künstliche Vorgänge nicht
auszuschließen sind, den Steuerpflichtigen, ohne ihn
übermäßigen Verwaltungszwängen zu unterwerfen,
in die Lage versetzen, Anhaltspunkte für etwaige
wirtschaftliche Gründe für den Abschluss des betreffenden
Geschäfts beizubringen (EuGH-Urteil X [in Drittländern
ansässige Zwischengesellschaften] vom 26.02.2019 - C-135/17,
EU:C:2019:136 = SIS 19 01 87, Rz 87, m.w.N.). Wenn die Regelung
eines Mitgliedstaats die Gewährung eines Steuervorteils von
der Erfüllung von Bedingungen abhängig macht, deren
Einhaltung nur in der Weise nachgeprüft werden kann, dass
Auskünfte von den zuständigen Behörden eines
Drittstaats eingeholt werden, ist es zudem grundsätzlich
gerechtfertigt, dass der Mitgliedstaat die Gewährung dieses
Vorteils ablehnt. Dies gilt jedenfalls dann, wenn es sich,
insbesondere wegen des Fehlens einer vertraglichen Verpflichtung
des Drittstaats zur Vorlage der Informationen, als unmöglich
erweist, die Auskünfte von ihm zu erhalten (EuGH-Urteil X [in
Drittländern ansässige Zwischengesellschaften] vom
26.02.2019 - C-135/17, EU:C:2019:136 = SIS 19 01 87, Rz 92,
m.w.N.).
|
|
|
56
|
(bb) In Anwendung dieser Grundsätze ist
die Zurechnungsbesteuerung der Familienstiftungen gemäß
§ 15 Abs. 1, 2 AStG durch §15 Abs. 6 AStG im Grundsatz
unionsrechtskonform ausgestaltet (aaa). Sie geht aber insoweit
über das erforderliche Maß hinaus, als § 15 Abs. 6
AStG dem Wortlaut nach nicht auf ausländische Stiftungen mit
Geschäftsleitung oder Sitz in einem Drittstaat Anwendung
findet (bbb).
|
|
|
57
|
(aaa) Die Zurechnungsbesteuerung ist
verhältnismäßig, als nur Familienstiftungen im
Sinne von § 15 Abs. 2 AStG erfasst werden. Insbesondere der
familiäre Zusammenhang, in dem sich solche Stiftungen bewegen,
lässt die Vermögensübertragung vom Stifter auf eine
ausländische Stiftung als rein künstliche Gestaltung zur
Umgehung der Besteuerung in Deutschland erscheinen. So heißt
es bereits im Bericht der Bundesregierung an den Deutschen
Bundestag vom 23.06.1964 (BT-Drucks. IV/2412) über die
Wettbewerbsverfälschungen, die sich aus Sitzverlagerungen und
aus dem zwischenstaatlichen Steuergefälle ergeben können,
dass Inländer auch versuchen, Steuervorteile dadurch zu
erzielen, dass sie Vermögenswerte auf ihnen nahestehende
Personen in einen niedrig besteuernden Staat treuhänderisch
übertragen und dass in diesem Zusammenhang auch die Errichtung
von Familienstiftungen, in denen das Vermögen unter
günstigem Steuerklima angesammelt wird, zu erwähnen sei
(BT-Drucks. IV/2412, S. 8). Insoweit besteht im Grundsatz auch die
Möglichkeit, die Zurechnungsbesteuerung durch den Nachweis zu
vermeiden, dass die Vermögensübertragung endgültig
und damit nicht nur rein künstlich ist. Dem entsprechend
unterbleibt die Zurechnungsbesteuerung nach § 15 Abs. 6 Nr. 1
AStG, wenn unter anderem nachgewiesen wird, dass das
Stiftungsvermögen der Verfügungsmacht der in § 15
Abs. 2 und 3 AStG genannten Personen rechtlich und tatsächlich
entzogen ist. Die Regelung wurde vor dem Hintergrund der
aufkommenden Bedenken bezüglich der Zurechnungsbesteuerung im
Kontext der Entwicklung der Rechtsprechung des EuGH zur
Kapitalverkehrsfreiheit in § 15 AStG eingefügt
(BT-Drucks. 16/10189, S. 78).
|
|
|
58
|
Es geht ebenfalls nicht über das
erforderliche Maß zur Verhinderung von Steuerhinterziehung
und Steuerumgehung hinaus, soweit § 15 Abs. 6 Nr. 2 AStG
für eine Ausnahme von der Zurechnungsbesteuerung voraussetzt,
dass zwischen Deutschland und dem Staat, in dem die
Familienstiftung eine Geschäftsleitung oder einen Sitz hat,
aufgrund der Richtlinie 77/799/EWG (für 2012) beziehungsweise
aufgrund der Amtshilferichtlinie (für 2013 bis 2016) oder
einer vergleichbaren zwei- oder mehrseitigen Vereinbarung,
Auskünfte erteilt werden, die erforderlich sind, um die
Besteuerung durchzuführen. Die Ausnahme von der
Zurechnungsbesteuerung stellt sich als ein Vorteil dar, weshalb es
nach der aufgezeigten Rechtsprechung des EuGH nicht zu beanstanden
ist, sie an eine entsprechende vertragliche Verpflichtung zur
Auskunftserteilung des Staats der Geschäftsleitung oder des
Sitzes der ausländischen Stiftung zu knüpfen (EuGH-Urteil
X [in Drittländern ansässige Zwischengesellschaften] vom
26.02.2019 - C-135/17, EU:C:2019:136 = SIS 19 01 87, Rz 92,
m.w.N.).
|
|
|
59
|
(bbb) § 15 Abs. 6 AStG greift jedoch zu
kurz, wenn die Regelung nur ausländische Stiftungen mit
Geschäftsleitung oder Sitz in einem Mitgliedstaat der EU oder
einem Vertragsstaat des EWR-Abkommens, hingegen nicht in
Drittstaaten, erfasst. Ohne die Möglichkeit des Nachweises der
Verselbständigung des Stiftungsvermögens im Sinne von
§ 15 Abs. 6 Nr. 1 AStG geht die Zurechnungsbesteuerung
über das Erforderliche hinaus. Denn die
Kapitalverkehrsfreiheit gilt nicht nur zwischen den
Mitgliedstaaten, sondern auch zwischen den Mitgliedstaaten und
dritten Ländern (Art. 63 Abs. 1 AEUV).
|
|
|
60
|
bb) Zur Abwendung dieses Verstoßes gegen
die Kapitalverkehrsfreiheit ist das „europarechtswidrige
Tatbestandsmerkmal“ wegen des
Anwendungsvorrangs des Unionsrechts nicht zu beachten (vgl.
EuGH-Urteil AES-3C Maritza East 1 vom 18.07.2013 - C-124/12,
EU:C:2013:488 = SIS 13 22 70, Rz 53; BFH-Urteil vom 27.10.2021 - X
R 11/20, BFHE 275, 52 = SIS 22 02 75, Rz 27, m.w.N.), so dass
§ 15 Abs. 6 AStG auch auf Familienstiftungen mit
Geschäftsleitung oder Sitz in einem Drittstaat Anwendung
findet.
|
|
|
61
|
Der Anwendungsvorrang ist im Wege einer
geltungserhaltenden Reduktion zugunsten des unionsrechtswidrig
Belasteten sicherzustellen (vgl. zu dieser Form der
Rechtsfortbildung BFH-Urteile vom 21.10.2009 - I R 114/08, BFHE
227, 64, BStBl II 2010, 774 = SIS 10 00 34; vom 03.02.2010 - I R
21/06, BFHE 228, 259, BStBl II 2010, 692 = SIS 10 12 82; vom
15.01.2015 - I R 69/12, BFHE 249, 99, BStBl II 2024, 720 = SIS 15 11 53, m.w.N.; vom 11.10.2023 - I R 23/23 (I R 33/17), BFHE 282,
355 = SIS 24 01 72 und vom 13.03.2024 - I R 1/20 = SIS 24 13 38,
zur amtlichen Veröffentlichung bestimmt, Rz 33; zudem Reimer
in Schaumburg/Englisch/Dobratz, Europäisches Steuerrecht, 3.
Aufl., Rz 8.59).
|
|
|
62
|
Nach diesen Grundsätzen ist es geboten,
die Einschränkung in § 15 Abs. 6 AStG auf
ausländische Stiftungen mit Geschäftsleitung oder Sitz in
einem Mitgliedstaat der EU oder einem Vertragsstaat des
EWR-Abkommens unbeachtet zu lassen, so dass auch Familienstiftungen
in Drittstaaten erfasst werden.
|
|
|
63
|
b) Die Klägerin hat den Nachweis im Sinne
von § 15 Abs. 6 Nr. 1 AStG erbracht, dass das
Stiftungsvermögen der Verfügungsmacht der in § 15
Abs. 2 und Abs. 3 AStG genannten Personen rechtlich und
tatsächlich entzogen ist.
|
|
|
64
|
aa) Eine rechtliche und tatsächliche
Entziehung der Verfügungsmacht über das
Stiftungsvermögen liegt vor, wenn die in § 15 Abs. 2 und
3 AStG genannten Personen bei Anwendung zivilrechtlicher
Maßstäbe nicht die Herausgabe des
Stiftungsvermögens bewirken können. Auf wirtschaftliche
Maßstäbe kommt es nicht an (vgl. Brandis/Heuermann/Vogt,
§ 15 AStG Rz 85; a.A. Tz. 15.6.1.2 AEAStG; Vituschek in AStG -
eKommentar, § 15 Rz 34; Wenz/Kloster in Haase, AStG/DBA, 4.
Aufl., § 15 AStG Rz 171; FG Hamburg, Urteil vom 17.12.2020 - 6
K 307/19, EFG 2021, 1003 = SIS 21 05 85, Rz 130 ff.). Zwar ist im
Ertragsteuerrecht grundsätzlich die wirtschaftliche
Betrachtungsweise maßgeblich (vgl. § 39 Abs. 2 AO). Auch
der Wortlaut einer „rechtlichen und tatsächlichen
Entziehung der Verfügungsmacht“
lässt ein wirtschaftliches Verständnis der
Voraussetzungen des § 15 Abs. 6 Nr. 1 AStG zu. Einem derart
extensiven Verständnis steht jedoch der in den
Gesetzesmaterialien zum Ausdruck kommende Wille des Gesetzgebers
entgegen. Der Gesetzgeber selbst bezieht sich hinsichtlich des
Merkmals der rechtlichen und tatsächlichen Entziehung der
Verfügungsmacht auf eine Entscheidung des II. Senats vom
28.06.2007 - II R 21/05 (BFHE 217, 254, BStBl II 2007, 669 = SIS 07 27 17; zitiert in BT-Drucks. 16/10189, S. 78). Auch die
systematische Auslegung spricht gegen eine wirtschaftliche
Betrachtungsweise. Die Zurechnungsbesteuerung setzt bereits dem
Grunde nach voraus, dass das Stiftungsvermögen steuerlich nach
§ 39 AO - mithin auch unter Berücksichtigung
wirtschaftlicher Aspekte - der ausländischen Stiftung
zuzurechnen ist (vgl. BFH-Urteil vom 05.11.1992 - I R 39/92, BFHE
170, 62, BStBl II 1993, 388 = SIS 93 14 79, unter II.2. und Tz.
15.0.2 AEAStG; BT-Drucks. 16/10189, S. 78). Ist das
Stiftungsvermögen den in § 15 Abs. 2 oder Abs. 3 AStG
genannten Personen wirtschaftlich noch zuzurechnen, unterbleibt die
Zurechnungsbesteuerung, ohne dass es auf die Voraussetzungen des
§ 15 Abs. 6 AStG ankommt. Insoweit bedürfte es bei
Anwendung einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise auch keiner
Zurechnungsbesteuerung, da bei einer Zurechnung des
Stiftungsvermögens nach wirtschaftlichen Maßstäben
zu einer der in § 15 Abs. 2 oder Abs. 3 AStG genannten
Personen diese originär die hiermit erwirtschafteten
Erträge zu versteuern hätten (vgl. § 39 Abs. 2 Nr. 1
AO). Im Übrigen sind die Anforderungen nach § 15 Abs. 6
Nr. 1 AStG vor dem Hintergrund der restriktiven Auslegung der
Rechtfertigungsgründe einer Beschränkung der
Kapitalverkehrsfreiheit durch die Zurechnungsbesteuerung restriktiv
auszulegen (s. dazu unter III.2.a aa ccc (1)).
|
|
|
65
|
Aufgrund der veranlagungszeitraumbezogenen
Betrachtungsweise (vgl. § 25 Abs. 1 EStG) kommt es in
zeitlicher Hinsicht darauf an, dass die Verfügungsmacht
tatsächlich und rechtlich in dem Zeitpunkt beziehungsweise
Zeitraum entzogen ist, dessen Einkommen beziehungsweise
Einkünfte ohne die Anwendung von § 15 Abs. 6 AStG
zugerechnet würden (vgl. Schönfeld/Baßler in
Flick/Wassermeyer/Ditz/Schönfeld, Außensteuerrecht,
§ 15 AStG Rz 281). Ob der Nachweis gelungen ist, muss das FG
ermitteln, an diese Feststellung ist der Senat nach § 118 Abs.
2 FGO grundsätzlich gebunden. Die vorinstanzliche
Sachverhaltswürdigung bindet den BFH jedoch nur, wenn sie frei
von Verfahrensfehlern ist und weder Widersprüche noch einen
Verstoß gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze
enthält. Außerdem prüft der BFH, ob das FG die
für die Subsumtion bedeutsamen Begleitumstände erforscht
und zutreffend gewürdigt hat (BFH-Urteil vom 18.10.2023 - XI R
18/20 = SIS 24 09 40, Rz 22, m.w.N.). Eine Bindung an eine
Tatsachenwürdigung besteht auch dann nicht, wenn aus den
Gründen des angefochtenen Urteils nicht nachvollziehbar ist,
aus welchen Tatsachen das FG eine Schlussfolgerung
tatsächlicher Art ableitet (vgl. BFH-Urteil vom 08.02.2017 - I
R 55/14 = SIS 17 19 14, Rz 15, m.w.N.).
|
|
|
66
|
bb) Unter Beachtung dieser Maßstäbe
kommt das FG in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise zu
dem Schluss, dass den Feststellungsbeteiligten die
Verfügungsmacht über das Stiftungsvermögen rechtlich
und tatsächlich entzogen ist. Insbesondere ist die
Würdigung des FG, dass den Feststellungsbeteiligten keine
Möglichkeit zur Einflussnahme zustand, in Anbetracht des
Statuts der Z-Stiftung plausibel und verstößt damit
weder gegen Denkgesetze noch gegen Erfahrungssätze.
Schließlich ergibt sich aus dem Stiftungsstatut keine
unmittelbare Weisungsbefugnis der Destinatäre gegenüber
dem Stiftungsrat der Z-Stiftung. So beschließt der
Stiftungsrat nach Art. 4 des Stiftungsstatuts über die
Verwendung des Stiftungskapitals und der Erträgnisse nach
freiem Ermessen und den Destinatären stehen keine klagbaren
Ansprüche gegen die Stiftung zu. Auch ist der Rechtsweg
insoweit ausgeschlossen, solange nicht den Destinatären ein
Beschluss des Stiftungsrats über eine Zuwendung schriftlich
mitgeteilt worden ist. Nach Art. 6 Abs. 1 des Stiftungsstatuts ist
der Stiftungsrat das für die Organisation der
Stiftungsgeschäfte zuständige Organ. Den
Destinatären stehen nach dem Stiftungsstatut hingegen keine
Verwaltungsrechte zu.
|
|
|
67
|
Die Rüge des FA, das FG hätte den
Sachverhalt insbesondere zum schweizerischen Recht weiter
aufklären müssen, ist unbegründet. Bei der vom FG
zutreffend angewendeten zivilrechtlichen Betrachtungsweise kommt es
nicht darauf an, inwieweit die Destinatäre mittelbar
Entscheidungen des Stiftungsrats hätten beeinflussen
können, indem sie deren Abberufung besorgen könnten.
|
|
|
68
|
c) Schließlich bestand in den jeweiligen
Streitjahren zwischen Deutschland und der Schweiz eine der
Richtlinie 77/799/EWG (für 2012) beziehungsweise eine der
Amtshilferichtlinie (für 2013 bis 2016) vergleichbare zwei-
oder mehrseitige Vereinbarung, aufgrund derer Auskünfte
erteilt werden, die erforderlich sind, um die Besteuerung
durchzuführen (§ 15 Abs. 6 Nr. 2 AStG). Dass die in Art.
27 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der
Schweizerischen Eidgenossenschaft zur Vermeidung der
Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom
Vermögen vom 11.08.1971 (BGBl II 1972, 1022) in der Fassung
des Änderungsprotokolls vom 27.10.2010 (BGBl II 2011, 1092)
mit dem erwähnten Änderungsprotokoll vom 27.10.2010
eingefügte sogenannte „große“
Auskunftsklausel diesen Anforderungen genügt, ist unstreitig
und bedarf daher keiner weiteren Ausführungen.
|
|
|
69
|
3. Die durch die Klägerseite erhobenen
Verfahrensfehler greifen jedenfalls mangels
Entscheidungserheblichkeit nicht durch.
|
|
|
70
|
4. Einer Vorlage an den EuGH nach Art. 267
Abs. 3 AEUV bedarf es nicht. Die Rechtslage ist aus den jeweils
genannten Gründen eindeutig („acte
clair“; Beschlüsse des
Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - vom 19.07.2011 - 1 BvR
1916/09, BVerfGE 129, 78 = SIS 12 00 97, unter C.I.2.e und vom
04.03.2021 - 2 BvR 1161/19 = SIS 21 05 21, Rz 55; EuGH-Urteil
Srl CILFIT und Lanificio
di Gavardo SpA gegen Ministero della Sanità vom
06.10.1982 - C-283/81, EU:C:1982:335, Rz 16) beziehungsweise
bereits durch die aufgezeigte Rechtsprechung des EuGH in einer
Weise geklärt, die keinen vernünftigen Zweifel
offenlässt („acte
éclairé“; BVerfG-Beschluss vom
04.03.2021 - 2 BvR 1161/19 = SIS 21 05 21, Rz 55; EuGH-Urteil Srl
CILFIT und Lanificio di Gavardo SpA gegen Ministero della
Sanità vom 06.10.1982 - C-283/81, EU:C:1982:335, Rz 14).
Insbesondere sind durch die Entscheidungen des EuGH Skatteverket
gegen A. vom 18.12.2007 - C-101/05, EU:C:2007:804 = SIS 08 10 41;
Emerging Markets Series of DFA Investment Trust Company vom
10.04.2014 - C-190/12, EU:C:2014:249 = SIS 14 10 47; F.E.
Familienprivatstiftung Eisenstadt vom 17.09.2015 - C-589/13,
EU:C:2015:612 = SIS 15 25 78; X [in Drittländern
ansässige Zwischengesellschaften] vom 26.02.2019 - C-135/17,
EU:C:2019:136 = SIS 19 01 87; College Pension Plan of British
Columbia vom 13.11.2019 - C-641/17, EU:C:2019:960 = SIS 19 18 44;
Gallaher vom 16.02.2023 - C-707/20, EU:C:2023:101 = SIS 23 04 06; L
Fund vom 27.04.2023 - C-537/20, EU:C:2023:339 = SIS 23 07 03 und BA
[Successions - Politique sociale de logement dans
l’Union] vom 12.10.2023 - C-670/21, EU:C:2023:763 =
SIS 23 16 26 die Reichweite der Kapitalverkehrsfreiheit sowie die
Anforderungen an eine Rechtfertigung für deren
Beschränkung geklärt.
|
|
|
71
|
5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135
Abs. 1 und § 139 Abs. 4 FGO. Die außergerichtlichen
Kosten der Beigeladenen haben diese selbst zu tragen, da sie keinen
Sachantrag gestellt und das Verfahren auch nicht maßgeblich
gefördert haben (BFH-Urteil vom 14.12.2023 - IV R 2/21, BFHE
283, 190, BStBl II 2024, 481 = SIS 24 07 01, Rz 80).
|