Die Revision des Beklagten gegen das Urteil
des Finanzgerichts Rheinland-Pfalz vom 15.01.2020 - 1 K 2011/15 =
SIS 20 05 62 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens hat der
Beklagte zu tragen.
1
|
I. Die Kläger und Revisionsbeklagten
(Kläger) sind im Inland wohnhafte und für das Streitjahr
2014 zur Einkommensteuer zusammenveranlagte Ehegatten.
|
|
|
2
|
Als vormals in Luxemburg tätiger
Arbeitnehmer bezieht der Kläger von der dortigen nationalen
Rentenversicherungskasse (Caisse Nationale d’ Assurance Pension)
eine gesetzliche Alterspension (Altersrente). Die Bezüge
unterlagen im Streitjahr in Luxemburg dem Steuereinbehalt.
|
|
|
3
|
Der Kläger bezieht zudem - ebenso wie
die Klägerin - eine Altersrente aus der inländischen
gesetzlichen Rentenversicherung. Im Hinblick darauf unterliegt er
der gesetzlichen Kranken- und sozialen Pflegeversicherungspflicht
(§ 5 Abs. 1 Nr. 11 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch -
SGB V -, § 20 Abs. 1 Satz 2 Nr. 11 des Elften Buches
Sozialgesetzbuch - SGB XI - ). Von den insgesamt durch den
Kläger im Streitjahr geleisteten
Krankenversicherungsbeiträgen (3.318 EUR) entfielen 3.033 EUR
auf die luxemburgischen Altersbezüge; die entsprechenden
Beiträge zur sozialen Pflegeversicherung (829 EUR) betrugen
759 EUR.
|
|
|
4
|
Nach den Feststellungen des Finanzgerichts
(FG) sind nach luxemburgischem Einkommensteuerrecht Beiträge
an eine - auch ausländische - Kranken- und Rentenversicherung
als Sonderausgaben abziehbar (Art. 110 Nr. 1 loi concernant
l’ impôt sur le revenu - L.I.R. - ), nicht aber solche
zur Pflegeversicherung.
|
|
|
5
|
Der Beklagte und Revisionskläger (das
Finanzamt - FA - ) stellte bei der Einkommensteuerfestsetzung
für das Streitjahr die Bezüge aus der luxemburgischen
Altersrente nach Maßgabe von Art. 17 Abs. 2 und Art. 22 Abs.
1 Buchst. d des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland
und dem Großherzogtum Luxemburg zur Vermeidung der
Doppelbesteuerung und Verhinderung der Steuerhinterziehung auf dem
Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen vom
23.04.2012 - DBA Luxemburg - (BGBl II 2014, 728, BStBl I 2015, 21 =
SIS 15 00 36) unter Progressionsvorbehalt steuerfrei. Die für
den Kläger als Sonderausgaben geltend gemachten Kranken- und
Pflegeversicherungsbeiträge erkannte das FA in Höhe des
auf die luxemburgische Altersrente entfallenden Anteils nicht an.
Zur Begründung führte es an, die Beiträge
stünden insoweit im Zusammenhang mit steuerfreien
Einnahmen.
|
|
|
6
|
Nach erfolglosem Einspruch gab das FG der
Klage statt, mit der die Kläger zuletzt beantragt hatten, nur
die auf die luxemburgischen Altersrente entfallenden Beiträge
zur sozialen Pflegeversicherung vom Sonderausgabenabzugsverbot
auszunehmen (EFG 2020, 999 = SIS 20 05 62).
|
|
|
7
|
Das FG führte aus, die Ausnahme vom
Abzugsverbot gemäß § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1
Teilsatz 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) gelte bei
unionsrechtskonformer Auslegung auch dann, wenn der
Steuerpflichtige zwar nicht - wie vom Wortlaut des Buchst. a der
Vorschrift vorausgesetzt - steuerfreie Einnahmen aus
nichtselbständiger Tätigkeit, wohl aber diesen zeitlich
nachgelagerte steuerfreie Einnahmen aus einer gesetzlichen
Altersrente des ehemaligen Beschäftigungsstaates beziehe.
Soweit Buchst. c der Vorschrift erfordere, dass der
„Beschäftigungsstaat keinerlei steuerliche
Berücksichtigung von Vorsorgeaufwendungen“ zulasse, sei
auf die jeweilige Versicherungssparte abzustellen. Beiträge
zur Pflegeversicherung seien in Luxemburg nicht als Sonderausgaben
abziehbar, sodass der Wohnsitzstaat die steuerliche Entlastung zu
gewähren habe.
|
|
|
8
|
Mit seiner Revision führt das FA aus,
die vom FG vorgenommene Auslegung des § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1
Teilsatz 2 Buchst. a EStG sei aufgrund des klaren Wortlauts dieser
Norm unzulässig. Daher seien die vom Kläger aus der
luxemburgischen Altersrente erzielten sonstigen Einkünfte von
vornherein nicht geeignet, eine Ausnahme vom
Sonderausgabenabzugsverbot bei steuerfreien Einnahmen zu
begründen. Gegenteiliges ergebe sich weder aus der
unionsrechtlich garantierten Arbeitnehmerfreizügigkeit noch
aus den Grundsätzen des Urteils des Gerichtshofs der
Europäischen Union (EuGH) Bechtel vom 22.06.2017 - C-20/16
(EU:C:2017:488, BStBl II 2017, 1271 = SIS 17 14 35).
|
|
|
9
|
Unabhängig hiervon scheide die
Ausnahme vom Sonderausgabenabzugsverbot auch dann aus, wenn zwar -
wie im Streitfall - einzelne Sparten von Vorsorgeaufwendungen vom
steuerlichen Abzug im (ehemaligen) Beschäftigungsstaat
ausgeschlossen seien, dort allerdings die gesamte persönliche
und familiäre Situation des Steuerpflichtigen im Ganzen
gebührend berücksichtigt werde. Dies sei im Hinblick auf
den Umfang des für den Kläger nach luxemburgischem
Steuerrecht möglich gewesenen Sonderausgabenabzugs für
Krankenversicherungsbeiträge (3.033 EUR)
gewährleistet.
|
|
|
10
|
Das FA beantragt,
|
|
das angefochtene Urteil aufzuheben und die
Klage abzuweisen.
|
|
|
11
|
Die Kläger beantragen,
|
|
die Revision zurückzuweisen.
|
|
|
12
|
Sie halten die Entscheidung der Vorinstanz
für rechtlich zutreffend.
|
|
|
13
|
II. Die unbegründete Revision ist nach
§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO)
zurückzuweisen.
|
|
|
14
|
Das FG hat zu Recht entschieden, dass die
allein streitigen Beiträge des Klägers zur gesetzlichen
Pflegeversicherung grundsätzlich insoweit vom
Sonderausgabenabzug ausgeschlossen sind, als sie anteilig auf die
von ihm in Luxemburg bezogene Altersrente entfallen (dazu unten
1.). Allerdings greift die Ausnahme vom Abzugsausschluss
gemäß § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Teilsatz 2 EStG
(unten 2.).
|
|
|
15
|
1. Die Vorinstanz ist zutreffend davon
ausgegangen, dass die nach § 10 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 Buchst. b
EStG als Sonderausgaben zu berücksichtigenden Beiträge
zur gesetzlichen Pflegeversicherung im Umfang des auf die
luxemburgische Altersrente entfallenden Anteils (759 EUR)
grundsätzlich einem Abzugsverbot unterliegen.
|
|
|
16
|
a) § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Teilsatz 1
EStG schließt den Abzug der dort genannten
Vorsorgeaufwendungen als Sonderausgaben aus, wenn diese in
unmittelbarem wirtschaftlichen Zusammenhang mit steuerfreien
Einnahmen stehen. Hierdurch soll ein doppelter steuerlicher Vorteil
vermieden werden (statt vieler Senatsurteil vom 05.11.2019 - X R
23/17, BFHE 267, 34, BStBl II 2020, 763 = SIS 20 03 39, Rz 15,
m.w.N.).
|
|
|
17
|
b) Dieses Abzugsverbot ist im Streitfall
grundsätzlich anwendbar.
|
|
|
18
|
Nach den gemäß § 118 Abs. 2
FGO bindenden Feststellungen der Vorinstanz bezog der Kläger
im Streitjahr infolge seiner ehemaligen Tätigkeit als
Arbeitnehmer in Luxemburg von der dortigen „Caisse
Nationale d’Assurance Pension“ eine Altersrente,
die nach Maßgabe von Art. 17 Abs. 2 DBA Luxemburg dem
dortigen Besteuerungsrecht unterfiel und im Inland - wenn auch
unter Progressionsvorbehalt - steuerfrei gestellt wurde (Art. 22
Abs. 1 Buchst. d DBA Luxemburg i.V.m. § 32b Abs. 1 Satz 1 Nr.
3 EStG). Soweit die Bezüge der luxemburgischen Altersrente
nach § 54 Abs. 2, § 57 Abs. 1 Satz 1 SGB XI i.V.m. §
226 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, § 228 Abs. 1 Satz 2 SGB V in die
Beitragsbemessung für die Pflegeversicherung des Klägers
einbezogen wurden, liegt - wie vom FG dem Grunde und der Höhe
nach zutreffend erkannt - ein unmittelbarer wirtschaftlicher
Zusammenhang der Beiträge mit steuerfreien Einnahmen vor. Da
dies zwischen den Beteiligten nicht streitig ist, sieht der Senat
von weiteren Ausführungen ab (vgl. hierzu weitergehend Urteile
des Bundesfinanzhofs - BFH - in BFHE 267, 34, BStBl II 2020, 763 =
SIS 20 03 39, Rz 15 f., sowie vom 13.04.2021 - I R 19/19, BFH/NV
2021, 1357 = SIS 21 14 38, Rz 14 f., jeweils m.w.N.).
|
|
|
19
|
2. Im Ergebnis zutreffend hat das FG zudem
entschieden, dass die streitigen Beiträge zur
Pflegeversicherung vom vorgenannten Abzugsverbot ausgenommen
sind.
|
|
|
20
|
a) Nach § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Teilsatz
2 EStG sind Vorsorgeaufwendungen i.S. von Abs. 1 Nr. 2, 3 und Nr.
3a der Vorschrift - und damit u.a. Beiträge zu gesetzlichen
Pflegeversicherungen - ungeachtet eines unmittelbaren
wirtschaftlichen Zusammenhangs mit steuerfreien Einnahmen als
Sonderausgaben zu berücksichtigen, soweit sie in unmittelbarem
wirtschaftlichen Zusammenhang mit in einem Mitgliedstaat der
Europäischen Union (EU) oder einem Vertragsstaat des Abkommens
über den Europäischen Wirtschaftsraum oder in der
Schweizerischen Eidgenossenschaft erzielten Einnahmen aus
nichtselbständiger Tätigkeit stehen (Buchst. a der
Vorschrift), diese Einnahmen nach einem Abkommen zur Vermeidung der
Doppelbesteuerung (DBA) im Inland steuerfrei sind (Buchst. b) und
der Beschäftigungsstaat keinerlei steuerliche
Berücksichtigung von Vorsorgeaufwendungen im Rahmen der
Besteuerung dieser Einnahmen zulässt (Buchst. c). Diese als
Reaktion auf das EuGH-Urteil Bechtel (EU:C:2017:488, BStBl II 2017,
1271 = SIS 17 14 35) durch das Gesetz zur Vermeidung von
Umsatzsteuerausfällen beim Handel mit Waren im Internet und
zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften vom 11.12.2018
(BGBl I 2018, 2338) eingefügte Ausnahme vom
Sonderausgabenabzugsverbot ist für alle zum Zeitpunkt des
Inkrafttretens des Gesetzes noch offenen Fälle und damit auch
im Streitfall anwendbar (§ 52 Abs. 18 Satz 4 EStG).
|
|
|
21
|
b) Die Voraussetzungen dieses
Ausnahmetatbestands sind im Streitfall gegeben.
|
|
|
22
|
Die Beiträge des Klägers zur
gesetzlichen Pflegeversicherung stehen zum einen in unmittelbarem
wirtschaftlichen Zusammenhang mit insoweit begünstigten
Einnahmen, die in einem EU-Mitgliedstaat (Luxemburg) erzielt und
nach den vorgenannten Regelungen im DBA Luxemburg im Inland
steuerfrei gestellt wurden (hierzu unten aa). Zum anderen ließ Luxemburg
als - ehemaliger - Beschäftigungsstaat des Klägers in
Bezug auf die vorliegend streitigen Vorsorgeaufwendungen keinerlei
steuerliche Berücksichtigung im Rahmen der Besteuerung der
dort erzielten Einnahmen zu (unten bb).
|
|
|
23
|
aa) Zwar ist im Streitfall der
Anwendungsbereich des § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Teilsatz 2
Buchst. a EStG weder vom Wortlaut (hierzu unten (1)) noch im Wege
der Auslegung (unten (2) und (3)) eröffnet. Allerdings
gebieten es die Arbeitnehmerfreizügigkeit gemäß
Art. 45 des Vertrags über die Arbeitsweise der
Europäischen Union (AEUV) sowie der Grundsatz des Vorrangs des
Unionsrechts vor nationalem Recht, auch bei steuerfreien Einnahmen
aus einer gesetzlichen Rentenversicherung im ehemaligen
Beschäftigungsstaat vom Ausschluss des Sonderausgabenabzugs
abzusehen (unten (4)). Eines Vorabentscheidungsersuchens an den
EuGH bedarf es insoweit nicht (unten (5)).
|
|
|
24
|
(1) Nach dem klaren Wortlaut des § 10
Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Teilsatz 2 Buchst. a EStG setzt die Ausnahme
vom Ausschluss des Sonderausgabenabzugs voraus, dass diejenigen
steuerfreien Einnahmen, die im Beschäftigungsstaat erzielt
werden, solche aus „nichtselbständiger
Tätigkeit“ sind. Auch wenn sich dies nicht explizit
aus der Begründung des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung
(BT-Drucks. 19/4455, S. 41 f.) ergibt, knüpft der Gesetzgeber
mit dieser Formulierung offenkundig an die in § 19 EStG
geregelten Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit an.
Solche Einkünfte hat der Kläger im Streitjahr in
Luxemburg nicht erzielt. Vielmehr handelt es sich bei den
Bezügen einer luxemburgischen Altersrente der „Caisse
Nationale d’Assurance Pension“ - was zwischen den
Beteiligten zu Recht nicht im Streit steht - bei Anwendung
inländischen Steuerrechts um Leibrenten aus einer gesetzlichen
Rentenversicherung i.S. von § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a
Doppelbuchst. aa EStG und damit um sonstige Einkünfte. Diese
sind vom Wortlaut des § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Teilsatz 2
Buchst. a EStG nicht erfasst (vgl. zur rechtsvergleichenden
Qualifizierung ausländischer Renteneinkünfte u.a.
Senatsurteile vom 14.07.2010 - X R 37/08, BFHE 230, 361, BStBl II
2011, 628 = SIS 10 31 06, Rz 23, sowie vom 23.10.2013 - X R 33/10,
BFHE 243, 332, BStBl II 2014, 103 = SIS 13 32 61, Rz 17).
|
|
|
25
|
(2) Eine wortlauterweiternde Einbeziehung
anderer Einkünfte als solcher aus nichtselbständiger
Arbeit ist unter teleologischen Gesichtspunkten nicht möglich.
Die Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 19/4455, S. 41 f.) bietet
hierfür keine Anhaltspunkte. Der bereits oben erwähnte
Anlass für die Schaffung des § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1
Teilsatz 2 EStG deutet - ebenso wie die Begründung der Norm -
vielmehr darauf hin, dass der Gesetzgeber den Anwendungsbereich der
Vorschrift bewusst auf im Ausland erzielte Einnahmen aus
nichtselbständiger Tätigkeit (Arbeit) beschränken
wollte.
|
|
|
26
|
(3) Die von der Vorinstanz befürwortete
unionsrechtskonforme Auslegung des § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1
Teilsatz 2 Buchst. a EStG scheidet ebenfalls aus. Insoweit
führt das FA zu Recht an, dass ein Gesetz nur nach dem in ihm
zum Ausdruck kommenden objektivierten Willen des Gesetzgebers
interpretiert werden darf (u.a. Beschluss des
Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - vom 09.11.1988 - 1 BvR 243/86,
BVerfGE 79, 106 = SIS 89 07 02, unter B.II.1., m.w.N.).
|
|
|
27
|
(4) Trotz entgegenstehenden Wortlauts und
trotz fehlender Möglichkeit einer anderslautenden Auslegung
von § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Teilsatz 2 Buchst. a EStG muss
die Ausnahme vom Ausschluss des Sonderausgabenabzugs aber auch dann
Anwendung finden, wenn ein Steuerpflichtiger - wie im Streitfall -
im Beschäftigungsstaat keine nach einem DBA steuerfrei
gestellten Einnahmen aus nichtselbständiger Tätigkeit,
sondern solche aus einer dortigen gesetzlichen Rentenversicherung,
die Ausfluss einer früheren Arbeitnehmertätigkeit im
Beschäftigungsstaat sind, erzielt. Dies gebietet die
Arbeitnehmerfreizügigkeit gemäß Art. 45 AEUV, die
von den Gerichten als unmittelbar geltendes Recht zu beachten ist
(vgl. insoweit allgemein statt vieler EuGH-Urteil The Minister for
Justice and Equality and Commissioner of the Garda Siochana vom
04.12.2018 - C-378/17, EU:C:2018:979, Neue Zeitschrift für
Arbeitsrecht - NZA - 2019, 27, Rz 35, m.w.N.). Hierbei entspricht
es ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung, im Fall
der Kollision von Unionsrecht und nationalem Recht dem
Anwendungsvorrang des Unionsrechts dadurch Rechnung zu tragen, dass
die einschlägige nationale Regelung normerhaltend in der Weise
angewendet wird, dass das unionsrechtswidrige Tatbestandsmerkmal
bei der Rechtsanwendung nicht beachtet wird (BFH-Urteile in BFHE
267, 34, BStBl II 2020, 763 = SIS 20 03 39, Rz 44; vom 20.09.2006 -
I R 113/03, BFH/NV 2007, 220 = SIS 07 03 60, unter III.1.; vom
22.07.2008 - VIII R 101/02, BFHE 222, 453, BStBl II 2010, 265 = SIS 08 33 42, unter IV.1.; vgl. auch Englisch in Tipke/Lang,
Steuerrecht, 24. Aufl., § 4 Rz 24 ff.).
|
|
|
28
|
(a) Der EuGH hat in seiner Entscheidung
Bechtel (EU:C:2017:488, BStBl II 2017, 1271 = SIS 17 14 35) den
Ausschluss des Sonderausgabenabzugs für Vorsorgeaufwendungen
gemäß § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG a.F. unter
bestimmten Voraussetzungen als nicht mit der
Arbeitnehmerfreizügigkeit vereinbar angesehen, sofern ein
Steuerpflichtiger, der von dieser Grundfreiheit Gebrauch macht, im
Hinblick auf die unter Progressionsvorbehalt stattfindende
Steuerfreistellung des ausländischen Arbeitslohns in seinem
Wohnsitzstaat Aufwendungen, die die persönliche und
familiäre Situation betreffen, steuerlich nicht in Abzug
bringen kann und somit schlechter steht, als wäre er in seinem
Wohnsitzstaat als Arbeitnehmer tätig. Aufgrund dessen haben
zunächst die Finanzverwaltung (Schreiben des
Bundesministeriums der Finanzen vom 11.12.2017, BStBl I 2017, 1624
= SIS 17 22 24) und nachfolgend der Gesetzgeber den
Abzugsausschluss unter den oben genannten Voraussetzungen
modifiziert, dies aber - offensichtlich anknüpfend an die
Konstellation der EuGH-Entscheidung - auf im Ausland erzielte
Einnahmen aus nichtselbständiger Tätigkeit
beschränkt.
|
|
|
29
|
(b) Der Senat muss nicht entscheiden, ob diese
Beschränkung generell mit Unionsrecht vereinbar ist (kritisch
hierzu im Hinblick auf die Niederlassungsfreiheit gemäß
Art. 49 AEUV bei Einnahmen aus einer selbständigen
Tätigkeit C. Korn, DStR 2019, 1, 5; Bleschick in Kirchhof/
Seer, EStG, 20. Aufl., § 10 Rz 35b; Kulosa in
Herrmann/Heuer/Raupach, § 10 EStG, Jahreskommentierung 2019,
Rz J 18-4; Reddig, jurisPR-SteuerR 26/2020, Anm. 2, unter C.IV.;
Lutter, EFG 2021, 628, 629). Sie ist es jedenfalls dann nicht, wenn
- ausgehend von den vom EuGH aufgestellten Grundsätzen in der
Entscheidung Bechtel (EU:C:2017:488, BStBl II 2017, 1271 = SIS 17 14 35) - die Arbeitnehmerfreizügigkeit i.S. von Art. 45 AEUV
in nicht zu rechtfertigender Weise beschränkt wird.
|
|
|
30
|
(c) So verhält es sich im Streitfall. Das
FG hat zutreffend erkannt, dass sich der Kläger trotz seines
Renteneintritts weiterhin auf die Arbeitnehmerfreizügigkeit
berufen kann. Zwar erlischt die für Art. 45 AEUV erforderliche
Arbeitnehmereigenschaft grundsätzlich mit der Beendigung des
Arbeitsverhältnisses; allerdings kann sie nach Beendigung des
Arbeitsverhältnisses bestimmte Folgewirkungen haben (u.a.
EuGH-Urteil Caves Krier Frères vom 13.12.2012 - C-379/11,
EU:C:2012:798, NZA 2013, 83, Rz 26, m.w.N.). Demzufolge
beeinträchtigt der Umstand, dass eine Person nicht mehr in
einem Arbeitsverhältnis steht, die Garantie bestimmter, mit
der Arbeitnehmereigenschaft zusammenhängender Rechte nicht.
Dies hat der EuGH bereits mehrfach für eine Altersrente,
deren Gewährung vom
Bestehen eines Arbeitsverhältnisses abhängig ist,
entschieden und dies damit begründet, dass das Recht auf Rente
in einem unauflöslichen Zusammenhang mit der objektiven
Arbeitnehmereigenschaft steht (EuGH-Urteile Kohll und
Kohll-Schlesser vom 26.05.2016 - C-300/15, EU:C:2016:361, Rz 25,
juris = SIS 16 14 70; Sehrer vom 15.06.2000 - C-302/98,
EU:C:2000:322, Slg. 2000, I-4585 = SIS 00 09 13, Rz 30; vgl. auch
Meints vom 27.11.1997 - C-57/96, EU:C:1997:564, Slg. 1997, I-6689,
Rz 40 f.).
|
|
|
31
|
(d) Der Kläger bezieht eine Altersrente
von der nationalen Rentenversicherungskasse Luxemburgs. Seine
Rentenansprüche stehen in einem unauflöslichen
Zusammenhang mit seiner ehemaligen - unter Inanspruchnahme der
Freizügigkeit nach Art. 45 AEUV ausgeübten -
Arbeitnehmertätigkeit in Luxemburg. Der Kläger würde
im Vergleich zu einem unbeschränkt Steuerpflichtigen, der eine
Altersrente aus einer inländischen gesetzlichen
Rentenversicherung erhält und seine Pflichtbeiträge zur
gesetzlichen Pflegeversicherung voraussetzungslos gemäß
§ 10 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 Buchst. b EStG in Abzug bringen
könnte, durch ein ihn treffendes Sonderausgabenabzugsverbot
steuerlich schlechter stehen und wäre daher in seiner insoweit
fortwirkenden Arbeitnehmerfreizügigkeit negativ berührt.
Rechtfertigungsgründe hierfür bestehen - wie sich im
Einzelnen aus der EuGH-Entscheidung Bechtel (EU:C:2017:488, BStBl II 2017, 1271 = SIS 17 14 35, Rz 52 ff.) ergibt - nicht.
|
|
|
32
|
(5) Eine Vorlage zur Vorabentscheidung an den
EuGH gemäß Art. 267 Abs. 3 AEUV kommt insoweit nicht in
Betracht. Die Unionsrechtslage ist in Bezug auf die
Arbeitnehmerfreizügigkeit sowohl zur Frage der
Zulässigkeit von Beschränkungen beim steuerlichen Abzug
von Aufwendungen für die persönliche und familiäre
Situation des Steuerpflichtigen als auch zur Fortwirkung jener
Grundfreiheit beim Bezug von Altersruhegeld hinreichend
geklärt und damit eindeutig (vgl. zur
acte-clair-Rechtsprechung u.a. EuGH-Urteil CILFIT vom 06.10.1982 -
Rs. 283/81, EU:C:1982:335, Slg. 1982, 3415, Rz 13 ff.;
BVerfG-Beschluss vom 04.03.2021 - 2 BvR 1161/19, HFR 2021, 504 =
SIS 21 05 21, Rz 55, m.w.N.; BFH-Urteil in BFH/NV 2021, 1357 = SIS 21 14 38, Rz 27; Fehling in Schaumburg/Englisch, Europäisches
Steuerrecht, 2. Aufl., Gerichtliche Durchsetzung des Unionsrechts,
Rz 27.16.).
|
|
|
33
|
bb) Auch die weiteren Voraussetzungen der
Ausnahme vom Sonderausgabenabzugsausschluss gemäß §
10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Teilsatz 2 EStG sind erfüllt. Neben dem
zwischen den Beteiligten zu Recht nicht im Streit stehenden
Erfordernis, dass die in Luxemburg erzielten Einnahmen aus der
Altersrente nach einem DBA im Inland steuerfrei sind (§ 10
Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Teilsatz 2 Buchst. b EStG i.V.m. Art. 17 Abs.
2, Art. 22 Abs. 1 Buchst. d DBA Luxemburg), liegen - wie vom FG
rechtsfehlerfrei entschieden - auch die gesetzlichen Merkmale des
Buchst. c der Vorschrift vor.
|
|
|
34
|
(1) § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Teilsatz 2
Buchst. c EStG macht die Ausnahme vom Ausschluss eines
Sonderausgabenabzugs beim Bezug steuerfreier Einnahmen davon
abhängig, dass der Beschäftigungsstaat keinerlei
steuerliche Berücksichtigung von Vorsorgeaufwendungen im
Rahmen der Besteuerung der dort erzielten Einnahmen zulässt.
Vorsorgeaufwendungen in diesem Sinne sind nach der
Klammerdefinition des Einleitungssatzes in § 10 Abs. 2 Satz 1
EStG Beiträge zur Altersvorsorge (Abs. 1 Nr. 2 der
Vorschrift), zur Krankenversicherung (Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 Buchst.
a) und gesetzlichen Pflegeversicherung (Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 Buchst.
b) sowie solche zu den in Abs. 1 Nr. 3a der Vorschrift
aufgezählten Versicherungen.
|
|
|
35
|
(2) Die von der Vorinstanz vertretene
Auffassung, für die Beurteilung einer steuerlichen
(Nicht-)Berücksichtigung von Vorsorgeaufwendungen im
Beschäftigungsstaat sei isoliert auf die jeweilige
Versicherungssparte abzustellen, lässt sich jedenfalls nicht
klar aus dem Wortlaut des § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Teilsatz 2
Buchst. c EStG ableiten. Das Zahlwort
„keinerlei“ bezieht sich auf den im Plural
verwendeten Begriff „Vorsorgeaufwendungen“; eine
Differenzierung zwischen den einzelnen in § 10 EStG genannten
Vorsorgeaufwendungen fehlt insoweit. Der Wortlaut der Norm
könnte somit auch dahingehend gedeutet werden, dass ein
Sonderausgabenabzugsverbot nur dann entfallen soll, wenn der
Beschäftigungsstaat im Rahmen der Besteuerung der dort
erzielten Einnahmen für keine der nach nationalem Recht
steuerlich anzuerkennenden Vorsorgeaufwendungen irgendeinen Abzug
zulässt.
|
|
|
36
|
Letzteres wäre nach den Feststellungen
des FG nicht der Fall. Denn das luxemburgische Einkommensteuerrecht
gewährt nur für Beiträge zu in- oder
ausländischen Kranken- und Rentenversicherungen einen
Sonderausgabenabzug (Art. 110 Nr. 1 L.I.R.). Lediglich eine
steuerliche Berücksichtigung von Beiträgen zu einer
Pflegeversicherung sieht das Gesetz nicht vor. Demnach bietet das
dortige Recht zumindest für zwei der in § 10 Abs. 2 Satz
1 EStG legaldefinierten Arten von Vorsorgeaufwendungen eine
steuerliche Entlastung.
|
|
|
37
|
(3) Die Gesetzesbegründung erhellt nicht
weiter. Nach der - im Kern zutreffenden - Vorstellung des
Gesetzgebers ist § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Teilsatz 2 EStG
Ausdruck des unionsrechtlichen Grundsatzes, dass es bei
grenzüberschreitenden Tätigkeiten grundsätzlich
Sache des Wohnsitzstaates ist, familien- und personenbezogene
Abzüge zu gewähren, dies aber nicht gilt, wenn jener
Staat entweder im Vertragswege von seiner Verpflichtung zur
vollständigen Berücksichtigung der persönlichen und
familiären Situation entbunden ist oder feststellt, dass der
Beschäftigungsstaat freiwillig mit von ihm besteuerten
Einnahmen im Zusammenhang stehende Vergünstigungen bezogen auf
die persönliche und familiäre Situation gewährt
(vgl. BT-Drucks. 19/4455, S. 41 [dort letzter Absatz] mit Verweis
auf Rz 71 des EuGH-Urteils Bechtel, EU:C:2017:488, BStBl II 2017,
1271 = SIS 17 14 35). Ob der Gesetzgeber für das Merkmal
„keinerlei Berücksichtigung von
Vorsorgeaufwendungen“ eine
versicherungsspartenspezifische Beurteilung oder aber eine - wie
vom FA vertreten - Gesamtbetrachtung sämtlicher
Vorsorgeaufwendungen erwogen hat, lässt sich seiner
Begründung weder in die eine noch in die andere Richtung
entnehmen.
|
|
|
38
|
Unerwähnt lässt die
Gesetzesbegründung hingegen, dass die Verpflichtung des
Wohnsitzstaats, die persönliche und familiäre Situation
des Steuerpflichtigen vollständig zu erfassen, nach
Maßgabe des vorgenannten Grundsatzes nur dann entfällt,
wenn zum einen gewährleistet ist, dass die gesamte
persönliche und familiäre Situation im Ganzen
gebührend berücksichtigt wird. Dies gilt unabhängig
davon, wie die beteiligten Staaten diese Verpflichtung
untereinander aufgeteilt haben. Andernfalls entstünde eine
nicht mit der Arbeitnehmerfreizügigkeit bzw.
Niederlassungsfreiheit vereinbare Ungleichbehandlung, die sich
nicht aus den Unterschieden zwischen den nationalen
Steuervorschriften ergäbe (EuGH-Urteile de Groot vom
12.12.2002 - C-385/00, EU:C:2002:750, Slg. 2002, I-11819 = SIS 03 11 76, Rz 101, und Imfeld und Garcet vom 12.12.2013 - C-303/12,
EU:C:2013:822, HFR 2014, 183 = SIS 14 04 42, Rz 70). Zum anderen
muss zwischen der Steuerregelung im Wohnsitzstaat, die eine
Vergünstigung beschränkt bzw. ausschließt, und der
im Beschäftigungsstaat gewährten Vergünstigung
für die dort zu besteuernden Einkünfte eine
wechselseitige Beziehung bestehen (EuGH-Urteile Imfeld und Garcet,
EU:C:2013:822, HFR
2014, 183 = SIS 14 04 42, Rz 73, sowie Bechtel, EU:C:2017:488,
BStBl II 2017, 1271 = SIS 17 14 35, Rz 74; vgl. auch Senatsurteil
in BFHE 267, 34, BStBl II 2020, 763 = SIS 20 03 39, Rz 31).
Umgekehrt ausgedrückt gilt daher, dass die grundsätzlich
vorrangige Verpflichtung des Wohnsitzstaats zur Gewährung
personen- und familienbezogener Abzüge insoweit nicht
beschränkt wird, als es entweder an einer im Ganzen
gebührenden Berücksichtigung der persönlichen und
familiären Lage des Steuerpflichtigen fehlt oder die in- und
ausländischen Rechtslagen nicht in wechselseitiger Beziehung
zueinander stehen.
|
|
|
39
|
(4) Diese vom EuGH in inzwischen
ständiger Rechtsprechung vertretenen Rechtsgrundsätze
lassen eine unionsrechtskonforme Auslegung von § 10 Abs. 2
Satz 1 Nr. 1 Teilsatz 2 Buchst. c EStG zu (vgl. zu dieser
Auslegungsmethode u.a. BFH-Urteil vom 09.05.2012 - I R 73/10, BFHE
238, 1, BStBl II 2013, 566 = SIS 12 22 08, Rz 18 ff., m.w.N.).
Hierbei muss der Senat mangels Entscheidungserheblichkeit nicht
darüber befinden, ob im Hinblick auf den Wortlaut der Norm
(„keinerlei“) selbst betragsmäßig
kleinste Entlastungen im Beschäftigungsstaat genügten, um
das Sonderausgabenabzugsverbot anzuwenden (zweifelnd bereits
Senatsurteil in BFHE 267, 34, BStBl II 2020, 763 = SIS 20 03 39, Rz
56; insoweit einen Unionsrechtsverstoß annehmend
Förster, DStR 2018, 1405, 1410; ebenso Hölscher, FR 2020,
651, 653; vgl. auch Bleschick in Kirchhof/Seer, EStG, 20. Aufl.,
§ 10 Rz 35b: mindestens 90 % effektive Gesamtentlastung).
Gleiches gilt für die vom FA aufgeworfene Frage, ob ein
Pauschalabzug im Beschäftigungsstaat insoweit ausreichte.
|
|
|
40
|
Jedenfalls ist § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1
Teilsatz 2 Buchst. c EStG im Hinblick auf die vorliegend
berührte Arbeitnehmerfreizügigkeit dahingehend
auszulegen, dass solche Vorsorgeaufwendungen, die nach nationaler
Rechtslage grundsätzlich steuermindernd zu
berücksichtigen wären und im Beschäftigungsstaat im
Rahmen der Besteuerung der dort erzielten Einnahmen von Gesetzes
wegen nicht („keinerlei“) zum Abzug zugelassen
sind, vom Ausschluss des Sonderausgabenabzugs auszunehmen sind. Nur
mit dieser, isoliert auf die jeweilige Art von Vorsorgeaufwendungen
bezogenen Betrachtung ist sichergestellt, dass der Wohnsitzstaat
die grundsätzlich ihn treffende Pflicht, die persönliche
und familiäre Situation des Steuerpflichtigen
„vollständig“ (vgl. EuGH-Urteil Imfeld und
Garcet, EU:C:2013:822, HFR 2014, 183 = SIS 14 04 42, Rz 69) bzw.
„umfassend“ (s. EuGH-Urteil Schumacker vom
14.02.1995 - C-279/93, EU:C:1995:31, Slg. 1995, I-225 = SIS 95 06 47, Rz 32) zu berücksichtigen, erfüllt. Zudem entspricht
diese Auslegung dem unionsrechtlichen Gebot, die
„gesamte“ persönliche und familiäre
Situation im Ganzen gebührend zu berücksichtigen
(EuGH-Urteile de Groot, EU:C:2002:750, Slg. 2002, I-11819 = SIS 03 11 76, Rz 101, und Imfeld und Garcet, EU:C:2013:822, HFR 2014, 183
= SIS 14 04 42, Rz 70). Dies wäre im Streitfall nicht
gewährleistet, würden die nach § 10 Abs. 1 Nr. 3
Satz 1 Buchst. b EStG grundsätzlich und von Verfassungs wegen
unbeschränkt abzugsfähigen Beiträge des Klägers
zur gesetzlichen Pflegeversicherung weder im Beschäftigungs-
noch im Wohnsitzstaat steuerlich anzuerkennen sein.
|
|
|
41
|
Zu berücksichtigen ist überdies,
dass sich der Kläger seiner gesetzlich angeordneten
Beitragspflicht zur Pflegeversicherung (§ 20 Abs. 1 Satz 2 Nr.
11 SGB XI) nicht entziehen konnte, jene Vorsorgeaufwendungen somit
zwangsläufig entstanden. Es handelt sich zudem um
Aufwendungen, die im Hinblick auf das Prinzip der Steuerfreiheit
des Existenzminimums von Verfassungs wegen (vgl. BVerfG-Beschluss
vom 13.02.2008 - 2 BvL 1/06, BVerfGE 120, 125 = SIS 08 16 87, unter
D.) in Höhe der tatsächlich geleisteten Beiträge
ohne Begrenzung zum Abzug zuzulassen sind (vgl. § 10 Abs. 4
Satz 4 EStG).
|
|
|
42
|
(5) Hiergegen spricht nicht, dass Luxemburg
gemäß Art. 110 Nr. 1 L.I.R. einen Sonderausgabenabzug
für Krankenversicherungsbeiträge des Steuerpflichtigen
zulässt. Dieser Umstand kann die Nichtabzugsfähigkeit von
Beiträgen zu einer gesetzlichen Pflegeversicherung nicht
kompensieren. Zwar werden Beiträge zur Pflegeversicherung nach
inländischer Rechtslage demselben Sonderausgabentatbestand
zugeordnet wie solche zum Basis-Krankenversicherungsschutz (§
10 Abs. 1 Nr. 3 EStG). Allerdings differenziert das Gesetz
innerhalb dieses Tatbestands zwischen der Krankenversicherung
einerseits (Buchst. a) und der Pflegeversicherung andererseits
(Buchst. b), sodass eine getrennte Beurteilung erforderlich
ist.
|
|
|
43
|
(6) Der weitere Einwand des FA, das
Unionsrecht verpflichte die Mitgliedstaaten nicht, ihre
Steuervorschriften so aufeinander abzustimmen, dass
gewährleistet werde, sich hieraus ergebende steuerliche
Diskrepanzen zu beseitigen, ist im Grundsätzlichen zutreffend
(vgl. hierzu EuGH-Urteil National Grid Indus vom 29.11.2011 -
C-371/10, EU:C:2011:785, Slg. 2011, I-12273 = SIS 11 39 89, Rz 62,
sowie EuGH-Urteil Sparkasse Allgäu vom 14.04.2016 - C-522/14,
EU:C:2016:253, BStBl II 2017, 421 = SIS 16 09 61, Rz 31). Hierum
geht es vorliegend aber nicht. Es spielt keine Rolle, ob der nach
luxemburgischem Einkommensteuerrecht ermöglichte Umfang des
Abzugs von Sozialversicherungsbeiträgen im Vergleich zur
inländischen Rechtslage im Ergebnis vor- oder nachteilig ist.
Maßgebend ist allein, dass eine staatenübergreifende
Nichtberücksichtigung von bestimmten Vorsorgeaufwendungen den
Steuerpflichtigen schlechter stellte, als hätte er seine
Einkünfte ausschließlich im Inland erzielt.
|
|
|
44
|
3. Die Kostenentscheidung beruht auf §
135 Abs. 2 FGO.
|
|
|
45
|
4. Der Senat konnte mit Einverständnis
der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden (§
90 Abs. 2, § 121 Satz 1 FGO).
|