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I. Aufgrund eines mit der A abgeschlossenen
Arbeitsvertrags war der Kläger und Revisionskläger
(Kläger) in den Streitjahren (2004 und 2005) als
Rettungsassistent tätig und bezog aus dieser Tätigkeit
Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Der Kläger
übte seine Tätigkeit in den Rettungswachen 6 und 7 in B
aus. Daneben hielt er sich im Rahmen von Einsätzen in Notarzt-
bzw. Rettungswagen auf.
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Der Kläger begehrte den Abzug von
Verpflegungsmehraufwendungen in Höhe von 1.116 EUR (2004) bzw.
1.098 EUR (2005). Dies lehnte der Beklagte und Revisionsbeklagte
(das Finanzamt - FA - ) mit der Begründung ab, dass die
genannten Rettungswachen und der Notarztwagen die jeweiligen
regelmäßigen Arbeitsstätten seien, so dass der
Kläger keine Einsatzwechseltätigkeit ausgeübt
habe.
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Das Finanzgericht (FG) wies die Klage mit
den in EFG 2011, 1778 = SIS 11 28 74 veröffentlichten
Gründen ab.
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Mit der Revision rügt der Kläger
die Verletzung materiellen Rechts.
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Der Kläger beantragt, das angefochtene
Urteil und die Einspruchsentscheidung des FA aufzuheben und die
Einkommensteuerbescheide für 2004 und 2005 in der Weise zu
ändern, dass weitere Werbungskosten in Höhe von 1.116 EUR
(2004) und 1.098 EUR (2005) in Abzug gebracht werden.
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Das FA beantragt, die Revision teilweise
als unbegründet zurückzuweisen.
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II. Die Revision ist begründet. Sie
führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur
Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen
Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der
Finanzgerichtsordnung - FGO - ). Das FG ist zu Unrecht von mehreren
Tätigkeitsmittelpunkten ausgegangen.
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1. Mehraufwendungen für die Verpflegung
des Steuerpflichtigen sind gemäß § 9 Abs. 5 i.V.m.
§ 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 5 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes
(EStG) nicht abziehbare Werbungskosten. Wird der Steuerpflichtige
jedoch vorübergehend von seiner Wohnung und dem Mittelpunkt
seiner dauerhaft angelegten betrieblichen Tätigkeit entfernt
betrieblich tätig, so ist nach Satz 2 der Vorschrift für
jeden Kalendertag, an dem der Steuerpflichtige wegen dieser
vorübergehenden Tätigkeit von seiner Wohnung und seinem
Tätigkeitsmittelpunkt über eine bestimmte Dauer abwesend
ist, ein nach dieser Dauer gestaffelter Pauschbetrag abzusetzen.
Dies gilt entsprechend, wenn der Steuerpflichtige bei seiner
individuellen beruflichen Tätigkeit typischerweise nur an
wechselnden Tätigkeitsstätten oder auf einem Fahrzeug
tätig wird (§ 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 5 Satz 3 EStG). Der
Begriff des Tätigkeitsmittelpunkts (§ 4 Abs. 5 Satz 1 Nr.
5 Satz 2 EStG) entspricht dem Begriff der (regelmäßigen)
Arbeitsstätte i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG.
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a) Regelmäßige Arbeitsstätte
i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG ist (nur) der
(ortsgebundene) Mittelpunkt der dauerhaft angelegten beruflichen
Tätigkeit des Arbeitnehmers und damit der Ort, an dem der
Arbeitnehmer seine aufgrund des Dienstverhältnisses
geschuldete Leistung zu erbringen hat. Dies ist im Regelfall der
Betrieb oder eine Betriebsstätte des Arbeitgebers, der der
Arbeitnehmer zugeordnet ist und die er nicht nur gelegentlich,
sondern mit einer gewissen Nachhaltigkeit, also fortdauernd und
immer wieder aufsucht (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom
22.9.2010 VI R 54/09, BFHE 231, 127, BStBl II 2011, 354 = SIS 10 40 54, m.w.N.). Allerdings ist erforderlich, dass der Arbeitnehmer
dort seiner eigentlichen beruflichen Tätigkeit nachgeht. Der
Betriebssitz des Arbeitgebers, den der Arbeitnehmer lediglich
regelmäßig nur zu Kontrollzwecken aufsucht, ist nicht
die regelmäßige Arbeitsstätte (BFH-Urteil vom
9.6.2011 VI R 58/09, BFHE 234, 155, BStBl II 2012, 34 = SIS 11 27 15).
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b) Liegen diese Voraussetzungen vor, so konnte
ein Arbeitnehmer nach früherer Rechtsprechung des BFH auch
mehrere regelmäßige Arbeitsstätten nebeneinander
innehaben. Diese Rechtsprechung hat der Senat jedoch
zwischenzeitlich aufgegeben (Urteile vom 9.6.2011 VI R 36/10, BFHE
234, 160, BStBl II 2012, 36 = SIS 11 27 13; VI R 55/10, BFHE 234,
164, BStBl II 2012, 38 = SIS 11 27 14; s. dazu Schreiben des
Bundesministeriums der Finanzen vom 15.12.2011 IV C 5 – S
2353/11/10010). Denn der ortsgebundene Mittelpunkt der beruflichen
Tätigkeit des Arbeitnehmers kann nur an einem Ort liegen. Nur
insoweit kann sich der Arbeitnehmer auf die immer gleichen Wege
einstellen und so (etwa durch Fahrgemeinschaften, öffentliche
Verkehrsmittel oder eine zielgerichtete Wohnsitznahme in der
Nähe der regelmäßigen Arbeitsstätte) auf eine
Minderung der Wegekosten hinwirken. Damit stellt sich § 9 Abs.
1 Satz 3 Nr. 4 EStG auch nur insoweit als sachgerechte und
folgerichtige Ausnahme vom objektiven Nettoprinzip dar. Übt
der Arbeitnehmer hingegen an mehreren betrieblichen Einrichtungen
des Arbeitgebers seinen Beruf aus, ist es ihm regelmäßig
nicht möglich, die anfallenden Wegekosten durch derartige
Maßnahmen gering zu halten. Denn die unter Umständen
nicht verlässlich vorhersehbare Notwendigkeit, verschiedene
Tätigkeitsstätten aufsuchen zu müssen, erlaubt es
dem Arbeitnehmer nicht, sich immer auf die gleichen Wege und eine
kostengünstige Verpflegungssituation einzustellen (vgl. dazu
BFH-Urteil vom 18.6.2009 VI R 61/06, BFHE 226, 59, BStBl II 2010,
564 = SIS 09 29 89). In einem solchen Fall lässt sich die
Einschränkung der Steuererheblichkeit von Wegekosten durch die
Entfernungspauschale (§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG) nicht
rechtfertigen.
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c) Ist der Arbeitnehmer in mehreren
betrieblichen Einrichtungen des Arbeitgebers tätig, sind
deshalb die Umstände des Einzelfalles zu würdigen und der
ortsgebundene Mittelpunkt der beruflichen Tätigkeit zu
bestimmen. Hierbei ist insbesondere zu berücksichtigen,
welcher Tätigkeitsstätte der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber
zugeordnet worden ist, welche Tätigkeit er an den
verschiedenen Arbeitsstätten im Einzelnen wahrnimmt oder
wahrzunehmen hat und welches konkrete Gewicht dieser Tätigkeit
zukommt. Allein der Umstand, dass der Arbeitnehmer eine
Tätigkeitsstätte im zeitlichen Abstand immer wieder
aufsucht, reicht für die Annahme einer regelmäßigen
Arbeitsstätte jedenfalls dann nicht aus, wenn der
Steuerpflichtige fortdauernd und immer wieder verschiedene
Betriebsstätten seines Arbeitgebers aufsucht. Der
regelmäßigen Arbeitsstätte muss vielmehr
hinreichend zentrale Bedeutung gegenüber den weiteren
Tätigkeitsorten zukommen.
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2. Das FG ist von anderen
Rechtsgrundsätzen ausgegangen. Die Vorentscheidung ist daher
aufzuheben. Die Sache ist nicht spruchreif. Das FG hat im zweiten
Rechtsgang festzustellen, ob der Kläger unter Beachtung der
o.g. Grundsätze in den Streitjahren überhaupt eine
regelmäßige Arbeitsstätte innehatte oder ob er
nicht insgesamt eine Auswärtstätigkeit ausgeübt hat
(BFH-Urteil in BFHE 234, 160, BStBl II 2012, 36 = SIS 11 27 13).
Ist das nicht der Fall, wird zu entscheiden sein, in welcher
Tätigkeitsstätte der Schwerpunkt der beruflichen
Tätigkeit des Klägers lag und welche damit als
regelmäßige Arbeitsstätte galt. Dazu hat das FG
festzustellen, ob und welcher betrieblichen Einrichtung seines
Arbeitgebers der Kläger zugeordnet war, welche Tätigkeit
er an den verschiedenen Arbeitsstätten im Einzelnen wahrnahm
oder wahrzunehmen hatte und welches Gewicht dieser Tätigkeit
jeweils zukam (BFH-Urteil in BFHE 234, 164, BStBl II 2012, 38 = SIS 11 27 14).
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Der Senat weist darauf hin, dass die
Tätigkeit des Klägers als Fahrer eines Notarztwagens eine
Fahrtätigkeit i.S. von § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 5 Satz 3
EStG darstellt. Das FG hat somit im Hinblick auf die Regelung in
§ 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 5 Satz 2 EStG gegebenenfalls auch den
jeweiligen zeitlichen Umfang der Fahrtätigkeit
festzustellen.
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