Tätigkeitsstätte im Betrieb des Kunden, Fahrtkosten: Die betriebliche Einrichtung eines Kunden des Arbeitgebers ist keine regelmäßige Arbeitsstätte i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG. Die Vorschrift kommt demnach auch dann nicht zur Anwendung, wenn ein Arbeitnehmer bei einem Kunden des Arbeitgebers längerfristig eingesetzt ist (Festhalten am Senatsurteil vom 10.7.2008 VI R 21/07, BFHE 222 S. 391, BFH/NV 2008 S. 1923 = SIS 08 35 53). - Urt.; BFH 9.7.2009, VI R 21/08; SIS 09 29 00
I. Die Kläger und Revisionskläger
(Kläger) wurden im Streitjahr (1998) als Ehegatten zusammen
zur Einkommensteuer veranlagt.
Der Kläger war im Streitjahr
Gesellschafter-Geschäftsführer der GmbH A mit Sitz unter
der privaten Adresse der Kläger in G. Die Beteiligung des
Klägers an der GmbH A betrug 60 %. Die GmbH A hatte einen Raum
(14 qm) im Erdgeschoss des im Eigentum der Kläger stehenden
Zweifamilienhauses für 2.040 DM jährlich
(einschließlich Umlagen) angemietet. Weitere der GmbH A
zuzurechnende Räume waren nicht vorhanden. Als Arbeitnehmer
der GmbH A war der Kläger ausschließlich für einen
Kunden - die X AG (AG) in W - tätig. Das Mandat zur
Unternehmensberatung hatte die GmbH A von der GmbH B erhalten, die
mit der AG in Vertragsbeziehungen stand. Im Rahmen dieser
Unterbeauftragung war der Kläger ständig über Jahre
bei der AG im Bereich EDV-Beratung tätig. Die von der AG zur
Verfügung gestellten Räume wurden auch von weiteren
Mitarbeitern der GmbH A und B genutzt. In dem Büroraum in G
nahm der Kläger Aufgaben der Geschäftsführung war.
Der gesamte Schriftverkehr und die Fachliteratur wurden dort
aufbewahrt. Auch diente das Büro der Vor- und Nachbereitung
der Beratungstätigkeit für die AG. Die Klägerin war
als Angestellte der GmbH A ebenfalls dort tätig.
Im Rahmen der Einkommensteuererklärung
1998 machte der Kläger Reisekosten als Werbungskosten bei den
Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit geltend. Hierzu
reichte er eine Bescheinigung seiner Arbeitgeberin vom 1.4.1999
ein. Darin wurde ihm bestätigt, dass er in der Zeit vom
1.1.1998 bis zum 31.12.1998 im Rahmen seiner Beratertätigkeit
Dienstreisen durchgeführt habe und diese mit insgesamt 50.640
km x 0,42 DM = 21.268 DM erstattet worden seien. In einer
beigefügten „Aufstellung der Reisekosten“ wurde
erläutert, dass im Rahmen der Tätigkeit des Klägers
als Unternehmensberater umfangreiche Reisetätigkeiten
angefallen seien. Die abzugsfähigen Reisekosten betrugen nach
der Berechnung des Klägers 5.065 DM (50.640 km x 0,52 DM =
26.332,80 DM, abzüglich steuerfreier Erstattungen in Höhe
von 21.268 DM). Mit Einkommensteuerbescheid 1998 vom 20.3.2000
wurden die Kläger vom Beklagten und Revisionsbeklagten
(Finanzamt - FA - ) unter Berücksichtigung der geltend
gemachten Reisekosten veranlagt.
Am 17.6.2003 wurde dem FA die Feststellung
einer bei der GmbH A durchgeführten
Lohnsteuer-Außenprüfung mitgeteilt, dass der Kläger
von seiner Arbeitgeberin dauerhaft an derselben
Tätigkeitsstätte eingesetzt und im Streitjahr
arbeitstäglich von seinem Wohnort zur AG nach W gefahren sei.
Der Prüfer vertrat die Auffassung, dass die
Tätigkeitsstätte in W die regelmäßige
Arbeitsstätte des Klägers darstelle. Die Aufwendungen des
Klägers könnten nur nach den für die Fahrten
zwischen Wohnung und Arbeitsstätte geltenden Grundsätzen
- und nicht nach Dienstreisegrundsätzen - steuerfrei erstattet
werden. Es ergebe sich folgende Berechnung des Bruttoarbeitslohnes
und der Werbungskosten:
|
DM
|
Bruttoarbeitslohn (bisher):
|
110
445
|
Zzgl. Spesen:
|
4
860
|
Zzgl. Fahrtkostenersatz:
|
21
267
|
Bruttoarbeitslohn (neu):
|
138
570
|
Werbungskosten (Fahrtkosten neu): (50.637
km x 0,35 DM)
|
17
722
|
In seinem nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 der
Abgabenordnung (AO) geänderten Einkommensteuerbescheid 1998
vom 8.9.2003 schloss sich das FA dieser Auffassung an. Der
hiergegen gerichtete Einspruch hatte keinen Erfolg.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage mit
den in EFG 2008, 1115 = SIS 08 29 37 veröffentlichten
Gründen ab.
Mit ihrer Revision rügen die
Kläger die Verletzung materiellen Rechts.
Sie beantragen, das vorinstanzliche Urteil
und den geänderten Einkommensteuerbescheid 1998 vom 8.9.2003
in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 26.10.2004
aufzuheben.
Das FA beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
II. Die Revision der Kläger ist
begründet. Sie führt zur Aufhebung des vorinstanzlichen
Urteils und des angefochtenen Änderungsbescheides in Gestalt
der Einspruchsentscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der
Finanzgerichtsordnung - FGO - ). FG und FA sind für das
Streitjahr zu Unrecht davon ausgegangen, dass die
Tätigkeitsstätte des Klägers in W als
regelmäßige Arbeitsstätte i.S. des § 9 Abs. 1
Satz 3 Nr. 4 des Einkommensteuergesetzes in seiner im
Veranlagungszeitraum 1998 geltenden Fassung (EStG) anzusehen ist.
Deshalb ist es revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn in dem
ursprünglichen Einkommensteuerbescheid 1998 vom 20.3.2000 -
wie von den Klägern erklärt - die bei Benutzung eines
privaten Fahrzeugs entstandenen Fahrtkosten des Klägers unter
Abzug steuerfreier Erstattungen der Arbeitgeberin mit einem
pauschalen Kilometersatz von 0,52 DM je Fahrtkilometer (vgl. H 38
des für das Streitjahr gültigen Lohnsteuer-Handbuchs
i.V.m. dem Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom
11.10.1991, BStBl I 1991, 925 = SIS 91 21 21) statt mit der in
§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG genannten Entfernungspauschale
(0,70 DM je Entfernungskilometer) als Werbungskosten
berücksichtigt worden sind. Auf die Frage, ob die
Voraussetzungen des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO vorgelegen haben,
kommt es nicht mehr an.
1. Aufwendungen des Arbeitnehmers für
Wege zwischen Wohnung und (regelmäßiger)
Arbeitsstätte waren (auch) im Streitjahr nach Maßgabe
der in § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG genannten
Entfernungspauschalen als Werbungskosten zu
berücksichtigen.
a) Regelmäßige Arbeitsstätte
im Sinne dieser Vorschrift ist nach der neueren Rechtsprechung des
erkennenden Senats jede ortsfeste dauerhafte betriebliche
Einrichtung des Arbeitgebers, der der Arbeitnehmer zugeordnet ist
und die er nicht nur gelegentlich, sondern mit einer gewissen
Nachhaltigkeit, das heißt fortdauernd und immer wieder
aufsucht; dies ist regelmäßig der Betrieb des
Arbeitgebers oder ein Zweigbetrieb (Urteile des Bundesfinanzhofs -
BFH - vom 5.8.2004 VI R 40/03, BFHE 207, 225, BStBl II 2004, 1074 =
SIS 04 37 81; vom 11.5.2005 VI R 15/04, BFHE 209, 515, BStBl II
2005, 788 = SIS 05 35 99; VI R 16/04, BFHE 209, 518, BStBl II 2005,
789 = SIS 05 36 00, und VI R 25/04, BFHE 209, 523, BStBl II 2005,
791 = SIS 05 36 01; vom 14.9.2005 VI R 93/04, BFH/NV 2006, 53 = SIS 06 02 58; vom 4.4.2008 VI R 85/04, BFHE 221, 11, BStBl II 2008, 887
= SIS 08 24 19; vom 10.7.2008 VI R 21/07, BFHE 222, 391, BFH/NV
2008, 1923 = SIS 08 35 53; vom 18.12.2008 VI R 39/07, BFHE 224,
111, BStBl II 2009, 475 = SIS 09 06 83).
Liegt eine auf Dauer und Nachhaltigkeit
angelegte (regelmäßige) Arbeitsstätte vor, so kann
sich der Arbeitnehmer in unterschiedlicher Weise auf die immer
gleichen Wege einstellen und so auf eine Minderung der Wegekosten
hinwirken. Dies kann etwa durch Bildung von Fahrgemeinschaften und
Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel und ggf. durch eine
entsprechende Wohnsitznahme geschehen (z.B. BFH-Urteile vom
10.4.2008 VI R 66/05, BFHE 221, 35, BStBl II 2008, 825 = SIS 08 24 17; in BFHE 222, 391, BFH/NV 2008, 1923 = SIS 08 35 53). Für
diesen Grundfall erweist sich die Regelung des § 9 Abs. 1 Satz
3 Nr. 4 EStG als sachgerechte und folgerichtige Ausnahme vom
objektiven Nettoprinzip (z.B. BFH-Urteile in BFHE 209, 523, BStBl
II 2005, 791 = SIS 05 36 01; in BFHE 222, 391, BFH/NV 2008, 1923 =
SIS 08 35 53; in BFHE 224, 111, BStBl II 2009, 475 = SIS 09 06 83).
b) Liegt keine auf Dauer und Nachhaltigkeit
angelegte (regelmäßige) Arbeitsstätte vor, auf die
sich der Arbeitnehmer typischerweise in der aufgezeigten Weise
einstellen kann, ist eine Durchbrechung der Abziehbarkeit beruflich
veranlasster Mobilitätskosten gemäß § 9 Abs. 1
Satz 1 EStG sachlich nicht gerechtfertigt. Dies ist insbesondere
bei Auswärtstätigkeiten der Fall (Senatsurteile vom
11.5.2005 VI R 7/02, BFHE 209, 502, BStBl II 2005, 782 = SIS 05 36 04; VI R 70/03, BFHE 209, 508, BStBl II 2005, 785 = SIS 05 36 03;
in BFHE 221, 35, BStBl II 2008, 825 = SIS 08 24 17). Ein
auswärts tätiger Arbeitnehmer hat typischerweise nicht
die vorbezeichneten Möglichkeiten, seine Wegekosten gering zu
halten, insbesondere scheidet ein Familienumzug an die
Tätigkeitsstätte aus.
c) In seinem Urteil in BFHE 222, 391, BFH/NV
2008, 1923 = SIS 08 35 53 ist der erkennende Senat auch bei einem
Arbeitnehmer, der vorübergehend ausschließlich am
Betriebssitz eines Kunden für seinen Arbeitgeber tätig
ist, davon ausgegangen, dass dieser typischerweise nicht die
Möglichkeit hat, sich auf diese Tätigkeitsstätte
einzustellen. Hieraus hat der Senat geschlossen, dass die
betriebliche Einrichtung eines Kunden des Arbeitgebers keine
regelmäßige Arbeitsstätte i.S. des § 9 Abs. 1
Satz 3 Nr. 4 EStG ist, und insoweit ausgeführt, dass diese
Vorschrift auch dann nicht zur Anwendung komme, wenn ein
Arbeitnehmer bei einem Kunden längerfristig eingesetzt wird.
An dieser Rechtsprechung hält der Senat fest. Denn die
Beurteilung, ob sich ein Arbeitnehmer in der genannten Weise auf
eine bestimmte Tätigkeitsstätte einstellen kann, hat
stets aus der Sicht zum Zeitpunkt des Beginns der jeweiligen
Tätigkeit („ex ante“) zu erfolgen. Soll ein
Arbeitnehmer in der betrieblichen Einrichtung eines Kunden seines
Arbeitgebers eingesetzt werden, so ist prägend für diese
Sicht des Arbeitnehmers allein das Arbeitsverhältnis und nicht
die Vertragsbeziehung zwischen Arbeitgeber und Kunde. Auf die
konkrete Ausgestaltung und die Dauer jener vertraglichen Beziehung
kann und muss sich der Arbeitnehmer typischerweise weder rechtlich
noch faktisch mit dem Ergebnis der Minderung der Wegekosten
einstellen. Vielmehr ist es gerade Ausdruck des
Arbeitsverhältnisses, dass der beim Kunden eingesetzte
Arbeitnehmer hinsichtlich des Orts, an dem er seine Arbeitsleistung
zu erbringen hat, in besonderer Weise dem Direktionsrecht des
Arbeitgebers unterliegt. Auch bei längerfristigem Einsatz beim
Kunden steht die dortige Tätigkeit unter einem dem Einfluss
des Arbeitnehmers entzogenen Vorbehalt, dass die vom
Arbeitsverhältnis unabhängige Vertragsbeziehung zwischen
Arbeitgeber und Kunde Bestand hat.
2. Nach diesen Rechtsgrundsätzen
führt auch der längerfristige Einsatz des Klägers in
W nicht zu einer regelmäßigen Arbeitsstätte. Dass
der Kläger nicht nur Arbeitnehmer, sondern auch
Geschäftsführer der GmbH A gewesen ist, führt zu
keiner anderen Beurteilung. Denn die GmbH A wurde bei der AG nur im
Unterauftrag der GmbH B tätig. Umstände, nach denen der
Kläger als Geschäftsführer von vorneherein von einem
über lange Jahre gesicherten Auftrag zur Beratung der AG
hätte ausgehen können, sind weder festgestellt noch sonst
ersichtlich. Auch der Gegenstand der bei der AG ausgeübten
Beratungstätigkeit spricht nicht schon für sich gesehen
für eine von vorneherein langfristig ausgelegte
Tätigkeitsstätte in W. Deshalb kann im Streitfall offen
bleiben, ob sich der Kläger besondere, als
Geschäftsführer erlangte Kenntnisse über die seinem
Einsatz in W zugrunde liegenden Vertragsbeziehungen seiner
Arbeitgeberin hätte als Arbeitnehmer zurechnen lassen
müssen.