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I. Der Kläger und Revisionsbeklagte
(Kläger) ist der Vater eines im Juli 1990 geborenen Sohnes
(S). S absolvierte im Jahr 2011 eine betriebliche Ausbildung.
Hieraus erzielte er Einnahmen aus nichtselbständiger
Tätigkeit, die sich nach Abzug der Arbeitnehmeranteile zur
Sozialversicherung auf 9.563,89 EUR beliefen. Im Streitzeitraum
Januar 2011 bis Dezember 2011 fuhr S an 169 Tagen zum
Ausbildungsbetrieb (einfache Entfernung 12 km) und an 51 Tagen zur
Berufsschule (einfache Entfernung 22 km). Ferner leistete er einen
Gewerkschaftsbeitrag in Höhe von 100,68 EUR.
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Die Beklagte und Revisionsklägerin
(Familienkasse) hob die zu Gunsten des Klägers erfolgte
Kindergeldfestsetzung für S mit Bescheid vom 11.12.2012 von
Januar bis Dezember 2011 auf und forderte das bereits ausgezahlte
Kindergeld in Höhe von 2.280 EUR vom Kläger zurück.
Den dagegen gerichteten Einspruch wies die Familienkasse mit
Einspruchsentscheidung vom 11.1.2013 als unbegründet
zurück. Dabei ging die Familienkasse davon aus, dass die
Einkünfte des S den Grenzbetrag des § 32 Abs. 4 Satz 2
des Einkommensteuergesetzes in der im Streitzeitraum geltenden
Fassung (EStG) überschritten hätten. Insofern setzte sie
die Fahrten zum Ausbildungsbetrieb mit der Entfernungspauschale
(169 Tage x 12 km x 0,30 EUR = 608,40 EUR) und die Fahrten zur
Berufsschule nach Dienstreisegrundsätzen (51 Tage x 44 km x
0,30 EUR = 673,20 EUR) an.
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Das Finanzgericht (FG) gab der Klage mit
den in EFG 2014, 53 = SIS 14 05 21 veröffentlichten
Gründen statt.
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Mit der hiergegen gerichteten Revision
rügt die Familienkasse die Verletzung materiellen
Rechts.
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Die Familienkasse beantragt, das Urteil des
FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
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Der Kläger beantragt
sinngemäß, die Revision zurückzuweisen.
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Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung
ohne mündliche Verhandlung einverstanden (§ 90 Abs. 2 der
Finanzgerichtsordnung - FGO - ).
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II. Die Revision ist begründet. Sie
führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der
Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FGO). Das FG ist zu Unrecht
davon ausgegangen, dass der Ausbildungsbetrieb des S nicht als
regelmäßige Arbeitsstätte i.S. des § 9 Abs. 1
Satz 3 Nr. 4 Satz 1 EStG anzusehen ist.
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Für ein Kind, das das 18., aber noch
nicht das 25. Lebensjahr vollendet hat und sich in Ausbildung
befindet, besteht nach § 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1 Satz 2
i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG ein Anspruch auf Kindergeld
nur, wenn das Kind Einkünfte und Bezüge, die zur
Bestreitung des Unterhalts oder der Berufsausbildung bestimmt oder
geeignet sind, von nicht mehr als 8.004 EUR im Kalenderjahr hat.
Der Begriff der Einkünfte entspricht dem in § 2 Abs. 2
EStG gesetzlich definierten Begriff und ist je nach Einkunftsart
als Gewinn oder als Überschuss der Einnahmen über die
Werbungskosten zu verstehen. Erzielt das Kind Einkünfte aus
nichtselbständiger Arbeit, sind daher von den Bruttoeinnahmen
die Werbungskosten abzuziehen (ständige Rechtsprechung, z.B.
Senatsurteile vom 22.10.2009 III R 101/07, BFH/NV 2010, 200 = SIS 10 01 40, und vom 20.12.2012 III R 33/12, BFHE 240, 107, BStBl II
2013, 1035 = SIS 13 08 42).
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a) Zu Recht ist das FG davon ausgegangen, dass
S im Streitzeitraum Einkünfte aus nichtselbständiger
Arbeit (§ 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG) bezog. Nach der
Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) stellen sowohl
Vergütungen aus einem öffentlich-rechtlichen
Dienstverhältnis, welches der Ausbildung des betreffenden
Leistungsempfängers dient, als auch
Ausbildungsvergütungen aus einem privatrechtlichen
Ausbildungsdienstverhältnis steuerrechtlich Arbeitslohn dar
(s. im Einzelnen BFH-Urteil vom 18.7.1985 VI R 93/80, BFHE 144,
237, BStBl II 1985, 644 = SIS 85 20 26, m.w.N.). S befand sich in
einem privatrechtlichen Ausbildungsdienstverhältnis.
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b) aa) Werbungskosten i.S. des § 9 Abs. 1
Satz 1 EStG sind Aufwendungen, die objektiv durch die berufliche
Tätigkeit veranlasst sind und die subjektiv zur Förderung
des Berufs getätigt werden. Diese Voraussetzungen können
auch bei berufsbezogenen Bildungsmaßnahmen erfüllt sein
(BFH-Urteil vom 27.10.2011 VI R 52/10, BFHE 235, 444, BStBl II
2012, 825 = SIS 11 39 73). Zu den Werbungskosten können auch
Fahrtkosten gehören. Sie sind grundsätzlich in
tatsächlicher Höhe zu berücksichtigen, soweit der
Arbeitnehmer nicht von der in H 9.5 des Amtlichen
Lohnsteuerhandbuchs 2011 vorgesehenen Pauschale (0,30 EUR je
Fahrtkilometer) Gebrauch macht. Fahrtkosten sind jedoch nach §
9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG nur nach den Regeln über die
Entfernungspauschale zu berücksichtigen, soweit es sich um
Fahrten zwischen Wohnung und regelmäßiger
Arbeitsstätte handelt. In diesem Fall sind pro
Entfernungskilometer zwischen Wohnung und regelmäßiger
Arbeitsstätte grundsätzlich 0,30 EUR anzusetzen (z.B.
BFH-Urteile vom 9.2.2012 VI R 44/10, BFHE 236, 431, BStBl II 2013,
234 = SIS 12 07 86, und vom 18.9.2012 VI R 65/11, BFH/NV 2013, 517
= SIS 13 06 87).
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bb) Regelmäßige Arbeitsstätte
im Sinne dieser Vorschrift ist (nur) der (ortsgebundene)
Mittelpunkt der dauerhaft angelegten beruflichen Tätigkeit des
Arbeitnehmers und damit der Ort, an dem der Arbeitnehmer seine
aufgrund des Dienstverhältnisses geschuldete Leistung zu
erbringen hat (BFH-Urteil vom 9.6.2011 VI R 55/10, BFHE 234, 164,
BStBl II 2012, 38 = SIS 11 27 14, m.w.N.). Dies ist im Regelfall
der Betrieb oder eine Betriebsstätte des Arbeitgebers, der der
Arbeitnehmer zugeordnet ist und die er nicht nur gelegentlich,
sondern mit einer gewissen Nachhaltigkeit, also fortdauernd und
immer wieder aufsucht (BFH-Urteil in BFHE 234, 164, BStBl II 2012,
38 = SIS 11 27 14, m.w.N). Eine vom Arbeitnehmer besuchte
arbeitgeberfremde Bildungseinrichtung stellt keine
regelmäßige Arbeitsstätte in diesem Sinne dar
(BFH-Urteile in BFHE 236, 431, BStBl II 2013, 234 = SIS 12 07 86;
vom 9.2.2012 VI R 42/11, BFHE 236, 439, BStBl II 2013, 236 = SIS 12 07 85; Senatsurteil vom 22.11.2012 III R 64/11, BFHE 239, 355,
BStBl II 2013, 914 = SIS 13 02 21). Entsprechend kann auch eine
Ausbildungsstätte im Rahmen eines Dienstverhältnisses bei
beruflichen Lehrgängen, Ausbildungsverhältnissen,
Abordnungen oder Fortbildungsmaßnahmen den Charakter einer
regelmäßigen Arbeitsstätte haben, wenn es sich um
eine betriebliche Einrichtung des Arbeitgebers handelt und der
Arbeitnehmer diese dauerhaft, d.h. über einen längeren
Zeitraum, aufsucht (Bergkemper in Herrmann/Heuer/Raupach - HHR -,
§ 9 EStG Rz 453). Eine andere Beurteilung kommt nur in
Betracht, wenn eine beruflich veranlasste Bildungsmaßnahme
außerhalb eines Dienstverhältnisses durchgeführt
wird (HHR/Bergkemper, § 9 EStG Rz 453).
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c) aa) Im Streitfall ist das FG hinsichtlich
der Fahrten zwischen der Wohnung des S und dem Ausbildungsbetrieb
zu Unrecht davon ausgegangen, dass hierfür die
tatsächlichen Kosten oder mangels Einzelnachweis die Pauschale
von 0,30 EUR pro gefahrenem Kilometer anzusetzen seien. Denn der
Ausbildungsbetrieb stellte eine betriebliche Einrichtung des
Arbeitgebers dar, der S durch seinen Ausbildungsvertrag zugeordnet
war und in der er über einen längeren Zeitraum -
jedenfalls die gesamte Dauer seines Ausbildungsverhältnisses -
fortdauernd und immer wieder seine durch den Ausbildungscharakter
geprägte berufliche Leistung gegenüber seinem Arbeitgeber
zu erbringen hatte (vgl. BFH-Urteil in BFHE 234, 164, BStBl II
2012, 38 = SIS 11 27 14, m.w.N.). Die Ausbildung im
Ausbildungsbetrieb bildete auch den Kern des gesamten
Ausbildungsverhältnisses, so dass sich der Ausbildungsbetrieb
als ortsgebundener Mittelpunkt der beruflichen Tätigkeit des S
darstellte (s. hierzu BFH-Urteil in BFHE 234, 164, BStBl II 2012,
38 = SIS 11 27 14, m.w.N.).
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bb) Entgegen der Auffassung des FG ergibt sich
nichts anderes aus den Urteilen des VI. Senats des BFH vom
16.1.2013 VI R 14/12 (BFHE 240, 125, BStBl II 2013, 449 = SIS 13 08 45) und in BFHE 236, 431, BStBl II 2013, 234 = SIS 12 07 86. Diesen
Urteilen lagen Sachverhalte zugrunde, die mit der vorliegend zu
entscheidenden Fallkonstellation nicht vergleichbar sind.
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Die erstgenannte Entscheidung behandelte
Fahrtaufwendungen eines Studenten, der ein Fachstudium
durchführte, welches zwei praktische Studiensemester in einem
Betrieb umfasste. Hier kam der BFH zu dem Ergebnis, dass die
Fahrten zum Betrieb keine solchen zu einer regelmäßigen
Arbeitsstätte darstellen, weil die Hochschule während der
praktischen Studiensemester wegen des fortbestehenden
Studentenstatus Mittelpunkt der Tätigkeit bleibt.
Ausdrücklich wies der BFH darauf hin, dass sich das
streitgegenständliche Hochschulstudium von einem
herkömmlichen Ausbildungsverhältnis, in dessen Rahmen der
Steuerpflichtige bereits Einkünfte aus nichtselbständiger
Arbeit erzielt, unterscheidet.
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In dem zweiten Fall war die Frage zu
entscheiden, ob eine Steuerpflichtige, die bereits ein Studium
abgeschlossen hatte, Fahrtkosten zur Hochschule, die im Rahmen
eines später begonnenen weiteren Studiums angefallen waren,
als vorab entstandene Werbungskosten aus nichtselbständiger
Arbeit geltend machen konnte. Insoweit stellte der BFH zum einen
darauf ab, dass solche außerhalb eines
Arbeitsverhältnisses stattfindende Bildungsmaßnahmen
regelmäßig vorübergehend und nicht auf Dauer
angelegt sind und der Arbeitnehmer typischerweise nicht die
Möglichkeit hat, durch die Bildung von Fahrgemeinschaften, die
Nutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln und ggf. durch eine
entsprechende Wohnsitznahme seine Wegekosten gering zu halten. Zum
anderen wies er darauf hin, dass eine regelmäßige
Arbeitsstätte i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG nur
im Rahmen bezahlter Arbeit in Betracht kommt.
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Demgegenüber fand im Streitfall die
Ausbildung in einem herkömmlichen
Ausbildungsdienstverhältnis statt, in dessen Rahmen S bereits
Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit erzielte. Zudem
ist ein der betrieblichen Ausbildung dienendes
Arbeitsverhältnis - wie das, in dem sich S befand - auch nicht
typischerweise vorübergehend, weil es sich häufig nach
Ausbildungsende in einem regulären Arbeitsverhältnis im
selben Betrieb fortsetzt.
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cc) Im Übrigen hat der VI. Senat dem
zeitlichen Umfang einer Tätigkeit und dem Umstand, dass es
sich um eine befristete Tätigkeit handelt, dann
maßgebliche Bedeutung beigemessen, wenn eine Abgrenzung
zwischen einer Tätigkeit am bisherigen
Tätigkeitsmittelpunkt und einer - insbesondere nach einer
Versetzung oder Abordnung stattfindenden - Tätigkeit an einem
neuen Tätigkeitsort vorzunehmen war (BFH-Urteile vom 8.8.2013
VI R 27/12, BFH/NV 2014, 308 = SIS 14 03 79; VI R 72/12, BFHE 242,
358, BStBl II 2014, 68 = SIS 13 31 08, und VI R 59/12, BFHE 242,
354, BStBl 2014, 66 = SIS 13 31 07). Diese Abgrenzung lässt
sich hingegen nicht auf die sich hiervon unterscheidende Frage
übertragen, ob ein Ausbildungsdienstverhältnis allein
deshalb als nicht dauerhaft anzusehen ist, weil es
üblicherweise auf zwei bis vier Jahre befristet ist. Der
erkennende Senat kann § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG keinen
Anhaltspunkt dafür entnehmen, dass ein Auszubildender im
Ausbildungsbetrieb nicht seine regelmäßige
Arbeitsstätte hat, obwohl er diesem Ausbildungsbetrieb
für die gesamte Ausbildungszeit zugewiesen ist, dort für
mehrere Jahre immer wieder tätig wird und seine für das
Ausbildungsverhältnis zentralen Leistungen erbringt. Auch nach
neuem Recht (§ 9 Abs. 4 Satz 3 EStG i.d.F. des Gesetzes zur
Änderung und Vereinfachung der Unternehmensbesteuerung und des
steuerlichen Reisekostenrechts vom 20.2.2013, BGBl I 2013, 285) ist
von einer dauerhaften Zuordnung zu einer Tätigkeitsstätte
u.a. dann auszugehen, wenn der Arbeitnehmer „für die
Dauer des Dienstverhältnisses“ an dieser
Tätigkeitsstätte tätig werden soll.
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d) Die von der Familienkasse
durchgeführte Berechnung, wonach die Fahrten des S zum
Ausbildungsbetrieb nur mit der Entfernungspauschale anzusetzen
sind, ist daher nicht zu beanstanden. Ein Kindergeldanspruch des
Klägers für S wird folglich im Streitzeitraum durch
§ 32 Abs. 4 Satz 2 EStG ausgeschlossen.
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