Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil
des Schleswig-Holsteinischen Finanzgerichts vom 14.10.2016 - 3 K
112/13 aufgehoben.
Die Sache wird an das Schleswig-Holsteinische
Finanzgericht zurückverwiesen.
Diesem wird die Entscheidung über die
Kosten des Verfahrens übertragen.
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I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte
(Klägerin) und ihre beiden Brüder sind (zu jeweils 25 %)
drei von fünf Miterben des am ...2007 verstorbenen A. Der
Testamentsvollstrecker reichte die Erbschaftsteuererklärung
bei dem Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt - FA - )
ein.
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Das FA setzte die Erbschaftsteuer
gegenüber der Klägerin mit Bescheid vom 6.3.2008 auf
einen Betrag in Höhe von 77.066 EUR fest. Der Bescheid wurde
bestandskräftig.
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Mit Änderungsbescheid vom 16.7.2012
setzte das für die Einkommensteuer des A zuständige
Finanzamt C gegenüber der Klägerin als Beteiligte der
Erbengemeinschaft nach A (bestehend aus allen fünf Miterben)
Einkommensteuer, Zinsen und Solidaritätszuschlag für das
Jahr 2007 fest, die zu einem Nachzahlungsbetrag in Höhe von
insgesamt 180.347,23 EUR führten. Bei der Berechnung der
Erbschaftsteuer war dieser Betrag nicht als Nachlassverbindlichkeit
abgezogen worden. Die Änderung des Einkommensteuerbescheids
erfolgte ausweislich der Erläuterungen zur Festsetzung
aufgrund einer Mitteilung des Finanzamts E über die
Einkünfte des A an der X KG, an der A beteiligt gewesen war.
Die laufenden Einkünfte betrugen danach 1.... EUR. Unter den
Nachrichtlichen Angaben enthielt die Mitteilung außerdem die
Angabe „In den Einkünften enthaltener Sanierungsgewinn
i.S. der Rn. 3 bis 5 des BMF-Schreibens IV A 6 - S 2140 - 8/03 vom
27.3.2003 = SIS 03 19 23 - 0 EUR“.
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Mit Schreiben vom 15.8.2012 beantragte die
Klägerin, die mit Einkommensteuerbescheid vom 16.7.2012
festgesetzte Steuer unter Änderung des
Erbschaftsteuerbescheids vom 6.3.2008 zu 1/3 als
Nachlassverbindlichkeit abzuziehen. Die Klägerin und ihre
beiden Brüder trügen die Schuld allein. Das FA lehnte die
Änderung ab, da mit Ablauf des Jahres 2011
Festsetzungsverjährung eingetreten sei.
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Das Finanzgericht (FG) hat mit Urteil ohne
mündliche Verhandlung vom 14.10.2016 der Klage stattgegeben.
Das Urteil wurde am 18.10.2016 der Klägerin, am 21.10.2016 dem
FA zugestellt. Die Einkommensteuerschuld 2007 gehöre zu den
abzugsfähigen Nachlassverbindlichkeiten i.S. des § 10
Abs. 5 Nr. 1 des Erbschaftsteuergesetzes (ErbStG). Der
Erbschaftsteuerbescheid könne nach § 6 Abs. 2 des
Bewertungsgesetzes (BewG) i.V.m. § 5 Abs. 2 BewG geändert
werden. Die wirtschaftliche Belastung durch die Einkommensteuer sei
eine gesetzliche Bedingung, die erst mit Festsetzung der
Einkommensteuer im Juli 2012 eingetreten sei. Das Urteil ist in EFG
2016, 1965 = SIS 16 24 38 veröffentlicht.
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Am 21.10.2016 ist noch ein geänderter
Einkommensteuerbescheid vom 20.10.2016 zur FG-Akte gelangt, der die
Einkommensteuerschuld erheblich reduziert hat. Er wurde
gegenüber der Klägerin und ihren beiden Brüdern
erlassen.
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Mit der Revision rügt das FA die
Verletzung der Änderungsvorschriften sowie des
Stichtagsprinzips. Zwar sei die Einkommensteuer
Nachlassverbindlichkeit. Es fehle jedoch an einer
verfahrensrechtlichen Korrekturmöglichkeit. Nach der
Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) sei der Erlass eines noch
den Erblasser betreffenden Einkommensteuerbescheids kein
rückwirkendes Ereignis i.S. des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2
der Abgabenordnung - AO - (Urteil vom 14.12.2004 - II R 35/03,
BFH/NV 2005, 1093 = SIS 05 26 08). Das Kriterium der
wirtschaftlichen Belastung im Besteuerungszeitpunkt (dazu
BFH-Urteil vom 28.10.2015 - II R 46/13, BFHE 252, 448, BStBl II
2016, 477 = SIS 16 02 84) besäße sonst keine
Bedeutung.
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§ 6 Abs. 2 BewG i.V.m. § 5 Abs. 2
BewG erfasse nur rechtsgeschäftliche Bedingungen (BFH-Urteil
vom 17.02.2010 - II R 23/09, BFHE 229, 363, BStBl II 2010, 641 =
SIS 10 14 77). Es fehle überhaupt eine Bedingung, da die
Einkommensteuerschuld des A bereits am Besteuerungsstichtag eine
wirtschaftliche Belastung dargestellt habe (dazu BFH-Urteil vom
04.07.2012 - II R 15/11, BFHE 238, 233, BStBl II 2012, 790 = SIS 12 22 09). Stehe die Höhe von Verbindlichkeiten nicht fest, sei
zu schätzen oder vorläufig nach § 165 Abs. 1 AO
festzusetzen.
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Das FA beantragt, das FG-Urteil aufzuheben
und die Klage abzuweisen.
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Die Klägerin beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
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Die Rechtsprechung erkenne
grundsätzlich an, dass die Erwartung, die Finanzbehörden
würden die Steuer in materiell-rechtlich zutreffender
Höhe festsetzen, gestört sein könne, etwa in
Hinterziehungsfällen. Auch im Streitfall habe eine zu
erlassende Steuer noch keine wirtschaftliche Belastung dargestellt.
Es sei im Übrigen nicht sachgerecht, ein anhängiges
Besteuerungsverfahren mit vertauschten Rollen in die
Erbschaftsteuer zu spiegeln.
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Die Klägerin hat im Revisionsverfahren
vorgetragen, dass die Drittelung der Schuld - gegen die Erbquoten -
auf einer vorab vorgenommenen Teilauseinandersetzung der
Erbengemeinschaft beruhe. Zwei Erben seien abgefunden
worden.
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II. Die Revision ist begründet mit der
Maßgabe, dass das Urteil aufzuheben und die Sache zur
anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen
ist (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO
- ). Der Senat vermag nicht abschließend zu beurteilen, ob
die von A herrührende Einkommensteuerschuld des Todesjahres
2007, soweit sie durch Einkommensteuerbescheid vom 16.7.2012
heraufgesetzt wurde, grundsätzlich noch als
Nachlassverbindlichkeit angesetzt werden kann und in welchem Umfang
ggf. die Verbindlichkeit der Klägerin zuzurechnen ist.
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1. Die Steuer für den nach § 1 Abs.
1 Nr. 1 ErbStG i.V.m. § 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG
steuerpflichtigen Erwerb der Klägerin von Todes wegen ist
gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG mit dem Tode des
Erblassers entstanden. Für die Ermittlung der nach § 10
Abs. 1 Satz 1 ErbStG als steuerpflichtiger Erwerb geltenden
Bereicherung des Erwerbers gilt als Bereicherung der Betrag, der
sich ergibt, wenn von dem nach § 12 ErbStG zu ermittelnden
Wert des gesamten Vermögensanfalls, soweit er der Besteuerung
nach diesem Gesetz unterliegt, die nach den Absätzen 3 bis 9
abzugsfähigen Nachlassverbindlichkeiten mit ihrem nach §
12 ErbStG zu ermittelnden Wert abgezogen werden (§ 10 Abs. 1
Satz 2 ErbStG).
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a) Abgesehen von den hier nicht
einschlägigen Absätzen 6 bis 9 des § 10 ErbStG sind
als Nachlassverbindlichkeiten abzugsfähig die vom Erblasser
herrührenden Schulden, soweit sie nicht mit einem zum Erwerb
gehörenden Gewerbebetrieb, Anteil an einem Gewerbebetrieb,
Betrieb der Land- und Forstwirtschaft oder Anteil an einem Betrieb
der Land- und Forstwirtschaft in wirtschaftlichem Zusammenhang
stehen und bereits bei der Bewertung der wirtschaftlichen Einheit
berücksichtigt worden sind (§ 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG).
Dazu gehören auch die vom Erblasser herrührenden
persönlichen Steuerschulden, die nach § 1922 Abs. 1 des
Bürgerlichen Gesetzbuchs i.V.m. § 45 Abs. 1 AO auf den
Erben übergegangen sind. Einkommensteuerschulden sind keine
Betriebs-, sondern persönliche Schulden und können daher
nicht in die Bewertung des Anteils an der X KG eingegangen sein,
der ebenfalls im Erbgang auf die Erben übergegangen ist. Der
Abzugsausschluss des § 10 Abs. 5 Satz 1 ErbStG greift daher
nicht ein.
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b) Zu den Nachlassverbindlichkeiten
gehören diejenigen Steuerschulden, die im Zeitpunkt des Todes
des Erblassers bereits rechtlich entstanden waren (BFH-Urteil vom
14.11.2018 - II R 34/15, BFHE 263, 273 = SIS 19 02 12, Rz 16, 17).
Namentlich die Einkommensteuer entsteht grundsätzlich
gemäß § 38 AO i.V.m. § 36 Abs. 1 des
Einkommensteuergesetzes mit Ablauf des Veranlagungszeitraums. Zu
den abzugsfähigen Nachlassverbindlichkeiten i.S. des § 10
Abs. 5 Nr. 1 ErbStG gehören aber nicht nur die Steuerschulden,
die zum Zeitpunkt des Erbfalls bereits rechtlich entstanden waren,
sondern auch die Steuerverbindlichkeiten, die der Erblasser als
Steuerpflichtiger durch die Verwirklichung von
Steuertatbeständen begründet hat und die mit dem Ablauf
des Todesjahres entstehen (grundlegend unter Änderung der
bisherigen Rechtsprechung BFH-Urteile in BFHE 238, 233, BStBl II
2012, 790 = SIS 12 22 09, Rz 13, 14, 15, 21; in BFHE 252, 448,
BStBl II 2016, 477 = SIS 16 02 84, Rz 12, und in BFHE 263, 273 =
SIS 19 02 12, Rz 17). Die Festsetzung der Steuer ist nicht
Voraussetzung ihrer Entstehung, sondern setzt nach § 85 Satz 1
AO die Entstehung voraus.
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c) Steuerschulden können aber wie andere
Nachlassverbindlichkeiten nur dann abgezogen werden, wenn sie im
Todeszeitpunkt eine wirtschaftliche Belastung dargestellt haben
(vgl. BFH-Urteile vom 24.03.1999 - II R 34/97, BFH/NV 1999, 1339 =
SIS 99 51 43, unter II.1.; in BFHE 238, 233, BStBl II 2012, 790 =
SIS 12 22 09, Rz 17; in BFHE 252, 448, BStBl II 2016, 477 = SIS 16 02 84, Rz 12, m.w.N., und in BFHE 263, 273 = SIS 19 02 12, Rz 17).
Daran fehlt es, wenn bei objektiver Würdigung der
Verhältnisse in diesem Zeitpunkt nicht damit gerechnet werden
konnte, dass der Steuergläubiger seine Forderung geltend
machen werde.
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aa) Fehlt die wirtschaftliche Belastung,
findet der Abzug nicht statt. Das Merkmal ist ein teleologisch
begründetes Korrektiv. § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG verlangt
seinem Wortlaut nach nicht ausdrücklich danach. Die Vorschrift
trägt aber dem Bereicherungsprinzip Rechnung, das der
Besteuerung des Erwerbs zugrunde liegt (z.B. BFH-Urteil vom
01.07.2008 - II R 38/07, BFHE 220, 531, BStBl II 2008, 876 = SIS 08 31 42, unter II.2.c; auch Meincke, Erbschaftsteuer- und
Schenkungsteuergesetz, Kommentar, 17. Aufl., § 10 Rz 6, Rz
40).
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bb) Der BFH hat im Grundsatz erkannt, dass die
Abziehbarkeit von Steuerschulden wie auch die wirtschaftliche
Belastung durch die Steuerschuld regelmäßig nicht davon
abhänge, ob die Steuern beim Erbfall bereits festgesetzt waren
oder nicht (vgl. BFH-Urteile in BFH/NV 2005, 1093 = SIS 05 26 08,
unter II.1.b; in BFHE 238, 233, BStBl II 2012, 790 = SIS 12 22 09,
Rz 13 ff.; in BFHE 252, 448, BStBl II 2016, 477 = SIS 16 02 84, Rz
14, 15; in BFHE 263, 273 = SIS 19 02 12, Rz 16). Es sei
grundsätzlich davon auszugehen, dass die Finanzbehörden
entstandene Steuern in der materiell-rechtlich zutreffenden
Höhe festsetzen werden (§ 85 AO), so dass die als
Nachlassverbindlichkeit abziehbare Steuerschuld für die
Festsetzung der Erbschaftsteuer eigenständig zu ermitteln sei.
Das folge aus dem erbschaftsteuerrechtlichen Stichtagsprinzip
(§ 11 i.V.m. § 9 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG), das die
Wertermittlung einschließlich der Feststellung, welche
Nachlassverbindlichkeiten gemäß § 10 Abs. 1 Satz 2
i.V.m. Abs. 3 bis 9 ErbStG abziehbar sind, dem Stichtag zuweise
(BFH-Urteile in BFHE 238, 233, BStBl II 2012, 790 = SIS 12 22 09,
Rz 26; in BFHE 252, 448, BStBl II 2016, 477 = SIS 16 02 84, Rz 14,
15, m.w.N.; ebenso jüngst BFH-Urteil in BFHE 263, 273 = SIS 19 02 12).
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cc) Die Annahme, dass Steuerschulden in der
materiell-rechtlich zutreffenden Höhe festgesetzt werden, gilt
aber nicht ausnahmslos. Der BFH hat - in
Steuerhinterziehungsfällen - die wirtschaftliche Belastung im
Todeszeitpunkt verneint, wenn bei objektiver Würdigung der
Verhältnisse in diesem Zeitpunkt angenommen werden konnte,
dass der Steuergläubiger seine Forderung nicht geltend machen
werde. Dies gelte etwa dann, wenn der Steuerpflichtige
steuererhebliche Sachverhalte bewusst verheimlicht und mit
Inanspruchnahme selbst nicht gerechnet hatte (BFH-Urteil in BFH/NV
2005, 1093 = SIS 05 26 08, unter II.1.b) bzw. die
Steuerbehörden in einem Auslandssachverhalt noch nicht einmal
die theoretische Möglichkeit hatten, von den
Steueransprüchen zu erfahren (BFH-Urteil in BFH/NV 1999, 1339
= SIS 99 51 43, unter II.2.). Er hat lediglich als
selbstverständlich vorausgesetzt, dass zumindest die
Möglichkeit bestehen müsse, noch einen Bescheid zu
erlassen (BFH-Urteil in BFH/NV 2005, 1093 = SIS 05 26 08, unter
II.1.b bb; für den Fall der tatsächlichen späteren
Festsetzung vgl. BFH-Urteil in BFHE 252, 448, BStBl II 2016, 477 =
SIS 16 02 84, Rz 16).
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dd) Diese Einschränkung gilt nicht nur
für die Steuerhinterziehung. Es sind auch weitere
Konstellationen denkbar, in denen objektiv nicht mit einer
Geltendmachung der Steuerforderung (und damit einer Festsetzung) zu
rechnen ist. Das betrifft namentlich Fälle, in denen nach dem
Todeszeitpunkt eine Änderung von Verwaltungsauffassung oder
Rechtsprechung zu Lasten des Steuerpflichtigen zu verzeichnen ist.
In solchen Fällen werden später Steuerforderungen geltend
gemacht, mit denen zum Todeszeitpunkt objektiv niemand rechnen
konnte.
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d) Ändern sich die Verhältnisse
nachträglich in der Weise, dass entgegen der Erwartung zum
Todeszeitpunkt mit einer Geltendmachung der Steuerforderung zu
rechnen ist, ist dies ein rückwirkendes Ereignis i.S. des
§ 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO.
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aa) Nach dieser Vorschrift ist ein
Steuerbescheid zu erlassen, aufzuheben oder zu ändern, soweit
ein Ereignis eintritt, das steuerliche Wirkung für die
Vergangenheit hat (rückwirkendes Ereignis). Die
Festsetzungsfrist beginnt (insoweit) gemäß § 175
Abs. 1 Satz 2 AO mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem das Ereignis
eintritt. Auf den vorherigen Eintritt der
Festsetzungsverjährung der Erbschaftsteuer kommt es nicht
an.
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bb) Ob einer nachträglichen Änderung
eines Sachverhalts rückwirkende steuerliche Bedeutung zukommt,
ob mithin eine solche Änderung dazu führt, dass bereits
eingetretene steuerliche Rechtsfolgen mit Wirkung für die
Vergangenheit sich ändern oder vollständig entfallen,
bestimmt sich allein nach dem jeweils einschlägigen
materiellen Recht. Nach diesem ist zu beurteilen, ob zum einen eine
Änderung des ursprünglich gegebenen Sachverhalts den
Steuertatbestand überhaupt betrifft und ob darüber hinaus
der nach § 38 AO bereits entstandene materielle Steueranspruch
mit steuerlicher Rückwirkung noch geändert werden oder
entfallen kann (Beschluss des Großen Senats des BFH vom
19.7.1993 - GrS 2/92, BFHE 172, 66, BStBl II 1993, 897 = SIS 93 23 33, unter C.II.1.c). Eine Änderung des nach dem
Steuertatbestand rechtserheblichen Sachverhalts kann insbesondere
dann zu einer rückwirkenden Änderung (Wegfall)
steuerlicher Rechtsfolgen führen, wenn Steuertatbestände
an einen einmaligen Vorgang anknüpfen (Beschluss des
Großen Senats des BFH in BFHE 172, 66, BStBl II 1993, 897 =
SIS 93 23 33, unter C.II.1.d).
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cc) Der Erbanfall nach § 1 Abs. 1 Nr. 1
ErbStG i.V.m. § 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG ist nicht nur seinem
Rechtsgrund nach ein einmaliger Vorgang in diesem Sinne, wie er
für die Erbschafts- und Schenkungsbesteuerung typisch ist.
Auch die Wertermittlung einschließlich der Feststellung der
abziehbaren Nachlassverbindlichkeiten folgt dem
erbschaftsteuerrechtlichen Stichtagsprinzip aus § 11 ErbStG
i.V.m. § 9 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG.
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dd) Fest steht, dass in anderen Fällen
die spätere Geltendmachung und sogar die spätere
Entstehung von Nachlassverbindlichkeiten erstmalig die
Berücksichtigungsmöglichkeit begründen können.
Wegen des Stichtagsprinzips setzt dies notwendig die Annahme
rückwirkender Ereignisse voraus.
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Dies betrifft etwa Pflichtteilsansprüche
nach § 10 Abs. 5 Nr. 2 ErbStG, die erst als
Nachlassverbindlichkeiten abzugsfähig sind, wenn sie geltend
gemacht wurden. Das ist erst nach dem Stichtag, dem Todesfall,
möglich. Es betrifft auch die Verbindlichkeiten nach § 10
Abs. 5 Nr. 3 ErbStG, die ihrer Natur nach erst nach dem Todesfall
entstehen können und vorher auch der Höhe nach
regelmäßig nicht absehbar sind. Nicht wesentlich anders
verhält es sich für die Einkommensteuer des Todesjahres,
soweit noch der Erblasser die steuerrelevanten Tatbestände
verwirklicht hat. Diese Steuerschulden sind zum Todeszeitpunkt zwar
begründet, aber noch nicht entstanden. Ihre Behandlung als
Nachlassverbindlichkeit nach Maßgabe des BFH-Urteils in BFHE
238, 233, BStBl II 2012, 790 = SIS 12 22 09 ist ebenfalls nur
möglich, wenn ihre Entstehung ein rückwirkendes Ereignis
ist, denn die Höhe der anteiligen
Einkommensteuerverbindlichkeit kann unterjährig noch nicht
feststehen.
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Auf die Frage, ob bei
Geltendmachung/Entstehung dieser Ansprüche und
Verbindlichkeiten bereits ein Erbschaftsteuerbescheid ergangen und
dieser bestandskräftig ist, kommt es in diesem Zusammenhang
nicht an. Handelte es sich nicht um rückwirkende Ereignisse
i.S. der Legaldefinition des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO,
wäre ihre Berücksichtigung schon mangels steuerlicher
Wirkung für den Stichtag materiell-rechtlich
unzulässig.
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ee) So wie diese nach dem Todeszeitpunkt
erstmals eintretenden Voraussetzungen für die
Berücksichtigung von Nachlassverbindlichkeiten
rückwirkende Ereignisse sind, gilt dies ebenso für die
wirtschaftliche Belastung, wenn sie erstmals nach dem
Todeszeitpunkt entsteht.
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Der Eintritt einer zunächst fehlenden
wirtschaftlichen Belastung lässt das Hindernis für den
Abzug der zugrunde liegenden Nachlassverbindlichkeit
rückwirkend entfallen. Seine Wirkung für die
Vergangenheit folgt aus dem Bereicherungsprinzip, das seinerseits
überhaupt erst das ungeschriebene negative Tatbestandsmerkmal
der fehlenden wirtschaftlichen Belastung rechtfertigt. Belastungen,
die vom Erblasser herrühren, beruhen auf dem Todesfall und
mindern den Erwerb von Todes wegen so wie der Vermögensanfall
ihn erhöht. Das gilt unabhängig davon, wann diese
Belastungen aufscheinen. Dieser Aspekt gilt für die Entstehung
von Nachlassverbindlichkeiten ebenso wie für die Entstehung
einer zunächst fehlenden wirtschaftlichen Belastung nach dem
Todeszeitpunkt.
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2. Nach diesen Maßstäben vermag der
Senat nicht abschließend zu beurteilen, ob die
Voraussetzungen für die beantragte Berücksichtigung der
mit Bescheid vom 16.07.2012 festgesetzten Einkommensteuerschuld
vorliegen und ggf. zu welchem Anteil. Den Sachvortrag der
Klägerin im Revisionsverfahren kann der Senat nach § 118
Abs. 2 FGO nicht berücksichtigen.
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a) Es fehlen - aus Sicht des FG zu Recht -
Feststellungen zu der Frage, mit welcher Einkommensteuerfestsetzung
zum Todeszeitpunkt zu rechnen war und ob und ggf. wann sich
insoweit später die Verhältnisse geändert haben
könnten. Den vorliegenden Bescheiden ist lediglich zu
entnehmen, dass später ein höherer laufender Gewinn bei
der X KG zu berücksichtigen war und die Begünstigung
eines Sanierungsgewinns nicht (mehr) stattfand. Zu den
Hintergründen, namentlich zu der Frage, ob zum Todeszeitpunkt
mit der Nichtbegünstigung eines Sanierungsgewinns zu rechnen
war, ist nichts festgestellt.
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b) Gegebenenfalls sind Vorauszahlungen von den
Einkommensteuerschulden abzusetzen. Auch insoweit wären ggf.
Feststellungen erforderlich.
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c) Ferner sind keine Tatsachen festgestellt,
die es rechtfertigen könnten, die
Einkommensteuerverbindlichkeit bei der Klägerin der Erbquote
entgegen zu einem Drittel anzusetzen. Dies ist nachzuholen. Der
Bescheid vom 16.7.2012 ist noch gegenüber allen fünf
Erben ergangen. Allein die Mitteilung, die Klägerin und ihre
beiden Brüder hätten die Einkommensteuerschuld
tatsächlich zu jeweils einem Drittel getragen, rechtfertigt
eine entsprechende Zurechnung unter Außerachtlassung der
beiden weiteren Erben nicht.
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d) Im zweiten Rechtsgang ist ggf. auch der -
gegenüber der Klägerin und ihren beiden Brüdern -
erlassene Einkommensteuerbescheid vom 20.10.2016 zu beachten, den
das FG nicht mehr berücksichtigen konnte und der Senat nicht
berücksichtigen kann. § 68 FGO ist nicht anwendbar, da
dieser Bescheid nicht Gegenstand des Verfahrens ist.
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3. Die Übertragung der Kostenentscheidung
folgt aus § 143 Abs. 2 FGO.
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