Ehegatten, Aufteilung der Steuerschuld bei rückständigen Steuern: Bei zusammen veranlagten Ehegatten, die Gesamtschuldner rückständiger Steuern sind, kann auch der Ehegatte, der Gesamtrechtsnachfolger seines verstorbenen Ehepartners ist, eine Aufteilung der Steuern nach den §§ 268 ff. AO beantragen. - Urt.; BFH 17.1.2008, VI R 45/04; SIS 08 16 96
I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte
(Klägerin) wurde mit ihrem im Dezember 2001 verstorbenen
Ehemann zusammen zur Einkommensteuer 1986 bis 1999 und zur
Vermögensteuer 1986 bis 1990 veranlagt. Die Klägerin ist
Gesamtrechtsnachfolgerin ihres Ehemannes.
Nachdem die festgesetzten
Steuerbeträge nicht in vollem Umfang gezahlt worden waren,
leitete der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -
) Vollstreckungsmaßnahmen ein. Daraufhin beantragte die
Klägerin die Aufteilung der Steuerrückstände
gemäß den §§ 268 ff. der Abgabenordnung (AO).
Mit Bescheid vom 22.5.2003 lehnte das FA den Antrag ab. Der
Einspruch der Klägerin hatte keinen Erfolg.
Das Finanzgericht (FG) verpflichtete das FA
mit den in EFG 2004, 1813 = SIS 04 34 71 veröffentlichten
Gründen, die rückständige Einkommensteuer 1986 bis
1999 und Vermögensteuer 1986 bis 1990 aufzuteilen.
Mit seiner Revision rügt das FA die
Verletzung materiellen Rechts.
Das FA beantragt, das erstinstanzliche
Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
Nach Auskunft des FA hat das Amtsgericht X
am 21.9.2007 den Antrag der Klägerin auf Eröffnung des
Insolvenzverfahrens über den Nachlass ihres Ehemannes mangels
Masse abgewiesen.
II. Die Revision ist unbegründet und
daher nach § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO)
zurückzuweisen. Das FG hat das FA zu Recht verpflichtet, die
von der Klägerin begehrte Aufteilung der
Steuerrückstände vorzunehmen.
1. Eheleute, die zusammen zur Einkommensteuer
oder zur Vermögensteuer veranlagt worden sind (§ 26b des
Einkommensteuergesetzes bzw. § 14 des
Vermögensteuergesetzes) und deshalb gemäß § 44
Abs. 1 Satz 1 AO Gesamtschuldner sind, können auf Antrag im
Vollstreckungsverfahren so gestellt werden, als seien sie
Einzelschuldner. Nach § 268 AO kann jeder der Ehegatten
beantragen, dass die Vollstreckung wegen der genannten Steuern
jeweils auf den Betrag beschränkt wird, der sich nach
Maßgabe der §§ 269 bis 278 AO bei einer Aufteilung
der Steuern ergibt. Auf diese Weise soll der einzelne zusammen
veranlagte Ehegatte im Fall der Vollstreckung nicht schlechter
gestellt werden als ein nicht zusammen veranlagter und deshalb im
Vollstreckungsverfahren als Einzelschuldner zu behandelnder
Steuerpflichtiger (vgl. z.B. Kruse in Tipke/Kruse, Abgabenordnung,
Finanzgerichtsordnung, Vorbemerkungen zu §§ 268 bis 280
AO Rz 2; Müller-Eiselt in Hübschmann/Hepp/Spitaler - HHSp
-, § 268 AO Rz 2); auch wenn die Aufteilung der Gesamtschuld
nicht zu einer Aufteilung in Teilschulden führt, wird jeder
Gesamtschuldner im Vollstreckungsverfahren nur mit dem Steuerbetrag
in Anspruch genommen, der seinem Anteil an dem gesamten Einkommen
oder dem gesamten Vermögen entspricht (vgl. Geist in Beermann/
Gosch, AO § 268 Rz 2 und 11 f.). Die Vorschrift des § 268
AO folgt aus dem verfassungsrechtlichen Verbot der Benachteiligung
von Ehegatten (z.B. Klein/Brockmeyer, AO, 9. Aufl., Vor
§§ 268 ff. Rz 2 und § 268 Rz 1). Der Gesetzgeber
darf zwar grundsätzlich von der Gesamthaftung der zusammen
veranlagten Ehegatten ausgehen. Dem Ehegatten muss jedoch das Recht
gegeben werden, durch Antrag die Aufteilung der
rückständigen Schuld herbeizuführen, wenn gegen ihn
Zwangsvollstreckungsmaßnahmen eingeleitet werden. Denn die
Ehegatten dürfen nicht in einer Art. 6 Abs. 1 des
Grundgesetzes (GG) widersprechenden Weise dadurch benachteiligt
werden, dass jeder für die Schulden des andern aufkommen muss
(vgl. Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 21.2.1961 1 BvL
29/57, 1 BvL 20/60, BVerfGE 12, 151, BStBl I 1961, 55, unter D. II.
5.).
2. Ist die Aufteilung einer Gesamtschuld nach
Maßgabe der §§ 269 ff. AO Voraussetzung und
rechnerische Grundlage für die Beschränkung der
Vollstreckung nach § 268 AO, so ist nach Auffassung des
erkennenden Senats in erweiternder und auch verfassungskonformer
Auslegung des § 268 AO eine solche Aufteilung auch dann
zulässig und - auf Antrag - geboten, wenn bei Bestehen einer
Gesamtschuld von zusammen zur Einkommensteuer oder
Vermögensteuer veranlagten Ehegatten ein Ehepartner verstirbt
und der überlebende Ehegatte dessen Gesamtrechtsnachfolger
wird. Nach § 268 AO steht jedem zusammen veranlagten Ehegatten
in eigener Person ein Antragsrecht zu. Dieses Antragsrecht geht
nicht durch den Tod des anderen Ehegatten, den der überlebende
Ehegatte als Gesamtrechtsnachfolger beerbt hat, verloren (vgl. auch
Müller-Eiselt in HHSp, § 268 AO Rz 16).
a) Bei Gesamtrechtsnachfolge gehen
gemäß § 45 Abs. 1 Satz 1 AO die Forderungen und
Schulden aus dem Steuerschuldverhältnis auf den
Rechtsnachfolger über. Gemäß § 45 Abs. 2 Satz
1 AO haben Erben für die aus dem Nachlass zu entrichtenden
Schulden nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts
über die Haftung des Erben für Nachlassverbindlichkeiten
einzustehen. Das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) geht von einer
grundsätzlich unbeschränkten, aber auf den Nachlass
beschränkbaren Erbenhaftung aus (vgl. z.B.
MünchKommBGB/Siegmann, 5. Aufl., Vor § 1967 Rz 2;
BFH-Urteil vom 11.8.1998 VII R 118/95, BFHE 186, 328, BStBl II
1998, 705 = SIS 98 20 87, unter II. A. 3.): Gemäß §
1967 Abs. 1 BGB haftet der Erbe für die
Nachlassverbindlichkeiten. Damit steht den Gläubigern bis zur
Beschränkung der Haftung der Zugriff auf das
Gesamtvermögen des Erben offen, zu dem Nachlass und
Eigenvermögen des Erben beim Erbschaftserwerb verschmelzen
(vgl. MünchKommBGB/Siegmann, 5. Aufl., § 1967 Rz 1). Als
Mittel der Beschränkung der Haftung sieht § 1975 BGB
Nachlassverwaltung und Nachlassinsolvenz (§§ 315 ff. der
Insolvenzordnung - InsO - ) vor. Auch ohne diese Maßnahmen
kann der Erbe allein durch Erhebung der Dürftigkeitseinrede
nach § 1990 BGB die Haftungsbeschränkung
herbeiführen. Nach § 1990 Abs. 1 Satz 1 BGB kann der Erbe
die Befriedigung eines Nachlassgläubigers insoweit verweigern,
als der Nachlass nicht ausreicht. Voraussetzung ist u.a., dass die
Eröffnung des Nachlassinsolvenzverfahrens wegen Mangels einer
den Kosten entsprechenden Masse nicht tunlich ist (§ 26 Abs. 1
InsO; vgl. auch z.B. MünchKommBGB/Siegmann, 5. Aufl., §
1990 Rz 2; Andres in Andres/Leithaus, InsO, 1. Aufl., vor §
315 Rz 6, m.w.N.). Die Erhebung der Dürftigkeitseinrede
bewirkt keine Trennung der Vermögensmassen, sondern nur, dass
eine Vollstreckung der Nachlassgläubiger in das
Eigenvermögen des Erben unmöglich wird (vgl. z.B.
MünchKommBGB/Siegmann, 5. Aufl., § 1990 Rz 11;
Palandt/Edenhofer, Bürgerliches Gesetzbuch, 67. Aufl., §
1990 Rz 1 und 7; Andres, a.a.O., m.w.N.). Die Einrede der
Dürftigkeit des Nachlasses darf auch gegenüber dem
Finanzamt geltend gemacht werden, allerdings allein im
Zwangsvollstreckungsverfahren (vgl. BFH-Beschlüsse vom
24.6.1981 I B 18/81, BFHE 133, 494, BStBl II 1981, 729 = SIS 81 23 44, und vom 30.6.1999 II B 113/98, BFH/NV 2000, 56 = SIS 00 50 48).
b) Ausgehend von diesen Rechtsgrundsätzen
kann auch nach dem Tod eines zusammen veranlagten Ehegatten ein
Bedürfnis bestehen, eine fortbestehende Gesamtschuld im Wege
der Aufteilung dem Erblasser und dem Erben zuzuordnen. Ein
dahingehender Antrag des überlebenden Ehegatten, der
Gesamtrechtsnachfolger seines verstorbenen Ehepartners ist, ist
jedenfalls nicht rechtsmissbräuchlich. Zwar handelt es sich
bei Eigenvermögen des Erben und Nachlass zivilrechtlich nicht
um zwei getrennte Vermögensmassen (anderer Ansicht wohl
Müller-Eiselt, a.a.O.). Die Aufteilung einer Steuerschuld kann
jedoch - anders als das FA meint - bereits vor und außerhalb
einer Nachlassverwaltung oder einer Nachlassinsolvenz erforderlich
sein, um die Höhe der Nachlassverbindlichkeiten
zuverlässig feststellen zu können. Ein Bedürfnis
für eine Aufteilung zeigt aber auch beispielhaft die vom FA
mitgeteilte weitere Entwicklung im Streitfall: Nach Abweisung des
Antrags der Klägerin auf Eröffnung des
Insolvenzverfahrens über den Nachlass ihres Ehemannes mangels
Masse könnte die Klägerin nunmehr
Zwangsvollstreckungsmaßnahmen des FA wegen Steuerschulden des
Erblassers gemäß § 45 Abs. 2 Satz 1 AO die
Dürftigkeitseinrede nach § 1990 BGB entgegenhalten. Als
Erbin hat sie zwar weiter für die Steuerschulden des
Erblassers einzustehen, nach Erhebung der Dürftigkeitseinrede
aber nur mit dem Nachlass. Soweit mit Erhebung der Einrede die
Zwangsvollstreckung in das Eigenvermögen der Klägerin
ausgeschlossen ist, bedarf es einer Aufteilung der streitbefangenen
Gesamtschuld auf die Klägerin und ihren verstorbenen
Ehegatten. Die Aufteilung bildet - wie in dem von § 268 AO
erfassten Normalfall - auch hier die Grundlage für das weitere
Vollstreckungsverfahren.
c) Diese Auslegung und Anwendung von §
268 AO ist aber auch verfassungsrechtlich geboten. Aus dem Verbot
der Benachteiligung von Ehegatten (Art. 6 Abs. 1 GG) folgt auch,
dass Ehegatten gegenüber nicht verheirateten Steuerpflichtigen
nicht benachteiligt werden dürfen. Waren Erblasser und
Gesamtrechtsnachfolger nicht miteinander verheiratet, so steht -
anders als bei zusammen veranlagten Ehegatten - bereits ohne
Aufteilung fest, welche Steuerschulden zum Nachlass gehören;
damit ist bereits eine wesentliche Vorfrage einer möglichen
Haftungsbeschränkung auf den Nachlass geklärt. Eine
gleichwertige Rechtsposition muss auch der überlebende
Ehegatte herbeiführen können, indem er noch nach dem Tod
seines Ehegatten einen Antrag nach § 268 AO stellt. Im
Übrigen ließe sich auch gleichheitsrechtlich nicht
begründen, warum ein unmittelbar vor dem Tod eines zusammen
veranlagten Ehegatten gestellter Antrag nach § 268 AO im
Vollstreckungsverfahren zu einer anderen Rechtsposition führen
sollte als ein erst nach dem Tod des Ehepartners von dem
überlebenden Ehegatten gestellter Aufteilungsantrag.