Berliner Testament, Verzicht der Kinder auf Pflichtteil gegen Abfindung: Haben Eheleute ihre Kinder im Wege eines Berliner Testaments zu Schlusserben eingesetzt und vereinbaren diese mit dem überlebenden Ehegatten, jeweils gegen Zahlung einer erst mit dessen Tod fälligen Abfindung auf die Geltendmachung der Pflichtteile nach dem erstverstorbenen Ehegatten zu verzichten, können die Kinder beim Tod des überlebenden Ehegatten keine Nachlassverbindlichkeiten i.S. des § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG aus dieser Vereinbarung abziehen. Die Abfindungsverpflichtungen stellten für den überlebenden Ehegatten keine wirtschaftliche Belastung dar. - Urt.; BFH 27.6.2007, II R 30/05; SIS 07 27 18
I. Die Eltern der Kläger und
Revisionskläger (Kläger) hatten sich durch
gemeinschaftliches Testament gegenseitig als Erben eingesetzt.
Erben des Überlebenden sollten die Kläger zu gleichen
Teilen sein. Für den Fall, dass einer der Kläger beim Tod
des Erstversterbenden auf seinem Pflichtteil besteht, war bestimmt,
dass er auch nach dem Tod des Überlebenden auf den Pflichtteil
beschränkt ist (Pflichtteilssanktionsklausel). Nach dem Tod
des Vaters im November 1996 vereinbarte die Mutter noch im Dezember
1996 mit den Klägern die Zahlung einer Abfindung von je
100.000 DM dafür, dass die Kläger auf die Geltendmachung
ihrer Pflichtteile nach dem Vater verzichteten. Die Abfindungen
sollten mit dem Ableben der Mutter fällig werden.
Nach dem Tod der Mutter im November 2000
verlangten die Kläger, die vereinbarten Abfindungen als
Nachlassverbindlichkeit zu berücksichtigen. Das lehnte der
Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA - ) ab. Mit
letztmals während des bereits anhängigen Klageverfahrens
geänderten Bescheiden vom 22.7.2003 setzte er die
Erbschaftsteuer bei einem steuerpflichtigen Erwerb von jeweils
281.500 DM auf jeweils 15.444 EUR fest. Bezüglich der
Abfindungen blieb die Klage erfolglos.
Das Finanzgericht (FG) war der Ansicht, die
von der Mutter geschuldeten Abfindungen könnten
gemäß § 42 der Abgabenordnung (AO) nicht als
Nachlassverbindlichkeiten berücksichtigt werden (vgl. SIS 05 29 78). Aufgrund der testamentarisch festgelegten Erbfolge habe
festgestanden, dass die Kläger die Abfindungen nicht an sich
selbst zahlen würden. Die Kläger hätten in der
mündlichen Verhandlung eingeräumt, dass die gewählte
Gestaltung ausschließlich der Steuerminderung gedient habe.
Infolgedessen hätten sie auch in Missbrauchsabsicht gehandelt.
Im Übrigen habe es zu ihren Lebzeiten auch an einer
wirtschaftlichen Belastung der Mutter gefehlt.
Mit der Revision rügen die Kläger
fehlerhafte Anwendung des § 42 AO sowie des § 10 Abs. 5
Nr. 1 des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes (ErbStG).
Die streitbefangene Gestaltung sei auch zivilrechtlich
zulässig und sinnvoll. Das Motiv, Steuern zu sparen,
führe nicht zum Rechtsmissbrauch. Als überlebende
Ehegattin habe die Mutter uneingeschränkt über den
gesamten Nachlass verfügen und ihn damit auch
„verjubeln“ können. Durch die
Abfindungsvereinbarung vom Dezember 1996 seien sie, die
Kläger, zumindest in Höhe von jeweils 100.000 DM
abgesichert gewesen. Die einvernehmliche Abfindungsregelung sei
möglich gewesen, ohne die Anwendung der sog. einfachen
Pflichtteilsklausel auszulösen. Mit der Abfindungsvereinbarung
sei zudem die Gleichbehandlung der Schlusserben sichergestellt
worden. In der Literatur werde sogar die Ansicht vertreten,
Pflichtteilsansprüche bezüglich des Erstversterbenden
könnten die Schlusserben auch noch erstmals nach dem Tod des
Letztversterbenden gegenüber sich selbst geltend machen
(Muscheler, Zeitschrift für Erbrecht und
Vermögensnachfolge - ZEV - 2001, 377, 381).
Die Kläger beantragen, unter Aufhebung
der Vorentscheidung die Erbschaftsteuerbescheide vom 22.7.2003 mit
der Maßgabe zu ändern, dass jeweils weitere
Nachlassverbindlichkeiten in Höhe von 100.000 DM
berücksichtigt werden.
Das FA beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
II. Die Revision ist unbegründet, sie war
daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der
Finanzgerichtsordnung - FGO - ). Die Kläger sind die Erben
ihrer Mutter geworden. Die Vereinbarung vom Dezember 1996 zwischen
ihnen und der Mutter ist zivilrechtlich wirksam und hat trotz der
Pflichtteilssanktionsklausel im gemeinschaftlichen Testament der
Eltern nicht zum Verlust der Stellung der Kläger als Erben
nach ihrer Mutter geführt. Die aus der Vereinbarung sich
ergebenden Abfindungsverpflichtungen der Mutter sind jedoch keine
Nachlassverbindlichkeiten i.S. des § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG,
da sie für die Mutter keine wirtschaftliche Belastung
darstellten.
1. Die Vereinbarung vom Dezember 1996 ist kein
Scheingeschäft i.S. des § 117 Abs. 1 des
Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) sowie des § 41 Abs. 2 Satz
1 AO gewesen. Die Partner der Vereinbarung haben die mit ihr
verbundenen Rechtsfolgen gewollt, da nur unter dieser Voraussetzung
der erstrebte Abzug der Abfindungsverpflichtungen als
Nachlassverbindlichkeiten beim Tod der Mutter in Betracht kam. Eine
wirksam begründete Abfindungsverpflichtung wäre auch dann
erforderlich gewesen, wenn die Vertragspartner mit einer
Vereinigung von Abfindungsanspruch und -verpflichtung gerechnet und
auf die Regelung des § 10 Abs. 3 ErbStG gesetzt haben sollten.
Nur bestehende Rechtsverhältnisse können zivilrechtlich
durch Vereinigung (Konfusion) erlöschen und
erbschaftsteuerrechtlich der Regelung des § 10 Abs. 3 ErbStG
unterfallen.
2. Die Vereinbarung vom Dezember 1996 hat auch
nicht den Verlust der Stellung der Kläger als Schlusserben
ausgelöst, der im gemeinschaftlichen Testament der Eltern
für den Fall vorgesehen war, dass nach dem Tod des
Erstversterbenden Pflichtteilsrechte geltend gemacht werden. Der
Verzicht auf die bereits entstandenen Pflichtteilsansprüche
gegen Abfindung nach dem Tod des Vaters bedeutete kein Bestehen auf
dem Pflichtteilsrecht im Sinne dieser Pflichtteilssanktionsklausel.
Welches Verhalten des Schlusserben die Verwirkung seines Erbrechts
infolge einer Pflichtteilssanktionsklausel auslöst, ist durch
deren Auslegung zu ermitteln (Palandt/Edenhofer, Bürgerliches
Gesetzbuch, 65. Aufl., § 2269 Rz 14).
a) Wird ein gemeinschaftliches Testament, wie
es die Eltern der Kläger errichtet haben - gewöhnlich als
Berliner Testament bezeichnet -, mit einer
Pflichtteilssanktionsklausel versehen, kommt dieser Klausel
regelmäßig die Funktion zu, sicher zu stellen, dass das
Vermögen der Ehegatten beim Überlebenden verbleibt und
dass sich nicht einer der Schlusserben durch Inanspruchnahme seines
Pflichtteils nach dem Tod des Erstversterbenden einen
Vermögensvorteil vor den übrigen
(pflichtteilsberechtigten) Schlusserben verschafft, indem er die zu
erwartenden Anteile der Schlusserben aus dem Gleichgewicht bringt
(vgl. Ermann/M. Schmidt, BGB, 11. Aufl., § 2269 Rz 15). Das
den Pflichtteil in Anspruch nehmende Kind ist nämlich
später am Nachlass des überlebenden Ehegatten mit der
unveränderten Erbquote wie die übrigen Schlusserben
beteiligt.
b) Beide Funktionen der
Pflichtteilssanktionsklausel - und zwar sowohl der Erhalt des
ungeschmälerten Vermögens in der Hand des
überlebenden Elternteils als auch die Gleichbehandlung der
Schlusserben - werden nicht beeinträchtigt, wenn alle
Schlusserben jeweils gegen eine erst nach dem Tod des
überlebenden Elternteils fällig werdende Abfindung in
gleicher Höhe auf den Pflichtteil verzichten. Daher kann, wenn
nicht besondere Umstände hinzukommen, nicht angenommen werden,
solch ein Pflichtteilsverzicht aller Schlusserben gegen gleich hohe
Abfindung werde von der Pflichtteilssanktionsklausel erfasst.
Derartige Umstände sind im Streitfall weder festgestellt noch
erkennbar. Vielmehr spricht vorliegend für die hier vertretene
Auslegung der Pflichtteilssanktionsklausel zusätzlich, dass
die Klausel ausdrücklich nur die Inanspruchnahme des
Pflichtteils durch eines der Kinder regelt. Würde die Klausel
gleichwohl auf die Vereinbarung vom Dezember 1996 angewendet werden
und würden damit beide Kläger als (Schluss-)erben
ausfallen, müsste wiederum durch Auslegung - diesmal des
Testaments - geklärt werden, wer testamentarischer Erbe der
Mutter geworden oder ob gesetzliche Erbfolge eingetreten ist.
3. Zivilrechtlich erlöschen
Verpflichtungen des Erblassers mit dessen Tod, wenn sich Forderung
und Schuld in diesem Augenblick aufgrund des § 1922 Abs. 1 BGB
in der Person des Erben vereinigen (vgl. Urteil des
Bundesgerichtshofs - BGH - vom 1.6.1967 II ZR 150/66, NJW 1967,
2399). Erbschaftsteuerrechtlich gelten jedoch gemäß
§ 10 Abs. 3 ErbStG die infolge Erbanfalls durch Vereinigung
von Recht und Verbindlichkeit erloschenen Rechtsverhältnisse
als nicht erloschen. Angesichts der Tatsache, dass die Kläger
eine Erbengemeinschaft bildeten, ihnen die Abfindungsansprüche
aber jeweils individuell zustanden, ist zweifelhaft, ob es im
Streitfall zivilrechtlich zu einer Konfusion gekommen ist (vgl.
dazu Gebel in Troll/Gebel/Jülicher, ErbStG, § 10 Rz 94;
Muscheler, ZEV 2001, 377, unter 3.2.). Dies bedarf jedoch keiner
Entscheidung, da so oder so von der Mutter herrührende
Abfindungsverpflichtungen anzunehmen sind, und zwar entweder in
Übereinstimmung mit dem Zivilrecht oder erst aufgrund der
Regelung des § 10 Abs. 3 ErbStG. Diese Verpflichtungen kommen
grundsätzlich als Nachlassverbindlichkeiten i.S. des § 10
Abs. 5 Nr. 1 ErbStG in Betracht. Die Nr. 2 der Vorschrift ist schon
deshalb nicht einschlägig, weil die Pflichtteile, auf die die
Kläger verzichtet haben, den Nachlass des Vaters und nicht den
der Mutter betrafen. Dem Abzug steht jedoch entgegen, dass die
Abfindungsverpflichtungen die Mutter zu ihren Lebzeiten nicht
belasteten.
a) Gemäß § 10 Abs. 5 Nr. 1
ErbStG sind vom Erwerb des Erben die vom Erblasser
herrührenden persönlichen Verbindlichkeiten, die
gemäß § 1922 Abs. 1 BGB, § 45 Abs. 1 AO auf
die Erben übergegangen sind, als Nachlassverbindlichkeiten
abzuziehen. Der Abzug setzt voraus, dass die Verbindlichkeiten
rechtlich bestehen und den Erblasser im Todeszeitpunkt
wirtschaftlich belastet haben (so noch zu § 23 Abs. 1 ErbStG
1925 Urteile des Reichsfinanzhofs vom 26.3.1936 III eA 12/36, RStBl
1936, 543, und vom 24.11.1938 IIIe 64/38, RStBl 1939, 496, sowie
Kipp, Kommentar zum Erbschaftsteuergesetz, 1927, § 23 Rz 50;
zu § 23 Abs. 4 ErbStG 1951 Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH -
vom 18.11.1963 II 166/61, HFR 1964, 83, sowie zu § 10 Abs. 5
ErbStG 1974 BFH-Urteil vom 24.3.1999 II R 34/97, BFH/NV 1999, 1339
= SIS 99 51 43; Moench/Weinmann, § 10 ErbStG Rz 46; Gebel in
Troll/Gebel/ Jülicher, ErbStG, § 10 Rz 129; Meincke,
Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, Kommentar, 14. Aufl.
2004, § 10 Rz 32). Insoweit gelten dieselben Grundsätze,
wie sie bis zum Steueränderungsgesetz 1992 für den Abzug
betrieblicher Schulden und bis Ende 1996 für die Ermittlung
des Gesamtvermögens galten (so BFH in BFH/NV 1999, 1339 = SIS 99 51 43, m.w.N.). An dieser wirtschaftlichen Belastung fehlt es,
wenn der Erblasser als Schuldner davon ausgehen konnte, die
Verpflichtungen unter normalen Umständen nicht selbst
erfüllen zu müssen (vgl. BFH-Urteil vom 5.3.1997 II R
24/94, BFH/NV 1997, 820). Korrespondierend mit der fehlenden
Belastung der Mutter hat im Übrigen die Begründung der
Abfindungsansprüche auf Seiten der Kläger wirtschaftlich
zu keiner Bereicherung geführt, da sie erst zu einem Zeitpunkt
befriedigt werden sollten, zu dem das gesamte Vermögen der
Mutter - soweit noch vorhanden - den Klägern bereits aus einem
anderen Rechtsgrund zugefallen sein würde. Mit dem
zusätzlichen Erfordernis einer wirtschaftlichen Belastung wird
zwar vom Zivilrecht abgewichen; dem steht jedoch gegenüber,
dass Leistungen des Erben aus dem Nachlass auch ohne rechtliche
Verpflichtung in besonders gelagerten Ausnahmefällen als
Nachlassverbindlichkeiten in Betracht kommen, wenn sie eine
ernsthafte wirtschaftliche Belastung darstellen (so BFH-Urteil in
HFR 1964, 83).
b) Im Streitfall waren die
Abfindungsansprüche gegen die Mutter unter normalen
Umständen nicht durchzusetzen. Die entsprechenden
Verbindlichkeiten belasteten daher die Mutter im Todeszeitpunkt
nicht. Soweit die Kläger geltend machen, die Mutter habe
durchaus mit einer Inanspruchnahme rechnen müssen, weil ihnen
bei einer Gefährdung ihrer Abfindungsansprüche durch
Vermögensverfall der Mutter das Recht zugestanden hätte,
die Fälligkeitsabrede zu widerrufen, führt dies zu keiner
anderen Beurteilung. Ein Vermögensverfall der Mutter wäre
zum einen kein normaler Umstand im Sinne der oben zitierten
Rechtsprechung und ist zum anderen bis zum Tod der Mutter nicht
eingetreten. Daher kann auf sich beruhen, ob die Kläger bei
einem solchen Vermögensverfall die Fälligkeitsabrede
hätten widerrufen können (vgl. dazu BGH-Urteil vom
29.5.1974 IV ZR 65/72, NJW 1974, 652). Die Mutter konnte zudem zu
ihren Lebzeiten über das gesamte Vermögen verfügen.
Dagegen waren die Kläger nicht gesichert. Die
Abfindungsverpflichtungen sind daher nicht gemäß §
10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG abzugsfähig. Auf die Voraussetzungen
des § 10 Abs. 3 ErbStG kommt es daher ebenso wenig an wie auf
die Anforderungen des § 42 AO.