Schadensersatzrente, ESt-Pflicht: Eine Schadensersatzrente nach § 844 Abs. 2 BGB, die den durch den Tod des Ehegatten eingetretenen materiellen Unterhaltsschaden ausgleicht, unterliegt nicht der Einkommensteuerpflicht nach § 22 Nr. 1 EStG. (zur Anwendung vgl. BMF-Schreiben vom 15.7.2009, IV C 3 - S 2255/08/10012, BStBl 2009 I S. 836 = SIS 09 22 34) - Urt.; BFH 26.11.2008, X R 31/07; SIS 09 03 34
I. Der Ehemann der Klägerin und
Revisionsbeklagten (Klägerin) ist an den Folgen eines
ärztlichen Fehlers im April 1998 verstorben. Die Versicherung
des Arbeitgebers des behandelnden Arztes zahlte der Klägerin
aufgrund eines im Oktober 1999 geschlossenen Vergleichs ab dem
Todestag des Ehemannes eine Schadensersatzrente nach § 844
Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) in Höhe von
2.000 DM (= 1.022,58 EUR). Von der monatlichen Zahlung entfiel ein
Betrag in Höhe von 1.300 DM (= 664,68 EUR) auf den materiellen
Unterhaltsschaden und 700 DM (= 357,90 EUR) auf den
Haushaltsführungsschaden.
Im Einkommensteuerbescheid für das
Streitjahr 2003 berücksichtigte der Beklagte und
Revisionskläger (das Finanzamt - FA - ) die
Schadensersatzrente in voller Höhe (= 12.270 EUR) als
steuerpflichtige sonstige Einkünfte nach § 22 Nr. 1 des
Einkommensteuergesetzes (EStG).
Der nach erfolglosem Einspruchsverfahren
erhobenen Klage gab das Finanzgericht (FG) mit in EFG 2007, 1496 =
SIS 07 30 39 veröffentlichtem Urteil statt. Nach der
Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) gäbe es keine Regel,
nach der wiederkehrende Bezüge allein wegen der Wiederkehr der
Leistungen der Einkommensteuer zu unterwerfen seien. Demzufolge sei
die Erfassung von Schadensersatzrenten nach § 22 Nr. 1 EStG
auf Fälle zu beschränken, in denen Ersatz für
weggefallene steuerbare Einkünfte geleistet werde. Nach der
normativen Grundaussage des § 2 Abs. 1 EStG, die auch bei der
Auslegung des § 22 Nr. 1 EStG zu beachten sei, werde
grundsätzlich nur die „erwirtschaftete“
finanzielle Leistungsfähigkeit von der Einkommensteuer
erfasst. Da Schadensersatzleistungen als Einmalbetrag nicht der
Einkommensteuer unterlägen, sondern die nicht steuerbare
Vermögensebene beträfen, müsse das Gleiche für
Schadensersatzleistungen in der Form wiederkehrender Bezüge
gelten. Die Steuerbarkeit werde auch verneint, wenn eine
Schadensersatzrente durch eine Kapitalabfindung abgelöst
werde. Eine Besteuerung nur wegen der äußeren Form der
Bezüge, also allein wegen ihrer Wiederholung, stünde im
Widerspruch zu dem das Einkommensteuerrecht rechtfertigenden
Grundsatz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen
Leistungsfähigkeit. Eine zeitlich gestreckte Auszahlung einer
Schadensersatzrente könne grundsätzlich nicht anders
besteuert werden als der in einer Summe ausbezahlte Betrag, soweit
nicht in den einzelnen Zahlungen Zinsanteile als Erträge
enthalten seien.
Im während des Revisionsverfahrens
ergangenen Änderungsbescheid vom 15.10.2007 ging das FA davon
aus, dass die Schadensersatzrente nach § 844 Abs. 2 BGB nur
insoweit der Besteuerung unterliegt, als sie den Verlust von
Unterhaltsansprüchen in Höhe von monatlich 664,68 EUR
ausgleicht. Es erkannte an, dass der Ersatz des
Haushaltsführungsschadens in Höhe von monatlich 357,90
EUR zu nicht steuerbaren Bezügen führt.
Mit der Revision rügt das FA die
Verletzung materiellen Rechts. Der die Einkommensteuer
rechtfertigende, bestimmende und von Verfassungs wegen begrenzende
Grundsatz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen
Leistungsfähigkeit schließe die Steuerbarkeit einer
Unterhaltsrente i.S. des § 844 Abs. 2 BGB nicht aus. Soweit
die Schadensersatzrente auf den materiellen Unterhaltsschaden
entfalle, unterliege sie der Einkommensbesteuerung nach § 22
Nr. 1 EStG.
Das FA beantragt, die Vorentscheidung
aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
II. 1. Das angefochtene Urteil ist aus
verfahrensrechtlichen Gründen aufzuheben, da der während
des Revisionsverfahrens ergangene Änderungsbescheid vom
15.10.2007 an die Stelle der Einkommensteuerfestsetzung vom
26.7.2004 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 3.3.2005
getreten ist. Damit liegt dem FG-Urteil ein nicht mehr
existierender Bescheid zugrunde mit der Folge, dass auch das
FG-Urteil keinen Bestand haben kann (s. dazu BFH-Urteil vom
23.1.2003 IV R 71/00, BFHE 201, 269, BStBl II 2004, 43 = SIS 03 23 11).
Der Bescheid vom 15.10.2007 wurde nach §
68 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) Gegenstand des
Revisionsverfahrens. Da die vom FG festgestellten
tatsächlichen Grundlagen des Streitstoffs durch die
Änderung des angefochtenen Verwaltungsakts unberührt
geblieben sind, (vgl. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6.
Aufl., § 127 Rz 2, m.w.N. aus der Rechtsprechung), bedarf es
keiner Zurückverweisung der Sache gemäß § 127
FGO. Das finanzgerichtliche Verfahren leidet nicht an einem
Verfahrensmangel, so dass die vom FG getroffenen tatsächlichen
Feststellungen durch die Aufhebung des Urteils nicht weggefallen
sind; sie bilden daher nach wie vor die Grundlage für die
Entscheidung des Senats (BFH-Urteil in BFHE 201, 269, BStBl II
2004, 43 = SIS 03 23 11).
2. Der Senat entscheidet in der Sache
selbst.
Die Revision ist unbegründet und daher
zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO). Zu Recht hat das FG
erkannt, dass die Schadensersatzrente, die der Klägerin nach
§ 844 Abs. 2 BGB für den Verlust von
Unterhaltsansprüchen gewährt wird, zu keinen steuerbaren
Bezügen i.S. des § 22 Nr. 1 EStG führt (so auch P.
Fischer, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 22 Rz B
408; P. Fischer, Wiederkehrende Bezüge und Leistungen, Rz 456;
Beiser, DB 2001, 1900, 1902; Stöcker in Bordewin/Brandt,
§ 22 EStG Rz 92; Schmidt/Weber-Grellet, EStG, 27. Aufl.,
§ 22 Rz 50; Risthaus in Herrmann/Heuer/Raupach, § 22 EStG
Rz 122. Jansen/Myßen/Risthaus, Renten Raten Dauernde Lasten,
13. Aufl., Rz 60 und 2371 ff.; a.A. H 22.1 des Amtlichen
Einkommensteuer-Handbuchs 2006; Schreiben des Bundesministeriums
der Finanzen - BMF - vom 8.11.1995, BStBl I 1995, 705 = SIS 95 23 02; Blümich/Stuhrmann, § 22 EStG Rz 59; Söhn, FR
1996, 81; Mellinghoff in Kirchhof, EStG, 8. Aufl., § 24 Rz
18).
a) Bei der Anwendung und Auslegung des §
22 Nr. 1 EStG sind die normativen Grundaussagen des § 2 Abs. 1
EStG zu beachten (Senatsurteil vom 26.11.1992 X R 187/87, BFHE 170,
98, 101, BStBl II 1993, 298 = SIS 93 05 01). Diese Vorschrift
gestaltet das Objekt „Einkommen“ in der Weise
aus, dass die Erwerbsgrundlage unvermindert erhalten bleibt;
erfasst wird von der Einkommensteuer grundsätzlich nur ein
„erzielter“ Zuwachs an wirtschaftlicher
Leistungsfähigkeit (vgl. z.B. Senatsurteile in BFHE 170, 98,
101, BStBl II 1993, 298 = SIS 93 05 01; vom 14.12.1994 X R 106/92,
BFHE 176, 402, BStBl II 1995, 410 = SIS 95 09 02, jeweils m.w.N.).
Der Besteuerungstatbestand des § 22 Nr. 1 EStG ist deshalb
regelmäßig nur dann erfüllt, wenn die Leistungen
andere steuerbare Einnahmen ersetzen, im Falle der Korrespondenz
(Realsplitting, dauernde Last) unabhängig von der Geltung
eines allgemeinen Prinzips, sowie in Fällen, in denen die
Zahlungen einen Zinsanteil enthalten. Eine Steuerbarkeit wegen der
äußeren Form kennt das Einkommensteuerrecht nicht. Ist
eine Leistung als Einmalzahlung nicht steuerbar, wird sie es nicht
dadurch, dass sie als zeitlich gestreckt vereinbart wird
(Senatsurteil vom 31.7.2002 X R 39/01, BFH/NV 2002, 1575 = SIS 03 02 48).
b) Der VIII. Senat des BFH hat im Urteil vom
25.10.1994 VIII R 79/91 (BFHE 175, 439, BStBl II 1995, 121 = SIS 95 01 01) im Hinblick auf die Mehrbedarfsrente nach § 843 Abs. 1
BGB seine zur Steuerbarkeit von Schadensersatzrenten vertretene
Rechtsprechung auf die Fälle eingeschränkt, in denen
Ersatz für andere, steuerbare Einkünfte geleistet wird.
Der erkennende Senat folgt dieser Rechtsauffassung. Die
Unterhaltsrente nach § 844 Abs. 2 BGB ist nicht steuerbar, da
sie lediglich den durch das schädigende Ereignis entfallenden,
nicht steuerbaren Unterhaltsanspruch ausgleicht und nicht Ersatz
für entgangene oder entgehende Einnahmen i.S. der in § 2
Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 7 EStG genannten Einkunftsarten
gewährt (vgl. § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG).
aa) Anspruchsberechtigt nach § 844 Abs. 2
BGB ist derjenige, dem der Getötete Unterhalt kraft Gesetzes
schulden würde (sog. Unterhaltsrente). Die Rente
gemäß § 844 Abs. 2 BGB ist ihrer Rechtsnatur nach
kein Unterhalt, sondern Schadensersatz (Urteil des
Bundesgerichtshofs - BGH - vom 23.4.1974 VI ZR 188/72, NJW 1974,
1373). Diese Anspruchsqualität führt dazu, dass die
Verhältnisse des Ersatzpflichtigen ohne Bedeutung sind; nur
der tatsächliche Ausfall an Unterhalt ist zu ersetzen
(Palandt/Sprau, Bürgerliches Gesetzbuch, 68. Aufl., § 844
Rz 8). Zudem sind die für den Unterhaltsanspruch geltenden
speziellen Vorschriften nicht anwendbar (BGH-Beschluss vom 3.2.2004
VI ZR 119/03, Zeitschrift für das gesamte Familienrecht 2004,
526). War der Getötete zum Barunterhalt verpflichtet, hat der
Ersatzverpflichtete den gesetzlich geschuldeten fiktiven Unterhalt
auszugleichen (vgl. z.B. BGH-Urteil vom 4.11.2003 VI ZR 346/02, NJW
2004, 358 = SIS 04 14 15). Soweit der Getötete im Rahmen
seiner unterhaltsrechtlichen Verpflichtung den Haushalt
geführt oder im Beruf bzw. Geschäft des anderen Ehegatten
mitgearbeitet hat (sog. Naturalunterhalt), ist auch dies bei der
Berechnung des Unterhaltsschadens zu beachten.
bb) Auch wenn die Rente nach § 844 Abs. 2
BGB ihrer Rechtsnatur nach kein Unterhalts-, sondern ein
Schadensersatzanspruch ist, stützt sich der Anspruch aus
§ 844 Abs. 2 BGB aus Sicht der Klägerin als
Geschädigter unmittelbar auf unterhaltsgesetzliche Regeln
(§§ 1360 ff. BGB). Die Unterhaltsrente nach § 844
Abs. 2 BGB gleicht keine steuerbaren Einnahmen, sondern den vom
Getöteten geschuldeten fiktiven Unterhalt aus. Anders als bei
der vom FA angeführten Witwenpension richtet sich die
Höhe der Unterhaltsrente nach § 844 Abs. 2 BGB danach,
wie sich die Unterhaltsbeziehungen zwischen dem
Unterhaltsberechtigten und dem Unterhaltsverpflichteten bei
Unterstellung seines Fortlebens nach dem Unfall entwickelt haben
würden. Alle vorhersehbaren Veränderungen der
Unterhaltsbedürftigkeit des Berechtigten und der
(hypothetischen) Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen,
wäre er noch am Leben, sind bei der Bemessung der
Unterhaltsrente einzubeziehen (BGH-Urteil in NJW 2004, 358 = SIS 04 14 15). Deshalb greift ertragsteuerlich die Nichtsteuerbarkeit der
Unterhaltsleistungen nach § 2 i.V.m. §§ 13 ff. EStG
und insbesondere nach § 22 Nr. 1 EStG, wonach
„Bezüge ... an eine gesetzlich unterhaltsberechtigte
Person“ in der Regel nicht steuerpflichtig sind. Der
Bezug von Unterhalt und damit auch die Unterhaltsrente i.S. von
§ 844 Abs. 2 BGB sind mangels marktwirtschaftlicher
Betätigung zur Einkunftserzielung nicht einkommensteuerbar (so
auch Beiser, DB 2001, 1900, 1902). Schadensersatzleistungen nach
§ 844 Abs. 2 BGB erhöhen - gleichgültig, ob sie den
Bar- oder Naturalunterhalt ausgleichen - nicht die wirtschaftliche
Leistungsfähigkeit des Empfängers (a.A. BMF-Schreiben in
BStBl I 1995, 705 = SIS 95 23 02). Sie dienen ausschließlich
dazu, die durch das Schadensereignis entfallene wirtschaftliche
Absicherung des Empfängers wiederherzustellen. Es fehlt die
Absicht, Überschüsse zu erzielen (P. Fischer, in:
Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, a.a.O., § 22 Rz B 408).
c) Auch das sog. Korrespondenzprinzip gebietet
nicht die Steuerbarkeit einer Unterhaltsrente; aus dem EStG
lässt sich die generelle Geltung eines solchen Prinzips
für die wiederkehrenden Bezüge nicht entnehmen (Beschluss
des Großen Senats des BFH vom 12.5.2003 GrS 1/00, BFHE 202,
464, BStBl II 2004, 95 = SIS 03 42 57; BFH-Urteil in BFHE 175, 439,
BStBl II 1995, 121 = SIS 95 01 01; a.A. BMF-Schreiben in BStBl I
1995, 705 = SIS 95 23 02). Die Abziehbarkeit beim Leistenden und
die Besteuerung des Geleisteten beim Empfänger sind zwei
verschiedene, voneinander unabhängige Vorgänge. Da die
Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit das
die Einkommensbesteuerung rechtfertigende, bestimmende und von
Verfassungs wegen begrenzende Prinzip ist, sind
Schadensersatzleistungen beim Verpflichteten abziehbar, wenn sie
betrieblich oder beruflich veranlasst sind und seine
Leistungsfähigkeit mindern. Ob der Empfänger der
Leistungen diese versteuern muss, ist unerheblich.
d) In den einzelnen Rentenleistungen ist kein
steuerpflichtiger Zinsanteil enthalten. Wird ein
Vermögensanspruch in wiederkehrenden Leistungen erfüllt,
umfassen diese zwar grundsätzlich von Beginn an einen -
steuerbaren - Zinsanteil (Senatsurteil in BFHE 170, 98, BStBl II
1993, 298, 299 = SIS 93 05 01). Insoweit sind dieselben
Grundsätze wie bei langfristiger Stundung eines
Zahlungsanspruchs anwendbar; dort beinhaltet die jeweilige
Teilleistung einen Zinsanteil (BFH-Urteil vom 29.10.1974 VIII R
131/70, BFHE 114, 79, BStBl II 1975, 173, 174 = SIS 75 00 99). Dies
ist indessen nicht auf Unterhaltsrenten nach § 844 Abs. 2 BGB
übertragbar. Ansprüche auf die einzelnen Leistungen
entstehen von Gesetzes wegen sukzessiv (vgl. § 844 Abs. 2 Satz
1 Halbsatz 1 BGB). Nur bei Vorliegen eines wichtigen Grundes kann
der Unterhaltsberechtigte vom Schädiger eine Abfindung in
Kapital verlangen (§ 844 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 i.V.m.
§ 843 Abs. 3 BGB). Der Ersatzverpflichtete hat kein Recht, den
unterhaltsberechtigten Dritten in Kapital abzufinden (Palandt/
Sprau, a.a.O., § 843 Rz 18). Daher ist die Vorstellung, die
Schadensersatzrente enthalte wirtschaftliche Elemente einer
darlehensähnlichen Überlassung von Kapital, verfehlt (P.
Fischer, a.a.O., Rz 457). Mit dem Ertragsanteil steuerbar wäre
nur die vertragliche Verrentung eines - und sei es aufgrund eines
Vergleichs (§ 779 BGB) - der Höhe nach feststehenden
Schadensersatzanspruchs; durch die Vereinbarung einer zeitlichen
Streckung überlässt der Gläubiger dem Schädiger
Kapital zur Nutzung. Im Streitfall sind diese Voraussetzungen nach
den Feststellungen des FG nicht gegeben.