Die Sache wird an das Finanzgericht
Baden-Württemberg zur anderweitigen Verhandlung und
Entscheidung zurückverwiesen.
Diesem wird die Entscheidung über die
Kosten des Verfahrens übertragen.
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I. Der Kläger und Revisionsbeklagte
(Kläger) ist Insolvenzverwalter der A-GmbH & Co. KG (KG).
Gesellschafter der KG waren im Jahr 2010 (Streitjahr) die
A-Verwaltungs-GmbH als Komplementärin ohne eigenen
Kapitalanteil (Komplementär-GmbH) sowie die beiden
Kommanditisten VA mit einem Kapitalanteil von 80 % und SA mit 20 %.
Bei der KG bedurften Gesellschafterbeschlüsse nach § 7
Abs. 2 des notariell beurkundeten Gesellschaftsvertrags vom
31.01.2003 grundsätzlich der einfachen Mehrheit der
abgegebenen Stimmen. Gesellschafter der Komplementär-GmbH
waren im Streitjahr ebenfalls VA zu 80 % und SA zu 20 %. Einziger
Geschäftsführer war VA. VA verpachtete der KG mit
Pachtvertrag vom 01.02.2008 das Betriebsgrundstück und diverse
Maschinen, die wesentliche Betriebsgrundlagen der KG waren.
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Die KG gab am 26.08.2011 eine nicht
zustimmungsbedürftige Umsatzsteuererklärung für das
Streitjahr ab mit einer Umsatzsteuer von … EUR, die
vollständig bezahlt wurde. VA erklärte seine
entgeltlichen Umsätze aus der Verpachtung der
Betriebsgrundlagen ebenfalls mit einer Umsatzsteuererklärung
2010 vom 26.08.2011.
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Das Amtsgericht X eröffnete mit
Beschluss vom 31.12.2011 das Insolvenzverfahren über das
Vermögen der KG und bestimmte den Kläger zum
Insolvenzverwalter. Aufgrund der für das Streitjahr
vollständig entrichteten Umsatzsteuer waren keine
Steuerforderungen zur Tabelle anzumelden. Über das
Vermögen des VA wurde am 16.11.2015 ebenfalls das
Insolvenzverfahren eröffnet.
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Die KG gab am 29.12.2015 eine berichtigte
Umsatzsteuererklärung für das Streitjahr ab, in der sie
keine Umsätze mehr erklärte. Der Kläger beantragte
mit Schreiben vom gleichen Tag unter Hinweis auf das Urteil des
Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) Larentia + Minerva
und Marenave Schiffahrt vom 16.07.2015 - C-108/14, C-109/14
(EU:C:2015:496 = SIS 15 18 50),
das Bestehen einer Organschaft zwischen VA als Organträger und
der KG als Organgesellschaft festzustellen.
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Der Beklagte und Revisionskläger
(Finanzamt - FA - ) lehnte dies mit Bescheid vom 14.01.2016 ab, da
eine Personengesellschaft nicht in eine umsatzsteuerliche
Organschaft einbezogen werden könne. Den dagegen eingelegten
Einspruch wies das FA mit Einspruchsentscheidung vom 28.06.2018
zurück, da nach dem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom
02.12.2015 - V R 25/13 (BFHE 251, 534, BStBl II 2017, 547 = SIS 16 00 91) und dem Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom
26.05.2017 - III C 2 - S 7105/15/10002, 2017/0439168 (BStBl I 2017,
790 = SIS 17 08 95) sowie nach Abschn. 2.8 Abs. 5a des
Umsatzsteuer-Anwendungserlasses eine Personengesellschaft nur dann
in das Unternehmen eines Organträgers eingegliedert sein
könne, wenn Gesellschafter der Personengesellschaft neben dem
Organträger nur Personen seien, die in das Unternehmen des
Organträgers eingegliedert seien. Hieran fehle es, da neben VA
auch SA an der KG beteiligt sei. Zudem stehe der Annahme einer
Organschaft der Grundsatz von Treu und Glauben entgegen. Der
Kläger habe sich erst mit Schreiben vom 29.12.2015 auf eine
Organschaft berufen und dem FA damit die Möglichkeit genommen,
vor Ablauf der regulären Festsetzungsfrist zum 31.12.2015 VA
zum Verfahren hinzuzuziehen. Die Steuerforderung könne beim
vermeintlichen Organträger nicht mehr realisiert
werden.
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Demgegenüber gab das Finanzgericht
(FG) mit seinem in EFG 2020, 943 = SIS 20 13 21 veröffentlichten Urteil der Klage statt. Alle
Eingliederungsvoraussetzungen lägen vor. Zudem sei unter
Berücksichtigung von Art. 11 der Richtlinie 2006/112/EG des
Rates vom 28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem
(MwStSystRL) und der BFH-Urteile vom 19.01.2016 - XI R 38/12
(BFHE 252, 516, BStBl II
2017, 567 = SIS 16 04 58) und vom 01.06.2016 - XI R 17/11 (BFHE
254, 164, BStBl II 2017, 581 = SIS 16 14 50) die Organschaft
mit einer KG als Organgesellschaft entgegen dem BFH-Urteil in BFHE 251, 534,
BStBl II 2017, 547 = SIS 16 00 91 und der dem entsprechenden
Verwaltungsauffassung auch dann zu bejahen, wenn neben dem
Organträger weitere natürliche Personen Gesellschafter
der KG seien. Personengesellschaften dürften nur dann von der
Organschaft ausgeschlossen werden, wenn dies zur Verhinderung
missbräuchlicher Praktiken oder Verhaltensweisen und der
Vermeidung von Steuerhinterziehung oder -umgehung erforderlich und
geeignet sei, wofür im Streitfall keinerlei Anhaltspunkte
bestünden. Der Kläger habe auch nicht gegen Treu und
Glauben verstoßen. Das Verlangen nach einer gesetzeskonformen
Besteuerung sei keine unzulässige Rechtsausübung. Die KG
habe keine Ursache gesetzt, aufgrund der das FA bei objektiver
Beurteilung darauf habe vertrauen dürfen, nicht in Anspruch
genommen zu werden.
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Hiergegen wendet sich das FA mit der
Revision. Das Urteil des FG widerspreche dem BFH-Urteil in BFHE
251, 534, BStBl II 2017, 547 = SIS 16 00 91. Zudem liege ein
Verstoß gegen den Grundsatz von Treu und Glauben vor, da der
Kläger seinen Änderungsantrag erst kurz vor Eintritt der
Festsetzungsverjährung zur Umsatzsteuer 2010 bei VA gestellt
habe. Die vom Kläger angenommene Organschaft wäre bereits
mit Eröffnung des vorläufigen Insolvenzverfahrens bei der
KG am 19.10.2011 wieder beendet worden. Das Urteil des FG
widerspreche zudem der Verwaltungsauffassung.
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Der Kläger weist darauf hin, dass die
Annahme einer Organschaft den Grundsatz der Rechtssicherheit nicht
gefährde. Der Ausschluss der Organschaft beim Vorhandensein
eines zweiten Gesellschafters, der nicht finanziell eingegliedert
sei, diene weder der Verhinderung von Missbräuchen noch der
Vermeidung von Steuerumgehungen. Das Ausschöpfen von Fristen
führe nicht zu einem Verstoß gegen Treu und
Glauben.
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9
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Während des Revisionsverfahrens hat
der Senat das Verfahren mit Beschluss vom 01.09.2020 - V R 45/19
bis zu einer Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Finanzamt
für Körperschaften Berlin ausgesetzt.
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Im Anschluss an das EuGH-Urteil Finanzamt
für Körperschaften Berlin vom 15.04.2021 - C-868/19
(EU:C:2021:285 = SIS 21 05 99) hat
der Senat das Verfahren wieder aufgenommen.
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Das FA wendet sich weiter gegen die Annahme
einer Organschaft und weist im Übrigen darauf hin, dass es im
Streitfall nicht um den Vollzug einer Organschaft bei allen an der
Organschaft Beteiligten, sondern darum gehe, bei einem der
Beteiligten die Insolvenzmasse anzureichern. Weiter verweist es auf
den Grundsatz von Treu und Glauben.
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Das FA beantragt,
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das Urteil des FG aufzuheben und die Klage
abzuweisen.
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Der Kläger beantragt,
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die Revision zurückzuweisen.
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Der Kläger weist darauf hin, dass sich
aus dem EuGH-Urteil Finanzamt für Körperschaften Berlin
(EU:C:2021:285 = SIS 21 05 99)
ergebe, dass eine Personengesellschaft in der Form einer GmbH & Co.
KG unter den gleichen Voraussetzungen wie eine juristische Person
Organgesellschaft sein könne. Dies sei bereits seit dem
EuGH-Urteil Larentia + Minerva und Marenave Schiffahrt
(EU:C:2015:496 = SIS 15 18 50)
erkennbar gewesen. Schon seitdem müsse die formelle
Bescheidlage der materiellen Rechtslage folgen. Organträger
und Organgesellschaft seien verschiedene Rechtssubjekte. Die
Steuerfestsetzung der KG sei danach aufzuheben und die Umsätze
und Vorsteuerbeträge der KG seien dem Organträger
zuzurechnen. Dass dies nicht erfolgt sei, könne ihm nicht
angelastet werden. Aus dem Grundsatz von Treu und Glauben folge
nichts anderes, da dieser nicht dazu diene, eine unvorteilhafte
Verfahrensbehandlung der Finanzbehörden aufzufangen. Die
Änderung gegenüber der KG könne demgemäß
nicht von einem Antrag des VA auf Änderung seiner Steuer als
Organträger abhängig sein. Es seien nicht einmal
Anhaltspunkte für Missbrauch oder Steuerumgehung
gegeben.
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II. Die Revision des FA ist begründet.
Das Urteil des FG ist aufzuheben und die Sache an das FG
zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der
Finanzgerichtsordnung - FGO - ). Das FG hat zwar zutreffend
entschieden, dass im Streitfall aufgrund geänderter
BFH-Rechtsprechung eine Organschaft nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 des
Umsatzsteuergesetzes (UStG) vorliegt. Es hat aber nicht hinreichend
berücksichtigt, dass eine Änderung zugunsten der KG im
Hinblick auf diese Rechtsprechungsänderung voraussetzt, dass
der Organträger für seine Steuerfestsetzung einen
Änderungsantrag stellt. Hierzu sind in einem zweiten
Rechtsgang weitere Feststellungen zu treffen.
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1. Das FG hat im Ausgangspunkt zutreffend
entschieden, dass die KG eine Organgesellschaft in einer
Organschaft nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG sein kann.
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a) Nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 UStG wird
die gewerbliche oder berufliche Tätigkeit nicht
selbständig ausgeübt, wenn eine juristische Person nach
dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse finanziell,
wirtschaftlich und organisatorisch in das Unternehmen des
Organträgers eingegliedert ist (Organschaft). Unionsrechtliche
Grundlage ist Art. 11 MwStSystRL. Danach kann jeder Mitgliedstaat
in seinem Gebiet ansässige Personen, die zwar rechtlich
unabhängig, aber durch gegenseitige finanzielle,
wirtschaftliche und organisatorische Beziehungen eng miteinander
verbunden sind, zusammen als einen Steuerpflichtigen behandeln.
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b) Im Streitfall war VA aufgrund der
Verpachtung an die KG Unternehmer. Auch die KG übte eine
unternehmerische Tätigkeit aus. Die KG war in das Unternehmen
des VA finanziell eingegliedert, da VA über die Mehrheit der
Stimmrechte bei der KG verfügte. Die wirtschaftliche
Eingliederung ergab sich aus der Verpachtung von für das
Unternehmen der KG wesentlichen Betriebsgegenständen durch VA.
Die organisatorische Eingliederung folgte daraus, dass VA einziger
Geschäftsführer und Alleingesellschafter der
Komplementär-GmbH war, die allein für die KG
geschäftsführungs- und vertretungsbefugt war. VA war
damit entsprechend dem EuGH-Urteil Norddeutsche Gesellschaft
für Diakonie vom 01.12.2022 - C-141/20 (EU:C:2022:943 =
SIS 22 20 90, Rz 69 f.) in der
Lage, seinen Willen bei der Organgesellschaft durchzusetzen, so
dass es ihm auch möglich war, die Umsätze des im
Organkreis zusammengefassten Unternehmens ordnungsgemäß
zu versteuern und den sich daraus nach § 18 UStG ergebenden
Verpflichtungen auch im Hinblick auf die Umsatztätigkeit der
Organgesellschaft nachzukommen.
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c) Zwar handelt es sich bei der KG vorliegend
um eine Personenhandelsgesellschaft mit einer
„kapitalistischen Struktur“. Dies
steht aber nach der durch die BFH-Urteile in BFHE 251, 534, BStBl
II 2017, 547 = SIS 16 00 91, in BFHE 252, 516, BStBl II 2017, 567 =
SIS 16 04 58 und in BFHE 254, 164, BStBl II 2017, 581 = SIS 16 14 50 geänderten BFH-Rechtsprechung ihrer Stellung als
Organgesellschaft nicht entgegen, wobei es nach den BFH-Urteilen in
BFHE 252, 516, BStBl II 2017, 567 = SIS 16 04 58 und in BFHE 254,
164, BStBl II 2017, 581 = SIS 16 14 50 nicht darauf ankommt, ob
Gesellschafter der KG neben VA nur Personen sind, die in dessen
Unternehmen finanziell eingegliedert sind. Dies hat der EuGH mit
seinem Urteil Finanzamt für Körperschaften Berlin
(EU:C:2021:285 = SIS 21 05 99)
bestätigt, dem sich der Senat anschließt. Eine
Personenhandelsgesellschaft mit einer „kapitalistischen
Struktur“ kann daher Organgesellschaft
sein, wenn neben dem Organträger Gesellschafter der
Personenhandelsgesellschaft auch Personen sind, die in das
Unternehmen des Organträgers nicht finanziell eingegliedert
sind. Soweit der Senat dies in seinem zuvor ergangenen Urteil in
BFHE 251, 534, BStBl II 2017, 547 = SIS 16 00 91 anders beurteilt
hat, hält er daran nicht fest.
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2. Das Urteil des FG ist gleichwohl
aufzuheben. Macht eine KG geltend, dass sie aufgrund
geänderter BFH-Rechtsprechung Organgesellschaft i.S. von
§ 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG und damit nicht Steuerschuldnerin sei,
setzt die Aufhebung einer gegenüber der KG ergangenen
Steuerfestsetzung voraus, dass der Organträger zur Vermeidung
eines widersprüchlichen Verhaltens bei der Anwendung von
§ 176 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 der Abgabenordnung (AO) einen Antrag
auf Änderung der für ihn vorliegenden Steuerfestsetzung
stellt.
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a) Der Grundsatz von Treu und Glauben ist im
Steuerrecht als allgemeiner Rechtsgrundsatz uneingeschränkt
anerkannt. Er gebietet, dass im
„Steuerrechtsverhältnis“
jeder Beteiligte auf die berechtigten Belange des anderen Teils
angemessen Rücksicht nimmt und sich zu seinem eigenen
früheren Verhalten nicht in Widerspruch setzt. Er bringt keine
Steueransprüche und -schulden zum Entstehen oder
Erlöschen, sondern kann allenfalls ein bestehendes konkretes
Steuerrechtsverhältnis dahingehend modifizieren, dass eine
Forderung nicht mehr geltend gemacht oder ein Recht nicht mehr
ausgeübt werden kann (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B.
BFH-Urteil vom 06.07.2016 - X R 57/13, BFHE 256, 1, BStBl II 2017,
334 = SIS 16 28 12, Rz 16).
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b) Der Grundsatz von Treu und Glauben ist auch
bei der Anwendung von § 176 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO zu
berücksichtigen. Danach darf bei der Aufhebung oder
Änderung eines Steuerbescheids nicht zuungunsten des
Steuerpflichtigen berücksichtigt werden, dass sich wie
vorliegend (s. oben II.1.c) die Rechtsprechung eines obersten
Gerichtshofs des Bundes geändert hat, die bei der bisherigen
Steuerfestsetzung (vorliegend aufgrund der
Umsatzsteuererklärung 2010 des VA vom 26.08.2011) von der
Finanzbehörde angewandt worden ist.
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Dabei verstößt es gegen Treu und
Glauben („venire contra factum
proprium“), wenn der Steuerpflichtige
aufgrund einer Rechtsprechungsänderung z.B. die Aufhebung
eines ihn belastenden Bescheids fordert und erreicht und
später geltend macht, er habe auf die Anwendung der
früheren Rechtsprechung vertraut und sei nicht bereit, die
für ihn negativen Folgen der Rechtsprechungsänderung
hinzunehmen (BFH-Urteil vom 08.02.1995 - I R 127/93, BFHE 177, 332,
BStBl II 1995, 764 = SIS 95 16 51, unter II.C.4.; vgl. auch
BFH-Urteil vom 25.04.2013 - V R 2/13, BFHE 241, 304, BStBl II 2013,
844 = SIS 13 23 10, Leitsatz 1). Hierzu hat der Senat mit Urteil
vom 26.08.2021 - V R 13/20 (BFHE 273, 364 = SIS 21 15 89) in Bezug
auf die Rechtsprechungsänderung durch das BFH-Urteil in BFHE
252, 516, BStBl II 2017, 567 = SIS 16 04 58 (und damit ebenso in
Bezug auf das inhaltsgleiche BFH-Urteil in BFHE 254, 164, BStBl II
2017, 581 = SIS 16 14 50) sowie das BFH-Urteil in BFHE 251, 534,
BStBl II 2017, 547 = SIS 16 00 91 entschieden, dass
Organträger und Organgesellschaften nicht beanspruchen
können, im selben Besteuerungszeitraum für den einen
Unternehmensteil (z.B. Organgesellschaft) auf der Grundlage der
bisherigen Rechtsprechung und für den anderen Unternehmensteil
(z.B. Organträger) nach der geänderten Rechtsprechung
besteuert zu werden. Dies beruht darauf, dass das maßgebliche
„Steuerrechtsverhältnis“ (s.
oben II.2.a) bei Anwendung von § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG zum
Organträger als Steuerschuldner und Steuerpflichtigen besteht
und sich dabei entsprechend dieser Vorschrift auch auf die
Organgesellschaft als Bestandteil dieses
Steuerrechtsverhältnisses erstreckt. Dem kommt Vorrang
gegenüber der vom Kläger als maßgeblich angesehenen
zivilrechtlichen Betrachtung als eigenständige Rechtssubjekte
zu.
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c) Dementsprechend kann nicht zugleich
beansprucht werden, dass einerseits die KG nach der geänderten
BFH-Rechtsprechung als Organgesellschaft behandelt wird,
während andererseits VA, der erst aufgrund der geänderten
BFH-Rechtsprechung als Organträger anzusehen ist,
Vertrauensschutz gemäß § 176 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO
in die frühere BFH-Rechtsprechung gewährt wird, nach der
er nicht Organträger für die KG war. Daher ist unter
Berücksichtigung des Senatsurteils in BFHE 273, 364 = SIS 21 15 89 dieser Widerstreit dahingehend aufzulösen, dass der
Unternehmensteil der Organschaft, zu dessen Gunsten der
Änderungsschutz nach § 176 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO wirkt, diesen
durch die Stellung eines Änderungsantrags entfallen lassen
muss, um so ein widersprüchliches Verhalten in Bezug auf die
Besteuerung der Umsätze des anderen Unternehmensteils der
Organschaft zu vermeiden.
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Dieses Antragserfordernis wirkt in der Weise
zu Lasten der KG, die als Organgesellschaft mit VA gemäß
§ 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG verbunden ist, dass eine Aufhebung der
für sie vorliegenden Steuerfestsetzung voraussetzt, dass
aufgrund eines von VA zu stellenden Antrags eine Besteuerung der
Umsätze der KG entsprechend der Rechtsauffassung der KG bei VA
als Organträger erfolgen kann. Somit kommt eine Aufhebung der
für die KG bestehenden Steuerfestsetzung aufgrund ihrer sich
erst aus der geänderten BFH-Rechtsprechung ergebenden Stellung
als Organgesellschaft nur in Betracht, wenn VA gemäß
§ 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO vor Ablauf der für
ihn geltenden Festsetzungsfrist beantragt, die Umsätze der KG
als Organgesellschaft bei seiner Steuerfestsetzung zu erfassen und
damit auf den sich aus § 176 AO ergebenden Vertrauensschutz
verzichtet.
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d) Das Erfordernis einer entsprechenden
Antragstellung durch den Organträger steht nicht im
Widerspruch zum Unionsrecht.
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aa) Das Besteuerungsverfahren wird, soweit es
den Streitfall betrifft, nicht durch die MwStSystRL geregelt. Daher
dürfen die Mitgliedstaaten in Ermangelung harmonisierter
Vorschriften die Verfahrensvorschriften ihres innerstaatlichen
Rechts anwenden, sofern sie dabei die Grundsätze der
Äquivalenz und der Effektivität einhalten (EuGH-Urteil
Caterpillar Financial Services vom 20.12.2017 - C-500/16,
EU:C:2017:996 = SIS 18 00 73, Rz
37). Diesen Grundsätzen entspricht eine bis zum Ablauf der
Festsetzungsfrist erforderliche Antragstellung wie auch die
Berücksichtigung der sich im Rahmen eines
Steuerrechtsverhältnisses nach Treu und Glauben ergebenden
Bindungen.
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bb) Hierfür spricht im Übrigen die
Erwägung des EuGH, dass die nationale Bestimmung des
Organträgers als einzigen Steuerpflichtigen nicht zur Gefahr
von Steuerverlusten führen darf (EuGH-Urteile Norddeutsche
Gesellschaft für Diakonie, EU:2022:943 = SIS 22 20 90, und Finanzamt T vom 01.12.2022 -
C-269/20, EU:C:2022:944 = SIS 22 20 92). Eine Haftung der Organgesellschaft nach § 73 AO
ist wegen des Grundsatzes der Akzessorietät nur bei Bestehen
der Steuerschuld des Organträgers zu bejahen. Das Erfordernis
einer Antragstellung durch den Organträger, um eine
Festsetzung ihm gegenüber zu ermöglichen, dient dazu, die
Gefahr von Steuerverlusten zu vermeiden.
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3. Die Sache ist nicht spruchreif. Dem Senat
ist eine Prüfung, ob VA einen Änderungsantrag für
eine bei ihm vorzunehmende Versteuerung der Umsätze der KG
gestellt hat, verwehrt. Dabei kann ein derartiger Antrag auch jetzt
noch durch VA oder im Fall eines noch nicht beendeten
Insolvenzverfahrens über sein Vermögen durch seinen
Insolvenzverwalter gestellt werden, wenn im Streitfall die
Festsetzungsfrist als zeitliche Grenze für den Antrag i.S. des § 172 Abs. 1
Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO (BFH-Urteil vom 03.03.2011 - III R
45/08, BFHE 233, 6, BStBl II 2011, 673 = SIS 11 18 27, Leitsatz 2)
entgegen der Annahme des FA nach § 174 Abs. 3 AO noch nicht
abgelaufen ist.
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a) Ist ein bestimmter Sachverhalt in einem
Steuerbescheid (hier: für VA) erkennbar in der Annahme nicht
berücksichtigt worden, dass er in einem anderen Steuerbescheid
(hier: für die KG) zu berücksichtigen sei, und stellt
sich diese Annahme als unrichtig heraus, so kann die
Steuerfestsetzung, bei der die Berücksichtigung des
Sachverhalts unterblieben ist (hier: die des VA), insoweit
gemäß § 174 Abs. 3 Satz 1 AO nachgeholt, aufgehoben
oder geändert werden. Dabei steht eine Steuerfestsetzung unter
Vorbehalt der Nachprüfung nach Abgabe einer entsprechenden
Steuererklärung (§ 168 Satz 1 AO) einem Steuerbescheid
i.S. von § 174 Abs. 3 AO gleich (BFH-Urteil vom 19.12.2013 - V
R 7/12, BFHE 245, 80, BStBl II 2017, 841 = SIS 14 15 50, Rz
50).
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31
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§ 174 Abs. 3 AO ist auch anzuwenden, wenn
der „andere Steuerbescheid“ -
z.B. entsprechend der formellen Bescheidlage - einen anderen
Steuerpflichtigen (hier: die KG aufgrund der Verneinung der
Stellung als Organgesellschaft) betrifft (BFH-Urteil vom 27.08.2014 - II R 43/12, BFHE 246,
506, BStBl II 2015, 241 = SIS 14 29 69, Rz 20). Für den
bestimmten Sachverhalt kommt es auf den einzelnen Lebenssachverhalt
an, an den das Gesetz steuerliche Folgen knüpft, und damit auf
den einheitlichen, für die Besteuerung maßgeblichen
Sachverhaltskomplex, nicht aber auf das Bestehen einer Organschaft
als hierfür unbeachtlichen Rechtsbegriff (vgl. BFH-Urteil vom
21.09.2016 - V R 24/15, BFHE 254, 505, BStBl II 2017, 143 = SIS 16 24 83, Rz 22 f. zu § 174 Abs. 4 AO). Daher besteht die
Änderungsberechtigung nach § 174 Abs. 3 AO z.B. dann,
wenn das FA Umsätze
und Vorsteuerbeträge einer GmbH erkennbar deshalb nicht bei
dieser berücksichtigt hat, weil es davon ausgeht, dass diese
bei einer anderen Person als Organträger zu erfassen seien
(BFH-Urteil vom 08.02.1996 - V R 54/94, BFH/NV 1996, 733, unter
II.1.). Dementsprechend besteht die Änderungsbefugnis
gemäß § 174 Abs. 3 AO auch dann, wenn Umsätze
und Vorsteuerbeträge einer KG erkennbar deshalb nicht beim
Organträger berücksichtigt werden, da das FA davon
ausgeht, diese seien mangels Organschaft bei der KG zu
erfassen.
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32
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b) Im Streitfall ergibt sich der bestimmte
Sachverhalt, an den das Gesetz steuerliche Folgen knüpft, aus
der Umsatztätigkeit der mit VA finanziell, wirtschaftlich und
organisatorisch verbundenen KG. Dieser Sachverhalt wurde in der
Annahme, dass die Umsätze der KG trotz Vorliegens der
Eingliederungsvoraussetzungen in einem für diese zu
erlassenden Steuerbescheid zu erfassen seien, bei der
Steuerfestsetzung des Organträgers nicht
berücksichtigt.
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33
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Allerdings kann der Senat nicht entscheiden,
ob diese Nichtberücksichtigung auch erkennbar war.
Erkennbarkeit liegt insbesondere vor, wenn der Steuerpflichtige
durch sein eigenes Verhalten die Finanzbehörde veranlasst hat,
einen Sachverhalt nicht bei ihm, sondern bei einem anderen zu
erfassen (BFH-Urteil in BFHE 246, 506, BStBl II 2015, 241 = SIS 14 29 69, Rz 22). Hierfür kann im Streitfall die zeitgleiche
Abgabe der Umsatzsteuerjahreserklärungen von VA und der KG,
der die damals herrschende Meinung zugrunde lag, nach der eine KG
keine Organgesellschaft war, sprechen.
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34
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c) Sollten danach die Voraussetzungen des
§ 174 Abs. 3 Satz 1 AO erfüllt sein, ist die Nachholung,
Aufhebung oder Änderung der Steuerfestsetzung für VA -
und damit auch die Antragstellung durch VA gemäß
§ 172 Abs. 1 Satz 1
Nr. 2 Buchst. a AO - nach § 174 Abs. 3 Satz 2 AO bis zum
Ablauf der für die andere Steuerfestsetzung geltenden
Festsetzungsfrist zulässig. Maßgebend ist hierfür
somit nicht die Festsetzungsfrist für den auf § 174 Abs.
3 AO gestützten neuen Bescheid gegenüber VA (vgl.
BFH-Urteil in BFHE 246, 506, BStBl II 2015, 241 = SIS 14 29 69, Rz
23), sondern die Festsetzungsfrist für die KG, die
gemäß § 171 Abs. 3a AO in ihrem Ablauf gehemmt ist
(BFH-Urteil in BFHE 246, 506, BStBl II 2015, 241 = SIS 14 29 69, Rz
25 zu § 171 Abs. 3a AO).
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35
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Im Fall eines fortbestehenden
Insolvenzverfahrens über das Vermögen des VA ist auf eine
durch seinen Insolvenzverwalter abzugebende Erklärung
abzustellen. Denn insoweit ist zu berücksichtigen, dass im
Insolvenzverfahren ein Änderungsbescheid gemäß
§ 251 Abs. 2 Satz 1 AO i.V.m. § 87 der Insolvenzordnung
(InsO) nicht mehr ergehen kann (BFH-Urteil vom 13.05.2009 - XI R
63/07, BFHE 225, 278, BStBl II 2010, 11 = SIS 09 25 61, unter
II.2.a aa). An dessen Stelle tritt die Eintragung des sich für
das Kalenderjahr ergebenden Steueranspruchs als Insolvenzforderung
in die Insolvenztabelle (§ 178 InsO) oder - im Fall des
Bestreitens (§ 179 InsO) - der gemäß § 185
InsO i.V.m. § 251 Abs. 3 AO zu erlassende
Feststellungsbescheid (BFH-Urteil vom 21.11.2013 - V R 21/12, BFHE
244, 70, BStBl II 2016, 74 = SIS 14 06 91, Rz 23 zur Parallelfrage
bei der Haftung nach § 13c UStG). Die Eintragung in die
Tabelle ersetzt damit im Insolvenzverfahren den Steuerbescheid
(BFH-Urteil vom 17.09.2019 - VII R 5/18, BFHE 266, 104 = SIS 19 19 25, Leitsatz 2). Da der Insolvenzverwalter dem an die Stelle eines
Änderungsbescheids tretenden Tabelleneintrag im Hinblick auf
§ 176 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO widersprechen könnte, ist
auch für diesen Fall die Inanspruchnahme des aus dieser
Vorschrift ansonsten ergebenden Vertrauensschutzes
auszuschließen.
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Die Änderung nach § 174 Abs. 3 AO gegenüber
einem Dritten (hier: gegenüber dem Organträger) nach
Einlegung eines Rechtsbehelfs durch den anderen Steuerpflichtigen
(hier: durch den Insolvenzverwalter der KG) setzt im Übrigen
nicht die Beteiligung des Dritten (Organträger)
gemäß § 174 Abs. 5 AO am Verfahren des anderen (des
Insolvenzverwalters der KG) voraus (BFH-Urteile vom 01.08.1984 - V
R 67/82, BFHE 141, 490, BStBl II 1984, 788 = SIS 84 21 38,
Leitsatz, und in BFHE 245, 80, BStBl II 2017, 841 = SIS 14 15 50,
Rz 58). Dementsprechend kommt es nicht auf die weitergehenden
Voraussetzungen des § 174 Abs. 4 AO an.
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4. Die Übertragung der Kostenentscheidung
beruht auf § 143 Abs. 2 FGO.
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