1
|
I. Der Kläger und Revisionskläger
(Kläger) war Inhaber eines Betriebs zur Herstellung von
...-Maschinen (Betrieb A) und eines Großhandelsbetriebs
(Betrieb B). Für beide Betriebe waren unterschiedliche
Steuernummern vergeben.
|
|
|
2
|
Der Kläger führte vor dem
Finanzgericht (FG) einen Rechtsstreit, in dem er die Herabsetzung
des Gewerbesteuermessbetrages 1990 für den Betrieb B begehrte,
dem die Steuernummer Y zugeteilt war. Der Messbescheid war nach
einer Außenprüfung ergangen. In einem
Erörterungstermin vom 8.7.2003 schlug die Berichterstatterin
eine tatsächliche Verständigung und die Erledigung der
Hauptsache vor. Die Beteiligten stimmten dem Vorschlag zu, aufgrund
dessen der Gewerbesteuermessbetrag für den Betrieb B zu
mindern gewesen wäre. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das
Finanzamt - FA - ) erließ einen geänderten
Gewerbesteuermessbescheid 1990 vom 26.8.2003, der dem Ergebnis des
Erörterungstermins Rechnung tragen sollte. Allerdings
verwechselte das FA die beiden Betriebe des Klägers. Es
verminderte die Besteuerungsgrundlagen für den Betrieb A,
für den im Jahr 1997 ein einheitlicher Messbetrag 1990 von
581.187 DM bestandskräftig festgesetzt worden war, und setzte
nunmehr einen einheitlichen Messbetrag von 247.635,02 EUR
(entspricht 484.332 DM) fest. Es vermerkte in dem Bescheid die
Steuernummer für den Betrieb A (X). Die Angabe der jeweiligen
Steuernummer war in den Gewerbesteuermessbescheiden für die
beiden Betriebe das einzige Unterscheidungsmerkmal. Der Bescheid
vom 26.8.2003 ging im September 2003 dem Klägervertreter zu.
Dieser erklärte mit Schreiben vom 16.9.2003 den Rechtsstreit
in der Hauptsache für erledigt.
|
|
|
3
|
Im Jahr 2005 bemerkte das FA nach einem
Hinweis der Stadt S die Verwechslung. Unter dem Datum des 29.4.2005
erließ es einen nach § 129 der Abgabenordnung (AO)
berichtigten Bescheid, durch den der Gewebesteuermessbetrag 1990
für den Betrieb A wieder auf den ursprünglichen Betrag
von 297.156,19 EUR (entspricht 581.187 DM) heraufgesetzt wurde.
Außerdem erließ es auch für den Betrieb B einen
geänderten Bescheid und verminderte den Messbetrag auf
4.250,37 EUR (entspricht 8.313 DM).
|
|
|
4
|
Gegen den Bescheid vom 29.4.2005 für
den Betrieb A wandte sich der Kläger ohne Erfolg mit Einspruch
(Einspruchsentscheidung vom 9.8.2006).
|
|
|
5
|
Das FG wies die anschließend erhobene
Klage ab. Zur Begründung führte es aus, der Kläger
sei verpflichtet gewesen, an der Umsetzung der tatsächlichen
Verständigung vom 8.7.2003 mitzuwirken. Obwohl dem
Klägervertreter die Fehlerhaftigkeit des Bescheids vom
26.8.2003 aufgefallen sei, habe er den Rechtsstreit in der
Hauptsache für erledigt erklärt. Wegen der für den
Betrieb A eingetretenen Festsetzungsverjährung hätte das
FA weder den Bescheid vom 26.8.2003 noch den vom 29.4.2005 erlassen
dürfen. Hätte der Kläger bzw. sein Prozessvertreter
den Messbescheid für den Betrieb A unmittelbar nach dessen
Zugang beanstandet, so wäre der Fehler korrigiert worden und
es wäre nicht zu der Steuerminderung für beide
Einzelfirmen gekommen. Vor diesem Hintergrund könne der
Kläger nicht seine Zustimmung zu einer Änderung des
fehlerhaften Bescheids vom 26.8.2003 verweigern, ohne gegen den
Grundsatz von Treu und Glauben zu verstoßen.
|
|
|
6
|
Mit der Revision rügt der Kläger
die Verletzung des § 172 Abs. 1 AO. Die Rechtsprechung, die
das FG zur Begründung seiner Entscheidung herangezogen habe,
sei zu § 94 Abs. 1 Nr. 2 der Reichsabgabenordnung entwickelt
worden. Aufgrund der mit Inkrafttreten der AO 1977 vollzogenen
Neuregelung der verfahrensrechtlichen Änderungsvorschriften
sei diesen Rechtsgrundsätzen der Boden entzogen worden. Der
Gesetzgeber habe den Konflikt zwischen materieller
Rechtmäßigkeit einer Steuerfestsetzung und
Rechtssicherheit abschließend geregelt. Unabhängig
hiervon sei der angefochtene Gewerbesteuermessbescheid auch deshalb
rechtswidrig, weil zum Zeitpunkt seines Erlasses bereits
Festsetzungsverjährung eingetreten sei. Selbst wenn er, der
Kläger, die Zustimmung zu einer Änderung erteilt
hätte, hätte der Bescheid nicht ergehen
dürfen.
|
|
|
7
|
Der Kläger beantragt, das angefochtene
Urteil und den Gewerbesteuermessbescheid 1990 vom 29.4.2005 sowie
die dazu ergangene Einspruchsentscheidung vom 9.8.2006
aufzuheben.
|
|
|
8
|
Das FA beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
|
|
|
9
|
Der Kläger sei aufgrund der Einigung
im Erörterungstermin verpflichtet gewesen, an deren Umsetzung
mitzuwirken. Seinem Prozessvertreter sei die Fehlerhaftigkeit des
Bescheids aufgefallen, gleichwohl habe er den Rechtsstreit in der
Hauptsache für erledigt erklärt. Ergänzend sei
darauf hinzuweisen, dass der fehlerhafte Gewerbesteuermessbescheid
vom 26.8.2003 am 12.3.2004 durch die Stadt S zur Post gegeben und
erst danach bekanntgegeben worden sei. Der innerhalb der
Jahresfrist des § 171 Abs. 2 AO im März 2005 von der
Stadt S gestellte Antrag auf Aufhebung des fehlerhaften Bescheids
führe nach § 171 Abs. 3 AO dazu, dass bei Erlass des
angefochtenen Bescheids vom 29.4.2005 die Festsetzungsfrist noch
nicht abgelaufen gewesen sei.
|
|
|
10
|
II. Die Revision ist begründet. Sie
führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils, des Bescheids
vom 29.4.2005 sowie der dazu ergangenen Einspruchsentscheidung vom
9.8.2006 (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung
- FGO - ). Das FA durfte den angefochtenen
Gewerbesteuermessbescheid 1990 vom 29.4.2005 für den Betrieb A
nicht erlassen, da die Festsetzungsfrist bereits abgelaufen
war.
|
|
|
11
|
1. Nach § 169 Abs. 1 Sätze 1 und 2
AO sind die Steuerfestsetzung sowie ihre Aufhebung oder
Änderung nicht mehr zulässig, wenn die Festsetzungsfrist
abgelaufen ist; ebenso unzulässig ist nach Ablauf der Frist
eine Berichtigung wegen offenbarer Unrichtigkeit (§ 129 AO).
Dies gilt auch für Gewerbesteuermessbescheide (§ 184 Abs.
1 Satz 3 AO). Nach den nicht mit Revisionsrügen angegriffenen
Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2 FGO) war die
Festsetzungsfrist für einen den Betrieb A betreffenden
Gewerbesteuermessbescheid 1990 spätestens im Jahr 1998
abgelaufen. Trotz Verjährung erließ das FA aufgrund
einer Verwechslung für den Betrieb A den Bescheid vom
26.8.2003, der zwar rechtswidrig, aber rechtlich existent und nicht
etwa nichtig i.S. von § 125 AO ist (Beschluss des
Bundesfinanzhofs - BFH - vom 6.5.1994 V B 28/94, BFH/NV 1995, 275;
Kruse in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, vor
§ 169 AO Rz 2; Klein/Rüsken, AO, 10. Aufl., § 169 Rz
46).
|
|
|
12
|
2. Eine Möglichkeit, den Bescheid vom
26.8.2003 nach § 129 AO zu berichtigen, bestand nicht.
|
|
|
13
|
a) Zwar hat der Senat mit Urteil vom 14.6.1991
III R 64/89 (BFHE 165, 438, BStBl II 1992, 52 = SIS 92 05 42)
entschieden, dass ein Berichtigungsbescheid nach § 129 AO
i.V.m. § 171 Abs. 2 AO auch dann noch erlassen werden kann,
wenn der zu berichtigende Bescheid erst nach Ablauf der
Festsetzungsverjährung ergangen ist (a.A. Kruse in
Tipke/Kruse, a.a.O., § 171 AO Rz 7; Pahlke/
Koenig/Cöster, Abgabenordnung, 2. Aufl., § 171 Rz 18; FG
Hamburg, Urteil vom 17.12.1993 V 178/91, EFG 1994, 642; offen
gelassen im BFH-Urteil vom 9.11.1994 XI R 12/94, BFH/NV 1995,
563).
|
|
|
14
|
b) Jedoch konnte im Streitfall auch unter
Zugrundelegung dieser Rechtsansicht ein Berichtigungsbescheid nicht
mehr ergehen, da die Jahresfrist des § 171 Abs. 2 AO
abgelaufen war. Der Bescheid vom 26.8.2003 ging im September 2003
dem Klägervertreter zu, nicht erst im März 2004, als die
Stadt S den Bescheid übersandte. Auch wenn die Bekanntgabe
oder Zustellung von Gewerbesteuermessbescheiden in
Nordrhein-Westfalen den hebeberechtigten Gemeinden übertragen
ist, war das FA dennoch berechtigt, den Messbescheid selbst
bekanntzugeben (§ 2 Abs. 1 des Gesetzes über die
Zuständigkeit für die Festsetzung und Erhebung der
Realsteuern vom 16.12.1981, Gesetz- und Verordnungsblatt für
das Land Nordrhein-Westfalen 1981, 732). Zu dem Zeitpunkt, als der
Berichtigungsbescheid vom 29.4.2005 dem Kläger bekanntgegeben
wurde, war die Jahresfrist nach § 171 Abs. 2 AO bereits
verstrichen.
|
|
|
15
|
3. Eine sich aus dem Grundsatz von Treu und
Glauben (§ 242 des Bürgerlichen Gesetzbuches) ergebende
Verpflichtung des Klägers, dem Erlass eines
Aufhebungsbescheids nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a
AO zuzustimmen, würde keine Aufhebungsmöglichkeit
eröffnen. Eine Aufhebung des Gewerbesteuermessbescheids 1990
vom 26.8.2003 wäre wegen des Eintritts der
Festsetzungsverjährung auch mit Zustimmung des Klägers
nicht möglich.
|
|
|
16
|
4. Zutreffend hat das FG eine Aufhebung des
Berichtigungsbescheids wegen widerstreitender Festsetzungen
abgelehnt. Nachdem das FA nach Entdeckung der Verwechslung auch den
Gewerbesteuermessbetrag für den Betrieb B korrigiert hatte,
lagen zwar widerstreitende Steuerfestsetzungen vor. Die
Voraussetzungen für eine Änderung nach § 174 AO sind
jedoch nicht erfüllt. Gemäß § 174 Abs. 2 Satz
1 i.V.m. Abs. 1 AO ist ein fehlerhafter Bescheid auf Antrag
aufzuheben oder zu ändern, wenn ein bestimmter Sachverhalt in
unvereinbarer Weise in mehreren Bescheiden zugunsten eines
Steuerpflichtigen berücksichtigt worden ist, obwohl er nur
einmal hätte berücksichtigt werden dürfen. In
sinngemäßer Anwendung des § 174 Abs. 1 Satz 2 AO
kann der fehlerhafte Bescheid trotz Festsetzungsverjährung und
ohne Antrag (§ 174 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 AO) noch bis zum
Ablauf eines Jahres, nachdem der letzte der betroffenen
Steuerbescheide unanfechtbar geworden ist, aufgehoben oder
geändert werden (Loose in Tipke/Kruse, a.a.O., § 174 AO
Rz 27). Der fehlerhafte Bescheid darf nach § 174 Abs. 2 Satz 2
AO allerdings nur dann geändert werden, wenn die
Berücksichtigung des Sachverhalts auf einen Antrag oder eine
Erklärung des Steuerpflichtigen zurückzuführen ist.
Der Steuerpflichtige muss selbst, allein oder überwiegend, die
fehlerhafte Berücksichtigung verursacht haben (BFH-Urteile vom
6.9.1995 XI R 37/95, BFHE 179, 196, BStBl II 1996, 148 = SIS 96 07 40; vom 13.11.1996 XI R 61/96, BFHE 181, 408, BStBl II 1997, 170 =
SIS 97 07 41; BFH-Beschluss vom 24.6.2004 XI B 63/02, BFH/NV 2005,
1 = SIS 05 03 80; Forchhammer in Leopold, Madle, Rader, AO, §
174 Rz 23). Dies ist hier zu verneinen. Der Erlass des fehlerhaften
Bescheids vom 26.8.2003 für den Betrieb A war nicht auf einen
Antrag oder eine Erklärung des Klägers
zurückzuführen, sondern beruhte auf einem Versehen des
FA.
|
|
|