Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil
des Finanzgerichts Düsseldorf vom 19.11.2013 13 K 3624/11 E =
SIS 14 01 69 aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des gesamten Verfahrens haben die
Kläger zu tragen.
1
|
I. Die Kläger und Revisionsbeklagten
(Kläger) sind die Ehefrau bzw. der Sohn des im Jahre 2008
verstorbenen E. Die Klägerin und E wurden im Streitjahr 2002
zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Sie erklärten laufende
Verluste aus Gewerbebetrieb des E aus einer Beteiligung an einer KG
von 835.697 EUR und einen Veräußerungsgewinn von
1.134.763 EUR, für den sie den ermäßigten
Steuersatz nach § 34 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG)
beantragten. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt -
FA - ) veranlagte antragsgemäß und setzte mit Bescheid
vom 16.3.2005 die Einkommensteuer auf 90.029 EUR fest.
|
|
|
2
|
Aufgrund einer Mitteilung über die
gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen
setzte das FA mit Bescheid vom 16.2.2009 die Einkommensteuer auf
81.323 EUR fest. Dem waren nunmehr laufende Verluste aus
Gewerbebetrieb von 871.604 EUR zugrunde gelegt. Der
Veräußerungsgewinn blieb unverändert.
|
|
|
3
|
Mit ihrem Einspruch vom 13.3.2009
beantragten die Kläger, auf die außerordentlichen
Einkünfte nicht den ermäßigten Steuersatz des
§ 34 Abs. 3 EStG anzuwenden. Mit Schreiben vom 23.3.2009
teilte das FA ohne Rechtsbehelfsbelehrung mit, es lehne das
Begehren auf verbösernde Festsetzung der Einkommensteuer 2002
- die von den Klägern angestrebte Anwendung des
ermäßigten Steuersatzes in einem Folgejahr hätte
per Saldo zu einem höheren Steuervorteil geführt - nach
pflichtgemäßem Ermessen ab. Mit weiterem Einspruch vom
27.5.2009 machten die Kläger geltend, der Antrag nach §
34 Abs. 3 EStG könne bis zur Unanfechtbarkeit der
Steuerfestsetzung jederzeit widerrufen werden. Mit
Einspruchsentscheidungen vom 15.9.2011 wies das FA den Einspruch
gegen den Einkommensteuerbescheid als unbegründet zurück
und verwarf den Einspruch gegen die Ablehnung vom 23.3.2009 als
unzulässig, da es sich nicht um einen Verwaltungsakt
handele.
|
|
|
4
|
Das Finanzgericht (FG) hat die Klage als
Verpflichtungsklage dahingehend ausgelegt, dass die Kläger
sich gegen den Ablehnungsbescheid vom 23.3.2009 und die
zugehörige Einspruchsentscheidung wenden, und dieser
stattgegeben (Urteil veröffentlicht in EFG 2014, 201 = SIS 14 01 69). Die Rücknahme des Antrags nach § 34 Abs. 3 Satz 1
EStG sei zulässig gewesen. Das Wahlrecht sei nach dem
Gesetzeswortlaut zeitlich nicht befristet, könne bis zur
Bestandskraft des Steuerbescheids ausgeübt werden und sei erst
mit Eintritt der Unanfechtbarkeit des entsprechenden Bescheids
verbraucht. Es habe daher nach Erlass des Einkommensteuerbescheids
vom 16.2.2009 bis zum Ablauf der Monatsfrist des § 355 Abs. 1
der Abgabenordnung (AO) frei ausgeübt werden können. Dem
stehe § 351 Abs. 1 AO nicht entgegen. Es gälten die
gleichen Grundsätze wie sie der Bundesfinanzhof (BFH) in
ständiger Rechtsprechung für Ehegatten aufgestellt habe,
die ihr Veranlagungswahlrecht bis zur Unanfechtbarkeit eines
Berichtigungs- oder Änderungsbescheids unbeschränkt
ändern könnten. In beiden Fällen gehe es nicht um
eine Anfechtung von Besteuerungsgrundlagen, sondern um ein auf
Anwendung oder Nichtanwendung des ermäßigten
Steuersatzes gerichtetes Verpflichtungsbegehren.
|
|
|
5
|
Es könne dahinstehen, ob im Fall der
Rücknahme des Antrags nach § 34 Abs. 3 EStG die Regelung
des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO entsprechend anwendbar sei.
Die materielle Reichweite eines Wahlrechts hänge nicht vom
Bestehen einer Änderungsnorm ab. Die effektive Durchsetzung
eines bestehenden Rechts entspreche dem aus Art. 19 Abs. 4 des
Grundgesetzes (GG) folgenden Grundsatz einer
rechtsschutzgewährenden Anwendung und Auslegung der
Verfahrensvorschriften.
|
|
|
6
|
Mit der Revision erläutert das FA zum
wirtschaftlichen Hintergrund, die Kläger wollten den
ermäßigten Steuersatz in einem anderen
Veranlagungszeitraum (2005) beantragen, in dem der zu versteuernde
Veräußerungsgewinn wesentlich höher war.
|
|
|
7
|
Rechtlich stehe der begehrten Änderung
§ 351 Abs. 1 AO entgegen. Da der Einkommensteuerbescheid vom
16.2.2009 die Einkommensteuer gemindert habe, könnten die
Kläger höchstens die Heraufsetzung der Einkommensteuer
auf den zuvor festgesetzten Betrag von 90.029 EUR erlangen.
Dafür aber bedürfe es weiterhin der zumindest teilweisen
Anwendung des § 34 Abs. 3 EStG, da sich ohne Anwendung der
ermäßigten Besteuerung eine Einkommensteuer von 92.060
EUR ergäbe. Das entspreche nicht dem Antrag der Kläger.
Soweit der Antrag im Gegensatz zur früheren Rechtslage
mittlerweile widerruflich sei, gelte dies bereits nach der
Gesetzesbegründung (BTDrucks 14/2683, S. 115 ff.) nur im
Rahmen der Änderungsmöglichkeiten der AO. Der Wunsch der
Kläger, die Vorteile des § 34 Abs. 3 EStG nunmehr
für einen späteren Veranlagungszeitraum in Anspruch zu
nehmen, sei kein Grund, die Bestandskraft des Bescheids für
2002 über § 351 Abs. 1 AO hinaus zu durchbrechen und so
die Änderung des Wahlrechts nur dem Steuerpflichtigen zu
ermöglichen, der zufällig das Glück habe, dass sein
Steuerbescheid aus außerhalb des § 34 EStG liegenden
Gründen geändert werde.
|
|
|
8
|
Die Rechtsprechung zum Wahlrecht zwischen
der getrennten Veranlagung und der Zusammenveranlagung sei nicht
übertragbar. Die geänderte Wahl der Veranlagungsart
führe zu einer vollständigen Neuveranlagung und ggf.
Entscheidungen, die über die Höhe der festgesetzten
Steuer hinausgingen, so dass § 351 Abs. 1 AO dort nicht
anwendbar sei.
|
|
|
9
|
Das FA beantragt, das FG-Urteil aufzuheben
und die Klage abzuweisen.
|
|
|
10
|
Die Kläger beantragen, die Revision
zurückzuweisen.
|
|
|
11
|
Sie sind der Auffassung, § 351 Abs. 1
AO sei auf das Wahlrecht nach § 34 Abs. 3 Satz 1 EStG nicht
anwendbar. Es könne der Höhe nach nicht
eingeschränkt werden, da es sich um ein absolutes
Gestaltungswahlrecht handele, ebenso wie das Veranlagungswahlrecht
nach §§ 26 ff. EStG sowie die Anträge nach §
10d EStG oder § 32d Abs. 4 und 6 EStG. Nachdem der Gesetzgeber
das Wahlrecht nicht mehr unwiderruflich gestaltet habe, müsse
er beabsichtigt haben, die vollständige Rücknahme des
Antrags zu ermöglichen. Mit einer Begrenzung auf den
Korrekturrahmen des § 351 Abs. 1 AO liefe dies aber praktisch
weitgehend leer.
|
|
|
12
|
Bei vergleichbaren Gestaltungswahlrechten,
namentlich dem Veranlagungswahlrecht der Ehegatten, sei nach
ständiger Rechtsprechung des BFH die erneute
Wahlrechtsausübung zulässig, weil die
Besteuerungsgrundlagen unverändert blieben und der
Steuerpflichtige - wie bei der vorliegenden Streitfrage auch - ein
schützenswertes Interesse habe, die Besteuerungsgrundlagen bei
Ausübung eines Wahlrechts vollständig zu kennen. Da der
BFH seine Auffassung zum Veranlagungswahlrecht der Ehegatten
maßgebend darauf gestützt habe, dass § 351 Abs. 1
AO die Besteuerungsgrundlagen unberührt lassen wolle,
müsse für das streitige Wahlrecht, das ebenfalls nur den
Tarif betreffe, dasselbe gelten.
|
|
|
13
|
Das Wahlrecht stehe dem Steuerpflichtigen
nach § 34 Abs. 3 Satz 4 EStG nur einmal im Leben zu. Daher
müsse dieser sich darauf verlassen können, dass sich die
einmalige Tarifermäßigung auch in der von ihm erwarteten
Höhe zu seinen Gunsten auswirke, bzw. andernfalls Gelegenheit
haben, die Ausübung des Wahlrechts zu überdenken.
Immerhin habe der Änderungsbescheid vom 16.2.2009 den durch
das Wahlrecht bewirkten Steuervorteil deutlich gemindert. E habe
die Erhöhung der Verluste im Streitjahr, die auf einer
Minderheitsbeteiligung an einer KG beruhten, nicht vorhersehen
können. Ebenso wenig habe er den hohen
Veräußerungsgewinn des Jahres 2005 antizipieren
können, der letztlich dazu führe, dass der Verbrauch der
Tarifermäßigung im Streitjahr 2002 wirtschaftlich
nachteilig sei. Da eine geänderte gesonderte Feststellung die
Änderung des Einkommensteuerbescheids 2002 ausgelöst
habe, stehe als Rechtsgrundlage für die von den Klägern
begehrte weitere Änderung des Bescheids § 175 Abs. 1 Satz
1 Nr. 1 AO zur Verfügung. Andernfalls würde der
Rechtsschutz des Kommanditisten, dessen Einkommensteuerveranlagung
im Gegensatz zu der des Einzelunternehmers regelmäßig
nicht unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehe,
ungerechtfertigt verkürzt.
|
|
|
14
|
II. Auf die Revision des FA ist das Urteil des
FG aufzuheben und die Klage gemäß § 126 Abs. 3 Satz
1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) abzuweisen. Die Kläger
haben keinen Anspruch auf Änderung des
Einkommensteuerbescheids 2002 in der Weise, dass der
Veräußerungsgewinn nicht nach § 34 Abs. 3 EStG
ermäßigt besteuert und demzufolge eine höhere
Steuer festgesetzt wird. Das Wahlrecht nach dieser Vorschrift ist
zwar grundsätzlich jederzeit änderbar (dazu 1.). Die
entsprechende Änderung des Einkommensteuerbescheids ist jedoch
nur und in dem Umfang möglich, soweit dieser aus Gründen,
die außerhalb der Änderung des Wahlrechts liegen
müssen, verfahrensrechtlich geändert werden kann (dazu
2.). Solche liegen im Streitfall nicht vor (dazu 3.).
|
|
|
15
|
1. Nach § 34 Abs. 3 EStG kann die Steuer
auf außerordentliche Einkünfte auf Antrag unter
bestimmten Voraussetzungen nach einem ermäßigten
Steuersatz bemessen werden. Der Antrag nach § 34 Abs. 3 EStG
in der im Streitjahr geltenden Fassung ist grundsätzlich frei
widerruflich. Eine gesetzliche Frist besteht nicht.
|
|
|
16
|
Nach § 34 Abs. 1 EStG i.d.F. des
Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 vom 24.3.1999 (BGBl I
1999, 402) wurden außerordentliche Einkünfte auf
unwiderruflichen Antrag nach der sog. Fünftelregelung
besteuert. Eine dem späteren § 34 Abs. 3 EStG
entsprechende Regelung existierte noch nicht. Mit dem Gesetz zur
Senkung der Steuersätze und zur Reform der
Unternehmensbesteuerung (Steuersenkungsgesetz - StSenkG - ) vom
23.10.2000 (BGBl I 2000, 1433, BStBl I 2000, 1428) wurde das Wort
„unwiderruflich“ in § 34 Abs. 1 EStG
gestrichen. Das Gesetz zur Ergänzung des
Steuersenkungsgesetzes (Steuersenkungsergänzungsgesetz -
StSenkErgG - ) vom 19.12.2000 (BGBl I 2000, 1812, BStBl I 2001, 25)
fügte schließlich Abs. 3 in der Gestalt ein, wie sie
strukturell der noch heute geltenden Fassung entspricht. Lediglich
die Betragsgrenze wurde von 10 Mio. DM auf 5 Mio. EUR gesenkt, der
ermäßigte Steuersatz von 50 % auf 56 % des sonst
geltenden durchschnittlichen Steuersatzes angehoben, der
Mindeststeuersatz wiederum von 19,9 % auf 14 % gesenkt. Aussagen
zur Widerruflichkeit des Antrags oder eine Frist hat die Vorschrift
zu keinem Zeitpunkt enthalten.
|
|
|
17
|
Eine anderweitige Selbstbindung des
Steuerpflichtigen an einen einmal gestellten Antrag oder an das
Nichtstellen eines Antrags ist weder dem EStG noch der AO zu
entnehmen. Ob die geänderte Ausübung des Wahlrechts durch
erstmaligen Antrag, durch Rücknahme eines Antrags oder durch
abweichende Ausübung eines Antrags ihrerseits eine
Änderung des Einkommensteuerbescheids rechtfertigt, ist eine
hiervon zu trennende Frage.
|
|
|
18
|
2. Die der Änderung einer
Wahlrechtsausübung entsprechende Änderung des
Einkommensteuerbescheids setzt allerdings voraus, dass dieser aus
anderen Gründen verfahrensrechtlich änderbar ist. Eine
abweichende Wahlrechtsausübung begründet für sich
genommen keine Änderungsmöglichkeit.
|
|
|
19
|
a) Die ständige Rechtsprechung des BFH
lässt die Ausübung von Antrags- oder Wahlrechten, die dem
Grunde nach keiner zeitlichen Begrenzung unterliegen,
grundsätzlich nur zu, solange der entsprechende Steuerbescheid
nicht formell und materiell bestandskräftig ist.
|
|
|
20
|
aa) Ist ein Steuerbescheid insgesamt
bestandskräftig geworden, ist die erstmalige oder
geänderte Ausübung eines Antrags- oder Wahlrechts zum
Zwecke der Durchbrechung der Bestandskraft nicht mehr möglich
(ständige Rechtsprechung, vgl. zu § 7b EStG BFH-Urteile
vom 10.10.1969 VI R 180/67, BFHE 97, 186, BStBl II 1970, 63 = SIS 70 00 34; vom 18.12.1973 VIII R 101/69, BFHE 111, 302, BStBl II
1974, 319 = SIS 74 01 76, sowie vom 25.2.1992 IX R 41/91, BFHE 167,
369, BStBl II 1992, 621 = SIS 92 14 08; zu § 4 des
Fördergebietsgesetzes - FördG - BFH-Urteil vom 13.2.1997
IV R 59/95, BFH/NV 1997, 635 = SIS 97 18 32, sowie BFH-Beschluss
vom 10.5.2010 IX B 220/09, BFH/NV 2010, 1415 = SIS 10 21 06; zu
§ 10d Abs. 1 Satz 7 EStG i.d.F. des damaligen Streitjahres
2001 BFH-Urteil vom 17.9.2008 IX R 72/06, BFHE 222, 571, BStBl II
2009, 639 = SIS 08 40 76; zu § 14a Abs. 5 EStG BFH-Urteil vom
14.5.2009 IV R 6/07, BFH/NV 2009, 1989 = SIS 09 36 32, sowie
BFH-Beschluss vom 26.10.2011 IV B 106/10, BFH/NV 2012, 166 = SIS 12 00 11; zu § 6c i.V.m. § 6b EStG BFH-Urteil vom 30.8.2001
IV R 30/99, BFHE 196, 507, BStBl II 2002, 49 = SIS 02 02 45, sowie
BFH-Beschluss vom 11.6.2014 IV B 46/13, BFH/NV 2014, 1369 = SIS 14 21 18).
|
|
|
21
|
Folgerichtig kann der Steuerpflichtige frei
über das Wahlrecht verfügen, wenn der
Einkommensteuerbescheid noch nicht formell bestandskräftig und
deshalb ohnehin änderbar ist, insbesondere also dann, wenn
über einen Einspruch oder eine Klage gegen den Bescheid
insgesamt noch nicht entschieden ist.
|
|
|
22
|
bb) Ferner ist der Bescheid und damit auch die
Ausübung des Wahlrechts änderbar, wenn der Bescheid noch
nicht materiell bestandskräftig ist, namentlich unter dem
Vorbehalt der Nachprüfung steht (vgl. zu § 9 des
Umsatzsteuergesetzes - UStG - BFH-Urteile vom 19.12.2013 V R 6/12,
BFHE 245, 71, BFH/NV 2014, 1126, HFR 2014, 666 = SIS 14 15 49,
sowie V R 7/12, BFHE 245, 80, BFH/NV 2014, 1130, HFR 2014, 669 =
SIS 14 15 50; ebenso, zwar zu § 26 EStG, indes mit
allgemeingehaltener Formulierung BFH-Urteil vom 3.2.1987 IX R
255/84, BFH/NV 1987, 751; anders für die sachverhaltsbezogene
und daher von einem reinen Antrags- oder Wahlrecht zu
unterscheidende Schätzung nach § 15 Abs. 4 Satz 2 UStG
BFH-Urteile vom 2.3.2006 V R 49/05, BFHE 213, 249, BStBl II 2006,
729 = SIS 06 35 36, sowie vom 22.11.2007 V R 35/06, BFH/NV 2008,
628 = SIS 08 14 57, beide m.w.N.).
|
|
|
23
|
cc) Diese Grundsätze widersprechen nicht
der prinzipiell freien Widerruflichkeit derartiger Antrags- und
Wahlrechte. Letztere trifft keine Aussage darüber, bis wann
ein Widerruf verfahrensrechtlich noch berücksichtigt werden
kann. Sie sind auch auf das Wahlrecht nach § 34 Abs. 3 EStG
anzuwenden, das insoweit keine Besonderheiten erkennen lässt
(ebenso Horn in Herrmann/Heuer/Raupach, § 34 EStG Rz 83;
Sieker, in: Kirchhof/ Söhn/Mellinghoff, EStG, § 34 Rz C
26).
|
|
|
24
|
dd) Das bedeutet umgekehrt zwingend, dass die
geänderte Ausübung eines Antrags- oder Wahlrechts
für sich genommen keine verfahrensrechtliche Grundlage
für eine Änderung von Bescheiden darstellt. Anders als
das FG wohl meint, hängt nicht die Bestandskraft des Bescheids
vom Antrags- oder Wahlrecht ab. Vielmehr hängt das Antrags-
oder Wahlrecht von der Bestandskraft ab. Aus der Entscheidung des
BFH in BFHE 196, 507, BStBl II 2002, 49 = SIS 02 02 45 ergibt sich
entgegen dem Verständnis des FG nichts anderes. Zwar hat der
BFH dort unter Bezugnahme auf Art. 19 Abs. 4 GG aus dem Gebot der
rechtsschutzgewährenden Anwendung und Auslegung von
Verfahrensvorschriften die entsprechende Anwendung von § 175
Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO abgeleitet, um die materiell zulässige
Ausübung des Wahlrechts auch formell umzusetzen und die
Gestaltungswirkung des Wahlrechts auch über den Eintritt der
Bestandskraft hinaus zu erhalten (unter II.3.). Der BFH ist jedoch
gerade nicht davon ausgegangen, dass die Ausübung des
Wahlrechts die Bestandskraft zu durchbrechen vermag. Vielmehr
beziehen sich diese Ausführungen auf eine Zeitspanne, in der
ein finanzgerichtliches Urteil zwar erlassen und zugestellt, aber
noch nicht rechtskräftig, der Bescheid folglich noch nicht
bestandskräftig geworden war und auf die Frage, auf welche
Änderungsvorschrift die folgerichtige Änderung des
Bescheids zu stützen war. Es entspricht daher den vorstehenden
Grundsätzen, dass der BFH die Wahlrechtsausübung
zugelassen hat.
|
|
|
25
|
b) Die Änderung eines Antrags- oder
Wahlrechts ist damit auch dann zuzulassen, wenn und soweit der
Bescheid lediglich partiell noch nicht formell und materiell
bestandskräftig ist. Das betrifft zunächst den teilweisen
Nichteintritt der Bestandskraft infolge von
Teileinspruchsentscheidungen nach § 367 Abs. 2a AO. Zudem
erfasst es diejenigen Fälle, in denen Änderungsbescheide
auf der Grundlage einer selbständigen Änderungsvorschrift
- etwa §§ 172 ff. AO - die teilweise Durchbrechung der
Bestandskraft bewirken.
|
|
|
26
|
aa) Wird ein solcher Änderungsbescheid
angefochten, so folgt jedoch aus § 351 Abs. 1 AO, dass die
Änderung der Antrags- oder Wahlrechtsausübung nur dann
möglich ist, wenn die dadurch zu erzielende
Steueränderung den durch die partielle Durchbrechung der
Bestandskraft gesetzten Rahmen nicht verlässt. Die Vorschrift
begrenzt die Anfechtbarkeit und damit auch die durch den Einspruch
bewirkte Änderbarkeit eines Änderungsbescheids auf den
Umfang der Änderung und stellt damit u.a. klar, dass es im
Übrigen bei der zuvor eingetretenen Bestandskraft bleibt.
|
|
|
27
|
bb) Für Änderungen, die über
diesen Rahmen hinausgehen und demnach im Wege eines
Verpflichtungsbegehrens zu verfolgen wären, bedarf es folglich
einer eigenen Änderungsvorschrift. Die Änderung eines
Antrags- oder Wahlrechts stellt aber für sich genommen keine
Änderungsvorschrift dar. Ebenso wenig erfüllt die seitens
der Kläger herangezogene Änderung der
Geschäftsgrundlage die tatbestandlichen Voraussetzungen einer
Änderungsvorschrift. Beides ergibt sich mittelbar aus der
unter 2.a dargestellten Rechtsprechung.
|
|
|
28
|
Soweit die Kläger sich in diesem
Zusammenhang auf § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO berufen, geht
dies fehl. Auch diese Vorschrift durchbricht die Bestandskraft nur
insoweit, als ein Folgebescheid an einen Grundlagenbescheid
anzupassen (zu erlassen, aufzuheben oder zu ändern) ist. Das
Wahlrecht ist aber nicht Gegenstand des Grundlagenbescheids. Eine
Änderung des Antrags- oder Wahlrechts ist nach alledem nicht
möglich, wenn ihre Auswirkungen über den durch § 351
Abs. 1 AO abgesteckten Änderungsrahmen hinausgehen.
|
|
|
29
|
Ob dies anders zu beurteilen ist, wenn ein
Grundlagenbescheid eine Anpassung des Folgebescheids gerade im
Hinblick auf den Veräußerungsgewinn verlangt, auf den
das Wahlrecht sich bezieht, ist im Streitfall nicht zu
entscheiden.
|
|
|
30
|
cc) Der Senat vermag keinen Grund zu erkennen,
die tatbestandlich ohne Weiteres einschlägige Regelung des
§ 351 Abs. 1 AO nicht anzuwenden. Für eine teleologische
Reduktion der Vorschrift besteht kein Anlass. Dieser folgt auch
nicht aus der fehlenden Teilbarkeit des Antrags aus § 34 Abs.
3 EStG. Die Teilung des Antragsrechts ist gesetzlich nicht
vorgesehen und hätte zudem in einer Konstellation wie im
Streitfall den nicht dem Begehren der Kläger entsprechenden
Verbrauch des Antragsrechts zur Folge. Es besteht damit kein Grund,
ohne verfahrensrechtliche Grundlage einen gesetzlich vorgesehenen
Änderungsrahmen zu sprengen. Aus dem begehrten Ergebnis folgt
kein Anspruch.
|
|
|
31
|
dd) Die abweichenden Grundsätze, die der
BFH in ständiger Rechtsprechung zum Veranlagungswahlrecht der
Ehegatten entwickelt hat, sind auf das streitige Wahlrecht nicht
übertragbar.
|
|
|
32
|
(1) Diese Rechtsprechung beruht in erster
Linie auf der verfahrensrechtlichen Überlegung, dass der
Antrag auf Änderung der Veranlagungsart nicht als Anfechtung
der Steuerfestsetzung zu verstehen ist, sondern als ein auf
Durchführung einer erneuten Veranlagung in einer bestimmten
Veranlagungsart gerichtetes Verpflichtungsbegehren. Die
verschiedenen Veranlagungsformen sind jeweils wesensverschiedene
Veranlagungsverfahren. Die Änderung der Veranlagung
erschöpft sich daher nicht in der Änderung eines bereits
ergangenen Bescheids, sondern führt zu einem neuen
Veranlagungsverfahren (vgl. insbesondere BFH-Urteile vom 24.1.2002
III R 49/00, BFHE 198, 12, BStBl II 2002, 408 = SIS 02 05 83, sowie
vom 19.5.2004 III R 18/02, BFHE 206, 201, BStBl II 2004, 980 = SIS 04 36 34). Das Veranlagungswahlrecht betrifft eine die gesamte
Veranlagung betreffende Ordnung (Verbindung oder Trennung) der
steuerlichen Verhältnisse zweier Personen. Im Gegensatz zu dem
Veranlagungswahlrecht ist das hier streitige Antragsrecht eine
punktuelle Maßnahme, die auf die Besteuerungsmodalitäten
einer bestimmten Besteuerungsgrundlage und deren Auswirkungen auf
eine bestimmte - einzige - Steuerfestsetzung abzielt und insofern
nicht vergleichbar ist.
|
|
|
33
|
In der verfahrensrechtlichen Lage, die die
Änderung des Veranlagungswahlrechts bewirkt, ist die
unmittelbare Anwendung von § 351 Abs. 1 AO strukturell nicht
möglich. Sie fordert einen Vergleich der Steuerfestsetzungen
vor und nach der Änderung. Im Rahmen des
Veranlagungswahlrechts wären zur Durchführung des
Vergleichs die Steuern verschiedener Personen zusammenzurechnen.
Dafür bedürfte es einer besonderen Rechtsgrundlage. Diese
ist folgerichtig (erst) in Gestalt von § 26 Abs. 2 Satz 4 Nr.
3 EStG heutiger Fassung geschaffen worden. Der Senat weist
vorsorglich darauf hin, dass eine entsprechende Anwendung der
aktuellen Vorschriften über die Änderung des
Veranlagungswahlrechts - für die er ohnehin keinen Grund sieht
- den Klägern auch nicht zum Ziel verhelfen könnte. Dort
setzt die Änderung eine Minderung der Steuer für das
betreffende Jahr voraus, woran es im Streitfall gerade fehlt.
|
|
|
34
|
(2) Soweit der BFH seine Entscheidungen zur
Frage des Veranlagungswahlrechts teilweise mit weiteren
Überlegungen versehen hat, handelt es sich um ergänzende,
nicht aber um wesentliche Gesichtspunkte.
|
|
|
35
|
(a) Er hat zwar ausgeführt, dass es sich
um ein reines Tarifwahlrecht handele, das die
Besteuerungsgrundlagen - der Zielrichtung des § 351 Abs. 1 AO
ohnehin entsprechend - unberührt lassen wolle (BFH-Urteil vom
25.6.1993 III R 32/91, BFHE 171, 407, BStBl II 1993, 824 = SIS 93 20 05). Aus § 157 Abs. 2 AO ergibt sich jedoch, dass der in
§ 351 Abs. 1 AO definierte Umfang der Anfechtbarkeit gerade
nicht die Besteuerungsgrundlagen, sondern die Höhe der
Steuerfestsetzung betrifft; es kann sich daher lediglich um einen
zusätzlichen und nicht maßgebenden Aspekt handeln.
|
|
|
36
|
(b) Ebenfalls keine entscheidende Bedeutung
kommt dem Gedanken zu, dass ein Änderungsbescheid die
Geschäftsgrundlage für die Ausübung des
Veranlagungswahlrechts wesentlich ändern könne (Antwort
des III. Senats auf eine Divergenzanfrage des XI. Senats zu §
10d EStG vom 6.2.1998 III ER-S-4/97, BFH/NV 1999, 160). Die
Änderung der Geschäftsgrundlage, die der Steuerpflichtige
seinen steuerlichen Dispositionen zugrunde gelegt hat, erfüllt
für sich allein nicht den Tatbestand einer
Änderungsvorschrift und kann deswegen allein auch nicht die
Änderung von Bescheiden rechtfertigen (s.o.). Anders als die
Kläger wohl meinen, existiert kein allgemeiner Rechtsgrundsatz
des Inhalts, dass bei neuen Erkenntnissen über die
wirtschaftlichen Folgen von Wahlrechten diese ungeachtet
eingetretener Bestandskraft erneut ausgeübt werden können
mit der Folge, dass ein Bescheid geändert werden könnte
und müsste. Dies ist auch nicht aus Gründen des
Vertrauensschutzes geboten. Der Steuerpflichtige kennt seine
aktuellen Einkünfte und kann seine zu erwartenden
Einkünfte besser als jeder andere prognostizieren,
insbesondere besser als das FA. Er kann deshalb selbst die Folgen
seiner Wahlrechtsausübung am besten abschätzen und
entsprechend planen. Es ist daher folgerichtig, wenn er auch das
Risiko einer etwaigen Fehleinschätzung trägt. Die
Überlegung der Kläger, der Steuerpflichtige müsse
sich auf die Auswirkungen des Wahlrechts verlassen können,
geht deshalb ins Leere. Abweichendes ergibt sich auch nicht aus der
Gesetzesbegründung des StSenkG und des StSenkErgG. Wie das FA
zu Recht ausführt, nimmt diese auf den Rahmen Bezug, den die
AO vorgibt, und geht damit gerade nicht von einer
voraussetzungslosen Änderungsmöglichkeit des Wahlrechts
aus.
|
|
|
37
|
Der insoweit abweichenden Auffassung des
Schleswig-Holsteinischen FG (Urteil vom 2.10.2003 5 K 394/02, EFG
2004, 349 = SIS 04 06 47) sowie des FG Hamburg (Gerichtsbescheid
vom 18.2.2005 III 157/04, EFG 2005, 965 = SIS 05 24 12) folgt der
Senat aus den vorstehenden Gründen nicht.
|
|
|
38
|
(3) Abgesehen davon, dass die Behandlung der
Frage im Rahmen anderer Antrags- und Wahlrechte für die
Behandlung des streitigen Antragsrechts aus § 34 Abs. 3 EStG
unerheblich ist, hat der BFH die zu dem Veranlagungswahlrecht
entwickelten weiten Grundsätze folgerichtig bisher nicht
ausgedehnt.
|
|
|
39
|
ee) Unerheblich ist nach den vorstehenden
Grundsätzen allerdings auch, worauf die partielle
Durchbrechung der Bestandskraft beruht. Bewegt sich die durch eine
zulässige Änderung eines Antrags- oder Wahlrechts
bewirkte Steueränderung innerhalb des Rahmens des § 351
Abs. 1 AO, ist es nach § 157 Abs. 2 AO daher auch
gleichgültig, ob die Änderung einen Bezug zu den
Veräußerungsgewinnen aufweist.
|
|
|
40
|
c) Die Verwerfungen, die die Beteiligten in
diesen Grundsätzen sehen, bestehen nicht. Soweit die
Wahlrechtsausübung im Rahmen eines Rechtsbehelfsverfahrens
auch zur Gestaltung eingesetzt werden kann, ist das der fehlenden
Bestandskraft immanent. Soweit die Änderung des Wahlrechts
nicht möglich ist, wenn sie zu einer das
Änderungspotential nur um 1 EUR übersteigenden
Steueränderung führt, ist das eine unvermeidbare Folge
des Umstands, dass der Ermäßigungsantrag als solcher
nicht teilbar ist. Gleichzeitig vermeidet dies aber auch, dass
bereits eine geringfügige Änderung eines Bescheids das
Antragswahlrecht in vollem Umfange neu eröffnete. Da im
Übrigen jeder umfassende Rechtsbehelf eine umfängliche
Änderungsmöglichkeit eröffnet, ist Letztere
keineswegs praktisch bedeutungslos.
|
|
|
41
|
3. Nach diesen Maßstäben ist im
Streitfall die antragsgemäße Änderung des
Einkommensteuerbescheids nicht möglich.
|
|
|
42
|
a) Soweit die Kläger mit ihrem Einspruch
vom 13.3.2009 den Änderungsbescheid vom 16.2.2009 angefochten
haben, kommt eine Änderung des Bescheids durch Abhilfe im
Einspruchsverfahren gemäß § 367 Abs. 2 Satz 3 AO -
ungeachtet prozessualer Fragen - nicht in Betracht. Die begehrte
Änderung ginge über den durch § 351 Abs. 1 AO
gesetzten Rahmen hinaus. Deshalb kann es im Streitfall dahinstehen,
ob die Kläger hinsichtlich dieses Bescheids, der eine
Änderung zu Gunsten der Kläger enthielt, überhaupt
nach § 350 AO einspruchsbefugt waren.
|
|
|
43
|
b) Folgerichtig hat das FG prozessual
zutreffend die Rechtsverfolgung der Kläger als
Verpflichtungsbegehren dahin ausgelegt, dass sie die Änderung
des Bescheids anstreben. Für eine derartige Änderung
bedarf es einer Änderungsvorschrift, die nach dem Vorstehenden
nicht existiert.
|
|
|
44
|
c) Eine auf § 177 Abs. 2 AO
gestützte Saldierung der zu Gunsten der Kläger
vorgenommenen Änderung mit der begehrten Änderung zu
ihren Lasten findet ebenfalls nicht statt. Die
Saldierungsmöglichkeit besteht nur, soweit die Änderung
reicht. Im Übrigen setzt die Saldierung materielle Fehler
voraus. Die Steuerfestsetzung ist aber hinsichtlich der
ermäßigten Besteuerung nicht fehlerhaft, da sie
antragsgemäß erfolgt ist. Eine selbständige
Rechtfertigung, den Antrag zu ändern, enthält § 177
Abs. 2 AO nicht.
|
|
|
45
|
4. Soweit der Senat mit seinen
Ausführungen unter 2.b von dem Beschluss des IX. Senats in
BFH/NV 2010, 1415 = SIS 10 21 06 abweicht, hat dieser auf eine
Anfrage in einem weiteren Verfahren des Senats (X R 44/13 = SIS 16 02 82) erklärt, der Abweichung zuzustimmen. Im Übrigen
bliebe im Streitfall die Klage auch dann ohne Erfolg, wenn eine
Änderung des Antragsrechts nach einmal eingetretener
Bestandskraft ungeachtet einer nachträglichen partiellen
Durchbrechung schlechterdings nicht mehr möglich
wäre.
|
|
|
46
|
5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135
Abs. 1 FGO.
|