Vorsteueraufteilung, Bindung für Folgejahre: Ist die Umsatzsteuerfestsetzung für das Jahr der Anschaffung oder Herstellung eines gemischt genutzten Gegenstandes formell bestandskräftig und hat der Unternehmer oder - bei Fehlen oder Abweichung von der Umsatzsteuererklärung - das FA ein i.S. des § 15 Abs. 4 UStG sachgerechtes Aufteilungsverfahren angewandt, ist dieser Maßstab (auch für die nachfolgenden Kalenderjahre des Berichtigungszeitraumes) bindend. - Urt.; BFH 2.3.2006, V R 49/05; SIS 06 35 36
I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte
(Klägerin), eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts,
errichtete in den Jahren 1998 und 1999 (Streitjahre) ein Wohn- und
Geschäftshaus, das sie nach Fertigstellung zum Teil
steuerfrei, zum Teil unter Verzicht auf die Steuerbefreiung der
Mietumsätze vermietete. Nach dem Verhältnis der
Nutzflächen entfielen 33,38 v.H. auf die steuerpflichtig
vermieteten und 66,62 v.H. auf die steuerfrei vermieteten
Einheiten. Die Umsätze von insgesamt 20.837 DM entfielen zu
40,92 v.H. auf die steuerpflichtigen und zu 59,08 v.H. auf die
steuerfreien Vermietungen.
Wie sich aus der vom Finanzgericht (FG) in
Bezug genommenen Einspruchsentscheidung ergibt, hat die
Klägerin in ihren Umsatzsteuererklärungen für die
Streitjahre die im Zusammenhang mit der Errichtung des
Gebäudes angefallenen Vorsteuerbeträge nach dem
Verhältnis der Nutzflächen aufgeteilt; der Beklagte und
Revisionskläger (das Finanzamt - FA - ) stimmte den
Steuererklärungen gemäß § 164 der
Abgabenordnung (AO 1977) zu.
Im Rahmen einer bei ihr im Jahr 2000
durchgeführten Umsatzsteuersonderprüfung beantragten die
Kläger nunmehr, die Vorsteuerbeträge nach dem
Verhältnis der Umsätze aufzuteilen. Dem folgte das FA in
den aus anderen Gründen geänderten Umsatzsteuerbescheiden
für die Streitjahre 1998 und 1999 nicht. Das FG gab der nach
erfolglosem Einspruch erhobenen Klage unter Hinweis darauf statt
(vgl. SIS 06 00 87), nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs
(BFH) sei auch die Aufteilung nach dem Umsatzschlüssel eine
sachgerechte Schätzung i.S. des § 15 Abs. 4 des
Umsatzsteuergesetzes 1993/1999 (UStG).
Hiergegen richtet sich die Revision des
FA.
Es trägt im Wesentlichen vor, die
Anwendung des Umsatzschlüssels scheide deswegen aus, weil die
erstmaligen Steuerfestsetzungen - die nach Zustimmung einer
Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164
AO 1977) gleichstehenden Umsatzsteuererklärungen (§ 168
AO 1977) - bestandskräftig seien. Die Klägerin sei an den
dort gewählten Aufteilungsmaßstab gebunden, soweit
dieser sachgerecht gewesen sei.
Das FA beantragt, das angefochtene Urteil
aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin tritt der Revision
entgegen.
II. Die Revision ist begründet; sie
führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und Abweisung
der Klage (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO
- ).
1. Nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG
kann der Unternehmer die folgenden Vorsteuerbeträge abziehen:
„die in Rechnungen im Sinne des § 14 gesondert
ausgewiesene Steuer für Lieferungen oder sonstige Leistungen,
die von anderen Unternehmern für sein Unternehmen
ausgeführt worden sind“. Vom Vorsteuerabzug
ausgeschlossen ist die Steuer u.a. für die Lieferungen und
sonstigen Leistungen, die der Unternehmer zur Ausführung
steuerfreier Umsätze verwendet (§ 15 Abs. 2 Nr. 1 UStG).
Verwendet der Unternehmer - wie hier die Klägerin - ein
Gebäude teilweise zur Ausführung steuerpflichtiger
Vermietungsumsätze (Gewerbeflächen) und teilweise zur
Ausführung steuerfreier Vermietungsumsätze (Wohnungen),
ist gemäß § 15 Abs. 4 Satz 1 UStG der Teil der
Vorsteuerbeträge nicht abziehbar, der den zum Ausschluss vom
Vorsteuerabzug führenden Wohnungsvermietungsumsätzen
wirtschaftlich zuzurechnen ist. Nach § 15 Abs. 4 Satz 2 UStG
kann der Unternehmer die nicht abziehbaren Teilbeträge im Wege
einer sachgerechten Schätzung ermitteln.
Das FG geht mit den Beteiligten zu Recht davon
aus, dass als sachgerechte Schätzung i.S. des § 15 Abs. 4
UStG auch eine Aufteilung der Vorsteuerbeträge durch den
Unternehmer nach dem Verhältnis der Ausgangsumsätze
grundsätzlich anzuerkennen ist (zuletzt BFH-Beschluss vom
12.5.2005 V B 197/03, BFH/NV 2005, 1880 = SIS 05 41 36, m.w.N).
2. Wurde die Umsatzsteuerfestsetzung für
das Anschaffungsjahr (Vorsteuer- bzw. Abzugsjahr) eines gemischt
genutzten Gegenstands unanfechtbar, so ist ein der Festsetzung
zugrunde liegendes sachgerechtes Aufteilungsverfahren für den
Unternehmer bindend. Dieser Aufteilungsmaßstab ist auch
maßgebend für eine mögliche Vorsteuerberichtigung
nach § 15a UStG bei Änderungen, die sich auf die
Höhe der steuerfreien oder steuerpflichtigen Mietumsätze
auswirken (z.B. BFH-Urteil vom 17.8.2001 V R 1/01, BFHE 196, 345,
BStBl II 2002, 833 = SIS 01 14 07; BFH-Beschluss vom 11.3.2005 V B
184/03, BFH/NV 2005, 1398 = SIS 05 32 97).
a) Für die Entstehung des Rechts
auf Vorsteuerabzug aus Rechnungen über Eingangsleistungen ist
bei richtlinienkonformer Auslegung von § 15 Abs. 1 und 2 UStG
maßgebend, ob der Steuerpflichtige die Leistungen für
sein Unternehmen bezogen hat und im Jahr des Leistungsbezuges mit
den Investitionsausgaben tatsächlich Umsätze
ausführt, für die der Vorsteuerabzug zugelassen ist bzw.
wenn die tatsächliche Verwendung noch aussteht, die durch
objektive Anhaltspunkte belegte Absicht hatte, mit den
Investitionsausgaben Umsätze auszuführen, für die
der Vorsteuerabzug zugelassen ist (vgl. Urteile des Gerichtshofs
der Europäischen Gemeinschaften - EuGH - vom 8.6.2000 Rs.
C-400/98 - Breitsohl -, Slg. 2000, I-4321, UR 2000, 329, UVR 2000,
302 = SIS 00 09 86; vom 8.6.2000 Rs. C-396/98 -
Schloßstraße -, UVR 2000, 308 = SIS 00 09 96;
BFH-Urteil vom 25.11.2004 V R 38/03, BFHE 208, 84, BStBl II 2005,
414 = SIS 05 08 86, mit Nachweisen).
Das Recht auf Vorsteuerabzug entsteht
endgültig, wenn der Anspruch auf die abziehbare Steuer mit der
Lieferung eines Gegenstands oder der Ausführung einer
Dienstleistung an den vorsteuerabzugsberechtigten Steuerpflichtigen
entsteht (Art. 17 Abs. 1 i.V.m. Art. 10 Abs. 2 der Sechsten
Richtlinie des Rates vom 17.5.1977 zur Harmonisierung der
Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern
77/388/EWG - Richtlinie 77/388/EWG - ), sofern die Geltendmachung
des Vorsteuerabzugs nicht auf falscher Erklärung in
Fällen von Betrug oder Missbrauch beruht (vgl. die
vorbezeichneten EuGH-Urteile). Ohne die Sofortentscheidung des
Unternehmers über die beabsichtigten Verwendungsumsätze
kann der Vorsteuerabzugsanspruch dem Grunde und der Höhe nach
bei der Steuerfestsetzung für den maßgebenden
Besteuerungszeitraum nicht beurteilt werden (BFH-Urteile vom
8.3.2001 V R 24/98, BFHE 194, 522, BStBl II 2003, 430 = SIS 01 06 76; vom 17.5.2001 V R 38/00, BFHE 195, 437, BStBl II 2003, 434 =
SIS 01 13 19; vom 6.6.2002 V R 27/00, BFH/NV 2002, 1621 = SIS 03 02 93, und vom 28.11.2002 V R 51/01, BFH/NV 2003, 515 = SIS 03 18 15).
Dieser Anspruch auf Vorsteuerabzug nach
Maßgabe der tatsächlichen oder - wenn diese im
Erwerbsjahr noch aussteht - der beabsichtigten Nutzung bei
Leistungsbezug darf deshalb, soweit er auf zutreffenden Angaben
beruht, nicht aufgrund nachträglicher Ereignisse wieder
rückgängig gemacht werden (z.B. BFH-Urteil vom 22.3.2001
V R 46/00, BFHE 194, 533, BStBl II 2003, 433 = SIS 01 08 87, m.w.N.
zur EuGH-Rechtsprechung). Auch eine Steuerfestsetzung unter
Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 AO 1977) lässt dies
nicht zu (EuGH-Urteil Schloßstraße in UVR 2000, 308 =
SIS 00 09 86 RandNr. 52; vgl. BFH-Urteile in BFHE 194, 533, BStBl
II 2003, 433 = SIS 01 08 87; vom 8.3.2001 V R 24/98, BFH/NV 2001,
876 = SIS 01 06 76). Maßgebend ist insoweit der
Besteuerungszeitraum des Leistungsbezuges (vgl. BFH-Urteile vom
16.5.2002 V R 56/00, BFHE 199, 37 = SIS 02 84 85, unter II.2.c; vom
22.3.2001 V R 39/00, BFH/NV 2001, 1153 = SIS 01 72 50, unter
II.2.). Entscheidend ist danach grundsätzlich die formelle
Bestandskraft des Steuerbescheides für das Jahr des
Leistungsbezuges. Unerheblich ist dagegen, dass Steuerbescheide
unter Vorbehalt der Nachprüfung nach § 164 Abs. 2 AO 1977
jederzeit aufgehoben oder geändert werden können
(EuGH-Urteil Schloßstraße in UVR 2000, 308 = SIS 00 09 86 RandNr. 48). Das gilt zugunsten wie zu Lasten des
Steuerpflichtigen.
b) Diese Grundsätze gelten auch für
den Umfang des Vorsteuerabzuges, der für den
Leistungsbezug festzusetzen ist. Der Umfang richtet sich nach der
(ggf. erst beabsichtigten) Verwendung. Hat der Steuerpflichtige
deshalb in der Steueranmeldung, die - wie die
Umsatzsteuererklärung für das Kalenderjahr (§ 18
Abs. 3 und 4 UStG) - einer Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt
der Nachprüfung gleichsteht (§ 168 AO 1977), einen i.S.
des § 15 Abs. 4 UStG sachgerechten Maßstab für die
Aufteilung von Vorsteuerbeträgen, die auf Anschaffungs- oder
Herstellungskosten entfallen und der Berichtigung nach § 15a
UStG unterliegen, ist dieser - soweit er auf zutreffenden Angaben
beruht - (für den gesamten Berichtigungszeitraum i.S. des
§ 15a UStG) bindend (BFH-Beschluss vom 16.11.2004 V B 173/03,
BFH/NV 2005, 584 = SIS 05 16 21). Entsprechendes gilt, wenn das FA
bei der Steuerfestsetzung (abweichend von der Anmeldung) einen
anderen sachgerechten Aufteilungsmaßstab zugrunde legt und
die Steuerfestsetzung unanfechtbar wird.
c) Die Klägerin hat in ihren
Umsatzsteuererklärungen für 1998 und 1999 die Aufteilung
der streitigen Vorsteuerbeträge nach dem
Flächenschlüssel begehrt. Diesen Umstand hat das FG zwar
in seinem Urteil nicht ausdrücklich erwähnt. Dies ergibt
sich jedoch aus der Einspruchsentscheidung, die das FG
ausdrücklich in Bezug genommen hat. Damit gilt der gesamte
Inhalt dieses Bescheides als festgestellt (z.B. BFH-Urteile vom
21.1.1992 VIII R 72/87, BFHE 169, 219, BStBl II 1992, 958 = SIS 92 19 17; vom 20.8.1986 I R 87/83, BFHE 147, 521, BStBl II 1987, 75 =
SIS 87 01 28, m.w.N.). Diesem Umstand hat das FG zu Unrecht keine
rechtserhebliche Bedeutung beigemessen. Sein Urteil war daher
aufzuheben und die Klage abzuweisen.